Großübung Stabilität, elastische Knickung, Eulerfälle...1 Großübung Stabilität, elastische...

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1 Großübung Stabilität, elastische Knickung, Eulerfälle Ein druckbeanspruchter gerader Stab kann seine Funktion (Gleichge- wicht mit gerader Stabachse) verlieren, auch wenn die im Stab vorhan- dene Druckspannung s d noch wesentlich kleiner als die zulässige Druck- spannung ist, d. h. wenn gilt Der Stab verliert seine Funktion, indem er bei einer bestimmten kritischen Kraft F = F K plötzlich instabil wird und eine neue Gleichge- wichtslage mit gekrümmter Stabachse annimmt. Dieser Vorgang wird Knicken eines Stabes oder kurz Stabknickung genannt. Solche Instabilitäten treten auch bei anderen Tragwerken unter Druck- belastungen auf und sind sehr gefährlich! Einige Beispiele sind hier zu- sammengestellt. (Kippen, Beulen, Drill-, Biegedrillknicken) Kippen eines brettartigen Balkens Beulen von Flächentragwerken (Platte, Schale) Die Stabilität von komplexen Bauwerke, z. B. von Brücken, Kränen, Dachkonstruktionen usw. aus Fachwerkstäben, ist durch eine ausrei- chende Sicherheit gegen Knicken der auf Druck belasteten Stäbe zu gewährleisten. zul d d s s < F<F K F=F K F<F K Plat q=q K q=q K Platte Schal q=q K q=q K Schale F=F K

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Großübung Stabilität, elastische Knickung, Eulerfälle Ein druckbeanspruchter gerader Stab kann seine Funktion (Gleichge-wicht mit gerader Stabachse) verlieren, auch wenn die im Stab vorhan-dene Druckspannung σd noch wesentlich kleiner als die zulässige Druck-spannung ist, d. h. wenn gilt

Der Stab verliert seine Funktion, indem er bei einer bestimmten kritischen Kraft F = FK plötzlich instabil wird und eine neue Gleichge-wichtslage mit gekrümmter Stabachse annimmt. Dieser Vorgang wird Knicken eines Stabes oder kurz Stabknickung genannt.

Solche Instabilitäten treten auch bei anderen Tragwerken unter Druck-belastungen auf und sind sehr gefährlich! Einige Beispiele sind hier zu-sammengestellt. (Kippen, Beulen, Drill-, Biegedrillknicken)

Kippen eines brettartigen Balkens Beulen von Flächentragwerken (Platte, Schale) Die Stabilität von komplexen Bauwerke, z. B. von Brücken, Kränen, Dachkonstruktionen usw. aus Fachwerkstäben, ist durch eine ausrei-chende Sicherheit gegen Knicken der auf Druck belasteten Stäbe zu gewährleisten.

zuldd σσ <

F<FK

F=FK

F<FK

Plat

q=qK

q=qK

Platte Schal

q=qK

q=qK

Schale

F=FK

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Das Versagen (Knicken) eines Druckstabes kann zum Versagen der ge-samten Konstruktion führen. Die große Bedeutung der Stabilität wird dadurch unterstrichen, dass der Nachweis der Stabilität für viele Bereiche der Technik durch Normen und Vorschriften verbindlich geregelt ist! Folgende Gleichgewichtslagen werden unterschieden.

• stabiles Gleichgewicht: das Objekt kehrt nach einer kleinen Auslenkung in seine Ausgangslage zurück

• labiles Gleichgewicht: das Objekt kehrt nach einer kleinen Auslen-kung nicht in seine Ausgangslage zurück, sondern nimmt eine neue stabile Lage ein

• indifferentes Gleichgewicht: jede Lage ist eine Gleichgewichtslage

Versagen durch Knicken!

Zur Untersuchung von Stabilitätsproblemen ist das Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen am deformierten System erforderlich, wobei die Deformationen noch als klein angenommen werden dürfen (Theorie 2. Ordnung).

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Im weiteren wollen wir uns auf die Eulerfälle und elastisches Knicken be-schränken. Die Eulerfälle Typische Stabilitätsprobleme stellen auf Druck belastete Stäbe dar. Es wird ermittelt, wann ein gerader Stab unter einer in Richtung der Stab-achse des unverformten Bauteils wirkenden richtungstreuen Kraft ver-sagt. Die hierbei mögliche maximale Belastung ist die kritische Last die zum Versagen der Konstruktion führt, wobei die maximal zulässige Druckspannung für das Bauteil dabei nicht erreicht werden muss. Für die folgenden vier typischen Lagerungsfälle gilt mit EI = konst.

