4 Potentialfelder - Mathematisches Seminar · Mathematik f¨ur Ingenieure III, WS 2009/2010 Montag...

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Mathematik f¨ ur Ingenieure III, WS 2009/2010 Montag 14.12 $Id: potential.tex,v 1.4 2009/12/14 15:55:24 hk Exp $ §4 Potentialfelder 4.1 Wegunabh¨ angige Integrierbarkeit Definition 4.1: Seien U R n offen und F : U R n ein stetiges Vektorfeld. Dann heißt F ein Potentialfeld wenn f¨ ur alle in U verlaufenden Kurven γ,δ mit gleichen Startpunkt und Endpunkt stets γ F · ds = δ F · ds ist. In anderen Worten sollen Kurvenintegrale ¨ uber das Vektorfeld F also nur von Anfangs- und Endpunkt des Integrationswegs abh¨ angen. Anstelle von Potentialfeld“ sind auch die Bezeichnungen konservatives Vektorfeld“ oder wegunabh¨ angig integrierbares Vek- torfeld“ gebr¨ auchlich. Wie wir bereits gesehen haben ist keinesfalls jedes Vektorfeld ein Potentialfeld, es handelt sich um eine echte Bedingung an das Vektorfeld. Haben wir ein Potentialfeld auf einer offenen Menge U R n , so ist es naheliegend f¨ ur Kurvenintegrale ¨ uber F den Integrationsweg gar nicht hinzuschreiben, sondern nur seinen Anfangs- und Endpunkt anzugeben, also so etwas wie q p F (s) · ds mit p, q U zu schreiben. Damit dieser Ausdruck f¨ ur alle m¨ oglichen p, q U sinnvoll ist, brauchen wir das es ¨ uberhaupt zu allen p, q U immer eine Kurve γ in U mit Startpunkt p und Endpunkt q gibt. Dies bedeutet gerade das die Menge U zusammenh¨ angend ist, denn in §9.4 im letzten Semester hatten wir dies so definiert das sich je zwei Punkte in U sogar durch einen Streckenzug verbinden lassen. Definition 4.2: Eine Gebiet im R n ist eine offene, zusammenh¨ angende und nicht leere Menge U R n . Sind U R n ein Gebiet, F : U R n ein Potentialfeld und p, q U , so w¨ ahlen wir eine Kurve γ in U mit Startpunkt p und Endpunkt q, und definieren q p F · ds = q p F (s) · ds := γ F · ds. Mit dieser Schreibweise verh¨ alt sich das Integral ¨ uber F dann so wie das eindimensio- nale Rieman-Integral, f¨ ur alle p, q, r U ist n¨ amlich nach §3.Satz 2.(c,d) stets q p F (s) · ds + r q F (s) · ds = r p F (s) · ds und p q F (s) · ds = - q p F (s) · ds. Weiter ist p p F (s) · ds = 0 f¨ ur jeden Punkt p U , d.h. das Integral von F ¨ uber eine geschlossene Kurve ist immer Null. Dies ist tats¨ achlich gleichwertig dazu das F ein Potentialfeld ist F ist konservativ ⇐⇒ ur jede geschlossene Kurve γ in U ist γ F · ds =0. 14-1

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Mathematik fur Ingenieure III, WS 2009/2010 Montag 14.12

$Id: potential.tex,v 1.4 2009/12/14 15:55:24 hk Exp $

§4 Potentialfelder

4.1 Wegunabhangige Integrierbarkeit

Definition 4.1: Seien U ⊆ Rn offen und F : U → Rn ein stetiges Vektorfeld. Dannheißt F ein Potentialfeld wenn fur alle in U verlaufenden Kurven γ, δ mit gleichenStartpunkt und Endpunkt stets

∫γF · ds =

∫δF · ds ist.

In anderen Worten sollen Kurvenintegrale uber das Vektorfeld F also nur von Anfangs-und Endpunkt des Integrationswegs abhangen. Anstelle von

”Potentialfeld“ sind auch

die Bezeichnungen”konservatives Vektorfeld“ oder

”wegunabhangig integrierbares Vek-

torfeld“ gebrauchlich. Wie wir bereits gesehen haben ist keinesfalls jedes Vektorfeld einPotentialfeld, es handelt sich um eine echte Bedingung an das Vektorfeld. Haben wir einPotentialfeld auf einer offenen Menge U ⊆ Rn, so ist es naheliegend fur Kurvenintegraleuber F den Integrationsweg gar nicht hinzuschreiben, sondern nur seinen Anfangs- undEndpunkt anzugeben, also so etwas wie

∫ q

pF (s) · ds mit p, q ∈ U zu schreiben. Damit

dieser Ausdruck fur alle moglichen p, q ∈ U sinnvoll ist, brauchen wir das es uberhauptzu allen p, q ∈ U immer eine Kurve γ in U mit Startpunkt p und Endpunkt q gibt.Dies bedeutet gerade das die Menge U zusammenhangend ist, denn in §9.4 im letztenSemester hatten wir dies so definiert das sich je zwei Punkte in U sogar durch einenStreckenzug verbinden lassen.

