11.12 Pharmazeutische Wirksto e und Drogen · gige RNA-Polymerase und blockieren so die...

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DEFINITION Arsenwasserstowird auch als Monoarsen, Arsin oder Arsenhydrid bezeichnet. Grenzwerte: Zu TRK und BLW siehe Tab. 11.17. Weitere Werte sind: AGW (Arsenwassersto): 16 μg/m 3 Referenzwerte im Morgenurin: < 15 μg/L As < 1,2 μg/L As (III) < 1,2 μg/L As (V) Grenzwert für Trink- und Mineralwasser: 10 μg/L Nach EG sind bestimmte As(III)- und As(V)-Verbindungen krebs- erzeugend Kategorie 1. Klinik: Die akute Intoxikation ist, nach einer Latenz von ca. 30 min, durch eine erhöhte Kapillarpermeabilität, Ödeme, Tachy- kardie, Hypotonie, Atemnot, Kopf- und Bauchschmerzen und eine massive Gastroenteritis gekennzeichnet. Der Tod tritt inner- halb von 24 h ein. Bei chronischer Vergiftung kommt es zu Hyperpigmentierun- gen und Hyperkeratosen der Haut, multiplem Basaliom, Schleim- hautentzündungen und einer kanzerogenen Wirkung an Lunge und Leber mit einer Latenz von 1520 Jahren. Charakteristisch sind weiterhin eine Polyneuropathie, diuser Haarausfall sowie eine weiße Querstreifung der Nägel (Mees-Nagelbänder) (s. Abb. 4.2). Therapie: Als Antidot steht DMPS zur Verfügung. 11.11.12 Weitere Metalle und Halbmetalle Eisen: Eisenvergiftungen sind relativ selten. Anfangs kommt es zu einer hämorrhagischen Gastroenteritis und Schocksympto- matik. Auf ein symptomarmes Intervall folgt in schweren Fällen nach 1248 h ein erneuter Schockzustand mit metabolischer Azidose, toxischem Leber- und Nierenversagen sowie Krämpfen, Bewusstseinsstörungen und Koma. Die Therapie erfolgt symptomatisch. Als Antidot steht der Komplexbildner Desferoxamin i. v. zur Verfügung. Gold: Gold zählt zu den Immunsuppressiva, sein Wirkmechanis- mus ist jedoch nicht geklärt. Studien deuten aber darauf hin, das Goldverbindungen wie Auranofin und Aurothioglucose wahr- scheinlich das Anheften der Leukozyten an die Gefäßwand ver- hindern. Aluminium: Aluminium ist Bestandteil des Antazidums Alumini- umhydroxid. Die Verbindungen aus mehrwertigen Metallionen binden die Magensäure und neutralisieren sie. Bikarbonat-, Schleimsekretion und Prostaglandinsynthese werden stimuliert. Wismut: Eine Intoxikation mit Wismut kann zu einer Enzepha- lopathie mit Gangstörungen, Verwirrtheitszuständen und Krämpfen führen. PRÜFUNGSHIGHLIGHTS Nachweis, Diagnostik und Symptome einer Vergiftung mit: !!! Blei !!! Quecksilber ! Cadmium ! Mangan !! Thallium ! Vanadium !! Arsen (Arsin) © Friedberg - fotolia.com 11.12 Pharmazeutische Wirkstoe und Drogen 11.12.1 Halothan Bei Halothan (Trifluorchlorbromethan) handelt es sich um einen halogenierten aliphatischen Kohlenwassersto. In den 50er-Jah- ren erstmalig eingesetzt, ist es eines der Inhalationsnarkotika, auf die sich die moderne Anästhesie gründet. Heute wird es in Deutschland als Inhalationsanästhetikum nicht mehr verwendet, da es zu lebensbedrohlichen Leberschäden führen kann (Halo- than-Hepatitis). Der MAK für Halothan liegt bei 40 mg/m 3 . 11.12.2 K.-o.-Tropfen DEFINITION K.-o.-Tropfen = date rape drugs; s. auch Rechtsmedi- zin (S.32) sind Stoe, die schnell zur Bewusstseinstrübung oder Willenlosigkeit führen, meist einen nur geringen Eigengeschmack besitzen und daher verdeckt (z. B. in einem Getränk) verabreicht werden können. Sie führen häufig zu einer mehrstündigen antero- graden Amnesie. LERNPAKET 3 11.12 Pharmazeutische Wirkstoe und Drogen 95 LERNPAKET 3 aus: Ebner u.a., Endspurt Klinik – Rechtsmedizin, Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Toxikologie – Skript 19 (ISBN 9783131745316) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

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DEFINITION Arsenwasserstoff wird auch als Monoarsen, Arsin oderArsenhydrid bezeichnet.

Grenzwerte: Zu TRK und BLW siehe Tab. 11.17. Weitere Wertesind:▪ AGW (Arsenwasserstoff): 16µg/m3

▪ Referenzwerte im Morgenurin:– <15µg/L As– <1,2 µg/L As (III)– <1,2 µg/L As (V)

▪ Grenzwert für Trink- und Mineralwasser: 10 µg/LNach EG sind bestimmte As(III)- und As(V)-Verbindungen krebs-erzeugend Kategorie 1.

Klinik: Die akute Intoxikation ist, nach einer Latenz von ca.30min, durch eine erhöhte Kapillarpermeabilität, Ödeme, Tachy-kardie, Hypotonie, Atemnot, Kopf- und Bauchschmerzen undeine massive Gastroenteritis gekennzeichnet. Der Tod tritt inner-halb von 24 h ein.

Bei chronischer Vergiftung kommt es zu Hyperpigmentierun-gen und Hyperkeratosen der Haut, multiplem Basaliom, Schleim-hautentzündungen und einer kanzerogenen Wirkung an Lungeund Leber mit einer Latenz von 15–20 Jahren. Charakteristisch sindweiterhin eine Polyneuropathie, diffuser Haarausfall sowie eineweiße Querstreifung der Nägel (Mees-Nagelbänder) (s. Abb. 4.2).

Therapie: Als Antidot steht DMPS zur Verfügung.

11.11.12 Weitere Metalle und Halbmetalle

Eisen: Eisenvergiftungen sind relativ selten. Anfangs kommt eszu einer hämorrhagischen Gastroenteritis und Schocksympto-

matik. Auf ein symptomarmes Intervall folgt in schweren Fällennach 12–48 h ein erneuter Schockzustand mit metabolischerAzidose, toxischem Leber- und Nierenversagen sowie Krämpfen,Bewusstseinsstörungen und Koma.

Die Therapie erfolgt symptomatisch. Als Antidot steht derKomplexbildner Desferoxamin i. v. zur Verfügung.

Gold: Gold zählt zu den Immunsuppressiva, sein Wirkmechanis-mus ist jedoch nicht geklärt. Studien deuten aber darauf hin, dasGoldverbindungen wie Auranofin und Aurothioglucose wahr-scheinlich das Anheften der Leukozyten an die Gefäßwand ver-hindern.

Aluminium: Aluminium ist Bestandteil des Antazidums Alumini-umhydroxid. Die Verbindungen aus mehrwertigen Metallionenbinden die Magensäure und neutralisieren sie. Bikarbonat-,Schleimsekretion und Prostaglandinsynthese werden stimuliert.

Wismut: Eine Intoxikation mit Wismut kann zu einer Enzepha-lopathie mit Gangstörungen, Verwirrtheitszuständen undKrämpfen führen.

PRÜFUNGSHIGHLIGHTS

Nachweis, Diagnostik und Symptome einer Vergiftung mit:– !!! Blei– !!! Quecksilber– ! Cadmium– ! Mangan– !! Thallium– ! Vanadium– !! Arsen (Arsin)

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11.12 Pharmazeutische Wirkstoffe undDrogen

11.12.1 Halothan

Bei Halothan (Trifluorchlorbromethan) handelt es sich um einenhalogenierten aliphatischen Kohlenwasserstoff. In den 50er-Jah-ren erstmalig eingesetzt, ist es eines der Inhalationsnarkotika,auf die sich die moderne Anästhesie gründet. Heute wird es inDeutschland als Inhalationsanästhetikum nicht mehr verwendet,da es zu lebensbedrohlichen Leberschäden führen kann (Halo-than-Hepatitis). Der MAK für Halothan liegt bei 40mg/m3.

