DER „ΟΡθΟΣ ΛΟΓΟΣ“. IN DER GROSSEN ETHIK DES CORPUS ARISTOTELICUM

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DER „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" IN DER GROSSEN ETHIK DES CORPUS ARISTOTELICUM von KARL B RTHLEIN (Bonn) Was bedeutet der Terminus „όρθό$ λόγο$" (abgek. ολ) in den drei Ethiken des Corpus Aristotelicum (Magna M oralia = MM, Endemische Ethik = EE, Nikomachische Ethik = EN) ? Diese Frage ist in der Aristotelesforschung schon mehrmals gestellt und recht verschieden beantwortet worden. W hrend die einen Interpreten der aristotelischen Ethiken der Ansicht sind, mit diesem Terminus sei nichts anderes gemeint als der „gesunde Verstand", die richtige berlegung und Planung, glauben andere (und es sind vor allem englische Forscher) 1 , dieser Terminus habe viel eher (oder fast ausschlie lich) die Bedeutung „objektive praktische Norm", „praktisches Gesetz", indem sie ihn tibersetzen mit Aus- dr cken wie „standard", „proportion", „(right) law", „the right rule", „the right proportion or system of proportions", „la droite regle". Beide Gruppen finden f r ihre Auslegung Anhaltspunkte im Text der drei Ethiken, doch bietet — vor allem — die EN der Auffassung der ersten Gruppe gr ere Chancen 2 . Da zu beiden Gruppen gute Kenner der aristotelischen Ethiken geh ren, wird man sich fragen m ssen, ob nicht beide etwas Richtiges sehen und ob man mit einer einzigen Bedeutung allein durchkommen kann 3 . 1 Z. B. ALEX. GRANT, The Ethics of Aristotle.... 4th ed. rev., in 2 Vols., London 1885; W. D. Ross, The Works of Aristotle, translated into English, Vol. IX: EN, 1st ed. 1915; H. H. JOACHIM, Aristotle: The Nie. Ethics. A commentary by the late H. H. JOACHIM, ed. by D. A. REES, Oxford 1951; aber auch: R. A. GAUTHIER et J, Υ. JOLIF, L' thique a Nicomaque, 3 Vol., Louvain-Paris 1958/59. v * S. FRANZ DIRLMEIER, in Aristoteles. Werke in dt. bers., hrsg. v. ERNST GRUMACH, Bd. 6: Nikomachische Ethik, Berlin 1956, S. 298, bez glich der EN: „.. . Also ist auch der ολ eine Tugend. Das ist vorauszuschicken, weil die Engl nder λόγο$ als Proportion, als Relationssystem, als Organisation auffassen, womit man aber weder bei Platon noch bei Ar. durchkommt F r Ar. ist der ολ praktisch eine , Tugend' und zwar Phronesis . ..". 3 Wenn wir im folgenden nachweisen, da der Terminus „ολ" in den MM bald diese, bald jene Bedeutung hat, so soll damit nicht gesagt sein, da der Autor (der uns vorliegenden MM) selbst schon diese beiden Bedeutungen ausdr cklich unter- 15 Arch. Gesch. Philosophie Bd. 45 Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/4/13 3:02 AM

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DER „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ"IN DER GROSSEN ETHIK DES CORPUS ARISTOTELICUM

von KARL B RTHLEIN (Bonn)

Was bedeutet der Terminus „όρθό$ λόγο$" (abgek. ολ) in dendrei Ethiken des Corpus Aristotelicum (Magna M or alia = MM,Endemische Ethik = EE, Nikomachische Ethik = EN) ? DieseFrage ist in der Aristotelesforschung schon mehrmals gestelltund recht verschieden beantwortet worden. W hrend die einenInterpreten der aristotelischen Ethiken der Ansicht sind, mit diesemTerminus sei nichts anderes gemeint als der „gesunde Verstand",die richtige berlegung und Planung, glauben andere (und es sindvor allem englische Forscher)1, dieser Terminus habe viel eher(oder fast ausschlie lich) die Bedeutung „objektive praktischeNorm", „praktisches Gesetz", indem sie ihn tibersetzen mit Aus-dr cken wie „standard", „proportion", „(right) law", „the rightrule", „the right proportion or system of proportions", „la droiteregle". Beide Gruppen finden f r ihre Auslegung Anhaltspunkteim Text der drei Ethiken, doch bietet — vor allem — die EN derAuffassung der ersten Gruppe gr ere Chancen2. Da zu beidenGruppen gute Kenner der aristotelischen Ethiken geh ren, wirdman sich fragen m ssen, ob nicht beide etwas Richtiges sehen undob man mit einer einzigen Bedeutung allein durchkommen kann3.

1 Z. B. ALEX. GRANT, The Ethics of Aristotle.... 4th ed. rev., in 2 Vols., London1885; W. D. Ross, The Works of Aristotle, translated into English, Vol. IX: EN,1st ed. 1915; H. H. JOACHIM, Aristotle: The Nie. Ethics. A commentary by the lateH. H. JOACHIM, ed. by D. A. REES, Oxford 1951; aber auch: R. A. GAUTHIER etJ, Υ. JOLIF, L' thique a Nicomaque, 3 Vol., Louvain-Paris 1958/59.

v* S. FRANZ DIRLMEIER, in Aristoteles. Werke in dt. bers., hrsg. v. ERNST GRUMACH,Bd. 6: Nikomachische Ethik, Berlin 1956, S. 298, bez glich der EN: „.. . Also istauch der ολ eine Tugend. Das ist vorauszuschicken, weil die Engl nder λόγο$ alsProportion, als Relationssystem, als Organisation auffassen, womit man aber wederbei Platon noch bei Ar. durchkommt F r Ar. ist der ολ praktisch eine , Tugend'und zwar Phronesis . ..".

3 Wenn wir im folgenden nachweisen, da der Terminus „ολ" in den MM balddiese, bald jene Bedeutung hat, so soll damit nicht gesagt sein, da der Autor (deruns vorliegenden MM) selbst schon diese beiden Bedeutungen ausdr cklich unter-

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Nun kommt der Terminus „ " in wichtigen Partien der dreiEthiken vor, und die Forscher sind sich darin einig, daί er fόr einenzentralen Begriff der Ethik steht. Gerade aus diesem Grunde wδrees wichtig, die Bedeutung dieses Terminus an den verschiedenenStellen zu untersuchen. Vielleicht kφnnte auch das Ergebnis dieserUntersuchung — zusammen mit der Feststellung von Uneinheit-lichkeit in anderen Punkten — beitragen zur Klδrung der Ent-stehung der drei Ethiken, zur Unterscheidung von Teilen, die hiermehr oder weniger gut verbunden worden sind, so daί man vorsichti-ger wόrde, in dem oder jenem Punkte mit einer einzigen Antwortdurchkommen und damit Echtheitsfragen entscheiden zu wollen.

Wir beschrδnken uns in der vorliegenden Untersuchung auf dieMM. Dabei mφchten wir die MM nicht an der EE oder der ENmessen. Dazu neigte man immer wieder, nachdem Spengel4 undandere Forscher nach ihm die These aufgestellt hatten, die MMseien unecht und eine Epitome von EN und EE5. Hans v. Arnim6

und Dirlmeier haben die Argumente geprόft, die fόr diese Thesevorgebracht worden sind. H. v. Arnim hat die Echtheit der MMverfochten, und Dirlmeier (MM, S. 185) kommt zu dem Ergebnis:„MM ist ein selbstδndiger Entwurf und dieser stammt inhaltlichvon Ar. selbst". Die sprachliche Form bereitet Dirlmeier allerdingsSchwierigkeiten. — Diese sprachlichen Schwierigkeiten bestehenaber nur, wenn man schon mehr als nur die Prioritδt der MM gegen-όber der E E und der EN, wenn man schon die Echtheit behauptet.Letztere ist jedoch mit der Prioritδt noch nicht bewiesen. Ihr Be-weis ist fόr die Fortsetzung der Forschung auch gar nicht so wichtigwie der der Prioritδt. Die These von der Prioritδt ermφglicht esimmerhin, den MM mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, alses von den Spengel folgenden Forschern geschehen ist7.schieden habe (sonst hδtte er dafόr nicht den gleichen Terminus gebraucht), sondernnur, daί der Interpret dem Sinn der verschiedenen -Stellen nicht gerecht werdenkann, wenn er diese beiden Bedeutungen nicht klar unterscheidet.

4 L. SPENGEL, άber die unter dem Namen des Ar. erhaltenen eth. Sehr. (Abh. d.Bayer. Ak. Mόnchen III 2), 1841, S. 437—496; (III 3), 1843, S. 497—551.

6 Vgl. dazu den ausfόhrlichen Bericht von F. DIRLMEIER in Ar. Werke in dt.άbers., hrsg. v. E. GRάMACH, Bd. 8, MM, όbers, v. F. DIRLMEIER, Berlin 1958,S. 118—146.

6 Die drei arist. Ethiken, SB Wien 202, 2 (1924); Die Echtheit der Gr. Ethik desAr., in Rhein. Mus. 76 (1927) 113—137; 225—253; Nochmals die arist. Ethiken,SB Wien 209, 2 (1929); Der neueste Versuch, die MM als unecht zu erweisen, SBWien 211, 2 (1929).

7 Zu den Verteidigern der Echtheit der MM gehφrt neben v. Arnim und Dirl-meier auch PAUL GOHLKE (Groίe Ethik, Paderborn 1949). Aber schon lange vor

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Gerade bei der Untersuchung der Lehre vom ολ haben Forscher,die von der EN ausgegangen sind und diese als Ma stab betrachtethaben, hart ber die MM geurteilt. Es seien hier nur zwei Namengenannt: J. Walter8 und Richard Walzer9. Walzer tadelt die MMwegen der ,,Zur ckdr ngung des pr zisen Begriffs φρόνησις durchdas allgemeine Wort ορθός λόγος", daf r, da sie sich „statt mitder φρόνησις mit dem allgemeinen Wort ορθός λόγος begn gen".Armstrong10, der „ολ" mit Ausdr cken wiedergibt wie „right Prin-ciple", „right Rule", „rational Standard", betrachtet es zwar alseinen Vorzug der MM, da sich darin — anders als in EN — dieGleichsetzung des ολ mit der φρόνησις nicht findet11, verweist aberin seiner Einleitung gerade bez glich I 34 den Leser doch wiederan die EN und suggeriert damit doch wieder eine Gleichsetzung vonολ und φρόνησις12. Es sei au erdem noch bemerkt, da Armstrongoffensichtlich von der Voraussetzung ausgeht, der Terminus „ολ"habe in den MM immer die gleiche Bedeutung, was auch von den

diesen dreien hat F. SCHLEIERMACHER ( ber die eth. Werke des Ar., in S mtl. WerkeIII 3 [Reden u. Abh. d. Kgl. Ak. d. Wiss., hrsg. v. L. JONAS], Berlin 1935, S. 306bis 333) auf Grund philosophischer berlegungen die MM der EN sogar vorgezogen:„Sehen wir also auf die Haltung des ganzen: so m ssen uns die ηθικά μεχάλα chtererscheinen als die nikomachische, und auf dieser mu ein st rkerer Verdacht ruhenbleiben", (S. 317). — Wir werden uns mit der Priorit tsthese allein zun chst be-gn gen und es vorl ufig dahingestellt sein lassen, ob Ar. der Autor dieser Schriftist. Wir werden daher immer nur vom „Autor" sprechen und die Untersuchung derArgumente, die f r, aber auch jener, die gegen die Echtheit sprechen, auf einensp teren Zeitpunkt verschieben. Und so werden wir hier also keine Hypothese

bernehmen oder aufstellen, die die Echtheit oder die Unechtheit der MM be-hauptet, aber auch nicht eine solche, die etwas ber die Einheitlichkeit oder dieUneinheitlichkeit dieser Schrift feststellen w rde. Es wird zwar Uneinheitlichkeitim Gebrauch des Terminus „ολ" nachgewiesen werden, doch wird daraus noch nichtauf die Uneinheitlichkeit der Schrift geschlossen, sondern der Tatsache des unein-heitlichen Gebrauchs von „ολ" soll nur etwas von ihrer Sonderbarkeit genommenwerden, indem auf die Uneinheitlichkeit in anderen Punkten hingewiesen wird.

8 Die Lehre von der praktischen Vernunft in der griechischen Philosophie, Jena1874, S. 87f.; 236ff.

9 MM und aristotelische Ethik, Berlin 1929.10 MM, with an English translation (Loeb Library), London 1947 (Nachdruck

v. 1935).11 P. 568: „In Nie. VI13 it (sc. ολ) seems to be actually identified with φρόνηση;

but this is perhaps an inexactitude, and the former should be distinguished as therational Standard and the latter as the rational Faculty which sets it up".

12 P. 436: „It is to be noticed that the author (sc. in Μ Μ Ι 34) omits directanswer to the question raised in § 2, What is the Right Rule or Standard of Con-duct ? but leaves us to infer the answer given in Nie. VI13, which places it in Pru-dence or Practical Thought".

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anderen bersetzern13 und dem guten MM^Kenner H. v. Arnim14

gesagt werden mu .Differenzierter ist nun das Ergebnis der Untersuchung von

Roebben15: R. ist zwar der Auffassung, da die MM nach der E Nentstanden sind, doch untersucht er die ολ-Stellen der MM ohnetadelnde Vergleiche mit der EN und sieht er Differenzen innerhalbder MM. Nach R. ist der ολ zun chst als eine Aktivit t zu be-trachten, deren Verh ltnis zur φρόνηση in I 34 nicht deutlich(S. 35/36), doch in II 6 dahingehend bestimmt werde, da im ολeine theoretische, in der φρόνηση eine praktische Aktivit t zusehen sei (S. 43). In II10 dagegen sei der ολ als ein Gehalt (inhoud)gedacht, der dort zwar nicht deutlich angegeben werde (S. 48),aber doch als eine Gleichgewichtsnorm, als ein regelndes Prinzipf r das richtige Verhalten zu verstehen sei16. In einem zusammen-fassenden Vergleich des ολ-Begriffs in EN und MM betrachtet es R.(S. 74) als ein Plus der MM, da sie den ολ besser von den anderen,angrenzenden Aktivit ten unterschieden und ihn zu einer Gleich-gewichtsnorm f r alle menschlichen Handlungen werden lie en;der ολ sei zwar nach beiden Ethiken ein Wesensbestandteil derTugend, doch sei er in der EN der Blick auf die Mitte, auf die Grenz-marke der Tugend, und ununterschieden von der φρόνηση, w hrend

13 ST. GEORGE STOCK, MM, in The Works of Ar., Vol. IX, Oxford 1915 (ολ =„right reason"); J. RIECKHER, Gro e Ethik, in Griech. Prosaiker in neuen bers.,hrsg. v. C. N. v. OSIANDER .. ., Stuttgart 1859 (ολ — „gesunde Vernunft"); HER-MANN BENDER, Ar., Gr. Ethik, 2. A. bes. v. OTTO G THLING, Berlin-Sch neberg,Langenscheidtsche Verlagsbuchh., o. J. (ολ = „richtige Vernunft" od. „richtigeVernunftt tigkeit"); PAUL GOHLKE, Gr. Ethik, Paderborn 1949 (ολ = „rechte

berlegung") und FRANZ DIRLMEIER, a. a. Ο. (ολ = „richtige Planung").14 Die Feststellungen H. v. Arnims ber die Lelire der MM vom ολ sind gewi

das Ergebnis eines genauen Studiums einer (oder einiger) entscheidender Partie(n)der MM. So sagt er (Die drei arist. Ethiken, S. 72): „Die φρόνησι$ ist die dem ολgem e habituelle Beschaffenheit und Tugend der prakt. Vernunft (also einesSeelente s). Der ολ ist also der φρόνησις bergeordnet als das f r sie ma gebendeGesetz" — und (Der neueste Versuch, S. 37): „. . . der ολ ist eine einleuchtende Ver-standeserw gung ber die aus der planvollen Zusammensetzung des menschlichenWesens aus mehreren Bestandteilen f r jeden dieser Bestandteile sich ergebendeAufgabe". — Doch fragt sich, ob damit bei allen Stellen durchzukommen ist; wennnicht, so mu , sollen diese Feststellungen ernst genommen werden, angegebenwerden, auf welche Stellen sie sich beschr nken, was ολ an den brigen Stellen be-deutet und wie diese Abweichung erkl rt werden k nnte.

15 Jr M. H. ROEBBEN, De recta ratio in de Ethica Nie. en de Magna Moralia. Eenvergelijkende Studie, Diss. Leuven 1949.

16 S. 49: i,. .. Bijgevolg zal de inhoud van de rechte rede een evenwichtsnormzijn, een regelnd beginsel van juiste verhouding en maat". Vgl. ferner S. 52!

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er in den MM eher eine Regel f r die gl cklichma.chenden Hand-lungen sei und nicht mehr mit der φρόνηση identifiziert werde. —Anders als Walzer glaubt R. eine Weiterentwicklung der ολ-Lehrein den MM feststellen zu k nnen. — Das Ergebnis Roebbens be-friedigt nat rlich nicht. Wenn es stimmen sollte, da der ολ in I 34und II 6 eine Aktivit t, in II 10 dagegen einen Gehalt darstellt,dann m te man sich doch fragen, wie die beiden Positionen mit-einander vereinbar seien, und sollten sie dies nicht sein, dannerh be sich doch die Frage nach der Einheitlichkeit der Schrift unddie Mahnung, die beiden Positionen nicht wieder zu vermengen.Auch die Beziehung des ολ in EN auf die Tugend und in MM aufdie Eudaimonie ist in der von R. vorgelegten Form wohl irref hrend,weil sie die Vorstellung nahelegt, der Eudaimoniebegriff der MM(in allen ihren Teilen) stehe dem Tugendbegriff der EN etwa alsGl ck- oder auch Gl ckseligkeitsbegriff gegen ber. Werden hiernicht zuviel Voraussetzungen gemacht? Eine neue Untersuchungder ολ-Stellen der MM ist also durchaus gerechtfertigt.

Wir werden im folgenden einen kurzen berblick ber den Inhaltder MM geben und dabei auf die ολ-Stellen eingehen. Falls sichauch uns eine Mannigfaltigkeit von Bedeutungen f r den Terminusergeben sollte, werden wir pr fen, ob diese Mannigfaltigkeit es nochzul t, die Einheitlichkeit der MM anzunehmen. Sollte diese Fragenicht mehr mit einem'sicheren „Ja" beantwortet werden k nnen,werden wir die schon fr her — in der MM-Literatur — diskutiertenDifferenzen zwischen verschiedenen Teilen der MM zusammen-stellen und daraus ersehen, ob sich bei den uns berlieferten MMein urspr nglicher Entwurf mit einer bestimmten ολ-Auffassungvon einer Gruppe, sp terer Zus tze bzw. berarbeiteter St cke miteiner anderen ολ-Auffassung unterscheiden l t. —

Zu Beginn des 1. Kapitels erfahren wir zun chst das Thema derSchrift: diese will von der Tugend handeln, von deren Wesen undvon dem, woraus sie entsteht (I l, 1182a l—2). Das ganze brigeKapitel bringt eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Defini-tionen der Tugend und des Guten. Pythagoras wird da getadeltwegen seiner Zur ckf hrung der Tugenden auf die Zahlen (a 11—14),Sokrates wegen seiner Beschr nkung auf das Moment des Denkens(a 15—23), Platon dagegen zwar gelobt, weil er jedem Seelenteildie diesem eigent mliche Tugend zugestanden habe, doch abge-lehnt, sofern er die Lehre von der Tugend mit der Lehre vom τάγαθόνverquickt habe (a 23—30). F r den Autor ist die platonische Lehrevom τάγαθόν eine Lehre vom Seienden und von der Wahrheit und

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als solche abzusondern von der Lehre ber die Tugend. DiePolitik(zu der das ethische Tun geh rt) habe als wertvollstes K nnen zwardas Beste zum Ziele, aber nicht das Beste schlechthin. Dieses seiauf die G ter bezogen und Gegenstand einer anderen Untersuchung.Ziel des zu untersuchenden Tuns sei vielmehr „das Gute f r uns"(a 32—b 6). Dieses wird abgehoben von der Idee des Guten, an deralles andere Gute teilhabe (b 9—10) und welche etwas Selbst ndigesund F rsichseiendes sei (b 12—13), und auch vom „Guten" alseinem Allgemeinen, das durch alle Kategorien hindurchgehe unddaher alles Seiende betreffe (1182b 8, 11—1183a 24). Auch mitdiesem „allgemeinen Guten" brauche sich der ber das politischeund ethische Handeln Nachdenkende nicht zu befassen, sondern nurmit dem „Guten f r uns".