Definition 4.2: Eine Gebiet im Rn ist eine offene, zusammenhangende und nicht leereMenge U ⊆ Rn. Sind U ⊆ Rn ein Gebiet, F : U → Rn ein Potentialfeld und p, q ∈ U ,so wahlen wir eine Kurve γ in U mit Startpunkt p und Endpunkt q, und definieren∫ q

p

F · ds =

∫ q

p

F (s) · ds :=

∫γ

F · ds.

Mit dieser Schreibweise verhalt sich das Integral uber F dann so wie das eindimensio-nale Rieman-Integral, fur alle p, q, r ∈ U ist namlich nach §3.Satz 2.(c,d) stets∫ q

p

F (s) · ds+

∫ r

q

F (s) · ds =

∫ r

p

F (s) · ds und

∫ p

q

F (s) · ds = −∫ q

p

F (s) · ds.

Weiter ist∫ p

pF (s) · ds = 0 fur jeden Punkt p ∈ U , d.h. das Integral von F uber eine

geschlossene Kurve ist immer Null. Dies ist tatsachlich gleichwertig dazu das F einPotentialfeld ist

F ist konservativ ⇐⇒ Fur jede geschlossene Kurve γ in U ist

∮γ

F · ds = 0.

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γ δ

Angenommen wir haben ein Vektorfeld F dessen Integral uberjede geschlossene Kurve gleich Null ist. Seien dann γ, δ zweibeliebige Kurven mit gleichen Anfangs- und Endpunkt. Dannkonnen wir die geschlossene Kurve

ε := γ + δ−

bilden, die zunachst γ entlanglauft und dann mit δ in umge-kehrter Richtung zurucklauft. Nach unserer Voraussetzung anF ist dann ∫

γ

F · ds−∫

δ

F · ds =

∫γ

F · ds+

∫δ−F · ds =

∮ε

F · ds = 0,

und somit ist tatsachlich∫

γF · ds =

∫δF · ds. Wir wollen jetzt einige Beispiele konser-

vativer Vektorfelder durchgehen.Als ein einfaches Beispiel betrachten wir die Erdanziehung. Fur die Menge U konnen

wir dann etwa U := R3 verwenden und die Erdanziehung wird durch das konstanteVektorfeld F (x, y, z) = −ge3 beschrieben, wobei g die Erdbeschleunigung ist. Wennwir ein Kurvenintegral

∫γF · ds betrachten, so hatten wir in §3.3 bereits festgehalten

das dieses Kurvenintegral gerade die von F entlang des Weges γ geleistete Arbeit ist.In dieser Situation ist klar, das diese Arbeit nur von der Hohendifferenz des Start- undEndpunkts der Kurve abhangt. Dies kann man auch leicht nachrechnen∫

γ

F · ds = −∫ b

a

gγ′3(t) dt = g · (γ3(a)− γ3(b))

wobei γ3 die z-Komponente von γ ist und [a, b] fur das Definitionsintervall der Kurve γsteht. Damit ist insbesondere gezeigt das F ein Potentialfeld ist. Betrachten wir weiterdie Funktion

ϕ : U → R; (x, y, z) 7→ −gz

so konnen wir unsere Gleichung als∫ q

p

F · ds = ϕ(q)− ϕ(p)

fur alle Punkte p, q ∈ U lesen. Als ein zweites Beispiel betrachten wir einmal dasGravitationsfeld G eines fixierten Korpers K der Masse M , d.h. der Korper K wirktauf eine Masse m im Punkt q die Kraft F = mG(q) aus. Schon in §3.2 hatten wir dieFormel

G(q) = −γM q

|q|3

festgehalten, wobei wir uns den Korper K im Koordinatenursprung denken. Kurven-integrale uber das Gravitationsfeld G bedeuten dann wieder so etwas ahnliches wiegeleistete Arbeit, wird ein Korper der Masse m langs der Kurve δ im Gravitationsfeld

