1. Der Beginn des zweiten Buches (1,1–26)1 kann man dazu in dem Buch von Denniston nachlesen: John...

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1. Der Beginn des zweiten Buches (1,1–26) 1 § 1 Die inscriptio B evor wir zum Proömium des δετερο λγο des Lukas kommen (Apg 1, 1–8), befassen wir uns in aller Kürze mit der Überschrift dieses zweiten Bu- ches, technisch: der inscriptio. Diese lautet πρξει ποστλων, wie Sie der Aus- gabe von Nestle/Aland unschwer 2 entnehmen können. Generell kann man sagen, daß die neutestamentlichen Buchüberschriften nicht von den Verfassern der jeweiligen Bücher selbst stammen. Mögen die Evangelien- überschriften auch sehr alt sein und im Fall des lukanischen Doppelwerkes sogar 1 Eine Liste mit Literatur zur Apostelgeschichte finden Sie im Internet unter . Diese wird ständig aktualisiert. Die Kommentare zur Apostelgeschichte werden im folgenden nur mit dem Vornamen und dem- Zitierweise für die Kommentare zur Apostelgeschichte Namen des Verfassers zitiert; alle andern Literaturangaben sind vollständig, von Abkürzungen wie Nestle/Aland, Bauer/Aland, BDR, LSJ und ähnlichen abgesehen. 2 Das ist vielleicht ein wenig übertrieben, dieses „unschwer“. Denn ein Blick in die Ausgabe von Nestle/Aland fördert fünf verschiedene Lesarten für die inscriptio zutage: LA I: πρξει (nach der Erläuterung S. 735 nicht von erster Hand: secunda manu); 1175 und wenige weitere Handschriften LA II: πρξει ποστλων B und D mit kleineren Abweichungen; Ψ sowie wenige weitere Handschriften LA III: α πρξει τν ποστλων 323 s [supplementum zur Handschrift 323, vgl. die Einführung des Nestle/Aland, S. 13*]; 925; 1241 mit kleineren Abweichungen und andere Handschriften LA IV: πρξει τν γων ποστλων 453; mit kleineren Abweichungen auch: 614, 1505, 1704 und 1739 s ; 1884 und viele weitere Hand- schriften LA V: Λουκ εαγγελιστο πρξει τν γων ποστλων 33; 189; 1891; 2344 und weitere Handschriften Man sieht: Der Titel wächst immer weiter in die Länge. Allerdings wird man die kürzeste Fassung (LA I) schwerlich für die älteste halten. Vielmehr empfiehlt es sich, bei der von den Herausgebern gewählten Fassung, der LA II also, zu bleiben.

Transcript of 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,1–26)1 kann man dazu in dem Buch von Denniston nachlesen: John...

  • 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)1

    1 Die inscriptio

    Bevor wir zum Promium des des Lukas kommen (Apg 1,18), befassen wir uns in aller Krze mit der berschrift dieses zweiten Bu-ches, technisch: der inscriptio. Diese lautet , wie Sie der Aus-gabe von Nestle/Aland unschwer2 entnehmen knnen.

    Generell kann man sagen, da die neutestamentlichen Buchberschriften nichtvon den Verfassern der jeweiligen Bcher selbst stammen. Mgen die Evangelien-berschriften auch sehr alt sein und im Fall des lukanischen Doppelwerkes sogar

    1 Eine Liste mit Literatur zur Apostelgeschichte finden Sie im Internet unter www.die-apo-stelgeschichte.de. Diese wird stndig aktualisiert.

    Die Kommentare zur Apostelgeschichte werden im folgenden nur mit dem Vornamen und dem- Zitierweise fr dieKommentare zurApostelgeschichte

    Namen des Verfassers zitiert; alle andern Literaturangaben sind vollstndig, von Abkrzungen wieNestle/Aland, Bauer/Aland, BDR, LSJ und hnlichen abgesehen.

    2 Das ist vielleicht ein wenig bertrieben, dieses unschwer. Denn ein Blick in die Ausgabe vonNestle/Aland frdert fnf verschiedene Lesarten fr die inscriptio zutage:LA I: (nach der Erluterung S. 735 nicht von erster Hand: secunda manu); 1175 und wenige weitereHandschriftenLA II: B und D mit kleineren Abweichungen; sowie wenige weitere HandschriftenLA III: 323s [supplementum zur Handschrift 323, vgl. die Einfhrung des Nestle/Aland, S. 13*]; 925; 1241mit kleineren Abweichungen und andere HandschriftenLA IV: 453; mit kleineren Abweichungen auch: 614, 1505, 1704 und 1739s; 1884 und viele weitere Hand-schriftenLA V: 33; 189; 1891; 2344 und weitere Handschriften

    Man sieht: Der Titel wchst immer weiter in die Lnge. Allerdings wird man die krzeste Fassung(LA I) schwerlich fr die lteste halten. Vielmehr empfiehlt es sich, bei der von den Herausgeberngewhlten Fassung, der LA II also, zu bleiben.

  • 2 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    auf eine Initiative des Gnners Theophilus zurckgehen3 das ist HengelscheSpekulation , vom Verfasser selbst stammen sie jedenfalls nicht. Richtig bemerktConzelmann in seinem Kommentar zur Stelle: Die inscriptio + - B (D schreibt , was als Itazismus anzusehen ist) ist schwerlich ursprng-lich.4

    Dies ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die beiden Bcher des Lukas ur-sprnglich ja eine Einheit bildeten und vom Verfasser auch so gedacht waren, wiewir bei der Interpretation des Promiums in 2 sogleich sehen werden. Erst durchdie Trennung im Rahmen der neutestamentlichen Reihenfolge wurde berhauptein Titel fr das zweite Buch erforderlich:

    Luk Joh Apg

    Conzelmann beruft sich in diesem Zusammenhang auf den einschlgigen Arti-kel im ThWNT, wo es heit: Der Titel der Apostelgeschichte, -, stammt nicht von Lukas selbst, sondern wohl aus dem 2. Jahrhundert. Kei-nes der beiden Worte deckt sich mit dem Sprachgebrauch u[nd] der Absicht desL[u]k[as]. Dieser braucht sonst nie in Anlehnung an die res gestae at.licheroder hell[enistischer] Prgung . . . , u[nd] sind fr ihn, mit Ausnahmevon Ag 14,4.14, nur die Zeugen des ganzen Leidens u[nd] der Auferstehung Je-su (Ag 1,21f), was fr die Hauptgestalt P[au]l[u]s gerade nicht zutrifft. Vor allemaber sind nach Lk nicht die Ap[ostel] das Subj[ekt] der Taten, sondern der erhh-te Herr durch sein Wort, durch das er von Jerusalem zum Mittelpunkt der Welt,nach Rom zieht. Die Betonung des Handelns Christi macht es aber auch wiederfraglich, ob die vorgeschlagene bers[etzung] Taten und Erfahrungen . . . der Sachebesser gerecht wird als der Hinweis auf die res gestae.5

    Anderer Auffassung ist Theodor Zahn, der in seinem Kommentar zur Apostel-geschichte diesen Titel fr ursprnglich hlt. Er hlt die

    3 Martin Hengel: Die Evangelienberschriften, SHAW.PH 1984,3, Heidelberg 1984, S. 49f.4 Hans Conzelmann, S. 24. Nicht nur im Rahmen der neutestamentlichen Schriften gilt, da die

    Titel in der Regel nicht auf den jeweiligen Verfasser zurckgehen. Dies ist bei antiken Prosaschriftenberhaupt der Fall. Zum Problem vgl. Bianca-Jeanette Schrder: Titel und Text. Zur Entwicklunglateinischer Gedichtberschriften. Mit Untersuchungen zu lateinischen Buchtiteln, Inhaltsverzeich-nissen und anderen Gliederungsmitteln, UALG 54, Berlin/New York 1999.

    Ich bernehme hier und im folgenden Ergebnisse aus den im WS 2005/2006 und im SS 2007durchgefhrten Lektren zur Apostelgeschichte, die ich gemeinsam mit dem Kollegen StephanSchrder (Grzistik) durchgefhrt habe, ohne dies im einzelnen zu kennzeichnen. ber die Ergeb-nisse dieser beiden bungen informieren die Protokolle, die im Netz zugnglich sind (ebenfalls unterwww.die-apostelgeschichte.de).

    5 Christian Maurer: Art. , ThWNT VI (1954), S. 643645; hier S. 644f.

  • 1 Die inscriptio 3

    Annahme fr gesichert, da L[u]c[as] selbst dem zweiten Buch seines Werkesdiesen Titel gegeben habe . . . . Er ist, was ein Buchtitel sein soll, ein abgekrzterAusdruck fr die Gegenstnde, deren Darstellung dem Schriftsteller beim ber-gang vom ersten zum zweiten Teil seines Werkes als seine nchste Aufgabe vor-schwebte. Whrend L[u]c[as], wie mancher andere Schriftsteller seiner Zeit undder Folgezeit, beim Beginn seiner gro angelegten Arbeit noch nicht ber einen dasganze Werk umfassenden Titel mit sich einig war, war es ihm ein Bedrfnis, beimbergang vom ersten zum zweiten Buch den damit erreichten Wendepunkt durcheinen vorgesetzten Sondertitel gegenstzlich hervorzuheben.6 Diese Auffassungist jedoch nicht haltbar, weil sie den Sprachgebrauch des Lukas nicht hinreichendbercksichtigt: Nach Lukas ist Paulus kein Apostel, wie die Definition des Apo-stels in 1,21f. zeigt aber mehr als die Hlfte des Buches handelt von Paulus. Dieberschrift ist also lukanisch gedacht nicht zutreffend; sie kann mithin nichtauf Lukas zurckgehen.

    Conzelmann stellt ganz allgemein fest: Fr das griechische Buch ist ein Titelauch in der hellenistischen Zeit entbehrlich . . . .7 Wir halten fest: Da Lukas sei- Zusammenfassungnem Doppelwerk einen Titel gegeben hat, ist wegen der antiken Gepflogenheitenunwahrscheinlich. Der in den griechischen Handschriften berlieferte Titel seineszweiten Buches geht in keinem Fall auf den Verfasser selbst zurck, da er demSprachgebrauch des Lukas nicht entspricht und theologisch im Widerspruch zuseinen berzeugungen steht.

    6 Theodor Zahn, S. 9.7 Hans Conzelmann, S. 24.

  • 4 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    2 Das Promium der Apostelgeschichte (1,18)

    Die Schriften des Neuen Testaments weisen in der Regel kein Promium auf.Eine Ausnahme bildet Lukas, der seinem Evangelium in 1,14 ein solchesvoranstellt; damit unterscheidet er sich von seinen Evangelistenkollegen. Daherliegt die Annahme nahe, da auch sein zweites Buch mit einem solchen Promiumbeginnt. Daher schlage ich die folgende Gliederung vor:

    1,18 Das Promium

    1,911 Die zweite Himmelfahrt

    1,1214 Die Urgemeinde

    1,1526 Judas wird durch Matthias ersetzt

    Diese Unterteilung nehme ich aus praktischen Grnden vor. Man knnte auchargumentieren, da nach 1,8 ein echter Einschnitt gar nicht vorliegt, denn derBeginn von v. 9 mit spricht gegen einen Einschnitt, da wederein Wechsel des Ortes noch ein Wechsel des Personals vorliegt. Die Formulierungspricht eher fr Zusammengehrigkeit als fr Trennung der beiden Abschnitte.hnlich steht es auch nach v. 11: Zwar liegt zwischen v. 11 und v. 12 ein strkererEinschnitt vor. Aber auch hier wird eigentlich zunchst die Himmelfahrtserzhlungfortgefhrt, wenn von der Rckkehr nach Jerusalem berichtet wird. Daher knnteman dieses erste Kapitel mit gleichem Recht nur in zwei Abschnitte, nmlich inv. 114 und v. 1526 untergliedern. Da der erste Abschnitt dann aber drei ganzunterschiedliche Stcke enthielte, bleibe ich bei der von mir oben vorgeschlagenenGliederung.

    Das hauptschliche Problem dieses Vorschlags liegt in dem ersten Stck, v. 18.1 In dieser Form kann man es nicht gut als Promium bezeichnen. Vielleichtsollte man genauer sagen, da Lukas hier an sein Promium in Luk 1,14 erinnert,indem er vom ersten Buch spricht und Theophilos noch einmal anspricht.

    Man kann diesen ersten Abschnitt der Apostelgeschichte 1,18 in zwei Teilezerlegen, nmlich in 1,12 und 1,38.

    1 Das erste Buch zwar, lieber Theophilos, habe ich verfat ber alles, wasJesus zu tun und zu lehren anfing, 2 bis zu dem Tag, da er nach dem Auftragan die Apostel, die er erwhlt hatte, durch den heiligen Geist entrckt wurde.

    1 Zur Kritik im einzelnen vgl. das Protokoll der ersten drei Sitzungen aus dem WS 2005/2006(oben S. 2, Anm. 4 genannt), S. 12.

  • 2 Das Promium der Apostelgeschichte (1,18) 5

    Wir wenden uns zunchst den ersten beiden Versen zu.2 Diese beiden Versekann man als ein kurzes Promium im engeren Sinne fr dieses zweiten Buchesdes Lukas betrachten. Conzelmann sagt in seinem Kommentar: Indem Lk einPromium . . . wenigstens andeutet, erhebt er literarische Ansprche und stellt seinBuch als Monographie vor.3 Dieses Phnomen zeichnet auch das Evangelium desLukas aus, das sich von den andern Evangelien eben gerade durch sein Promiumunterscheidet (Luk 1,14); dafr fehlt es nicht nur bei den kanonischen Evangelienan Parallelen.

