Hyle (Studien zum aristotelischen Materie-Begriff) || 7.5 Zusammenfassende Bemerkungen über die...

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracto' 615 scheint es mir sicher, da er hinsichtlich der reinen mathematischen Form nicht nur vom Eidos der Naturdinge innerhalb seiner eigenen Philosophie ausgegangen ist, sondern hierin auch dem aufgezeigten Streben Platons zum .unsinnlich Prinzipiellen' verpflichtet ist 282 . Das w rde auch erkl ren helfen, weshalb Aristoteles es durch die Lehre von der reinen mathematischen Form zu den oben vorgef hrten ge- danklichen Unstimmigkeiten kommen lie : Wie so oft hat er eine von Platon herr hrende Tendenz und einen eigenen Denkansatz nicht har- monisch auszugleichen gewu t. 7.5 Zusammenfassende Bemerkungen ber die Seinsweise der τα εξ αφαιρέσεως und das Wesen der aristotelischen Abstraktion 283 Wir m chten jetzt, nachdem wir die von den mathematischen Gegenst nden handelnden Belege gemustert und, was Aristoteles hier- bei ber Abstraktion sagt, besprochen haben, eine Zusammenfassung versuchen. Bei den Objekten der Physik mu man ja, wie gezeigt, viel mehr mutma en und erg nzen, desgleichen bei denen der Metaphysik, auf die nachher eingegangen wird. 7. 51 Die Terminologie 7.511 άφαιρεϊν = ,Das Unwesentliche subtrahieren' Was ist das Objekt, das weggenommen wird ? Bei Aristoteles aus- nahmslos dasjenige, von dem abgesehen wird, das beiseitegelassen, eliminiert wird 284 , in unserem Falle also die Materie 285 , nicht die Form. 882 Da Aristoteles Z ιο/ιι sogar ganz bewu t auf Platon eingehe, vermutet J. Hirsch- berger aus u eren (Winkel io35b 6ff ~ Staat 5ioC ^f; io3oa 10—12. b 35 ~ Ti- maios 52 A 3—7. B 2; io36b 12—20 auch Platon gemeint) und inneren Gr nden (Aristoteles frage wie Platon, ob die Geometrie ohne Anschauung auskommt; die aristotelische Ολη νοητή entspreche der Chora des Timaios, was indes o. 2.225 wider- legt wurde). Man kann noch eine bezeichnende Kleinigkeit anf hren: Z 10, io36a i f werden κύκλο; und ψυχή miteinander verbunden. Wieviele Gr nde das auch sonst noch haben mag, es scheint hier die platonische Verbundenheit von Mathematik und Seele anzuklingen (vgl. Gaiser 95—99). 283 Mansion 136—195. Chen, Chorismos 68—78. Philippe 461—479. 284 Philippe 465 mit A. 2 und 9. Hinzuzuf gen Zu, io36b 23 (s. u.), ferner etwa An. post. A 5, 74a 37. 39. B 5, gib 27 (vgl. Bonitz). Auf die wichtige Stelle Z 3, io2ga 16 gehen wir u. 7.823a ein; ebd. wird ττεριαιρεΐν 1029a n synonym mit άφαιρεϊν ver- wendet, vgl. K 3, io6ia 29 und cat. 73 32. b 2. 5 (Bonitz). Aus Arist. rhet. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 10/31/13 5:22 PM

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracto' 615

scheint es mir sicher, da er hinsichtlich der reinen mathematischenForm nicht nur vom Eidos der Naturdinge innerhalb seiner eigenenPhilosophie ausgegangen ist, sondern hierin auch dem aufgezeigtenStreben Platons zum .unsinnlich Prinzipiellen' verpflichtet ist282. Dasw rde auch erkl ren helfen, weshalb Aristoteles es durch die Lehrevon der reinen mathematischen Form zu den oben vorgef hrten ge-danklichen Unstimmigkeiten kommen lie : Wie so oft hat er eine vonPlaton herr hrende Tendenz und einen eigenen Denkansatz nicht har-monisch auszugleichen gewu t.

7.5 Zusammenfassende Bemerkungen ber die Seinsweise derτα εξ αφαιρέσεως und das Wesen der aristotelischen

Abstraktion283

Wir m chten jetzt, nachdem wir die von den mathematischenGegenst nden handelnden Belege gemustert und, was Aristoteles hier-bei ber Abstraktion sagt, besprochen haben, eine Zusammenfassungversuchen. Bei den Objekten der Physik mu man ja, wie gezeigt, vielmehr mutma en und erg nzen, desgleichen bei denen der Metaphysik,auf die nachher eingegangen wird.

7.51 Die Terminologie

7.511 άφαιρεϊν = ,Das Unwesentliche subtrahieren'Was ist das Objekt, das weggenommen wird ? Bei Aristoteles aus-

nahmslos dasjenige, von dem abgesehen wird, das beiseitegelassen,eliminiert wird284, in unserem Falle also die Materie285, nicht die Form.

882 Da Aristoteles Z ιο/ιι sogar ganz bewu t auf Platon eingehe, vermutet J. Hirsch-berger aus u eren (Winkel io35b 6ff ~ Staat 5ioC ^f; io3oa 10—12. b 35 ~ Ti-maios 52 A 3—7. B 2; io36b 12—20 auch Platon gemeint) und inneren Gr nden(Aristoteles frage wie Platon, ob die Geometrie ohne Anschauung auskommt; diearistotelische Ολη νοητή entspreche der Chora des Timaios, was indes o. 2.225 wider-legt wurde). Man kann noch eine bezeichnende Kleinigkeit anf hren: Z 10, io36ai f werden κύκλο; und ψυχή miteinander verbunden. Wieviele Gr nde das auch sonstnoch haben mag, es scheint hier die platonische Verbundenheit von Mathematikund Seele anzuklingen (vgl. Gaiser 95—99).

283 Mansion 136—195. Chen, Chorismos 68—78. Philippe 461—479.284 Philippe 465 mit A. 2 und 9. Hinzuzuf gen Zu, io36b 23 (s. u.), ferner etwa An.

post. A 5, 74a 37. 39. B 5, gib 27 (vgl. Bonitz). Auf die wichtige Stelle Z 3, io2ga16 gehen wir u. 7.823a ein; ebd. wird ττεριαιρεΐν 1029a n synonym mit άφαιρεϊν ver-wendet, vgl. K 3, io6ia 29 und cat. 73 32. b 2. 5 (Bonitz). Aus Arist. rhet.

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616 7· Hyle und Erkenntnis

Diese Feststellung gilt nur f r άφαιρεΐν und zun chst allein f r Ari-stoteles. Daran schlie en sich folgende Fragen an: i. Wie weit ist αφαι-ρεί ν = »subtrahieren' vor und nach Aristoteles belegt? 2. Nimmtάφαιρεϊν gelegentlich eine andere Bedeutung an oder wird umgekehrtf r dieses »subtrahieren' auch ein anderes Wort verwendet ? 3. WelchenTerminus gibt es f r das »Herausheben der Form' im Griechischen?Die folgenden Hinweise k nnen den Fragenkomplex nicht ersch pfendbehandeln, sollen vielmehr zu weiterer Ausf hrung anregen.

Obwohl bei Platon in den Dialogen sowohl χωρίζει ν (bzw. dieKomposita) als auch άφαιρεϊν indifferent f r »gedanklich herausheben'wie f r »das nicht zu Erkennende eliminieren' stehen286, darf manannehmen, da άφαιρεϊν im akademischen Schulbereich terminologischfixiert zu werden begann (u. 7.61). Jedenfalls ist es bei Aristoteles aufden Sinn »gedanklich eliminieren' festgelegt (s. o.), und in der mittel-und neuplatonischen Tradition der platonisch-akademischen άφαί-ρεσι$/ττρόσθεσι$-Μβί1κ^β (der sogenannten ,Via negativa'} wird esausschlie lich so verwendet287. Au erhalb dieses berlieferungs-stranges scheint es seltener vorzukommen288. Beispiele f r άφαιρεϊν»gedanklich hervorheben' gibt es bei Aristoteles berhaupt nicht,nach ihm au erordentlich selten; sie sind zudem nicht v llig ein-deutig289. Vielleicht h ngt das Zur cktreten von άφαιρεϊν au erhalb

i359b 27. 29. i3&oa n (vgl. auch Ps.-Arist. rhet. ad Alex. i438a 38—40) geht dieAustauschbarkeit von αφ- und ττΗριαιρεΐν hervor, ferner, da ihre Objekte vorzugs-weise etwas Unwesentliches. berfl ssiges sind.