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G bewegt, so ist W = m∫

δG · ds die vom Gravitationsfeld geleistete Arbeit. Insbe-

sondere sollten die Kurvenintegrale wohl wieder nur vom Abstand des Anfangs- undEndpunkts der Kurve zum Nullpunkt abhangen. Dies rechnet man am bequemsten inKugelkoordinaten nach. Nach §3.4 ist der Orstvektor in Kugelkoordinaten gleich rer,das Gravitationsfeld schreibt sich also als

G(r, φ, ψ) = −γMr3

rer = −γMr2

er = −γMr2

∂r.

Fur die Kurve δ(t) = (r(t), φ(t), ψ(t)), a ≤ t ≤ b wird∫δ

G · ds = −γM∫ b

a

r′(t)

r(t)2dt = γM

1

r(t)

∣∣∣∣ba

= γM

(1

r(b)− 1

r(a)

).

Definieren wir also

ϕ(p) :=γM

|p|,

so haben wir erneut fur alle p, q ∈ R3\{0} die Gleichung∫ q

p

G(s) · ds = ϕ(q)− ϕ(p).

Diese Beispiele fuhren auf den Begriff von Potentialen eines konservativen Vektorfelds.

Definition 4.3: Sei F ein auf einem Gebiet U ⊆ Rn definiertes konservatives Vektorfeld.Ein Potential von F ist dann eine Funktion ϕ : U → R mit∫ q

p

F (s) · ds = ϕ(q)− ϕ(p)

fur alle p, q ∈ U .

Da die ein Potential definierende Formel analog zur Berechnung des Rieman-Integralseiner Funktion f durch eine Stammfunktion F als

∫ b

af(t) dt = F (b)−F (a) ist, spricht

man oft auch von einer Stammfunktion ϕ des konservativen Vektorfelds F . Auch dieBezeichnung

”Potentialfeld“ fur das Potential ϕ kommt vor, man sollte das dann aber

nicht mit dem ebenfalls als Potentialfeld bezeichneten Vektorfeld F verwechseln.Genau wie Stammfunktionen einer reellen Funktion ist ein Potential bis auf eine

additive Konstante eindeutig. Da nur Differenzen von ϕ auftauchen, ist die Summeeines Potentials und einer Konstanten wieder ein Potential von F . Ist umgekehrt derFunktionswert ϕ(p) = c in einem Punkt p ∈ U festgelegt, so ist fur jedes andere q ∈ Uauch

ϕ(q) = ϕ(p) + (ϕ(q)− ϕ(p)) = c+

∫ q

p

F (s) · ds

eindeutig festgelegt. Diese Formel gibt uns umgekehrt auch eine erste Moglichkeit zurBerechnung von Potentialen. Man wahlt willkurlich einen Punkt p ∈ U und einen

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Funktionswert c ∈ R im Punkt p, und definiert ϕ dann durch die obige Formel. Wennes uberhaupt ein Potential gibt, so muss dieses ϕ dann eines sein. Etwas unschon andieser Formel ist noch, dass die Berechnung von

∫ q

pF · ds die Wahl einer Kurve von p

nach q erfordert. Ein einfacher Ansatz hierfur ist die Verbindungsstrecke

γ(t) = p+ t(q − p), 0 ≤ t ≤ 1,

aber im Allgemeinen muss diese naturlich nicht ganz in U verlaufen. Mengen bei denenes ein passendes p ∈ U gibt so, dass all diese Strecken ganz in U sind, nennt mansternformig.

p+t(q−p)

p

q

p

Verbindungsstrecke nicht in U Sternformige Menge

Definition 4.4: Eine Menge A ⊆ Rn heißt sternformig bezuglich eines Punkts p ∈ Awenn fur jeden Punkt q ∈ A auch die Verbindungsstrecke {p+ t(q− p)|0 ≤ t ≤ 1} ⊆ Aganz in A liegt. Die Menge A heißt sternformig wenn es einen Punkt p ∈ A gibt so,dass A bezuglich des Punkts p sternformig ist.

Haben wir ein bezuglich eines Punktes p ∈ U sternformiges Gebiet U ⊆ Rn, und einkonservatives Vektorfeld F auf U , so wird die obige Formel fur ein Potential von F zu

ϕ(q) =

∫ q

p

F (s) · ds =

∫ 1

0

F (p+ t(q − p)) · (q − p) dt.

