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§5. Bedingte Erwartungen und Martingale

Setting. Im Folgenden sei (Ω,F ,P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und(Ft

)t≥0 eine Filtration

in F . Mit E bezeichnen wir einen separablen Banachraum und mit B = B(E) die Borel’scheσ-Algebra in E.

Ziel. Unter den reellwertigen stochastischen Prozessen spielen Martingale eine besondere Rol-le. Ihre schönen Eigenschaften machen sie für Konstruktionen und Beweise sehr nützlich. Eshandelt sich dabei um adaptierte Prozesse

(Xt

)t≥0, so dass Xt für jedes t ≥ 0 integrierbar ist und

für jede beliebige Wahl von 0 ≤ s ≤ t < ∞ gilt:

E(Xt|Fs

)= Xs (P-f.s.).

Wir wollen dieses Konzept auf Banachraum-wertige Prozesse erweitern. Dafür benötigen wirneben einem Integrationsbegriff für Banachraum-wertige Abbildungen eine entsprechende Er-weiterung der für reelle Zufallsvariablen bekannten bedingten Erwartung. Bei Ersterem greifenwir auf die natürliche Erweiterung des Lebesgue’schen Integrals, das sog. Bochner-Integral,zurück (siehe Kapitel 1 der Vorlesung). Dann lässt sich analog zum reellen Fall der Begriffder bedingten Erwartung einführen. Wie das im Detail funktioniert, sehen wir in §5.1. Die be-dingte Erwartung zur Hand, können wir auch den Martingalbegriff entsprechend auf separableBanachräume erweitern. Dies wird der Inhalt von §5.2 sein, wo wir auch wesentliche Eigen-schaften von Martingalen diskutieren und für die Theorie stochastischer Integration wesentlicheMartingalklassen einführen.

§5.1. Bedingte Erwartung in separablen Banachräumen

Der Begriff bedingte Erwartung lässt sich analog zum reellwertigen Setting wie folgt einführen.

5.1. Satz. Es sei (E, ||.||E) ein separabler Banachraum. Ferner sei X eine E-wertige P-Bochnerintegrierbare Zufallsvariable auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P) und G ⊆ F einebeliebige Unter-σ-Algebra von F . Dann existiert eine E-wertige Zufallsvariable Z, welche diebeiden Bedingungen:

[B1] Z ist G -messbar,

und

[B2]∫

GX dP =

∫G

Z dP, für alle G ∈ G ,

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simultan erfüllt. Sie ist P-f.s. eindeutig bestimmt, d.h., falls Y eine weitere E-wertige Zufallsva-riable ist, welche [B1] und [B2] gleichzeitig erfüllt, so gilt:

P(Z = Y

)= 1.

Wir bezeichnen diese Zufallsvariable – bzw. jeden Repräsentanten ihrer L1(Ω,G ,P; E)-Äquiva-

lenzklasse – mit:E(X|G

)B Z,

und nennen sie Bedingte Erwartung von X unter G .Es gilt:

(∆Bed)∥∥∥E(X|G )∥∥∥

E≤ E

(||X||E |G

)(P-f.s.) .

Beweis. Wir widmen uns zunächst der Eindeutigkeitsaussage und nehmen an Z und Y seienzwei E-wertige, G /B(E)-messbare Zufallsvariablen, so dass∫

GX dP =

∫G

Z dP =

∫G

Y dP, für alle G ∈ G .

Da E ein separabler Banachraum ist, existieren abzählbar viele Elemente(ϕn

)n∈N ⊆ E∗ des

Dualraumes von E, so dass sich die Norm eines jeden Elements x ∈ E wie folgt schreiben lässt(vgl. Korollar A.4 im Anhang des Vorlesungsskripts):

||x||E = supn∈N|ϕn (x)| .

