Benjamin Walter ΕΠΙΣΤΟΛΕΣ 1

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Walter Benjamin Briefe I Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Gershorn Scholem - und Theodor W. Adorno Suhrkamp Verlag

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Επιστολές

Transcript of Benjamin Walter ΕΠΙΣΤΟΛΕΣ 1

Walter Benjamin Briefe IHerausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Gershorn Scholem und Theodor W. Adorno

Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp 930 Erste Auflage 1978 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966. Printed in Germany.. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der bersetzung, des ffentlichen Vortrags und der bertragung durch Rundfunk u.nd Fernsehen, auch einzelner Teile. Druck Nomos VeriagsgesellschaA:, Baden-Baden.- Gesamtausstattung Willy Fleckhaus.2

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VORREDEN DER HERAUSGEBER

I

Als ich Theodor Adornovorschlug, gemeinsam eine Sammlung der Briefe Walter Benjamins zu verffentlichen, dessen natrliche und ungemeine Begabung zum Briefschreiben eine der bezauberndsten Facetten seiner Natur war, konnte ich davon ausgehen, da in der ausfhrlichen Korrespondenz, die Benjamin durch 25 Jahre mit mir gefhrt hatte, und in seinen Briefen an die Mitglieder des Instituts fr Sozialforschung in den Jahren seiner Emigration, vor allem an Max Horkheimer und Adorno, ein bedeutender und durchaus charakteristischer Grundstock vorlag, um den sich eine solche Auswahl wrde gruppieren knnen. Wir wuten von anderem Material, das erhalten war, Briefen an Florens Christi an Rang, HofmannsthaI und den spteren Briefen an Werner Kraft, die uns zugnglich sein wrden. Als wir den Plan aufnahmen, konnten wir damit rechnen, da auch anderes sich noch finden wrde, das die Strme dieser Jahrzehnte und deren Katastrophen berstanden htte. In dieser Erwartung sind wir nicht getuscht worden. Benjamin war wohl fast allen, die ihn nher gekannt haben, eine viel zu eindrucksvolle und bedeutende Erscheinung, als da sie nicht Schriftliches von ihm ganz oder teilweise aufbewahrt htten. Dazu kam die natrliche Anmut und der Glanz einer noch in der spontanen Mitteilung sich niederschlagenden Kraft der Formulierung, die diese Briefe den Adressaten kostbar machen muten. So kamen wir dazu, ber ein, trotz allem, berraschend reiches Material verfgen zu knnen, aus dem diese Bnde eine Auswahl von erheblichem Umfang vorlegen. Durch die, in sich sehr verschiedenartigen Briefe, an Freunde seiner Jugendjahre und an Mnner und Frauen, mit denen er spter literarische und persnliche Beziehungen unterhielt, ergab sich so fr uns die glckliche Situation, eine fast lckenlose Reihe von Briefen b~ingen zu knnen, die sich ber dreiig Jahre erstreckt, von seinem achtzehnten Geburtstag bis kurz vor seinen Selbstmord auf der Flucht vor den Mrdern. Diese Briefe bieten

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eine reiche Dokumentation zu seiner persnlichen und intellektuellen Biographie und lassen zugleich das Bild seiner Person, das sich uns so unvergelich eingeprgt hat, auch fr den Leser, wie wir hoffen, in genauen Konturen hervortreten. Von der "Jugendbewegung" der letzten Jahre vor dem ersten Weltkrieg, in der Benjamin an einer besonders sichtbaren Stelle, als Hauptmitarbeiter des von Gustav Wyneken herausgegebenen "Anfang", als Hauptsprecher des Berliner "Sprechsaal der Jugend" und als Prsident der Freien Studentenschaft an der Universitt Berlin eine bei allem berschwang und jugendlicher Unklarheit doch scharf profilierte Haltung einnahm, fhren diese Briefe durch die Jahre vlliger Zurckgezogenheit, man knnte sagen Verborgenheit, hinber zu den Jahren seines literarischen und publizistischen Wirkens. Sie begleiten seine Auseinandersetzungen mit groen geistigen Bewegungen und Phnomenen dieser Jahre und bezeugen eindringlich die Wandlungen seines Genius, vom Metaphysiker, der von einer Kommentierung groer hebrischer Texte trumte, zum Marxisten, der er in seinen spteren Jahren sein wollte.! Es ist die Absicht dieser Sammlung, den Lebensgang und die Physiognomie eines der tiefsten und zugleich ausdrucksmchtigsten Menschen sichtbar zu machen, den die Judenheit des deutschen Sprachkreises in der Generation vor ihrer Vernichtung hervorgebracht hat. Natrlich ist sehr vieles verloren gegangen. Dazu gehren Benjamins Briefe an seine Eltern und Geschwister Georg und Dora, an Kurt Tuchler, Franz Sachs, Gustav Wyneken, Fritz Heinle und Georg Barbizon aus der Zeit der Jugendbewegung, an Wolf Heinle, Erich Gutkind, Ernst Bloch und Siegfried Kracauer aus der Zeit des ersten Weltkrieges und den zwanziger und dreiiger Jahren. Was Brecht aufbewahrt hat, war von uns aus nicht zu bersehen. Von Briefen an Frauen, die ihm nahestanden, sind die an Grete Cohn-Radt, seine erste Verlobte und an Dora Benjamin, seine 1964 verstorbene Frau, vollstndig verloren. Da seine Freundin Asja Lacis, der die "Einbahnstrae" gewidmet ist, in Riga lebt, gelangte erst unmittelbar vor Druckbeginn zu unserer Kenntnis. Von denen an Jula Cohn, die Schwester seines Jugend8