Zur weiteren Bestimmung dieses „Guten f r uns" geht der Autorim 2. Kapitel verschiedene Diairesen des Begriffes „Gut" durch,wobei immer eine Rangordnung statuiert wird17. Zuerst werden dieG ter eingeteilt in 1. „preisw rdige" (τίμια), 2. „lobw rdige"(επαινετά), 3. „M glichkeiten" (δυνάμεις) und 4. G ter, die andereG ter erhalten und bewirken (1183b 20—37). — Die zweite Ein-teilung unterscheidet G ter, die in jeder Hinsicht w hlenswert sind,von solchen, f r die man sich nicht ohne Einschr nkung entscheidenkann (1183b 38—1184a 2). — Bei der dritten Einte ung werdenZwecke (τέλη) und Mittel unterschieden und von den Zweckenwiederum das Vollendete (τέλειον) abgehoben (1184a 3—8). Dasvollendete Gut stillt alle Bed rfnisse: es ist das „f r uns Beste";es ist die Eudaimonie (a 8—14). Die Eudaimonie ist als das ganze,vollendete Gut nicht ein Moment neben anderen Momenten, auchnicht das beste unter anderen — wof r man eventuell die φρόνησηhalten kann —, sondern setzt sich aus vielen guten Momenten zu-sammen (a 15—38).

Im 3. Kapitel kommt der Autor nach einer weiteren Einteilungder G ter in solche der Seele, des Leibes und sog. u ere und einerUnterteilung der G ter der Seele in φρόνησις, αρετή und ηδονή(1184b l—6) wieder auf die Eudaimonie zur ck. Diese ist f r ihnidentisch mit „gut handeln und gut leben" (εο πράττει ν καΐ εο ζην:b 9). Es folgt nun eine Erkl rung ber das „πράττειv" bzw. „ζην"(b 9—17) und danach eine ber das „ευ" (b 17—1 4, 1184b 27). Esgeht daraus hervor, da mit dem „πράττειv" keineswegs ein blo es

17 Vgl. dazu: H. v. ARNIM, Das Ethische in Aristoteles' Topik, SB Wien 205, 4(1927), S. 118—123.

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Sichbefinden gemeint ist, sondern ein T tigsein, ein Aus ben(χρήσις, ενέργεια), und auch das „εο" meint nicht ein physischesWohlbehagen, sondern die bereinstimmung mit den Tugenden(κατά τάς άρετά$). Da gesagt wird, da die Tugend eben das gut ver-richte, was ihr Tr ger (z. B. die Seele als Lebensprinzip) berhauptverrichte, so darf unter dieser Tugend auch nicht irgendein Seelen-verm gen verstanden werden, sondern nur eine wertvolle Verhal-tensweise.

Zusammenfassend — wir stehen damit beim 4. Kapitel — wirddie Eudaimonie, das vollendete Gut (τέλειοv τέλος), beste Gut (τοάριςτον αγαθόν) definiert als Leben im Sinne der Tugenden (κατάτά$ άρετά$ ζην), als Aus bung (χρήσι$, ενέργεια) der Tugend(1184b 27—1185a 1). Von einem Angewiesensein der Eudaimonieauf die u eren G ter ist hier also gar nicht die Rede. — Der Ge-dankengang wird erst wieder weitergef hrt18 am Ende des Kapitels 4(1185a 3&—39) mit der Frage: Was ist die Tugend? Die vorl ufigeAntwort lautet: sie ist die beste Haltung.

Um diese Tugenddefinition deutlicher zu machen, geht der Autorzu Beginn des 5. Kapitels (1185b l—12) auf die verschiedenen„Teile" der Seele und deren Tugenden ein. Bemerkenswert ist da-bei, da den Tugenden des Denkverm gens (λόγον έχον) kein Lobzugebilligt wird, den Tugenden des Strebeverm gens (άλογοv) nur,sofern dieses sich dem Denkverm gen unterwirft. — Die Fort-setzung in der Auslegung obiger Tugenddefinition folgt erst mitKapitel 7, wo der Begriff der έξις dargelegt wird19. Nach einer Ein-

18 Was dazwischen liegt, k nnen wir hier bergehen, zumal es sich wohl umsp tere Einsch be handelt: man kann das wenigstens annehmen von dem Ab-schnitt a 9—13, weil da — in Diskrepanz zum Anfang und Ende des 4. Kapitels —der Ausdruck κατά τά$ άρετά$ gleichgesetzt wird mit (ζην) κατά την ένέργειαν. —Auch der Absatz a 14—35, der sich mit der Frage befa t, ob auch die N hrseele(το θρεπτικόν) eine Tugend habe und ob diese t tig sein k nne, ist nur insofernwichtig, als hier die Eudaimonie als Aus bung der vollendeten Tugend, als T tigseinim Sinne der eigentlichen Tugenden aller Seelenteile verstanden wird.

19 Dazwischen steht ein Abschnitt ber die F rderung der Tugenden des Leibes,die durch ma volle Anstrengung und Ern hrung gew hrleistet sei, sowie ber die derTugenden der Seele, die durch eine Gew hnung an m ige Furcht, Freude, m igenSchmerz usw. zu erreichen sei (I 5, 1185 b 13 — I 6, 1185 b 32). Der andere Ab-schnitt bringt die unhaltbare etymologische Herleitung des Terminus ηθική (αρετή)von έθίζεσβαι und weist darauf hin, da die Tugenden des Strebeverm gens(άλογον μέρο$) nicht der Natur, sondern der Gew hnung zu verdanken seien (1185b 38 — 1186 a 8). Obwohl beide Abschnitte einen sehr wichtigen Punkt ber hren,n mlich den der Aneignung der Tugend, ist es doch fraglich, ob sie an diese Stellegeh ren. Der Inhalt der beiden Abschnitte legt mindestens eine Platzvertauschung

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teilung des Seelischen (τα εν τη ψυχή γινόμενα) in leidenschaftlicheGef hle (πάθη), Anlagen zu Gef hlen (δυνάμεις) und Verhaltens-weisen zu Gef hlen (έξεις) wird das mittlere Verhalten (το μέσω$εχειν, ή έξις ττρός μεσότητα) als das gute Verhalten, als Tugend her-ausgestellt und das schlechte Verhalten auf der Seite des Zuvieloder des Zuwenig gesucht (I 7, 1186a 9—1 8, 1186a 35). —

Falls der Text des noch ausstehenden Abschnitts des 8. Kapitels(1186a 36—b 3) uns richtig berliefert ist, m ten wir darin einZeichen sehen, da der Autor mit dem Schema Zuviel—Mitte—Zu-wenig noch nicht richtig umzugehen wei , da es ihm demnach nichtgelingt, den Ehebruch als ein Zuviel zu begreifen. Es ist aber durch-aus m glich, da der Autor den am Anfang des Abschnitts refe-rierten Einwand gegen dieses Schema anders beantwortet hat, daer auch die am Anfang des 9. Kapitels (1186b 4—11) aufgeworfeneFrage nach dem, was der Mitte entgegengesetzt sei — eine Fragealso, die Zweifel ber die allgemeine Anwendbarkeit dieses Schemasanmeldet—geantwortet (b 11—32), ohne das Schema preiszugeben.

Dem Kenner der EE f llt beim Lesen dieser Partien der MMauf, da hier der ολ gar nicht erw hnt wird.

Nach einer Zusammenfassung des ber die Tugend (als Mitte) Ge-sagten und dem Zugest ndnis, da es schwierig sei, diese mittlereHaltung einzunehmen (1186b 33—1187b 4), finden wir die Fragebehandelt, ob das Einwohnen der Tugend bei uns stehe (I 9, 1187a 5—1 11, 1187b 30). ber das „Wie" des Einwohnens erfahrenwir dabei freilich nichts. Man darf wohl in dieser Partie eine Zu-r ckweisung von (damals m glichen) Thesen sehen, die die Tugendals durch die Natur (φύσει) gegeben oder von Gott geschenkt (θείαμοίρα) betrachtet haben mochten. Wenn man bedenkt, da es sichbei dieser Tugend um das richtige Verhalten zu den leidenschaft-lichen Erregungen, die doch nur naturgegeben sein k nnen, handelt,

(2. Abschnitt vor dem 1.) nahe. Aber dar ber hinaus ist nicht zu bersehen, daKapitel 7 nicht nur dem Gedankengang nach den Abschnitt I 5, 1185 b l—12, fort-setzt, sondern auch der u eren Form nach (1185 b l: πρώτον μεν ούν . . ., 17,1186 a 9: μετά τοίνυν τούτο . . .)· Au erdem ist einem die Art, in der in Kap. 7 dasμέσω$ Ιχειν eingef hrt ist, unverst ndlich, wenn man schon den ersten der beidenfragw rdigen Abschnitte vorher gelesen hat, und der zweite der genannten Ab-schnitte macht die in 19, 1187 a 5 —111, 1187 b 30 folgende Behandlung derFrage, ob das Einwohnen der Tugend von uns abh ngig sei, mindestens dann ber-fl ssig, wenn unter dem Ιθο$ nicht nur eine (unwillkommene) Fremderziehung ver-standen werden darf. Vielleicht wurden diese Abschnitte bei der Abfassung bzw.Zusammenstellung der uns vorliegenden Schrift aus einer lteren Vorlage ber-nommen.

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dann gibt es keinen Zweifel, da diese Tugend nicht wieder derNatur (allein) entspringen kann. Schwieriger wird es aber, vonden MM Auskunft dar ber zu bekommen, woher der Antrieb zudiesem richtigen Verhalten kommt. Ist er ganz und ausschlie lichder Vernunft (λόγον έχον) zu verdanken oder steht er als ein Dritteszwischen dem λόγον έχον und den πάθη, als eine besondere Formdes αλογον, bedingt durch das λόγον Ιχον und die πάθη ? In dergenannten Partie, die von Freiwilligkeit der guten Haltung (nicht:Einzelhandlung) handelt, erfahren wir dar ber nichts.

Im folgenden St ck (Kap. 12—16), das uns angeben m chte,was das Freiwillige (έκούσιον) sei, und sich vorwiegend mit derFreiwilligkeit von Einzelhandlungen befa t, hei t es zwar, dasFreiwillige geschehe mit Wissen20, aber wer jene Gr e sein soll,die mit Wissen etwas tut, wird uns auch hier nicht gesagt. DasWissen, mit dem das Freiwillige, das ja auch verwerflich sein kann,als verbunden gedacht wird, ist (so d rfen wir wohl annehmen)nicht mit dem λόγον έχον zu identifizieren, dem nach I 5, 1185b

20 εκ διανοίας, μετά διανοίας, εκ προνοίας . . . . — Da das έκούσιον lediglich miteinem Wissen um die Umst nde verbunden sein mu , kommt aus MM I 16, wodiese Seite des έκούσιον behandelt wird, nicht so klar zum Ausdruck wie in den ent-sprechenden Partien der EN (III 2) und der EE (II 9). MM gebrauchen f r dasWissen, das unerl liche Bedingung des έκούσιον ist, die Termini διάνοια (1188b 28), ττροδιανοεΐσθαι (b 30), διανοεΐσΟαι (b 31) und πρόνοια (b 35): Termini also,die auch die Bedeutung „Absicht" haben k nnen. BENDER (Gr. Ethik, S. 28—29)bersetzt sie mit „ berlegung oder Vorbedacht", „vorher berlegt haben", „(vor-

hergegangene) berlegung", aber auch mit dem Ausdruck: „mit vollem Bewu tseindavon, da . . . die Folge sein w rde"; DIRLMEIER (MM, S. 22) bersetzt sie eben-falls mit „ berlegung". Aber wenigstens in b 37 gestattet es der Zusammenhangnicht, διάνοια mit „Absicht" oder „ berlegung" wiederzugeben (man kann n mlichnicht sagen: „die Tat wurde als »nicht-freiwillig' beurteilt, weil die Frau den Liebes-trank nicht mit der berlegung [= Absicht] gegeben hatte, da der Mann umkommenwerde"} aber auch nicht: „mit der berlegung [= Absicht] ihn zu t ten" [άπολέσθαιαυτόν]). Deutlicher ist allerdings die EN, die in der entsprechenden Partie (III 2)das ούχ έκούσιον und das ακούσιο ν in der αγνοία, in der Unkenntnis des Objekts,des Werkzeugs und des Ausgangs der Handlung begr ndet sein l t ( hnlich auchEE II 9). MM gebrauchen an einer sp teren Stelle (I 33, 1195 a 14 — b 4), an dersie nochmals auf das έκούσιον (allerdings auch auf die προαίρεσις!) eingehen, blodie Ausdr cke είδώς (a 17,18), μηΟέν είδώς (a 19), oyvosiv (a 23), μη είδώς (a 24),αγνοία (a 25, 26, 27 . . .). Nur wenn man sich f r das έκούσιον auf ein blo zuf lligesKennen des Objekts, Mittels und Ausgangs der Handlung beschr nkt und daf rnicht schon berlegung fordert, l t sich die Unterscheidung von Freiwilligem(έκούσιον) und berlegter Absicht (προαίρεσις), die sich in der Geschichte des Straf-rechts als Unterscheidung von Fahrl ssigem und Vors tzlichem in etwa erhaltenhat und auch in den MM (117, 1189 a 31 — b 6) gemacht ist, sinnvoll aufrecht-erhalten.

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222 Karl B rthlein

11—12 das αλογον sich unterwerfen mu , wenn es Lob verdienenwill. Aber woher kommt der Antrieb, der sich bei der guten Hand-lung mit diesem Wissen verbindet ? Doch nicht von den ττάθη ?

Die Untersuchung ber die προαίρεση, die sich anschlie t (I 16,1183b 25—1 18, 1190a 7), l t uns dar ber ebenfalls im unklaren.Das προαιρετόν ist nicht ein blo Gewu tes, auch nicht ein blomit Wissen Verbundenes, sondern ein mit berlegung und nachAbw gen verschiedener Gr en Vorgezogenes. Die berlegung gehtdabei voraus und bei abgeschlossener berlegung ist ein Antriebzum Handeln da21. — Es ist nichts dar ber zu erfahren, ob wirdiesen Antrieb nur der berlegung zu verdanken haben. — Aller-dings k nnte der Autor hier auch unserer Frage mit dem Hinweisausweichen, da die ττροαίρεσις von ihm ja gar nicht mit dem sitt-lichen Wollen und Sichvornehmen gleichgesetzt werde, da sie viel-mehr nur auf das Ausfindigmachen der jeweils besseren Mittel be-schr nkt sei und nicht berlegungen ber die Richtigkeit desZieles anzustellen habe. Er meint, ber die (richtigen) Ziele bestehebei allen Menschen Einigkeit, Fehler seien nur bei der Wahl derMittel m glich (I 18, 1190 a l—5). Durch Freude oder Schmerzk nne man dabei get uscht werden (a 5—7). — W hrend also dasVerh ltnis der oben genannten ορμή zur berlegung (λόγος, διά-νοια, βούλευσις) ein positives ist, stehen die πάθη in einem nega-tiven zu ihr: sie t uschen bei der Wahl der Mittel, hindern also die

berlegung. ber das Verh ltnis des αλογον (= ορμή und πάθη)zu jenem Wissen der Ziele, in dem alle Menschen bereinstimmen,wird hier in der προαίρεση-Abhandlung nichts gesagt: dies scheintin die Untersuchung ber die αρετή zu geh ren, die nun folgt (I 18,1190a8 — b6).

W hrend die προαίρεση ein Ausfindigmachen und Erstreben nurder Mittel (αγαθά, τα πρό$ το τέλος) — nicht des Zieles — ist (unddaher auch im handwerklichen Tun einen breiten Raum einnimmt),befa t sich die Tugend auch mit dem Ziel, welches das Sch ne (τοκαλόν) ist. Die Tugend nimmt sich in erster Linie das Ziel vor(προθετική, στοχαστική), sucht aber auch die Mittel. Es wird unsnichts ber die Momente dieser Tugend gesagt. Doch mu ange-nommen werden, da sie mindestens das έκούσιον und die προαίρεσηvoraussetzen: also ein Wissen um ihr Tun und eine berlegung dervorzunehmenden Schritte, verbunden mit einem Antrieb, berdessen Ursprung aus dem Text nichts zu entnehmen war. ber diese

21 I 17, 1189 a 28—31: . . . ορμή *ns του πράττειν.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 223

beiden Momente hinaus hat die Tugend sicher noch etwas aufzu-weisen: das Erstreben des Sch nen. Denn ein Erstreben ist mit denVerben προθέσθαι (1190a 12, 13, 17, 19/20, 21, 33, b 4: προαίρεση)und στοχάζεσθοα (a 9, 27, 29) sicher gemeint, — ob damit auch einErraten und Ausfindigmachen des Sch nen gemeint sein soll, mujedoch dahingestellt bleiben22.

Damit endet die Untersuchung ber die Tugend berhaupt —ohne da der ολ auch nur einmal erw hnt worden w re (es sei denn, esw re dies zwischen Kap. 19 und 20 geschehen, wo manche Forschereine Textl cke annehmen). Man wird diesen Terminus auch in dennun sich anreihenden Abhandlungen ber die einzelnen Tugendenvermissen23. Dem Kenner der EE und EN mu es auffallen, dain den MM nirgends im Zusammenhang mit den Ausdr cken ωςδει und μεσάτης der Terminus ,,ολ" f llt. Auch der Terminus ,,λόγο$"kommt in dieser ganzen Partie I 20—33 nur zweimal vor (I 20,1191 a 23—24 und I 21, 1191 b 19), und wir sind — bis jetzt wenig-stens — nicht berechtigt, diesen λόγο$ einfach mit dem ολ zuidentifizieren.

Um so erstaunlicher ist es, wenn das Kap. I 34 so beginnt: „Wirhaben von den Tugenden gehandelt, . . . Wir haben in bezug aufjede Einzeltugend gesagt, da wir dann das Beste tun, wenn wirhandeln gem dem ολ"24. Wo war denn das geschehen? Ist uns

22 στοχάζεσθαι kann zwar die Bedeutung haben: „ein Ziel zu erraten suchen",hat aber z. B. bei PLATON diese Bedeutung nur dort, wo es einem Terminus f rexaktes und begr ndetes Wissen gegen bergestellt ist (Gorg. 464 c 6; Phil. 55e bis56a; Ges. 635a). Sonst hat es allgemein die Bedeutung: ,,nach etwas wie nach einemZiele trachten, zum Ziele haben, ein Ziel verfolgen, etwas wie ein Ziel im Augehaben". In dieser Bedeutung kommt es auch bei Platon in Verbindung mit demμέγιστον αγαθόν vor (Staat 462a; 519c), ohne doch damit ein „Erraten" diesesGuten zum Ausdruck zu bringen.— ττροτίθεσθαι hat die Bedeutung: „sich etwaszur Aufgabe machen, sich vornehmen" (z.B. Staat 352d; 562b; Phaidr. 259e;Soph. 221 a; Ges. 635e; u. .). Beide Verben scheinen also ein Erstreben und Wolleneines Zieles zu besagen, ber das der Verstand — anders als bei den Mitteln — garnicht im Zweifel sein kann — ber das bei allen Menschen Einstimmigkeit herrscht(zumal ττροθέσθαι nur bez glich des Zieles gebraucht wird, nicht aber bez glich derMittel, die erst ausfindig gemacht werden m ssen [daf r steht: Ιδεϊν, εύρίσκειν,Ίπτορίζειν]). Doch l t sich bei der Knappheit des Textes nichts Sicheres dar berausmachen.

28 I 20: ανδρεία, I 21: σωφροσύνη, 122: πραότη$, Ι 23—24:έλευθεριότη$,125:μεγαλοψυχία, Ι 26: μεγαλοπρέπεια, Ι 27: νέμεσι$, Ι 28: σεμνότης, Ι 29: αίδώ$,Ι 30: ευτραπελία, Ι 31: φιλία, Ι 32: αλήθεια, Ι 33: δικαιοσύνη.