Nehmen wir nun diese Folge(ϕn

)n∈N dualer Elemente von E, so erhalten wir für jedes n ∈ N

und jede Menge G ∈ G , mit Hilfe des Satzes 1.15:

0 = ϕn

( ∫G

Z − Y dP)

=

∫Gϕn

(Z − Y

)dP =

∫Gϕn

(Z)− ϕn

(Y)

dP.(1)

Gleichzeitig gilt für jedes n ∈ N:

G(n)1 B

ω ∈ Ω : ϕn (Z (ω)) > ϕn (Y (ω))

∈ G

und

G(n)2 B

ω ∈ Ω : ϕn (Z (ω)) < ϕn (Y (ω))

∈ G ,

denn die Zufallsvariablen Y und Z sind G/B(E)-messbar und ϕn ist für jedes n ∈ N stetig unddamit B(E)/B(R)-messbar. Einsetzen in (1) liefert:

P(G(n)

1)

= P(G(n)

2)

= 0, für alle n ∈ N.

Dann gilt aber auch:

P(ω ∈ Ω : Z (ω) − Y (ω) = 0

)= P

(ω ∈ Ω : ||Z (ω) − Y (ω) ||E = 0

)= P

(ω ∈ Ω : sup

n∈N|ϕn (Z (ω) − Y (ω))| = 0

)= P

(⋂n∈N

ω ∈ Ω : ϕn (Z (ω)) = ϕn (Y (ω))

)= P

(⋂n∈N

(G(n)

1 ∪G(n)2

)c)

= 1,

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da der Schnitt abzählbar vieler Mengen mit Maß 1 wieder volles Maß besitzt. Kommen wirjetzt zum Nachweis der Existenzaussage und betrachten zunächst einfache Funktionen (beachte,dass auf Wahrscheinlichkeitsräumen die Begriffe F -einfach und P-einfach zusammenfallen).Sei also

X(ω) BN∑

i=1

ei1Ai(ω)(ω ∈ Ω

),

wobei e1, . . . , eN ∈ E sowie A1, . . . , AN ∈ F , paarweise disjunkt, für ein N ∈ N. Wir definieren:

Z(ω) BN∑

i=1

ei · E(1Ai |G

)(ω)

(ω ∈ Ω

).

Die G -Messbarkeit der (reellwertigen) Zufallsvariablen E(1Ai |G

), für i = 1, . . . ,N, impliziert

die G -Messbarkeit von Z. Wir fixieren G ∈ G beliebig und erhalten unter Anwendung desSatzes 1.15:∫

GX dP =

∫G

( N∑i=1

ei 1Ai

)dP =

∫Ω

( N∑i=1

ei 1Ai∩G

)dP

=

N∑i=1

ei

( ∫Ω

1Ai∩G dP)

=

N∑i=1

ei

( ∫Ω

1G E(1Ai |G

)dP

)

=

∫Ω

( N∑i=1

ei 1G E(1Ai |G

))dP =

∫G

( N∑i=1

ei E(1Ai |G

))dP =

∫G

Z dP.

Demnach ist Z = E(X|G

)und es gilt:

∥∥∥E(X|G )∥∥∥E

= ||Z||E =∥∥∥∥ N∑

i=1

ei · E(1Ai |G

)∥∥∥∥E

N∑i=1

∥∥∥ei · E(1Ai |G

)∥∥∥E

=

N∑i=1

||ei||E · E(1Ai |G

)= E

( N∑i=1

||ei||E · 1Ai

∣∣∣G )= E

(||X||E |G

)(P-f.s.) .

Also folgt für einfache und messbare Zufallsvariablen auch die Gültigkeit von (∆Bed). Da fürjede beliebige relle, integrierbare Zufallsvariable u stets

E[E(u|G

)]= E [u]

gilt (sog. tower-property), folgt zudem:

(2) E(||Z||E

)≤ E

(||X||E

).

Wir wählen nun eine beliebige integrierbare Zufallsvariable X ∈ L1(Ω,F ,P; E). Dann existiert

eine Folge F -einfacher Zufallsvariablen(Xn

)n∈N, so dass:

X = limn→∞

Xn und supn∈N||Xn||E ≤ ||X||E (P-f.s.)