freundes Alfred Cohn. der er sich Jahre hindurch besonders nahe fhlte, haben sich nur eine Anzahl Briefe aus der Zeit nach ihrer Eheschlieung mit Fritz Radt (1925) erhalten. Von Briefen an franzsische Korrespondenten sind zum Beispiel die an Andre Breton verloren oder nicht auffindbar, und nur sehr wenig-es an franzsische Bekannte ist erhalten oder uns zugnglich geworden. Mit Werner Kraft unterhielt Benjamin zwischen 1915 und 1921 einen zeitweise intensiven Briefwechsel, in dem er sich vor allem auch ber literarische Fragen ausfhrlich uerte, ja er dachte manchmal daran, wie er mir damals sagte, sie als Grundlage fr eine Folge von "Briefen zur neuern Literatur" zu verwenden. Diese Briefe sind durch besonders unglckliche Umstnde verloren gegangen, und erst Benjamins Briefe aus der Zeit der Wiederaufnahme ihrer Beziehung in den dreiiger Jahren sind erhalten. Ich mchte hier ein Wort ber seine Briefe an mich sagen, die fr viele Jahre eine Art Rckgrat der vorliegenden Auswahl bilden. Ich lernte Walter Benjamin drei Monate nach seinem endgltigen Bruch mit Wyneken kennen, und meine leidenschaftliche Bindung an das Judentum und die Sache des Zionismus erffnete mir den Weg zu seiner Person nicht weniger als das intensive Interesse an philosophischen und literarischen Dingen, in dem wir uns trafen. Ich war damals sehr jung, studierte Mathematik und Hebrisch mit gleicher Intensitt und berschttete ihn mit Mitteilungen, Fragen und Gedanken, die meine jdischen Studien, aber auch meine jugendliche Auseinandersetzung mit der Mathematik und Philosophie betrafen. In unserm Briefwechsel vereinigten sich von vornherein sachliche und persnliche Interessen, und diese Verbindung bestimmt die etwa 300 Briefe, die ich von ihm, besitze. Da wir meistens nicht am gleichen Orte lebten und besonders, seitdem ich 1923 nach Palstina ging, fast ausschlielich auf briefliche Mitteilung angewiesen waren, bildeten Briefe in besonders exemplarischer Weise das Medium unserer spteren Beziehung, fr das persnliches Gesprch nur noch zweimal wieder substituiert werden konnte. Whrend daher in seinen Beziehungen zu anderen Menschen das meiste sich im Medium des produktiven Gesprchs und der9