885 Z ii, 10360 23 το πάντα άνάγειν ούτω καΐ άφαιρεϊν την ύλην περίεργον; hnlich10365 3 (wo nat rlich mit Ab Alp und den modernen Editoren τοϋτον zu schrei-ben ist, nicht τοΰτο mit TT, was sachlich nicht in den Zusammenhang pa t). ZurVerbindung von άνάγειν und άφαιρεϊν u. 7.61/62.

286 Belege u. S. 632 A. 372/373, wo auch auf Kr mer, Prinzipienlehre und Dialektik,hingewiesen wird.

28? vgl. u. 7.62, wo die Stellen ausf hrlicher zitiert werden: Plutarch, quaest. Plat,looi F (einmal άφαιρεϊν). Clem. AI. Strom. V 71, 2 (άφαιρεϊν zweimal, dazu zwei-mal περιαιρεϊν gleicher Bedeutung; vgl. denselben Wechsel beider Kompositabei Aristoteles, o. A. 284). Maximos Dial, n, nb (einmal άφαιρεϊν, syn. άπο-δύνειν). Plotin άφαιρεϊν so passim (Belege Kr mer, UGM 343—345; syn. άφεϊναι,άποδύνειν, άττοτιθέναι; ορρ. ιτροστιθέναι; offenbar keine Gegenbeispiele). Ps.-Dionys. theol. myst. i und 2 (zweimal άφαιρεϊν, syn. negatives έξαιρεϊν). AlsErgebnis .bleibt' etwas , brig': Clemens ύττολειφθέν, Plotin VI 8 [39] 21,27καταλιπών, Maximos καταλεπτόμενον, vgl. (κατά-, ύττο-)λεί·π·ειν bei Aristoteles(o. S. 584 A. 123).

288 Theophr. met. 5a n (nicht streng terminologisch), vgl. 6a 12. 13. Genau wie beiAristoteles Themist. De anima 8, 21 (von der Mathematik). Die brigen Aristoteles-Kommentatoren habe ich bisher noch nicht daraufhin durchgepr ft.

289 Alex. an. no, 19 αύτη yap ενέργεια του νου, τα ενεργεία αίσθητά τη αΟτοϋδυνάμει χωρίσαι καΐ άφελεϊν τούτων, συν οΐ$ όντα εστίν αίσθητά, καΐ δρίσασθαικαθ' αυτά: Hier d rfte das h ufige χωρίζειν = .herausheben' die seltene Ver-wendung von άφαιρεϊν veranla t haben, die freilich m glich gewesen sein mu ;

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracto* 617

der Via-negativa-Tradition290 mit dem Vordringen von χωρίζειν =,die Form gedanklich herausheben' zusammen. In diesem Falle w rezu fragen, was sachlich hinter diesem bedeutsamen Wechsel derTerminologie steht, d. h. warum das negative »Eliminieren' vompositiven ,Herausheben' zur ckgedr ngt wird (vgl. u.).

7.512 χωρίζειν

Da χωρίζειν bei Platon und Aristoteles eine verwirrende F llevon Bedeutungen hat291, empfiehlt es sich, mit dem schulm igverfestigten Gebrauch der sp teren Zeit anzufangen, der es uns er-m glicht, das Problem sch rfer zu fassen. Wir beschr nken uns aufAlexanders Metaphysikkommentar und seine Schrift De anima292

sowie eine Stelle Plotins. Bei Alexander wird χωρίζειν im Zusammen-hang mit dem Eidos und mit den mathematischen Gegenst ndengebraucht. Wenn es sich um das Eidos handelt, bedeutet χωρίζειν beiihm fast stets293 ,die Form (von der Hyle abtrennen und so) heraus-heben'294. Dieses .Trennen' ist komplement r einem λαμβάνειν, νοεϊν,θεωρεϊν296, mit dem sich der vous der Form bem chtigt, zusammen-gefa t: ή νόησι$ λήψις των είδων εστί χωρΙ$ ύλη$ (De anima 83, 14^)·Bei den μαθηματικά bezeichnet es sowohl positiv das Heraushebendes mathematischen Objektes296 wie negativ das Subtrahieren allerk rperlichen πάθη au er der Ausdehnung297; auch hier tritt wieder

vielleicht ist eine Spur der urspr nglichen Indifferenz (s. Platon) immer bewahrtgeblieben. Vgl. Themist. De anima in, 17.

290 Die Schicksale des Substantivs άφαίρεσις sind ein wenig anders, u. 7.513.291 Die Bedeutungen von χωρίζω, χωριστόν, χωρίς bei Aristoteles stellt mit reichen

Belegen dar Philipp^ 469—476.292 Die Belege k nnen nur in knappster Auswahl gegeben werden. Zur sachlichen Pro-

blematik von Alexanders Abstraktionslehre vgl. P. Moraux, Alexandre 70—75.S. auch o. S. 586 A. 132. Trotz einiger empiristisch klingender Formulierungen (z. B.an. 83, ii—13 das .Zusammenstellen des hnlichen') k nnte die AbstraktionAlexanders intuitive Wesensschau wie bei Aristoteles sein.

293 Eine sichere Ausnahme: Die aristotelische Stelle Zu, io36b 23 το -πάντα, άνάγεινούτω καΐ άφαιρεϊν την ΰλην περίεργον umschreibt Ps.-Alex. 513. 31* so: το δεπάντα ccvoyeiv καΐ ιδέας ποιεΐν χωρίζοντας την ΰλην περίεργον. Ein Reflex desechten Alexander ?

294 an. 84, 8. 85, 13. 87, 25 u. ., met. 472, n. 14. 496, 35, bes. einpr gsam formuliert694, 38 und 695, 2. 4. Gleichbedeutend sind το είδος χωρίς Ολης λαμβάνειν 85, 14-ig u. ο. (vgl. met. 694, 38); το είδος χωρίς ύλης νοεϊν 86, 29. 87, 21; ferner ήδιάνοια τα είδη χωρίσασα παρ* εαυτή έχει met. 472· Σ4 un<i ή διάνοια το καθόλουχωρίζει καΐ άττοσυλδται 471· 35 (zu άττοο-υλαν, -ασθαι vgl. 5°4· Μ—τ7 undHayducks Index), άττοσυλαν ist so plastisch wie unser .abziehen'.

295 S. vorst. Amn. θεωρεϊν an. 84, 8. 20.29e met. 735, 36f. 738, 33ff, wohl auch 511, 33ff. 512, uff . Nicht eindeutig 231, i.297 met. 52, 15—19 χωρισθείσης των ένΰλων της τε ύλης καΐ της κινήσεως, καθ' α καΐ

μεθ* ων εστίν αύτοΐς το ύφεστάνατ, καταλείπεται τα μαθηματικά. 2οι, 4ff (textlich

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618 7· Hyle und Erkenntnis

komplement r νοεί ν hinzu298. Weitere Belege erg nzen das Bild nurunwesentlich299. Die Stelle aus Plotin gebraucht das Verb f r das,Eliminieren' des K rperlichen, das Substantiv χωρισμός f r das»Herausheben' der mathematischen Gegenst nde300.