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(siehe Lemma 1.6). Aufgrund des Lebesgue’schen Satzes über dominierte Konvergenz folgt mitHilfe der Dreiecksungeleichung für Bochner-Integrale:

(3) limn→∞

∥∥∥ ∫Ω

Xn − X dP∥∥∥

E≤ lim

n→∞

∫Ω

||Xn − X||E dP = 0.

Wir setzen:Zn B E

(Xn|G

)(n ∈ N) .

(Die Existenz dieser G -messbaren, integrierbaren Zufallsvariablen haben wir vorhin bewiesen.)Dann gilt, wegen (2):

E(||Zn − Zm||E

)≤ E

(||Xn − Xm||E

)(n,m ∈ N) ,

und aufgrund der Vollständigkeit des Raumes L1(Ω,F ,P; E)

folgt die Existenz einer Bochner-integrierbaren Zufallsvariable Z, so dass:

(4) limn→∞

∥∥∥ ∫Ω

Zn − Z dP∥∥∥

E≤ lim

n→∞

∫Ω

||Zn − Z||E dP = 0.

Für G ∈ G beliebig ergibt sich dann mit Hilfe von (3):∫G

X dP = limn→∞

∫G

Xn dP = limn→∞

∫G

Zn dP =

∫G

Z dP.

Wir müssen noch garantieren, dass eine G -messbare Zufallsvariable Z mit P(

Z = Z)

= 1existiert, also eine G -messbare P-Version von Z. Dies kann wie folgt garantiert werden: DieL1(Ω,F ,P; E)-Konvergenz der Folge (Zn)n∈N gegen Z impliziert die Existenz einer Teilfolge(Znk)k∈N, welcheP-f.s. gegen Z konvergiert.[X] Da Znk für jedes k ∈ N eine G -messbar Abbildungist, lässt sich zeigen, dass die Menge

C :=ω ∈ Ω : lim

n→∞Znk(ω) existiert

in G liegt, siehe etwa [Coh2013, Proposition 8.1.11]. Wenn wir

Z := limk→∞

1CZnk

setzen, so haben wir die gewünschte G -messbare P-Version von Z, die wir fortan ebenfalls mitZ bezeichnen. Insgesamt folgt Z = E

(X|G

). Ferner erhalten wir mit Hilfe von (2):∥∥∥E(X|G )∥∥∥

E=

∥∥∥Z∥∥∥

E=

(L1 (R)−

)limn→∞||Zn||E ≤

(L1 (R)−

)limn→∞E(||Xn||E |G

)= E

(||X||E |G

),

wobei wir die Monotoie der L1 (Ω,F ,P;R)-Grenzwertbildung sowie den Lebesgue’schen Satzüber bedingte dominierte Konvergenz (vgl. z.B. [Bau2002, (15.14); S. 121]) benutzt haben. DieBehauptung folgt.

Im späteren Verlauf dieser Arbeit, werden wir noch das folgende Resultat benötigen, welcheseinen Zusammenhang zwischen der bedingten Erwartung und der Unabhängigkeit herstellt.

5.2. Lemma. Es seien (S1,S1) und (S2,S2) zwei Messräume sowie Ψ : S1 × S2 → R eine S1 ⊗

S1/B(R)-messbare, beschränkte Funktion. Ferner sei ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P),

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eine Unter-σ-Algebra G ⊆ F , sowie zwei Zufallsvariablen gegeben: X1 : Ω → S1 sei G /S1-messbar, während X2 : Ω→ S2 F /S2-messbar und von G unabhängig sei. Dann gilt:

E(Ψ (X1, X2) |G

)= Ψ(X1) (P-f.s) ,

wobeiΨ(x1) B

∫Ω

Ψ (x1, X2(ω))P (dω) (x1 ∈ S1) .