spontanen Mndlichkeit vollzog, muten die Briefe an mich fr alles einstehen, was uns an persnlichem Zusammensein versagt war. Dadurch ist ebenso vieles von seinen Berichten und Reflexionen ber sich selbst erhalten geblieben, was sonst wohl verloren wre, wie freilich auch, eben der rumlichen Entfernung wegen, vieles doch in diesem Medium nicht zur Sprache zu bringen war. Ich bin auch berzeugt, da er sich mit demselben kritischen Freimut und derselben ironischen Schrfe, mit der er sich ber andere i,n Briefen an mich geuert hat, zu andern ber mich ausgesprochen haben wird. Wir wuten stets, woran wir dabei waren. Aus dem uns vorliegenden Material von etwa 600 Briefen haben wir mehr als 300 ausgewhlt, die, wie wir glauben, sich zu einem Ganzen fgen. Gerade die verschiedene Frbung, ja der verschiedene Tonfall, den diese Briefe, je nach der Person der Adressaten, haben, spiegeln den Reichtum von Benjamins Persnlichkeit, in ihm gemen Medien gebrochen, wider. Die Briefe sind zum groen Teile lang, wie das seinem Reflexions- mid Mitteilungsbedrfnis seinen Freunden gegenber entsprach. Kurze Briefe sind oft nur technischer Natur und konnten ohne Verlust ausgeschieden werden. Bei anderm muten wir, wo es um minder wichtige Mitteilungen oder um Wiederholungen von Dingen ging, die in hier vorliegenden Briefen gengend behandelt sind, verzichten. Besonders von den Briefen an mich habe ich, schon aus Raumgrnden, vieles zurckstellen mssen. Auslassungen in den aufgenommenen Briefen wurden stets durch Punkte in eckigen Klammern [ ... ] sichtbar gemacht. Sie betreffen rein Technisches, Finanzielles, seine Beziehungen zu seinen Eltern und persnliche uerungen ber Lebende, zu deren Mitteilung wir uns nicht befugt hielten. Sachliche Kritik an Personen, auch solche ironischen Charakters, haben wir aufgenommen; darber hinaus schien uns Zurckhaltung geboten. In den Anmerkungen haben wir uns auf das Notwendige beschrnkt. Benjamins Stze in seinem Brief an Ernst Schoen vom 19. September 1919 gegen Anmerkungen zu Briefwechseln als einem Aderla an der Korrespondenz muten von 10

-uns als eine an die Herausgeber gerichtete Warnung aufgefat werden, vorsichtig zu verfahren. Der Erklrung von literarisch allgemein Bekanntem haben wir keinen Raum gegeben. Bei manchen Stellen, die eine Erklrung verlangt htten, waren die genauen Umstnde, die vorausgesetzt werden, nicht mehr festzustellen. Das gilt vor allem von den Briefen bis 1915, bevor ich Benjamin nher kennenlernte. Von da an konnte ich fr die nchsten fnfzehn Jahre auf meine eigene, fr die weitere Zeit auf Adornos und meine ziemlich przise Erinnerung sowie auf anderes Schriftliches (wie meine Tagebcher von 1915 bis 1919) zurckgreifen. Vieles hat mir im Lauf der Jahre auch seine Frau, die whrend des zweiten Weltkrieges und nachher bis zu ihrem Tode in London lebte, erzhlt. Fr die Jugendbriefe verdanke ich zudem Herbert Belmore (Rom), Franz Sachs (Johannesburg) und J ula Radt- Cohn (N aarden, Holland) wertvolle Ausknfte ber Einzelheiten. Leider starb Ernst Schoen, der mit Benjamin noch von jenen frhen Jahren her befreundet war, bevor die Sammlung des Briefmaterials vorlag und er ber Details, die nur er in der Lage war aufzuklren, befragt werden konnte. Das Datum ist in allen Briefen einheitlich an die rechte Kopfseite gesetzt worden. Benjamin selbst pflegte es meistens links unten neben seine Unterschrift zu setzen. Die Zeichensetzung des Kommas nach der Anrede haben wir vereinheitlicht. Die Interpunktion der Briefe selbst bildete ein schwieriges Problem. Jahre hindurch, vor allem zwischen 1914 und 1924, hielt sich Benjamin prinzipiell nicht an die "amtli~he Rechtschreibung" und verfuhr vllig nach seinem Gefhl, das sich besonders gegen den Gebrauch des Kommas in Privatbriefen sperrte. Nur wo es sich um mehr oder weniger formelle Briefe handelte, benutzte er einigermaen konventionelle Interpunktion. Nach 1921 begann er, zuerst sehr zgernd, dann fortschreitend, der orthographischen Konvention sich auch hierin anzupassen. Ich habe daher in den Briefen bis 1921 nur sehr selten, wo es durch syntaktische Verhltnisse durchaus geboten schien, die Interpunktion verbessert; spter haben wir sie strker der Konvention angegFchen.11