2

2

KK l

EIF π=

Knicklängen lK für die vier EULER-Fälle mit Biegelinie für die kritische Kraft In Abhängigkeit von den Lagerungen und den Flächenträgheitsmomen-ten bezüglich der Biegeachsen müssen für einen Knickstab möglicher-weise mehrere Stabilitätsuntersuchungen angestellt werden.

l

F

lK = 2·l

1 F

lK = ½·l

4F

lK ≅ 0,6992·l

3 F

lK = l

2

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Spannungsberechnung Für Druckstäbe ist neben dem Knicken (schlanke Stäbe) noch das Ver-sagen durch Quetschen (gedrungene Stäbe) möglich. Folgende Größen werden definiert:

Trägheitsradius AIi = (iy, iz)

Schlankheitsgrad λ==i

lS K (Sy, Sz), in der Literatur meist mit λ bezeichnet

Die kritische (Knick)spannung berechnet sich zu

2

2

2

22

2

2

λπ

ππ

σE

liE

AlEI

AF

KK

KK ==== zuldK σσ <

Die Eulerhyperbel gilt bis zur Druck-Proportionalitätsgrenze dPσ .

Der zugehörige Schlankheitsgrad dP

PE

σπλ = ist ein Materialparameter.

für Quetschen

Näherung) Gerade,-(TetmayerKnicken splastische Hyperbel)-(EulerKnicken selastische

F

P

P

λλλλλλ

<<>

Hinweis: mBeFpP RRR === σσσ ; ;

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Tetmayer-Gerade Im Bereich PF λλλ << gilt für die Berechnung der Knickspannung näherungsweise die Tetmajer-Gerade. Die Entscheidung, ob elastisches oder plastisches Knicken vorliegt, hängt vom vorhandenen Schlankheitsgrad ab.

λσ baSbaK −=−= a, b sind Werkstoffkonstanten

Werkstoff E [N/mm2] λP a [N/mm2] b [N/mm2] S235 (St37) 210000 104 310,0 1,140 E295 (St50) E335 (St60)

210000 89 335,0 0,620

5%-Ni-Stahl 210000 86 470,0 2,300 Nadelholz 10000 100 29,3 0,194 Grauguß 100000 80 2053,012776 λλσ +−=K

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Beispiel: Stab der Länge l mit Exzentrizität e

F

z

x

w(x)Mb(x)

e

Gleichgewicht am verformten Bauteil ))(()( xweFxM b += Differentialgleichung der Biegelinie )(xwEIMb ′′=−

eEI

FxwEIFxw

xweFxwEI−

=+′′

=++′′

)()(

0))(()(

inhomogene gewöhnliche lineare Differentialgleichung 2. Ordnung für w(x)

exwxw 22 )()( κκ −=+′′ homogene Lösung

)sin()cos(

)cos()sin()sin()cos(

22

21

21

21

xCxCwxCxCw

xCxCw

κκκκ

κκκκκκ

−−=′′

+−=′+=

Annahme: e << Stablänge l

Abkürzung: 2κ=EIF

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partikuläre Lösung, Störgliedansatz entsprechend der rechten Seite

00

3

=′′

=′

=

p

p

p

ww

Cw

einsetzen liefert C3 = -e Gesamtlösung 321 )sin()cos( CxCxCw ++= κκ

Randbedingungen 321

31

)sin()cos(0 0)(CC0 0)0(

ClClClxwxw

++===′+===

κκ

Es ergeben sich: )sin(

1)cos(2

31

lleC

eCC

κκ +−

=

=−=

Verschiebungsfunktion

+−+= 1)sin(

)sin(1)cos()cos()( x

llxexw κ

κκκ

Der „klassische“ Euler-Fall 2 liegt vor für e = 0. Dann ist die DGL ho-mogen, C3 = 0. Es folgt C1 = 0 und C2 sin(κ l) = 0 . Das heißt, es ist ent-weder C2= 0 oder sin(κ l) = 0. Hieraus ergibt sich κ l = nπ

Mit der oben eingeführten Abkürzung ist dann EIlnFK 2

22π=

Das Versagen tritt bei der kleinsten kritischen Last auf, also bei n = 1. Für jede vorhandene Exzentrizität tritt die Verformung sofort auf (Bild links e = 0, rechts e ≠ 0).

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Mit der selben Vorgehensweise können andere Knickfälle berechnet werden. In Anlehnung an die Formel für der Euler-Fall 2 werden die Knicklasten durch

EIl

FK

K 2

2π=

beschrieben (siehe oben). Der Euler-Fall 2 wird oft als „Grundfall“ mit der Knicklänge llK = bezeich-net. Die Knicklänge entspricht einer „Verformungshalbwelle“ (halbe Sinuswelle).

EIl

FK 2

2π=

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weitere Beispiele Welche zulässige Druckkraft kann ein Winkelstahl 60 x 10 aus S235 (St37) bei einer Länge von 1,4 m übertragen, wenn eine Knicksicherheit von sK =4 gefordert wird? Die Berechnung soll für den Euler-Fall 2 (Grundfall) erfolgen. Bestimmung des Schlankheitsgrades um festzustellen, ob die Euler-Fälle anwendbar sind.

ilK=λ llK =

aus der Tabelle für L-Profil imin = 1,15 cm

Damit ist 10412215,1

140>===

cmcm

ilKλ Werkstoff S235 (St37) 104=Pλ

Es handelt sich um elastisches Knicken, Eulerfälle sind anwendbar.