24 Ι 34, 1196 b 4—6: επειδή δ* Οπερ των αρετών εϊρηται, καΐ τίνε$ είσΐν καΐ εντίσιν καΐ περί ττοΐα, καΐ περί εκάστης αυτών, δτι εΐ πράττοιμεν κατά τον ορθόνλόγον το βέλτιστον. . . .

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224 Karl B rthlein

etwa der Text der Kap. l—33 nicht vollst ndig erhalten ? Gewiwerden an zwei Stellen der MM von den Forschern L cken im Textangenommen, wo der Terminus „ολ" gefallen sein k nnte, weil eran den entsprechenden Stellen der E E bzw. der EN auch f llt. Dieerste Stelle ist: MM I 9, 1187 a 5, also vor dem bergang zurLehre vom Freiwilligen. Ihr entspricht in etwa££ II 5,1222b 5—14,wo b 7 der Terminus „ολ" genannt wird. Die zweite Stelle ist be-kannter: MM I 19, gegen Ende, zwischen 1190 b 6 und 9, also vorder Behandlung der Einzeltugenden. Dieser Stelle entspricht ENIII 8, 1114 b 26—30, mit der Nennung des ολ in b 29^. Aber selbstwenn in den beiden L cken etwas ber den ολ gestanden h tte, sow re uns mit dieser Auskunft doch nicht gedient, da sich der Ver-weis zu Beginn von I 34 ja gar nicht auf diese Stellen beziehenkann, sondern so tut, als ob bei der Behandlung jeder Einzeltugendvom ολ die Rede gewesen w re26. Sollen wir dann etwa doch an-nehmen, der ολ sei nichts anderes als der in der ανδρεία- und inder σωφροσύνη-Abhandlung erw hnte λόγος? Aber an keiner derbeiden Stellen ist von der Bedeutung des λόγος f r jede Einzel-tugend die Rede, sondern an der ersten (I 20, 1191 a 23—24) nurvon der Bedeutung f r die Tapferkeit und an der zweiten (I 21,1191 b 19) nur von der f r die Besonnenheit. — Die Diskrepanzzwischen I l—33 und dem Anfang von I 34 bleibt also bestehen.Doch sehen wir zu, was I 34 ber den ολ lehrt!

Von dem Ausdruck „κατά τον ορθόν λόγο ν πράττει ν" wird ge-sagt, da er zu unbestimmt, zu wenig verst ndlich (ασαφές) sei.Er leiste ebensowenig wie die Auskunft, da die Gesundheit ein-trete, wenn man Gesundheitf rderndes (υγιεινά) zuf hre. Wie manhier genauer angeben m sse, welche Mittel eigentlich gesundheits-f rdernd seien (b 7—10), so habe man auch bez glich des λόγος zubestimmen, was der λόγος und was der ολ sei (b 10—11). — DerAusdruck „και επί του λόγου" r ckt eine Gleichsetzung von ολ undλόγος schon sehr nahe. Dasselbe gilt auch f r die Begr ndung dersich nun anschlie enden Behandlung der verschiedenen Funktionender Seele. Es hei t n mlich, man m sse zuerst das differenzieren,

26 Bereits H. v. ARNIM (Die drei arist. Ethiken, S. 82) hat an dieser Stelle der MMdas in I 34 genannte Zitat ber den ολ gesucht, ohne jedoch auf diese Parallelstellein der EN hinzuweisen.

28 I 34, 1196 b 4—6: „Nachdem von den Tugenden festgestellt ist, was sie sind,in welchen Situationen sie vorkommen und welches ihre Objekte sind; und (nach-dem) von jeder einzelnen (gesagt ist), da man,wenn man nach der richtigenPlanung(= κατά τον ορθόν λόγον) handle, am wertvollsten handle ..." ( bers, .v. DIRL-MEIER; doch auch RIECKHER, ARMSTRONG und GOHLKE fassen die Stelle so auf.)

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 225

dem der λόγος einwohne (b 12—13). MM teilen nun die Funktionender Seele in vern ftige (λόγον έχον) und unvern nftige (άλογον)(b 12—15). Die vern nftigen zerfallen ihnen wieder in zwei Arten:in die berlegende (βουλευτικόν) und in die streng wissenschaftliche(ετΓίστημονικόν) (b 15—17). Gegenstand der berlegung und Ent-scheidung ist das sinnlich Wahrnehmbare und Proze hafte, das vonunserer Entscheidung abh ngig ist (b 27—33). Es werden dannf nf Erkenntnisformen aufgez hlt und n her bestimmt (b 37—1197a 31). Demnach ist Gegenstand des Wissens (επιστήμη) das Be-wiesene, der berlegung (φρόνησις) das Ausf hrbare, des vo s dieunbeweisbaren Erkenntnis- und Seinsgr nde; die Weisheit (σοφία)setzt sich aus den Funktionen des vo s und des Wissens (επιστήμη)zusammen, und die Vermutung (υπόληψι$) verhilft uns zu ver-schiedenen, aber noch unbestimmten Annahmen.—Der vo s scheintalso nur ein vo s θεωρητικός, nicht aber πρακτικός zu sein. — Nacheinem Vergleich von φρόνηση und σοφία (1197 a 32 — b 10) be-kommen wir eine Definition der Verst ndigkeit (σύνεση) (b 11 bis17), der Geschicklichkeit (δεινότη$) (b 18—28)27 und den Vergleichder Geschicklichkeit mit der „nat rlichen Tugend" (b 36—37);daran schlie t sich an die These von der Erg nzungsbed rftigkeitdieser nat rlichen Tugend, wobei wieder etwas vage vom λόγο$,aber auch vom ολ die Rede ist (worauf wir noch zur ckkommenwerden) (b 37—1198a 21), und nochmals ein Vergleich von φρόνησηund σοφία (a 22—b 20). Die Verst ndigkeit ist ein Moment derφρόνηση und von dieser unabtrennbar. Sie befa t sich ebenfalls mitdem Ausf hrbaren und liegt wohl in der Erfindung und kritischenBeurteilung der einzelnen Mittel. Verglichen mit ihr leistet die Ge-schicklichkeit mehr: sie beschafft auch die Mittel28. Von der φρόνησηd rfte sich die Geschicklichkeit dadurch unterscheiden, da sieFertigkeit zur Mittelbeschaffung f r jedes beliebige Ziel ist,w hrend jene stets „das Beste" sich zum Ziele setzt und zu ver-wirklichen sucht29.

Das Verh ltnis, das zwischen der Geschicklichkeit und der Ein-sicht (φρόνηση) waltet, findet sich nun bei allen Tugenden (1197

27 Der auf diese Partie folgende Passus (1197 b 28—35) ber das Recht, in einerEthik auch ber die σοφία sprechen zu d rfen, geh rt wohl richtiger an eine fr hereStelle, und zwar an den Schlu des Passus ber den Tugendcharakter der σοφία:also zwischen 1197 b 10—11 (vgl. DIRLMEIER, MM, S. 348).

28 I 34, 1197 b 24—26: -rfjs δε δεινότητος καΐ του δεινού σκέψασθαι εκ τίνων ανεκαστον γένοιτο των ττρακτων, καΐ το ταύτα ττορίσαι.

29 134, 1197 b23—24: τή$ φρονήσεώ* εστί το των βέλτιστων ΙφίεσΘαι καΐτούτων προαιρετικό ν είναι καΐ πρακτικό ν αεί. . .

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226 Karl B rthlein

b 36—37). Es gibt „nat rliche Tugenden": blo e Naturtriebe zurTapferkeit, Gerechtigkeit und den anderen Tugenden (b 37—1198a 1). Neben ihnen stehen die Tugenden, die auf Erziehung undeigener Entscheidung beruhen (a l—2). Lob verdienen erst dievollendeten Tugenden, die mit der Vernunft (λόγο$) verbundensind (a 2—3). Die blo nat rliche Tugend wirkt ohne Denken(Xoyos) und ist durch diesen Mangel unbedeutend und nicht geradesehr lobenswert (a 3—5), aber in ihrer Verbundenheit mit der Ver-nunft und der berlegten Willensentscheidung (προαίρεση) ist sieein Moment der vollendeten Tugend30. Auch Vernunft und Ent-scheidung allein machen noch nicht die vollkommene Tugend aus,sondern tun dies erst zusammen mit der Naturanlage (a 8—9). DesSokrates Meinung, da die Tugend Gedanke (λόγο$) sei, ist zwarrichtig, sofern tapfer und gerecht zu sein dem Unwissenden undnicht mit der Vernunft Entscheidenden nichts n tzt (a 10—12),aber falsch, sofern er die Tugend im Gedanken ersch pft sein l t.Die „Heutigen" definieren die Tugend richtiger, indem sie sagen,Tugend sei ,,nach dem ολ das Sittlich-Sch ne tun"31. —

Was nun diese „Heutigen" mit dem „ολ", dem die sittlich guteHandlung angeblich nur gem zu sein braucht, meinten, ist nichtmit Sicherheit zu entscheiden. Man ist versucht, hier drei Ausle-gungsm glichkeiten f r „ολ" ins Spiel zu bringen:1. „richtiger Gedanke" = „richtige Erkenntnis des Sittlich-Sch -

nen" = „richtige subjektive Maxime";2. „objektive Norm", „objektives Gesetz" — wobei unausgemacht

bleiben soll, welchen Inhalt diese Norm, dieses Gesetz, habe;3. „objektiv richtiges (und daher: ma gebendes) Verh ltnis der

Seelenteile zueinander".Nun kann man sich bez glich dieser drei Auslegungsm glich-

keiten schon jetzt folgendes klarlegen:ad 1. Bei dieser Bedeutung von „ολ" kann die Pr position „κατά"

Ansto erregen, weil dadurch eventuell nur eine zuf llige berein-stimmung der Handlung mit der richtigen Einsicht in die sittlicheNorm zum Ausdruck kommt, w hrend doch ein Bestimmtsein derHandlung durch diese Einsicht, ein Verbundensein mit dieser Ein-sicht gefordert werden mu .

30 1198 a 5—6: irp s δε τον Aoyov καΐ την ττροαίρεσιν προστιθεμένη τελείανποιεί την αρετή ν.

31 1198 a 13—15: αλλ* οΐ νυν βέλτιον το γαρ κότα τον ορθόν λόγον πράττειντα καλά, τούτο φασιν είναι άρετήν. όρθώ$ μεν ούδ* ούτοι.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 227

ad 2. hnliche Bedenken m ten sich gegen diese Bedeutung(innerhalb der κατά-Formel) erheben: es l ge das vor, was man— im Anschlu an Kant (bes. Kr. d. pr. V., S. 83 d. Ak.-Ausg.) —als blo e Legalit t zu bezeichnen pflegt. — Doch kann auch diesjetzt schon gesagt werden: In den MM kommt ,,ολ" nirgends indieser Bedeutung vor, sondern nur in der unter 1. genannten Be-deutung (n mlich in II 6 und wohl auch in II 8: vgl. die folgendenSeiten 229—231) und in der unter 3. genannten Bedeutung (n mlichin II 10, was zu beweisen das Hauptanliegen dieser Untersuchungist: vgl. S. 231—240). So d rfen wir also diese 2. Auslegungsm glich-keit berhaupt ausscheiden.

ad 3. Wenn ,,ολ" in diesem Sinne in der κατά-Formel der „Heu-tigen" gebraucht sein sollte — und unsere Untersuchung von II10,wo sich wieder die κατά-Formel findet, macht dies immerhin wahr-scheinlich —, dann best nde kein Grund zu einer Kritik an dieserκατά-Fomiel, weil dann (wie sich unten S. 231—240 zeigen wird)durch ebendiese objektive Norm (f r das Verh ltnis der Seelen-teile zueinander) ohnedies der λόγο$ (die Einsicht in die sittlicheNorm) zu einer unerl lichen Bedingung der Tugend gemachtw rde; denn diese Norm verlangt ja gerade, da der vern nftigeSeelenteil die Herrschaft ber den unvern nftigen aus ben solle, d. h.aber doch, da der unvern nftige nur mit Billigung des vern nftigenin Aktion treten darf und sein T tigwerden nicht blo zuf llig mitder Einsicht des vern nftigen Seelenteils bereinstimmen kann.

Wie legt nun der Autor von I 34 diese Tugenddefinition seinerZeitgenossen (gemeint sind damit wohl gewisse Akademiker) aus ?Zun chst ist zu sagen, da er damit unzufrieden ist (a 15). ZurBegr ndung (seinev Unzufriedenheit und Ablehnung) f hrt er an,man k nne gerechte Handlungen zwar ausf hren ohne jede Ent-scheidung und ohne ein Wissen um das Sittlich-Sch ne, aus einemblo en Naturtrieb heraus, und ein solches Tun k nne immer nochdem ολ gem sein, weil es ja so geschehe, wie der ολ es befehlenw rde, doch verdiene ein solches Handeln kein Lob. Die Tugendund das Lobw rdige werde daher besser (von ihm und seinenLeuten: ως ήμεϊς . . .) so definiert: ,,Hinstreben zum Sittlich-Sch nen in Verbundenheit mit dem Denken (λόγος)"32.

32 1198 a 15—21: ττράξοα μεν γαρ αν τι$ τα δίκαια ττροαιρέσει μεν ούδεμιφ ουδέγνώσει των καλών, αλλ* ορμή τινι άλόγω, ορθώς δε ταύτα καΐ κατά τον ορθόνλόγο ν (λέγω δε ως αν ό λόγος ό όρθό$ κελεύσειεν, ούτως επραξεν). αλλ* όμως ήτοιαύτη ττραξις ουκ έχει το έτταινετόν. άλλα βέλτιον, ως ημείς άφορίζομεν, το μετάλόγου είναι την ορμή ν προς το καλόν το γαρ τοιούτον καΐ αρετή καΐ έτταινετόν.

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228 Karl B rthlein

Wir d rfen diese Kritik des Autors auch so formulieren: Die refe-rierte Definition bringt nicht zum Ausdruck, da zur Tugend deru ere Vollzug guter Handlungen nicht ausreiche, sondern da

dazu auch eine Erkenntnis des Sittlich-Sch nen und eine berlegteEntscheidung notwendig geh re. Mit welcher der drei oben ge-nannten Auslegungsm glichkeiten, mit welcher m glichen Bedeu-tung von „ολ" operiert der Autor, wenn er diese Kritik an derKorra-Formel, an der Tugenddefinition seiner Zeitgenossen, bt?In der 3. Bedeutung nimmt er „ολ" gewi nicht, weil in diesem Falleder ολ (als objektive Norm f r das Verh ltnis der Seelenteile zuein-ander) ohnedies ein Handeln unter der Leitung der Vernunft (diesich diesen ολ vorstellt) fordern w rde und dadurch eine nur zu-f llige bereinstimmung mit dem ολ ausgeschlossen w re. DieKritik an der κατά-Formel w re dann unverst ndlich und die Er-setzung des „κατά" (m. Akk.) durch ein „μετά" (m. Gen.) w re

berfl ssig. Da er mit „ολ" die an 2. Stelle genannte Bedeutungverbunden haben k nnte (in diesem Falle k nnte eine Kritik ander κατά-Formel gerechtfertigt sein), ist durch obigen Verweis aufden in den MM sonst sich findenden Gebrauch von ,,ολ" ausge-schlossen. Es bleibt also nur der Einsatz der unter 1. genanntenBedeutung brig. F r diese Annahme spricht die Tatsache, da derAutor den Ausdruck „μετά λόγου" f r (die zwei vorausgehendenAusdr cke) „ττροαιρέσει" und „γνώσει των καλών" einsetzen kann.Und wenn der Autor mit dem Terminus „ολ" in der κατά-Formelseiner Zeitgenossen diesen Sinn verband, war auch seine Kritikam „κατά" berechtigt, denn dann ist das „κατά", das „gem " zuwenig, weil ein solches Gem sein, eine solche bereinstimmungauch blo zuf llig vorliegen k nnte: wenn n mlich eine Handlungohne Befehl oder Billigung der Vernunft zwar allein dem Affekt ent-springt, aber doch die Billigung der Vernunft erhalten w rde, wenndiese ihres Amtes waltete (ώ$ αν ό λόγος ό ορθός κελεύσειεν). — So ver-st ndlich einem jetzt auch die Kritik an der κατά-Formel sein mu ,sobedauerlich ist zugleich aber die ihr zugrunde liegende Auslegung von„ολ": diese scheint nichts (mehr) zu wissen von der oben an 3. Stellegenannten Auslegungsm glichkeit (die eventuell von der aristote-lischen Ethik den Vorwurf abwenden k nnte, es fehle ihr der Begriffeiner objektiven Norm) und bahnt — gerade mit dem Gewicht derKritik an der κατά-Formel — den Weg zur Gleichsetzi\ng von ολ undφρόνησις an der Parallelstelle der£W (VI 13;1144b 23/24 und 27/28).

In den Kapiteln II l—3, die von der Epikie, von der Wohlge-sinntheit (ευγνωμοσύνη) und der Wohlberatenheit sowie von f nf

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 229

Aporien handeln, die teils die Gerechtigkeit und teils die φρόνησιςbetreffen, findet sich der Terminus „ολ" nicht. II 4 bringt die ber-leitung zur Untersuchung ber die Selbstbeherrschung (εγκράτεια),die wir in II 6 vor uns haben, dazwischen (in II 5) lesen wir etwasber das tierische Wesen (θηριότης) und ber die heroische Tugend.

Wichtig ist f r uns wieder das Kapitel 6 des II. Buches. Der Ter-minus „ολ" kommt in diesem Kapitel nicht weniger als sechsmalvor. Wir gehen die sechs Stellen durch:

1. 1202 a 10—14: ου γαρ εστίν ουτ* εγκρατής ουτ' άκρατης ό τφλόγω διεψευσμένος, άλλα ό λόγον έχων ορθόν καΐ τούτφ τα φαύλαοντά κρίνων καΐ τα κόλα, καΐ ακρατής μεν ό τω τοιουτω λόγωάττειθών, εγκρατής δε ό πειθόμενος καΐ μη υπό των επιθυμιών αγόμενος.

„Denn nicht der ist beherrscht oder unbeherrscht, der sich inseiner berlegung t uscht, sondern wer die richtige berlegung hatund mit dieser das wirklich Verwerfliche und Sittlich-Sch ne unter-scheidet; und unbeherrscht ist, wer dieser berlegung nicht ge-horcht, beherrscht aber, wer ihr gehorcht und sich von der Begierdenicht fortrei en l t." — Dieser λόγος, der im Falle der Beherrscht-heit und Unbeherrschtheit richtig ist, kann in einem anderen Fallauch falsch sein: er ist also eine subjektive Norm, ein Bewu tseinvom Guten und Verwerflichen, jedoch nicht jene objektive Norm,die nur richtig sein kann und mit welcher die subjektive berein-stimmen mu , soll sie richtig sein33.

2. 1203 a 13—15: εστί τοίνυν ό μεν ακρατής αγαθόν έχων τονλόγον ορθόν οντά, ό δε ακόλαστος ουκ έχει.

„Der Unbeherrschte besitzt also ein Gut, n mlich die richtigeVernunft, der Zuchtlose dagegen besitzt (es) nicht". — Aus der sichanschlie enden Gleichsetzung von λόγος und αρχή (a 15) und denFeststellungen ber die Verderbtheit der αρχή beim Zuchtlosen(a 16/17; a 25—28; 1203 b 34) ist zu ersehen, da dieser λόγος, derbeim Zuchtlosen verkehrt, beim Unbeherrschten dagegen (ebensowie beim Beherrschten und beim Besonnenen) richtig ist, die rich-tige praktische berlegung ist, jedoch nicht die objektive Norm,die ber die Richtigkeit der berlegung entscheidet.

3. u. 4. 1203 b 16—19: εστίν δε σώφρων ό μη έχων επιθυμίαςφαύλας τον τε λόγον τον περί ταύτα ορθόν ό δ' εγκρατής ό επιθυμίαςέχων φαύλας τον τε λόγον τον περί ταύτα ορθόν.

38 λόγον έχων ορθόν hei t hier soviel wie είδώς in 1200 b 27—28 und wie έχωντην επιστήμη v in 1201 b 14—15.