Das bedeutet, dass die Abbildung:

Ω 3 ω 7→

∫Ω

Ψ (X1 (ω) , X2 (ω)) P (dω) ∈ R

eine G /B(R)-messbare Zufallsvariable ist und, dass für alle G ∈ G gilt:∫G

Ψ (X1 (ω) , X2 (ω)) P (dω) =

∫G

( ∫Ω

Ψ (X1 (ω) , X2 (ω)) P (dω))P (dω) .

Beweis. (Skizze) Die Aussage lässt sich durch sog. „Hochhangeln“ bzgl. der messbaren Abbil-dung Ψ beweisen. Diese habe zunächst die folgende Gestalt:

Ψ = 1A1×A2 , mit A1 ∈ S1 und A2 ∈ S2.

Dann gilt für P-f.s. alle ω ∈ Ω:

E(1A1×A2 (X1, X2) |G

)(ω) = E

(1A1 (X1) · 1A2 (X2) |G

)(ω)

und da X1 G -messbar ist:

= E(1A2 (X2) |G

)(ω) · 1A1 (X1 (ω))

sowie wegen der Unabhängigkeit von X2 und G :

= E(1A2 (X2)

)· 1A1 (X1 (ω))

= E(1A2 (X2) · 1A1 (X1 (ω))

)= E

(1A1×A2 (X1 (ω) , X2)

).

In einem zweiten Schritt lässt sich zeigen, dass das Mengensystem:

D BD ⊆ S1 ⊗S1 : E

(1D (X1, X2) |G

)(ω) = E (1D (X1 (ω) , X2)) (P-f.s.)

ein Dynkin-System ist, welches wegen dem oben gezeigten das ∩-stabile Mengensystem S1 ×

S2 enthält. Dies impliziert:

S1 ⊗S2 = σ(S1 ×S2

)= δ

(S1 ×S2

)⊆ D ⊆ S1 ⊗S2

und somit folgt die Behauptung für alle Funktionen Ψ von der Form:

Ψ = 1S , S ∈ S1 ⊗S2.

Den Übergang zu allen beschränkten S1 ⊗ S2-messbaren Funktionen erhält man durch dassog. Somberero-Lemma (vgl. z.B. [Sch2005, Theorem 8.8; S. 61]), dem Satz von Beppo Levi(vgl. z.B. [Sch2005, Theorem 9.6; S. 70]) sowie dem Lebesgue’schen Satz über dominierteKonvergenz (vgl. z.B. [Bau2002, Satz 12.6; S. 95]), welche sich auch auf bedingte Erwartungenübertragen lassen (vgl. z.B. [Bau2002, S. 121]).

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5.3. Bemerkung. Anstelle der Beschränktheit von Ψ im obigen Satz, können wir die Positivitätvon Ψ und, dass Ψ (X1, X2) ∈ L1 (Ω,F ,P;R) gilt, fordern. Wir hören dann im Beweis einfacheher auf (– nach der Anwendung des Sombrero-Lemmas und der bedingten Version des Satzesvon Beppo Levi).

§5.2. Banachraum-wertige MartingaleIm Folgenden sei

(Ft

)t≥0 stets eine normale Filtration in F . Mit T > 0 bezeichnen wir eine

beliebige positive reelle Zahl. Wir haben nun das Rüstzeug, Banachraum-wertige Martingale zudefinieren.

5.4. Definition. Ein stochastischer Prozess M : [0,∞) × (Ω,F ,P)→ (E,B(E)) heisst(Ft

)t≥0-

Martingal, wenn die folgenden drei Bedingungen simultan erfüllt sind:

[M1] M (t) ∈ L1(Ω,F ,P; E)

für alle t ∈ [0,∞);

[M2] M (t) ist Ft-messbar für alle t ∈ [0,∞);

[M3] Für beliebige s, t ∈ [0,∞), mit s ≤ t, gilt:

E(M (t) |Fs

)= M (s) (P-f.s.) .

Konvention. Für jede beliebige vollständig geordnete Indexmenge I, lassen sich Martingaleauf analoge Weise mit I anstatt [0,∞) definieren. In dieser Arbeit betrachten wir allerdings nurMartingale mit Zeitmenge [0,∞) oder [0,T ], für eine positive Zahl T > 0, sowie abzählbareTeilmengen davon.