Dieser Befund l t sich folgenderma en deuten:χωρίζει ν ist auf den Bereich der Erkenntnistheorie bezogen von

Hause aus ein indifferentes Trennen (vgl. διαιρεϊν), das an sich keinemvon beiden getrennten Teilen besonders zuneigt. Das zeigt sich aneiner Reihe platonischer301 und aristotelischer Belege302. So erkl rtsich der Umstand, da es noch bei Alexander und Plotin bald auf dieSeite des noetisch Herausgehobenen, bald auf die des Eliminiertentreten kann, als ein Rest der urspr nglichen Indifferenz. Wann aberdas Wort die terminologische Festlegung erfuhr, die uns bei Alexandervorliegt, ist undeutlich, solange wir die Zwischenstufen zwischen Ari-stoteles und Alexander nicht kennen. So bleibt nichts brig, als dieAns tze zu terminologischer Verwendung bei Aristoteles zu registrie-ren und hypothetisch einer Entwicklung einzuordnen. Wir nennen nurdiejenigen Belege, an denen χωρίζει ν eindeutig auf Erkenntnistheorieund Abstraktion bezogen ist303. Mit einer Ausnahme handelt es sichum die Abstraktion der Mathematik304: Es besteht nun gar kein Zwei-

kaum in Ordnung, aber die Verwendung von χωρίζειν klar). — Da beide Be-deutungen (vgl. A. 296) die Grenze zwischen dem .echten' Alexander und Ps.-Alexander einhalten, ist wohl Zufall, zumal ein weiterer Beleg f r negativesχωρίζειν in bezug auf die είδη (513, 32, vgl. o. A. 293) bei Ps.-Alexander steht.

298 735. 36f (zu M 3) ό γαρ λόγος ό χωρίσας την γραμμήν δύναται αυτήν τοιαύτηνείναι νοεΐν οίαν έχώρισε.

299 .Positiv' 471· 35 (oben schon angef hrt). 504, 14—17. 733, 25. .Negativ' vermutlichmet. 229, ii ff, wo er die άπλα σώματα ihrer πάθη entkleidet (χωρίζει) und soλαμβάνει το ύποκείμενον τούτοις σώμα.

300 4. 7. 8 (νοήσεις των εν Ολη είδων) χωριζόμενων γε των σωμάτων γίγνονται τουνου χωρίζοντος. Dies h rt sich an, als ob die Wesensformen gemeint seien; es gehtjedoch weiter: ου γαρ δη μετά σαρκών ή δλως ύλης ό χωρισμός κύκλου καΐ τρι-γώνου καΐ γραμμής καΐ σημείου. Trotzdem ist, wie das Folgende zeigt, die Mathe-matik ein Modellfall f r alle είδη und deren Erkenntnis. Vgl. z. St. auch u.7.512 Ende.

301 Die platonischen Stellen werden u. S. 632 A. 372 aufgef hrt.302 Bonitz 860a uff .303 Philippe 472. — Auch die allgemeinphilosophische Problematik des Chorismos

kommt hier nicht zur Sprache, vgl. Chen, Chorismos.804 Besprochen o. 7.42. Vgl. die Ausleger zu M 3, Bonitz 860 a 50—52, Philippe 472. —

Die eine Ausnahme ist Z n, io36b 7 (dar ber unten). Ganz unsicher θ 6, iO48b14f το δ' άπειρον ούχ ούτω δυνάμει ϋστιν ως ενεργεία έσόμενον χωριστόν, αλλάγνώσει (μόνον Ιστιν ενεργεία bzw. ένεργείο: χωριστόν). Es erh lt nur im noetischenAkt eine gesonderte Existenz, wird ενεργεία νοητόν, aber nicht aktuelle Substanz.Ein Beleg f r χωριστόν = .abstrahiert, abstrahierbar' ist die Stelle nicht, es seidenn, man erg nzt hinter γνώσει nur χωριστόν und fa t es anders als im erstenTeil (nicht plausibel).

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7·5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 619

fei, da wenigstens in M 3 und phys. β 2305 χωρίζειν praktisch schonein Terminus f r das ,Herausheben' des noetischen Gegenstandes ist.Au erhalb des mathematischen Bereiches ist χωρίζειν in dieser Be-deutung bei Aristoteles nicht belegt. Vielleicht war also die Abstrak-tion der Mathematik bei Aristoteles Keimzelle des sp teren Gebrauchesvon χωρίζειν ,herausheben', wie wir ihn aus Alexander kennengelernthaben (vgl. u. 7.61).

Nur Z ii, 1036by steht χωρίζειν weder direkt von der Mathe-matik noch vom Herausheben der Form: »Wesentliches und Unwesent-liches an einer Sache zu unterscheiden ist leicht, wenn die gleicheWesensfonn (Kreis) an verschiedenem Material vorkommt (Kreide,Erz usw.). Wenn aber das Material immer gleich ist (z. B. Fleisch beimMenschen), so entweder deshalb, weil es f r die Form wesentlich ist,oder weil es sich zuf llig so gef gt hat. In letzterem Falle haben wirnicht den Wechsel als Kriterium des Unwesentlichen und k nnendieses darum nicht abtrennen (άδυνατοϋμεν χωρίσαι), obwohl es ansich abtrennbar w re', χωρίζειν kommt hier einem .eliminieren' nahe,was zu seiner urspr nglichen Indifferenz und seiner Verwendung beiPlaton sowie in der Sp tzeit stimmt (o. S. 6i7f).

Das Substantiv χώρισις kommt nur bei Plotin i, 3, 3, 2 vor undhei t dort .Abtrennung' (sc. vom K rperlichen) beim Aufstieg derSeele zum ,Einen' wie im Symposion und Phaidros, die Plotin auchzitiert. Die Stelle h ngt also eng mit dem Problem der Abstraktionzusammen (vgl. auch ib. i, 3, 3, 5ff die Erw hnung der Mathematikals einer Br cke zum Unsinnlichen), aber χώρισις steht doch nichteigentlich terminologisch. — χωρισμός hei t bei Platon und Aristoteles»Trennung' im weiten Sinne und wird nur von Plotin 4, 7, 8, 19 f aufdie Erkenntnistheorie bezogen: ου μετά σαρκών ή ολω$ Ολης ό χω-ρισμός κύκλου και τριγώνου καΐ γραμμής καΐ σημείου „erfolgt dasHerausheben des Kreises usw."306.

7.513 abstrahere, auferre, separare

abstrahere steht anscheinend immer, separare fast stets positivvom Herausheben der Form307, auferre durchweg (?) vom Eliminieren

305 M 3, io78a 21—23. β 2, i93b 33—35, besprochen o. 7.42. Nicht eindeutig sind an.Γ 7, 43ib 16. E i, io26a 9.

309 κύκλος usw. wird als zu Erkennendes der zu eliminierenden Ολη gegen bergestellt;also ist es nicht m glich, die Genitive κύκλου usw. als Separative zu verstehen.

307 Mittelalterliche Belege f r abstrahere anzuf hren ist berfl ssig, da es h ufig vor-kommt und seine Bedeutung immer konstant bleibt. F r die Antike vgl. den Thes. 1.Lat. s. v. — separare: z. B. Thomas met. 1505/1506 (zu Z n) mit beiden Bedeu-tungen (mente auferre et separare geht auf die Materie, wie der Arist.-Text io36b 3zeigt).

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620 7· Hyle und Erkenntnis

der Materie308, auferre ist deutlich Wiedergabe von άφαιρεΐν, separarevon χωρίζει v; hier stimmen also inhaltliche Entsprechung und w rt-liche bersetzung verh ltnism ig gut zusammen, auferre wird offen-bar nur selten von der Abstraktion gebraucht und d rfte ein typisches

bersetzungswort sein: Man konnte f r das griechische άφαιρεΐν.eliminieren' nicht das gel ufige abstrahere nehmen, weil dieses bereitsauf das Herausheben der Form festgelegt war.