11.12.2 K.-o.-Tropfen

DEFINITION K.-o.-Tropfen = date rape drugs; s. auch Rechtsmedi-zin (S.32) sind Stoffe, die schnell zur Bewusstseinstrübung oderWillenlosigkeit führen, meist einen nur geringen Eigengeschmackbesitzen und daher verdeckt (z. B. in einem Getränk) verabreichtwerden können. Sie führen häufig zu einer mehrstündigen antero-graden Amnesie.

LERNPAKET 3

11.12 Pharmazeutische Wirkstoffe und Drogen 95

LERNPAKET3

aus: Ebner u.a., Endspurt Klinik – Rechtsmedizin, Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Toxikologie – Skript 19 (ISBN 9783131745316) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

Typische Wirkstoffe sind derzeit:

GHB und GBL: γ-Hydroxybutyrat (GHB) bzw. seine Vorläufersub-stanz γ-Butyrolacton (GBL) stellen die „klassischen“ K.-o.-Tropfendar. GHB ist auch unter dem Begriff „Liquid Ecstasy“ bekannt, ob-wohl es strukturell nicht mit MDMA, dem Ecstasy-Wirkstoff(Tab. 11.18), verwandt ist. Im Gegensatz zu GHB ist GBL als Löse-mittel für Lacke und Farben frei verkäuflich. Es wird im Körperzu GHB, dem eigentlichen Wirkstoff, metabolisiert. In niedrigerDosierung wirkt GHB berauschend und enthemmend, hoch do-siert narkotisch. In Kombination mit Alkohol besteht auch beiniedriger Dosis die Gefahr der Atemlähmung. Die Wirkung trittnach ca. 15min ein und hält i. d. R. 4–6 h an. GHB ist eng ver-wandt mit dem Neurotransmitter GABA, weshalb es eine sehrkurze Eliminationszeit hat. Der toxikologische Nachweis gestal-tete sich deshalb als schwierig – die Geschädigten erwachen zu-dem erst Stunden nach der Einnahme. In Getränken können GHBund GBL durch Fouriertransformations-Infrarotspektroskopie(FTIR) nachgewiesen werden.

LERNTIPP

Eine Frage zu K.-o.-Tropfen könnte so aussehen: Jasmin wachtschlagartig um 8 Uhr in der Wohnung eines ihr nahezu unbekann-ten Mannes auf, den sie auf der Party von letzter Nacht kennen-gerlernt hat. Er spendierte ihr alkoholische Mixgetränke, sie unter-hielten sich. Was nach dem dritten Glas, das sie gegen zwei Uhrtrank geschah, weiß sie nicht mehr. Sie hat Kopfschmerzen, ihr istübel und schwindelig. Die Strumpfhose, die sie anhatte, fehlt undauch ihr BH sitzt falsch. An den Oberarmen entdeckt sie zudemblaue Flecken und angetrocknetes Sekret an ihren Innenschen-keln. Sie vermutet mit K.-o.-Tropfen ruhiggestellt und vergewaltigtworden zu sein, und begibt sich in ein Krankenhaus. Der toxikolo-gisch-analytische Nachweis der GHB-Zufuhr gestaltet sich aber alsschwierig.

Kurzzeit-Benzodiazepine: Ebenfalls als K.-o.-Tropfen eingesetztwird das Benzodiazepin Flunitrazepam, mit einer Halbwertszeitvon 10–30 h. In der Party- und Drogenszene sind Zubereitungenmit diesem Wirkstoff meist unter der Bezeichnung „Flunis“ oderwegen des Handelsnamens Rohypnol als „Rohpies“ oder „Roo-fies“ im Umlauf. Um dem Missbrauch als K.-o.-Tropfen vorzubeu-gen, sind die Flunitrazepam-Tabletten heute meist mit einemblauen Farbstoff kombiniert, sodass es zu einer Verfärbung desGetränkes kommt.

Ketamin: Das eigentlich – hauptsächlich in der Veterinärmedizin– als i. v.-Kurzzeitnarkotikum verwendete Ketamin wird in derNotfallmedizin auch als Schmerzmittel eingesetzt. In der Party-und Drogenszene wird es als „Special K“ gehandelt und im Fallvon K.-o.-Tropfen oral aufgenommen. Die Wirkung tritt nach ca.20min ein und hält je nach Dosierung 30min bis 3 h an. In nied-riger Dosis hat Ketamin eine anregende Wirkung, in hoher Do-sierung führt es zu einemwachtraumartigen Zustand.

11.12.3 Drogen

Die Wirkstoffe und Wirkungen gängiger „Straßendrogen“ sindin Tab. 11.18 zusammengefasst. Zu den Obduktionsbefundens. Rechtsmedizin (S.33) und zu Drogen im StraßenverkehrRechtsmedizin (S.37). Zu Pilzgiften (S.97).

Zu den neuen, bisher wenig erforschten Drogen gehören die sogenanntenLegal Highs oder Designerdrogen, die in Form scheinbar harmloser

Kräutermischungen, Lufterfrischer oder Badesalze im Internet erworbenund als Rauschmittel in Umlauf gebracht werden. Die darin enthaltenenunbekannten Betäubungsmittel sind schwer dosierbar, was sie besondersgefährlich macht und bei den Konsumenten zu lebensbedrohlichen Intoxi-kationen mit Kreislaufversagen, Ohnmacht, Wahnvorstellungen oder Nie-renversagen führt. Die Struktur der Betäubungsmittel ist entweder neuoder ähneln anderen, bereits bekannten Stoffen, die allerdings chemischso abgewandelt sind, dass sie nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fal-len. Seit 2009 bzw. 2010 unterliegen „Spice“ und andere synthetischeCannabinoide dem BtMG und sind damit nicht mehr legal. (Quelle: Dro-gen- und Suchtbericht der Bundesregierung, 2011)

11.13 Pflanzliche und tierische Giftstoffe

11.13.1 Pflanzengifte (Alkaloide)

Atropin und Scopolamin: Sie kommen in Nachtschattengewäch-sen vor, u. a. in Engelstrompete, Tollkirsche und Stechapfel. Da inden Pflanzen beide Alkaloide enthalten sind, kommt es meist zuMischintoxikationen. Atropin wirkt halluzinogen. Scopolamin istlipophiler als Atropin und daher besser ZNS-gängig. Es wirktdämpfend mit euphorisierender Komponente und führt in höhe-rer Dosierung zu Verwirrung und Gedächtnisverlust. Die Blütender Engelstrompete werden gelegentlich absichtlich konsumiert,um einen LSD-ähnlichen Rausch hervorzurufen. In der Medizinfinden Atropin und Scopolamin Verwendung als Parasympatho-lytika. Diese tertiären Amine wirken als kompetitive Antagonis-ten an muskarinergen Cholinozeptoren und werden z. B. bei bra-dykarder Herzrhythmusstörung eingesetzt. Die Diagnose kannüber Anamnese und die typischen parasympatholytischen Effek-te gestellt werden, als Antidot wirkt Physostigmin.

Strychnin: Das Alkaloid der Brechnusssamen und der Ignatius-bohne wurde früher als Kräftigungs- oder Stärkungsmittel ver-wendet. Bei Strychnin handelt es sich um einen kompetitivenGlycin-Antagonist, dessen Wirkung etwa 5min nach oraler Auf-nahme eintritt. Es kommt zu Nackensteifigkeit mit generalisier-ten Krampfanfällen (gesteigerter Extensorentonus) schon bei ge-ringsten Reizen. Wegen zerebraler Hypoxie und Spasmen derAtemmuskulatur kommt es zu Bewusstlosigkeit. Es folgen Rhab-domyolyse und Laktatazidose mit akutem Nierenversagen. Wennder Patient die ersten 5 h überlebt, ist die Prognose günstig. VorAuftreten der ersten Krämpfe kann eine Bindung des Toxinsdurch die Gabe von Aktivkohle versucht werden. Die Therapieerfolgt symptomatisch.

