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Epiktet · Handbüchlein der Moral

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Epiktet · Handbüchlein der Moral

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Epiktet

Handbüchlein der Moral

Aus dem Griechischen übersetztvon Kurt Steinmann

Reclam

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Griechischer Originaltitel:

ΕΓ�ΕΙΡΙΔΙ�Ν

2008, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlaggestaltung: zero-media.net

Druck und buchbinderische Verarbeitung: CPI books GmbH,Birkstraße 10, 25917 LeckPrinted in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Markeder Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-010955-7

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Handbüchlein der Moral

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Worüber wir gebieten und worüberwir nicht gebieten

Über das eine gebieten wir, über das anderenicht. Wir gebieten über unser Begreifen, unsernAntrieb zum Handeln, unser Begehren und Mei-den,1 und, mit einem Wort, über alles, was vonuns ausgeht; nicht gebieten wir über unsernKörper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsereMachtstellung, und, mit einem Wort, über alles,was nicht von uns ausgeht.

Worüber wir gebieten, ist von Natur aus frei,kann nicht gehindert oder gehemmt werden;worüber wir aber nicht gebieten, ist kraftlos, ab-hängig, kann gehindert werden und steht unterfremdem Einfluß. Denk also daran:2 Wenn dudas von Natur aus Abhängige für frei hältst unddas Fremde für dein eigen, so wird man deinePläne durchkreuzen und du wirst klagen, dieFassung verlieren und mit Gott und der Welt ha-dern; hältst du aber nur das für dein Eigentum,was wirklich dir gehört, das Fremde hinge-gen, wie es tatsächlich ist, für fremd, dann wirdniemand je dich nötigen, niemand dich hindern,du wirst niemanden schelten, niemandem die

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Schuld geben, nie etwas wider Willen tun, duwirst keinen Feind haben, niemand wird dirschaden, denn du kannst überhaupt keinen Scha-den erleiden.

Wenn du nun nach so hohen Zielen strebst,denke daran, daß du nicht mit nur mäßigem Be-mühen nach ihnen greifen darfst, nein, du mußtauf manches ganz verzichten, manches vorläufigaufschieben.

Wenn du aber außerdem auch auf Macht undReichtum aus bist, so wirst du vielleicht auchhierin scheitern, weil du zugleich nach jenemstrebst; auf alle Fälle wirst du das verfehlen, wor-aus allein Freiheit und Glück hervorgehen. Be-mühe dich daher, jedem ärgerlichen Eindrucksofort entgegenzuhalten: »Du bist nur ein Ein-druck, und ganz und gar nicht das, was du zusein scheinst.« Dann prüfe und begutachte denEindruck nach den Regeln, die du kennst, vorallem nach der ersten Regel, ob der Eindruck zutun hat mit den Dingen, über die wir gebietenoder nicht gebieten, und wenn er mit etwas zutun hat, über das wir nicht gebieten, dann habedie Antwort zur Hand:3 »Es geht mich nichtsan.«

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Begehren und Meiden

Bedenke: Begehren verheißt die Erreichung desBegehrten, Meiden verheißt, nicht dem anheim-zufallen, was gemieden wird, und wer mit sei-nem Begehren scheitert, ist unglücklich, und werdem anheimfällt, was er meiden möchte, ist auchunglücklich. Wenn du also von den Dingen, diedu meisterst, nur das meidest, was gegen die Na-tur ist,4 so wirst du dem gewiß nicht anheimfal-len, was du meidest. Wenn du aber Krankheit,Tod oder Armut zu entgehen suchst, wirst duunglücklich sein. Zieh also deine Abneigung vonallen Dingen zurück, die wir nicht meistern, undübertrage sie auf das, was gegen die Natur istunter den Dingen, die wir meistern. Das Begeh-ren aber gib vorläufig ganz auf. Denn wenn duetwas begehrst von dem, was wir nicht meistern,so wirst du notgedrungen unglücklich, und vonden Dingen, die wir meistern, und die du begeh-ren solltest, hast du noch keinen rechten Begriff.Beschränke dich auf das Wollen und Nichtwol-len, doch nicht verbissen, sondern mit Vorbehaltund Gleichmut.