Wenn es uberhaupt ein Potential von F gibt, so muss dieses eines sein. Uberprufen wireinmal was sich im Beispiel der Erdanziehung ergibt. Der Einfachheit halber betrachtenwir diese diesmal auf dem ganzen R3 und nehmen p = 0. Es ergibt sich dann das unsschon bekannte Potential

ϕ(x, y, z) =

∫ 1

0

00−g

·

xyz

dt = −gz.

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4.2 Gradientenfelder

Wir wollen nun umgekehrt von einem Potential ϕ starten und daraus ein konservativesVektorfeld berechnen dessen Potential dann ϕ ist. Schon im letzten Semester in §9.5hatten wir den Gradienten von ϕ als

gradϕ(x) :=

∂f∂x1

(x)...

∂f∂xn

(x)

definiert, d.h. als den aus den partiellen Ableitungen von f gebildeten Vektor. Damitkonnen wir jedem Skalarfeld ϕ auf einer offenen Menge U ⊆ Rn als Ableitung daszugehorige Gradientenfeld F = gradϕ : U → Rn zuordnen. Aus dem letzten Semesterkennen wir auch einige der geometrischen Eigenschaften des Gradientenfeldes:

1. Sind x ∈ U und u ∈ Rn, so gilt die Gleichung

ϕ′(x)u = gradϕ(x) · u,

die Ableitung von ϕ im Punkt x ist also durch skalare Multiplikation mit demGradienten in x gegeben.

2. Das Gradientenfeld F = gradϕ zeigt in jedem Punkt in die Richtung des stark-sten Anstiegs des Potentials ϕ.

3. Die Feldstarke |F (x)| ist in linearer Naherung der Betrag des Anstiegs von ϕ inRichtung von F .

4. Das Gradientenfeld F steht senkrecht auf den Niveaumengen

Mc := {x ∈ U |ϕ(x) = c} (c ∈ R)

von ϕ. Dies hatten wir zwar im letzten Semester nicht explizit festgehalten, esfolgt aber leicht aus den damals beschriebenen Aussagen. Ist namlich γ eine ineiner Niveaumenge Mc, c ∈ R verlaufende Kurve, also ϕ(γ(t)) = c fur alle t imDefinitionsbereich von γ, so folgt durch Ableiten in x = γ(t) mit der Kettenregelauch

0 =d

dtϕ(γ(t)) = ϕ′(x)γ′(t) = gradϕ(x) · γ′(t) = F (x) · γ′(t),

d.h. F (x) steht senkrecht auf allen in Mc liegenden Kurven, und damit auf Mc

selbst.

Wir wollen uns einmal zwei Beispiele zu diesen Eigenschaften des Gradientenfeldesanschauen. Wir beginnen mit

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11.5

22.5

33.5

4

x

–1

–0.5

0

0.5

1

y

0

10

20

30

–1

–0.5

0

0.5

1

y

1 1.5 2 2.5 3 3.5 4

x

ϕ(x, y) =tan y

x+ x2y +

x3 + y3

3Niveaumengen und gradϕ

Wir wollen uns auch noch ein dreidimensionales Beispiel

ϕ(x, y, z) = z2x+ y cosx− 2yz +z2

2

anschauen. Da wir auf die Graphen nicht”von oben draufschauen“ konnen malen wir

jeweils nur eine Niveauflache Mc und das Gradientenfeld

0

1

2

3

4

5

6

x

0

1

2

3

4

5

6

y

0

1

2

3

4

5

6

z

0

1

2

3

4

5

6

x

0

1

2

3

4

5

6

y

0

1

2

3

4

5

6

z

0

1

2

3

4

5

6

x

0

1

2

3

4

5

6

y

0

1

2

3

4

5

6

z

c = 0 c = 5 c = 10

Beachte wie die Niveauflache fur großer werdendes c der Gradientenrichtung folgt. Dieim obigen Punkt (4) verwendete Formel konnen wir tatsachlich auch benutzen, umeinzusehen das jedes Gradientenfeld konservativ ist. Sei namlich ϕ : U → R eine stetigdifferenzierbare Funktion auf einem Gebiet U ⊆ Rn. Wir betrachten das GradientenfeldF = gradϕ. Fur jede ganz in U verlaufende Kurve γ : [a, b] → U haben wir dann∫

γ

F · ds =

∫ b

a

gradϕ(γ(t)) · γ′(t) dt =

∫ b

a

[d

dtϕ(γ(t))

]dt = ϕ(γ(b))− ϕ(γ(a)).