    Lukas bezeichnet rckblickend sein Evangelium als erstes Buch. Theodor Zahn Theodor Zahn:Lukas wollte drei Bcherschreiben

    legt Wert auf die Feststellung, da Lukas hier mitnichten von einem anderen fr-her von ihm verfaten Buch spreche, sondern von dem ersten Buch eines ausmehreren Bchern bestehenden Werkes.4 Daraus nmlich ergeben sich fr ihnweitreichende Konsequenzen: Jeder griechische Schriftsteller von einiger Schul-bildung und auch Juden jener Zeit, die sich mehr oder weniger von griechischerBildung angeeignet hatten, wie Philo und Josephus, unterscheiden regelmig zwi-schen als einer Bezeichnung eines Ersten von zweien und alsBezeichnung eines Ersten an der Spitze einer Reihe von mehreren, insbesondereauch im Gegensatz zum Letzten einer solchen Vielheit. Da der griechische ArztL[u]c[as] in seiner Jugend die Schule eines besucht hat, ist ebensogewi, als da die Sprache des minder gebildeten Volkes unter Griechen und Hel-lenisten jenen Unterschied zu ignoriren und sehr gewhnlich statt - zu sagen pflegte. Ersteres beweist die gutgriechische Schreibweise der Wid-mungszuschrift an der Spitze seines Ev[angelium]s; und dieser Beweis kann nichtdadurch entkrftet werden, da L[u]c[as] in beiden Bchern je nach dem Gegen-stand oder der Quelle der von ihm verarbeiteten berlieferung oder der Personen,die er als Redende einfhrt, sehr mannigfaltige Schreibweise anwendet. Hier redetder Schriftsteller, der Lc 1,14 geschrieben hat, in eigener Person und in eige-ner Sache; und wenn er sich hier weniger gewhlt wie dort ausdrckt, so ist dasnur eine natrliche Folge davon, da er nicht wieder eine Widmungszuschrift aneinen Mann hheren Standes und noch unentschiedener Stellung zur Geschichtedes Christentums und zur Gemeinde zu richten hat, sondern dem ihm und sei-nem Glauben inzwischen nher getretenen Freund nur eine neue Lieferung seinesWerkes zuschickt. . . . Es wird also wohl dabei bleiben, da L[u]c[as] schon bei der

    2 Bemerkenswert ist das in v. 1, dem ersichtlich kein folgt. Man spricht in einem solchenFall von einem solitarium. Einzelheiten kann man dazu in dem Buch von Denniston nachlesen:John D. Denniston: The Greek Particles, Oxford 21954, S. 382384.

    3 Ebd.4 Theodor Zahn, S. 13; das kursiv Gedruckte im Original gesperrt.

  • 6 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    ersten Herstellung der AG die Absicht gehegt hat, spter ein drittes Buch folgenzu lassen, und da er an dieser Absicht noch festhielt, als er die zweite Ausgabeverffentlichte.5

    Wiederum ist wie schon im Evangelium Theophilos der Widmungsempfn-ger. ber die Person dieses Widmungsempfngers ist sonst nichts bekannt. Ihn frfiktiv zu halten, liegt allerdings berhaupt kein Grund vor.

    So weit ist in diesen beiden Versen alles klar. Schwierig ist dagegen an einerStelle die Syntax, und zwar geht es um den Bezug des . Der Sachenach mu es sich auf die Apostel beziehen (auch wenn es zu diesen recht un-gnstig steht!). Zur Begrndung bemerkt Conzelmann: pat weder zu noch zu ; Dibelius Aufs 81f. will den Pas-sus streichen; lt man ihn stehen, zieht man ihn besser zu (gegenHae[nchen]).6

    Zusammenfassend kann man zum zweiten Promium des Lukas feststellen, daZusammenfassunges uns keine wesentlichen Informationen ber das erste hinaus liefert. Insbeson-dere Angaben ber ihn als den Verfasser selbst finden wir hier genauso wenig wiedort. Die sogenannten Einleitungsfragen kann man in diesem Punkt auch mit-tels der beiden Promien des Lukas nicht beantworten. Sie mssen daher wie inden meisten Fllen hypothetisch beantwortet werden. Wir kommen darauf imVerlauf dieser Vorlesung noch des fteren zurck.

    * * *

    5 Theodor Zahn, S. 17f.Zum Verhltnis des inzwischen zum Christentum bekehrten (!) Theophilos zu Lukas hatte sich

    Zahn schon S. 9f. geuert.Auch was den Inhalt des fehlenden dritten Buches angeht, finden sich bei Zahn Spekulationen.

    Die weitere Geschichte der Urgemeinde, die ab Kapitel 13 (ausgenommen Kapitel 15) des zweitenBuches ja sehr in den Hintergrund tritt, sollte den Inhalt von Buch III bilden (S. 17).

    Was die Apostelgeschichte betrifft, so unterscheidet Zahn zwei Ausgaben derselben von der HandZwei Ausgaben derApostelgeschichte von der

    Hand des Lukasdes Lukas: Er ist der Auffassung, da Lucas den zweiten Teil seines Geschichtswerks zweimal heraus-gegeben habe, und zwar das zweite Mal in einer verbesserten und an manchen Stellen verkrztenAuflage, die seit dem 4. Jahrhundert in der Kirche alleinherrschend geworden ist, whrend von derUrausgabe nur bedeutende Bruchstcke in ltesten Bibelbersetzungen, griechischen Handschrif-ten und Citaten alter Schriftsteller auf uns gekommen sind (Theodor Zahn: Die Urausgabe derApostelgeschichte des Lucas, Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und deraltkirchlichen Literatur IX, Leipzig 1916, S. 1).

    6 Hans Conzelmann, S. 24. Der Hinweis auf Dibelius bezieht sich auf Martin Dibelius: DerText der Apostelgeschichte, in: ders.: Aufstze zur Apostelgeschichte, herausgegeben von HeinrichGreeven, Gttingen 41961, S. 7683; hier S. 81.

  • 2 Das Promium der Apostelgeschichte (1,18) 7

    Wir wenden uns dem zweiten Abschnitt des einleitenden Teils der Apostelge-schichte zu, den vv. 38, die in gewisser Weise ja nichts anderes als eine ArtFortsetzung des eigentlichen Promiums in v. 12 sind.

    3 Ihnen erwies er sich auch als lebendig nach seinem Leiden durch viele Be-weise, indem er ihnen whrend vierzig Tagen erschien und ihnen die Lehrevom Gottesreich sagte. 4 Und als er mit ihnen gemeinsam (Salz) a7, gebot erihnen, sich aus Jerusalem nicht zu entfernen, sondern auf die Verheiung desVaters zu warten, die ihr von mir gehrt habt. 5 Denn Johannes taufte zwarmit Wasser, ihr aber werdet mit dem heiligen Geist getauft werden nach nichtvielen Tagen. 6 Diese nun kamen zusammen8 und fragten ihn: Herr, stellstdu zu diesem Zeitpunkt das Reich fr Israel wieder her? 7 Er sagte zu ih-nen: Es kommt euch nicht zu, Zeiten und Termine zu erfahren, die der Vaterfestgesetzt hat in seiner Macht. 8 Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn derheilige Geist ber euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalemund in ganz Juda und Samaria und bis an das Ende der Erde.

    Wir wenden uns den Versen im einzelnen zu: 3 Conzelmann bemerkt zu dem v. 3wenig gelungenen bergang von v. 2 zu v. 3: Relativischer Anschlu (im Byzanti-nischen gebruchlich . . . ) und nach Relativum sind lukanisch. Der Satzbau ist,wie an andern kerygmatischen Stellen (3 1315 4 10 10 34f. 13 31) aus den Fugen.9

    Vierzig Tage lang hat der Auferstandene mit seinen Aposteln das Gottesreichdiskutiert eine bemerkenswerte Aussage! Denn es ist hier nicht wie in manchenEvangelien an einzelne Erscheinungen des Auferstandenen gedacht, sondern anein gemeinsames Leben mit den Aposteln. Ernst Haenchen formuliert es treffend:Der Auferstandene selbst hat noch 40 Tage in der Urgemeinde gelebt und vomGottesreich gesprochen, bis er gen Himmel fuhr. So wird das Erdenleben Jesu mitdem Wirken des Auferstandenen verklammert.10

    Exkurs: Das Kirchenjahr ist weithin ein lukanisches

    Vielleicht ist dies der richtige Zeitpunkt, um sich ein fr allemal klarzumachen, da derFestverlauf des Kirchenjahres sich auf weite Strecken ausschlielich auf Lukas sttzt. Insbe-sondere die Reihenfolge Ostern Himmelfahrt Pfingsten ist rein lukanisch, wie man

    7 Zum Problem der bersetzung des merkwrdigen sowie den textkritischenVarianten vgl. unten den Kommentar zu v. 4.

    8 Zur alternativen bersetzung Die Versammelten nun vgl. unten den Kommentar zu v. 6.9 Hans Conzelmann, S. 24.

    10 Ernst Haenchen, S. 62.

  • 8 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    sofort erkennt: Denn Himmelfahrt und Pfingsten begegnen nur im lukanischen Doppel-werk.

    Die Notwendigkeit einer Himmelfahrt wir kommen darauf spter noch im einzelnenzu sprechen ergibt sich fr Lukas einerseits aus der krperlichen Auferstehungsvorstel-lung und andrerseits aus dem 40-Tage-Zeitraum, den unser v. 3 ausdrcklich postuliert.Haben auch die andern frhchristlichen Autoren an eine leibliche Auferstehung gedacht(die Geschichte vom leeren Grab ist allen Evangelien gemeinsam; in bezug auf Paulus istdie Frage umstritten11), so hat sich doch niemand die Sache so materialistisch vorgestelltwie Lukas, demzufolge der Auferstandene kein ist, sondern einen Leib hat, wiedurch drei Beweise demonstriert wird (Luk 24,3643): Er hat erstens die Wundmale desGekreuzigten (v. 39a), er hat zweitens Fleisch und Knochen (v. 39b), und er it drittenseinen Fisch (v. 43). Hier haben wir einen der Beweise (: das Wort begegnet nurin Apg 1,3, sonst nicht im NT!) fr die Auferstehung, von denen Lukas an unsrer Stellespricht.

    Dieses krperliche Dasein des Auferstandenen mu einen ordentlichen Abschlu haben.Deshalb wurde es ntig, die 40-Tage-Frist einzufhren und dieser mit der Himmelfahrteinen Schlupunkt zu setzen. Damit folgt die Gliederung unsres Kirchenjahres bis auf denheutigen Tag dem lukanischen Schema Ostern, 40 Tage, Himmelfahrt, Pfingsten.

    Schon die 40 Tage haben in den andern Evangelien berhaupt keinen Anhalt, undsie erweisen sich so als lukanisches Schema: Wir vergleichen (1) das Markusevangelium;heranzuziehen ist Mk 16,18, der echte Markusschlu. Von einer Erscheinung des Aufer-standenen wird bei Markus berhaupt nichts berichtet. Aber es findet sich ein Hinweis in16,7: Sagt seinen Jngern und dem Petrus, da er euch vorausgehen wird nach Galila;dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch [in 14,28] gesagt hat. Die bei Markus nicht mehrberichtete Erscheinung findet also in Galila, nicht wie bei Lukas in Jerusalem statt. Einlngerer Zeitraum wird im Markusevangelium anscheinend nicht ins Auge gefat. Genau-so ist es (2) im Matthusevangelium. Heranzuziehen sind hier verschiedene Abschnitte ausKapitel 28. (a) Mt 28,810: Der Auferstandene begegnet den Frauen und ordnet an, dasich alle begeben (eine Erscheinung also findet auch in Jerusalem statt!).(b) Mt 28,1619 spielt ebenfalls in Galila und zwar -. Es handelt sich um eine Abschiedsszene. Im Vergleich mit Lukas ergibt sich: Galilasteht bei Matthus im Zentrum. Mindestens die Jnger sind ausschlielich in Galila. Ih-nen erscheint der Auferstandene nur dort! Es handelt sich um eine einmalige Erscheinung.Vierzigtgige Gesprche ber die haben hier also berhaupt keinen Platz! (3) Jo-hannesevangelium: Heranzuziehen sind hier die abschlieenden Kapitel 20 und 21, diebeide ganz unterschiedliche Szenerien voraussetzen. (a) Joh 20,1118 berichtet von einerErscheinung vor Maria in Jerusalem; (b) 20,1923 erzhlt von einer Erscheinung vor den12, ebenfalls in Jerusalem; auch (c) 20,2429 die Erscheinung mit Thomas ist wiederin Jerusalem situiert. Hingegen die Geschehnisse aus (d) Joh 21 spielen alle in Galila! Be-trachtet man das Johannesevangelium als Einheit, so mu man von einer Harmonisierung

    11 Gerd Ldemann: Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, Gttingen 1994, be-handelt S. 6769 die Frage Paulus und das leere Grab; dort auch Hinweise auf die ltere Literatur.