16 Arch. Gesch. Philosophie Bd. 45

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230 Karl B rthlein

„Besonnen aber ist der, welcher keine schlechten Begierden hatund dessen berlegung auf diesem Gebiet richtig ist, beherrschtdagegen der, welcher schlechte Begierden hat, dessen berlegungin betreff dieser Dinge jedoch richtig ist/* — Hier gilt das gleiche,was auch zu 1. gesagt werden konnte: der λόγος, der beim Be-sonnenen und beim Beherrschten richtig ist, ist eine subjektiveGr e, nicht die objektive Norm.

5. u. 6. 1204 a 5—12: πότερον δε έπείπερ εστίν ό άκρατης τοιούτος(τις) οίος είδε ναι καΐ μη διεψευσθαι τφ λόγω, Ιστιν δε καΐ ό φρόνιμοςτοιούτος ό τφ λόγω τφ όρθω έκαστα θεωρών, πότερον (δ*) ενδέχεταιτον φρόνιμο ν άκρατη είναι, ή ου; ... ουκ εσται ό φρόνιμος ακρατής,εφαμεν γαρ τον φρόνιμον είναι ουχ φ ό ορθός λόγος μόνον υπάρχει,αλλ' φ και το ττράττειν τα κατά τον λόγον φαινόμενα βέλτιστα.

„Da nun der Unbeherrschte von der Beschaffenheit ist, da erwei und in seiner berlegung nicht irregeht, da andererseits auchder Einsichtige so beschaffen ist, da er mit richtigem Verstandedas einzelne betrachtet, so erhebt sich die Frage, ob der Einsichtigeunbeherrscht sein kann oder nicht. . . . Es wird sich ergeben, dader Einsichtige nicht unbeherrscht ist. Wir haben ja vom Einsich-tigen gesagt, da ihm nicht nur die richtige berlegung eigen ist,sondern auch die Ausf hrung dessen, was sich ihm gem der(richtigen) berlegung als bestes Ziel zeigt/' — Der ολ, der dem-nach den Einsichtigen ebenso auszeichnet wie den Unbeherrschtenund zu welchem beim Einsichtigen auch die Ausf hrung hinzu-kommt, ist wieder nur eine subjektive Gr e, deren Richtigkeitnicht notwendig ist, sonst w rde nicht eigens betont, der Unbe-herrschte gehe in seiner berlegung nicht irre.

Zusammenfassend l t sich sagen: der Terminus „ολ" hat inII 6 die Bedeutung von „richtiges berlegen", „richtige Planung",„richtiger Verstand". Der Autor gebraucht statt seiner auch dieTermini „είδέναι" (1200 b 27, 1204 a 5), „επιστήμη" (ζ. B. 1201b 14) und an vielen Stellen auch den Terminus „λόγος" allein (z. B:1202 a 3/4, 1203 a 8/9) oder „λογισμός" (z. B. 1202 a 6). — In II 7hei t das Thema: ηδονή; der Terminus „ολ" findet sich im ganzenKapitel nicht. Doch ist in der Schlu partie (II 7, 1206 a 36—b 29)von einem λόγος ε\5 διακείμενος die Rede, womit dasselbe gemeintsein d rfte wie mit ολ in II 6.

Die n chste ολ-Stelle steht in II 8, wo ber die ευτυχία gehandeltwird. Nach der Ablehnung der Annahme, das Geschick (τύχη) seiNatur (1206 b 37—1207 a 2), folgt die der anderen Annahme, es sei

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 231

TO S oder ολ34. — Obwohl auf diesen vo s und auf diesen ολ Ordnungund Best ndigkeit zur ckgef hrt wird, m chte man auf Grund derParallelisierung von „ολ" mit dem vorausgehenden ,,vou$" und demdarauffolgenden „λόγος" doch annehmen, der Autor meine damiteine subjektive Gr e — wie ja auch die Geordnetheit und Best n-digkeit des guten Verhaltens auf die einmal gewonnene richtige

berzeugung zur ckgef hrt werden kann —, nicht aber ein objek-tives Gesetz (etwa im Sinne eines Weltgesetzes). Doch l t es sichnicht sicher entscheiden, was „ολ" an dieser Stelle hei t.

Da wir die Kalokagathie-Abhandlung (II 9) bergehen k nnen(der Terminus „ολ" wird darin nicht genannt), kommen wir jetztan die letzte einschl gige Partie, die nun sehr wichtig ist: II 10.

Der Autor stellt zu Beginn des Kapitels fest: „ ber das rechteHandeln in der Weise der (Einzel-)Tugenden ist nun zwar gespro-chen worden, aber nicht hinreichend. Wir gebrauchten n mlichdabei den Ausdruck ,dem ολ gem handeln'. Nun k nnte abervielleicht jemand gerade die Bedeutung dieses Ausdrucks nichtkennen und fragen: dieses ,gem dem ολ' — was ist damit ge-meint und worin besteht der ολ ? Ein Handeln gem dem ολ liegtnun vor, wenn der unvern nftige Teil der Seele den vern nftigennicht hindert, sich in der ihm eigent mlichen T tigkeit auszuwirken.Dann n mlich wird die Handlung dem ολ gem sein"35. Was isthier mit dem ολ gemeint: der richtige Gedanke, der vom handelndenSubjekt faktisch gedacht wird und dieses beim Handeln praktischbestimmt oder als ungehinderte theoretische Bet tigung obersterGesichtspunkt alles Verhaltens wird — odei aber jenes objektiveVerh ltnis, das die Rangordnung der „G ter der Seele" angibt undobjektive Norm ist f r das Zusammenwirken der verschiedenenFunktionen der Seele in der vollkommenen Tugend? Wir d rfenja nicht vergessen, da Platon36 und Aristoteles37 den Terminus

34 1207 a 2—5: ούτε δη νουν γέ τίνα ή λόγον ορθόν, καΐ γαρ ενταύθα ούχ ήττονεστί το τεταγμένον καΐ το αεί ωσαύτως, ή δε τύχη όν. διό καΐ ou πλείστος νους καίλόγος, ενταύθα ελαχίστη [καί] τύχη, ου δε ττλείστη τύχη, ένταυθ* ελάχιστος νους.

35 II10, 1208 a 5—12: υπέρ δε του κατά τάς άρετάς ορθώς ττράττειν είρηται μεν,ούχ Ικανως δε. Ιφαμεν γαρ το κατά τον ορθόν λόγον -πράττειν αλλ* ίσως αν τιςαυτό τούτο αγνοώ ν έρωτήσειεν, το κατά τον ορθόν λόγον τί ττοτ' εστί, καί TTOUεστίν ό ορθός λόγος; εστίν οΟν κατά τον ορθόν λόγον ττράττειν, όταν το άλογονμέρος της ψυχής μη κωλύη το λογιστικόν ένεργεΐν την αυτού ένέργειαν. τότε γαρή ττραξις εσται κατά τον ορθόν λόγον.

36 Vgl. FR. AST, Lexicon Platonicum, unver nd. Nachdruck, Darmstadt 1956,Vol. 2, p. 258.

37 Vgl. H. BONITZ, Index Aristotelicus, 437 a 40 — b 32.16*

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232 Karl B rthlein

„λόγο$" sehr oft f r den Begriff ,,Verh ltnis'', „Harmonie" ge-brauchen und da sich Belege f r diese Verwendung von ,,λόγο$"in der damaligen Mathematik38 und bei Empedokles39 finden lassen.Warum sollte es nun nicht auch m glich sein, da die MM, nach-dem sie schon (II 7, 1206 a 36—b 17) die Tugend als Harmonie(b 11: σύμμετρος; b 12: συμφωνήσουσι) von Aoyos und ττάθη defi-niert haben, das Wort,,λόγος" auch noch in der anderen Bedeutung(neben der von „Verstand"), n mlich in der Bedeutung „Verh lt-nis" gebrauchen? Mit welchen Argumenten l t sich die Fragenach der Bedeutung des Terminus ,,ολ" hier in II 10 entscheiden?Es kann angef hrt werden:

1. Allein ein Blick auf die Terminologie dieser Stelle zeigt schon,da der Autor die Termini ,,ολ" und „λογιστικόv" nicht synonymgebraucht, da er vielmehr das λογιστικόν, das immer nur eineF higkeit sein kann, etwas zu tun (ausgedr ckt durch die Wort-bildung auf -IKOS), dem ολ gegen berstellt als einem von ihm unab-h ngig Geltenden, indem er den ολ nicht einfach gleichsetzt mitdem λογιστικόν, auch nicht mit dem sich richtig auswirkendenλογιστικό v, — ja, nicht einmal mit dem Ergebnis des sich richtigauswirkenden λογιστικόν, weil er dann h tte sagen m ssen: nachdem ολ wird gehandelt, wenn der unvern nftige Seelenteil demλογιστικόν gem ist oder wenn er dem έργον des λογιστικόνgem ist.

2. Fiele der ολ auf die Seite des λογιστικόν, dann k nnten ihmnur die unvern nftigen Regungen (πάθη + όρμαί) gem sein, nichtaber die ganze Handlung, die ja als etwas Freiwilliges (έκούσιον)auch von Wissen begleitet (μετά διανοίας) und als ein Vorgezogenes(ττροαιρετόν) von berlegung bestimmt sein mu : also ohne dasλογιστικόν gar nicht zustande kommen kann.

3. Da der ολ als Norm f r das Verh ltnis zwischen dem unver-n nftigen und dem vern nftigen Seelenteil zu betrachten ist, gehtauch aus dem nun folgenden Vergleich dieses Verh ltnisses mit demLeib-Seele-Verh ltnis hervor. Der Autor f hrt n mlich nach der

88 Vgl. K. B RTHLEIN, Der Analogiebegriff bei den griechischen Mathematikernund bei Platon, ungedr. Diss. W rzburg 1957, S. 19—85.

89 Ygl. DIELS, FS 31, A 48 u. ,; B 131, das uns durch HIPPOLYTUS, Ref. VII 31(p. 216 W.), berliefert wird. H. schreibt in diesem Zusammenhang Empedpklesdie Meinung zu: ... μέσον δε είναι των διαφόρων άρχων δίκαιον λόγο ν, καθ* δνσυγκρίνεται τα διηιρημένα OTTO του Νείκον$ καΐ -προσαρμόζεται κατά την Φιλίαντφ ένί.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 233

oben zitierten Stelle fort: „In der Seele haben wir ja einen schlech-teren und einen besseren Teil zu unterscheiden; der schlechtere iststets um des besseren willen da. — So ist es auch beim Leib-Seele-Verh ltnis : der Leib ist um der Seele willen da, und nur dann werdenwir sagen, der Leib verhalte sich richtig (zur Seele), wenn er sichso verh lt, da er nicht im Wege ist, sondern dazu beitr gt undmitwirkt, da die Seele das ihr eigent mliche Werk vollendenk nne. . . . Wenn also die irrationalen Regungen den Geist nichtam Verrichten seines eigent mlichen Werkes hindern, dann wirdverwirklicht sein, was mit dem Ausdruck ,dem ολ gem ' gemeintist"40. — Es ist sogar gleichg ltig, wie man den Ausdruck „εχειν τοσώμα καλώ$" bersetzt: ob man sagt „der Leib sei in guter Ver-fassung", oder: „der Leib verhalte sich richtig (zur Seele)" — un-bestreitbar ist jedenfalls, da das richtige Verh ltnis des Leibeszur Seele im Mittelpunkt des Vergleichs steht, aber nicht das Tunder Seele selbst, wie es sein m te, wenn der ολ auf die Seite desλογιστικόν geh rte. Wenn es aber in II10 gar nicht um die Expli-kation des ολ selbst ginge — man diesen also ohne weiteres auf dieSeite des λογιστικόν setzen d rfte —, sondern nur um die Expli-kation des „πράττειν κατά" und dieses zu suchen w re in den hieran die Sinnlichkeit und (im Vergleich) an den Leib gestellten For-derungen, dann fiele die ganze Handlung auf die Seite des unver-n nftigen Seelenteils, und der im „κατά" zum Ausdruck gebrachteBezug auf den ολ w re nicht mehr unerl liche Voraussetzung f rdie ethische Handlung. Diese Folgerungen aber w ren mit derGrundtendenz der MM unvereinbar.

4. Ein Vergleich der Tugenddefinition in II 10 mit der Kaloka-gathie-Definition in II 9 zeigt, da es in beiden Definitionen um dieBestimmung eines relativen Wertes geht: in II 9 um den relativenWert der u eren, der Gl cksg ter, gegen ber dem absoluten Wertder Tugenden, in II 10 um den relativen Anspruch der Gef hleund irrationalen Regungen gegen ber dem uneingeschr nkten An-spruch des Verstandes. Wie in II 9 nicht eine Verachtung der

u eren G ter gefordert wird, sondern ihre Wertsch tzung, freilich40 II10, 1208 a 12—20: επειδή yap τι της ψυχής το μεν χείρον εχομεν το δε

βέλτιον, αεί δε το χείρον του βελτίονος Ινεκεν εστίν, ώσττερ επί σώματος καΐ ψυχήςτο σώμα της ψυχής ένεκεν, καΐ τότ* έροομεν έχει ν το σώμα καλώς, δταν ούτως Ιχηώστε μη κωλύει ν, αλλά καΐ συμβάλλεσθαι καΐ συμτταρορμαν προς το την ψυχή νέπιτελεΐν το αυτής Ipyov (το yap χείρον του βελτίονος ένεκεν, προς το συνεργεΐντφ βελτίονι)* δταν οον τα πάθη μη κωλύωσι τον νουν το αυτού Ipyov έvεpyεΐv,τότ' Ισται το κατά τον ορθόν λ<^ον γινόμενον.

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234 Karl B rthlein

immer nur unter R cksicht auf die h heren Tugendwerte, so wirdauch in II 10 nicht eine Vernichtung, sondern nur eine Beschr n-kung, nicht eine Unterdr ckung, sondern nur eine Unterordnungder Gef hle unter den T tigkeitsanspruch des λογιστικόν, des vo s,gefordert. Nachdem nun gerade dieses Verh ltnis der Unterordnungals ein Ordnungsverh ltnis, ein nicht umkehrbares Verh ltnis, hierzur Definition der Tugend verwendet wird, und vorher (II 7, 1206b 11—12) schon die Tugend als Harmonie (σύμμετρος, σνμφωνή-σουσιν) zwischen Verstand und Sinnlichkeit definiert worden ist,die Bedeutung „Verh ltnis", „Harmonie" f r den Terminus „λόγο$"aber reichlich belegt ist, ist es h chst unwahrscheinlich, da derAusdruck „ολ" in dieser Tugenddefinition eben nicht die Bedeutung„richtiges Verh ltnis", sondern „richtiger Gedanke" (abh ngigvom λογιστικόν) haben sollte.

5. Ein hnliches Argument! Zu entnehmen ist es der Behandlungder Frage, ob einer sein eigener Freund sein k nne (II 11, 1211a 16—1211 b 3). MM geben zu, da dies dann der Fall sei, wenndie Seele, die ja mehrere Teile habe, eine sei, d. h. wenn die Ver-nunft und die Gef hle in Harmonie miteinander seien (a 33—36:. . . όταν συμφωνώσι πρό$ άλληλα). Diese Freundschaft mit sichselbst werde sich im sittlich guten Menschen finden, da bei diesemallein die Teile der Seele in einem guten Verh ltnis (ε\5 εχουσιν) zu-einander st nden . . . (a 36—38), w hrend der schlechte Menschbest ndig im Streit mit sich selbst liege (a 39 — b 3). — Der sitt-lich Gute (σπουδαίος) ist also durch die Harmonie seiner Seelen-kr fte ausgezeichnet. Obwohl zugestanden werden mu , da diese„Harmonie" hier nicht als ολ oder als „Dem-^-gem -Sein" be-zeichnet wird, so ist es doch naheliegend (mehr l t sich freilichnicht sagen!), da in der Tugenddefinition in II 10, wo die Tugendauch im guten Verh ltnis der Seelenteile zueinander gesucht wird,der ολ die Bedeutung von „Zusammenklang", „richtiges Verh ltnis"hat, nachdem der Terminus „λόγος" ja die Bedeutungen „Ver-h ltnis" und „Harmonie" haben kann.

6. Ein weiteres Argument liefern die MM, wenn man die Be-handlung der (umgekehrten) Frage, ob jemand sich selbst unrechttun k nne, verfolgt. Der Autor sagt, dies sei nicht m glich in demSinne des „Unrechts in der Polis" (άδικον ττολιτικόν: Ι 33, 1196a 30—:33), wohl aber in dem des „Unrechts in der Hausgemein-schaft" (άδικον οίκονομικόν: 1196 a 25—30). Das δίκαιον ττολιτικόνgilt nur zwischen den gleichrangigen B rgern eines Staates und

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 235

r umt diesen gleiche Rechte ein41, w hrend das δίκαιον οίκονομικόνzwischen Partnern verschiedenen Ranges gilt; z. B. zwischen demminderj hrigen Sohn und dem Vater (1194 b 10—16), zwischendem Knecht und dem Herrn (1194 b 11; 17—20), aber auch zwi-schen den Kr ften der Seele, weil diese auch als verschiedenwertigbetrachtet werden42. Die einzelnen Seelenkr fte sind auf Grundihrer Natur nicht gleichrangig und unterstehen daher dem δίκαιονοίκονομικόν, d. h., sie haben nicht die gleichen Rechtsanspr che,sondern ihre Rechte entsprechen ihrem Rang. Ihr Rangverh ltnisist ma gebend f r das Verh ltnis ihrer Rechtsanspr che. Wir d rfenden Analogiebegnif, wie ihn der Autor in der Wiedervergeltungs-lehre besonders f r das Verh ltnis des Sklaven zum Freien ge-braucht43, auch auf die Seelenkr fte und ihre echte anwenden unddie Proportion aufstellen: 5\:S2 = R^. R2; oder: S^: RI = S2: R2.Wenn uns aber der Autor durch seine Ausdehnung des δίκαιον οίκο-νομικόν auf das Verh ltnis der Seelenkr fte zueinander zur Auf-stellung dieser Proportion zwingt, ist es doch recht unwahrscheinlich,da er hier in II10, wo er doch wieder von dem Verh ltnis der Seelen-kr fte zueinander spricht, mit dem ολ nicht eine solche Proportion,sondern den „gesunden, richtigen Verstand" meinen sollte44.

41 I 33, 1194 b 7—10; 16—17; 21—22: εν Ισότητι γαρ καΐ όμοιότητι το πολι-τικόν δίκαιον έοικεν είναι. . . .

42 Ι 33, 1196 a 25—30: ή γαρ ψυχή είς πλείω μεμερισμένη έχει τι αυτής το μενχείρον το δε βέλτιον, ώστ' εϊ τι έγγίγνεται των εν ψυχή αδίκημα, των μερών Ιστιπρος άλληλα* το οίκονομικόν δε αδίκημα διειλόμεθα τφ έττΐ το χείρον καΐ βέλτιον . . .

43 Ι 33, 1194 a 31—36: ου γαρ εστί δίκαιον οΐκέτη προς ελεύθερον τούτον όοΐκέτης γαρ εάν πάταξη τον ελεύθερον, ουκ Ιστιν δίκαιος άντιπληγηναι, αλλάπολλάκις, καΐ το άντιπεπονθός δε δίκαιον εστίν Ιν τω άνάλογον. ως γαρ ό ελεύθεροςέχει προς τον δοολον τφ βελτίων είναι, ούτως το άντιττοιήσαι προς το ποιήσαι.

44 Es darf wohl auch auf zwei Stellen der aristotelischen Politik hingewiesenwerden, die von der Rangordnung der G ter (VII l, 1323 a 34 — b 21) bzw. derSeelenkr fte und -t tigkeiten (VII 14, 1333 a 16—30) handeln und dabei ebenfallsden Terminus „άνάλογον" gebrauchen. Da sie ein Beleg daf r sind, da der „ολ"hier im MM II 10 als „richtiges Verh ltnis" ausgelegt werden mu , seien sie kurzaufgef hrt: 1. Ar. mi t dem besten Zustand des u eren Besitzes, des K rpers undschlie lich der Seele Werte bei, die zu einander im (gleichen) Verh ltnis stehen wiediese Dinge selbst (1323 b 16—18): ώστ* εϊπερ εστίν ή ψυχή καΐ της κτήσεως καΐτου σώματος τιμιώτερον καΐ απλώς καΐ ήμΐν, ανάγκη καΐ την διάθεσιν την άρίστηνεκάστου άνάλογον τούτων εχειν. 2. Ar. unterscheidet zun chst zwei Seelenteile:den vern nftigen und den, der der Vernunft gehorchen kann (1333 a 16—18). Dervern nftige Teil sei der bessere und seinetwegen sei der geringere da (a 19—24).Die T tigkeiten dieser Teile wiederum st nden im gleichen Verh ltnis zueinander,und es sei notwendig, die T tigkeit des von Natur besseren Teiles vorzuziehen:a 27—28: καΐ τάς πράξεις δ* άνάλογον έρουμεν εχειν, καΐ δει τάς του φύσει βελτίο-νος αίρετωτέρας είναι. . . .