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Damit ist F ein konservatives Vektorfeld mit∫ q

p

F (s) · ds = ϕ(q)− ϕ(p)

fur alle p, q ∈ U und insbesondere ist das Skalarfeld ϕ mit dem wir gestartet sind einPotential von F . Tatsachlich gilt auch die Umkehrung dieses Satzes, auf deren Beweiswir hier aber verzichten wollen.

Satz 4.1 (Charakterisierung der Potenzialfelder)Seien U ⊆ Rn ein Gebiet und F : U → Rn eine stetiges Vektorfeld auf U . Dann ist Fgenau dann ein Potentialfeld wenn F ein Gradientenfeld ist, d.h. wenn es eine stetigdifferenzierbare Funktion ϕ : U → R mit F = gradϕ gibt. Die Funktionen ϕ mit dieserEigenschaft sind dann genau die Potentiale von ϕ.

Insbesondere haben wir damit eine erste Methode zu entscheiden ob ein Vektorfeld Fein Potenzialfeld ist.

Gegeben: Ein stetiges Vektorfeld F auf einem Gebiet U ⊆ Rn.Aufgabe: Entscheide ob F ein Potentialfeld ist, und bestimme gegebenenfalls einPotential von f .Verfahren: Wir gehen in den folgenden Schritten vor:

1. Wahle einen Punkt p ∈ U , falls moglich so das U sternformig zu p ist.

2. Fur jeden Punkt q ∈ U wahle eine Kurve γ mit Startpunkt p und Endpunkt q,und berechne die Zahl ϕ(q) :=

∫γF (s) · ds. Typischerweise wird fur γ entweder

die Verbindungsstrecke von p nach q genommen oder eine Kurve die aus Stuckenjeweils parallel zu einer der Koordinatenachsen zusammengesetzt ist.

3. Berechne das Gradientenfeld gradϕ und teste ob F = gradϕ ist. Wenn ja, so istF konservativ mit Potential ϕ und wenn nein so ist F nicht konservativ.

Wir wollen dieses Verfahren einmal an den beiden zu Beginn dieses Kapitels angege-benen Vektorfeldern

F (x, y) =

(y

y − x

)und G(x, y) =

(y

x− y

)durchfuhren. Wir hatten bereits gesehen, dass F definitiv kein Potentialfeld ist, undbehauptet das G eines ist. Beide Vektorfelder sind auf U = R2 definiert, und U iststernformig zu jedem Punkt. Wir fuhren jetzt das obige Verfahren fur beide Vektorfel-der durch und wahlen p = 0. Das Kandidatenpotential ist dann fur F

ϕ(x, y) =

∫ 1

0

(ty

ty − tx

)·(xy

)dt =

∫ 1

0

(txy + ty2 − txy) dt =1

2y2

aber der Gradient von ϕ ist

gradϕ(x, y) =

(0y

).

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Wie wir bereits wussten ist F also kein Potentialfeld. Fur das Vektorfeld G rechnenwir

ψ(x, y) =

∫ 1

0

(ty

tx− ty

)·(xy

)dt =

∫ 1

0

(txy+txy−ty2) dt =1

2(2xy−y2) = xy−1

2y2,

und diesmal ist tatsachlich

gradψ(x, y) =

(y

x− y

)= G(x, y).

Das Vektorfeld G ist also wirklich ein Potentialfeld und ψ ist ein Potential von G.Das F nicht konservativ ist, kann man auch deutlich daran sehen das F (x, y) nichtsenkrecht auf den Niveaumengen ϕ(x, y) = c ist.

–4

–2

0

2

4

y

–4 –2 2 4

x

–4

–2

0

2

4

y

–4 –2 2 4

x

F (x, y) und Niveaumengen y2 = 2c G(x, y) senkrecht auf ψ(x, y) = c

4.3 Das Potentialkriterium

Im Prinzip konnen wir mit dem Verfahren des letzten Abschnitts von jedem Vektorfeldfeststellen ob es konservativ ist oder nicht. Falls das Vektorfeld allerdings nicht konser-vativ war, ist die versuchsweise Berechnung eines Potentials im Nachhinhein recht vielunnotiger Aufwand. Das in diesem Abschnitt vorgestellte Potentialkriterium erlaubt esschon im Vorwege zu entscheiden ob ein Vektorfeld ein Potentialfeld ist oder nicht.