Die Briefe an Benjamin sind bisher so gut wie vollstndig verloren, soweit nicht aus seinen allerletzten Jahren Briefe Horkheimers und Adornos, die mit der Maschine geschrieben waren, in Durchschlgen erhalten geblieben sind. Von den hunderten Briefen, die ich an ihn gerichtet habe, besitze ich abschriftlich nur noch fnf. Im Zusammenhang der vorliegenden Verffentlichung haben wir uns entschlossen, in den zweiten Band drei Briefe von mir und zwei von Adorno aufzunehmen und an den jeweiligen Daten einzureihen, weil sie fr die zwischen uns und ihm verhandelten theoretischen Fragen von besonderem Gewicht schienen, fr das Verstndnis seiner eigenen Briefe, ja darber hinaus seiner Person selbst, Wichtiges beizutragen haben und ein Bild von der lebendigen Rede und Gegenrede in dieser Korrespondenz berliefern. Auerdem habe ich zwei Gedichte von mir, auf die in mehreren Briefen Benjamins Bezug genommen wird, an den betreffenden Stellen eingeschaltet: ein Gedicht ber das Bild "Angelus Novus" von Paul Klee, nach dem Benjamin die von ihm geplante Zeitschrift nennen wollte, sowie ein "Lehrgedicht" ber Kafkas "Proze". In die Bearbeitung haben wir uns folgendermaen geteilt und tragen dementsprechend die Verantwortung fr die Gestaltung der Briefe und die Anmerkungen: Ich habe smtliche Briefe bis 1921 sowie die weiteren Briefe an mich, Max Rychner, Martin Buber, Alfred Cohn,Jula Radt, Werner Kraft, Fritz Lieb, Kitty Steinschneider-Marx und Hannah Arendt bearbeitet. Adorno hat die Briefe an Florens Christian Rang, HofmannsthaI, Brecht und Personen aus dem Kreise von Brecht, an Karl Thieme, Adrienne Monnier, sowie die Briefe an Horkheimer und ihn selbst und seine Frau zu verantworten. Zu den Anmerkungen des von Adorno bearbeiteten Teils trug Rolf Tiedemann Wesentliches bei. Jeder von uns hat die von dem andern bearbeiteten Teile gelesen und seine Bemerkungen dazu gemacht. Ich mchte schlielich all denen, die durch Beistellung von Briefen zum Zustandekommen dieses Buches geholfen haben, den herzlichen Dank der Herausgeber sagen, vor allem Herrn Herbert Belmore (Rom), Frau Hansi Schoen (Grfin Johanna 12

Rogendorf, London), Frau Jula Radt-Cohn (Naarden), Frau Grete Cohn-Radt (Paris), Herrn Dr. Werner Kraft (Jerusalern), Frau Dr. Kitty Steinschneider (Jerusalern), Professor Fritz Lieb (Basel), Frau Susanne Thieme (Lrrach); sowie den Erben und NachlaverwaItungen von Brecht, HofmannsthaI und Rang. Unser wrmster Dank gilt dem Suhrkamp Verlag, der unsern Anregungen und Wnschen bereitwillig entgegengekommen ist, und seinem Lektor Walter Boehlich, der uns in vielen Dingen sehr geholfen hat. Die Arbeit an der Sammlung des Materials, der Vorbereitung des Manuskripts und der Drucklegung hat mehr als vier Jahre in Anspruch genommen. Nicht wenige Briefe sind uns erst whrend der Drucklegung, ja noch nach Abschlu der Fahnenkorrekturen zur Verfgung gestellt worden. So erscheint denn diese Sammlung, die unserm toten Freund ein lebendiges Denkmal setzen soll, fnfundzwanzig Jahre nach seinem Tode. Jerusalem . Gershorn Gerhard Scholem

1 Eingehender ber Benjamin haben sich Adorno, "Charakteristik Walter Benjamins" in "Prismen", und in der Vorrede zu den "Schriften"; Scholem, "Walter Benjamin" in der "Neuen Rundschau" 1965, S. 1-21, geuert.