2

2

lsEIF

Kzuld

π= mit 4

min 6,14 cmIII === ζ aus Tabelle für L-Profil (DIN 1028)

Ncm

cmcmN

F zuld3

22

42

72

106,381404

6,14101,2⋅=

⋅⋅⋅=

π

Die zulässige Druckkraft beträgt 38,6 kN. Kann ein einseitig eingespanntes Rohr (Länge = 150 cm) mit einem Innendurchmesser vom 100 mm und einer Wandstärke von 10 mm eine Druckkraft von 150 kN aufnehmen, wenn eine Knicksicherheit von 5 gefordert wird? Als Werkstoff wird S235 verwendet. Bestimmung des Schlankheitsgrades um festzustellen, ob die Euler-Fälle anwendbar sind.

ilK=λ llK 2=

Trägheitsmoment, Querschnittsfläche, Trägheitsradius, Schlankheitsgrad

( ) ( )

( ) ( ) 444444

222222

52710126464

56,34101244

cmcmdDI

cmcmdDA

=−=−=

=−=−=

ππ

ππ

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cmAIi 91,3==

8,7691,315022

=⋅

===il

ilKλ

Der berechnete Schlankheitsgrad liegt im Bereich 10460 << λ (Bereich, in dem für S235 die Tetmajer-Gerade gilt). Es handelt sich um plastisches Knicken. Mit den Werkstoffkonstanten gemäß Tabelle gilt:

( ) 22 2228,7614,1310)(mm

Nmm

NbaK =⋅−=⋅−= λσ

Die zur Zerstörung führende Druckkraft ist

kNkNkNsFF

kNmmmm

NAF

K

Kzuld

KK

15015357,768

7,7683456222 22

>===

=⋅=⋅= σ

Die vorgesehene Belastung ist möglich. Ein Doppel-T Träger wird gemäß Skizze als Säule verwendet. Anschläge verhindern in der Mitte das Ausknicken in y-Richtung, jedoch nicht in z-Richtung. Die Knotenbleche oben und unten sollen wie eine Einspannung für die y-Richtung wirken. In z-Richtung seien an den Stabenden Winkeländerungen möglich, deshalb soll hier der Eulerfall 2 der Berechnung zugrunde gelegt werden. Es ist zu prüfen, ob eine Belastung von 12 kN bei einer Sicherheit von 4 möglich ist. Als Werkstoff wird S235 verwendet.

Daten für Doppel-T 100 nach DIN 1025

cmicmicmA

z

y

07,101,46,10 2

=

==

Das Ausknicken ist in zwei Richtungen möglich. Beide Fälle werden untersucht und müssen die notwendige Sicherheit gegen Knickung haben. Die kritischen Knicklängen ergeben sich aus den Lagerungen der Säule.

2210000

300

mmNE

cml

=

=

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Knicken in y-Richtung (Biegung um z-Achse) Euler-Fall 3 für die halbe Säule (eingespannt – gelenkig)

Pzz

Kz

cmcm

il

il λλ >=

⋅=

⋅≈= 3,196

07,13007,07,0

also elastisches Knicken, mit i

lK=λ und AIi = folgt

kNmm

mmN

EAl

EIFK

K 014,573,196

10602100002

22

2

2

2

2

2

=⋅⋅

===π

λππ

Knicksicherheit 75,412014,57

===kN

kNFF

szulK

vorhKK

Knicken in z-Richtung (Biegung um y-Achse) Euler-Fall 2 (Grundfall) für die ganze Säule (gelenkig – gelenkig)

Pyy

Ky

cmcm

il

il

λλ >==== 6,14901,4

600

also ebenfalls elastisches Knicken

kNmm

mmN

EAl

EIFK

K 166,986,149

10602100002

22

2

2

2

2

2

=⋅⋅

===π

λππ

Knicksicherheit 18,812166,98

===kN

kNFF

szulK

vorhKK

Die geforderte Knicksicherheit von 4 ist in beiden Fällen gegeben.

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Anhang

Einfluss der Geometrie auf die kritische Last (gleiche Länge, gleiche Querschnittsfläche, gleiche Randbedingungen)

gedrungen ← → schlank Knickspannung in Abhängigkeit vom Schlankheitsgrad für E335 (St60)

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Querschnittswerte für warmgewalzte Normprofile aus Stahl Auszug aus DIN 1025

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Auszug aus DIN 1028

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Auszug aus DIN 1026

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Auszug aus DIN 1027

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Auszug aus DIN EN 10055, DIN 1024