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236 Karl B rthlein

7. F r die Auslegung von „λόγο$" mit „Verh ltnis" hier andieser Stelle der MM spricht ferner ein Vergleich mit jener Stelleder MM, an der „λόγος" — ohne allen Zweifel — nur die Bedeutung„Verh ltnis" haben kann, n mlich: II11, 1211 b 8—17. Es ist dadie Rede von der Freundschaft, die auf der Ungleichheit derPartner beruht, also der Freundschaft zwischen Vater und Sohn,Regierten und Regierenden, St rkeren und Schw cheren, Frauund Mann: berhaupt jedes Freundschaftsverh ltnis, in dem es dieStelle des Schw cheren und St rkeren gibt (b 8—12). Diese aufUngleichheit beruhende Freundschaft sei „nach Verh ltnis" (b 12:κατά Xoyov). Denn niemand werde bei der Austeilung eines Gutesdem Besseren ebensoviel geben wie dem Schlechteren, sondern mangebe immer dem Vorz glicheren mehr (b 13—15). Dies sei aber dieGleichheit, die durch das Verh ltnis (τφ λόγφ) bestimmt sei. Dennirgendwie bestehe ja Gleichheit, wenn der Schlechtere ein geringeresGut habe, und der Bessere ein gr eres (b 15—17). — Der ver-schiedenen Stellung der Partner eines solchen Freundschaftsver-h ltnisses soll also die Zuteilung der G ter entsprechen. Die G tersollen in dem (gleichen) Verh ltnis zugeteilt werden, in dem diePartner zueinander stehen. Das Rangverh ltnis zwischen den un-gleichen Partnern soll ma gebend sein f r das Besitzverh ltnis. —Nun spricht der Autor hier in II 10 auch ausdr cklich von zweiRangverh ltnissen: 1. von dem zwischen dem besseren und schlech-teren Teil der Seele — und 2. vom Leib-Seele-Verh ltnis (vondiesem 2. nur, um das 1. zu erl utern). Uns interessiert hier nur daserste Verh ltnis: das zwischen dem besseren und schlechteren Teilder Seele, d.h. zwischen dem λογιστικόν (oder: vo $) und demάλογο ν μέρο$ (oder: ττάθη). Wenn nun der Autor sagt, der niedereSeelenteil solle auf den h heren R cksicht nehmen, d. h. diesemden Vorrang einr umen, der diesem auf Grund von dessen Naturgeb hrt, dann macht er doch auch das von der Natur festgesetzteRangverh ltnis zwischen vo s und πάθος zum ma gebenden Verh lt-nis f r die Zugest ndnisse an diese beiden ungleichen Seelenkr fte.Die Bet tigung soll den beiden in dem Verh ltnis zugestanden wer-den, in dem sie auf Grund ihrer Natur zueinander stehen. Da nunder Autor hier die R cksichtnahme des niederen Teils auf den h herenals ein Handeln ,,κατά τον ορθόν λόγον" bezeichnet und die Par-allelen dieser Partie in II10 mit der in II11 (1211 b 8—17) nicht zubersehen sind, erscheint es nicht gerechtfertigt, den Terminus „ολ"

in II 10 mit „richtige berlegung" oder „gesunder Verstand" zubersetzen; nur die bersetzung „richtiges Verh ltnis*' ist haltbar.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 237

8. Auf die einleitende Frage (II 10, 1208 a 8—9): „που εστίν όόρ6ό$ λόγος; „Wo ist der ολ?", „Worin besteht der ολ?" — ohnedie Zus tze „πράττειν κατά" oder blo „κατά" — k nnte der Autornichts sagen ber das Verh ltnis der Gef hle zum Verstand, ja

berhaupt nichts ber die Gef hle, wenn er unter dem ολ lediglichdas richtige Ergebnis des Verstandes verst nde. Die Stellung dieserFrage w re dann berfl ssig. Es findet sich im Text auch gar keineAntwort auf diese Frage.

9. Wenn in der Formel „κατά τον ορθόν λόγο ν ττράττειν", womitdie Tugend definiert wird, der „ολ" nur soviel wie „richtige ber-legung' ' bedeutete, also etwas vom berlegenden Seelente Abh n-giges — was z. B. der Fall w re, wenn der ολ durch die φρόνησι$festgesetzt und bestimmt w rde —, w re eine objektive Bewertungder einzelnen Handlungen unm glich. Nun haben wir aber keinenGrund zur Annahme, da dies dem Autor gleichg ltig gewesenw re. Das zeigt sich aus seiner Verwendung des „ethischen Syllo-gismus". Er betrachtet n mlich die obige Explikation des Ausdrucks„dem ολ gem handeln" als den allgemeinen Obersatz, da er sichanschlie end (II10,1208 a 20—30) — wie noch zu zeigen sein wird —mit der richtigen Erfassung des jeweils faktischen Gef hlszustan-des, also mit der Bildung des den Einzelfall erfassenden Untersatzesbesch ftigt, wobei der Schlu satz die Bewertung der Einzelhand-lung liefern w rde. Wenn nun der Autor an die Erfassung desEinzelfalls im Untersatz Geltungsforderungen stellt und sie als einWissen betrachtet, wie sollte er dann nicht erst recht den allge-meinen Obersatz als Wissen — und d. h. als Wissen von einem vomWissen, vom Bewu tsein selbst Unabh ngigen — betrachtethaben?45 Man darf annehmen, da f r den Autor der MM derGegenstand des allgemeinen Obersatzes, d. i. der Wert, dem νουςebenso unabh ngig gegen bersteht wie der im Untersatz erfa tefaktische Einzelfall dem ihm entsprechenden Auffassungsverm genund wie der im Schlu satz festgestellte Wert der betreffendenEinzelhandlung dem Verm gen des Schlie ens.

Nun aber zu dem noch ausstehenden Nachweis, da der Autor in II 10, 1208a 20—30, die Erfassung des Einzelfalles und das entsprechende Erkenntnisverm genuntersucht! Die Untersuchung hat die Form eines Zwiegespr chs zwischen einem

46 Wird doch in II 6, 1201 b 24—39 immerhin die M glichkeit ventiliert, da derUnbeherrschte zwar das allgemeine Wissen des Obersatzes habe, aber nicht dasWissen des einzelnen. Das allgemeine Wissen des Obersatzes ist demnach (in seinemInhalt) keineswegs selbst wieder von der Tugend abh ngig. Auch sonst findet sichin den MM kein Beleg daf r.

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238 Karl B rthlein

Sch ler und Lehrer der Ethik, dem aber noch zur Veranschaulichung ein Zwie-gespr ch zwischen einem Sch ler und Lehrer der Medizin eingeschoben ist (1208a 23—27). Der Ethikstudent fragt also: „Wie verhalten sich die πάθη, die dem Ver-stand nicht hinderlich sind, und wann verhalten sie sich so ? Ich wei das n mlichnicht" (a 21—22). — Die Antwort auf diese Frage w rde der Untersatz etwa fol-genden Schlusses sein:

Obersatz: Eine dem ολ gem e (und d. h. sittlich gute) Handlung liegt vor, wenndie Gef hle dem Verstand nicht hinderlich sind.

Untersatz: Nun verhalten sich aber jetzt meine Gef hle so (bzw. nicht so), dasie nicht hinderlich sind (bzw. da sie hinderlich sind).

Schlu satz: Also ist mein Verhalten hie et nunc dem ολ gem (und d. h. sittlichgut (bzw. nicht gem . . .)

Der Lehrer kann auf die Frage des Sch lers nur bescheiden sagen, das sei schweranzugeben (a 22/23), und auf die analoge Situation des Medizinlehrers hinweisen.Denn dieser gibt in dem Satz: „Dem Fieberkranken ist Gerstenschleim zu reichen"(a 23—24) seinem Sch ler auch nur eine allgemeine Regel. Darauf kann der Sch lerfragen: „Wie soll ich aber bemerken, da er Fieber hat" (a 24—25) ? Da kann derLehrer noch eine Auskunft geben: „Wenn du siehst, da er eine gelbliche Farbe hat"(a 25). Auf die weitere Frage des Sch lers aber: „Und die gelbliche Farbe, wie sollich die feststellen ?" kann ihm der Lehrer nicht mehr weiterhelfen: „Hier mu dasVerstehen des Arztes beginnen; wenn du n mlich nicht in dir selber einen Sinn(αΐσθησις) f r derartige Dinge hast, ist hier deine Kunst am Ende" (a 25—27). —So ungef hr d rfen wir das im Text korrupte Ende dieses Satzes erg nzen. DerMedizinlehrer kann also seinem Sch ler die Erkenntnis des gegebenen Falles, aufden die allgemeine und lehrbare Regel angewandt werden soll, nicht abnehmen.Einmal kommt er bei seinem Lehren an einen Punkt, wo das Vermitteln ein Endehat und die Urteilskraft des Sch lers einsetzen mu und selbst feststellen mu , obder vorliegende Fall unter die betreffende allgemeine Regel geh rt. An die gleicheGrenze kommt auch der Sch ler jedes anderen Fachgebietes48: einmal h rt dasblo e bernehmen und Aufnehmen aus Unterricht und Lehrbuch auf, und dieeigene Erkenntnisf higkeit ist dazu aufgerufen, sich ein Urteil dar ber zu bilden,ob eine angelernte allgemeine Regel einen vorliegenden Fall unter sich begreift. —Ebenso verh lt es sich nun auch mit der Erkenntnis der πάθη (a 29); denn auch f rderen Beurteilung mu man selbst etwas mitbringen (a 29—30). — Die Erfahrungdes gegebenen Einzelfalls — auch des faktisch gegebenen Gef hlszustandes — ber-lassen MM einem bestimmten Verm gen, das als αίσθηση bezeichnet wird. Sicherhaben wir darunter nicht einen Einzelsinn, sondern den inneren, den Gemeinsinnzu verstehen, und zwar in der Form der sinnlichen Urteilskraft47. Bei Kant begegnet

46 Ich verstehe den Satz in a 26: „ωσαύτως υπέρ των άλλων κοινός εστί τωντοιούτων ό λόγος"so: „In ganz gleicherweise gilt auch f r die Lehrer bzw. Sch lerder anderen Fachgebiete dasselbe Verh ltnis zwischen Derartigem", d. h. zwischendem, was durch den Lehrer vermittelt werden kann, und dem, was der Sch lerselbst beurteilen mu .

47 In der EN (VI11 und 12) ist sie unter dem Terminus σύνεσις κριτική bekanntund als eine Form der αϊσθησις auch verantwortlich f r den Untersatz des hier inFrage kommenden Schlusses (1143 b 3), in der Scholastik als vis aestimativa oderfacultas discretitiva, was im 17. Jh. mit „Urteilskraft" bersetzt wird.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 239

sie uns dann als gemeine Urteilskraft und wird definiert als ,,das Verm gen unterRegeln zu subsumieren, d. h. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenenRegel (casus datae legis) stehe oder nicht'448.

Damit d rfte als erwiesen gelten, da der Autor in diesem Ab-schnitt (II 10, 1208 a 20—30) die Aufstellung der propositio minor,sofern sie Leistung der Urteilskraft ist, behandelt. Die dazugeh -rige propositio maior kann f r ihn nur die vorhergehende Expli-kation des Ausdrucks „κατά τον ορθόν λόγον πράττειν" sein. AufGrund dieser Explikation kann der Terminus ,,ολ" nicht die rich-tige Verfassung oder das richtige Ergebnis des λογιστικόν, der sub-jektiven Denkf higkeit, meinen und auch der Ausdruck „κατά τονορθόν λόγον πράττειν" nicht direkt schon die R cksichtnahme derGef hle auf das Tun oder Ergebnis des Denkverm gens fordern;vielmehr bezeichnet der Terminus „ολ" das ideale, objektive Ver-h ltnis zwischen den irrationalen Regungen und dem Verstand,w hrend der Ausdruck „κατά τον ολ ττράττειν" die Verwirklichungdieses idealen Verh ltnisses, das faktische, subjektive Sichrichtennach diesem objektiven Verh ltnis bedeutet. Dieses objektive Ver-h ltnis stellt Anforderungen an das subjektive Tun, an das faktischeVerhalten der Gef hle zum Verstand. W hrend diese Forderungzun chst nur negativ formuliert wird — die Gef hle sollen demVerstand nicht hinderlich sein —, wird sie nachher durch den Ver-gleich mit dem Leib-Seele-Verh ltnis auch positiv: sie verlangt einMithelfen, damit der bessere Teil, n mlich der rationale, sein Werkverrichten k nne. Von einer Anforderung an den rationalen Seelen-teil ist zwar in der ersten Formulierung (II 10, 1208 a 9—12) aller-dings keine Rede — es sieht so aus, als ob dieser sich nur auszu-wirken brauchte —, aber nachher — beim Vergleich mit dem Leib-

48 Kr. d. r. V., Akademie-Ausg. Bd. III, S. 131/2. — Interessant ist in unseremZusammenhang — wegen der Parallelen — auch noch Kants weitere Charakteri-sierung dieses Verm gens (a. a. 0.) als ein besonderes Talent, ,,welches gar nichtbelehrt, sondern nur ge bt sein will. Daher ist diese (sc. Urteilskraft) auch dasSpezifische des sog. Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann, dennob diese gleich einem eingeschr nkten Verstande Regeln vollauf, von fremder Ein-sicht entlehnt, darreichen und gleichsam einpfropfen kann; so mu das Verm gen,sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrling selbst angeh ren .. . Ein Arzt daher,ein Richter, oder ein Staatskundiger kann viel sch ne pathologische, juristischeoder politische Regeln im Kopfe haben ... und wird dennoch in der Anwendungderselben leicht versto en, entweder weil es ihm an nat rlicher Urteilskraft (ob-gleich nicht am Verstande) mangelt und er zwar das Allgemeine in abstracto ein-sehen, aber ob ein Fall in concrete darunter geh re, nicht unterscheiden kann, oderauch darum, weil er nicht genug durch Beispiele und wirkliche Gesch fte zu diesemUrteil abgerichtet worden".

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240 Karl B rthlein

Seele-Verh ltnis — wird von ihm immerhin gesagt, da er dasBessere gegen ber dem irrationalen (als dem Schlechteren) sei(im objektiven, idealen Verh ltnis) und daher der letztere seinet-wegen da sei, er also dessen Zweck sei. Nehmen wir noch das inII 7, 1206 b 9—14 ber den λόγο$ εο διακείμενος (der richtigen sub-jektiven Vorstellung vom sittlich Guten) Gesagte hinzu, dann kannman nicht umhin zuzugeben, da die Leistung des λόγος ευ δια-κείμενος, die in dem Anordnen des Besten besteht, und das Mehr-wert-Sein und Zweck-Sein des rationalen Seelenteils diesem eben vomobjektiven, idealen Verh ltnis, vom ολ, auferlegt und bestimmtsind. Forderungscharakter, Gesetzescharakter hat also der ολ f rGef hle und Verstand. Gesetz f r die Sinnlichkeit und f r den Ver-stand kann der ολ aber nicht sein als blo es Naturgesetz, sondernnur als vom Verstand vorgestelltes — freilich nicht abh ngiges —Gesetz. Das w rde aber bedeuten, da der νους (1208 a 19) und dasλογιστικόν (a 10) nicht nur theoretisch sind, nicht nur das Seiendebetrachten, sondern auch praktisch, indem sie die idealen Verh lt-nisse, die objektiven Gesetze, zugrunde legen und ihnen den Ein-gang in die Wirklichkeit erm glichen.

Dagegen k nnen sich aber Bedenken erheben: Sind vo s und λογιστικό ν nicht dochnur theoretisch ? R umt der ολ dem νους und dem λογισηκόν nicht eigentlich nurden Primat der Theorie gegen ber den die Theorie st renden Leidenschaften ein ? 49

Diese Bedenken lassen sich aber zerstreuen: a) Mag der vo s sich auch der Be-schauung des g ttlichen, ewigen und unverg nglichen Seienden erfreuen, so geh rtzu seinen Gegenst nden doch auch der ολ, das ideale Verh ltnis zwischen Vernunftund Sinnlichkeit, d. h. aber: ein Gegenstand, der Forderungscharakter hat— undzwar auch dann Forderungscharakter hat, wenn er nur fordern sollte, die Sinnlich-keit solle den vo s an der Beschauung nicht hindern. Denn wer sollte den ολ denken ?Doch nie die Sinnlichkeit, die sich doch kein Gesetz vorstellen kann und au erdemdurch den ολ auch noch eingeschr nkt wird. Nur der vo s kann sich den ολ vor-stellen und ist dadurch praktische Vernunft, weil er dadurch den Anspruch auf dieHerrschaft ber die Sinnlichkeit erhebt, weil er sich seine Gesetze, seine Zweckenicht mehr von der Sinnlichkeit vorschreiben l t — wie es beim blo mittelfin-denden Verstand der Fall w re —, sondern gegen ber der Sinnlichkeit selbst Ge-setzgeber ist. Insofern wenigstens ist der vo s praktische Vernunft, wenn ihm auchdie theoretische Funktion nicht abgestritten werden kann. — b) MM sprechenselbst I 34, 1198 a 16 von einer Erkenntnis des Sch nen, auf Grund welcher ge-handelt werden soll, und I 34, 1198 b 16—17 von der Ausf hrung eines Sch nenund Zukommenden, das die σοφία leiste. An beiden Stellen k nnte mit dem Sch nender lockende Genu der Kontemplation gemeint sein. Gegen diese Auslegung desκαλόν sprechen aber die Stellen der MM, die die vollkommene Tugend definieren:die Tugenden, die doch als χαλά bezeichnet werden (II 9, 1207 b 29—30), d rfen

49 DIRLMEIER, MM, S. 432, und ARMSTRONG, MM . . ., p. 644, sprechen nur vonder theoretischen Funktion des λογιστικόν.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 241

demnach nicht im Denken allein, sondern nur in der harmonischen Verbindung vonDenken und F hlen gesucht werden, wobei der Nachdruck, der auf das F hlengelegt wird, unerkl rlich w re, wenn das sittlich Sch ne nicht in der Tat, sondern inder tatenlosen Beschauung best nde. Das καλόν, dessen Erkenntnis unerl licherGrund jeder sittlichen Handlung ist, ist nicht etwa der H chstwert der Beschauung,sondern eine Mannigfaltigkeit von Werten, die durch den ολ geordnet und ver-kn pft ist. Und eine Handlung ist nicht erst dann sittlich wertvoll, wenn sie derBeschauung wegen geschieht — f r eine solche Sittlichkeitsbegr ndung findet sichin MM kein sicherer Beleg —, sondern wenn sie dem ολ, der Wertordnung gemgeschieht, der Wertordnung, die nicht in der Form einer Hierarchie im Wert derBeschauung gipfelt. Auch aus diesem Grunde darf man dem Autor nicht unter-stellen, er habe den vo s, der sich diese unbedingte Wertordnung zu denken hat,nur als theoretische, nicht aber als praktische Vernunft betrachtet.