Nikotin: Hierbei handelt es sich um das Alkaloid der Tabakpflan-ze. Der NN-Cholinozeptor-Agonist wirkt in autonomen Ganglien,im ZNS und im Nebennierenmark. Am Herz-Kreislauf-System be-wirkt Nikotin eine Vasokonstriktion und Herzfrequenzzunahme.Die Reinsubstanz wird sowohl über die Haut als auch über dieSchleimhaut resorbiert, ist aber in Deutschland nur selten ver-fügbar. Die meisten Intoxikationen mit Nikotin erfolgen über dieorale Aufnahme von Tabak, Zigarettenkippen, Nikotinkaugummisetc. Insbesondere Kinder sind gefährdet. Die letale Dosis wird beioraler Aufnahme ab 50mg erreicht (ca. 5 Zigaretten), bei Kindernist sie geringer. Die Symptome einer leichten Vergiftung (Erbre-chen, Unruhe, Hypersalivation und Tachykardie) klingen inner-halb weniger Stunden von selbst ab. Nach Aufnahme größererMengen besteht die Gefahr von Hypotonie, Krampfanfällen, Ko-ma und Atemdepression. Eine Therapie (Gabe von Aktivkohleund symptomorientierte Medikation) ist nur in wenigen Fällenangezeigt. Zur Gefährdung durch Zigarettenrauch (S.75).

96 Klinische Umweltmedizin und Toxikologie | 11 Auswahl spezieller Umweltnoxen und ihre Toxikologie

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11.13.2 Pilzgifte

Halluzinogene: Pilze gehören zu den ältesten den Menschen be-kannten halluzinogenen Drogen. Häufig konsumiert wird derFliegenpilz. Bei falscher Zubereitung führt er zu starken Vergif-tungserscheinungen, richtig zubereitet und dosiert darf er durch-aus als halluzinogene Droge gelten. Typische Wirkungen sind:▪Muscimol (Fliegenpilz, Pantherpilz): Nach ca. 2 h kommt es zu

Sekretionssteigerung, Ataxie, Psychosen, dann Erregungs-zustand mit Halluzinationen, Kreislaufversagen.

▪Muscarin (Risspilz, Fliegenpilz): Wirkt über Dauererregungder parasympathischen Zielorgane, nach 1–2 h Sekretionsstei-gerung, dann Gastroenteritis, Sehstörungen, Bradykardie,Bronchospasmus mit Atemnot. Der Verzehr von ca. 50 g dieserPilze ist tödlich.

▪ Psilocybin (Spitzkegeliger Kahlkopf): kann toxische Psychosenähnlich wie bei LSD auslösen.

▪Mutterkornalkaloide (Claviceps purpurea): Symptome einerIntoxikation sind Halluzinationen, Darmkrämpfe, Durchblu-tungsstörungen, die bis zum Absterben der Finger führen kön-nen.

Amatoxine: Sie sind Inhaltsstoff der in Deutschland mit Abstandgiftigsten Pilze, der Knollenblätterpilze. Diese enthalten nebenden Amatoxinen noch die weniger giftigen Phallotoxine. Die Sub-stanzen sind hitzestabil und werden deswegen beim Kochennicht zerstört.

Gesundheitsgefährdung: Amatoxine inhibieren die DNA-abhän-gige RNA-Polymerase und blockieren so die RNA-Synthese. Folgeist eine Inhibierung der Proteinsynthese, v. a. in Leber und Niere.

Klinik: Die ersten Symptome treten oft erst nach 12–24 h aufund äußern sich mit Erbrechen, Diarrhö, Bauchkrämpfen undSchocksymptomatik. Wenn es nicht gleich zum Tod kommt, folgtein beschwerdefreies Intervall, auf das nach 4–7 Tagen die hepa-torenale Phase mit Leberschwellung, Ikterus, Leberzellnekrose,Hämorrhagien, ZNS-Störungen und renalen Tubulusnekrosenfolgt. Der Tod tritt durch Urämie oder Leberausfallkoma (Phalloi-des-Syndrom) ein.

Therapie: Sie muss frühzeitig beginnen. Zur Verhinderung derGiftresorption sollten eine Magenspülung und die Gabe von Ak-tivkohle erfolgen. Das aus den Früchten der Mariendistel gewon-

Tab. 11.18 Gängige Drogen und ihre Wirkung1

Opiate Kokain Cannabis Halluzinogene Amphetamine

Wirkstoff Morphin Benzoylecgonin THC (Tetrahydrocanna-binol)

LSD (Lysergsäurediethyl-amid)

MDMA2 und MDA3

Beispiele Opium, Codein, He-roin, Methadon

Kokainhydrochlo-rid, Crack (Kokain-base)

Marihuana bzw. Ha-schisch

– Ecstasy (MDMA),Mephedron (4-MMC) – Badesalze

Aussehen/„Straßen-form“

grau-bräunlichesPulver (Heroin)

weißes, kristallinesPulver

getrocknete Pflanzebzw. bräunlich-harzigesPlättchen

Tabletten, Löschpapier weißes Pulver,Tabletten

Applikationsart Schnupfen, Injektion Schnupfen, Injekti-on, Inhalation

Rauchen, selten oral oral oral, selten Injek-tion

Nachweiszeitraum (auchfür Metaboliten)

▪ Blut: < 24 h▪ Urin: < 3 d▪ im Haar: Monate

▪ Blut: < 24 h▪ Urin: < 8 d▪ im Haar: Monate

▪ Blut: 4–8 h▪ Urin: Wochen▪ im Haar: Monate

▪ Blut: sehr kurz▪ Urin: < 5 d▪ im Haar: Monate

▪ Blut: < 24 h▪ Urin: < 2 d▪ im Haar: Monate

gewünschte Wirkung Euphoriegefühl, psy-chische und physi-sche Schmerzfrei-heit, Vermeidungdes Entzugssyn-droms

intellektuelle Eu-phorie, verstärktesSelbstwert-, Omni-potenzgefühl, An-triebssteigerung

sedative Wirkung mitverändertem opti-schem und akus-tischem Erleben,Realitätsfilter

Veränderungen vonRaum-, Zeit- und Körper-wahrnehmung

Antriebssteige-rung, geänderteStimmung undGefühlserleben(MDMA)

toxische Risiken beiÜberdosierung

Bewusstseinsverlust,Atemlähmung, Tod

Krampfanfälle,Atemlähmung,Herzstillstand, Tod

akute Psychosen, nichtdirekt lebensbedrohlich

indirekte Risiken durchSituationsverkennung,Horrortrip

Hyperthermie,Krampfanfälle, Tod

Befunde beim Lebenden enge Pupillen, hei-sere Stimme, Atem-depression

relativ weite Pupil-len, Puls- und RR-Erhöhung

gerötete Augen, My-driasis, Lichtscheu

weite Pupillen, Speichel-und Tränenfluss

evtl. Körperzittern

Abhängigkeitspotenzial hoch, rasche psy-chische und physi-sche Abhängigkeit

hoch, sehr raschepsychische Abhän-gigkeit und Abs-tinenz-Syndrome

mittelgradig, psy-chische Abhängigkeit

mittelgradig, psychischeAbhängigkeit

hoch, psychischeAbhängigkeit

Toleranzentwicklung ja ja gering gering/keine ja1 aus: Zimmer, Prüfungsvorbereitung Rechtsmedizin. Thieme 2009.2 3,4-Methylendioxymethamphetamin, 3 3,4-Methylendioxyamphetamin

11.13 Pflanzliche und tierische Giftstoffe 97

LERNPAKET3

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nene Flavonoid Silibinin kann die Aufnahme der Amatoxine indie Leber hemmen. Ansonsten ist nur eine symptomatische The-rapie möglich. Knollenblätterpilzvergiftungen verlaufen meisttödlich.

Es gibt noch zwei weitere Pilzspezies, die zwar keine Knollenblätterpilzesind, aber dennoch Amatoxine in giftigen Mengen beinhalten: der Nadel-holz- oder Gifthäubling (Galerina marginata) und der fleischrosa Schirm-ling (Lepiota subincarnata).