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Bedenke das eigentliche Wesen der Dinge

Bei allem, was deine Seele verlockt oder dir ei-nen Nutzen gewährt oder was du lieb hast, den-ke daran, dir immer wieder zu sagen, was es ei-gentlich ist. Fang dabei mit den unscheinbarstenDingen an. Wenn du einen Krug liebst, so sagedir: »Es ist ein Krug, den ich liebe.« Dann wirstdu nämlich nicht deine Fassung verlieren, wenner zerbricht. Wenn du dein Kind oder deine Frauküßt, so sage dir: »Es ist ein Mensch, den duküßt.« Dann wirst du nämlich nicht die Fassungverlieren,5 wenn er stirbt.

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Ärger meiden, Haltung bewahren

Wenn du irgend etwas unternehmen willst, somach dir klar, welcher Art das Unternehmen ist.Wenn du zum Beispiel zum Baden gehst, so stelldir vor, wie es in einer Badeanstalt zugeht, wiesie mit Wasser spritzen, einander anrempeln, be-schimpfen und bestehlen. Und so wirst du dich

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mit größerer Sicherheit an dein Unternehmenmachen, wenn du dir von vornherein sagst: »Ichwill baden und zugleich meine sittlichen Grund-sätze in Übereinstimmung mit der Natur bewah-ren.« Und so bei allem Tun. Denn wenn irgendetwas dein Baden beeinträchtigt, wirst du als-dann den Satz zur Hand haben: »Ich wollte janicht nur baden, sondern auch meine sittlichenGrundsätze in Übereinstimmung mit der Naturbewahren; ich werde sie aber nicht bewahren,wenn ich mich über solche Vorkommnisse auf-rege.«

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Die Dinge und die Meinungen darübersind nicht dasselbe

Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Men-schen, sondern ihre Meinungen und Urteileüber die Dinge. So ist zum Beispiel der Todnichts Furchtbares – sonst hätte er auch dem So-krates6 so erscheinen müssen –, sondern nur dieMeinung, er sei etwas Furchtbares, das ist dasFurchtbare. Wenn wir also auf Hindernisse sto-ßen, beunruhigt oder gekränkt werden, wollen

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wir die Schuld nie einem anderen, sondern nuruns selbst geben, das heißt unseren Meinungenund Urteilen.

Ein Ungebildeter verrät sich dadurch, daß erandern Vorwürfe macht, wenn es ihm schlechtgeht; ein Anfänger in der philosophischen Bil-dung macht sich selbst Vorwürfe; der gründlichGebildete schiebt die Schuld weder auf einen an-dern noch auf sich selbst.

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Falscher und echter Stolz

Sei auf keinen Vorzug stolz, der nicht dein eige-ner ist. Wenn ein Pferd in seinem Stolz sagenwürde: »Ich bin schön«, so wäre das noch er-träglich. Wenn du aber mit Stolz sagst: »Ichhabe ein schönes Pferd«, dann wisse, daß du nurauf einen Vorzug eines Pferdes stolz bist. Was istnun dein eigen? Der Gebrauch deiner Vorstel-lungen. Wenn du also beim Gebrauch deinerVorstellungen dich in Übereinstimmung mit derNatur verhältst, dann sei stolz; denn dann wirstdu auf einen Vorzug stolz sein, der wirklich deineigen ist.

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Der Ruf des Steuermanns

Wenn auf einer Seefahrt das Schiff gelandet istund du aussteigst, um frisches Wasser zu holen,dann magst du nebenher ein Schalentier auflesenoder eine Meerzwiebel, aber deine Aufmerksam-keit muß auf das Schiff gerichtet bleiben, unddu mußt es beständig im Auge behalten, obnicht etwa der Steuermann ruft; und wenn erruft, dann mußt du all jene Dinge liegen lassen,damit du nicht gefesselt wie die Schafe in dasSchiff geworfen wirst. So ist es auch im Leben:Wenn dir statt einer Meerzwiebel oder einesSchalentiers eine Frau und ein Kind gegebensind, so wird dies kein Hindernis sein. Wenn derSteuermann ruft, so laß das alles liegen, eile zumSchiff und dreh dich dabei nicht um. Bist duaber alt, so entferne dich niemals mehr weit vomSchiff, damit du nicht etwa ausbleibst, wenn erdich ruft.