Das in II 10 Gesagte f gt sich recht gut zu einigen schon refe-rierten Partien der MM. Ankn pfend an das „κατά τά$ άρετά$ζην", womit das „ευ ζην" und „ευ πράττειν" und damit auch das„εύδαιμονεϊν" und die „ευδαιμονία" definiert worden waren, wirdhier jedem Seelenteil die ihm eigene Aufgabe zugewiesen: demλογιστικόν sich frei auszuwirken, dem oXoyov das Mitwirken (συμ-βάλλεσθαι, συμπαρορμαν, συνεργείν) und das Nicht-im-Wege-Stehen(μη κωλύει ν). Im Zusammenwirken der Momente wirkt jedes nachder ihm eigenen Tugend, und das Ganze verh lt sich im Sinne derTugenden (κατά τά$ άρετά$). Und soweit der ολ Norm f r das Zu-sammenwirken aller Momente ist, ist er Ordnungsprinzip f r dasSichauswirken der vollendeten Tugend, die Tugend des λογιστικόν,θυμικόν und έπιθυμητικόν ist (I 4, 1185 a 19—26), d. h. f r dieEudaimonie. Wo das Wesen der Tugend so deutlich als Zusammen-spiel der verschiedenen Seelenfunktionen ausgelegt wird, und derAusdruck „κατά τάς άρετά$" nur als Hinweis auf diese Harmonieverstanden werden kann, vertr gt sich unsere Auslegung des Aus-drucks „κατά τον ορθόν λόγον" (in II 10), gerade weil er dasselbebesagen soll wie der andere („κατά τά$ άρετάς"), und das ganzeKap. 10 des II. Buches sehr gut mit diesen einleitenden Kapitelndes I. Buches. — Auch die Einschr nkung, da das Strebeverm gen(αλογον) nur dann Lob verdiene, wenn es in der Lage sei, der Ver-nunft (Aoyov έχον) behilflich zu sein, und auch wirklich helfe (I 5,1185 b 11—12), zeugt vom Nachdruck, mit dem der Autor dieLehre vom richtigen Verh ltnis der Seelenfunktionen zueinanderin den Mittelpunkt der Ethik stellt50. — Bei der Einf hrung des

50 Vgl. auch II 3, 1200 a 6—7: ττέφνκεν (sc. αρετή) γαρ υπείκειν τω λόγω, [ή]ως oCrros προστάττει, ώστ* εφ* δ αν οϋτος άγη, έττΐ τοοτο αποκλίνει. Hier hat das,,ιτέφυκεν" dieselbe Bedeutung wie ολ in II10, da die Natur (φύσις), die hier derTugend die Unterwerfung unter den λόγος befiehlt, keine andere ist als diejenige,

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242 Karl B rthlein

Begriffs der Mitte wird zwar vom ολ nicht gesprochen, doch l tsich die dabei aufgestellte Forderung, den πάθη nicht zu viele, aberauch nicht zu wenige Zugest ndnisse zu machen, recht gut mit denForderungen des ολ in II10 vereinbaren; denn die Warnung vordem Zuviel ist aus dem ,,μή κωλύει ν", die vor dem Zuwenig ausdem „συνεργείv" zu entnehmen; die „mittlere", die beste Haltungeinnehmen ist nichts anderes als das Verhalten, das dem ολ gemist. — Die Lehre von der προαίρεση schlie lich stimmt mindestensinsofern mit der vom ολ in II 10 berein, als beidemale der Vorrangdes Denkens und berlegens vor dem Antrieb zum Vollzug betontwird.

Die Vereinbarkeit unserer Auslegung von II 10 (speziell des Ge-brauchs von „ολ" in II 10) mit gro en St cken des I. Buches l tsich also zeigen. Wie steht es nun aber mit der ebenfalls festgestelltenTatsache, da der gleiche Termius „ολ" an allen fr heren Stellen(I 34, II 6, II 8 — obwohl es hier nicht ganz sicher zu entscheidenist) dieser Schrift in einem anderen Sinn gebraucht ist ? Man wirdnicht umhin k nnen, zuzugestehen, da Uneinheitlichkeit der MMim Gebrauch dieses Terminus vorliegt. Und dieses Zugest ndniswird noch leichter fallen, wenn sich auch in anderen Punkten Un-einheitlichkeit nachweisen l t. Nun haben die Kritiker der MMimmer wieder behauptet, in dieser Schrift (bes. im II. Buch) w rdeneinzelne Abhandlungen ziemlich lose aneinandergereiht, ein Zu-sammenhang sei nicht immer zu sehen und an der Richtigkeit dererhaltenen Reihenfolge m sse gezweifelt werden51. Und selbstH. v. Arnim, der mehrmals versucht hat, einen solchen Zusammen-hang aufzuzeigen, war geneigt, die ηδονή-Abhandlung als einen sp te-ren Einschub in eine Urfassung zu betrachten52. Entscheidend ist f runs hier die Frage: Wie f gen sich die Partien I 34, II 6 und II 8in jenen gedanklichen Zusammenhang, der durch die St cke 11—33und II 10 repr sentiert wird? Liegen noch andere Anzeichen— au er dem Gebrauch des Terminus „ολ" — vor, die darauf schlie-

en lassen, da es sich hier um sp ter berarbeitete oder sp ter einge-f gte Partien handelt ? Wir beginnen mit I 34, dem Kapitel, das manals Abhandlung ber die sog. dianoetischen Tugenden betrachtet.die nach II10 die Rangordnung zwischen dem λογιστικόν und dem αλογον festsetztund aus dem ολ spricht.

61 Vgl. z. B. G. RAMSAUER, Zur Charakteristik d. arist. Magna Moralia, Progr.Oldenburg 1858, S. 37—45.

62 Die Echtheit d. Gr. Ethik, in Rhein. Mus., N. F., 76 (1927) 240—243;und: Der neueste Versuch . . ., S. 42—47.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 243

Gohlke, f r den in den MM mehrere fr her selbst ndige Schriftenaufgegangen sind (a. a. 0., S. 10/11), meint, da die Partie I 34,,durch die sp tere Bearbeitung ganz besonders stark umgestaltetworden" sei (S. 13). Daf r, da unser I 34 ein Nachtrag sei, f hrter (S. 14) folgende Argumente an: 1. die Buchabteilung; der Ein-schnitt gerade hinter diesem Kapitel sei nicht das Ergebnis be-wu ter Planung, sondern die Folge eines sp teren Schnittes; 2. eswerde beobachtet, da die Begriffe, die am Anfang des II. Buchesbehandelt werden, „in den Bereich der Gerechtigkeit (I 33) ger cktwerden"; 3. die Tatsache, da die Einleitung von II 10 mit der vonI 34 gro e hnlichkeit habe und doch als sp terer Abschnitt (inunserer Reihenfolge) von dem fr heren (I 34) keinerlei Notiz nehme;4. II 10 kehre einfach zum λογιστικόν, also zum ungeteilten ver-n nftigen Seelenteil, zur ck, w hrend es doch das Hauptanliegenvon I 34 sei, diesen Seelenteil wieder in einen praktischen undeinen theoretischen zu unterteilen.

ad 1. und 2. Bereits Spengel53 gelang es nicht, zwischen I 34und II l, 2 und 3 einen Zusammenhang zu sehen, und Rieckhersieht sich (in der Einleitung zu seiner bers.) zu der Annahme ge-n tigt, da die urspr ngliche Ordnung uns nicht mehr vorliege, dadiese St cke (II 1: ber επιείκεια, II 2: ber ευγνωμοσύνη, II 3,von 1199 a 14 ab: f nf Aporien ber Einsicht bzw. Gerechtigkeit)urspr nglich hinter I 33 ihre Stelle gehabt, die (Er rterung berdie) ευβουλία (II 3, 1199 a 4—13) aber in I 34. H. v. Arnim ver-sucht zwar, „die Stellung dieser Kapitel (II l—3) im Aufbau derMM und ihre innere Ordnung befriedigend zu erkl ren"54, dochkann man nicht sagen, sein Versuch sei ihm gelungen. Die urspr ng-liche Ordnung dieser Partien wird sich nicht mehr ausfindig machenlassen. Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, da mindestens dieεπιείκεια und die ευγνωμοσύνη vor der φρόνησι$ (im Anschlu andie δικαιοσύνη) behandelt worden waren und da sie aus irgend-einem Zufall erst bei der Umgestaltung der (ppotrqais-Abhandlungvon der δικαιοσύνη-Abhandlung getrennt worden sind.

ad 3. Dieses Argument verdient noch mehr Beachtung. Dieuns vorliegende Einleitung von II 10 w re nicht geschrieben worden,wenn die von I 34 — als der gleichen Schrift zugeh rig — schonvorgelegen h tte. Da beide Einleitungen das gleiche Thema an-

53 Vgl. L. SPENGEL, ber die unter dem Namen des Ar. erhaltenen ethischen Sehr.(Abh. d. Bayer. Ak. M nchen III 2), 1841, S. 493.

M Die drei arist. Ethiken, S. 81—95.

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244 Karl B rthlei

k ndigen, h tte in II10 auf I 34 verwiesen werden m ssen. Beigenauerem Hinsehen ergeben sich auch noch wichtige Unterschiede:in I 34 wird es so hingestellt, als ob bei der Behandlung der Einzel-tugenden wiederholt gesagt worden w re, man tue das Beste, wennman sich dem ολ gem verhalte, in II10 dagegen soll das „κατάτον ορθόν λόγον" ein Ersatz sein f r „κατά τά$ άρετάς". Was dasVerh ltnis der Einleitung von I 34 zu I l—33 betrifft, so mu tenwir oben S. 223/24 schon eine Diskrepanz konstatieren. — Nunk nnte man freilich eine solche Diskrepanz auch zwischen der Ein-leitung zu II 10 und allem Vorhergehenden feststellen, da ja inII 10 gesagt wird, ber das „κατά τά$ άρετάς ορθώς πράττειν" seigesprochen worden, jedoch nicht hinreichend, da man (Ιφαμεν)daf r nur gesagt habe: „κατά τον ορθόν λόγον πράττειν" — w hrendsich im Vorhergehenden (II — II 9) keine Stelle finden l t, diediese beiden Ausdr cke gleichsetzt. Die Formel „κατά τά$ άρετάς"kommt zwar einige Male (I 4, 1184 b 30, 36, 38, b 12; I 33, 1193b 5, 8) vor, aber das „κατά τον ορθόν λόγον πράττειν" nur in derfragw rdigen Einleitung zu I 34 und in I 34,1198 a 14: und jedesmalohne einen Verweis auf die andere Formel. Man k nnte freilichdiese Diskrepanz (noch eher als die andere) durch Annahme einerTextl cke oder von sp teren Umgestaltungen (etwa des 4. Ka-pitels ab 1185 a l oder der ehemaligen <ppc^ai$-Abhandlung) er-kl ren wollen. Neben diesem Ausweg bliebe auch noch ein anderer :n mlich die Annahme, der ολ in II 10 sei nichts anderes als derνόμος in I 33, 1193 b 2—10, von dem dort gesagt wird, da er an-ordne, was den Tugenden gem sei55. Dabei ist nicht zu vergessen,da der νόμος auch in anderen Schriften des CA als Norm f r dieTugenden betrachtet wird56 und da mit diesem νόμος durchausdas „naturgem e allgemeine Gesetz" gemeint sein kann57, da in

55 1193 b 3—10: δίκαια γαρ φασιν είναι ά ό νόμο$ προστάττει. ό δε νόμος κελεύειτάνδρεϊα πράττει ν καΐ τα σώφρονα καΐ απλώς άπαντα δσα κατά τάς άρετάς λέγεται,διό καί, φασίν, δοκεΐ ή δικαιοσύνη τελεία τις αρετή είναι, εί yap δίκαια μεν Ιστιν αό νόμος κελεύει ποιεΐν, ό δε νόμος τα κατά πάσας άρετάς δντα προστάττει, ό άρατοις κατά νόμο ν εμμένων δικαίοις τελείως σπουδαίος t-σται, ώστε ό δίκαιος καί ήδικαιοσύνη τελεία τις αρετή εστίν.

56 Ζ. Β. ΕΝ V1, 1129 b 19—24; Rhet. l 9, 1366 b 9—15: Ιστι δε δικαιοσύνη μεναρετή δι* ην τα αυτών Ικαστοι εχουσι, καί ως ό νόμος· αδικία δε δι* ην τα αλλότρια,ούχ ως ό νόμος, ανδρεία δε δι* ην πρακτικοί είσι των καλών έργων εν τοις κινδύνοις,καί ως ό νόμος κελεύει, . . . σωφροσύνη δε αρετή δι* ην προς τάς ήδονάς τάς τουσώματος οΟτως εχουσι ν ως ό νόμος κελεύει*

57 Vgl. RHet. 110, 1368 b 7—9: νόμος δ* εστίν ό μεν ίδιος ό δε κοινός· λέγω δείδιον μεν καθ* δν γεγραμμένον πολιτεύονται, κοινόν δε δσα άγραφα παρά πασινόμολογεΐσθαι δοκεΐ. — 113, 1373 b 4—6: λέγω δε νόμον τον μεν ίδιον, τον δε

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 245

den MM selbst gelehrt wird, die Unterwerfung der (nat rlichen)Tugend unter die Vernunft sei naturgem 58. — V llig zufrieden-stellend beseitigt freilich auch diese Annahme die Diskrepanzzwischen dem erw hnten „Ιφαμεν" in II10 und dem ganzen vorher-gehenden St ck der Schrift nicht; doch l t sie den Zusammenhangzwischen II10 einerseits und 11—33, II 3 usw. andererseits leichtersehen, w hrend sich noch eine stattliche Zahl von Differenzen an-f hren l t, die das St ck I 34 isolieren.

4. Unser I 34 konnte bei Abfassung von II10 auch deswegennoch nicht vorgelegen haben, da in II10 gerade jene Korra-Formelsteht, die in I 34, 1198 a 13—21, abgelehnt und durch die μετά-Formel ersetzt wird.

5. Es w re zu erw hnen die schon von Gohlke festgestellte Diffe-renz in der Auffassung vom λογίστηκαν (I l, 1182 a 20, I 4, 1185a 21 und II10, 1208 a 10 anders aufgefa t als das Xoyov έχον Ι 34,1196 b 15—33).

6. Ein terminologischer Unterschied: in I 34 werden τέχνη undεπιστήμη unterschieden (1196 b 37—1197 a 13), im brigen Teilder MM dagegen wird f r τέχνη immer nur der Terminus επιστήμηgebraucht.

7. Aufgefallen ist immer wieder auch der Unterschied in derStellung und Bewertung der φρόνησι$.

a) W hrend in I 5 (1185 b 9—11) das Weise- und Einsichtigseinnicht f r lobw rdig gehalten wird, wird in I 34 zweimal ausdr cklichdie Lobw rdigkeit der φρόνηση betont (1197 a 17/18; 1198 a 25 bis31). Das ist wohl zur ckzuf hren auf:

b) In I 34 wird der επιστήμη-Charakter der φρόνησις bestritten(1197 a 16—20) und auf das Praktischsein Wert gelegt59, in denanderen Partien der MM dagegen d rfte die φρόνηση nur alsεπιστήμη betrachtet werden60.κοινόν, ϊδιον μεν τον έκαστος ώρισμένον ττρό$ αύτού$, καΐ τούτον τον μεν όγραφον,τον δε γεγραμμένον, κοινόν δε τον κοπτά φΟσιν. — Ι 15, 1375 a 31—32: καΐ δτι τομεν έτπεικε$ αεί μένει καΐ ουδέποτε μεταβάλλει, ουδ* ό κοινό$ (κατά φύσιν yapεστίν), .. .

58 II 3, 1200 a 6: πέφυκεν γαρ ύττείκειν τφ λό/cp . . .59 1197 a 1—3; 13—16; b 22—24; 1198 a 32 — b 8; au er in I 34 noch in der

ευβουλία-Abh.: II 3, 1199 a 6/7, und in der Schlu partie von II 6, 1204 a 10—16.60 II 3, 1199 a 23—30: είδέναι, Οεωρεΐν; b 4^-5: είδέναι; ferner geh ren hierher

auch jene Stellen, nach welchen die φρόνηση nur eine ,,Tugend" des λόγον έχον ist(z. B. 1185 b 5, 9—10) oder als dem λογιστικόν zugeh rig neben der αρετή und derηδονή steht (z. B. I 3/1184 b 5—6).

17 Arch. Gesch. Philosophie Bd. 45

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246 Karl B rthlein

c) In I 34 gilt die φρόνηση nicht mehr als die Tugend des ver-n nftigen Seelenteils, sondern wird der σοφία untergeordnet (z. B.1197 b 6—10; 1198 b 9—20); sie beschr nkt sich auf Proze haftes(z. B. 1197 a 34 — b 1), w hrend die σοφία Gleichbleibendes undG ttliches zum Gegenstand hat (1197 a 33—34, b 7—8). Dagegenwird in II 3 (1199 a 24—26) die φρόνησι$ als μέγιστον αγαθόν be-zeichnet und wird dies offensichtlich auch in I 2 (1184 a 34—37)vorausgesetzt, wo gesagt wird, sie allein k nne nicht das τέλειοναγαθόν sein.

Was nun hier ber den Gebrauch der Termini φρόνηση und σοφία festgestelltwird, kann nicht als eine Feststellung blo er Zuf lligkeiten abgetan werden. DasVerh ltnis φρόνησι$—σοφία, wie es in MM I 34 dargestellt wird, wird n mlich nurnoch in EN VI13 so vorausgesetzt, w hrend in vielen Schriften des CA der Ter-minus σοφία gar nicht61 oder nur nebenbei 62f llt. Der Terminus σοφία kommt fastnur in Met., EN VI und X und MM I 34 vor88, aber auch dazu ist noch zu bemerken,da an manchen Stellen der Met.** φρόνηση gesagt wird, wo der Kenner der MM(I 34) und der EN (VI u. Χ) σοφία erwarten w rde65. — Das alles darf man als einZeichen daf r werten, da in MM I 34 die Partien ber die σοφία erst sp ter ein-gef gt worden sind (es wird ja auch noch eine Rechtfertigung f r die Behandlungder σοφία f r n tig gehalten: 1197 b 27—35), d. h. aber: da I 34 eine Umgestaltungerfahren hat.

8. Noch etwas l t auf sp tere Eingriffe in I 34 schlie en: dieUneinheitlichkeit dieses Kapitels selbst. Es w re festzuhalten:

a) In 1197 a 16—20 wird gesagt, die φρόνησις sei eine αρετή, undes werden daf r zwei Argumente angef hrt; 1197 b 3—10 wirdvom Tugendcharakter der φρόνησις (als des Schlechteren) auf dender σοφία (als des Besseren) geschlossen66. Trotzdem wird 1198

61 Z.B. nicht in: Kateg., De Interpr., Topik, Anal. Pr., De Anima, Politik, DeCaelo, Phys. — vorausgesetzt, da die Indices der Oxford-Ausg. ersch pfend sind!

62 Anal. Post. II 2, 89 b 8; Soph. El. 11,171 b 29, 34; Rhet. I 9,1366 b 3; in 111,1371 b 27—28 findet sich zwar eine Definition der σοφία (= πολλών καΐ θαυμαστώνεπιστήμη), aber keine Spur von einer Unterordnung der φρόνησι$.

63 Zu erw hnen w re — nach BONITZ, Index Ar. — noch: Hist. An. VIII l, 588a 29 und Meteor. II l, 353 b 6, a 35.

64 z. B. Met. I 2, 982 b 24; IV 5, 1009 b 13; 32; XIII 4, 1078 b 15; aber auch inDe Caelo III l, 298 b 23.

65 Auch in PLATONS Phaidon hat die φρόνηση diese Funktion und diesen Rang:vgl. JOH. HIRSCHBERGER, Die Phronesis in der Phil. Platons vor dem „Staat" (Philo-logus, Suppl.-Bd. XXV, H. 1), Leipzig 1932, bes. S. 147ff. Umgekehrt finden wirdie σοφία manchmal auch im Bereich des Praktischen — wo man also (von MM I 34und EN herkommend) den Terminus φρόνησι$ erwarten w rde — z. B. Prot. 321 d;329e; Staat 365d, 427e—429a; 443e.