5.5. Bemerkung. Wir werden im weiteren Verlauf der Arbeit unter einem(Ft

)t≥0-Martingal(

Mt)

t≥0 gleichzeitig die Äquivalenzklassenfamilie(Mt

)t≥0 ⊆ L1(Ω,F ,P; E

)verstehen. Dies

können wir aufgrund folgender Überlegungen machen: Es sei(Mt

)t≥0 eine Modifikation von M.

Da wir von einer normalen Filtration ausgehen, ist M an derselben Filtration adaptiert, erfülltdamit [M2]. Natürlich ist Mt für jedes t ≥ 0 integrierbar und für jede beliebige Wahl von0 ≤ s ≤ t < ∞ gilt:

E(M (t) |Fs

)= M (s) (P-f.s.) ,

also sind [M1] und [M3] ebenfalls efüllt. Damit ist jede Modifikation eines Martingals wiederein Martingal – bzgl. der gleichen Filtration (sofern diese normal ist!).

Der folgende Satz beschreibt den Zusammenhang zwischen Banachraum- und reellwertigenMartingalen.

5.6. Satz. Es sei M : [0,∞) × (Ω,F ,P) → (E,B(E)) ein stochastischer Prozess,(Ft

)t≥0 eine

Filtration in F und M erfülle [M1] aus obiger Definition 5.4.Genau dann ist M ein

(Ft

)t≥0-Martingal, wenn

ϕ (M (t)) : t ∈ [0,∞)

für alle ϕ ∈ E∗ ein

reellwertiges(Ft

)t≥0-Martingal ist.

Beweis. Wir nehmen zunächst an, M sei ein(Ft

)t≥0-Martingal und fixieren ein belieibiges Ele-

ment ϕ ∈ E∗ sowie s, t ∈ [0,∞), mit s ≤ t. Dann gilt:

E(|ϕ (M (t))|

)=

∫Ω

|ϕ (M (t, ω))| P (dω) ≤∫

Ω

||ϕ||L(E,R) ||M (t, ω) ||E P (dω) < ∞,

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da M (t) ∈ L1(Ω,F ,P; E). Ferner ist ϕ (M (t)) ∈ Ft, da ϕ stetig ist und M (t) Ft-messbar ist.

Wir fixieren nun F ∈ Fs. Da M ein Martingal ist folgt aufgrund der Invarianz des Bochner-Integrals unter linearen Abbildungen (siehe Satz 1.15):∫

Fϕ M (t) dP = ϕ

( ∫F

M (t) dP)

= ϕ

( ∫F

M (s) dP)

=

∫Fϕ M (s) dP,

also:E(ϕ (M (t)) |Fs

)= ϕ (M (s)) (P-f.s.)

und damit istϕ (M (t)) : t ∈ [0,∞)

ein Martingal. Umgkehrt, sei

(ϕM (t)

)t≥0 für jedes ϕ ∈ E∗

ein(Ft

)t≥0-Martingal und es gelte E (||M (t) ||E) < ∞ für alle t ∈ [0,∞). Für jedes t ≥ 0 ist dann

aufgrund von Lemma 1.3 (unter Zuhilfenahme des Faktorisierungslemmas, sieh Anhang A.5)die Ft-Messbarkeit von M (t) garantiert. Fixieren wir 0 ≤ s ≤ t < ∞ sowie F ∈ Fs, so erhaltenwir, dass für alle ϕ ∈ E∗:

ϕ

( ∫F

M (t) dP)

=

∫Fϕ M (t) dP =

∫Fϕ M (s) dP = ϕ

( ∫F

M (s) dP),

woraus mit dem Satz von Hahn-Banach (vgl. insbesondere Korollar A.3)∫F

M (t) dP =

∫F

M (s) dP für alle F ∈ Fs,

folgt, also:E(M(t)|Fs

)= M(s) (P-f.s.) ,

und das Behauptete folgt.