  • 2 Das Promium der Apostelgeschichte (1,18) 9

    sprechen: Galila (21) & Jerusalem (20). Von 40 Tagen allerdings und Gesprchen berdie kann auch hier keine Rede sein. Schlielich ziehen wir (4) das Lukasevange-lium selbst zum Vergleich heran; hier handelt es sich um die Texte aus Kapitel 24: v. 1335die Emmausjnger bei Jerusalem; v. 3643 das Fischessen in Jerusalem und v. 4449 dieExegese des Auferstandenen; schlielich folgt noch v. 5053 die krnende Himmelfahrt.Es ergibt sich: Schon im Lukasevangelium findet sich die Konzentration auf Jerusalem.12

    Die 40 Tage dagegen sind im Evangelium allerdings noch nicht angelegt.Wir kommen daher zu dem Ergebnis, da diese Periode des Zusammenseins des Aufer-

    standenen mit seinen Jngern fr die Apostelgeschichte spezifisch ist; diese ist insofern dieGrundlage fr unser Kirchenjahr in der Ordnung der Feste von Ostern ber Himmelfahrtbis Pfingsten.

    Damit kommen wir zu 4, in dem unvermittelt eine direkte Rede beginnt. Das v. 4erste Problem ist das griechische Verbum , zu dem es einen beispiello-sen Artikel im Bauer/Alandschen Wrterbuch gibt!13 Da heit es: ;14

    in dem noch immer nicht sicher gedeuteten ( D) AG 1 4 wird das Wort verstanden als 1. eigtl.gemeinsam Salz genieen, daher zusammen essen; so auch die lat. syr. kopt. bers.,auch die brigen alten Versionen, Ephraem (AMerck, Der neuentdeckte Komm.des hl. Ephraem zur AG: ZkTh 48, 24, 228). . . . [Es folgen zahlreiche weite-re Belege bis hin zu Haenchen 1977.] Hiergegen spricht der Z[u]s[ammen]h[an]gu.[nd] der Umstand, da sich dieser Gebrauch strenggenommen nicht belegen lt. . . [folgen drei strittige Belege] 2. versammeln Pass. zusammenkom-men (beides seit Hdt. . . . ) . . . Hiergegen spricht der Sing.[ular] . . . u.[nd] dasPrs.[ens] in . . . 3. Die Schwierigkeiten . . . haben zu dem Notbe-helf greifen lassen, in lediglich eine andere Schreibung fr - zu sehen, das von einigen Minuskeln hier tatschlich geboten wird . . . Dep. eigentlich zusammenliegen oder -schlafen, dann auch allgemeinzusammensein . . .

    Ich pldiere fr die Bedeutung gemeinsam (Salz) essen, denn dies ist einPunkt, auf den Lukas auch an anderen Stellen Wert legt, so beispielsweise in Luk24,3643.15 Hier geht es um die leibliche Wiederkehr des Auferstanden, vgl. v.

    12 Zur Konzentration auf Jerusalem siehe im einzelnen bei v. 4. Grundlegend ist die Studie ErnstLohmeyers: Galila und Jerusalem, FRLANT 36, Gttingen 1936.

    13 Bauer/Aland, Sp. 1564.14 Sollte das Semikolon ein griechisches Fragezeichen bedeuten, htten wir es hier mit einem

    wohl weltweit einmaligen Lemma zu tun, das mit einem Fragezeichen versehen ist . . .15 Schon Theodor Zahn hat in seinem Kommentar diese Position vertreten und insbesondere die

    beiden sogleich zu besprechenden Stellen als Beleg herangezogen. Zahn betont einerseits die Herlei-tung von = Salz (Es gibt aber neben dem von abgeleiteten () noch einanderes, ein von , das Salz abgeleitetes , welches nicht bei den Bedeutungen salzen

  • 10 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    39: Seht meine Hnde! Seht meine Fe! Ich bin es [d. h. ich bin der Gekreu-zigte, der nunmehr auferstanden ist]. Sodann wird betont, da ein nichtFleisch und Knochen hat . Das lukanische Anlie-gen wird so deutlich wie nur mglich: Der Auferstandene ist kein Geist denner hat Fleisch und Knochen. Doch Lukas gibt sich damit nicht zufrieden: v. 42f.verspeist der Auferstandene einen Fisch, um seine leibliche Existenz ad oculos zudemonstrieren.

    Der zweite Beleg findet sich in Apg 10,40f.: Diesen hat Gott auferweckt amdritten Tage und hat ihn sichtbar werden lassen nicht dem ganzen Volk, sondernden Zeugen, die zuvor von Gott erwhlt worden waren, uns, die wir zusammenmit ihm gegessen und getrunken haben nach seiner Auferstehung von den Toten.Man sieht: An dem gemeinsamen Essen und Trinken mit dem Auferstandenenliegt Lukas viel. Daher mchte ich annehmen, da dies auch an unserer Stelle imHintergrund steht. Ich bersetze also: Und als er mit ihnen gemeinsam (Salz)a.16

    Wir kommen damit zum nchsten Punkt, dem Auftrag, in Jerusalem zu blei-ben. Da dies spezifisch lukanisch ist, haben wir vorhin schon gesehen. So bleibtan dieser Stelle nur noch die Frage brig, warum Lukas so auf Jerusalem fixiertist. Dies hat rein theologische Grnde; Lukas sieht in dieser stabilitas loci eine ek-klesiologische Notwendigkeit: Das Gebot, in Jerusalem zu bleiben (Lc 24 47.49),

    und (Schafe) mit Salz fttern stehen geblieben ist, sondern, wahrscheinlich durch Vermittlung dersymbolischen Bedeutung des gemeinsamen Salzessens, als Zeichen der Gastfreundschaft, den Sinnfreundlicher Tischgemeinschaft angenommen hat [S. 24]) und andrerseits die gleich zu besprechen-de bereinstimmung mit dem lukanischen Interesse an der Leiblichkeit der Auferstehung: In derTat ist doch nur zu sagen, da das richtig verstandene Wort in bestem Einklang damit steht, dagerade L[u]c[as] auch sonst auf das Essen und Trinken des Auferstandenen im Kreise der Jnger eingreres Gewicht legt, als irgend ein anderer Evangelist (S. 26).

    16 Hinzu kommt noch ein zustzliches Argument: der Singular , der so gar nichtzu der anderen bersetzung und als sie versammelt waren pat. Theodor Zahn schliet daraus:Es war fr jeden gutwilligen Leser deutlich, da alle in v. 48 berichteten Reden und Gegenre-den Tischgesprche Jesu mit den Ap.[osteln] waren, also nicht im Freien oder auf einer Wanderung,sondern in einem Hause an gedeckter Tafel stattgefunden haben (S. 27).

    Die in der Textberlieferung begegnenden Alternativen und helfen nicht weiter, da sie den Ansto des Prsens nicht beseitigen. Die LA isteinfach sinnlos, die LA vielleicht eine Erleichterung (ist an den Gegensatz zwischensich unter einem festen Dach befinden und sich unter freiem Himmel befinden gedacht?).

    Die bei Metzger diskutierte Konjektur Heikels (Bruce M. Metzger: A Textual Commentary on theGreek New Testament, A Companion Volume to the United Bible Societies Greek New Testament[Fourth Revised Edition], Stuttgart 21994, S. 242) brchte zwar syntaktisch eineErleichterung (man wrde dann bersetzen: Er gebot denen, die er um sich versammelt hatte);aber auch hier gilt: Man htte lieber einen Aorist.

  • 2 Das Promium der Apostelgeschichte (1,18) 11

    stellt den lukanischen Kirchengedanken dar: Jerusalem reprsentiert die Kontinui-tt zwischen Israel und Kirche.17 Dies mchte ich an dieser Stelle nur im Vor-bergehen feststellen; im Verlauf unserer Auslegung werden wir darauf noch desfteren zu sprechen kommen.

    Am Ende unseres Verses 4 begegnet ein einigermaen merkwrdiges Phno-men: Die indirekte Rede wechselt unversehens in die direkte Rede ber: . . . son-dern die Verheiung des Vaters zu erwarten, die ihr von mir gehrt habt. ErnstHaenchen sieht darin ein Stilmittel: Der bergang in die direkte Rede in - ist (wie in Luk 5 14; Apg 14 22, 17 3, 23 22, 25 3) ein (auch im klassischenGriechisch bekanntes) Kunstmittel, das die Darstellung auflockert; das Gegenstckist 23 24. Das Schelten vieler Kommentatoren ber diese Stilfehler ist also unbe-grndet.18

    In 5 wird die entscheidende Differenz zwischen der Johannestaufe und der v. 5christlichen Taufe festgestellt: Johannes tauft lediglich mit Wasser. Die Jnger [da-gegen] werden im Gegensatz zur bloen Wassertaufe des Johannes mit dem hl.Geist getauft werden, und zwar bald.19 Hier endet dann auch schon wieder diedirekte Rede. Im folgenden v. 6 hat der Erzhler Lukas wieder das Wort: Die Jn- v. 6ger sind zusammengekommen und melden sich mit einer Frage zu Wort. Freilichmit einer Frage, ber die man sich gar nicht genug wundern kann. Man kann ver-schieden bersetzen: Je nachdem man bersetzt: die Versammelten nun (vgl 8 4)oder sie nun, als sie sich versammelt hatten wird die alte Szene fortgesetzt odereine neue erffnet . . . 20 Lk lt die Jnger ihre Frage aus den jdischen Voraus-setzungen formulieren, um sie zu korrigieren und eine Auskunft ber den Terminder Parusie grundstzlich zu verweigern. Der Geist ermglicht es der Kirche, in derWelt auf unbestimmte Zeit zu existieren. brigens ist vorausgesetzt, da Jesus denTermin kennt . . . 21

    Vgl. auch die Haenchensche Interpretation: Die Versammelten Lukas whltden unbestimmten Ausdruck, weil 1 21 voraussetzt, da nicht nur die Apostel zu-gegen waren fragen, ob Jesus jetzt das Reich fr Israel herstellen werde. Die Fragemalt nicht das Unverstndnis der Jnger, sondern gibt Gelegenheit, ein Problemvon hchster Bedeutung zu klren. Den ersten Christen galt die Geistausgieungals Zeichen fr den Anbruch der Endzeit. Von da aus wird die Frage verstndlich:Kommt jetzt mit dem Geist das Reich? Hier wird also das Problem der escha-

    17 Hans Conzelmann, S. 25.18 Ernst Haenchen, S. 148, Anm. 5.19 Ernst Haenchen, S. 149.20 Hans Conzelmann, S. 26.21 Hans Conzelmann, ebd.

  • 12 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    tologischen Naherwartung aufgeworfen. Mit ihm ist aber ein zweites verbunden:Ist das Reich auf Israel begrenzt? Damit kommt zum ersten Mal das Problem derHeidenmission zur Sprache, das sich in der Apg immer wieder fhlbar macht bis28 28.22

    Die Frage der Jnger wird in 7 abgewiesen. Die Formulierung bzw.v. 7 begegnet auch an andern Stellen der frhchristlichen Literatur in bezugauf den Termin der Parusie, erstmalig bei Paulus in 1Thess 5,1. Hier jedoch handeltes sich um ein Logion Jesu, das Lukas im Evangelium bergangen und fr dieseStelle aufgespart hatte23 (Mk 13,32 par Mt 24,36): , . Bemerkenswert ist an der lukanischen Redaktion dieses Herrenwortes, dain der Apostelgeschichte das anstig gewordene auch der Sohn kennt Zeit undStunde nicht ausgelassen wird!24

    Die ablehnende Antwort Jesu weist nach Form und Aussage Parallelen auf zu1Thess 5,1: , , . Schon 40 Jahre vor Lukas im Jahr 50 hat man sich alsoin der christlichen Gemeinde in Thessaloniki Sorgen gemacht . Dieses Thema greift Lukas hier auf: Der Vater hat den Terminfestgesetzt; aber es ist nicht Sache der Menschen, ihn zu kennen.25

    Im abschlieenden v. 8 wird endlich die Inhaltsangabe fr das Buch gegeben,v. 8die man eigentlich im Promium, d. h. also nach v. 2, erwartet htte: . . . ihr wer-det meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Juda und Samaria und bis andas Ende der Erde. Richtig bemerkt Ernst Haenchen: Das, was eine normale In-haltsangabe in V. 3 genannt htte, wird nun vom Herrn selber als das gottgewollteGeschehen der Gemeinde ans Herz gelegt. Damit bekommt die Geschichte, wel-che das zweite Buch des Lukas darstellt, das gttliche Siegel: den Weg der Kirchehat der Herr selbst vorgezeichnet. Die Geschichte der Kirche ist Heilsgeschichte.Dieses Wort Jesu, das zugleich Gabe und Aufgabe enthlt, ist das letzte Wort, daser auf Erden spricht. Es ist endgltig.26

    22 Ernst Haenchen, S. 149.23 Ernst Haenchen, S. 150.24 Ernst Haenchen, S. 150, Anm. 3.25 Zum Abschnitt im 1. Thessalonicherbrief vgl. im einzelnen: Christoph vom Brocke: Thessa-

    loniki Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frhe christliche Gemeinde in ihrerheidnischen Umwelt, WUNT 2/125, Tbingen 2001, S. 167185.

    26 Ernst Haenchen, S. 151.

  • 3 Die Himmelfahrt Jesu, zweite Fassung (1,911) 13

    3 Die Himmelfahrt Jesu, zweite Fassung (1,911)

    Dieses ganz eigentmliche Stck rechtfertigt einen eigenen Paragraphen, auchwenn es sich lediglich um drei Verse handelt. Seine Eigenart wre nicht rechtzur Geltung zu bringen, wenn man es im Rahmen des greren Abschnitts v. 114behandeln wrde.1

    9 Und nachdem er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben,und eine Wolke nahm ihn auf, weg von ihren Augen. 10 Und als sie zumHimmel starrten, wie er hinauffuhr, siehe, da standen zwei Mnner bei ihnenin weien Kleidern, 11 die sagten: Ihr Mnner aus Galila, was steht ihrda und blickt zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmelentrckt wurde, wird genau so wiederkommen, wie ihr ihn fahren saht in denHimmel.