11.13.3 Tierische Gifte

Hautflüglergifte: Die Gifte von Wespen, Hornissen, Ameisen,Bienen oder Hummeln enthalten je nach Art biogene Amine(Histamin, Serotonin), Polypeptide (Melittin, Apamin) und Enzy-me (Hyaluronidase, Phospholipase). Die Toxizität eines Stiches istfür den Erwachsenen gering. Bei einer Allergie kann allerdingsauch ein einzelner Stich zu allergischen Reaktionen bis hin zumanaphylaktischen Schock führen.

Schlangengifte: In Deutschland kommen ernsthafte Vergiftun-gen durch die Bisse freilebender Schlangen kaum vor. Einzige gif-tige Art ist die Kreuzotter (Vipera berus), nach deren Biss mitÖdem, Lymphangitis und Hämatomen zunächst lokale Sympto-me im Vordergrund stehen. Später können sich Kopfschmerzen,Schwindel, Übelkeit und Tachykardie bis hin zum Kreislaufkol-laps entwickeln. Pro Biss wird nur eine geringe Toxinmenge frei-gesetzt.

Die Symptomatik bei einem Schlangenbiss generell ist abhän-gig von der Giftzusammensetzung (Neuro-, Kardio-, Hämotoxinesowie verschiedene Enzyme). Bei bedrohlicher Vergiftung ist in-nerhalb der ersten Stunde eine Symptomatik zu erwarten. Zuden Symptomen gehören Lähmungen, Schmerzen, Schwellung,Nekrose, Schock. Die Therapie erfolgt v. a. symptomatisch. Eskann versucht werden, die Giftresorption zu vermindern (Immo-bilisation und Schienung der gebissenen Extremität). Wenn mög-lich sollte die Schlangenart bestimmt werden. Für einige Schlan-gengifte stehen Antiseren zur Verfügung.

11.14 Säuren und LaugenGesundheitsgefährdung: Verätzungen durch Säuren und Laugenführen zu lokalen Schädigungen in Mund, Rachen, Speiseröhreund Magen. Dabei führen Säuren zu einer Koagulationsnekrose.Durch Proteindenaturierung wandelt sich das abgestorbene Ge-webe in eine gelblich trockene Masse um. Die Gewebestrukturbleibt weitestgehend erhalten. Laugen führen zu einer Kolliquati-onsnekrose, die sich durch das Anschwellen der Zellen zu Beginnund im weiteren Verlauf durch rasches Auflösen auszeichnet. Dasnekrotische Gewebe nimmt eine matschig-schmierige Konsistenzan, im Verlauf verflüssigt sich die Nekrose, Gewebedefekte ent-wickeln sich.

Klinik: Akute Symptome nach oraler Aufnahme sind u. a. starkeSchmerzen und Erbrechen. Je nach Schwere der lokalen Ver-ätzung kann es zu Infektionen und Strikturen kommen. Die Schä-den durch Laugen sind meist schwerwiegender als die durchSäuren.

Nach der Resorption von Säuren bleibt aufgrund der Puffer-systeme der Blut-pH bei verstärkter Atmung zunächst konstant(kompensierte Azidose), erst bei Erschöpfung des Bikarbonatpuf-fers kommt es zu einer Azidose (Kußmaul-Atmung, Blutdruck-abfall).

Therapie: Bei lokaler Schädigung erfolgt eine symptomatischeTherapie. Hautverätzungen sollten primär mit reichlich Wassergespült werden. Neutralisationsversuche werden mittlerweilekontrovers diskutiert (bei Säureverätzungen kommen Natrium-hydroxid- oder Natriumhydrogencarbonatlösung, bei Laugenver-ätzungen verdünnte Essigsäure oder Ammoniumchloridlösunginfrage). Kontaminierte Kleidung muss entfernt werden! Bei ora-ler Säureaufnahme wird eine Neutralisation mit Magnesiumoxidp. o. und Alkali i. v. versucht. Bei Laugen steht therapeutisch dievermehrte Zufuhr von Wasser im Vordergrund.

Toxizität

SehstörungSekretions-steigerungder Drüsen

Ataxie

Muskel-krämpfe

toxischePsychose

Halluzi-nationen

Koma

Sehstörung

Schweiß-syndrom

Broncho-spasmus

Atemnot

Gastro-enteritis

Brady-kardie

Kreislauf-insuf-

fizienz

Tachykardie

Erhöhungdes Blut-drucks

Dysphorie

farbige Bilder

Pilzspezies

B. Fliegenpilz (Amanita muscaria)

C. Risspilze (Inocybe geophylla)

A. Knollenblätterpilz (Amanita halloides)

D. Spitzkegeliger Kahl- kopf (Psilocybe pellgulosa)

Zeit-Raum-Dehnung Euphorie

optische und akustischeHalluzinationen

farbige BBilder

Abb. 11.8 Halluzinogene Pilze. Knollenblätterpilz (a), Fliegenpilz (b),Risspilz (c) und der spitzkeglige Kahlkopf (d). [Knollenblätterpilz: ©SakalisTassos-flickr.com, Risspilz: ©EttoreBalocchi-flickr.com, SpitzkegeligerKahlkopf: ©Scott Darbey-flickr.com, Fliegenpilz: ©DoraZett; aus Reichl,Taschenatlas der Toxikologie, Thieme, 2002]

98 Klinische Umweltmedizin und Toxikologie | 11 Auswahl spezieller Umweltnoxen und ihre Toxikologie

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PRAXIS Das Auslösen von Erbrechen und eine Magenspülung sindkontraindiziert.

11.15 Weitere arbeits- und umweltmedi-zinisch relevante Verbindungen

11.15.1 Dioxin

DEFINITION Dioxin ist eine Sammelbezeichnung für chemisch ähn-lich aufgebaute chlorhaltige Dioxine und Furane.

Insgesamt besteht die Gruppe der Dioxine aus 75 polychloriertenDibenzo-para-Dioxinen (PCDD) und 135 polychlorierten Diben-zofuranen (PCDF). Dioxine liegen immer als Gemische von Ein-zelverbindungen (Kongenere) mit unterschiedlicher Zusammen-setzung vor. Das toxischste Dioxin ist das 2,3,7,8-Tetrachlor-Di-benzo-p-Dioxin (2,3,7,8-TCDD; Abb. 11.9), das auch – nachdemes bei dem Chemieunfall in Seveso im Juli 1976 die Umwelt kon-taminierte – als „Seveso-Gift“ bezeichnet wird.

Seveso-Unglück: Im Jahr 1976 kam es in einer italienischen Chemiefabrikin Medna (Nachbargemeinde von Seveso) zu einer Explosion, bei der dasgiftige Dioxin TCDD freigesetzt wurde. Bis heute sind keine genauen To-deszahlen bekannt, aber es wurde bei der dortigen Bevölkerung ein statis-tisch signifikanter Anstieg mehrerer Krebsarten beobachtet.

Ende 2010 kam Dioxin einmal mehr in die Schlagzeilen: In Niedersach-sen wurde dioxinbelastetes Hühnerfutter in den Verkehr gebracht, bei des-sen Herstellung mit Dioxin verunreinigte Fette verwendet wurden. Diesewaren Nebenprodukte einer Biodieselraffinerie und eigentlich nicht für dieVerwendung in Futtermitteln vorgesehen. In einigen Eiern der betroffenenBetriebe lagen die Dioxinwerte mehr als das Doppelte über den EU-Grenz-werten. Zum Zeitpunkt der Bekanntwerdung waren bereits Eier in denHandel gelangt und verzehrt worden.

Vorkommen und Gesundheitsgefährdung: Dioxine entstehenbei allen Verbrennungsprozessen in Anwesenheit von Chlor undorganischem Kohlenstoff bei höheren Temperaturen. Für denEintrag in die Luft waren früher Metallgewinnung und die Abfall-verbrennungsanlagen die wichtigsten Quellen. Heute sind ther-mische Prozesse der Metallgewinnung und -verarbeitung (Asche,Schlacke, Klärschlamm) und Kleinquellen in den Vordergrundder Dioxinemissionen getreten.