Im weiteren Verlauf der Vorlesung werden wir auf die folgende stark vereinfachte Variante dessog. optional stopping Theorems zurückgreifen.

5.7. Lemma. Es sei(Mt

)t∈[0,T ] ein E-wertiges (Ft)t∈[ 0,T ]-Martingal auf (Ω,F ,P) mit Zeitmenge

[0,T ], T > 0. Dann gilt für jedes τ ∈ [0,T ]:

i.)(Mt∧τ

)t∈[0,T ] ist ein (Ft)t∈[ 0,T ]-Martingal.

ii.) Für beliebige 0 = t0 < t1 < · · · < tk = T, k ∈ N, ist(Mtm∧τ

)m=0,1,...,k ein

(Ftm

)m=0,1,...,k-

Martingal.

Beweis. Sei τ ∈ [0,T ]. Fixieren wir t ∈ [0,T ], so ist Mt∧τ offensichtlich Ft-messbar und es gilt

||Mt∧τ||E ≤ ||Mt||E + ||Mτ||E,

woraus Mt∧τ ∈ L1 (Ω,F ,P; E) folgt. Wir wählen nun 0 ≤ s ≤ t ≤ T sowie F ∈ Fs und

unterscheiden die drei möglichen Fälle:Fall 1: τ ≤ s ≤ t. Dann ist τ ∧ t = τ ∧ s = τ und es gilt:∫

FMt∧τ dP =

∫F

Mτ dP =

∫F

Ms∧τ dP.

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Fall 2: s ≤ τ ≤ t. Dann ist E (Mτ|Fs) = Ms (P-f.s.) und damit:∫F

Mt∧τ dP =

∫F

Mτ dP =

∫F

Ms dP =

∫F

Ms∧τ dP.

Fall 3: s ≤ t ≤ τ. Dann gilt, wegen E (Mt|Fs) = Ms (P-f.s.):∫F

Mt∧τ dP =

∫F

Mt dP =

∫F

Ms dP =

∫F

Ms∧τ dP.

Da F ∈ Fs beliebig gewählt wurde folgt insgesamt E (Mt∧τ|Fs) = Ms∧τ (P-f.s.) und damit dieBehauptung. Die Aussage ii.) lässt sich analog zeigen.

Für unsere Zwecke werden vor allem solche Martingale eine besondere Rolle spielen, die zujedem Zeitpunkt quadratisch integrierbar sind. Wir definieren (etwas allgemeiner) was wir da-runter verstehen wollen.

5.8. Definition. Es sei M =(Mt

)t≥0 ein Martingal.

i.) Sei p ∈ [1,∞). M heisst Lp(Ω,F ,P; E)

-Martingal (kurz: Lp-Martingal), falls gilt:

[MP] M (t) ∈ Lp(Ω,F ,P; E)

für alle t ∈ [0,∞).

Ist p = 2 so sprechen wir auch von quadratisch integrierbaren Martingalen.

ii.) M heisst stetig, falls es P-f.s. stetige Pfade besitzt, d.h., wenn es eine P-Nullmenge N ∈F , P (N) = 0, gibt, so dass t 7→ M (t, ω) für alle ω ∈ Ω\N stetig ist.

Schreibweise. Wir bezeichnen mit

M 2T

(Ω,F ,

(Ft

)t∈[0,T ],P; E

)die Menge aller E-wertigen, quadratisch integrierbaren, stetigen

(Ft

)t∈[0,T ]-Martingale auf dem

Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,F ,P) mit Zeitmenge [0,T ], T > 0. Ist der Kontext klar, so schrei-ben wir auch kurz M 2

T oder M 2T (E) oder M 2

T

((Ft)t∈[0,T ] ; E

).

Der folgende Zusammenhang wird uns behilflich sein, wenn wir wichtige Martingalungleichun-gen, die aus der reellen Theorie bekannt sind, übertragen wollen.