Von den drei W rtern ist abstrahere am meisten belegt und ganzeindeutig in seinem Sinn. Jedoch bereitet seine Ankn pfung nach r ck-w rts an das Griechische Schwierigkeiten. Denn nach Form und Grund-bedeutung geh rt es zu άφαιρεΐν, nach seiner sachlichen Anwendungbei der Abstraktionslehre zu χωρίζει ν in dessen berwiegender Be-deutung .herausheben'. Wenn man nicht seine Verbindung zu άφαι-ρεΐν ganz leugnen, d. h. in ihm eine rein lateinische Neusch pfung inKonkurrenz mit separare sehen will, m te άφαιρεΐν irgendwie seineBedeutung ge ndert haben:

a) Dies ist jedoch unwahrscheinlich, weil es bis in die Sp tantikein seiner Bedeutung fast berhaupt nicht schwankt, sondern durch-weg »eliminieren' hei t (o. 7.511}. Die Lateiner fanden also in der Ver-wendung des Verbums άφαιρεΐν keine Handhabe vor, um es lateinischmit abstrahere .herausheben' wiedergeben zu k nnen.

b) Deshalb wird sich diese Bedeutungsentwicklung vermutlichweniger am Verbum άφαιρεΐν als am Substantiv άφαίρεσις vollzogenhaben. Denn neben dem Verbum kommen h ufig substantivischeAusdr cke mit αφαίρεση vor309. Diese substantivischen Verbindungensind nun von Anfang an indifferent gegen ber der Art und Weise desAbstraktionsvorganges, d. h. die Abstraktionsergebnisse τα εξ άφαι-308 Z. B. bersetzt Wilhelm von Moerbeke αφαιρεί ν Zu , io36b 3 mit auferre, vgl.

Thomas zu b 23: removere materialia bzw. auferre totaliter materiam sensibilem etintelligibilem. Vgl. Philippe 465 A. 2. — Auch das Substantiv ablatio gibt z. T.άφαίρεσις im Sinne von .Eliminieren' wieder (u. S. 638 A. 399), teilweise aller-dings steht es auch wie dbsiractio vom Herausheben der Form (u. S. 621 A. 311).

309 Die Belege f r αφαίρεση bei Aristoteles bietet Philippe 462 mit A. 6—8. WenigeBeispiele f r die sp tere Entwicklung: Albinos c. 10 p. 165, 14—17 H. Ιστοα δηττρώτη μεν αύτοΰ νόησις (Erkenntnis von Gott) ή κατά άφαίρεσιν τούτων (allerbegrifflichen Aussagen), όπως καΐ σημεΐον ένοήσαμεν κατά άφαίρεσιν άττό τουαίσθητοΰ, Ιπιφάνειαν νοήσαντες, είτα γραμμήν, καΐ τελευταϊον το σημεΐον: τούτωνkann Genitivus obiectivus oder separativus sein, από του αίσθητοϋ suggeriert,selbst wenn man es nicht pre t, eine .positive' Bedeutung von άφαίρεσις. Plut.quaest. Platon. 1001 F των ειδών νόησις εξ αφαιρέσεως καΐ περικοπής σώματοςεπάγει (ό Πλάτων), eindeutig .negativ'. Ebenso auch Attikos fr. 2 § 7 Bau dry,Plotin (z. B. VI 8 [39] n, 34; VI 7 [38] 36,7), Ps.-Dionys. theol. myst. 2. InHayducks Index zu Alex. met. erscheint nicht άφαιρεΐν (περί-), wohl aber oftάφαίρεσις, u. a. in zusammengesetzten Wendungen wie εξ αφαιρέσεως νοεϊν(201, if, vgl. 199, igf) , εξ αφαιρέσεως λαμβάνειν (2oi, 4f) . Die Nicht-Erw hnungvon άφαιρεΐν bedeutet wohl nur, da es nicht philosophisch-terminologisch vor-kommt, denn es erscheint z. B. fter als .wegnehmen' (der Teile vom Ganzen) 427f.

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 621

ρέσεως ο. . verraten nichts dar ber, wie sie gewonnen worden sind,da sie n mlich eigentlich einem negativen Vorgang entstammenoder zumindest nach diesem bezeichnet sind. Kommt νοεΐν u. dgl.hinzu (εξ αφαιρέσεως νοεϊν, vgl. Anm. 309), so suggeriert die Verbin-dung insgesamt das Herausheben der Form. Daher ist es nicht zuverwundern, da αφαίρεση gelegentlich offen auf die .positive' Seitetritt, z. B. Alex, metaph. 199, 19f τοις τα μαθηματικά εξ αφαιρέσεωςαπό των αισθητών νοοΰσι ( hnlich 734» 7f)310· Die gleiche Entwicklungkann man bei lateinisch ablatio beobachten311. Anscheinend verbandennun die Lateiner nicht abstrahere direkt mit άφαιρεΐν, sondern abstrac-tio mit άφαίρεσις, unter welchem sie ein »Herausheben* verstanden,was um so leichter war, weil άφαίρεσις kein konkurrierendes χώρισιςneben sich hatte. Dann erst wurde aus abstractio — vielleicht unterdem Einflu von separare/yc pifav — ein abstrahere ,die Form heraus-heben' abgeleitet312. Jedenfalls ist im Mittelalter abstractio ebensoh ufig wie abstrahere31*, und es f llt auf, wie zwanglos sich substanti-vische Ausdr cke wie obiges εξ αφαιρέσεως από των αίσθητών insLateinische bersetzen lassen: per abstractionem a sensibttibus (Albert.M.eth. 6, 2,19 p. 435 b37).

Diese Hypothese erkl rt das Wie der Entwicklung, aber nichtdas Warum. Aus welchem Grund kommt es zur Gewichtsverlagerungvon der .negativen' Seite auf die .positive' Seite zum Teil schon imGriechischen (Alex.Aphr.), besonders aber auf dem Wege vom Grie-chischen ins Lateinische ?:

Diese antike Abstraktion ist, wie gezeigt, ihrem Wesen nach eineIntuition, die »positiv' die Form heraushebt. Das Eliminieren des Un-wesentlichen stellt gewisserma en nur die andere Seite des gleichennoetischen Vorganges dar, weil der νους durch die νόησις ja dar berentscheidet, was unwesentlich ist und subtrahiert werden mu . Her-ausheben und Subtraktion sind also eine untrennbare Einheit314, dergegen ber das Fluktuieren der Terminologie nur von sekund rer Be-deutung ist. Der .negative' Aspekt lebte berwiegend in der ,Vianegativa1 von Platon bis Ps.-Dionysios fort und war eng mit dem aka-demischen Seinsaufbau und der Erkenntnis des obersten Seins bzw.

i auch in vorst. Anm. die Doppeldeutigkeit von αφαίρεση bei Albinos.311 Hier finden sich neben der nach Ausweis von auferre urspr nglichen negativen Be-

deutung (u. S. 638 A. 399, Mittellat. W rterbuch s. v. ablatio) auch die positive,z. B. Albert. M. eth. 6,2 p. 435 b 33 f metaphysicam consistere per ablationem asensibilibus et divinam per ablationem a mathematicis (!).

812 Wenn absiractus fr her belegt ist als das Verbum finitum (das mu noch aufgehelltwerden), kann die Entwicklung so verlaufen sein: άφαίρεσις/'abstractio -> χωριστό?/abstractus -> ytopilfiv/abstrahere.

313 Mittellat. W rterbuch s. v. abstoaclio und abstraho.314 S. gleich u. 7.52 u. .

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622 7· Hyle und Erkenntnis

des . berseienden' Hen315 verkn pft: Die Via negativa konnte ihreNegativit t um so leichter bewahren, als sie selber eine .positive' Seitehatte (eben die νόησις) und ihr stets — schon bei Platon und Aristo-teles — andere .positive' Arten des Aufstiegs zum G ttlichen beige-geben waren. Wo man aber dem platonischen Seinsaufbau und damitseiner Via negativa der Gotteserkenntnis ferner stand, wie bei Alex.Aphrod., da lag es nahe, den positiven Aspekt der ,Intuition' st rkerzu betonen und damit die teilweise Umwertung der Terminologie ein-zuleiten316.