    Meine berschrift macht deutlich, da man beide Versionen der Himmelfahrt,die aus Luk 24,5053, und die zweite aus Apg 1,911, nebeneinanderlegen undvergleichen mu. Dies ist nicht ein Postulat der modernen Exegese, sondern esergibt sich schon aus der Einheitlichkeit des Werkes. Jeder Leser merkt ohne weite-res, da kurz hintereinander zwei Versionen der Himmelfahrt erzhlt werden. Manbetrachte die folgende tabellarische bersicht2:

    Luk 24,5053 Apg 1,911Vorgeschichte Missionsbefehl und Segen des Auferstandenen berblick ber den Verlauf der Mission

    Termin Abend des Ostersonntags 40 Tage nach der AuferstehungOrt Bethanien lberg

    Vorgang Jesus wird emporgehoben Jesus wird emporgehoben; eine Wolke verbirgt ihnNachher Die Jnger kehren zurck Zwei Engel verweisen auf die Parusie Jesu

    Die tabellarische bersicht macht deutlich: Die beiden Erzhlungen weisennicht wenige verwirrende Unterschiede auf. Besonders wichtig sind hier der ganzunterschiedliche Termin und auch die differierenden Ortsangaben. Wir haben alsonicht nur den Sachverhalt zu erklren, da Lukas ein und dieselbe Himmelfahrtzweimal erzhlt, sondern darber hinaus, da er sie zweimal unterschiedlich er-

    1 Zur Gliederung des ersten Kapitels der Apostelgeschichte vgl. die Bemerkungen oben S. 4.2 Eine griechische Synopse der beiden Versionen bietet Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian:

    Drei Himmelfahrten, in: ders.: Die frhen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufstze 19962001. Mit Beitrgen von Jens Brstinghaus und Eva Ebel, WUNT 145, Tbingen 2002, S. 166182; hier S. 180f.

  • 14 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    zhlt. Die Haenchensche Diagnose scheint berechtigt: Zwei Himmelfahrten amOstersonntag . . . und 40 Tage spter sind zu viel.3

    Wenn man die beiden Fassungen miteinander vergleicht, kommt man zu einemernchternden Ergebnis: Ganze sechs Wrter stimmen genau berein, nmlich das in Z. 10 und das in Z. 22. Dasist nun gewi nicht sehr viel. Wer auf dieser Basis eine den beiden lukanischen

    Abb. 1: Jerusalem und seine Umgebung zur Zeit Jesu4

    3 Ernst Haenchen, S. 151.4 Die Karte ist folgendem Werk entnommen: Nahmad Avigad u. a.: Jerusalem. The Second Tem-

    ple period, in: The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land, Band 2, Je-rusalem 1993, S. 717753; hier S. 748: Map of cemeteries and tombs in Jerusalem, Second Templeperiod.

  • 3 Die Himmelfahrt Jesu, zweite Fassung (1,911) 15

    Versionen vorausliegende Tradition rekonstruieren will, hat daher von vornhereinschlechte Karten.5

    Dabei ist besonders seltsam, da die beiden Erzhlungen sich gerade in trivialenEinzelheiten unterscheiden: Warum ist als Ort der Himmelfahrt einmal der lbergund einmal Bethanien genannt? Darauf kommt es nun sollte man meinen jawirklich nicht an; weshalb stimmen die beiden Fassungen nicht einmal in diesemPunkt berein?6

    Verschiedene Lsungsmglichkeiten sind vorgeschlagen worden, so beispielswei- Lsungsmglichkeitense die Hypothese, Jesus sei immer wieder neu vom Himmel herabgekommen undanschlieend dorthin zurckgekehrt. Die beiden lukanischen Versionen beschrie-ben demnach gar nicht ein und dieselbe Himmelfahrt, sondern verschiedene Him-melfahrten, und die Himmelfahrt von Apg 1,9 sei nur die letzte von ihnen7. Mitdieser Hypothese kann man sowohl die mehrfache als auch die unterschiedlicheSchilderung der Himmelfahrt bei Lukas erklren. Doch wird sie wohl den Textennicht gerecht: Sowohl am Ende des lukanischen Evangeliums als auch am Anfangder Apg erweckt der Bericht den Eindruck, als handle es sich um ein endgltigesPhnomen. Selbst zwischen den Zeilen kann man schwerlich lesen, der Vorgangsei beliebig wiederholbar!

    Eine Entwicklung in lukanischer Zeit dagegen nimmt Carsten Colpe an. Diezweite Darstellung in der Apg will der frommen Erwartung der Leser ein wenigmit einer genau so frommen Phantasie entgegenkommen.8 Dazu mu er anneh-men, da zwischen der Abfassung des Evangeliums und der Abfassung der Apostel-geschichte eine Entwicklung bei den Leserinnen und Lesern des lukanischen Wer-kes stattgefunden habe. Dies aber ist reines Postulat: ber die Publikation der bei-den Bcher des Lukas wissen wir nicht einmal, ob sie gleichzeitig oder nacheinan-der erfolgte, geschweige denn da wir ber eine Zwischenzeit spekulieren knnten.

    5 Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian, S. 173. Die Zeilenangaben beziehen sich auf diegenannte Synopse: Z. 10 = Luk 24,51 am Ende = Apg 1,11a; Z. 22 = Luk 24,52 = Apg 1,12.

    Zur Himmelfahrt bei Lukas ist die Studie von Gerhard Lohfink: Die Himmelfahrt Jesu. Untersu-chungen zu den Himmelfahrts- und Erhhungstexten bei Lukas, StANT 26, Mnchen 1971 grund-legend.

    6 Zur Lage des lbergs im Osten von Jerusalem vgl. die Karte Abb. 1 auf der gegenberliegendenS. 14. Der Ort Bethanien (schon in Luk 19,29 genannt) stammt aus dem Markusevangelium undist noch weiter im Sdosten des lbergs zu suchen. Fr unsere Zwecke gengt die Feststellung, daes jedenfalls nicht auf dem lberg liegt.

    7 Ernst Haenchen, S. 151f. Die These geht auf Wilhelm Michaelis: Die Erscheinungen des Aufer-standenen, Basel 1944, zurck, vgl. dort S. 8486.

    8 Carsten Colpe im Artikel Jenseitsfahrt I (Himmelfahrt), RAC 17 (1996), Sp. 445.

  • 16 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Mit einer Entwicklung in der Zeit nach Lukas rechnet beispielsweise EmanuelHirsch.9 Seine Erklrung geht dahin, da nur die Version aus Luk 24 auf Lukasselbst zurckgeht, die Version der Apostelgeschichte dagegen sei ein nachtrglicherEinschub und nicht ein ursprnglicher Bestandteil der Apostelgeschichte.

    Wie Hirsch vermuten auch mehrere andere Ausleger, da hier ein spterer Ein-schub vorliegt. Einige dieser Forscher gehen darber noch hinaus: Sie wollen so-wohl den Schlu des Evangeliums (24,5053) als auch den Anfang der Apg (1,15) als sptere Zustze streichen: Erst bei der Aufnahme in den Kanon, in dennur Evangelien mit dem blichen Inhalt kamen, habe man das Werk an passen-der Stelle durchschnitten und den ersten Teil mit einem Schlu, den zweiten miteinem Anfang versehen, bei dem man die sptere Legende der 40 Tage benutzte.Damit haben die Forscher die doppelte Himmelfahrt beseitigt und Lukas von demangeblichen stilistischen Ungeschick der ersten Actaverse befreit.10

    Hierzu ist kritisch zu bemerken: Liegt in der Doppelung der Himmelfahrt einKritik der vorgeschlagenenLsungen Problem, so ist es unsinnig, damit ausgerechnet einen Redaktor zu belasten. Denn

    gerade ein Redaktor wird sich hten, sich ein solches Problem sehenden Auges ein-zuhandeln. Bestand die Aufgabe dieses Redaktors darin, ein passendes Ende frdas Evangelium zu finden, so brauchte er dort eben gerade keine Himmelfahrt, wieder Schlu des Matthusevangeliums zeigt. Die ursprngliche Himmelfahrtsge-schichte aus der Apg in gekrzter und erheblich abweichender Form an das Endedes Evangeliums zu exportieren das ist kein Verfahren, fr das man eine einleuch-tende Erklrung finden knnte. Der Vergleich der beiden Fassungen fhrt vielmehrzu dem Ergebnis, da weder die Evangeliumsversion Vorbild fr die Apg-Versionsein kann noch umgekehrt. Auch eine beiden Versionen gemeinsame Tradition ltsich nicht eruieren, wie schon Lohfink gezeigt hat: Die beiden Himmelfahrtser-zhlungen gehen auf Lukas selbst zurck.11

    9 Emanuel Hirsch: Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, Tbingen 1940,S. 6: Die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu vierzig Tage nach Ostern vom lberg aus ist keinealte berlieferung, sondern einer der jngsten und minderwertigsten Teile der ganzen Osterlegende.Sie hat in der noch vor 100 n. Chr. verfaten Apostelgeschichte keinen ursprnglichen Platz, sondernist dort ein nachtrglicher Einschub, der die Einleitung des Werks in Verwirrung gebracht hat.

    10 Ernst Haenchen, S. 151.11 Gerhard Lohfink: Die Himmelfahrt Jesu, S. 244. Lohfink geht damit ber die klassischen Kom-

    mentare von Conzelmann und Haenchen hinaus. Beide (Conzelmann, S. 23; Haenchen, S. 118)rechnen noch mit einer Vorlage, die Lukas benutzt hat, um seine Himmelfahrtserzhlungen zu ge-stalten. Lohfinks Erklrungsmodell dagegen verzichtet darauf, frhere Erzhlstufen zu postulieren,und sieht in der gesamten Himmelfahrtsgeschichte einfach eine Komposition des Theologen undSchriftstellers Lukas (Lohfink, S. 22; zu den Positionen von Haenchen und von Conzelmann vgl.die Ausfhrungen Lohfinks auf S. 23).

  • 3 Die Himmelfahrt Jesu, zweite Fassung (1,911) 17

    Lukas hat eine gemeinantike Gattung die Entrckungserzhlung herangezo-gen, um mit ihrer Hilfe seine theologische Intention zum Zuge zu bringen. Ent-scheidend fr die Gattung der Entrckungserzhlung ist, da aus der Perspektiveder Zurckgelassenen erzhlt wird.12

    Als auerbiblisches Beispiel fr eine Entrckungserzhlung sei hier die Him-melfahrt des Romulus aus Livius I 16,13 angefhrt: 1 Nachdem Romulusdiese unvergelichen Taten vollbracht hatte, brach, als er eine Versammlung zurZhlung des Heeres in der Ebene beim Ziegensumpf abhielt, pltzlich mit lau-tem Getse und Donnerschlgen ein Sturm los und verbarg den Knig in einerRegenwolke, die so dicht war, da sie der Versammlung die Mglichkeit, ihn zuerblicken, entzog. Und seither war Romulus nicht mehr auf Erden (lat.: nec deindein terris Romulus fuit). 2 Als sich schlielich die Panik gelegt hatte, nachdem auseinem so strmischen Wetter wieder klares und ruhiges Licht erschienen war, ver-fiel die rmische Mannschaft, sobald sie den leeren Sitz des Knigs gesehen hatte,obgleich sie den Senatoren, die am nchsten gestanden hatten, durchaus glaubte,da er durch einen heftigen Wind in die Hhe gerissen worden sei, dennoch einebetrchtliche Zeit lang in ein trauriges Schweigen, als ob sie von der Furcht befal-len wre, den Vater zu verlieren. 3 Danach, als von wenigen ein Anfang gemachtworden war, grten alle den Romulus als Gott, der Sohn eines Gottes ist, als K-nig und Vater der Stadt Rom. Betend baten sie (ihn) um Frieden und da er gernund huldvoll allezeit seine Nachkommen behten mge (lat.: deum deo natum, re-gem parentumque urbis Romanae salvere universi Romulum iubent; pacem precibusexposunt, uti volens propitius suam semper sospitet progeniem).13

    Wie in beiden lukanischen Himmelfahrtsgeschichten wird auch bei Livius dieEntrckung des Romulus konsequent aus der Perspektive der Zurckgelassenenerzhlt. Wie bei Lukas ist es eine Wolke, die den scheidenden Mann den Blickendes Publikums entzieht: tam denso regem operuit nimbo ut conspectum eius contio-ni abstulerit, heit es in 1.14 Breiter als bei Lukas wird als erste Reaktion dieRatlosigkeit der Zurckgelassenen dargestellt ( 2). Sodann aber folgt in 3 dieProklamation des Romulus als Gott mitsamt der einer Gottheit allein angemesse-nen Reaktion der Menschen: der Anbetung ( 3). In der griechischen Fassung des

    12 Zum antiken Material und seiner Analyse sei hier der Einfachheit halber auf Lohfinks erstesKapitel: Die Himmelfahrten in der Umwelt des Neuen Testaments und die lukanische Himmel-fahrt (Lohfink, S. 3279) verwiesen.

    Zwei Einzeltexte werden in meinem Aufsatz: Livius, Lukas und Lukian diskutiert (die Himmel-fahrt des Romulus aus der Feder des Livius, S. 167171; die Himmelfahrt des Peregrinos aus derFeder des Lukian, S. 175177).