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II

Walter Benjamins Person war von Anbeginn derart Medium des Werkes, sein Glck hatte er so sehr an seinem Geist, da, was immer sonst Unmittelbarkeit des Lebens heit, gebrochen wurde. Ohne da er asketisch gewesen wre, auch nur in seiner Erscheinung so gewirkt htte, eignete ihm ein fast Krperloses. Der seines Ichs mchtig war wie wenige, schien der eigenen Physis entfremdet. Das ist vielleicht eine der Wurzeln der Intention seiner Philosophie, mit rationalen Mitteln heimzubringen, was an Erfahrung in der Schizophrenie sich anmeldet. Wie sein Denken die Antithesis bildet zum Personbegriff des Existentialismus, scheint er empirisch, trotz extremer Individuation, kaum Person sondern Schauplatz der Bewegung des Gehalts, der durch ihn hindurch zur Sprache drngte. Mig wren Reflexionen ber den psychologischen Ursprung jenes Zuges; setzten sie doch jene Normalvorstellung vom Lebendigen voraus, die Benjamins Spekulation sprengte und an der das allgemeine Einverstndnis desto verstockter festhlt, je weniger das Leben noch eines ist. Eine uerung von ihm ber seine eigene Handschrift - er war ein guter Graphologe -; sie sei vor allem darauf angelegt, nichts merken zu lassen, bezeugt zumindest, wie er zu sich in dieser Dimension stand, ohne da er im brigen um seine Psychologie viel sich gekmmert htte. Schwerlich ist es einem anderen gelungen, die eigene Neurose, wenn es denn eine war, so produktiv zu machen, wie ihm. Zum psychoanalytischen Begriff der Neurose gehrt die Fesselung der Produktivkraft, die Fehlleitung der Energien. Nichts dergleichen bei Benjamin. Die Produktivitt des sich selbst Entfremdeten ist erklrbar nur dadurch, da in seiner diffizilen subjektiven Reaktionsform ein objektiv Geschichtliches sich niederschlug, das ihn befhigte, sich umzuschaffen zum Organ von Objektivitt. Was ihm an Unmittelbarkeit mangeln mochte oder was zu verbergen ihm von frh zur zweiten Natur mu geworden sein, ist in der vom abstrakten

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Gesetz der Beziehungen zwischen den Menschen beherrschten Welt verloren. Nur um den Preis des bittersten Schmerzes oder nur unwahr, als tolerierte Natur, darf es sich zeigen. Benjamin hat daraus, lngst ehe ihm dergleichen Zusammenhnge bewut waren, die Konsequenz gezogen. In sich und seinem Verhltnis zu anderen setzte er rckhaltlos den Primat des Geistes durch, der anstelle von Unmittelbarkeit sein Unmittelbares wurde. Seine private Haltung nherte zuweilen dem Ritual sich an. Man wird den Einflu Stefan Georges und seiner Schule, von der ihn philosophisch schon in seiner Jugend alles trennte, darin zu suchen haben: er lernte von George Schemata des Rituals. In den Briefen reicht es bis ins typographische Bild hinein, ja bis in die Wahl des Papiers, das fr ihn eine ungemeine Rolle spielte; noch whrend der Emigrationszeit beschenkte ihn sein Freund Alfred Cohn, wie lngst, mit einer bestimmten Papiersorte. Die ritualen Zge sind am strksten in der Jugend; erst gegen Ende seines Lebens lockerten sie sich, als htte die Angst vor der Katastrophe, vor Schlimmerem als dem Tod, die tief vergrabene Spontaneitt des Ausdrucks erweckt, die er durch Mimesis an den Tod bannte. Benjamin war ein groer Briefschreiber; offensichtlich hat er passioniert Briefe geschrieben. Trotz der beiden Kriege, des Hitlerreichs und der Emigration erhielten sich sehr viele; auszuwhlen war schwierig. Der Brief wurde ihm zur Form. Die primren Impulse lt sie durch, schiebt aber zwischen diese und den Adressaten ein Drittes, die Gestaltung des Geschriebenen gleichwie unterm Gesetz von Objektivation, trotz der Anlsse von Ort und Stunde und dank ihrer, als wrde dadurch erst die Regung legitimiert. Wie bei Denkern von bedeutender Kraft Einsichten, die aufs treueste ihr Objekt treffen, vielfach zugleich solche ber den Denkenden selbst sind, so bei Benjamin: ein Modell dafr ist die berhmt gewordene Formel ber den alten Goethe als Kanzlisten des eigenen Inneren. Solche zweite Natur hatte nichts Posiertes; brigens htte er den Vorwurf gleichmtig hingenommen. Der Brief war ihm darum so gem, weil er vorweg zur vermittelten, objektivierten Unmittelbarkeit ermutigt. Briefe 15