Obwohl Dioxine nie im industriellen Maßstab produziertwurden, sind sie in der Umwelt verbreitet und haben sich im Bo-

den angereichert. Dorthin gelangt das Dioxin hauptsächlich überdie Luft, aber auch über die Bewirtschaftung, z. B. über die Dün-gung mit Klärschlamm oder anderen Sekundärrohstoffdüngern.Eine wichtige Quelle für lokale Dioxinkonzentrationen kann auchdas unkontrollierte Verbrennen von lackiertem oder behandel-tem Holz oder anderen Abfällen sein.

Der Mensch nimmt 90–95% der Dioxine über die Nahrungauf. Nahezu ⅔ dieser Aufnahme erfolgt über den Verzehr vonFleisch und Milchprodukten. Auch Fische sind – je nach Fett-gehalt – vergleichsweise hoch mit Dioxinen belastet. Tiere undMenschen speichern die Dioxine über einen langen Zeitraum imFettgewebe und reichern sie dort an. Die Halbwertszeit von2,3,7,8-TCDD beträgt im Körperfett des Menschen etwa 7 Jahre,das sich am langsamsten abbauende 2,3,4,7,8-Pentachlordiben-zofuran ist erst nach knapp 20 Jahren zur Hälfte eliminiert.

Als Indikator für die Belastung des Menschen mit Dioxinengilt Frauenmilch. Sie ist sehr fettreich und eignet sich daher sehrgut dazu, die Rückstände von Dioxinen im menschlichen Fett-gewebe anzuzeigen. Langjährige Untersuchungsreihen haben ge-zeigt, dass sich der Erfolg der getroffenen Reduzierungsmaßnah-men auch in der Frauenmilch widerspiegelt. Der Dioxingehaltvon Frauenmilch in Deutschland ist seit Ende der 80er-Jahre um60% zurückgegangen.

Grenzwerte: Die toxische Wirkung der verschiedenen Dioxinewird als Toxizitätsäquivalent (TEQ) ausgedrückt. Dieses bezeich-net das Verhältnis der toxischen Wirkung des jeweiligen Dioxinszu derjenigen von 2,3,7,8-TCDD (Dibenzofuran, Abb. 11.9).

Die Grenzwerte für Dioxine in der Umwelt sind in unter-schiedlichen Gesetzen und Verordnungen geregelt (z. B. Bundes-immissionsschutz-VO, Gesetz zum Verbot vor gefährlichen Stof-fen, Bundes-Bodenschutzgesetz). Darin sind u. a. folgende Wertegenannt:▪ Grenzwert für Dioxin im Abgas: 0,1 ng TEQ/Nm³ (TA Luft)▪ Richtwerte für Böden:

– Kinderspielflächen 100ng TEQ/kg TM– Wohngebiete und Parks 1000ng TEQ/kg TM– Industrie- und Gewerbegrundstücke 10 000ng TEQ/kg TM.

Auch die Grenzwerte für Futter- und Lebensmittel sind in ver-schiedenen Richtlinien und Verordnungen festgelegt, z. B. in derVerordnung (EG) Nr. 1881/2006 (Tab. 11.19).

2,3,7,8-TCDD ist bereits in kleinsten Mengen extrem giftig.Die LD50 bei der Ratte beträgt 10–340µg/kg KG, beim Rhesus-affen 70µg/kg KG.

a

b

2, 3, 7, 8 Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin (2, 3, 7, 8 TCDD)

2, 3, 7, 8 Tetrachlor-Dibenzofuran (2, 3, 7, 8 TCDF)

Cl

Cl

Cl

Cl

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O

Cl

Cl

Cl

ClO

Abb. 11.9 Dioxin und Dibenzofuran.

Tab. 11.19 Beispiele für Dioxingrenzwerte in Nahrungsmitteln nach derVerordnung (EG) Nr. 1881/2006

Lebens-mittel

Summe ausDioxinen

Summe aus Dioxinen unddioxinähnlichen PCB

Rindfleisch 3,0 pg/g Fett 4,5 pg/g Fett

Geflügel-fleisch

2,0 pg/g Fett 4,0 pg/g Fett

Schweine-fleisch

1,0 pg/g Fett 1,5 pg/g Fett

Fisch 4,0 pg/g Frisch-gewicht

8,0 pg/g Frischgewicht

Rohmilch 3,0 pg/g Fett 6,0 pg/g Fett

Hühnerei 3,0 pg/g Fett 6,0 pg/g Fett

11.15 Weitere arbeits- und umweltmedizinisch relevante Verbindungen 99

LERNPAKET3

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Klinik: Dioxine können zur Chlorakne (Perna-Krankheit), aberauch zu systemischen Schädigungen wie toxischen Leberzell-schädigungen und toxischen Polyneuritiden führen. MehrereKrebsarten sowie Krebserkrankungen insgesamt wurden mit derunfallbedingten Dioxin-Exposition sowie der Exposition am Ar-beitsplatz (überwiegend TCDD) in Zusammenhang gebracht. Fer-ner wurden über eine erhöhte Prävalenz von Diabetes und eineerhöhte Sterblichkeit aufgrund von Diabetes und kardiovaskulä-ren Erkrankungen berichtet. Dioxine haben im Körper eine Halb-wertszeit von 7–10 Jahren. Spezielle Wirkungen auf Immunsys-tem und auf die Reproduktion treten im Tiermodell bei Dosenauf, die mit der aktuellen Belastung des Menschen vergleichbarsind.

Diagnostik: Dioxin-Konzentrationen im Vollblut, Plasma, Serum,Fettgewebe und in der Muttermilch.

Therapie und Prävention: Eine spezifische Therapie ist nicht be-kannt. Individuell kann die Dioxin-Aufnahmemenge durch ge-zielte Ernährung mit Reduktion bzw. Verzicht auf tierische Fettegemindert werden. Allgemein müssen die Dioxinbelastungendes Menschen und der Umwelt weiter gesenkt werden. Hierzubedarf es einer u. a. einer verstärkten Futtermittelkontrolle, so-dass eine Kontamination möglichst gering gehalten wird (Di-oxinskandale in Futtermittel). Strategien zur Verringerung desVorkommens von Dioxinen und PCB in der Umwelt liegen vor.

11.15.2 Anorganische Phosphorverbindungen

Zu den wichtigsten anorganischen Phosphorverbindungen gehö-ren Phosphoroxychlorid, Phosphortrichlorid und Phosphorwas-serstoff. Es handelt sich um rauchende Flüssigkeiten, die bei Kon-takt mit Wasser toxische, ätzende Dämpfe bilden. Es besteht Ex-plosions- und Brandgefahr.

Vorkommen: Die Phosphorverbindungen dienen als Grundche-mikalien in der chemischen Industrie (z. B. als Ausgangssubstanzfür Weichmacher, Flammschutzmittel, Kraftstoffadditive, Hy-drauliköle, Pharmazeutika, Pflanzenschutzmittel und Insektizi-de). Darüber hinaus finden sie Verwendung in der Pyrotechnikund bei der Waffenherstellung (C-Waffen).

Grenzwerte: Der AGW ist abhängig von der jeweiligen Verbin-dung:▪ Phosphorooxychlorid: 1,3mg/m3

▪ Phosphortrichlorid: 2,8mg/m3

▪ Phosphorwasserstoff: 0,14mg/m3

Klinik: Wichtigste Symptome sind Schleimhautreizungen an Au-gen und Atemwegen, in schwersten Fällen kommt es zu einemtoxischen Lungenödem. Weiterhin können gastrointestinale Be-schwerden und schwere Leberschäden bis zur Leberzirrhose auf-treten.

Diagnostik: Die Kurzdiagnostik umfasst die Phosphorlumines-zenz von Urin und Erbrochenem.