    13 Meine bersetzung des Livius entnehme ich meiner Arbeit Livius, Lukas und Lukian, S. 179.14 Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian, S. 170.

  • 18 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Stoffes bei Plutarch findet sich an dieser Stelle dasselbe Wort, das auch Lukas ver-wendet: .15 Die Anbetung gehrt also zur Reaktion dazu nicht nurbei Lukas, sondern auch in den andern Texten.

    * * *

    Wir kommen zur Einzelauslegung unseres Stcks und verbinden diese mit ei-nem Vergleich mit der Himmelfahrt des Romulus. Die bergangswendungv. 9in 9, Und nachdem er das gesagt hatte lt nicht erkennen, da hier ein Orts-wechsel erforderlich ist: War seit v. 4 eine Mahlszene vorausgesetzt, so wurde in v. 6immerhin noch eine Zusammenkunft (in einem Haus?) angedeutet. Die Himmel-fahrtszene dagegen ist auerhalb der Stadt Jerusalem auf dem lberg angesiedelt,wie in v. 12 nachgetragen wird (anders im Evangelium, wo als Ort Bethanien ge-nannt wird, Luk 24,50). Die Auffahrt in der Wolke setzt voraus, da wir uns unterfreiem Himmel befinden. Auch in der Erzhlung des Livius von der Himmelfahrtdes Romulus wird eine Wolke benutzt; dort aber ausschlielich zu dem Zweck, denAuffahrenden den Blicken der Zurckbleibenden zu entziehen.16 Lukas hingegenscheint in der Wolke auch ein Vehikel fr die Auffahrt zu sehen. Eine hnlicheVorstellung findet sich bei Paulus in 1Thess 4,17. Anders als Livius setzt Lukasvoraus, da man dem Auffahrenden bei der Auffahrt zusehen kann, wie 10 zeigt;das ist lukanisches Vorzugswort (zehnmal in der Apostelgeschichte).17

    Im Unterschied zur Version des Evangeliums werden hier mit zwei an-v. 10geli interpretes eingefhrt. Wie bei der Grabesgeschichte in Luk 23,4 ist lediglichvon zwei Mnnern die Rede; das weie Gewand (vgl. neben Luk 23,4 auch Mk9,3) und ihre Funktion erweisen sie jedoch als himmlische Wesen. In 10 deutensie den Jngern das Geschehen. Die Frage zu Beginn hat vorwurfsvollen Charakter.Die Mnner aus Galila sind nicht selbst in der Lage, die Himmelfahrt zu ver-stehen; sie bedrfen der Hilfe von auen. hnlich ist es auch bei der Himmelfahrtdes Livius, wo in einem eigenen Abschnitt ein Mann namens Proculus Iulius demGeschehen eine Deutung gibt.18

    15 Peter Pilhofer, ebd. Die Stelle bei Plutarch: Romulus 27,9 lautet: .

    16 Vgl. Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian, S. 174.17 Gottfried Schille, S. 73.18 Die Aktion eines einzigen Mannes aber, sagt man, habe der Sache Glaubwrdigkeit zugefgt:

    Denn als die Brgerschaft durch das Verlangen nach dem Knig aufgewhlt und wtend auf dieSenatoren war, trat Proculus Iulius, eine gewichtige Autoritt, wie berliefert wird, auch in einer sobedeutenden Angelegenheit, in der Versammlung auf und sagte: Quiriten! Romulus, der Vater dieserStadt, ist heute beim ersten Licht des Tages pltzlich vom Himmel herabgestiegen und mir begegnet.Als ich, mit Furcht und Verehrung erfllt, dastand und betend darum bat, ihm ins Gesicht sehen zu

  • 3 Die Himmelfahrt Jesu, zweite Fassung (1,911) 19

    The pluperfect form is used with the meaning of the imper-fect. The effect is to suggest a sudden appearance of the angels: the apostles weregazing into heaven and all at once there were two men standing beside them . . . 19

    Auch hinsichtlich der Aussage der beiden Engel kann man eine Parallele zu derdes Proculus Iulius bei Livius ziehen: Die Prophezeiung, die Proculus Iulius denRmern berbringt, erffnet den Raum fr die rmische Geschichte bis Augustus die Prophezeiung der angeli interpretes in der Apostelgeschichte markiert die Zeitder Kirche von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, der Parusie.20

    So problemlos die Leserinnen und Leser des Lukas die Himmelfahrt als solcheverstehen konnten sowohl im paganen als auch im jdischen Bereich gab es jedeMenge an Vorbildern , so wenig vorbereitet waren sie doch auf diese Analogiezwischen Himmelfahrt und Parusie. Die Parusie-Erwartung ist im Gegensatz zurHimmelfahrt ohne Analogie; sie ist fr die frhe Christenheit spezifisch. Daherbesteht eine wesentliche Funktion dieser zweiten Himmelfahrtserzhlung des Lu-kas darin, die Parusie denkbar zu machen: Diese ist sozusagen die Umkehrung derHimmelfahrt.21

    * * *

    Abschlieend soll hier noch eine Erklrung fr die merkwrdige Verdoppelungder Himmelfahrt bei Lukas versucht werden; ich beziehe mich der Einfach-heit halber auf meine schon mehrfach zitiert ltere Arbeit Livius, Lukas und Lukian:Die erste Himmelfahrtserzhlung Luk 24,5053 ist als wirksamer Abschlu derirdischen Ttigkeit Jesu konzipiert. Beachtung verdient hier besonders die Reakti-on der Jnger in v. 52 . . . : . Diese groe Freude begegnet bei Lukassonst nur noch in der Weihnachtsgeschichte (Luk 2,10) der Kreis schliet sich.Die im Lukasevangelium einmalige Anbetung Jesu (v. 52 = Z. 21 heit es ) hat Gerhard Lohfink sehr treffend als den chri-stologische[n] Hhepunkt des Evangeliums bezeichnet.22

    drfen, sagte er: Geh und melde den Rmern, da die Himmlischen es so wollen, da mein RomHaupt der Welt sei. Dem entsprechend sollen sie das Kriegswesen pflegen, und sie sollen wissen undes ihren Nachkommen berliefern, da keine menschliche Macht den rmischen Waffen widerstehenkann. Nach diesen Worten, sagte er (sc. Proculus Iulius), entschwand er in die Hhe. (Livius I16, 67 nach meiner bersetzung aus Livius, Lukas und Lukian, S. 180).

    19 C. K. Barrett, S. 83.20 Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian, S. 175.21 Vgl. Gerhard Lohfink, der die Himmelfahrt als Umkehr der Parusie bezeichnet (S. 259).22 Gerhard Lohfink, S. 254. Man kann in diesem Zusammenhang auch noch auf den feierlichen

    Segen Jesu hinweisen (v. 50), der ebenfalls keine Parallele im Lukasevangelium aufweist. Er stellt dieletzte Handlung Jesu an seinen Jngern dar.

  • 20 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Was sodann die zweite Version der Himmelfahrt Jesu in Apg 1 angeht, so istfr ihre Interpretation die bereits in v. 6f. eingefhrte Parusiethematik von grund-legender Bedeutung. In v. 11 . . . ist von einer Analogie zwischen Himmelfahrtund Parusie die Rede. Dadurch wird einerseits der tatschliche Charakter der Pa-rusie hervorgehoben, andrerseits will Lukas vor einer falschen (d.h. verfrhten)Parusieerwartung warnen (vgl. den Vorwurf der Engel in v. 11 . . . ): Wer jetzt dasSchauspiel der Parusie erwartet, wartet umsonst.23

    23 Peter Pilhofer: Livius, Lukas und Lukian, S. 174.

  • 4 Die Urgemeinde (1,1214) 21

    4 Die Urgemeinde (1,1214)

    Hier haben wir das erste Summarium der Apostelgeschichte vor uns. Unter ei- Summarien in derApostelgeschichtenem Summarium versteht man eine Passage, die einen zusammenfassendenberblick ber einen lngeren Verlauf von Ereignissen gibt. Was sich jeder Lese-rin/jedem Leser der Apostelgeschichte unvergelich einprgt, das sind ja die groenSzenen die Himmelfahrt die Pfingstereignisse Paulus auf dem Areopag usw.Zwischen diese packenden Hhepunkte hat Lukas schriftstellerisch geschickt im-mer wieder retardierende Passagen eingeschoben, die grere Zeitrume abdeckenund auf diese Weise die Verbindung zwischen diesen Hhepunkten herstellen. Sol-che retardierenden Passagen nennen wir Summarien. Das erste Summarium habenwir hier in v. 1214 vor uns.1

    12 Da kehrten sie nach Jerusalem zurck, weg von dem Berg, der lberg2

    heit, welcher nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt. 13 Und alssie hineinkamen, stiegen sie in das obere Zimmer hinauf, wo sie sich gewhn-lich aufhielten, Petrus und Johannes und Jakobos und Andreas, Philippos undThomas, Bartholomaios und Matthaios, Jakobos, der Sohn des Alphaios, undSimon der Zelot und Judas, der Sohn des Jakobos. 14 Diese alle verharrteneinmtig im Gebet zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu,und seinen Brdern.

    1 Daher halte ich es fr weniger sinnvoll, den v. 12 zur vorausgehenden Himmelfahrtsgeschichtezu ziehen, was freilich denkbar ist, wie verschiedene Kommentare zeigen. Dafr sprche die Tatsache,da dieser Vers wichtige Informationen fr die Himmelfahrtsgeschichte nachliefert.

    Zur Gliederung des ersten Kapitel vgl. die Bemerkungen oben S. 4. Die andere Lsung, d. h.v. 114 zusammenzunehmen, wird beispielsweise in dem Kommentar von C. K. Barrett gewhlt, vgl.I 61f., wo die These vertreten wird: It follows from these observations not only that vv. 114 wereintended to serve as an Introduction to the second volume of Lukes work but also that Luke himselfwrote the paragraph, and (with a possible exception to be noted below) did not use special sourcematerial, whether written or oral (C. K. Barrett I 62).

    Weitere Summarien im Rahmen der Behandlung der Urgemeinde im ersten Teil des Buches sind berblick ber dieweiteren Summariendie folgenden:

    2,4247 ber das Leben der Urgemeinde

    4,3237 ber die Gtergemeinschaft in der Urgemeinde

    5,1216 ber das Wachstum und die Attraktivitt der Urgemeinde.

    2 Das griechische Wort (im Neuen Testament nur bei Lukas: Luk 19,29; 21,37; Apg1,12) bedeutet Olivenhain. Ich bleibe dennoch bei der traditionellen Wiedergabe mit lberg.

  • 22 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Bemerkenswert an dem berleitenden Vers 12 ist zunchst die Tatsache, da erv. 12nachtrglich die Ortsangabe fr die vorangegangene Szene 1,911 liefert: DieHimmelfahrt spielt sich auf dem lberg ab, welcher nahe bei Jerusalem liegt,einen Sabbatweg entfernt. Ernst Haenchen bemerkt dazu in seinem Kommentar:Ein Sabbatsweg (die Strecke, welche ein Jude am Sabbat gehen durfte, ohne dasGebot Ex 16 29 zu bertreten) betrug 2 000 Ellen = 880 m (Bill. II 590594). NachJos., Ant. 20,169 war der lberg fnf Stadien von Jerusalem entfernt.3 Man darfaus dieser Angabe freilich nicht schlieen, da Lukas damit die Himmelfahrt aufeinen Sabbat legen will.4

    In 13 wird zunchst5 der Versammlungsort angegeben: 6: das Ober-v. 13gemach. Conzelmann ist der Ansicht: Eine Lokaltradition ber den Versamm-lungsort schimmert noch durch.7 Dies ist m. E. in der Tat der Fall: Man wuteauch spter noch, wo sich die erste Gemeinde in Jerusalem zu versammeln pflegte.8

    Sodann bringt Lukas erneut eine Liste der 11 Jnger; Judas, der zwlfte, ist ja ausdem Kreis der Apostel ausgeschieden. Wre das 3. Evangelium zusammen mit derApg als eine einzige Schrift verffentlicht worden, htte sich nach Lk 6 1416 dieneue Jngerliste erbrigt.9 D. h. die Apostelgeschichte wurde Conzelmann undandern zufolge spter als das Evangelium separat publiziert; die Leserinnen undLeser konnten also nicht zum ersten Buch zurckblttern, um sich die Namen derZwlf ins Gedchtnis zurckzurufen.10 Die Liste des ersten Buchs (Luk 6,1416)geht auf die Vorlage Mk 3,1619 zurck, welches die lteste Jngerliste berhauptdarstellt.11 Merkwrdigerweise folgt Andreas in der Apostelgeschichte nicht direkt

    3 Ernst Haenchen, S. 157, Anm. 2.4 Vgl. die Diskussion bei C. K. Barrett I 86.5 D. h. genauer: nach dem , das C. K. Barrett auf die Stadt Jerusalem bezieht:

    , into Jerusalem (S. 86).6 Innerhalb des NT findet sich das Wort ausschlielich in der Apostelgeschichte: 1,13; 9,37.39;

    20,8.7 Hans Conzelmann, S. 27.8 The periphrastic tense suggests continuity. We can hardly suppose that all the persons men-

    tioned were residing in one room; the meaning must be that they habitually met there (C. K. BarrettI 87).