5.9. Satz. Es sei(Mt

)t≥0 ein Lp(Ω,F ,P; E

)-Martingal bzgl. der Filtration

(Ft

)t≥0, p ∈ [1,∞).

Dann ist(||Mt||

pE)

t≥0 ein reellwertiges(Ft

)t≥0-Submartingal.

Beweis. Wir bemerken zunächst, dass die Betragsfunktion konvex ist und, dass damit der re-ellwertige stochastische Prozess

(|ϕ Mt|

)t≥0 für jedes ϕ ∈ E∗ ein Submartingal ist (siehe auch

Satz 5.6 zusammen mit [Bau2002, (16.14)]). Weiter betrachten wir die Folge(ϕn

)n∈N ⊆ E∗ aus

Korollar A.4, d.h. die Norm eines jeden Elementes x ∈ E lässt sich schreiben als:

||x||E = supn∈N|ϕn (x)| .

Fixieren wir nun 0 ≤ s ≤ t < ∞ so folgt für jedes n ∈ N:

E(||Mt||E

∣∣∣Fs

)= E

(supn∈N|ϕn (Mt)|

∣∣∣Fs

)≥ E

(|ϕn (Mt)|

∣∣∣Fs

)≥ |ϕn (Mt)| (P-f.s.) ,

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denn für zwei beliebige rellwertige integrierbare Zufallsvariablen u und 3 mit P (u ≤ 3) = 1und eine beliebige Unter-σ-Algebra G von F gilt:

E(u|G

)≤ E

(3|G

)(sog. Monotonie der bedingten Erwartung). Durch Supremumsbildung folgt:

E(||Mt||E

∣∣∣Fs

)≥ sup

n∈N|ϕn (Mt)| = ||Ms||E (P-f.s.) .

Es ist zudem offensichtlich, dass für jedes t ≥ 0 die Abbildung ||Mt||E als Verknüpfung mess-barer Abbildungen Ft-messbar ist, woraus insgesamt die Behauptung für den Fall p = 1 folgt.Für p ∈ (1,∞) wenden wir die sog. bedingte Jensen-Ungleichung (vgl. [Bau2002, Satz 15.3])an und erhalten unter Benutzung des Falles p = 1:

E(||Mt||

pE

∣∣∣Fs

)≥

∣∣∣∣E(||Mt||E

∣∣∣Fs

)∣∣∣∣p ≥ ∣∣∣||Ms||E

∣∣∣p = ||Ms||pE (P-f.s.) .

Die Messbarkeitsaussage bleibt natürlich erhalten und die Behauptung folgt.

5.10. Bemerkung. Angenommen wir haben einen E-wertigen Prozess(Xt

)t∈[0,T ] mit Zeitmenge

[0,T ], T > 0. Wir wollen dann z.B. die numerische Abbildung

Y B supt∈[0,T ]

||Xt||E

betrachten. Da wir aber das Supermum über eine überabzählbare Menge bilden, ist Y i.Allg.keine Zufallsvariable. Sind die Pfade unseres Prozesses überall rechtsstetig, d.h. für alle ω ∈ Ω,so ist

Y = supt∈(Q∩[0,T ])∪T

||Xt||E

und daraus ergibt sich die Messbarkeit von Y . Hat unser Prozess allerdings nur P-f.s. rechtss-tetige Pfade, so ist dies nicht garantiert. Allerdings existiert dann eine P-Nullmenge N ∈ F ,P (N) = 0, und die Abbildung

Y∗ B supt∈[0,T ]

||Xt · 1Ω\N ||E

ist eine Zufallsvariable. Wenn wir von nun an für solche Prozesse supt∈[0,T ] ||Xt||E schreiben, someinen wir stets die Zufallsvariable Y∗.

Mit Hilfe des obigen Satzes, können wir die Doob’sche Maximalungleichung (vgl. z.B. [Bau2002,Satz 46.4]) direkt auf Banachraum-wertige Martingale übertragen.