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Nicht mein Wille

Verlange nicht, daß das, was geschieht, so ge-schieht, wie du es wünschst, sondern wünsche,daß es so geschieht, wie es geschieht, und deinLeben wird heiter dahinströmen.

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Kein Hindernis für dich

Krankheit ist hinderlich für den Körper, für diesittlichen Grundsätze aber nicht, falls sie selbst esnicht wollen. Lähmung7 ist hinderlich für dasBein, für die sittlichen Grundsätze aber nicht.Sag dir das bei allem, was dir zustößt. Du wirstnämlich finden, daß es für irgend etwas andereshinderlich ist, nicht aber für dich.

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Gegenkräfte in dir

Bei allem, was dir widerfährt, denke daran, dichdir selbst zuzuwenden und zu untersuchen, wel-che Kraft du hast, dich mit ihm auseinanderzu-setzen. Wenn du einen schönen Knaben oder einschönes Mädchen erblickst, so wirst du als Ge-genkraft Selbstbeherrschung in dir finden; mutetman dir eine schwere Strapaze zu, so wirst duAusdauer, beleidigt man dich, Gleichmut fin-den.8 Wenn du dich daran gewöhnt hast, werdendich die Eindrücke und (falschen) Vorstellungennicht mehr hinreißen.

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Es gibt keinen Verlust

Sag nie von einer Sache: »Ich habe sie verloren«,sondern: »Ich habe sie zurückgegeben.« DeinKind ist gestorben? Es wurde zurückgegeben.Deine Frau ist gestorben? Sie wurde zurückgege-ben. »Man hat mir mein Grundstück gestohlen.«Nun, auch das wurde zurückgegeben. »Aber es

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ist doch ein Schuft, der es mir gestohlen hat.«Was schert es dich, durch wen es der Geber vondir zurückforderte? Solange er es dir zur Verfü-gung stellt, behandle es als fremdes Eigentumwie die Reisenden ihre Herberge.

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Gleichmut hat seinen Preis

Wenn du moralische Fortschritte9 machen willst,gib Erwägungen wie die folgenden auf: »Wennich mich nicht um meine Geschäfte kümmere,werde ich nichts zu essen haben.« Oder: »Wennich meinen Sklaven nicht züchtige, wird er einNichtsnutz.« Denn es ist besser, frei von Kum-mer und Angst10 Hungers zu sterben, als ständiginnerlich aufgewühlt zu leben. Es ist besser, daßdein Sklave ein Taugenichts ist, als daß du selbstunglücklich bist. Fang also mit den unscheinba-ren Dingen an: Wird dir ein bißchen Öl ver-schüttet, ein bißchen Wein gestohlen, so sagedir: »Das ist der Preis für Gleichmut, das derPreis für innere Ruhe.«11 Umsonst bekommtman nichts.

Wenn du deinen Sklaven rufst, bedenke, daß

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er dich vielleicht nicht hören kann, und wenn erdich gehört hat, daß er vielleicht gar nicht in derLage ist, das zu tun, was du von ihm verlangst.Aber sein Einfluß ist nicht so groß, daß deine in-nere Ruhe von ihm abhängt.

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Entweder – oder

Wenn du Fortschritte machen willst, so ertragees, daß man dich in Hinsicht auf die äußerenDinge für unverständig und närrisch hält, undwolle auch nicht den Anschein erwecken, etwaszu verstehen, und wenn du einigen als etwas Be-sonderes erscheinst, mißtraue dir selbst. Wissenämlich, daß es für dich nicht leicht ist, deinesittlichen Grundsätze in Übereinstimmung mitder Natur zu erhalten und zugleich die äußerenDinge ernst zu nehmen, sondern wer sich umdas eine kümmert, vernachlässigt zwangsläufigdas andere.