11.15.3 Fluorverbindungen

Vorkommen: Flusssäure, die wässrige Lösung von Fluorwasser-stoff, wird industriell vorwiegend verwendet zum Ätzen vonGlas- und Metall, Beizen von Edelstahl, zur Galvanisierung undzur Herstellung anderer Fluorverbindungen. Natriumhexafluo-roaluminat (Kryolith) dient als Flussmittel in der Aluminiumver-hüttung, als Schleifmittel und als Substanz in der Gießereiindus-

trie. In der Umgebung solcher Betriebe kann durch Emissionenevtl. ein erhöhter Fluoridgehalt im Boden auftreten. Fluorverbin-dungen werden auch zum Holzschutz, in Laboren, in der Schäd-lingsbekämpfung und im Straßenbau (Dichten von Zement) ein-gesetzt.

Grenzwerte: Der AGW für Fluorwasserstoffsäure liegt bei0,83mg/m3.

Klinik: Alle Fluorverbindungen verursachen prinzipiell die glei-chen Schäden, wobei bei Flusssäure durch Verspritzen (inhalativeund perkutane Aufnahme) meist akute Vergiftungen verursachtwerden, während der Umgang mit Kryolith eher chronische Into-xikationen nach sich zieht (sofern keine Flusssäuredämpfe auf-treten).

Akute Intoxikation: Durch die lokale Ätzwirkung kommt es zu-nächst zu einer Kolliquationsnekrose. Nach Resorption über dieWundfläche bindet Fluor an Mg- und Ca-Ionen und verursachtso u. a. durch Enzymhemmung lebensbedrohliche Stoffwechsel-störungen. Zudem kommt es zu Leber- und Nierenschäden, beiInhalation auch zu einem toxischen Lungenödem.

Chronische Intoxikation: Bei langfristiger Exposition könnenStörungen des Mineralhaushaltes auftreten, die rheumatoide Be-schwerden, eine Osteosklerose (Skelettfluorose primär an Wir-belsäule, Becken und Rippen) und die Verknöcherungen vonBand- und Sehnenansätzen nach sich ziehen.

Die Überdosierung löslicher Fluoride (Salze der Flusssäure),wie sie z. B. bei Supplementierung mit Tabletten (veraltete Formder Kariesprophylaxe) oder mit Fluor angereichertem Trinkwas-ser auftreten kann, führt bei Kindern in der Phase der Schmelzbil-dung (0 bis ca. 7 Jahre) zur Zahnfluorose mit Schmelzverände-rungen (Fleckung) und in hochgradigen Fällen auch zu Zahn-anomalien.

LERNTIPP

Die Skelettfluorose ist eine beliebte Prüfungsfrage für eine Berufs-krankheit: Ein Patient leidet unter diffusen Schmerzen und fühltsich unbeweglich. Er arbeitet seit 40 Jahren in einer Fabrik, dieaus Kryolith Aluminium gewinnt. Das Röntgenbild macht eine dif-fuse Sklerosierung der Wirbelkörper sichtbar. Zusätzlich ist die tra-bekuläre Knochenstruktur verwischt.

Diagnostik: Fluorid im Urin.

11.15.4 Aromatische Amine

Vorkommen: Anilin wird in der Chemieindustrie zur Herstel-lung von Polyurethanen, Gummichemikalien (Vulkanisations-beschleuniger, Alterungsschutz), Farben, pharmazeutischenWirkstoffen und Bioziden eingesetzt. Die aromatischen Amine β-Naphthylamin, Benzidin und Xenylamin werden aufgrund ihrerim Vergleich zu Anilin noch stärkeren Toxizität kaum noch ver-wendet. Allerdings treten auch heute noch Spätschäden bei ehe-mals in der Farbstoffherstellung Beschäftigten auf. AromatischeAmine sind auch im Zigarettenrauch enthalten.

Grenzwerte: Der AGW für Anilin liegt bei 7,7mg/m3. Als Refe-renzwert gilt:▪ Urin: 14,5 µg/L

100 Klinische Umweltmedizin und Toxikologie | 11 Auswahl spezieller Umweltnoxen und ihre Toxikologie

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Klinik: Aromatische Amine können oral, inhalativ oder perkutanaufgenommen werden. Ihr Abbau erfolgt über die toxischen Me-taboliten Phenylhydroxalamin und Nitrosobenzol. Ein zur Toxin-aufnahme zeitnaher Alkoholgenuss steigert die Giftwirkung.

Als akute Folgen der Intoxikation kommt es zu einer durchdie toxischen Metaboliten verusachten Methämoglobinbildungund zur Zyanose (S.88). Zusätzlich kann eine akute Blasenrei-zung und Harnwegsentzündung auftreten.

Aufgrund der langen Verweildauer der Substanzen im Uroge-nitalsystem kann es zu Spätschäden kommen. Hier kommen inerster Linie Neoplasien der Harnblase (Urothelkarzinom, „Anilin-krebs“) infrage, die u. a. mit einer Makrohämaturie einhergehenkönnen.

11.15.5 1,4-Benzochinon

Vorkommen: 1,4- oder p-Benzochinon entsteht als Zwischen-produkt bei der Hydrochinon-Herstellung. Dieses wird z. B. ein-gesetzt in der Farbstoffherstellung oder als Bestandteil von Ent-wicklungsbädern in der analogen Fotografie. Auch in manchenBleichcremes ist es enthalten (in dieser Anwendung in Deutsch-land verboten).

Grenzwerte: krebserzeugend Kategorie 3 (EG).

Klinik: Bei Inhalation kommt es zur Reizung der Atemwege, beiHautkontakt zur Blasenbildung mit nachfolgender Nekrose.

Da bei 1,4-Benzochinon schon Raumtemperatur (20 °C) zueiner Kontamination der Luft führen kann, stehen – insbesonde-re bei langfristigen Kontakt mit der Verbindung – Augenschädenim Vordergrund. Der Stoff wird über die Kornea resorbiert, wo-raufhin zunächst eine Reizung von Konjunktiven und Hornhautauftritt. Bei chronischer Exposition entstehen bräunliche Trü-bungen von Hornhaut und Konjunktiva, es kann zu Erosionenund Verformungen der Hornhaut (irregulärer Astigmatismus) bishin zum Visusverlust kommen. Bei wiederholtem Hautkontakttreten Dermatitiden auf.

Darüber hinaus steht Benzochinon im Verdacht, Leukämienauszulösen.

Diagnostik: Augenuntersuchung.

11.15.6 Salpetersäure

Salpetersäure ist ein Zwischenprodukt in der Düngemittel- undSprengstoffherstellung und dient verdünnt als Trennmittel fürGold von Silber („Scheidewasser“). Der AGW liegt bei 2,6mg/m3.

Ihre Schadwirkung entspricht mit Nekrosen und metabo-lischer Azidose den im Kap. Säuren und Laugen (S.98) beschrie-benen. Weiterhin können Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, Flush,Methämoglobinbildung, Hämolyse und Angina-pectoris-artigeBeschwerden auftreten. Nach Inhalation kommt es zu Atem-wegsreizungen, Bronchospasmus und Lungenödem. Eine längereExposition bei geringer Konzentration kann eine Gelbfärbungder Zähne verursachen.

11.15.7 Tetrachlormethan

Vorkommen: Die Organochlorverbindung Tetrachlormethan(Tetrachlorkohlenstoff) dient in der Chemieindustrie als Basis-und Zwischenprodukt für viele Verbindungen (Chlorkautschuk,FCKWs, Nylon). Sein Einsatz als Löse- oder Pflanzenschutzmittelist, genauso wie seine Verwendung in Kosmetika, aufgrund sei-ner Toxizität inzwischen in Deutschland verboten. Als Alternativ-substanz dient häufig Tetrachlorethen (S.77).

Grenzwerte:▪ AGW: 3,2mg/m3

▪ krebserzeugend Kategorie 3 (EG).

Klinik: Die meisten Intoxikationen erfolgen über eine inhalativeoder perorale Aufnahme. Es kommt zu Sehstörungen undRauschzuständen bis hin zu narkoseähnlichen Zuständen (ähn-lich Chloroform). Tetrachlormethan wirkt kardiotoxisch (Herz-rhythmusstörungen, Kammerflimmern), hepatotoxisch (Leber-schädigung bis Coma hepaticum) und nephrotoxisch (Nierenin-suffizienz bis hin zur Anurie). Im späten Stadium kommt es zuBlutungsneigung mit DIG. Außerdem wurden eine Pankreastoxi-zität und gastrointestinale Beschwerden beobachtet. ZeitnaherAlkoholgenuss steigert die toxische Wirkung.