    9 Ernst Haenchen, S. 159; so auch C. K. Barrett I 87 u. a.10 Ich bin von diesem Argument nicht berzeugt: Mte man es dann nicht auch in bezug auf

    die Himmelfahrt in Ansatz bringen? Die Frage, ob die Apostelgeschichte spter als das Evangeliumverffentlicht worden ist, halte ich bislang fr ungelst.

    11 Hier ist im brigen der in der 27. Auflage des Nestle/Aland in eckigen Klammern in den Textaufgenommene Passus textkritisch als sekundr zu beurteilen, weil das hier vorkommende kein markinischer terminus technicus ist. Dies zeigt ein Blick in die Synopse: begegnet beiMarkus sonst nur noch in 6,30, hier aber im nichttechnischen Sinn fr die Abgesandten.

  • 4 Die Urgemeinde (1,1214) 23

    auf Petrus so war es im Lukasevangelium , sondern erst an vierter Stelle nachJohannes und Jakobos (so ist die Reihenfolge auch in der Vorlage Mk 3,18). Auchsonst ist die eine oder andere Umstellung zu konstatieren.12

    Exkurs: Listen in der Apostelgeschichte

    Ich ergreife die Gelegenheit dieser ersten Liste der Apostelgeschichte, Sie auf weiteresolche Listen unseres Buches kurz hinzuweisen. Gleich im zweiten Kapitel wird uns eineganz rtselhafte Liste begegnen, die sogenannte Vlkerliste in 2,911, mit der wir uns dannnchste Woche eingehend beschftigen werden.

    Wichtig ist sodann die Liste der Sieben in 6,5. Besonders interessant ist diese Listeim Vergleich mit unserer Apostelliste in 1,13: Die Namen der Apostel in Kapitel 1 wei-sen fast ausschlielich (eine Ausnahme wre [Phi. lippos]) auf Juden von echtemSchrot und Korn. Die Familien dieser Mnner aus Galila waren nicht vom Hellenismusangekrnkelt, sondern sie hielten an den berkommenen jdischen Namen fest. Ganz an-ders die Mnner aus 6,5: Hier haben wir es ausschlielich mit griechisch-makedonischenNamen zu tun. Diese Mnner stammen nicht nur aus der Diaspora, sie verkrpern aus-weislich ihrer Namen auch eine ganz andere Spielart des Judentums als die Zwlf Apostel.Dies ist auch theologisch von erheblicher Bedeutung, wie das Beispiel des berhmtestender Sieben, des Stephanus, zeigt.

    Von Bedeutung ist die Liste der fhrenden Mitglieder der Gemeinde in Antiochienam Orontes, die Lukas in 13,1 bietet. Auch hier handelt es sich um Tradition, wie manschon an der Einleitung der Liste sehen kann: . . . , Es waren in der Gemeinde in AntiochienPropheten und Lehrer . . . nur hier in der Apostelgeschichte begegnet das Gemeindeamtdes (dida. skalos), des Lehrers, das Lukas sonst nirgendwo erwhnt. Darausergibt sich: Lukas hat diese Liste samt ihrer berschrift aus einer Tradition oder einerQuelle bernommen.

    Im Zusammenhang mit der letzten Reise des Paulus nach Jerusalem begegnet in 20,4eine Liste seiner Reisebegleiter, die offenbar einzelne Gemeinden repsentieren (Beroia undThessaloniki werden beispielsweise genannt). Auch diese Liste hat Lukas nicht erfunden,sondern aus einer Tradition oder einer Quelle in diesem Fall wohl einer Quelle ber-nommen, ebenso wie die Liste der Reisestationen, die im Laufe des 20. Kapitels gebotenwird:

    Philippi (20,6)

    Troas (20,712)

    Assos (20,13)

    Mytilene13 (20,7)

    12 Vgl. im einzelnen die Diskussion bei C. K. Barrett I 87f.13 Lukas verwendet die sptere Namensform ; richtig aber ist die Form .

  • 24 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Chios (20,15)

    Samos (20,15)

    Kos (21,1)

    Rhodos (21,1)

    Pa.tara (21,1)

    Zypern (21,3)

    Tyros (21,37)

    Ptolemais (21,7)

    Caesarea ad mare (21,914)

    Jerusalem (ab 20,15)

    Diese Liste wird uns dann am Schlu der Vorlesung im Zusammenhang mit den Einlei-tungsfragen noch beschftigen, wenn es um die Quellen geht, die Lukas fr sein zweitesBuch zur Verfgung hatte.

    * * *

    Die Personengruppe der 11 Jnger wird in 14 nun noch mit einigen Frauenv. 14 und der Familie Jesu ergnzt; beide Gruppen gemeinsam verharrten einm-tig im Gebet14. Damit besteht die Keimzelle der Urgemeinde in Jerusalem ausdrei verschiedenen Gruppen: zunchst aus der in v. 13 erneut genau spezifiziertenGruppe der 11 Jnger, die Lukas spter als Apostel bezeichnet. Sodann aus Frauen,deren Kreis hier in v. 14 nicht przis abgegrenzt wird (wer beide Bcher des luka-nischen Werkes von vorn bis hinten liest wie es eigentlich gedacht ist , erinnertsich an die Passage Luk 8,1315). Und schlielich aus Maria, der Mutter Jesu, undaus seinen Brdern.

    14 In dem liegt erneut eine coniugatio periphrastica vor (vgl. oben Anm.8 zu v. 13), emphasising continuity of action (C. K. Barrett I 88).

    15 Vgl. dazu Ben Witherington III: On the Road with Mary Magdalene, Joanna, Susanna andOther Disciples Luke 8 13, ZNW 70 (1979), S. 243248.

    Anders versteht C. K. Barrett I 89 das : Gemeint seien hier die Frauen der vorheraufgezhlten Mnner (dies sei die natrlichste Weise most natural way des Verstndnisses). Indiese Richtung weise auch die LA des Codex D: . Die Ausgabe vonNestle/Aland vermittelt hier kein vollstndiges Bild der D-berlieferung, vgl. Bruce M. Metzger:Textual Commentary, S. 246.

    Wer das Lukasevangelium gelesen hat, wird auf diese Idee schwerlich verfallen: Da Frauen odergar Kinder der Jnger Jesu zu dessen Anhngern gehren, wird nirgendwo gesagt.

    Damit ist das textkritische Problem freilich nicht gelst. Aus grzistischer Sicht erscheint das Feh-len des Artikels vor dem als sprachlich schwierig (vgl. dazu BDR 257,3 mit Anm. 6).In der Grammatik werden die Frauen der Apostel angenommen (ebenso im Wrterbuch von Bau-

  • 4 Die Urgemeinde (1,1214) 25

    Was zunchst die Gruppe der Frauen angeht, so ist dies ein Zug, der der Leserin/dem Leser des Evangeliums schon hinreichend vertraut ist. Lukas hebt die Frauenim Gefolge Jesu hervor wie kein andrer seiner Evangelistenkollegen. So hat bezeich-nenderweise das lukanische Summarium in 8,13 keine Parallele in den andernEvangelien. Auerdem kann man noch die Liste in 24,10 vergleichen. Kein andrerbetont die Ttigkeit der Frauen so stark wie Lukas. Dies tut er sowohl im Evan-gelium als auch in der Apostelgeschichte. Die Frauen waren in der lukanischenSicht mit ihrer Gebefreudigkeit und Treue leuchtende Vorbilder und zugleich diehochwichtigen Zeugen fr das leere Grab.16

    Was sodann die Familie Jesu angeht, so sind hier Zweifel auf der historischenEbene nicht nur erlaubt, sie drngen sich vielmehr jedem Interpreten auf. Die lte-re synoptische Tradition die insoweit bestimmt die historischen Gegebenheitenwiderspiegelt lt nmlich eine deutliche Distanz der Familie zu Jesus erkennen:Man hlt ihn sogar fr verrckt.17

    Seit wann sich die Stellung der Angehrigen Jesu zum Positiven hin vernderthat, wissen wir nicht. Die Mutter Jesu begegnet sonst in der Apostelgeschichtenicht mehr.18 Lediglich fr den Herrenbruder Jakobos haben wir einen eindeu-tigen Anhaltspunkt im Zeugnis des Paulus, 1Kor 15,7: Danach erschien er demJakobos [das ist der Bruder Jesu], danach allen Aposteln. D.h. dem Jakobos wur-de eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil und sptestens zu diesem Zeitpunktwurde er zu einem Anhnger Jesu. Fragt man auf der historischen Ebene, so wirdman den Zeitpunkt nher an Ostern heranrcken als an Pfingsten: Der Herren-

    er/Aland). Akzeptiert man die Fassung ohne Artikel, liegen die Ehefrauen der Apostel nher. Aberselbst wenn der Artikel stnde, wre dies rein sprachlich die nchstliegende Bedeutung. Will man das auf Frauen aus dem Gefolge Jesu beziehen, wre der Artikel unerllich.

    Wir kommen also zu dem Ergebnis, da die textkritische Frage unabhngig davon bearbeitetwerden mu, welche Frauen gemeint sind. Die Pilhofersche Diagnose zur Stelle in der Netzfassung:Die westliche berlieferung sieht in diesen Frauen und Kindern Angehrige der Apostel und legtdamit das Verstndnis des eindeutig fest; darunter knnten ansonsten auch Frauen ausdem Gefolge Jesu verstanden werden, vgl. Luk 8,13 bedarf insoweit der Korrektur.

    16 Ernst Haenchen, S. 161.17 Man braucht nur an Mk 3,20f. zu erinnern: Und er ging in ein Haus, und das Volk kam

    abermals zusammen, so da sie nicht einmal Brot essen konnten. Als aber die Seinigen das hrten,gingen sie aus, sich seiner zu bemchtigen. Denn sie sagten: Er ist verrckt! Vgl. dazu auch dieFortsetzung in Mk 3,31ff.

    Vgl. Peter Pilhofer: . . . (1Thess 4,9). Ekklesiologische berlegungenzu einem Proprium frher christlicher Gemeinden, in: ders.: Die frhen Christen und ihre Welt,S. 139153; hier S. 149152.

    18 Anders als bei den Kindheitsgeschichten hat Lukas hier anscheinend an Maria kein Interessemehr, vgl. C. K. Barrett I 89: it is clear that Luke either has no information, or ist not concerned toprovide information, about Mary in the post-resurrection period.

  • 26 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    bruder Jakobos also knnte sich schon im Kreis der v. 14 Angesprochen befundenhaben.19

    Aber auch in diesem Fall bleibt das Auftauchen der brigen Brder Jesu am En-de von v. 14 schwierig: Die Brder Jesu werden von Lukas in seinem Evangeliumnicht namentlich genannt (Luk 4,1630 im Gegensatz zu Mk 6,16; zu den Br-dern im Lukasevangelium ist weiterhin 8,19 zu vergleichen, wo allerdings ebenfallskeine Namen genannt werden) und erscheinen hier recht unvorbereitet.20 Auch imFortgang der Erzhlung spielen die Brder keine Rolle; lediglich Jakobos kommtspter (Apg 12,17) als leitende Persnlichkeit in der Gemeinde in Jerusalem in denBlick.

    In 1,14 kann nur die Sorge um die Kontinuitt zwischen der Zeit Jesu und derZeit der Kirche der Grund gewesen sein, die Brder Jesu hier eigens anzufhren.

    Abschlieend kann man festhalten, da Lukas in diesem Summarium auf die al-Zusammenfassungte Liste der Zwlf zurckgreift. Neben den Jngern werden Frauen und VerwandteJesu als diejenigen genannt, die den Kern der Urgemeinde in Jerusalem bilden.

    19 Eine andere Auffassung vertritt Gerd Ldemann in seinem schon zitierten Buch ber die Auf-erstehung Jesu (vgl. o. Anm. 11 auf S. 8); demnach wurde dem Jakobos mitnichten eine originaleVision zuteil. Vielmehr sei er in die 500 Brder einzureihen. Dazu siehe Peter Pilhofer: Die Aufer-stehung Jesu. Bemerkungen zu einer berflssigen Debatte, in: ders.: Die frhen Christen und ihreWelt, S. 92105; hier S. 98f. zur Vision des Jakobos.

    20 Zum Problem der Brder berhaupt insbesondere aus katholischer Sicht vgl. Josef Blinzler:Die Brder und Schwestern Jesu, Stuttgarter Bibelstudien 21, Stuttgart 1967.

  • 5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526) 27

    5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526)

    Damit sind wir beim letzten Abschnitt unsres ersten Kapitels, der Nachwahldes Matthias. In Mt 27,310 findet sich eine Parallele zum Ende des Judas;eine dritte Version bietet Papias, in dessen Fragmenten eine besonders schauerlicheVariante vom Tod des Judas berliefert ist.1 Die Nachwahl hingegen ist fr dieApostelgeschichte spezifisch.

    Hier begegnet uns die erste Rede in der Apostelgeschichte; wir werden daherin einem eigenen Exkurs uns einen berblick ber diese Reden verschaffen unduns in einem zweiten Exkurs mit einem wichtigen Bestandteil dieser Reden, denalttestamentlichen Zitaten, auseinandersetzen.