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Falsches und richtiges Wollen

Wenn du willst, daß deine Kinder, deine Frauund deine Freunde ewig leben, bist du ein Narr;denn du willst, daß du über das, worüber dunicht gebietest, gebietest, und daß das, was dirnicht gehört, dir gehöre. Und wenn du willst,daß dein Sklave keinen Fehler mache, bist duebenso töricht; denn du willst, daß das Lasterkein Laster sei, sondern etwas anderes.

Wenn du aber den Willen hast, das Ziel deinesStrebens nicht zu verfehlen, so steht das in dei-ner Macht. In dem also übe dich,12 was dir mög-lich ist.

Meister über einen jeden ist der, der dieMacht hat, das, was der andere will oder nichtwill, ihm zu gewähren oder ihn davon zu be-freien.

Wer also frei sein will, soll weder etwas erstre-ben noch etwas meiden von dem, worüber ande-re gebieten; sonst wird er zwangsläufig zumSklaven.

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Warte, bis du an die Reihe kommst

Bedenke: Du mußt dich (im Leben) wie bei ei-nem Gastmahl benehmen. Es wird etwas herum-gereicht, und du kommst an die Reihe. Streckedeine Hand aus und nimm bescheiden deinePortion. Es wird weitergereicht. Halte es nichtzurück. Es ist noch nicht bei dir angelangt.Richte nicht schon von weitem dein Verlangendarauf, sondern gedulde dich, bis die Reihe andir ist.

So halte es auch mit dem Verlangen nach Kin-dern, nach einer Frau, nach Ämtern, nach Reich-tum, und du wirst einst ein würdiger Tischge-nosse der Götter sein.

Wenn du aber sogar von dem, was dir vorge-setzt wird, nicht nimmst, sondern es nicht be-achtest, dann wirst du nicht nur ein Tischgenos-se der Götter sein, sondern auch ihr Mitregent.So machten es Diogenes, Heraklit13 und ihres-gleichen, und darum waren und hießen sie mitRecht göttlich.

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Mitleiden, aber mit Vorbehalt

Wenn du jemanden in seiner Trauer weinensiehst, weil sein Kind außer Landes ist oder weiler sein Vermögen verloren hat, so gib acht, daßdich nicht die Vorstellung hinreißt, er sei auf-grund dieser äußeren Ereignisse wirklich im Un-glück, sondern sogleich habe den Satz zur Hand:»Nicht das, was passiert ist, bedrückt diesenMann (denn einen andern bedrückt es ja auchnicht), sondern seine Meinung darüber.«

Soweit es nur auf Worte ankommt, zögerefreilich nicht, ihm dein Mitgefühl zu bezeigenund, wenn es sich so ergibt, auch mit ihm zuklagen; nur gib acht, daß du nicht auch innerlichergriffen klagst.14

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Das Leben ein Schauspiel

Bedenke: Du bist Darsteller eines Stücks,15 des-sen Charakter der Autor bestimmt, und zwar ei-nes kurzen, wenn er es kurz, eines langen, wenn

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er es lang wünscht. Will er, daß du einen Bettlerdarstellst, so spiele auch diesen einfühlend; einGleiches gilt für einen Krüppel, einen Herrscheroder einen gewöhnlichen Menschen.

Deine Aufgabe ist es nur, die dir zugeteilteRolle gut zu spielen; sie auszuwählen, steht ei-nem andern zu.