schreiben fingiert Lebendiges im Medium des erstarrten Worts. Im Brief vermag man die Abgeschiedenheit zu verleugnen und gleichwohl der Ferne, Abgeschiedene zu bleiben. Auf das Spezifische des Briefschreibers Benjamin mag ein Detail Licht werfen, das mit Korrespondenz zunchst gar nichts zu tun hat. Die Unterhaltung fhrte einmal auf Unterschiede zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort wie den, da man in der lebendigen Konversation, aus Humanitt, an sprachlicher Form etwas nachlt und des bequemeren Perfekts sich bedient, wo grammatisch das Prteritum gefordert wre. Benjamin, der das feinste Organ fr sprachliche Nuancen besa, machte gegen den Unterschied sich sprde und bestritt ihn mit einem gewissen Affekt, so als ob eine Wunde berhrt worden wre. Seine Briefe sind Figuren einer redenden Stimme, die schreibt., indem sie spricht. Fr den Verzicht, der sie trgt, sind aber diese Briefe aufs reichste belohnt worden. Das rechtfertigt, sie einem groen Leserkreis zugnglich zu machen. Der das gegenwrtige Leben wahrhaft an seinem farbigen Abglanz hatte,' dem war Macht gegeben ber die Vergangenheit. Die Form des Briefes ist anachronistisch und begann es schon zu seinen Lebzeiten zu werden; die seinen ficht das nicht an. Bezeichnend, da er, wenn irgend es mglich war, seine Briefe, als lngst die Schreibmaschine dominierte, mit der Hand zu Papier brachte; ebenso bereitete ihm der physische Akt des Schreibens Lust - er fertigte gern Exzerpte und Reinschriften an - ,wie ihn Abneigung beseelte gegen mechanische Hilfsmittel: die Abhandlung ber das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit war insofern, wie manches in seiner geistigen Geschichte, Identifikation mit dem Angreifer. Das Briefschreiben meldet einen Anspruch des Individuums an, dem es heute so wenig mehr gerecht wird, wie die Welt ihn honoriert. Als Benjamin bemerkte, da man von keinem Menschen mehr eine Karikatur machen knne, kam er jenem Sachverhalt nahe; auch in der Abhandlung ber den Erzhler. In einer gesellschaftlichen Gesamtverfassung, die jeden Einzelnen zur Funktion herabsetzt, ist keiner lnger legiti16

miert, so im Brief von sich selbst zu berichten, als wre er noch der unerfate Einzelne, wie der Brief es doch sagt: das Ich im Brief hat bereits etwas Scheinhaftes. Subjektiv aber sind die Menschen, im Zeitalter des Zerfalls der Erfahrung, zum Briefschreiben nicht mehr aufgelegt. Einstweilen sieht es aus, als entzge die Technik den Briefen ihre Voraussetzung. Weil Briefe, angesichts der prompteren Mglichkeiten der Kommunikation, der Schrumpfung zeitrumlicher Distanzen, nicht mehr notwendig sind, zergeht auch ihre Substanz an sich. Benjamin brachte fr sie eine antiquarische und ungehemmte Begabung mit; ein Vergehendes vermhlte sich ihm mit der Utopie seiner Wiederherstellung. Was ihn verlockte, Briefe zu schreiben, hing wohl auch insofern mit seiner Erfahrungsweise zusammen, als er geschichtliche Formen - und der Brief ist eine - wie Natur sah, die zu entrtseln, deren Gebot zu folgen sei. Seine Haltung als Briefschreiber neigt sich der des Allegorikers zu: Briefe waren ihm naturgeschichtliche Bilder dessen, was Vergngnis berdauert. Dadurch, da die seinen eigentlich gar nicht ephemeren uerungen des Lebendigen gleichen, gewinnen sie ihre gegenstndliche Kraft, die zu menschenwrdiger Prgung und Differenzierung. Noch ruht das Auge, trauernd um ihren heraufdmmernden Verlust, so geduldig und intensiv auf den Dingen, wie es wieder einmal mglich sein mte. Eine private uerung Benjamins fhrt ins Geheimnis seiner Briefe: ich interessiere mich nicht fr :l\1cnschen, ich interessiere mich nur fr Dinge. Die Kraft der Negation, die davon ausgeht, ist eins mit seiner Produktivkraft. Die frhen Briefe sind durchweg all Freunde und Freundinnen aus der Freideutschen Jugendbewegung gerichtet, einer radikalen, von Gustav Wyneken geleiteten Gruppe, deren Vorstellungen die Wickersdorfer Freie Schulgemeinde am nchsten kam. Auch am "Anfang", ,der Zeitschrift jenes Kreises, die 1913-14 viel Aufsehen machte, arbeitete er magebend mit. Paradox, den durch und durch idiosynkratisch reagierenden Benjamin in einer solchen Bewegung, berhaupt in irgendeiner, sich vorzustellen. Da er so vorbehaltlos sich hineinstrzte, die heute dem Auenstehenden nicht mehr 17