    15 Und in diesen Tagen stand Petrus auf inmitten der Brder und sagte (eswar eine Gruppe von ungefhr 120 Personen beisammen): 16 Mnner undBrder, es mute das Schriftwort erfllt werden, welches vorhergesagt hat derheilige Geist durch den Mund des David in bezug auf Judas, der der Fhrerwurde derjenigen, die Jesus ergriffen. 17 Denn er wurde zu uns gerechnetund hatte empfangen das Los dieses Dienstes. 18 Dieser nun hatte ein Land-gut gekauft von dem Lohn der Ungerechtigkeit; aber er strzte hin und barstauseinander und alle seine Eingeweide quollen heraus. 19 Das wurde allenBewohnern Jerusalems bekannt, so da sie jenes Landgut in ihrer eigenenSprache Hakeldamch nannten, das heit Blutacker. 20 Denn im Buch derPsalmen steht geschrieben: Sein Gehft soll de werden, und keiner soll dar-in wohnen2 und: Sein Aufseheramt soll ein andrer erhalten3. 21 Dahermu einer von denjenigen Mnnern, die mit uns zusammen waren in der gan-zen Zeit, in der der Herr Jesus bei uns ein- und ausging, 22 angefangen beider Taufe durch Johannes bis hin zu dem Tag, an dem er entrckt wurde,Zeuge seiner Auferstehung zusammen mit uns werden.

    23 Und sie stellten zwei auf, Joseph, der Barsabbas genannt wurde, mit demBeinamen Justus, und Matthias. 24 Und sie beteten: Du, Herr, du Kenner al-ler Herzen, zeige uns, wen von diesen beiden du erwhlt hast, 25 einzunehmenden Platz dieses Dienstes und Apostelamtes, von dem Judas zurckgetreten ist,um an seinen Platz zu gehen. 26 Und sie gaben ihnen Lose, und das Los fielauf Matthias, und er wurde zu den Aposteln hinzugewhlt.

    1 Vgl. dazu Papias, F 16 (Erwin Preuschen: Antilegomena. Die Reste der auerkanonischen Evan-gelien und urchristlichen berlieferungen, Gieen 21905, S. 9899 [Text] und S. 201202 [ber-setzung]).

    2 Ps 69,26, vgl. Mt 23,38.3 Ps 109,8.

  • 28 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Die Zeitangabe in 15, in diesen Tagen, ist recht vage. Gemeint ist die Zeitv. 15 zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Zum ersten Mal tritt Petrus als Leiterauf. His prominence continues until the beginning of Pauls first journey (ch. 13),is resumed in ch. 15, and is then dropped.4 Die Urgemeinde ist schon betrchtlichangewachsen auf 120 Personen5; in einem privaten Haus kann sich eine Gruppedieser Gre schwerlich treffen. Vor diesem Kreis hlt Petrus die nachfolgendeRede.

    Exkurs: Reden in der Apostelgeschichte

    Bevor wir uns dieser Rede des Petrus im einzelnen zuwenden, mssen wir uns kurzber den Sinn und den Zweck solcher Reden verstndigen. Wenn Sie einen Blickin die heutige Zeitung werfen, finden Sie darin zahlreiche Bezugnahmen auf Reden, diegestern dieser oder jener Politiker gehalten hat. In einer soliden Zeitung gibt es darberhinaus auch Dokumentationen, wo eine gehaltene Rede im Wortlaut wiedergegeben ist.

    Dem Benutzer der Zeitung ist klar, ob es sich jeweils um einen Auszug oder um einekomplette Rede handelt.

    Was einer soliden Zeitung recht ist, ist einer historischen Publikation billig: Jeder Lesereines modernen historischen Werkes wei, welches die Quellen sind. Wo der Verfassereine Rede anfhrt, macht er das als Zitat kenntlich und gibt gegebenenfalls in einerAnmerkung die Fundstelle an.

    Von diesen modernen Gepflogenheiten mu man sich verabschieden, wenn man antikeLiteratur liest. Fr den antiken Autor kommt es in der Regel ganz und gar nicht daraufan, eine Rede im Wortlaut wiederzugeben. Eher umgekehrt: Selbst wenn der antike Autordas Original der Rede kennt, setzt er seinen Ehrgeiz drein, alle stilistischen Spuren diesesOriginals zu verwischen.6 Normalerweise ist es sogar so, da ein antiker Historiker dieReden, die er seinem Werk einverleibt, frei komponiert. D. h. er legt seinem Helden eineRede in den Mund, die er seines Erachtens in der gegebenen Situation htte halten knnenoder sollen. Dieses Verfahren kann man von Thukydides an bei allen antiken Historikern

    4 C. K. Barrett I 95.5 Die Bemerkung ber die Zahl strt. It is difficult to think that any writer would willingly

    interrupt himself in this way, and it is therefore natural to suppose that at this point Luke wasincorporating a statement from one source into another which he was in the main following (C. K.Barrett I 95).

    6 Ich nenne als besonders gut dokumentierten Fall ein Beispiel aus Tacitus. Er gibt in Ann XI 2325 den Text einer Rede des Kaisers Claudius wieder, die dieser im Jahr 48 im Senat in Rom gehaltenhat. Es handelt sich dabei um die Frage, ob rmische Ritter gallischer Abstammung in den Senataufzunehmen sind oder nicht. In diesem Fall knnen wir die Arbeitsweise des Historikers Tacitusgenau rekonstruieren, da die Rede des Kaisers Claudius im Wortlaut auf einer 1529 gefundenenBronzetafel erhalten ist (CIL XIII 1668; vgl. Gerold Walser: Inschrift-Kunst. Rmische Inschriftenfr den akademischen Unterricht und als Einfhrung in die lateinische Epigraphik, Stuttgart 1988,Nr. 3).

  • 5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526) 29

    studieren. Schon von vornherein darf man daher annehmen, da es sich auch bei demVerfahren unsres Autors nicht anders verhlt.7

    Folgende Reden sind in der Apostelgeschichte zu finden (dies soll keine vollstndigeListe sein; ich nenne nur die wichtigsten):8

    Die Rede des Petrus bei der Nachwahl (1,1625)

    Die Pfingstpredigt des Petrus (2,1436)

    Die Rede des Stephanus (7,253)

    Die Predigt des Paulus in der Synagoge des pisidischen Antiochien (13,1641)

    Die Areopagrede des Paulus in Athen (17,2231)

    Die Abschiedsrede des Paulus in Milet (20,1835)

    Die Verteidigungsrede des Paulus vor dem Volk in Jerusalem (22,121)

    Die Verteidigungsrede des Paulus vor dem Statthalter Festus und dem Knig Agrip-pa II. (26,223)

    * * *

    Im ersten Teil seiner Rede, v. 1620, befat Petrus sich mit dem Schicksal desJudas. Der zweite Teil der Rede, v. 2122, hat dann die Nachwahl des Matthiaszum Thema. Wir wenden uns zuerst dem ersten Teil, v. 1620 zu, dem Schicksaldes Judas. Zu diesem Thema besitzen wir auch noch zwei andere Traditionen, aufdie ich hier in aller Krze eingehen will.

    Exkurs: Das Schicksal des Judas

    (1)Die erste Tradition ber Judas findet sich im Evangelium des Matthus (27,3 Mt 27,31010): Als dann Judas, der ihn [Jesus] verraten hatte, sah, da er verurteilt war,reute es ihn, und er brachte die dreiig Silbermnzen den Hohenpriestern und ltestenzurck 4 und sagte: Ich habe gesndigt, indem ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie

    7 Zum Problem vgl. Martin Dibelius: Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Ge-schichtsschreibung, in: ders.: Aufstze zur Apostelgeschichte, herausgegeben von Heinrich Greeven,Gttingen 41961, S. 120162. Dibelius hat das Ziel, unter den ganz verschiedenartigen Redety-pen der Historiker den Platz zu finden, auf den die Reden der Acta apostolorum gehren, und damitzugleich die Bedeutung zu bestimmen, die den Reden im Ganzen des Werkes zukommt (a. a. O.,S. 125).

    8 Eine Statistik der Reden der Apostelgeschichte bietet Martin Dibelius, a. a. O., S. 130. Er nenntacht Reden des Petrus (eine vollstndige Liste auf S. 130 in Anm. 2), neun Reden des Paulus (dieentsprechende Liste in Anm. 3), die Rede des Stephanus in Kapitel 7, die Rede des Jakobus in Kapitel15 sowie fnf Reden von Nichtchristen (zusammengestellt in Anm. 4).

  • 30 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    aber sagten: Was geht das uns an? Sieh du zu! 5 Und er warf die Silbermnzen in denTempel und entfernte sich, und er ging weg und erhngte sich. 6 Die Hohenpriester abernahmen die Silbermnzen und sagten: Man darf es nicht in den Tempelschatz legen, weiles Blutgeld ist. 7 Sie faten einen Beschlu und kauften dafr den Acker des Tpfers alsBegrbnisplatz fr die Fremden. 8 Daher wurde jener Acker Blutacker genannt bis heute.9 Da wurde erfllt, was durch den Propheten Jeremia9 gesprochen worden ist, welchersagt: Und sie nahmen die dreiig Silbermnzen, den Kaufpreis fr den Abgeschtzten,den man von seiten der Shne Israels abgeschtzt hatte, 10 und gaben sie fr den Ackerdes Tpfers, wie der Herr mir befohlen hatte.

    Der entscheidende Punkt dieser Tradition ist, da Judas sein Handeln bereut (v. 3) unddaher das Geld, das er erhalten hatte, zurckbringt (v. 5). Whrend er selbst sich erhngt,nehmen andere das Geld, um davon einen Acker zu kaufen, von dessen Erwerb Judasgar nichts mehr hat. Als Schriftbezug wird eine Kombination verschiedener prophetischerStellen angefhrt.

    (2) Eine andere Tradition ber das Ende des Judas findet sich bei Papias10. Das BuchPapias F 16des Papias ist uns nicht erhalten; lediglich einzelne Zitate daraus finden sich bei den Kir-chenvtern. Diese Fragmente sind von Erwin Preuschen gesammelt worden. Von Judas istdie Rede in F 16. Ich lese Ihnen die deutsche bersetzung von Preuschen vor.

    . . . Deutlicher erzhlt das Papias, der Schler des Johannes, der im vierten Buche derErklrung der Herrnworte so spricht: Als ein hervorragendes Beispiel der Gottlosigkeitwandelte in dieser Welt Judas, dessen Leib so sehr anschwoll, da er da, wo ein Wagennoch bequem hindurchging, nicht mehr hindurchgehen konnte, ja sogar nicht einmal dieMasse seines Kopfes. Seine Augenlider schwollen, wie man sagt, so sehr an, da er ber-haupt das Licht nicht mehr sah, und da man seine Augen selbst mit dem Augenspiegeldes Arztes nicht mehr sehen konnte. So tief lagen sie von der Auenflche zurck. SeinSchamglied erschien widerwrtiger und grer als irgend sonst etwas Unanstndiges; vonseinem ganzen Krper flo der Eiter herab und er trug Wrmer an sich, die ihn schon we-gen der natrlichsten Bedrfnisse qulten. Als er dann nach vielen Qualen und Plagen aufseinem Gtchen gestorben war, blieb dieses bis auf den heutigen Tag wegen des Gestankesde und unbewohnt, ja bis heute kann niemand an jenem Orte vorbergehen, ohne daer sich die Nase mit den Hnden zuhlt. Soweit ging das Ausstrmen (des Gestanks) vonseinem Leibe auf der Erde.11

    9 Hier irrt der Autor: Es handelt sich um ein Zitat aus Sach 11,13; vgl. auch Jer 18,2f. und19,115.

    10 Zu Papias vgl. Ernst Bammel, RGG3 V 4748: Bischof in seiner Vaterstadt Hierapolis inPhrygien, schrieb um 130/40 nChr die . . . .Das Buch enthielt kommentierte Nachrichten ber Worte und Taten Jesu. Echtes berlieferungsgutist nicht feststellbar, obwohl P.[apias] im Vorwort behauptet, besondere Traditionen aufgesprt zuhaben. Diese Angabe erweist sich damit als bloes literarisches Schema.

    Neuere Literatur zu Papias findet sich bei Christoph Markschies: Art. Papias, DNP 9 (2000), Sp.287.

    11 Papias, F 16 Preuschen (vgl. oben S. 27, Anm. 1); hier S. 201f.

  • 5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526) 31

    Diese Version des Papias steht unserer Fassung in der Apg nher als der matthischenVariante. Denn im Unterschied zur Fassung des Matthus, wo Judas sich sogleich erhngt,nachdem er das Geld zurckgegeben hat, ist es nach Apg 1,18 ja so, da Judas von demGeld zunchst einmal ein Landgut () kauft.12 Als Besitzer dieses Landguts ist erbei Papias vorgestellt, wie der Schlu der Geschichte zeigt; bei Matthus dagegen kaufenandere den Acker, dessen Eigentmer Judas nicht mehr werden kann.

    * * *

    Zusammenfassend kann man daher sagen, da wir es mit zwei verschiedenenTraditionen zu tun haben, deren eine in zwei verschiedenen Fassungen erhal-ten ist. Im Fall der matthischen Tradition kaufen die Hohenpriester von dem Geldeinen Acker als Friedhof, bei der durch die Apostelgeschichte und durch Papias er-haltenen Tradition kauft Judas selbst ein Landgut.

    In 16 betont Petrus, da das Schriftwort erfllt werden mute. Der heilige Geist v. 16spricht durch den Mund des David ber Judas. Dies ist fr das Schriftverstndnisdes Lukas von grundlegender Bedeutung: Im von uns so genannten Alten Testa-ment spricht der heilige Geist durch die einzelnen Autoren. Das Gesagte beziehtsich direkt auf die frhchristliche Geschichte.