5.11. Satz. Es sei p ∈ (1,∞). Ist(Mt

)t∈[0,T ] ein

(Ft

)t∈[0,T ]-Martingal mit P-f.s. rechtsseitig steti-

gen Pfaden, so gilt:

E[

supt∈[0,T ]

||M(t)||pE]≤

(p

p − 1

)p

supt∈[0,T ]

E[||M(t)||pE

]

=

(p

p − 1

)p

E[||M(T )||pE

]≤

(p

p − 1

)p

E[

supt∈[0,T ]

||M(t)||pE].

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Beweis. Dies ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem vorherigen Satz und der Doob’schenMaximalungleichung für reellwertige, rechtsseitig stetige Submartingale ([Bau2002, Satz 46.4]).

Die erste Norm in der obigen Ungleichungskette ist die Standard-Norm in dem separablen Ba-nachraum [X]

Lp(Ω,F ,P; C ([0,T ]; E)),

während auf der rechten Seite die Standard-Norm in dem ebenfalls separablen Banachraum [X]

C ([0,T ]; Lp(Ω,F ,P; E))

zu finden ist. Offensichtlich sind diese Normen für Martingale mit stetigen Pfaden äquivalent.Beachte, dass wir M 2

T (Ω,F ,P; E) ohne weiteres als Teilmenge von Lp(Ω,F ,P; C ([0,T ]; E))auffassen können, falls die zugrunde gelegte Filtration normal ist: siehe Bemerkung 5.5 sowieBemerkung 5.10. Ist die Filtration nicht normal, so können wir das ebenfalls machen, sofernwir akzeptieren, dass eine Lp-Äquivalenzklasse auch Funktionen enthält, die nur P-f.s. definiertsind. Dies ist allerdings gängiger Usus in der heutigen Literatur.Wir zeigen nun, dass M 2

T (Ω,F ,(Ft

)t∈[0,T ],P; E), versehen mit einer der beiden äquivalenten

Normen ein Banachraum ist.

5.12. Satz. Der Raum M 2T (Ω,F ,

(Ft

)t∈[0,T ],P; E), versehen mit der Norm

||M||M 2T (E) := sup

t∈[0,T ]

(E[||M(t)||2E

])1/2=

(E[||M(T )||2E

])1/2

≤(E[

supt∈[0,T ]

||M(t)||2E])1/2

≤ 2(E[||M(T )||2E

])1/2, M ∈M 2

T (E),

ist ein Banachraum.

Beweis. Übung, siehe Blatt 2.

Ein quadratisch integrierbares, stetiges Martingal mit Werten in einem Hilbertraum (H, 〈·, ·〉H)haben wir bereits kennengelernt: der Q-Wiener Prozess. Dass das tatsächlich so ist, ist Inhaltdes folgenden Satzes.

5.13. Satz. Es sei W = (W(t))t∈[0,T ] ein H-wertiger Q-Wiener Prozess bzgl. einer normalenFiltration (Ft)t∈[0,T ]. Dann ist (W(t))t∈[0,T ] ein quadratische integrierbares, stetiges (Ft)t∈[0,T ]-Martingal, d.h.

W ∈M 2T (Ω,F ,

(Ft

)t∈[0,T ],P; H)

Beweis. Übung, siehe Blatt 2.

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Literaturverzeichnis

[Bau2002] Heinz Bauer, Wahrscheinlichkeitstheorie, 5., durchges. und verb. Aufl., De GruyterLehrbuch, Walter de Gruyter, Berlin, 2002.

[Coh2013] Donald L. Cohn, Measure Theory, 2. Aufl., Birkhäuser Advanced Texts BaslerLehrbücher, Birkhäuser, New York NY, 2013.

[PreRoe2007] Claudia Prévôt und Michael Röckner, A Concise Course on Stochastic PartialDifferential Equations, Lecture Notes in Mathematics, vol. 1905, Springer, Berlin undHeidelberg, 2007.

[Sch2005] René L. Schilling, Measures, Integrals and Martingales, Cambridge Univ. Press,Cambridge, 2005.