verstndlichen Auseinandersetzungen innerhalb der ,Sprechsle' und alle Beteiligten so ungemein wichtig nahm, war wohl ein Kompensationsphnomen. Geschaffen, das Allgemeine durchs Extrem des Besonderen, sein Eigenes auszudrcken, litt Benjamin daran so sehr, da er, gewi vergeblich, kramphaft nach Kollektiven suchte; auch noch in seiner reifen Zeit. T.Jberdies teilte er die selbst wiederum allgemeine Neigung des jungen Geistes, die Menschen, mit denen er zunchst zusammentraf, zu berschtzen. Die Anspannung zum uersten, die ihn vom ersten bis zum letzten Tag seiner intellektuellen Existenz beseelte, bertrug er, wie es dem reinen Willen ansteht, als ein Selbstverstndliches auf seine Freunde. Nicht die geringfgigste unter seinen schmerzlichen Erfahrungen mu gewesen sein, da nicht nur die meisten nicht die Kraft der Elevation haben, auf die er von sich aus schlo, sondern jenes uerste gar nicht wollen, das er ihnen zutraute, weil es das Potential der Menschheit ist. Dabei erfuhr er die Jugend, mit der er instndig sich identifizierte, und auch sich selbst als Jungen, bereits in der Reflexion. Jungsein wird ihm zu einer Position des Bewutseins. Er war souvern gleichgltig gegen den Widerspruch darin; da der Naivett negiert, welcher sie als Standpunkt bezieht und gar eine ,Metaphysik der Jugend' plant. Spter hat Benjamin, wa:s den Jugendbriefen ihre Signatur verlieh, schwermtig auf seine Wahrheit gebracht mit dem Satz, er habe Ehrfurcht vor der Jugend. Die Kluft zwischen seiner eigenen Beschaffenheit und dem Kreis, dem er sich anschlo, scheint er versucht zu haben, durch Herrschbedrfnis zu berbrkken; noch whrend der Arbeit am Barockbuch sagte er einmal, ein Bild wie das des Knigs habe ihm ursprnglich sehr viel bedeutet. Herrische Anwandlungen durchfahren das vielfach Wolkige der Jugendbriefe wie Blitze, die znden woUen; die Gebrde antizipiert, was spter die geistige Kraft leistet. Prototypisch mu fr ihn gegolten haben, was junge Menschen, etwa Studenten, leicht und gern an den BegabJesten unter ihnen tadeln: sie seien arrogant. Solche Arroganz ist nicht zu verleugnen. Sie markiert den Unterschied zwischen dem, was Menschen obersten geistigen Ranges als ihre Mg-

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lichkeit wissen, und dem, was sie bereits sind; jenen Unterschied gleichen sie durch ein Verhalten aus, das von au"en notwendig Anmaung dnkt. Der reife Benjamin lie so wenig mehr Arroganz wie Herrschbegierde erkennen. Er war von vollkommener, beraus anmutiger Hflichkeit; sie hat auch in den Briefen sich dokumentiert. Darin hnelte er Brecht; ohne jene Eigenschaft wre die Freundschaft zwischen den bei den kaum bestndig gewesen. Mit der Scham, die Menschen solchen Anspruchs an sich selbst vor der Unzulnglichkeit ihrer Anfnge hufig befllt - einer Scham, die ihrer frheren Selbsteinschtzung gleichkommt -, hat Benjamin unter die Periode seiner Teilnahme an der Jugendbewegung den Schlustrich gezogen, als er seiner selbst ganz innewurde. Nur mit wenigen, wie Alfred Cohn, blieb der Kontakt erhalten. Freilich auch der mit Ernst Schoen; die Freundschaft dauerte bis zum Tod. Dieunbeschreibliche Vornehmheit und Sensibilitt Schoens mu ihn bis ins Innerste betroffen haben; sicherlich war er einer der ersten ihm Ebenbrtigen, die er kennenlernte. Die wenigen Jahre, die Benjamin spter, nach dem Scheitern seiner akademischen Plne und bis zum Ausbruch des Faschismus, einigermaen sorgenfrei existieren konnte, hatte er in nicht geringem Ma der Solidaritt Schoens zu verdanken, der, als Programmleiter des Radios Frankfurt, ihm die Mglichkeit dauernder und hufiger Mitarbeit gewhrte. Schoen war einer der Menschen, die, tief ihres eigenen Wesens sicher, ohne alles Ressentiment zurckzutreten liebten bis zur Selbstauslschung; um so mehr Anla, seiner zu gedenken, wenn vom Persnlichen bei Benjamin die Rede ist. Entscheidend war, in der Zeit der Emanzipation, auer der Heirat mit Dora Kellner die Freundschaft mit Scholem, der ihm geistig gewachsen war; wohl die engste im Leben Benjamins. Dessen Begabung zur Freundschaft glich in Yielem der 'zum Briefschreiben, noch in exzentrischen Zgen wie der Geheimniskrmerei, die ihn dazu bewog, soweit es nur anging, seine Freunde voneinander fernzuhalten, die dann regelmig, innerhalb eines notwendig begrenzten Kreises, doch einander kennenlernten. Wehrte Benjamin, aus Aversion