7.52 άφαιρεϊν diskursiv?

Die άφαίρεσις ist ein der νόησι$ komplement r zugeordneterpunktuell-intuitiver Vorgang. Da nun, wie Oehler f r Platon undAristoteles gezeigt hat, jede νόησις aufs innigste mit der diskursivenδιάνοια verkn pft ist, mu man sich auch bei der άφαίρεσι$ fragen,ob nicht dem noetischen Akt diskursive Denkvorg nge vorbereitendvoraufgehen oder best tigend nachfolgen, die auf die Scheidung vonMaterie und Form und die Eliminierung der Materie abzielen. Hierf rgibt es einige sp rliche Hinweise, so in der Topik der Abschnitt, in demer rtert wird, was bei einer Definition wesentlich und was unwesent-lich ist317: Eine Methode, dies herauszufinden, besteht darin, da maneine Bestimmung wegl t (άφαιρεϊν)318 und sich dann vergewissert,ob die verbleibende Definition das Wesen der Sache noch ausreichendkennzeichnet319. Dieses Subtraktionsverfahren begegnet hnlich wie-der an der schon zitierten Stelle met. Z 3,1029 a IO—2I» wo der Wesens-kern der ουσία dadurch gewonnen werden soll, da man von einemDing der Reihe nach die kategorialen Bestimmungen subtrahiert. DasErgebnis ist verbl ffend: Man gelangt so nicht zur Wesensform alsdem Vollbestimmten, sondern zum absolut Unbestimmten, der Ma-terie. Der ,Fehler' liegt darin320, da nicht nur die akzidentellen Be-stimmungen subtrahiert wurden, sondern auch die erste Kategorie,also jegliche Bestimmung berhaupt321. Beruht dies darauf, da in

316 ber den engen Zusammenhang zwischen acpaipeats-Lehre und platonisch-aka-demischer Seinsstufung (.Ableitungssystem', .Elementen-Metaphysik') vgl. u. 7.61;so jetzt auch Kr mer, Prinzipienlehre und Dialektik 40ff. 52ff.

sie wie weit auch der .Nominalismus' Alexanders und anderer Peripatetiker an dieserUmwertung beteiligt ist, kann hier nicht gepr ft werden.

317 Z 3, bes. 1403 33—b 15.318 a 33. 36. b i. 5. ίο. Vgl. ττροστιθέναι ib. fter. Anders άφαιρεϊν und ττροστιθέναι

An. post. 65, gib 27 vom Weglassen eines Wesentlichen oder Zuf gen eines Un-wesentlichen.

819 δήλοι την οΟσίαν, δήλον ποιεί το όριζόμενον. 32° Vgl. u. 7-8233, 7-823de.32l Vgi I02ga 20 τΐ: Hier beginnt das Problem, denn τΐ bezeichnet das Individuum,

und von diesem sieht doch jede Wesenserfassung ab.

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7.5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 623

diesem einzelnen Fall dem diskursiven Vorgang des Eliminierens diepositive noetische Erfassung des Eidos gefehlt hat, also das Kriterium,das zwischen Wesentlich und Unwesentlich scheidet322 ?

7-53 άφαίρεσις und πρόσθεσις323

ττρόσθεσις ,Hinzuf gen, Addieren' ist seiner Grundbedeutungnach das genaue Gegenteil von αφαίρεση .Wegnehmen, Subtrahieren',und das Wortpaar erscheint in den verschiedensten Sachzusammen-h ngen324. Hiervon interessieren uns die Stellen, an welchen es mitErkenntnistheorie und Wissenschaftslehre verbunden wird:

An. post. A 27, 87a3i—37 ist die Wissenschaft εξ έλαττόνων.genauer' und .fr her' als die εκ προσθέσεως, οίον γεωμετρίας αριθμη-τική, λέγω δ* εκ ττροσθέσεως, οίον μονάς ουσία άθετος, στιγμή δε ουσίαθετός, ταύτη ν εκ ττροσθέσεως. Diejenige Wissenschaft hat also Priorit t(in welcher Hinsicht ?), die sich mit dem Einfacheren befa t, und ausdem Einfachen entsteht durch .Zuf gung' das Kompliziertere. DasBeispiel (Zahleneinheit — Punkt) ist typisch platonisch325, und dieττρόσθεσις erinnert so an die platonische .Deduktion' von den Prinzi-pien zu den Erscheinungen326; platonisierend ist auch der Ausdruckουσία f r Einheit und Punkt. Der gleiche Gedanke wird met. A 2,982 a 25—28 weniger platonisierend vorgetragen (das Derivations-beispiel Punkt-Monas und der Terminus ουσία fehlen; auch von.fr her' wird nicht gesprochen), aber prinzipieller gefa t: „Amexaktesten sind die Wissenschaften, die sich am meisten auf die erstenPrinzipien richten, denn die Wissenschaften, die mit weniger Voraus-setzungen auskommen, sind genauer als die, die mehr ben tigen(αϊ εκ ττροσθέσεως λεγόμεναι), ζ. Β. Arithmetik — Geometrie". Undan einer dritten Stelle (M 3) hei t es pr gnant, je .fr her dem λόγοςnach' und je einfacher die Objekte einer Wissenschaft seien, destoexakter sei die betreffende Wissenschaft327. Die Anordnung der Stellenk nnte ihrer chronologischen Abfolge entsprechen328, und man kann322 Vgl. u. 7.8230 ε mit Kontext.323 Bonitz zu met. A 2, gSzazj. Mansion 148—150. Merlan 49. 175—177. Zur Fort-

wirkung der πρόσθεση bis in den Mittel- und Neuplatonismus Kr mer, UGM105—108. 343—351. Vgl. jetzt auch dcrs., Prinzipienlehre und Dialektik 52ff.

324 Bonitz s. v.325 Gaiser 355 mit weiteren Verweisen. 32· Gaiser 85—88 u. .327 M 3, 1078 a 9—ii καΐ όσω δη αν ττερί προτέρων τω λόγω καΐ απλούστερων,

τοσούτω μάλλον ΙχΕί το ακριβές (τοϋτο δε άπλοΰν εστίν) . . . Vgl. unten.328 Zu An. post. A 27 vgl. Merlan 48 Anm., der zu Recht mit Solmsen Spuren platoni-

sierender Auffassung der Mathematik in den Analytica annimmt; die von Ross,Analytics S. 23 vermutete Abfassungszeit der Analytica zwischen 350 und 344stimmt gut dazu. Wenn man Jaegers Datierung von met. A und N hinzunimmt,ergibt sich die obige Reihenfolge.

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624 7· Hyle und Erkenntnis

zwanglos eine gewisse .Entwicklung' konstruieren von einer mehr.ontologischen' (An. post.) zu einer mehr ,logischen' Auffassung derπρόσθεσις (met. A, M).

Da die logische Seite der πρόσθεσις auch an anderen Stellen derMetaphysik stark hervortritt329 und in dem schon herangezogenenBuch M ein ontologischer Bezug der πρόσθεση ausdr cklich geleugnetwird330, hegt es nahe, auch den Beleg aus De caelo, welcher die mathe-matischen Gegenst nde als τα εξ αφαιρέσεως den physischen als ταεκ ττροσθέσεως gegen berstellt331, ,logisch' zu verstehen und dies alsdie verbindliche Ansicht des Aristoteles ber πρόσθεση anzusehen.

Weil αφαίρεση und πρόσθεση in enger Korrelation stehen, ergibtsich nun die Frage, ob nicht auch die άφαίρεσις sich bei Aristotelesvon einem ,ontologischen' zu einem ,logischen' Subtrahieren ent-wickelt hat. Bei der Pr fung dieser Frage werden wir auch wieder aufdie πρόσθεσίζ zur ckkommen.