66 Das ,,o>s φαμέν" in 1197 b 5 h lt einen davon ab, das ,,δόξειεν αν" von 1197a!6 nur als „vorsichtige Behauptung zu fassen", wozu DIRLMEIER, S. 352, neigt.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 247

a 22—31 nochmals die Frage aufgeworfen, ob die φρόνηση eineαρετή sei, und so behandelt, als ob vorher noch gar nicht dar bergesprochen worden w re. Man hat den Eindruck, als w rde andieser Stelle ein lteres St ck wieder aufgegriffen, w hrend es sichvorher um Neueinf gungen handelt.

b) 1198 a 8—9 wird die Erg nzungsbed rftigkeit des anordnen-den Aoyos behauptet, wenn dieser vollendete Tugend werden soll67,dagegen m chte man 1198 a 30—31 mit dem Anordnen der φρόνησιςderen vollkommene Lobw rdigkeit begr nden68, was doch nurder vollendeten, ganzen Tugend zugestanden werden kann, nichtaber der φρόνησι$ allein, und zwar auch dann nicht, wenn ausge-f hrt wird, was sie anordnet, weil sie auch dann nur ein Moment derganzen, vollendeten Tugend ist.

c) 1198 a 32 — b 8 wird die Frage gestellt und beantwortet, ob dieφρόνησις praktisch sei, obwohl diese doch vorher schon (1197 a 15,b 25) als πρακτική bezeichnet worden ist. Beim ersten Hinsehenk nnte man noch meinen, da eben jetzt erst die Begr ndung daf rgeliefert werde. Aber dem ist nicht so: πρακτική hat in diesem Ab-schnitt einen anderen Sinn als an den zwei fr heren Stellen. Indiesem Abschnitt hier (1198 a 32 — b 8) wird das Praktischsein derφρόνηση genauso begr ndet wie im vorhergehenden das Tugendsein:wie dort vom Tugendcharakter der gehorchenden ,,Tugend" auf dender anordnenden φρόνησι$ geschlossen wird, so hier vom Praktisch-sein der ausf hrenden,,Tugenden'' auf das der anordnenden φρόνησις.Dabei wird das Verh ltnis zwischen der ausf hrenden,,Tugend" undder anordnenden φρόνησι$ verglichen mit dem Verh ltnis zwischendem ausf hrenden Bauarbeiter (υπηρέτης) und dem planenden Bau-meister (αρχιτέκτων). Wie hier nicht nur vom Ausf hrenden gesagtwerden k nne, er baue das Haus, sondern auch vom Planer, so sei esauch bei den anderen Weisen des Handwerks, wo es einen Planer(αρχιτέκτων) und einen Ausf hrenden (υπηρέτης) gebe, und auch beiden Tugenden. — Hier wird also das Praktischsein der φρόνησις gera-de als Planen und Anordnen verstanden, an den fr heren Stellen dage-gen als Ausf hren, weil vor dem „πρακτική" ein „προαιρετική*' steht69,

67 ουδ' αΟ ό Aoyos καΐ ή προαίρεση ου πάνυ τελειουται τω είναι αρετή άνευ τηςφυσικής ορμής. Vgl. auch 113, 1200 a 8—10: ούτε yap άνευ της φρονήσεως atάλλαι άρεταΐ yivovrai, ουθ* ή φρόνησις τελεία άνευ των άλλων αρετών . . .

68 ή γε φρόνησις τελείως &ν εϊη καΐ επαινετή καΐ αρετή.69 1197 a 13—14: ή φρόνησις αν εϊη έξις τις προαιρετική καΐ πρακτική . . .

b 22—24: του yap φρονίμου καΐ της φρονήσεώς εστί το των βέλτιστων έφίεσθαικαι τούτων προαιρετικόν είναι καΐ πρακτικόν α ε ί . . .

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248 Karl B rthlein

mit dem sicher nur das Planen gemeint sein kann70. — Das Vor-handensein des diskutierten Abschnitts heben den zwei anderenπρακτική-Stellen und der verschiedene Gebrauch des Terminusπρακτική bezeugen also auch die Uneinheitlichkeit von I 34 undsind Spuren einer sp teren Umgestaltung dieses Kapitels.

Ob nun die Partie ber den ολ (1198 a 13—21) erst durch diesesp tere Umgestaltung hereingeraten ist, l t sich freilich nicht mitSicherheit entscheiden. Wahrscheinlich ist sie erst sp teren Ur-sprungs, da sie ohne die vorausgehende Partie ber Sokrates un-denkbar ist, diese Sokrates-Partie aber insofern verd chtig ist, alsan zwei fr heren Stellen (I l, 1182 a 15—23, und 11, 1183 b 8—18)bereits in einem hnlichen Sinne gegen Sokrates polemisiert wordenist. — Aber hat man die Differenzen zwischen I 34 und anderenPartien der MM sowie die Uneinheitlichkeit von I 34 einmal fest-gestellt und die Tatsache einer sp teren Umgestaltung dieses Ka-pitels zugegeben, dann wird man die hier sich findende Auslegungder Formel „κατά τον ολ πράττειν", die eine Zur ckweisung dieserFormel notwendig macht, nicht mehr so voreilig zur Interpretationvon II 10 verwenden, wo die κατά-Formel zwar auch vorkommt,aber doch nicht zur ckgewiesen wird.

Die meisten Stellen, bei welchen der Terminus „ολ" anders ge-braucht ist als in II 10, finden sich in der εγκράτεια-Abhandlung(II 6, eingeleitet durch II 4). Es lassen sich schwerwiegende Argu-mente aus II 6 entnehmen, die f r die Annahme sprechen, da dieεγκράτεια-Abhandlung urspr nglich nicht zu jener Ethik geh rte,die durch 11—33 und II10 repr sentiert wird. Wir holen unser

70 Auch dieser Unterschied im Gebrauch des Terminus πρακτική ist in MM l 34kein Zufall, sondern auch in anderen Schriften des CA anzutreffen. Die gleichePosition wie im diskutierten Abschnitt von I 34 (1198 a 32 — b 8) findet sich nurnoch in der Politik 113, 1260 a 18—19, und VII 3, 1325 b 21—23. Dagegen liestman — wie schon in PLATONS Politikos (259 c—260 c, 305 d l—4) — in Met. 11,981 b 5—6, da die Planer gerade nicht in Hinsicht auf das Praktischsein weiserseien als die Handarbeiter, sondern sofern sie die Gr nde kannten; und in EN VI 8,1141 b 14—29, wird sogar gelehrt, da die φρόνηση nur πρακτική sei, sofern sieKenntnis des einzelnen sei, nicht aber, sofern sie sich mit dem Allgemeinen befasse,und αρχιτεκτονική sei: ούδ' εστίν ή φρόνησις των καθόλου μόνον, αλλά δει καΐ τακαθ* έκαστα γνωρίζειν -πρακτική γαρ, ή δε πραξις ττερί τα καθ* έκαστα, διό καΐΙνιοι ουκ είδότες ετέρων είδότων πρακτικώτεροι.... ή δε φρόνηση πρακτική, ώστεδει άμφω εχειν, ή ταύτη ν μάλλον, είη δ* αν τις καΐ ενταύθα αρχιτεκτονική. "Εστί δεκαΐ ή πολιτική καΐ ή φρόνηση ή αυτή μεν έξις, το μέντοι είναι ου τούτον αύταΐ$. τηςδε περί πόλιν ή μεν ώ$ αρχιτεκτονική φρόνηση νομοθετική, ή δε ώ$ τα καθ' έκαστατο κοινόν έχει όνομα, πολιτική· αύτη δε πρακτική καΐ βουλευτική· το yap ψήφισμαπρακτόν ώ$ το Ισχατον. διό πολιτεύεσθαι τούτους μόνον λέγουσιν μόνοι γαρπράττουσιν ούτοι ώσπερ οί χειροτέχναι.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 249

Hauptargument aus der Aporie ber das Verh ltnis zwischen Be-sonnenheit und Selbstbeherrschung (1201 a 9—16) und der Auf-l sung dieser Aporie (1203 b 12—23).

Die Aporie legt die Meinung zugrunde, der Besonnene (σώφρων)sei auch beherrscht (εγκρατής), und fragt dann, ob etwas dem Be-sonnenen heftige Begierden bereiten k nne. Wenn es n mlich sosein sollte, da er beherrscht sei, dann werde er heftige Begierdenhaben m ssen, da der Beherrschte nicht blo ber m ige Be-gierden Herr werde. Wenn er aber heftige Begierden habe, dann seier nicht mehr besonnen, da der Besonnene nicht begehre und ber-haupt nicht affiziert werde71. — Wir brauchen davon nur denletzten Satz festzuhalten: der Besonnene begehrt nicht und wird

berhaupt nicht affiziert. Man kann zun chst berrascht sein, einensolchen Satz in einer Schrift des CA zu lesen, aber wir lesen hn-liches auch noch bei der Aufl sung der Aporie (1203 b 12—23). Eswird dort zugegeben, da der Besonnene auch beherrscht sei, weilja beherrscht nicht nur der sei, welcher Begierden habe und siedurch den λόγος im Zaume halte, sondern auch der, welcher sienicht habe, sie aber beherrschen k nnte, wenn sie sich einstellten. —Nur in diesem zweiten Sinne ist der Besonnene auch beherrscht,genauer: nur die Selbstbeherrschung im zweiten Sinne, d.h. alsδύναμις, ist in der Besonnenheit involviert (b 19—20). Und diesesInvolviertsein besagt, da eine Umkehrung des Urteils „Der Be-

71 Ich lese also wieder mit RASSOW und SUSEMIHL 1201 a 14—16 so: et δε γεσφοδράς Ιξει έτπθι/μία$, ονκέτι Ιστοα σώφρων (ό γαρ σώφρων εστίν ό μη έτπθυμώνμηδέ πάσχων μηθέν). — W rde man die Eingriffe Rassows (vorgelegt in: Observa-tiones criticae in Aristotelem, Berlin 1858, p. 19/20, akzeptiert von BONITZ, STOCK,ARMSTRONG u. GOHLKE, noch nicht beachtet oder gekannt von RIECKHER undBENDER) (Atethese des μη in a 14 und 6 statt oO in a 15) nicht akzeptieren, dannw re die Aporie schon beseitigt und es g be keine Bedenken mehr gegen die in Fragestehende These, da der Besonnene auch beherrscht sei, da ja von beiden (vomBesonnenen und vom Beherrschten) behauptet w rde, da sie heftige Begierdenhaben. DIRLMEIERS Ablehnung der Rassow'schen Eingriffe ist vom Bedenken be-stimmt, da die Lesung von Rassow ,,Stoisches" lehre und in striktem Widerspruchzu MM I 21,1191 b 10, stehe. Man kann aber, um diese oder hnliche Konsequenzennicht ziehen zu m ssen, nicht den Sinn des betreffenden Satzes so ab ndern, dadieser nicht mehr im Gegensatz steht zum vorausgehenden, demzufolge ja der Be-sonnene wegen seiner angenommenen Gleichheit mit dem Beherrschten schon heftigeBegierden haben m te; wenn n mlich der betreffende Satz besagen sollte, der Be-sonnene m sse heftige Begierden haben, damit oder weil er kein αναίσθητος sei,wird es schwierig: denn wodurch w rde dann die vorangestellte These noch inFrage gestellt ? Au erdem gibt es ja noch einige andere Stellen in II 6, die RassowsEingriffe rechtfertigen.

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250 Karl B rthlein

sonnene ist beherrscht" nicht m glich ist72. Besonnen ist f r denAutor einer, der keine schlechten Begierden hat (b 17)73 und nichtaffiziert wird (b 21: ό μη πάσχων), d. h. also: wir haben hier dengleichen Besonnenheitsbegriff wie in 1201 a 14—1674, denn vomBesonnenen wird ja nicht nur gesagt, da er nicht affiziert werde(ό μη πάσχων), sondern auch, da er keine Begierden (έπιθυμίαι)habe (weil er nicht so sei wie der Beherrschte im ersten Sinne), nochmehr: da er nicht einmal Begierden haben k nne (weil er nichteinmal so sei wie der Beherrschte im zweiten Sinne: b 21—23). Wirk nnen also die Strenge dieser Besonnenheit nicht dadurch mildern,da wir unter den Begierden, die dem Besonnenen fehlen, nurschlechte Begierden verstehen (in b 13 und 16 hat nun einmal,,επιθυμιών" dieses Attribut nicht) und unter dem πάσχειν, wovoner verschont bleibt, nicht ein von Leidenschaften Aufgew hlt- undHin- und Hergerissenwerden, sondern m ssen zugeben: Besonnen-heit hei t hier: Empfindungslosigkeit berhaupt, Empfindungsun-f higkeit, Apathie. Man fragt sich, woran sich die Besonnenheit

berhaupt noch bew hren will75.Aber diese radikale Ablehnung der Gef hle, die Gegenstand der

εγκράτεια sind, spricht auch noch aus anderen Stellen der εγκράτεια-Abhandlung. — Als unbeherrscht schlechthin — ohne weiteren Zu-satz — gilt der, welcher es gegen ber den Freuden des Leibes ist(1202 b l—4). W hrend nun Unbeherrschtheit gegen ber anderenDingen (Ehre, Macht, Reichtum . . .) bis zu einem gewissen Gradsogar gelobt werden k nne, weil diese Dinge nicht verwerflich seien(1202 a 35 — b 7), sei die Unbeherrschtheit schlechthin verwerf-

72 Der Autor scheint diesen Selbstbeherrschungsbegriff als den umfassenden Be-griff, den Besonnenheitsbegriff als den umfa ten (bestimmter dem Inhalt nach,aber von geringerem Umfang) zu betrachten, so da er das (subsumierende) Urteil:„Der Beherrschte ist besonnen" f r falsch halten mu .

73 Man wird mit ARMSTRONG, a. a. 0. S. 610, den Ze en 1203 b 16—19 skeptischgegen berstehen m ssen, da diese den σώφρων nur im ersten Sinne definieren;daher sollte man auch mit dieser Bestimmung der Besonnenheit nicht zuviel ope-rieren.

74 Wir brauchen also dort RASSOWS Eingriffe nicht r ckg ngig zu machen!75 hnlich fragt auch ARMSTRONG, S. 610/11. GOHLKE (S. 153) bemerkt dazu:

,,Dies ist die ltere, der Mesotes-Lehre vorausliegende Auffassung der M igung".Doch wertet er diese Stelle nicht als ein Argument f r die Uneinheitlichkeit, sondernh lt die Stellen, die die entgegengesetzte Position vertreten (wir kommen nochdarauf zu sprechen), f r sp tere Zus tze. Man wird pr fen m ssen, ob man damitwird auskommen k nnen, oder ob man nicht vielmehr die εγκράτεια-Abhandlungals eine fr her — oder von einem anderen Autor — verfa te, aber erst sp ter ein-gef gte Partie wird betrachten m ssen.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 251

lieh, weil die Freuden des Leibes verwerflich seien76. — Auch 1202b 21—28 wird der Trieb zum Zorn, obwohl er auch eine Form derUnbeherrschtheit ist, f r nicht so tadelnswert gehalten wie derTrieb zur Freude77. — Schlie lich wird noch bei der Unterscheidungvon pl tzlicher und mit berlegung verbundener Unbeherrschtheit(1203 a 30 — b 11) die Meinung vertreten, durch die vorbeugende

berlegung k nne es in diesen Dingen erreicht werden, da mannicht affiziert werde (b 1/2: μηθέν πάθει v, b 5: ουδέν πείσεται). Wird rfen in dieser Stelle einen weiteren Beleg daf r sehen, da demAutor von II 6 die Affektlosigkeit und Apathie gegen ber den leib-lichen Regungen als Ideal vorschwebt.

Wir konfrontieren nun die genannten Stellen aus II 6 den dies-bez glichen aus I l—33. Zuerst aus der σωφροσύνη-Abhandlung(I 21)! Der Gegenstand der σωφροσύνη ist der gleiche wie der derεγκράτεια: n mlich die Freuden des Tast- und Geschmacksinnes.Aber die σωφροσύνη wird hier nicht als Empfindungslosigkeitgegen ber diesen Freuden betrachtet, sondern f r sie wird ein tat-s chliches Empfinden dieser Freuden gefordert, und zwar wird diesso ausdr cklich getan, da man meinen m chte, es sollten damitForderungen, wie sie in II 6, 1201 a 14—16 und 1203 b 12—23 zulesen sind, zur ckgewiesen werden. Es hei t hier (1191 b 10—14)n mlich: Und nicht der Mann wird als besonnen zu gelten haben,der in einer solchen Verfassung ist, da ihn auch nicht eine einzigeder genannten Lustempfindungen affizieren kann — denn einsolcher Mensch w re stumpfsinnig —, sondern erst der ist besonnen,der zwar affiziert wird, aber sich nicht hinrei en l t . . ,78. — Aberauch die Empfindungslosigkeit gegen ber anderen Gef hlen wirdrecht nachdr cklich (als κακώς εχειν, als ένδεια) zur ckgewiesen: sogegen ber den Gef hlen des Zornes (I 7, 1186 a 18—21; I 22, 1191b 32—34) und der Furcht (I 20, 1191 a 25—30)79.

76 1202 b 7/8: cd δ* ήδοναί αί σωματικοί ψεκταί — Aber trotz der Behaup-tung dieser Verwerflichkeit f hrt der Autor fort: „Daher ist es billig, da , wer sichmehr als notwendig (μάλλον του δέοντος) auf diese einl t, unbeherrscht im Voll-sinn genannt wird". Hier wird also etwas f r verwerflich gehalten, was doch nichtganz entbehrt werden kann.

77 b 22/23: ή δε προς [την] ηδονή ν ορμή ψεκτή . . . — unter Freude kann hiernur die „leibliche Freude" gemeint sein.

78 1191 b 10—14: ουδέ δη περί ταύτας άνήρ σώφρων Ισται <ό> ούτως έχωνώστε μηδ' υπό μιας των τοιούτων ηδονών μηθέν πάσχειν (6 μεν γαρ τοιούτοςαναίσθητος), αλλ' ήδη ό πάσχων καΐ μη αγόμενος . . .

79 Auch in der Behandlung des Einwands, der σωφροσύνη sei nicht die αναισθησία,sondern die ακολασία entgegengesetzt (I 9, 1186 b 8—11), d rfen wir wohl eine Po-lemik gegen die in II 6 vertretene These von der σωφροσύνη erkennen.

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252 Karl B rthlein

Man ist freilich geneigt, nur die an zweiter Stelle charakterisiertePosition, die mit dem Begriff der ,,Mitte" verbunden ist, als aristo-telisch anzuerkennen. Die von uns aus II 6 herausgearbeitete Po-sition m chte man h chstens noch als stoisches Lehrgut einordnen.Demgegen ber mu aber darauf hingewiesen werden, da schon dieEE und die E N eine Tugenddefinition referieren (und ablehnen),nach welcher die Tugend in der Apathie gesucht wird80. Ja, wir m ssennoch weiter gehen: die Bestimmung der Tugend als Apathie findet sichauch in der aristotelischen Topik. Dort (IV 5,125 b 20—27) wird dieSubsumierung der έξεις unter die Klasse der δυνάμεις, wie sie in derDefinition einer Tugend (z. B. der Sanftmut, der Tapferkeit oder Ge-rechtigkeit) als εγκράτεια vorl ge, verworfen, indem der Tapfere undder Sanftm tige als απαθής und durch das „το όλως μη πάσχει ν . . .μηδέν" charakterisiert wird, der Beherrschte dagegen als πάσχωνκαι μη αγόμενος; sofern aber unter Selbstbeherrschung die F higkeitverstanden werde, bei eventuellem Affiziertwerden sich nicht hin-rei en zu lassen, wird ein Involviertsein der Selbstbeherrschung inder Tugend f r m glich gehalten. — Wir haben hier also die gleichePosition wie in MM II 6, 1203 b 12—2381.

Schwierigkeiten bereiten derartige Stellen im CA nur dem, derin dieser Position nur etwas Stoisches zu sehen vermag; dochwundert sich nicht dar ber, wer sich erinnert an den radikalenVerzicht auf die Freuden des Leibes, der dem Philosophen in PlatonsPhaidon (64d—65 a) als Ziel vorschwebt und der f r die Menge demTod gleichkommt82. Er wird hierher rechnen alle jene Stellen, an

80 EE II 4, 1222 a 3—4: διό καΐ διορίζονται τίνες προχείρως άπάθειαν καΐήρεμίαν περί ήδονά$ καΐ λύπα$ είναι τας άρετά$ . . . ΕΝ II 2, 1104 b 24—26: διό καΐδιορίζονται τά$ άρετάς άπαθείας τινάς καΐ ηρεμίας· ουκ ευ δε, δτι άπλώ$ λέγουσιν,αλλ* ούχ ώ$ δει καΐ ώ$ ου δει καΐ δτε, καΐ δσα άλλα προστίθεται.