PRÜFUNGSHIGHLIGHTS

– ! K.-o.-Tropfen (GHB und GBL)– !!! Fluorverbindungen– !!! Aromatische Amine

11.15 Weitere arbeits- und umweltmedizinisch relevante Verbindungen 101

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12 Wichtige Arbeitsschutzvorschriften

12.1 Bedeutsame medizinischeSachverhalte in Gesetzen

12.1.1 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)Synonym: Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andereFachkräfte für Arbeitssicherheit

Der Kerngedanke des ASiG ist die Prävention von Unfällen undKrankheiten im betrieblichen Arbeitsschutz. Es legt fest, dass derArbeitgeber nach gesetzlicher Maßgabe Betriebsärzte, Sicher-heitsingenieure und andere Fachkräfte zur Unterstützung bei Ar-beitsschutz und Unfallverhütung und zur Beratung der Arbeit-nehmer und Arbeitgeber bestellt. Dadurch soll gewährleistetwerden:▪ dass die Sicherheitsbestimmungen den Betriebsverhältnissen

entsprechend angewandt werden▪ dass fundierte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische

Erkenntnisse zur Sicherung und Unfallverhütung umgesetztwerden

▪ dass mit den eingeführten Maßnahmen angemessen hoheWirkungsgrade erzielt werden.

Das ASiG trat am 12. Dezember 1973 in Kraft. Die letzte Revisiondatiert vom 31. Oktober 2006.

12.1.2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Synonym: Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeits-schutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzesder Beschäftigten bei der Arbeit.

Das Gesetz dient seit 1996 der Umsetzung von EU-Richtlinien imArbeitsschutz. Ziel sind Sicherung und Verbesserung der Gesund-heit aller Beschäftigten einschließlich des öffentlichen Dienstesdurch Maßnahmen zum Arbeitsschutz. Im Vordergrund steht dieGefährdungsbeurteilung der jeweiligen Arbeitsbedingungen undweniger die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Arbeitnehmer.Dem Arbeitgeber obliegt es, seine Mitarbeiter regelmäßig zu un-terweisen und für die Erfüllung von an Mitarbeiter delegiertenPflichten zu sorgen. Die Arbeitsstättenverordnung oder die Be-triebssicherheitsverordnung sind auf der Ermächtigungsgrund-lange des ArbSchG erlassen worden.

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12.1.3 Chemikaliengesetz (ChemG)Synonym: Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen

Das ChemG regelt auf rechtlicher Basis den grundlegenden Um-gang mit gefährlichen Stoffen oder Stoffgemischen zum Schutzvon Mensch und Umwelt vor deren potenziell schädlicher Ein-wirkung. Dabei verpflichtet es zu sorgfältiger Prüfung und Ein-stufung, zu Kennzeichnung und Zubereitung sowie zu Verbotenund Restriktionen hinsichtlich dieser Stoffe. Sofern ein Stoff nichtin der Liste des ChemG enthalten ist, liegen keine ausreichendenStudiendaten vor. Für eine Aufnahme müssen vielfältige Testsund Prüfungen durchlaufen werden, um den Stoff entsprechendder o. g. Aspekte hinreichend einstufen zu können. GefährlicheStoffe gemäß dem ChemG können durch mindestens eine dernachstehenden 15 Eigenschaften Mensch oder Umwelt schädi-gen:

explosionsgefährlich – brandfördernd – hochentzündlich –

leichtentzündlich – entzündlich – sehr giftig – giftig – gesund-heitsschädlich – ätzend – reizend – sensibilisierend – krebs-erzeugend – fortpflanzungsgefährdend – erbgutverändernd.

Gefährliche Eigenschaften von ionisierender Strahlung sindausgenommen!

12.1.4 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz(GPSG)

Das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz regelt in Deutschland:▪ „das Inverkehrbringen und Ausstellen von Produkten, das

selbstständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Unterneh-mung erfolgt“, sowie

▪ „die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger An-lagen, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienenoder durch die Beschäftigte gefährdet werden können“.

Arbeits- und betriebsmedizinisch relevant ist die Betriebssicher-heitsverordnung (BetrSichV), in der wesentliche arbeitsschutz-rechtliche Aspekte für die Benutzung von Arbeitsmitteln undden Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen geregelt sind. DasGesetz trat am 3. Oktober 2002 in Kraft und setzte zum einen eu-ropäische Richtlinien in nationales Recht um, während gleichzei-tig nationale Einzelvorschriften wie die Druckbehälter- oder Auf-zugsverordnung in der neuen BetrSichV zusammengefasst wur-den.

Kernpunkte der Regelung sind für Arbeitsmittel und derenBenutzung:▪ eine einheitliche Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsmittel▪ sicherheitstechnische Bewertung für den Betrieb von über-

wachungsbedürftigen Anlagen▪ der aktuelle Stand technischer Kenntnisse als einheitlich gel-

tender Sicherheitsmaßstab▪ geeignete Schutzvorkehrungen und Prüfungen▪Mindestanforderungen für die Beschaffenheit von Arbeitsmit-

teln, soweit sie nicht durch europäische Harmonisierungs-richtlinien geregelt sind.

Als überwachungsbedürftige Anlagen, die standardmäßig vorInbetriebnahme sowie regelmäßig im Verlauf geprüft werdenmüssen, gelten z. B.:▪ Dampfkesselanlagen▪ Druckbehälteranlagen▪ Füllanlagen▪ Aufzugsanlagen▪ Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen

▪ Lageranlagen▪ Füllstellen▪ Tankstellen und Flugbetankungsanlagen▪ Entleerstellen.

12.1.5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG)

Das Gesetz regelt die Zahlung des Arbeitslohnes bei einer unver-schuldeten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im Krankheits-fall. So wird dem Arbeitnehmer über die Dauer von bis zu 6 Wo-chen eine Fortzahlung des Lohns in voller Höhe gewährt, soferner nicht beabsichtigt an einer Beeinträchtigung der Gesundheitleidet, die eine regelhafte Ausübung der erlernten Tätigkeit nichtermöglicht. Dabei steht nicht nur Vollbeschäftigten, sondernauch Teilzeitkräften eine Entgeltfortzahlung zu. Folgende Bedin-gungen sind an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geknüpft:▪ Das Arbeitsverhältnis muss seit mindestens 4 Wochen beste-

hen.▪ Der Arbeitnehmer muss arbeitsunfähig sein in Bezug auf seine

vertraglich bestimmte Tätigkeit.▪ Die Arbeitsunfähigkeit muss das Resultat einer Krankheit sein.▪ Der Arbeitnehmer darf die krankheitsbedingte Arbeitsunfähig-

keit nicht selbst verschuldet haben. Ein z. B. durch Trunkenheitam Steuer verursachter Unfall berechtigt nicht zu einer Lohn-fortzahlung, da hier der Arbeitnehmer die Schuld am Unfallträgt.

▪ Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit gelten ebenfalls nichtrechtswidrige Sterilisationen oder Schwangerschaftsabbrüche.

▪ Bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit, die auf demselbenGrundleiden basiert, hat der Arbeitnehmer erst wieder An-spruch auf Lohnfortzahlung, wenn er seit der letzten Erkran-kung 6 Monate ununterbrochen gearbeitet hat oder wenn zumZeitpunkt der neuen Erkrankung bereits ein Jahr seit dem letz-ten Fall der Lohnfortzahlung vergangen ist.

LERNTIPP

Die Entgeltfortzahlung ist ein beliebtes Prüfungsthema. In denFragen werden akute Erkrankungen (z. B. ein Infekt), aber auchberufsbedingte Krankheiten (z. B. Bäckerasthma) aufgeführt. Fo-kussieren Sie sich bei der Antwortfindung auf die oben genanntenBedingungen für eine Lohnfortzahlung und lassen Sie sich nichtdurch scheinbar wichtige Zusatzinformationen aus der Ruhe brin-gen.