Ist F = (F1, . . . , Fn) ein stetig differenzierbares Potentialfeld, so gibt es nach Satz1 ein Potential ϕ mit F = gradϕ, d.h. fur 1 ≤ i ≤ n ist Fi = ∂ϕ/∂xi. Fur verschiedene

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Indizes 1 ≤ i, j ≤ n, i 6= j folgt mit Satz 10.1 aus dem letzten Semester

∂Fi

∂xj

=∂2ϕ

∂xi∂xj

=∂2ϕ

∂xj∂xi

=∂Fj

∂xi

,

und dies ist somit eine notwendige Bedingung dafur das F konservativ ist. Dies ist dassogenannte

Potentialkriterium fur F (x) = F1(x)∂

∂x1

+ · · ·+ Fn(x)∂

∂xn

:

Fur alle 1 ≤ i < j ≤ n ist∂Fi

∂xj

=∂Fj

∂xi

.

Speziell fur n = 2 bedeutet dies

Potentialkriterium fur F (x, y) = f(x, y)∂

∂x+ g(x, y)

∂y:

∂f

∂y=∂g

∂x

und fur n = 3 wird die Bedingung zu

Potentialkriterium fur F (x, y, z) = f(x, y, z)∂

∂x+ g(x, y, z)

∂y+ h(x, y, z)

∂z:

∂f

∂y=∂g

∂x,∂f

∂z=∂h

∂xund

∂g

∂z=∂h

∂y.

Das Potentialkriterium ist zunachst nur eine notwendige Bedingung, d.h. wenn F einPotentialfeld ist, so erfullt F auch das Potentialkriterium, aber nicht unbedingt umge-kehrt. Wir betrachten zum Beispiel das folgende Vektorfeld auf U = R2\{0}

F (x, y) =

(− y

x2+y2

xx2+y2

)=

x

x2 + y2

∂y− y

x2 + y2

∂x.

Dann gilt∂

∂y

(− y

x2 + y2

)= −x

2 + y2 − 2y2

(x2 + y2)2=

y2 − x2

(x2 + y2)2

und∂

∂x

x

x2 + y2=x2 + y2 − 2x2

(x2 + y2)2=

y2 − x2

(x2 + y2)2=

∂y

(− y

x2 + y2

),

das Vektorfeld F erfullt also das Potentialkriterium. Wir betrachten jetzt die Kur-ve γ, die n ∈ Z mal im Abstand R > 0 um den Nullpunkt lauft, also γ(t) =(R cos(nt), R sin(nt)), 0 ≤ t ≤ 2π. Es ist

F (γ(t)) =1

R

(− sin(nt)

cos(nt)

)und γ′(t) = nR

(− sin(nt)

cos(nt)

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also ∮γ

F (s) · ds =

∫ 2π

0

n dt = 2πn,

und somit ist F kein Potentialfeld obwohl F das Potentialkriterium erfullt. Um besserzu sehen was hier passiert schreiben wir das Vektorfeld F in Polarkoordinaten um

F (r, φ) = −sinφ

r

∂x+

cosφ

r

∂y

= −sinφ

r

(cosφ

∂r− sinφ

r

∂φ

)+

cosφ

r

(sinφ

∂r+

cosφ

r

∂φ

)=

1

r2

∂φ.

Integrieren wir dies langs einer Kurve γ(t) = (r(t), φ(t)), a ≤ t ≤ b in Polarkoordinaten,so wird ∫

γ

F (s) · ds =

∫ b

a

φ′(t) dt = φ(b)− φ(a),

und dies scheint doch nur von Anfangs- und Endpunkt von γ abzuhangen. Dies istaber nur eine Tauschung, die Polarkoordinate φ ist ja auf ganz R2\{0} nur bis aufadditive Vielfache von 2π festgelegt. Damit ist es auch kein Zufall das bei unserem obenberechneten Kurvenintegral

∮γF · ds gerade ein Vielfaches von 2π herausgekommen

ist. Schranken wir uns fur φ auf ein Intervall der Lange 2π ein, so gibt es dagegen einPotential namlich ϕ(φ, r) = φ in Polarkoordinaten. Damit ist F beispielsweise auf dergeschlitzten Ebene C− = C\R≤0 ein Potentialfeld und das Argument φ = ϕ(x, y) von(x, y) ist ein Potential. Bei der Umkehrung des Potentialkriteriums ist nicht so sehrdas Vektorfeld F das Problem, sondern die Menge U auf der es definiert ist.

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