7.54 Eine Entwicklung des aristotelischen Abstraktionsbegriffes?

Merlan hat zwei Bedeutungstendenzen von αφαίρεση (und ττρόσ-Θεσις) unterschieden332: i. eine »logische' Verallgemeinerung durchAbstraktion ,im modernen Sinne', der eine logische Spezifizierung biszur infima species entspricht; 2. ein .metaphysisches' Zur ckgehenzum einfacheren, reineren ,Sein', das .konkret' und .nicht-abstrakt'ist und keinen Allgemeinbegriff darstellt, sondern in einer Reihe derSeinsabh ngigkeit alle ihm nachgeordneten Seienden in ihrem Seinbegr ndet und nur in diesem Sinne .allgemein' ist; diese Tendenzm nde dann letztlich in die neuplatonischen Vorstellungen von πρόοδοςund επιστροφή ein. Auch der Terminus καθόλου habe diese beidenBedeutungen, also i. .Allgemeinbegriff', 2. .dem Sein nach vorgeord-net' und nur dadurch = .allgegenw rtig'. In met. Γ, Ε ι und K liegedie .metaphysische' Bedeutung der άφαίρεσις vor (die mit .Subtrak-tion' zu bersetzen sei), an anderen Stellen bezeichne sie das, .was wirheute mit „Abstraktion" meinen' (und k nne auch durch .Abstrak-tion' wiedergegeben werden)333.

Diese Thesen Merlans sind ungemein wichtig und anregend, unddoch k nnen wir ihnen im wesentlichen nicht folgen334:329 Γ 2, ioc>3b 3of. Z 4, 1029 b 29—31. Z 5, 1031 a 2—5. Vgl. Bonitz s. v. προστιθέναι

6480 26—37.330 M 2, io77b i—ii, bes. gi οϋτε το εξ αφαιρέσεως πρότερον οϋτε το εκ ττροσθέσεω;

ύστερον (sc. dem Sein nach, sondern nur der Logik nach).331 Γ i, 29Qa 15—17 τα μεν εξ αφαιρέσεως λέγεσθαι, τα μαθηματικά, τα δε φυσικά

εκ προσθέσεως. 332 Merlan 174—178· Des· *77·338 175^· Er nennt keine Stellen, k nnte aber z. B. an M 2 gedacht haben.334 Die Situation in diesem speziellen Punkt ist die gleiche wie in Merlans Abschnitt

160—231 ber das Objekt der Metaphysik, mit dem wir uns o. 4.12, 4.24 u. . aus-

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7·5 die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 625

7.541 Merlan sieht — wie in seinem Buch insgesamt, so auch hier —nur eine einzige Alternative, die zwischen .(Ultra-)Realismus' (Exi-stenzableitung; keine Abstraktion; keine leere, .abstrakte' Begrifflich-keit, sondern »konkrete' Seinsf lle auch und gerade im Bereich des»Idealen'; Subsistenz des Mathematischen usw.) und ,Nominalismus'(.abstrakte, leere Begrifflichkeit' usw.)335. Beide extremen Einstellun-gen sind und bleiben wichtige polare Grundtypen, zwischen denen sichdas philosophische Denken und seine Erforschung hin- und herbewe-gen k nnen336, aber es sind zwischen diesen Polen und ganz au erhalbdieser Alternative viele Denkhaltungen m glich, die weder einen Ultra-Realismus noch einen extremen Nominalismus darstellen. Am meistensachgerecht scheint mir nun diejenige Aristoteles-Deutung zu sein,welche die Struktur der ,Sache* und diejenige des Denkens (der Be-griffe, der Sprache) so zusammensieht, da es zur Wahl zwischen .Re-alismus' und ,Nominalismus' gar nicht erst kommen kann337 :

7.542 In der .Metaphysik' gibt es keinen Gegensatz zwischen ei-nem .realistischen' Seinsverst ndnis in Γ E ι Κ und einem .nomina-listischen' anderswo838. Genausowenig kann man die αφαίρεση in K 3als .metaphysisches' Verfahren (der .Subtraktion') der αφαίρεση als.logisch-begrifflicher' Methode (der ,Verallgemeinerung') an anderenStellen entgegensetzen. Die άφαίρεσις ist n mlich, wie wir gesehenhaben339, berall .Subtraktion' und hat berall einen .logischen'Charakter — der bald mehr, bald weniger hervortritt —, aber sie wirdzugleich an allen Stellen getragen von einem auf ein objektives Gegen-

ber (z. B. die Form) gerichteten »positiven' noetischen Akt (νόησι$),dem sie als .negative' Methode komplement r zugeordnet ist. Deshalbhat die αφαίρεση (und damit auch die ττρόσθεσις) immer mit .realem',.konkretem' Sein zu tun und ist niemals .leere Begrifflichkeit', keinunverbindliches begriffliches Hilfsmittel, das durch additives Pro-bieren an Hand vieler Einzelf lle zu einem Durchschnittswert gelangtund so jeweils nur provisorisch das Untersuchungsgebiet ordnen hilft.Dieser noetische Charakter und .ontologische' Bezug der αφαίρεση/ττρόσθεσις bleibt erhalten, wie auch immer sein .objektives' Gegen bervon Aristoteles eingeordnet wird: Es kann also durchaus sein, da anmanchen Stellen noch die platonische .Subsistenz' der μαθηματικά

einandergesetzt haben: Merlans Ausf hrungen sind ebenso bedeutend wie anfecht-bar.

335 Merlan 4 mit Anm., n, 48f mit Anm., 174—178 und passim.836 Vgl., auch zum Folgenden, Sach-Index s. v. Begriff i, ferner Tugendhat, Gnomon

1963, 543—555, bes. 550. 553—555-337 Vgl. Tugendhat 555.se Vgl. o. 4.244b, 4.51.

339 o. 7.42 und das Vorstehende in 7.5.40 Happ.Hyle

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626 7- Hyle und Erkenntnis

nachklingt340, an anderen diese ,Subsistenz' scharf abgelehnt wird(z. B. M 2/3), und doch bleibt das Wesen der άφαίρεσις dasselbe. Wirhaben ja gezeigt, wie das ,PotentieH'-Sein des Mathematischen beiAristoteles nur ein neues Wort ist, hinter dem sich die Tatsache ver-birgt, da das Jdealsein' des Mathematischen im platonischen Sinneauch bei Aristoteles kontinuierlich fortlebt341; das Gleiche gilt f r das,PotentielT-Sein der h heren genera342.

7.543' Nachdem wir uns so von der schematischen Alternative Realis-mus—Nominalismus freigemacht haben, k nnen wir die wichtigstenEinzelz ge der aristotelischen Abstraktionstheorie unbefangener be-urteilen. Wir wollen das hier in aller K rze tun, obwohl manches davonerst durch den Vergleich mit Platon (unten Abschnitt 7.6) richtig be-leuchtet werden wird:

Aristoteles hat nach Aufgabe der Ideen und Idealzahlen die pla-tonische Seinspyramide und Prinzipienlehre auf seinen eigenen Sub-stanzbegriff hin umgestaltet und l t nur drei Substanzarten gelten:physische Substanzen, Himmelsk rper, unbewegte Beweger343. Alleanderen Seinsmodi treten demgegen ber zur ck (als δυνάμει όνταu. dgl.), behalten aber nach wie vor ein .objektives' Idealsein. Eineeinheitliche ,Abstraktionsf-Lehre, die all diese Substanzen und Ideal-seienden in einem Aufstieg ,per subtractionem' zusammenfassen w rde,hat Aristoteles nicht ausgearbeitet, aber die verschiedenen Einzel-ans tze konvergieren offenbar doch zu einem Ganzen:

a) Die .Abstraktionsstufen' der Physik, Mathematik und Meta-physik344 bilden einen Aufstieg zum Intelligiblen, der sich »logisch'glatt vollzieht (bewegter K rper — unbewegtes geometrisches Gebildemit reiner Ausdehnung — unbewegtes k rperloses Eidos), aber ,onto-logisch' daran krankt, da Aristoteles das Sein der μαθηματικά denphysischen Substanzen nachordnet345. Gegen diese ontologische De-klassierung lie e sich auf Grund der aristotelischen Erkenntnis- undWissenschaftslehre, besonders ihrer Wertstufung der Erkenntnisobjektevom Zusammengesetzten zum immer Einfacheren hin346, vieles ein-840 S. o. An. post. A 27. Auch E i, io26a 9 und 15 scheint Aristoteles die .Subsistenz'

der Mathematika nur z gernd zu leugnen (Merlan 50. 60).341 7.43 Ende u. .842 u. 7.71.848 N heres o. 2.52, ferner Kosmologie und Metaphysik bes. 170—173. 178.844 Hiervon ist nur die Stufe der Mathematik regelrecht ausgearbeitet (7.4), die der

Physik (7.3) und Metaphysik (7.8) in Ans tzen vorhanden.346 Bezeichnend ist hierf r das Ende von M 2, wo Aristoteles dann noch von den Mathe-

matika aus auf das Substanz-Akzidens-Verh ltnis und den λευκός άνθρωπος zusprechen kommt (io77b 4—n).

84β ygj j-,es <jje schon genannte Stelle M 3, 1078a 9—n, die inmitten der .anti-realistischen' Ausf hrungen des Aristoteles ber die Mathematik steht.

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 627

wenden und mit Recht sagen, da die μαθηματικά ja doch de factoein den physischen Substanzen berlegenes Idealsein behalten, aber —Aristoteles w rde auf keinen Fall die physischen Substanzen von denμαθηματικά irgendwie abh ngen lassen, sie von daher begr nden odergar daraus ableiten. Es ist also hier keine Rede — auch ansatzweisenicht — von akademischer .Existenzableitung'347. Ob und wie weitman aus der logischen Priorit t der μαθηματικά348 — gegen die ein-deutigen u erungen des Aristoteles — mit Hilfe der νόησις aucheine ontologische Priorit t der μαθηματικά ansetzen darf, ist unsicher,

b) Viel eindeutiger steht es um die andere Dreistufung: physischeSubstanzen — Himmelsk rper — unbewegte Beweger, die eineAbh ngigkeitskette ,dem Sein nach' und ,der Definition nach' dar-stellt: Denn ,ontologisch' h ngen die physischen Substanzen mit denHimmelsk rpern und diese mit den Bewegern in qualitativ-eidetischerKausalit t zusammen349. ,Logisch' ist das Unausgedehnte .fr her' alsdas Ausgedehnte, das Unbewegte als das Bewegte, innerhalb derbewegten Dinge wieder dasjenige ,am fr hesten', was sich mit derersten und einfachsten Bewegungsart bewegt (sc. Ortsbewegung undKreisbewegung)350. Diese Reihe, die ja — ebenso wie die oben ge-schilderte Dreischichtung mit den μαθηματικά — nicht nach demGenus-Eidos-Schema geordnet ist, sondern nach dem Verh ltnis des,Fr her' und ,Sp ter'351, gehorcht ja dem Gesetz, da das .Fr here'jeweils καθόλου f r alles Sp tere ist und das erste Glied καθόλου f rdie gesamte Reihe. Obschon Aristoteles dies nicht ausdr cklich sagt,scheint es mir auf Grund vieler Andeutungen352 sicher, da er denErkenntnisweg der νόησις/άφαίρεσις (und umgekehrt der ττρόσθεσι$)auf diese Dreistuf ung angewendet hat. Da nun im Γ und K neben derDreistuf ung, welche die μαθηματικά enth lt, auch diejenige mit denHimmelsk rpern eine wichtige Rolle spielt353, d rfen wir die dort

347 ber deren Bedeutung s. gleich nachstehend, aber auch o. 2.244a.348 M 2, lojjb 12—14. 4, io78b 7—g.349 Vgl. o. 5.422, Kosmologie und Metaphysik 167—170.350 Auch dies steht in M 3, und wir setzen die wichtige Stelle nun ganz her (1078 a

9—13): καΐ όσω δη αν περί προτέρων τφ λόγω καΐ απλούστερων, τοσούτω μάλλονέχει το ακριβές (sc. ή επιστήμη), ώστε άνευ μεγέθους μάλλον ή μετά μεγέθους, καΐμάλιστα άνευ κινήσεως, εάν δε κίνησιν, μάλιστα την πρώτην απλούστατη γαρ,καΐ ταύτης ή ομαλή. .Bewegungslehre' und damit .Kosmologie' erscheinen in demoffenbar ganz anders gearteten Zusammenhang von M 3 so selbstverst ndlich,da man sieht, wie eng f r Aristoteles Erkenntnistheorie, Ontologie und Kosmo-logie miteinander verbunden sind.

361 N heres ber dieses wichtige Gliederungsprinzip der .Reihe' o. 4.21 (bes. 4.212).Vgl. auch den Sach-Index s. v. fr her i, Reihe.

862 So in M 3 (zitiert o. A. 350) und an allen Stellen, wo er die Wertstufung der κίνησιςins Auge fa t und dadurch den unbewegten Beweger und (oder) den ther beweist(o. 5.21/22 u. .).

358 Nachweise Kosmologie und Metaphysik bes. 170—173. Vgl. auch o. 4.212, 4.41.

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628 7- Hyle und Erkenntnis

belegte ,Reihe' (εφεξής) und die Untersuchung des .Seienden alssolchen* mit der Dreischichtung physische Substanzen — Himmels-k rper — Beweger verbinden354:

Die »erste Philosophie' untersucht die einzelnen οντά hinsichtlichder Tatsache, da sie , (wahrhaft) sind', d. h. da sie am vollkommenenSein — welches in der obersten Substanz verk rpert ist — teilhaben,und gelangt so im ,reihenhaften' Aufstieg zur obersten Substanz alsihrem vornehmsten Gegenstand, in welcher ihr Materialobjekt undihr Formalobjekt zusammenfallen355. Formelhaft gesprochen, ταόντα θεωρεί (νοεί) fj κυρίως οντά. Das w rde bei Platon hei en: Sieuntersucht jedes Seiende in Hinsicht darauf, da es an den Ideen(d. h. am όντως δν, und letztlich an den Prinzipien) teilhat. Diesernoetische , Durchblick' am einzelnen Seienden auf das vollkommeneSein bringt ein schrittweises Subtrahieren (άφαίρεσις) der verschie-denen .Unvollkommenheiten' mit sich, z. B. bei den physischenSubstanzen aller k rperlichen πάθη, aller Bewegungsarten, derExtensio, bei den Himmelsk rpern zumindest der Extensio und derOrtsbewegung. Geht man vom vollkommenen Sein des unbewegtenBewegers diesen Weg wieder zur ck, so kann man κατά πρόσθεσιν dieuntergeordneten Seinsschichten wieder schrittweise .hervorbringen'.

Solange der Blick des νους auf das vollkommene Sein nur (durchdas kontingente Sein hindurch) einen verengten Ausschnitt davonerfa t (z. B. das Art-Eidos der K rperdinge), scheint eine νόησιςmitsamt άφαίρεσις m glich. In dem Augenblick aber, da das absoluteSein selber betrachtet wird, scheint die Subtraktion berfl ssig zuwerden, weil es nichts Kontingentes mehr abzustreifen gibt, und dieνόησις unm glich, weil das ens realissimum jeden noetischen Erkennt-nisakt bersteigt. Beides gilt jedoch nur mit gro er Einschr nkung:Denn der voOs bleibt auf jeden Fall der obersten Substanz .positiv'zugewendet — wenn er sie auch nie ad quat erfassen kann —, undversucht unter anderem durch ein negatives Ausgrenzen, d. h. Sub-trahieren des Bedingten, das Unbedingte einzugrenzen: Man darf alsoeine ,Via negativa' zur ακίνητος ουσία annehmen356. Ein Indiz daf rist die ganz berwiegend negative Art, in welcher die Seinsweise desunbewegten Bewegers geschildert wird357. brigens geschieht dasselbe864 Die Heranziehung dieser .kosmologischen' Dreiteilung ist f r unser Abstraktions-

thema nicht unbedingt erforderlich, aber sie bietet sich von Γ und K her an undvereinfacht manches, was infolge der zweideutigen Seinsweise der Mathematika beiAristoteles in der traditionellen' Dreiteilung schwierig ist.