    Exkurs: Zum frhchristlichen Schriftgebrauch

    Der frhchristliche Schriftgebrauch ist von der Voraussetzung geprgt, da die altte-stamentlichen Stellen sich direkt auf die Gegenwart anwenden lassen. D. h. man legtdas AT christlich aus. Diese Art der Auslegung war damals nicht nur bei Christen, son-dern auch bei Juden (Qumran!) und Heiden (Homer-Allegorese!) gang und gbe und mudaher zunchst einmal im damaligen Rahmen gewrdigt werden.

    12 So der klare Wortlaut unsrer Stelle. Theodor Zahn erklrt ihn fr unmglich: Da Judas nachvollbrachter Untat nichts eiligeres zu tun gehabt haben sollte, als das kleine dadurch erworbene Ka-pital durch Ankauf eines Grundstcks in oder bei Jerusalem alsbald nutzbringend anzulegen, ist eineVorstellung, die man nur durchzudenken braucht, um ihre Unmglichkeit einzusehen (S. 54). Wieso oft bei Theodor Zahn ist auch hier der Wunsch der Vater des Gedankens, d. h. nherhin sein Har-monisierungsstreben. Denn natrlich mu die Apg mit dem Zahn zufolge authentischen (meineWortwahl) Bericht Mt 27,310 in bereinstimmung gebracht werden. Freilich erfordert dies in demvorliegenden Fall schon besondere Anstrengungen. Man lasse sich folgendes Argument auf der Zun-ge zergehen: So gut von und zu dem Judenvolk gesagt werden kann, da es Jesus verraten, gettetund ans Kreuz geheftet habe, ohne da einer der Angeredeten persnlich an diesen Handlungen be-teiligt war, kann auch von Judas gesagt werden, da er, indem er Jesus um den ihm dafr gebotenenklingenden Preis an die Hohenpriester verriet und auslieferte, sich nichts anderes erworben habe, alsein Grundstck, von dem er keinen Nutzen mehr genieen sollte, obwohl nicht er selbst, sonderndie Hohenpriester das von Judas wieder weggeworfene Blutgeld zum Ankauf des Blutackers ver-wendet haben (S. 55). Das ist nun selbst fr Theodor Zahn ein einsamer Hhepunkt der Kunst,ein wahres Kabinettstck der Apologetik!

  • 32 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    Fr damalige Leserinnen und Leser war der Weissagungsbeweis und der Altersbeweis13

    durchaus akzeptabel jedenfalls im Prinzip (natrlich konnte man sich ber die konkreteInterpretation einzelner Stellen immer streiten!).

    Auf der anderen Seite mu man sich aber auch klarmachen, da wir heutige Christinnenund Christen solche Interpretation nicht unbesehen bernehmen knnen. Denn fr unsist das AT ja nicht ein Steinbruch fr christologische Beweisfhrung. Unsre Frage lautetz. B. im Blick auf Ps 69: Wovon redet der Verfasser? Was will er seinen Hrerinnen undHrern bzw. Leserinnen und Lesern sagen?

    Und auf diese Frage knnen wir ersichtlich nicht antworten: Er will ber das Schicksaldes Judas berichten. Fr uns ist aus diesem Grund das lang beliebte Schema von Weissa-gung und Erfllung beraus fragwrdig geworden.

    * * *

    Freilich folgt in 17 nun gar kein Schriftwort als Beleg (dieses bringt Lukas viel-v. 17 mehr erst in v. 20).14 Vielmehr fat Petrus die wichtigsten Punkte der Ge-schichte des Judas zusammen (als ob diese den Versammelten nicht bestens be-kannt gewesen wren . . . ). Die Formulierung weist bereits auf das Verfahren derNachwahl hin: Es wird gelost. Los heit griechisch (kle. ros) und ist genausodoppeldeutig wie in unserer Sprache: Zunchst bezeichnet das Wort dasjenige, mitdem man lost, also unser Los im wrtlichen Sinn. Sodann bezeichnet (kle. ros) aber auch das Verloste, d. h. den fr jemanden ausgelosten Anteil, also un-ser Los im bertragenen Sinn. Treffend formuliert Haenchen: Die Wortspielemit Los und Dienst gehren zu der besonderen Rhetorik, mit der Lukas dieRede des Apostels schmckt.15

    In 18 greift Lukas auf eine Tradition ber das Ende des Judas zurck, die v. 18wie wir gesehen haben von der bei Matthus erhaltenen deutlich abweicht. Sehrschn formuliert Barrett: Peter appears to be telling his audience of an event in thefairly distant past; in fact it belonged to no more than a few weeks ago. The truthof course is that Luke is telling the story for the benefit of his readers; there was noneed for Peter to tell it at all.16 Die Fortsetzung in 19 unterstreicht dieses Problem:v. 19

    13 Zum Altersbeweis vgl. Peter Pilhofer: Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jdischen undchristlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT 2/39, Tbingen 1990.

    14 Vgl. C. K. Barrett I 97: may introduce (Haenchen 164) the content of what the HolySpirit said; more probably it explains why a vacancy had occurred: this was because he had beencounted among us . . . .

    15 Ernst Haenchen, S. 164, Anm. 2. Interessant ist die Bemerkung bei Lake/Cadbury z. St.: - originally meant a lot, and then either a place or an office obtained by lot. Thus wasthe name of a special class of officials at Athens, and came to be a usual name for officialsin the Christian Church, the sense of lot being quite forgotten (S. 12f.).

    16 C. K. Barrett I 98.

  • 5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526) 33

    Wenn das Geschehen allen Bewohnern Jerusalems bekannt war, bestand fr Petrusberhaupt keine Notwendigkeit, es in aller Breite in seiner Rede zu referieren; hierist der Redenschreiber Lukas am Werk.17

    Das in v. 16 angekndigte Schriftwort fhrt Lukas in 20 dann auch ausdrcklich v. 20an. Denn im Buch der Psalmen steht geschrieben: Sein Gehft soll de werdenund keiner soll darin wohnen und: Sein Aufseheramt soll ein andrer erhalten.Mit diesem ersten Zitat aus Ps 69,26 wollen wir uns zunchst beschftigen. ImOriginal lautet der Vers: Ihre (Plural!) Lagerstatt werde zur de, in ihren Zeltenmge niemand mehr wohnen!18 Ps 69 ist ein individuelles Klagelied, in v. 2329haben wir eine Bitte um Gottes Zornesgericht ber die Feinde des Beters voruns19:

    22 Sie gaben mir Gift als Nahrungund Essig als Trank fr meinen Durst.

    23 Es werde ihr Tisch vor ihnen zur Falle,ihr Opfergelage zum Fallstrick!

    24 Es mgen sich verfinstern ihre Augen, da sie nicht sehen,ihre Hften lasse wanken fr immer!

    25 Giee aus ber sie deinen Grimm,die Glut deines Zornes mge sie treffen!

    26 Ihre Lagerstatt werde zur de,in ihren Zelten mge niemand mehr wohnen! usw.

    D. h. in seiner ursprnglichen hebrischen Fassung ist der Vers auf den vorliegen-den Fall berhaupt nicht anwendbar. Was ergibt sich daraus?

    1. Petrus kann in seiner Rede diesen Psalmvers nicht in diesem Zusammenhangzitiert haben. Denn der Wortlaut der LXX ist vorausgesetzt, und diese htte Petrusseinen Hrern gegenber nicht verwendet.20

    17 Haenchen stellt mit Recht fest: Dieser Vers zeigt mit aller Deutlichkeit, da hier eigentlich derSchriftsteller Lukas spricht, dem ja nicht das Hilfsmittel einer Anmerkung zu Gebote stand. DennPetrus, der wie seine Hrer aramisch sprach, htte ihnen (die das alles berdies eben miterlebthatten) nicht gesagt, da die Einwohner Jerusalems das Landgut, wo Judas umgekommen war, inihre Sprache Hakeldama nannten, und er htte ihnen diese aramischen Worte nicht bersetzt, wiees hier geschieht (Ernst Haenchen, S. 164f.). Theodor Zahn im Bemhen, die Authentizitt derPetrusrede zu sichern nimmt einen lukanischen Einschub v. 1819 in die petrinische Rede an(S. 49f.).

    18 bersetzung von Hans-Joachim Kraus (Psalmen. I. Teilband, BK XV/1, Neukirchen 21961,S. 479).

    19 Kraus, a.a.O., S. 480.20 Ernst Haenchen, S. 165.

  • 34 1. Der Beginn des zweiten Buches (1,126)

    2. Auch der Wortlaut der LXX ist absichtlich gendert: ist zu geworden. Denn selbst der LXX-Text wre, da pluralisch, frden vorliegenden Fall nicht anwendbar.

    In 21f. wird das Kriterium angegeben, das jeder neue Bewerber erfllen mu:v. 2122Hier wird das, was Lukas im Prolog seines Evangeliums (Luk 1,14) bezglichder Augenzeugen und Diener des Wortes andeutet, nun genauer ausgefhrt: Esgeht um die Zeitspanne, die einerseits durch die Taufe des Johannes, andrerseitsdurch die Himmelfahrt begrenzt ist, d. h. es handelt sich um die gesamte ffent-liche Wirksamkeit Jesu. Man beachte die Exklusivitt dieses in v. 22 genanntenKriteriums: Den Spteren gengten die Visionen nicht mehr zum Beweise derAuferstehung, und so auch dem Vf. der AG nicht. An den Anfang wenigstens stellter eine Begegnung und ein Zusammensein des leibhaftigen Jesus mit den Zwlfnach seiner Auferstehung, aber vor seiner Aufnahme in den Himmel. Dadurch ent-steht ein Unterschied. Nur die Zwlf sind Zeugen der Auferstehung und Apostel;die Christophanien der Spteren, z. B. des Paulus, stehn auf einer anderen Stufeund machen nicht zum Zeugen der Auferstehung oder zum Apostel.21

    Man mu sich klarmachen: Dieses Kriterium, das hier formuliert wird, ist dasDie Zwlf vs. die Apostellukanische Kriterium. Lukas war es, der den Kreis der Apostel zu dem nichtzuletzt ein Mann wie Paulus sich seit seiner Berufung Zeit seines Lebens zhlte mir dem der von Jesus berufenen Zwlf identifiziert hat. Historisch mu manbeide Kreise strikt voneinander unterscheiden, da sie an sich nichts miteinander zutun haben. Vielmehr gilt: Nicht jedes Mitglied der Zwlf war spter Apostel, undlngst nicht jeder Apostel war vorher einer der Zwlf, wofr wiederum Paulus dasklassische Beispiel abgibt.22

    Fr das zweite Buch des Lukas hat diese Definition schwerwiegende Folgen:Der Held dieses Buches ab Kapitel 13 bis zum Schlu in Kapitel 28, Paulus, istkein Apostel im lukanischen Sinn; daher wird ihm der Titel (abgesehen von zweiAusrutschern in Kapitel 14) konsequent vorenthalten . . . Daher erscheint auchder sekundre Titel unseres Buches, , Taten der Apostel wir haben darber gesprochen23 aus lukanischer Sicht als unangebracht, weilPaulus eben gerade kein Apostel ist.

    21 Julius Wellhausen: Kritische Analyse der Apostelgeschichte, AAG 15,2, Berlin 1914, S. 6.22 Die klassische Studie zu den Zwlf Aposteln: Gnter Klein: Die zwlf Apostel. Ursprung und

    Gehalt einer Idee, FRLANT 77, Gttingen 1961.23 Vgl. dazu oben S. 13.

  • 5 Judas wird durch Matthias ersetzt (1,1526) 35

    23 nennt die Namen der beiden aufgestellten Kandidaten.24 Die Namen der v. 23beiden Jnger begegnen sonst nicht. Es ist mig, ber die Kriteriern der Auswahlzu spekulieren.25 Die ausgelobte Stelle wird 25 als (to. pos) bezeichnet; in v. 25v. 17 war stattdessen von (kle. ros) die Rede. Ein sachlicher Unterschiedist dadurch nicht angezeigt. Die Stelle ist vakant, weil Judas es fr zweckmiggehalten hatte, diesen (to. pos) mit einem andern zu vertauschen: . It may be said that Judasleft his function as a serving apostle to take up his own function, the functionpeculiar to himself, of traitor. The phrase would then refer to the action of Judasin betraying Jesus. Alternatively it might refer to the consequence of his act . . . .On this view Judass own place, his appropriate destination, would presumably behell, perdition.26

    26 berichtet vom Ausgang des Losverfahrens: Matthias wird ausgelost und tritt v. 26an die Stelle des Judas.

    Zusammenfassend halten wir fest: Die erste Rede der Apostelgeschichte hlt Pe- Zusammenfassungtrus im Zusammenhang mit der Nachwahl des Matthias. Hier begegnet eineTradition vom Ende des Judas, die der Version des Papias nher verwandt ist alsder matthischen. In der Rede des Petrus ist fr das gesamte Buch grundlegend dielukanische Aposteldefinition in v. 2122.

    24 For the procedure Bruce . . . compares the Athenian , in the consti-tution of Solon (described in Aristotle, Ath. Pol. 8) (C. K. Barrett I 102).

    Der westliche Text genauer: der Codex D in seiner ursprnglichen Fassung liest statt desPlurals den Singular ; damit wrde Petrus zum Subjekt, was ein Versehen seinknnte, aber vielleicht auch die Autoritt des Petrus steigern sollte: It is tempting but would beprecarious to argue that the Western text was concerned to magnify the authority of Peter . . . (C. K.Barrett, ebd.).

    D u. a. lesen statt vielmehr , was Jenny Read-Heimerdinger: Ba