Hyle (Studien zum aristotelischen Materie-Begriff) || 5.1 Die Einschränkung der πρώτη ὕλη...

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5 Die Abgrenzung des triadischen Schemas nach ,oben*: Es gilt nicht im supralunaren Bereich 5.1 Die Einschr nkung der πρώτη ύλη auf die sublunare Welt (De gen. et corr. A 6) Werden und Vergehen ist nach Aristoteles ein Wechsel gegens tz- licher formaler Faktoren, die an einem beharrenden Substrat einander abl sen, d. h. eine wechselseitige Einwirkung von Formen aufeinander an ein und derselben Materie 1 . Dabei zielt jede aktive Handlung auf ein Objekt, das nicht nur rein passiv betroffen wird, sondern auch selbst re-agiert und so fort, kurz, Werden und Vergehen ist ein Ver- flochtensein von Aktion und Reaktion, ein Gewebe st ndiger Wechsel- wirkung 2 . Mit diesen Begriffen der Gegens tze und der Wechselwirkung ist der Substrat-Begriff so eng verbunden, da man sagen kann: a) In einem Bereich, in welchem keine Gegens tze vorhanden sind, verliert der im vorstehenden geschilderte Substratbegriff seinen Sinn, b) Zwei Dinge, zwischen denen keine Wechselwirkung m glich ist, haben kein gemeinsames Substrat, und umgekehrt 3 . Diese Bemerkungen ber be- kannte aristotelische Lehren waren notwendig, damit die nun folgende Stelle richtig gew rdigt werden kann: Aristoteles hat in gen. corr. A 1—5 die Begriffe γένεσίξ φθορά, αλλοίωση und αύξησις gekl rt und wendet sich nun dem zweiten Teil seiner Aufgabe zu, n mlich die Ursachen von γένεσίξ und φθορά zu untersuchen, insonderheit die causa materialis. Und zwar dreht er die sachliche Reihenfolge um, indem er zuerst die Beziehungen der materiellen Bestandteile, d. h. der Elemente, zueinander (Kontakt, Wechselwirkung, Mischung; A 6—10), dann erst diese Bestandteile 1 cael. A 3, ayoa 14—17 γίγνεσθαι μεν άπαν το γιγνόμενον εξ εναντίου τε καΐ υποκειμένου τινό$, καΐ φθείρεσθαι ωσαύτως υποκειμένου τέτίνος καΐ υπ' εναντίου καΐ είς εναντίον. Der therische Kreisk rper ist nur deshalb ungeworden und un- verg nglich, weil er keinen Gegensatz hat und so aller Gegens tzlichkeit enthoben ist (ayoa 20—22). Vgl. weiter phys. i88b 21—23 (dazu 191 a 5). gen. corr. 331 a 14. 335a 7. gen. an. 766a 14. met. loSya 36! γίγνεται πάντα εξ εναντίων ως υποκειμένου τινός. 2 Vgl. Joachim 136. 148—175. bes. 151 ff. 8 Mit dem Begriff der Wechselwirkung ist derjenige des »Kontakts* (άψη) verbunden, den wir hier beiseite gelassen haben, um die Darlegung nicht zu komplizieren; wir kommen u. 5.41 darauf zur ck. Brought to you by | National Dong Hwa University Authenticated | 134.208.103.160 Download Date | 3/28/14 6:18 AM

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5 Die Abgrenzung des triadischen Schemas nach ,oben*:Es gilt nicht im supralunaren Bereich

5.1 Die Einschr nkung der πρώτη ύληauf die sublunare Welt (De gen. et corr. A 6)

Werden und Vergehen ist nach Aristoteles ein Wechsel gegens tz-licher formaler Faktoren, die an einem beharrenden Substrat einanderabl sen, d. h. eine wechselseitige Einwirkung von Formen aufeinanderan ein und derselben Materie1. Dabei zielt jede aktive Handlung aufein Objekt, das nicht nur rein passiv betroffen wird, sondern auchselbst re-agiert und so fort, kurz, Werden und Vergehen ist ein Ver-flochtensein von Aktion und Reaktion, ein Gewebe st ndiger Wechsel-wirkung2. Mit diesen Begriffen der Gegens tze und der Wechselwirkungist der Substrat-Begriff so eng verbunden, da man sagen kann: a) Ineinem Bereich, in welchem keine Gegens tze vorhanden sind, verliertder im vorstehenden geschilderte Substratbegriff seinen Sinn, b) ZweiDinge, zwischen denen keine Wechselwirkung m glich ist, haben keingemeinsames Substrat, und umgekehrt3. Diese Bemerkungen ber be-kannte aristotelische Lehren waren notwendig, damit die nun folgendeStelle richtig gew rdigt werden kann:

Aristoteles hat in gen. corr. A 1—5 die Begriffe γένεσίξ — φθορά,αλλοίωση und αύξησις gekl rt und wendet sich nun dem zweiten Teilseiner Aufgabe zu, n mlich die Ursachen von γένεσίξ und φθορά zuuntersuchen, insonderheit die causa materialis. Und zwar dreht er diesachliche Reihenfolge um, indem er zuerst die Beziehungen dermateriellen Bestandteile, d. h. der Elemente, zueinander (Kontakt,Wechselwirkung, Mischung; A 6—10), dann erst diese Bestandteile

1 cael. A 3, ayoa 14—17 γίγνεσθαι μεν άπαν το γιγνόμενον εξ εναντίου τε καΐυποκειμένου τινό$, καΐ φθείρεσθαι ωσαύτως υποκειμένου τέ τίνος καΐ υπ' εναντίουκαΐ είς εναντίον. Der therische Kreisk rper ist nur deshalb ungeworden und un-verg nglich, weil er keinen Gegensatz hat und so aller Gegens tzlichkeit enthobenist (ayoa 20—22). Vgl. weiter phys. i88b 21—23 (dazu 191 a 5). gen. corr.331 a 14. 335a 7. gen. an. 766a 14. met. loSya 36! γίγνεται πάντα εξ εναντίωνως υποκειμένου τινός.

2 Vgl. Joachim 136. 148—175. bes. 151 ff.8 Mit dem Begriff der Wechselwirkung ist derjenige des »Kontakts* (άψη) verbunden,

den wir hier beiseite gelassen haben, um die Darlegung nicht zu komplizieren; wirkommen u. 5.41 darauf zur ck.

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474 5· Die Abgrenzung des triadischen Schemas nach .oben'

selbst (B 1—8) betrachtet. Der Er rterung von αφή in A 6 ist einkurzer zusammenfassender Abschnitt voraufgeschickt (322 b 1—21),in welchem sich Aristoteles im Zusammenhang mit dem Begriff der»Wechselwirkung' (ποιεϊν — ττάσχειν) knapp auch monistischen Lehrenparmenideischer Pr gung zuwendet (b 13—21): Sie haben recht, wennsie sagen, da Wechselwirkung nur dann m glich ist, wenn zwischendem Wirkenden und dem Affizierten ein Gemeinsames besteht; εν οϊξτο ττοιεϊν εστί και το ττάσχειν, ανάγκη τούτων μίαν είναι την υπο-κείμενη ν φύσιν, „das was ihnen unterliegt, mu ein einziges Etwassein"*. Diese Behauptung gilt, schr nkt Aristoteles dann sogleich ein,nicht ausnahmslos f r alles, sondern nur f r die Dinge, zwischen deneneine Wechselwirkung stattfindet. Philoponos 129, 5—14 denkt an denGegensatz zwischen supra- und sublunarem Bereich: Die Himmels-k rper wirken auf das Sein unter dem Mond, erfahren aber von diesemkeine Gegenwirkung.

Trifft diese Erkl rung zu, d. h. gilt das Substrat der ,Wechsel-wirkung' nicht im therbereich der Gestirne ? Welche weiteren Fragenergeben sich daraus ?

5.2 Gestirne und sublunare Welt5:Die Beweise f r den Dualismus des Kosmos

Im Folgenden wird die thertheorie des Aristoteles weniger umihrer selbst willen dargestellt, als vielmehr im Hinblick auf die Kon-sequenzen, die sie f r den aristotelischen Materiebegriff mit sich bringt.Nat rlich hat Aristoteles nicht eine einheitlich konzipierte, systema-tische Lehre ber den ther gehabt, aus der er ab und zu etwas mit-geteilt h tte, sondern es gibt nur eine Reihe einzelner u erungen mitmannigfachen Differenzen und Schwierigkeiten, die man am bestenin Moraux' Artikel berschauen kann6. Immerhin bleibt in seinenPragmatien von De caelo an ein gewisser Kern immer bestehen: DieTeilung des Kosmos in einen sublunaren, verg nglichen Teil und einenunverg nglichen Sternbezirk dar ber. Schon in dieser Tatsache liegtaber das Kernproblem, das und hier interessiert: i. Wie soll man sichphilosophisch die dualistische Trennung der Welt denken ? Gibt es f rbeide Bereiche dieselben oder verschiedene Seinsprinzipien (insbeson-dere: ein einziges Materieprinzip oder zwei verschiedene) und in wel-

* Zu φύσΐ5 in diesem Sinne vgl. Joachim z. St. S. ferner o. S. 450 A. 720.6 Vgl. f r das Folgende durchweg Paul Moraux, Quinta essentia, RE XXIV (erschie-

nen 1963) 1171—1263, dazu die Addenda am Bandende. Wichtig auch ders., RE s. v.Xenarchos 4 Sp. 1425—1428. 1433—1435. Solmsen bes. 287—318.

8 Moraux 1196, 8—1209, 41.

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