366 Mit dieser Deutung hoffe ich den auf fiktiven Gegens tzen wie z. B. ,leere Begriff-lichkeit' — .Seinsf lle' usw. beruhenden Streit um das Objekt der aristotelischenMetaphysik berwinden zu helfen. Die Begr ndung hierf r o. 4.24.

see Ygi_ foer dieses Problem bes. 7.822, ferner 4.213 Ende.357 Man denke nur an die klassischen Stellen phys. S und met. Λ. Vgl. auch o. 5.31,

Kosmologie und Metaphysik 158 f.

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7-5 Die Seinsweise der aristotelischen 'Abstracta' 629

schon bei den Himmelsk rpern368 — ein Indiz mehr f r den Aufstiegκατ" άφαίρεσιν.

c) Es gibt, wie wir z. B. aus M 3 ersehen, noch eine F lle weitererM glichkeiten von νόησι$ — z. B. wird jedes mit fj bezeichnete Formal-objekt durch νόησι$ erkannt —, auf die wir jetzt nicht eingehen k n-nen. Die meisten dieser νοητά siedelt Aristoteles allein im Bereich vonWissen und Erkenntnis an und stellt sie gegen ber der , Seinsordnung'der .vollwirklichen' ούσίοα als δνυάμει όντα hin. Wenn wir ber ck-sichtigen, was o. 7.43 ber dieses ,Latent'-Sein zu bemerken war, undbedenken, da die νόησις sich stets auf etwas »Objektives' richtet,dann werden wir mit allem Nachdruck sagen, da all diese »logischen*Aspekte, Strukturen usw. ,Seins'-Aspekte, -Strukturen u. dgl. sind369.Wie man diesen Seinsmodus weiter benennt (z. B. Jdealsein'), bleibtdann noch weiter zu kl ren; es ist schon einiges gewonnen, wenn manihn ber das ,Nur-Logische' hinausgehoben hat. Man mu erkennen,da hier — wie auch sonst bei Aristoteles360 — der Seinsgrund, derErm glichungsgrund f r viele Arten von Jdealsein' sich stark ins.Subjektive' verlagert hat: Obwohl dieses .Ideale' (als δυνάμει δν).objektiv' vorgegeben ist, empf ngt es gleichsam seine .Legitimation'erst durch die νόησι$ des Subjekts. Das reicht zur »objektiven* Be-gr ndung dieses Idealen v llig hin, wofern man nur an ein trans-zendentallogisches Subjekt und an eine seinshaltige νόησις denkt undneukantianische sowie naiv-begriffsrealistische Fehldeutungen fern-h lt.

7.55 SchluDie aristotelische Abstraktion ist die intuitive Wesensschau eines

objektiven Gegen ber. Sie hat zwei Seiten, die man sich der Deutlich-keit halber als zwei verschiedene Vorg nge vorstellen kann, welcheaber in Wirklichkeit nicht nur simultan stattfinden, sondern komple-ment r einander zugeordnet sind, das Erfassen des Wesentlichen unddas Abstreifen des Unwesentlichen. Anders gewendet: Der Blick desGeistes richtet sich auf einen bestimmten Punkt und sieht dadurchvon der Umgebung dieses Punktes ab, er . bersieht' sie gleichsam361.

858 Vgl. ebenfalls 5.31, Kosmologie und Metaphysik 158!.389 Es sind also nicht rein-subjektive Hilfsbegriffe (Reflexionsbegriffe, Topoi o. .),

wie Wieland und During anzunehmen geneigt sind (vgl. o. 1.18).seo P J- seine Ethik habe ich das Gnomon 37 (1965) 361 angedeutet.sei vgi dje Charakterisierung der mathematischen Abstraktion bei Thomas in Boeth.

trin. 5, 3 ad i mathematicus abstrahens non considerat rem aliter quam sit. Nonenim intelligit lineam esse sine materia sensibili, sed considerat lineam et eiuspassiones sine consideratione materiae sensibilis, et sic non est dissonantia interintellectum et rem. Noch k rzer 5, 3 resp. (p. 372 supra, Marietti) intelligit quid esthoc. nihil intelligendo de alio.

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630 7· Hyle und Erkenntnis

Dieser Blick kann wandern, sich bald auf diesen, bald auf jenen Aspektdes Seins richten und ihn isolieren362, wie es Aristoteles besonders inM 3 entwickelt, aber Aristoteles hat das eigentlich nur f r die Mathe-matik terminologisch n her durchgef hrt. Das bringt verschiedeneNachteile mit sich: a) Die Problematik der μαθηματικά ist, wie wirgesehen haben, von Platon her ganz speziell vorgeformt und kompli-ziert, b) Es entsteht so der t uschende Eindruck, als st nden alle wei-teren abstrahierbaren oder abstrahierten Gegenst nde ontologisch aufdemselben Niveau, weil Aristoteles, sofern er sich berhaupt u ert,die Unterschiede zwischen den Abstraktionsobjekten mit dem Begriffdes δυνάμει δν (ο. 7.43) nivelliert, ohne diesen in der Weise seines πολλα-χώ$ λέγεται ausreichend zu differenzieren. Dabei hat Aristotelesdies schon de facto geleistet, indem er einerseits den Seinsbegriff inStufungen auff chert (z. B. Γ/Κ), andererseits in den Wissenschaftenverschiedene Grade von Abstraktheit hierarchisch anordnet (z. B. dieArithmetik ber die Geometrie setzt), was sich hinter anderen Begrif-fen, etwa denen der αρχή und der »Einfachheit' usw. verbirgt. Aus diesenIndizien l t sich doch so etwas wie eine koh rente Abstraktionstheoriewenigstens umri haft gewinnen.

7.6 Die aristotelische und die platonische 'Abstraktion'368

7.61 Aristotelische Abstraktion' und platonische,Zur ckf hrung' auf die Prinzipien

Da Aristoteles ber .Abstraktion' fast nur im Zusammenhang mitder Mathematik spricht und sich hinsichtlich der Seinsweise der μαθη-ματικά besonders scharf gegen Platon wendet, stehen seine u erun-gen zur .Abstraktion' meist in antiplatonischen Zusammenh ngen,und es sieht so aus, als sei auch die Abstraktion etwas ganz Unplato-nisches: Platon .trennt' doch, so meint man, die verschiedenen Seins-schichten klar voneinander und hat f r jede von ihnen eine .besondere'Erkenntnisart (so da gar keine . berschneidungen' m glich sind),w hrend Aristoteles ,in' einem Materialobjekt verschiedene Formal-objekte vereinigt, die der erkennende Geist dann erst wieder durch.logische' Trennung herausl st, wobei das Verankertsein dieser Abstrak-tionsgegenst nde im .Sein' dann oft zweifelhaft bleibt.

382 M 2, I077b 9—ii wird ein Akzidens wie .wei ' abstrahiert. Auch an. Γ 8. 432a 5fist nicht nur an die Mathematik gedacht.

383 Die platonische Herkunft der aristotelischen Abstraktionslehre und die Fortwirkungdieser .akademischen' Abstraktion bei Albinos, Plutarch, Plotin und Ps.-Dionysiosstand mir schon l nger fest und war bereits ausgearbeitet. Kr mer hat nun die

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