81 Η. ν. ARNIM (Das Ethische in Aristoteles' Topik, S. 22) bemerkt zu dieser Stellenur: „Das sieht so aus, als ob Ar. damals noch nicht die Metriopathie, sondern dieApathie als Ideal aufgestellt h tte. Aber das ist sehr unwahrscheinlich ..." —DIRLMEIER, S. 376, verweist darauf, da Ar. ,,an der Topikste e die Besonnenheitwohlweislich aus dem Spiel gelassen" habe; —„h tte er sie an der Topi stelle nochunterbringen wollen, so h tte er sagen m ssen: bei der Bes. ist es anders; da hei tdas Merkmal „το δλω$ μη πάσχει ν μηδέν Οπό των φαύλων επιθυμιών*'. — Aberdieser Ausweg ist doch nicht m glich. Erst QOHLKE (Topik, Paderborn 1952, S. 336)wertet diese Stelle in dem Sinne, da er sagt, sie m sse „vor Einf hrung des Be-griffes der rechten Mitte geschrieben sein". — Es lie en sich als weitere Stellen, diezum Apathie-Ideal tendieren, vielleicht noch anf hren: Pol. III 15, 1286 a 17—19und Phys. VII 3, 246 b 19—20 (dagegen allerdings: 247 a 3—4).

82 65 a 4—7: . . . δοκεΐ. . . έγγν$ τι τείνει ν του τεθνάναι ό μηδέν φροντίζων τωνηδονών αϊ δια του σώματό$ είσιν.

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 253

welchen eine Losl sung vom Leibe deshalb gefordert wird, weil unsder Leib mit Begierden und Bef rchtungen anf lle (z. B. 66 a 3—6;c 2—4). Er kann sogar auf Bestimmungen der Tugend und desPhilosophen verweisen, die eine Absage an alle Begierden be-deuten88. — Doch mu freilich auch gesagt werden, da Platon imPhilebos nicht mehr dem Rationalen (φρόνηση, vo $, επιστήμη) alleinund der Unempfindlichkeit f r Lust und Unlust (21 e 2: απαθής) dasWort redet, sondern einer Verbindung der verschiedenen Formen desWissens mit verschiedenen Arten der Freude. Zu den letzteren z hlendie wahren und reinen Lustgef hle (die aus dem H ren, Sehen, Rie-chen und Wissen entspringen), dann aber auch die, welche mit derGesundheit, dem besonnenen Leben und dem gesamten sittlichenVerhalten verbunden sind (63e). — Wenn Platon hier die mit derGesundheit, zugleich aber auch die mit der Besonnenheit verbun-denen Lustgef hle zugesteht, h lt er (hier im Phil.) das Haben vonk rperlichen Lustgef hlen f r vereinbar mit der Besonnenheit.Gleichwohl steht fest, da Platon selbst im Phaidon und z. Z. der Ab-fassung des Philebos gewisse Vertreter seiner eigenen oder einer ande-ren (vielleicht der kynischen) Schule dem Apathieideal gehuldigt ha-ben, so da wir uns nicht wundern d rfen, wenn die eine oder andereStelle einer Schrift des CA noch Spuren hnlicher Tendenzen aufweist.

Nun wieder zur ck zu MM II 6! Die Bestimmung der Besonnen-heit als Apathie ist nur ein Punkt, in dem dieses Lehrst ck vom

brigen Teil der MM abweicht. Es kann noch ein weiterer Diffe-renzpunkt aufgezeigt werden: in der am Ende von II 7 stehendenPartie, die das Verh ltnis von λόγος und πάθος in der Tugend unter-sucht, wird eine These verworfen, die von „den anderen" vertretenwird und behauptet, der λόγος sei Anfang und F hrer der Tugend84.Man glaubte, mit den „ l άλλοι" seien die Stoiker (Susemihl,Introd., p. XII) oder die Altakademiker (v. Arnim, Die drei ar.Ethiken, S. 9) oder Sokrates (Dirlmeier, S. 418/19) gemeint, und

bersah dabei, da die hier abgelehnte Position in II 6 vertretenwird. In II 6,1203 a 15 hei t es n mlich: . . . εστίν ό λόγος εκάστουαρχή . . . und ebenso: a 21/22: εστίν δε ή αρχή ό λόγος — in 1203b 8—10 schlie lich wird der λόγος als ήγεμών bezeichnet85. Das

88 Phaid. 69 c l—2; 82 c 2—8: l ορθώς φιλόσοφοι άπέχονται των κατά τοσώμα επιθυμιών άπασών 83 b5 — c8; d 4—6.

Μ MM II 7, 1206 b 17—19: απλώς δ* ούχ, ώσπερ οϊονται οί άλλοι, της αρετήςαρχή καΐ ήγεμών Ιστΐν ό λόγος, αλλά μάλλον τα πάθη.

85 . . . δ τε λόγος προκαταλαβών ουκ αν ίάσαιτο. ήγεμών γαρ ούτος εν αύτφυπάρχει, φ οοτι πειθαρχεί. . . .

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254 Karl B rthlein

f gt sich gut zu der These, da bei der Selbstbeherrschung λόγοςund πάθος einander noch gegen berst nden (II 4, 1200 b 3/4), beider Unbeherrschtheit sogar miteinander im Kampfe l gen (II 6,1203 b 25/26); denn hier wird dem λόγο$ eine Wirkkraft, ein Strebe-verm gen zugeschrieben, auf Grund deren (bzw. dessen) er αρχήund ήγεμών sein kann86.

Die zwei von uns aufgezeigten Differenzpunkte sprechen alsodaf r, da die εγκράτεια-Abhandlung in einer fr heren Periodeoder von einem anderen Autor geschrieben worden sein mu . Nunmag es immer noch schwer fallen, dieses ganze Lehrst ck lediglichauf Grund der wenigen differierenden Stellen, die angef hrt werdenkonnten, zu eliminieren. Wollte man aber stattdessen wenigstensdie zu II 6 im Widerspruch stehenden Stellen in I l—33 als sp tereZus tze deklarieren, wie es Gohlke vorschl gt, so m te man auchalle Stellen ber die „Mitte" f r sp ter halten, so da man sichfragen m te, was da noch brigbliebe von den MM, speziell vonden Untersuchungen ber die Einzeltugenden. F llt es da nichtleichter, den gr eren Teil der Schrift gegen eine ltere Theoriegerichtet zu denken, von der uns in der εγκράτεια-Abhandlung einSt ck erhalten geblieben ist ? Es handelt sich n mlich dabei wirk-lich um zwei verschiedene Ans tze: die ltere Theorie arbeitetmit dem Gegensatz: Tugend (= Apathie)—Selbstbeherrschung(= Kampf mit den πάθη, Weg zur Tugend), die neuere dagegenlehnt das Apathieideal ab und versucht mit Hilfe des μεσότης-Be-griffes den πάθη eine gewisse Daw^rberechtigung innerhalb desEthos zuzugestehen. Damit wird aber die Tugend nicht nur als dasferne und unerreichbare Ziel verstanden, sondern als Weg, alsst ndige Auseinandersetzung mit den πάθη, die nie beseitigt werdensollen: d. h. aber doch, da damit der Gegensatz (der lterenTheorie) „Tugend—Selbstbeherrschung" verschwindet und ein wei-teres Festhalten an dem Begriff der εγκράτεια und weitere Traktateber ihn keine Berechtigung mehr haben. Nicht nur das Apathie-

ideal, sondern auch der Begriff der εγκράτεια sind unvereinbar mitdem μεσότηs-Begriff. Man kann nicht, wie es nachher die EN (I 13,1102 b 26—28; VII11, 1151 b 34 — 1152 a 3) tun wird, die έγκρά-

86 Wir d rfen hier wohl eine Spur jener lteren Theorie sehen, von der v. ARNIM,Das Ethische in Ar. Topik, S. 9, spricht, die „noch der Denkseele selbst die βούλησι$,d. h. das Wollen des von ihr als gut Erkannten, zuschrieb". In der Abhandlung

ber das Freiwillige und das Vorgezogene war keine Klarheit dar ber zu finden,woher der Antrieb kommen soll, der zum Wissen bzw. zur berlegung hinzutretenmu .

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 255

τεισ und die als Mitte verstandene Tugend in der Weise einandergegen berstellen, da man die εγκράτεια als Kampf gegen schlechteBegierden, die Besonnenheit aber als Harmonie mit guten Begierdenund Freuden charakterisiert87. Denn die Begierden und Freudendes Besonnenen sind von gleicher Natur wie die des Beherrschtenund unterscheiden sich h chstens dem Grade nach; und die Mittel,mit welchen der Beherrschte gegen seine Begierden k mpft, sinddie gleichen wie die, auf Grund welcher sich der Besonnene mitseinen Begierden leicht auseinandersetzen kann, und auch hier liegtnur ein gradueller Unterschied vor. Es ist berhaupt nur noch eingradueller Unterschied denkbar zwischen dem Beherrschten unddem Besonnenen, d. h. zwischen dem Verh ltnis, das beim Be-herrschten zwischen Wille und Trieb herrscht, und dem, das beimBesonnenen zwischen Wille und Trieb besteht. Wenn aber dieserUnterschied nur ein gradueller ist, f llt er in die als Mitte verstan-dene Tugend, und der Begriff der εγκράτεια wird berfl ssig. In derEN ist das Vorhandensein der εγκράτεια-Abhandlung wohl durchein unkritisches Festhalten des Autors bzw. Redaktors an der Vor-lage zu erkl ren, in den MM dagegen kann es nicht einmal soerkl rt werden. In der εγκράτεια-Abhandlung der MM ist zwar derBegriff der εγκράτεια gefordert durch den Begriff der Tugend(= Apathie) — gefordert jedenfalls bei der Voraussetzung, da zudieser Tugend berhaupt ein Weg f hrt88—, aber die Abhandlung alsGanzes ist unvereinbar mit dem gr eren Teil der MM. Wie undwarum ist sie dann berhaupt in diese Schrift gekommen ? Da esauch keine befriedigende Erkl rung daf r gibt, warum sie geradean dieser Stelle der MM steht (man k nnte sie sich ebensogut auch

87 Es m te einmal gepr ft werden, ob dieser Besonnenheitsbegriff der EN nichtberhaupt erst durch die Verquickung zweier urspr nglich verschiedener Besonnen-

heitsbegriffe entstanden ist: n mlich aus dem — auf Platon zur ckgehenden — voneiner Besonnenheit in einem weiteren Sinne, d. h. von einer Tugend der ganzen undin sich harmonischen Seele, und aus dem einer Besonnenheit im engeren Sinne, d. h.von einer Tugend des έτπθυμητικόν.

88 Wir haben also nicht nur in der Auslegung der Tugend als Apathie eine An-n herung an die stoische Ethik, sondern auch in dem Gegensatz Tugend—Be-herrschtheit; denn dieser Tugendbegriff hat (allerdings nur, wenn man ihn alsGegensatz zur εγκράτεια betrachtet) doch gro e hnlichkeit mit dem stoischenBegriff der Tugend, der auch keine Gradunterschiede mehr zul t und den Weisen,den Tr ger dieser Tugend, als einen schlechthin Vollendeten beschreibt, w hrendder Begriff der εγκράτεια dem der προκοπή, des Fortschreitens, entspricht. — Zudiesen Vergleichen berechtigt uns auch die Diskussion, die im Peripatos ber dieZulassung von Gradunterschieden bei der Tugend gef hrt worden ist (Kat. 8, 10 b26—11 a 5).

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256 Karl B rthlein

an verschiedenen anderen Stellen zwischen 11 und I 20 vorstellen),kann man sich nur mit der Annahme behelfen, sie sei bei einer Neu-ausgabe (oder zweiten Vorlesung) und Erweiterung einer (auch)schon vorhandenen Schrift (oder Vorlesung) zusammen mit nocheinigen anderen Untersuchungen zu einem Ganzen, das alles (irgend-wie hierhergeh rige) Vorhandene umfassen sollte, verbundenworden. — Die εγκράτεια-Abhandlung ist daher wohl aus der Ur-fassung der MM auszuscheiden. — Damit d rfte aber auch dasProblem gel st sein, das sich uns auf Grund des verschiedenen Ge-brauchs des Terminus „ολ" in II 6 und II10 gestellt hatte.

Die einzige ολ-Stelle, die noch aussteht und die eventuell eineandere Bedeutung hat als die in II 10, steht in II 8, in der Abhand-lung ber die ευτυχία. Wir k nnen auch hier wieder fragen: Hatdiese Abhandlung zur Urform der MM geh rt? Und mit einigerWahrscheinlichkeit l t sich diese Frage mit „Nein" beantworten.Es lassen sich drei Punkte f r dieses wahrscheinliche „Nein" an-f hren:

1. Vorausgesetzt, da es sich bei dieser Eutychie um das unver-diente Zufallen von u eren G tern handelt, mu man es f r sehrunwahrscheinlich halten, da in einer Ethik, die die ευδαιμονία alsευ πράττειν und dieses wiederum als κατά τά$ άρετάς πράττειν aus-legt, auch ber das von uns unabh ngige Zufallen von Gl cksg terngehandelt worden sei. Man kann nur annehmen, da das bei unsliegende Verhalten zu den Gl cksg tern untersucht worden istund da daf r Normen angegeben worden sind. Diese Untersuchungaber haben wir in II 9, in der Kalokagathie-Abhandlung; denn dieKalokagathie wird da nicht nur als vollendete Sittlichkeit demvollendet trefflichen Menschen (τελέοο$ σπουδαίος) beigelegt, sondernauch als richtige Einsch tzung der Gl cksg ter verstanden89. Mehrkonnte in einer Ethik, die diesen Eudaimoniebegriff zugrunde legt,wirklich nicht gesagt werden, als da der Mensch innerlich starkgenug sein m sse, um vor dem Gl ck nicht fliehen zu m ssen odergar zu wollen.

2. Die Anf gung der Eutychie-Abhandlung wird ebenso motiviertwie die Anf gung der ηδονή-Untersuchung (II 7, 1204 a 19 — 1206a 35) und die der φιλία-Abhandlung (II 11—17), n mlich mit dem

89 Die Gl cksg ter soUen zwar als G ter (απλώς αγαθά) den Tugenden als Werten(καλά) nicht vorgezogen werden, sollen aber auch nicht mi achtet oder gar ge-mieden werden, weil sie etwa Gefahr (f r die Tugend) oder Versuchung bringenk nnten (1207 b 38 —1208 a 4).

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Der „ΟΡΘΟΣ ΛΟΓΟΣ" in der Gro en Ethik 257

Hinweis, es werde von der Eudaimonie gehandelt. Diese Motivierungist verd chtig. Sie ist auff llig und erweckt den Eindruck, als seiendamit urspr nglich selbst ndige Abhandlungen erst einem anderenGanzen eingef gt worden. Auch die Stellen, an welchen diese St ckejetzt stehen, verst rken diesen Verdacht. Bez glich der ηδονή-Ab-handlung hat bereits H. v. Arnim (Die Echtheit . . ., S. 240—243;Der neueste Versuch . . ., S. 42—47) diese Bedenken ge u ert. Manwird sie auch bez glich der Eutychie-Abhandlung anmelden m ssen,da diese viel eher in die G tereinteilungen in I 2 pa t. Bei derφιλία-Untersuchung ist es noch wahrscheinlicher, da sie erst sp terangef gt worden ist, da II10 ohne allen Zweifel einmal das Schlu -kapitel der urspr nglichen Fassung war.

3. Der gedankliche Aufbau und Zusammenhang von I I — II10wird verst ndlicher, wenn wir die Abhandlungen ber die εγκράτεια(II 4—6), ber die ηδονή (II 7, 1204 a 19 — 1206 a 35) und berdie ευτυχία (II 8) ausklammern. Das Problem, warum das so wich-tige Kapitel ber den ολ (II10) ausgerechnet an dieser Stelle steht— so weit entfernt von den Untersuchungen ber die Einzeltugen-den, ber die Gerechtigkeit und ber die Phronesis — und warumam Anfang von II 9 gesagt wird, es sei ber die Einzeltugenden, undam Anfang von II10, es sei ber das tugendgem e Handeln ge-sprochen worden, obwohl doch vorher viele Seiten lang ber andereDinge (εγκράτεια, ηδονή, ευτυχία) gehandelt wird — dieses Prob-lem w re dann gel st.

Wir geben freilich zu, da diese drei Punkte unserer Annahme,die Eutychie-Abhandlung sei den MM erst sp ter eingef gt worden,nur Wahrscheinlichkeit verleihen. Wir brauchen uns aber auch garnicht auf solche Weise der Frage zu entledigen, warum der Terminus„ολ" in II 8 sehr wahrscheinlich eine andere Bedeutung hat als inII 10, denn II 8 selbst tr gt so deutliche Spuren einer sp teren Um-gestaltung, da die ολ-Stelle sich leicht der Zweitfassung zuschreibenl t90. Der Autor versteht einmal unter Gl ck nur das Zuteil-werden u erer G ter (1206 b 33/34; 1207 b 16—18), von G tern,die nicht in unserer Hand liegen (1207 a 18—26), und zwar unterdem eigentlichen Gl ck (καθ* αυτό . . . ευτύχημα) das unerwarteteZuteilwerden solcher G ter, unter dem mittelbaren Gl ck (κατάσνμβεβηκός ευτύχημα) das Ausbleiben eines schon eingerechnetenund bef rchteten bels (1207 a 30—35). Das andere Mal aber stellt

90 Man kann an GOHLKES (S. 8/9) Unterscheidung der Textschichten diesesKapitels nicht vor bergehen.

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258 Karl B rthlein

er dem u eren Gl ck das innere, das in einer nat rlichen Veran-lagung besteht, gegen ber. Er hebt diesen anderen Gl cksbegriff(einer άλογος φύσις) ab von der φύσις berhaupt (1206 b 36 — 1207a 2), von dem des νους und ολ (a 2—5) sowie von dem der g ttlichenF rsorge (a 6—17) und bestimmt ihn als ein ohne Vernunft vor sichgehendes Erstreben und Erreichen von G tern, vergleichbar demWirken auf Grund eines ενθουσιασμός91. Diese Eutychie, die dasPrinzip des Erstrebens und Erreichens in sich selbst habe, sei f rdie Eudaimonie wesentlicher (οίκειοτέρα) als jene andere, die keineneigenen Impuls habe, sondern auf den Wechsel der Umst nde zu-r ckzuf hren sei — im Erhalten eines unerwarteten Gutes oderAusbleiben eines bef rchteten bels bestehe und nur in vermittelterWeise Eutychie (κατά συμβεβηκός ευτύχημα) sei (1207 b 5—16). —Es ist doch offensichtlich und unbestreitbar, da beim letzten St ckzur κατά συμβεβηκός ευτυχία herabgesunken ist, was in der lteren(und zuerst skizzierten) Partie als eigentliche (καθ* αυτό) und mittel-bare (κατά συμβεβηκός) Eutychie bezeichnet worden war. Auch

ber die chronologische Folge kann (bei Ber cksichtigung von EEVIII 2) kein Zweifel bestehen. Die ολ-Stelle findet sich in derj ngeren Partie. Da nun MM II 10 ganz sicher zur Urfassung derMM geh rte, darf die Bedeutung von ,,ολ" in II 8 auch nicht gegendie von ,,ολ" in II 10 ausgespielt werden.

Das Eutychie-Kapitel (II8) tr gt also deutlich die Spurensp terer berarbeitung, sofern es in sich selbst uneinheitlich ist.Das gleiche gilt f r die erhaltene φρόνησις-Abhandlung (I 34), diesich au erdem auch noch durch andere Merkmale vom brigen Teilder Schrift unterscheidet. Auch die εγκράτεια-Untersuchung (II 6)ist in entscheidenden Punkten ein Beleg gegen die Einheitlichkeitder MM. Die Einsicht in diese Abweichungen d rfte davon ab-halten, an der Annahme eines einheitlichen Gebrauchs des Terminus,,ολ" nicht r tteln zu lassen und unbedenklich mit den ολ-Stellenin I 34, II 6 und II 8 gegen unsere Auslegung der Stelle in II 10zu argumentieren. In II 10 aber, einem wichtigen Kapitel der Ur-fassung der MM, hat „ολ" die Bedeutung „richtiges objektivesVerh ltnis". Der ολ ist hier objektive Norm f r das richtige Ver-halten der verschiedenen Seelenfunktionen zueinander. Als solcherist er eine objektive ethische Norm.

91 1207 a 35 — b 5: ... o yap ευτυχής εστίν ό άνευ λόγου έχων όρμήν irposτάγαθά, καΐ τούτων επιτυγχάνων . . .

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