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gegen geisteswissenschaftliche Cliches, den Gedanken einer Entwicklung seiner Arbeitvon sich ab, so zeigt der Unterschied der ersten Briefe an Scholem von allen vorhergehenden, neben der Kurve des Werkes selbst, wie sehr er sich entwickelte; hier pltzlich ist er von aller veranstalteten Superioritt frei. An ihre Stelle tritt jene unendlich zarte Ironie, die ihm, trotz des seltsam Objektivierten, Unberhrbaren der Gestalt, ebenso im privaten Umgang den auerordentlichen Reiz verlieh. Eines ihrer Elemente war, da der empfindlich Whlerische mit Volkstmlichem, etwa Berliner oder jdisch-idiomatischen Redewendungen, spielte. Die Briefe seit den frhen zwanziger Jahren sind nicht so fern gerckt wie die vor dem Ersten Krieg geschriebenen. In ihnen entfaltet Benjamin. sich in liebevollen Berichten und Erzhlungen, in przisen epigrarilmatischen Formeln, zuweilen auch - nicht gar zu oft - in theoretischen Argumentationen; zu ihnen fhlte er sich gedrngt, wo dem Vielgereisten groe rumliche Entfernung die mndliche Diskussion mit dem Korrespondenten verwehrte. Die literarischen Beziehungen sind weit verzweigt. Benjamin war alles andere als ein jetzt erst wiederentdeckter Verkannter. Seine Qualitt konnte nur dem Neid verborgen bleiben; durch publizistische Medien wie die Frankfurter Zeitung und die Literarische Welt wurde sie allgemein sichtbar. Erst im Vorfaschismus wurde er zurckgedrngt; noch in den ersten Jahren der Hitlerdiktatur vermochte er, pseudonym, in Deutschland weiter manches zu verffentlichen. Fortschreitend vermitteln die Briefe ein Bild nicht nur von ihm, sondern auch vom geistigen Klima der Epoche. Die Breite seiner sachlichen und privaten Kontakte war von keiner Politik beeintrchtigt. Sie reichte von Florens Christian Rang und HofmannsthaI bis Brecht; die Komplexion theologischer und gesellschaftlicher Motive wird in der Korrespondenz durchsichtig. Vielfach hat er, ohne da sein Eigentmliches darber gemindert worden wre, den Korrespondenten sich angepat; Formgefhl und Distanz, Konstituentien des Benjaminsehen Briefes berhaupt, treten dann in den Dienst einer gewissen Diplomatie. Sie hat etwas Rhrendes, vergegenwrtigt man sich, wie wenig die zuwei-

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len kunstvoll bedachten Stze ihm tatschlich das Leben erleichterten; wie inkommensurabel und unannehmbar er dem Bestehenden trotz seiner temporren Erfolge blieb. Erlaubt sei der Hinweis darauf, mit welcher Wrde und, solange es nicht ums nackte Leben ging, mit welcher Gelassenheit Benjamin die Emigration ertrug, obwohl sie ihm whrend der eqten Jahre die rmlichsten materiellen Bedingungen auferlegte, und obwohl er keinen. Augenblick sich tuschte ber die Gefahr seines Verbleibs in Frankreich. Um des Hauptwerks, der Pariser Passagen willen hat er sie in Kauf genommen. Seiner Haltung damals schlug das Unprivate, fast Apersonale zum Segen an; wie er sich als Instrument seiner Gedanken, nicht sein Leben als Selbstzweck verstand, trotz oder gerade wegen des unfalichen Reichtums an Gehalt und Erfahrung, den er verkrperte, so hat er sein Schicksal nicht als privates Unglck beklagt. Da er es in seinen objektiven Bedingungen durchschaute, verlieh ihm die Kraft, darber sich zu erheben; jene Kraft, die ihm noch 1940, fraglos im Gedanken an seinen Tod, die Formulierung der Thesen ber den Begriff der Geschichte gestattete. Nur ums Opfer des Lebendigen wurde Benjamin der Geist, der lebte von der Idee des opferlosen Standes. Frankfurt Theodor W. Adorno

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BRIEFE 1910-1928

Paris 1927

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