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Über Vorzeichen

Wenn ein Rabe unheilverkündend krächzt, laßdich nicht von deiner Vorstellung hinreißen, son-dern kläre sogleich dein Denken und sage dir:»Keines dieser Vorzeichen gilt mir, sondern nurmeinem armseligen Körper, meinem dürftigenBesitz, meinem bißchen Ansehen, meinen Kin-dern oder meiner Frau. Für mich gibt es nurglückverheißende Vorzeichen, wenn ich es will.Was auch immer davon eintreffen mag, von mirhängt es ab, ob ich Nutzen daraus ziehe.«

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Der Weg zur Freiheit

Unbesiegbar kannst du sein, wenn du dich aufkeinen Kampf einläßt, in dem der Sieg nicht vondir abhängt. Wenn du jemanden siehst, den mandir in der Ehre vorzieht, der großen Einfluß hatoder sonst hohes Ansehen genießt, so laß dichnicht vom äußern Eindruck blenden und preiseihn nicht glücklich. Denn wenn das wahre We-sen des Guten zu dem gehört, worüber wir ge-bieten, dann ist weder Neid noch Eifersucht amPlatz. Du selbst willst doch kein Prätor, Senatoroder Konsul sein, sondern ein freier Mensch.Nur ein einziger Weg aber führt dahin: Alles zuverachten, worüber wir nicht gebieten.

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Beleidigungen treffen dich nicht

Bedenke: Nicht wer dich beschimpft oder dichschlägt, verletzt dich, sondern nur deine Mei-nung, daß diese Leute dich verletzen. Wenn dichalso jemand reizt, so wisse, daß es deine eigene

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Vorstellung ist, die dich gereizt hat. Deshalb ver-suche vor allem, dich vom äußern Eindrucknicht hinreißen zu lassen. Hast du erst einmalBedenkzeit gewonnen, wirst du dich leichter be-meistern.

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Meditatio mortis

Tod, Verbannung und alles andere, was furcht-bar erscheint, halte dir täglich vor Augen, vor al-lem aber den Tod,16 und du wirst niemals schä-bige Gedanken haben oder etwas maßlos be-gehren.

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Trotze dem Spott

Ist dir das Streben nach Weisheit ein echtes Be-dürfnis, so stelle dich von vornherein darauf ein,daß man dich auslachen wird und daß dich vie-le verhöhnen und sagen werden: »Der ist unsplötzlich als Philosoph heimgekommen«, und:

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»Wie kommt es, daß er die Brauen so hoch-zieht?«17

Laß du nur das Stirnrunzeln. An dem aber,was dir als das Beste erscheint, halte so fest, alswärest du von Gott auf diesen Posten gestellt.Bedenke: Wenn du treu bei deinen Grundsätzenbleibst, dann werden dich alle, die dich vorherimmer auslachten, nachher bewundern. Weichstdu aber ihrem Druck, so wirst du doppeltenSpott ernten.

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Bleib deiner Maxime treu

Wenn es dir einmal passiert, daß du dich der Au-ßenwelt zuwendest, weil du jemanden für dicheinnehmen willst, so wisse, daß du deine Lebens-maxime verraten hast. Darum sei damit zufrie-den, immer und überall ein Philosoph zu sein;willst du überdies als solcher gelten, so betrachtedich selbst als solchen; das wird dir genügen.

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Helfen ja, aber nicht um jeden Preis

Gedanken wie die folgenden dürfen dich nichtquälen: »Ohne Ehren werde ich dahinleben undnirgends etwas gelten.« Falls das Ausbleiben vonEhren wirklich ein Unglück ist: du kannst dochdurch das Wirken eines andern ebensowenig imUnglück sein wie in Schande. Hängt es etwa vondir ab, ein Staatsamt zu erlangen oder zu einemFestmahl eingeladen zu werden? Gewiß nicht.Wieso kann dies dann noch als »Ausbleiben vonEhren« aufgefaßt werden? Und wie kannst du»nirgends etwas gelten«, da du doch einzig indem Bereich etwas bedeuten sollst, über den dugebietest, worin du der Bedeutendste sein darfst?

Aber deine Freunde werden so ohne Hilfebleiben! Was meinst du mit »ohne Hilfe«? Siewerden von dir kein Geld bekommen, und duwirst ihnen auch nicht das römische Bürgerrechtverschaffen können. Wer hat dir denn gesagt,daß dies zu den Dingen gehört, über die wir ge-bieten, und nicht von andern abhängt? Wer aberkann einem andern geben, was er selbst nichthat? »Dann verschaff dir Geld«, sagt ein Freund,»damit auch wir etwas davon haben.« Wenn ich