PRAXIS Der Arbeitgeber zahlt den vollen Arbeitslohn bei einerKrankheit ab dem 1. Krankheitstag über eine Dauer von bis zu 6Wochen. Bei einer Arbeitsunfähigkeit von länger als 6 Wochen er-hält der Arbeitnehmer Krankengeld von der gesetzlichen Kranken-versicherung.

12.1.6 Sozialgesetzbuch (SGB) undReichsversicherungsordnung (RVO)

Allgemeines

Das Sozialgesetzbuch (SGB) ist die systematische Zusammenfas-sung des Sozialrechts der BRD und enthält in 12 Teilen (SGB I bisSGB XII) wesentlich die Regelungen der Sozialversicherung sowiedie nicht unter den Versicherungscharakter fallenden Teile des

12.1 Bedeutsame medizinische Sachverhalte in Gesetzen 103

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Sozialrechts, welche die steuerliche Finanzierung staatlicher Für-sorgeleistungen bestimmen.▪ SGB I – Allgemeiner Teil▪ SGB II – Grundsicherung für Arbeitssuchende▪ SGB III – Arbeitsförderung▪ SGB IV – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung▪ SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung▪ SGB VI – Gesetzliche Rentenversicherung▪ SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung▪ SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe▪ SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen▪ SGB X – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz▪ SGB XI – Soziale Pflegeversicherung▪ SGB XII – Sozialhilfe.Die Reichsversicherungsverordnung (RVO) von 1911 war bis1975 das Grundgerüst des Sozialrechts und bestand aus 6 Teilen:▪ ein gemeinsamer Teil für alle Zweige der Sozialversicherung▪ das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung▪ die gesetzliche Unfallversicherung▪ die gesetzliche Rentenversicherung▪ die Beziehung der Sozialversicherungsträger untereinander▪ Verfahrensvorschriften.

SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung

DEFINITION Die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversiche-rung sind die Erhaltung, die Wiederherstellung oder die Verbes-serung des Gesundheitszustandes ihrer Versicherten.

Das Gesetz über GKV trat am 1. Januar 1989 in Kraft und war bisdahin im zweiten Teil der RVO geregelt. Etwa 85% der Bundes-bürger sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert.

Allgemeine Leistungen der GKV: Die Leistungen der Kranken-kassen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich seinund dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. DasSGB V enthält 12 Kapitel und umfasst u. a. folgende, nach demSachleistungsprinzip geltende Leistungen für die Versicherten:▪ Leistungen zur Verhütung von Krankheiten und von deren

Verschlimmerung sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterili-sation und bei Schwangerschaftsabbruch (Prävention, Emp-fängnisverhütung)

▪ Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten▪ Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (u. a. ärztliche,

psychotherapeutische oder zahnmedizinische Behandlung,Krankenhausbehandlung, Versorgung mit Arznei- und ande-ren bewilligungsfähigen Hilfsmitteln, Krankengeld [z. B. Kin-derpflege-Krankengeld])

▪ Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, soweit diese da-zu dienen, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzu-wenden, zu beseitigen oder zu mindern

▪ Die Krankenkassen können allerdings vom MedizinischenDienst (s. u.) prüfen lassen, ob und inwieweit ein bewilligungs-fähiges Hilfsmittel auch tatsächlich erforderlich ist.

Lohnfortzahlung und Krankengeld: Im Entgeltfortzahlungs-gesetz ist festgelegt, dass bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeitder Arbeitgeber nach dem Beginn der Krankheit die Bezüge desPatienten 6 Wochen lang weiter zu bezahlen hat. Voraussetzungfür die Lohnfortzahlung ist, dass das Arbeitsverhältnis seit min-destens 4 Wochen besteht. Bei Beschäftigungsverhältnissen, dieseit weniger als 4 Wochen bestehen, kann dem Arbeitnehmer di-

rekt Krankengeld aus der Sozialkasse gezahlt werden, da nochkein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht.

Die Zahlungspflicht des Arbeitgebers beschränkt sich auf ma-ximal 2 × 6 Wochen im Jahr für eine Arbeitsunfähigkeit aufgrundderselben Ursache, sofern zwischen den beiden Krankheitspha-sen mindestens 6 Monate keine Arbeitsunfähigkeit aufgrund die-ser Ursache bestand. Ist diese Dauer überschritten, wird von derKrankenkasse Krankengeld (s. u.) bezahlt.

Wie beim „normalen“ Arbeitsentgelt müssen bei der Entgeltfortzahlungebenfalls Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden. An-spruch auf Entgeltfortzahlung haben nicht nur vollzeitbeschäftigte Arbeit-nehmer, sondern auch Ferienaushilfen, Mitarbeiter im Studentenjob oderArbeitnehmer mit einem sog. Minijob mit bis zu 450 Euro Verdienst imMonat. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung endet grundsätzlich mit derBeendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies ist jedoch nicht gültig, wenndem Arbeitnehmer wegen seiner Erkrankung gekündigt wird.

Ab der 7. Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit hat ein ver-sicherter Arbeitnehmer Anspruch auf Krankengeld von der GKV.Die Höhe des Krankengeldes bemisst sich nach dem Einkommenvor Beginn der Arbeitsunfähigkeit und beträgt 70% des letztenmonatlichen Brutto- und maximal 90% des letzten vollen Netto-einkommens. Das Krankengeld kann innerhalb einer Blockfristvon 3 Jahren nur über maximal 78 Wochen (inkl. 6 Wochen Ent-geltfortzahlung durch den Arbeitgeber) bzw. 72 Wochen (reinesKrankengeld) bezogen werden.

Anspruch auf unbezahlte Freistellung vom Arbeitgeber undden Bezug von Krankengeld haben gesetzlich versicherte Arbeit-nehmer auch, wenn sie ein erkranktes Kind betreuen müssen,das das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, die Not-wendigkeit der Betreuung von einem (Kinder-)Arzt bestätigtwurde und im Haushalt keine andere Person lebt, die auf dasKind aufpassen kann: Bei ≤2 Kindern pro Kind bis zu 10 Arbeits-tage/Jahr (als Alleinerziehende/r bis zu 20 Tage), bei > 2 Kindernsind es maximal 25 Arbeitstage/Jahr (für Alleinerziehende maxi-mal 50 Tage), auf die Anspruch auf unbezahlte Freistellung be-steht. Erhält der Arbeitnehmer in dieser Zeit jedoch kein Entgeltvom Arbeitgeber, kann er sich an seine Krankenkasse wendenum für einige Tage Kinderpflege-Krankengeld (nach SGB V) zuerhalten.

LERNTIPP

Verdient sich ein Arbeitnehmer (z. B. Elektriker) außerhalb seinesAnstellungsverhältnisses beim Hauptarbeitgeber Geld durch eineselbständige Tätigkeit hinzu und nimmt während der Ausübungdieser Tätigkeit Schaden (z. B. Sturz), so wird der Antrag auf Leis-tung nicht gewährt. Dies erfolgt nur dann, wenn er für seineselbstständige Arbeit freiwillig versichert ist.

Bis Ende 1995 wurde jeder Versicherte einer Krankenkasse zugewiesen.Seit Anfang 1996 besteht freie Wahl der Krankenversicherung. Heute wirdzwischen 6 unterschiedlichen, historisch gewachsenen Krankenkassen un-terschieden: Allgemeine Ortskrankenkassen (z. B. AOK), Betriebskranken-kassen (z. B. BKK), Innungskrankenkassen (z. B. IKK), LandwirtschaftlicheKrankenkassen (z. B. LKK), Knappschaften und Ersatzkassen. Zu Letzterengehört z. B. die Techniker-Krankenkasse.

Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK): Die ge-setzlichen Kranken- und Pflegekassen haben die Verantwortung,die Beitragseinnahmen in die bestmögliche Versorgung ihrerVersicherten zu investieren. Die Leistungen müssen daher in je-dem Einzelfall ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein.

104 Arbeitsmedizin | 12 Wichtige Arbeitsschutzvorschriften

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