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Einführung in die Religionswissenschaft Vorlesung im Herbstsemester 2012 Ricarda Stegmann

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Einführung in die Religionswissenschaft

Vorlesung im Herbstsemester 2012

Ricarda Stegmann

1. Wiederholung „Vergleichende Religionswissenschaft“ 2. Religionsphänomenologie

2.1. Einführung 2.2. Entstehungsbedingungen 2.3. Die Genese der Religionsphänomenologie

1.  2.2.1. Chantepie de la Saussaye 2.  2.2.2. Brede Kristensen 3.  2.2.3. Gerardus van der Leeuw

2.4. „Klassiker“ im Umfeld der Religionsphänomenologie 1.  2.3.1. Rudolf Otto 2.  2.3.2. Nathan Söderblom

2.5. Mircea Eliade

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

1.  Wiederholung „Vergleichende Religionswissenschaft“

  seit letztem Drittel des 19. Jahrhunderts = Religionswissenschaft als Universitätsfach in vielen europäischen Ländern

  seit dem Ersten Weltkrieg:   weitere akademische Institutionalisierung der Religionswissenschaft als unabhängige

Disziplin   erste religionswissenschaftlich ausgebildete Lehrkräfte

  „Vergleich“ als eigentliche Kunst verstanden, die das Fach ausmacht

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

1.  Wiederholung „Vergleichende Religionswissenschaft“ Kontext/Einflüsse: 19. Jahrhundert:   Entdeckung fremder „Religionen“ und Entzifferung zahlreicher „religiöser“ Texte im 19.

Jahrhundert   Suche nach Ursprache und Urreligion durch die Romantiker

  Überzeugung: Christentum = höchste Religion   Vergleich: um die Überlegenheit des Christentum zu zeigen, um die Ursprünglichkeit der

indischen Religion zu zeigen

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Anfang 20. Jahrhundert:   großer Einfluss der Vergleichenden Philologie auf die Vergleichende Religionswissenschaft (Friedrich Max Müller!)   erste Programmatik einer vergleichenden Religionwissenschaft

  Vergleich bei Müller: um einen göttlichen Plan zu entziffern

  Problematisch: christozentrische Kategorien, z.B.: „Heilige Schriften“

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie 2. Religionsphänomenologie

2.1. Einführung   Epoche der Wissenschaftsgeschichte: ca. 1917-1988

  Etymologie: φαινόµενον (Sichtbares, Erscheinung); λόγος (Rede/Lehre)   Ziele: 1. Systematisierung/Typologisierung der Religionen/der religiösen Phänomene

2. Definition des Wesens von Religion

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie 2. Religionsphänomenologie

2.1. Einführung

  entsprechend:

1. Entwicklung einer Methode der Religionsforschung – a-historischer Vergleich aller Religionen

2. Aufstellung einer Theorie der Religion: das „Heilige“ als Zentrum, anthropologische Prämissen: homo religiosus

2.2. Entstehungsbedingungen: Anti-Rationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts

  Beginn des 20. Jh.: emotionale Kulturdiskussion, v.a. in Deutschland

  Besinnung auf Kultur und Religion gegen voranschreitende technische Zivilisation/Herrschaft über die Natur/Rationalismus/Materialismus, die den Verlust der Seele bedeuten würden (Eudolf Eucken)

  Rettung der Seele durch die Mystik (Emil Hammacher)

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.2. Entstehungsbedingungen: Anti-Rationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts

  Beschäftigung mit Religionsgeschichte führt in die Regionen, die dem Verstand nicht zugänglich sind = zum „echten Leben“ (schließt die Distanz zwischen Leben und Bewusstsein)

  Eugen Diederichs (Reihe Die religiösen Stimmen der Völker):

Lebendige Religion ist die Stimme einer Kultur, die frei ist von der Überschätzung intellektuellen Wissens und einseitiger Bevorzugung des Erwerbslebens“

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.2. Entstehungsbedingungen: Ursprünge in der Philosophie

  Nikolaus von Kues: Prägung der Grundidee von der Einheit in der Vielheit der Religionen, der einen Religion und der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen

  Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807): evolutionstheoretischen Entwurfs von Erkenntnistheorie und Ontolologie: alle Phänomene sind Ausdruck des einen Geistes, der sich in der Geschichte bewegt und schließlich zu sich selbst kommt

  Edmund Husserl (1859 – 1939): Begründer der Phänomenologie, fordert gegen subjektivistische Deutungstheorien wie den “Psychologismus” die Phänomenologie als Wesensschau des Gegebenen. Den eigenen Standpunkt zurücknehmen,Vorurteile ausschalten und intuitiv zum wahren Gehalt einer Sache vordringen

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.3. Die Genese der Religionsphänomenologie 2.3.1. Chantepie de la Saussaye (1848-1920)   „Lehrbuch der Religionsgeschichte“ (1. Ausg. 1887, 2. Ausg. 1897, 3. Ausg. 1905, 4.

Ausg. 1925   Aufgabe der Religionswissenschaft = Erforschung der Religion, ihres Wesens und ihrer

Erscheinungsformen

  Religionsgeschichte vs. Religionsphilosophie

  Ziel der Religionsphänomenologie: Ordnung von Begriffen, mit denen Religionen nichtdogmatisch beschrieben und geordnet werden können, v.a. Rituale

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie aus dem Vorwort zur 1. Auflage zum Lehrbuch der Religionsgeschichte

... Der phänomenologische Theil dürfte der erste, umfassendere Versuch sein, die Hauptgruppen

der religiösen Erscheinungen, ohne sie doctrinär einheitlich zu erklären, so zu ordnen, dass die wichtigsten Seiten und Gesichtspunkte aus dem Material von selbst hervortreten.

  Zentrum der Religion: lebendiger Gott, Typologisierung nach Gottesbeziehung 1. Auflage des Lehrbuch der Religionsgeschichte, S. 51f.:

Eigentlich hat die Religion nur ein einziges Object: den lebendigen Gott, der sich allen Völkern als der einzig wirkliche Gott bezeugt. Wenn Er auch von Vielen nur theilweise erkannt und sogar

verkannt wird, ... so gilt doch am Ende aller Cultus ihm, ... Hier haben wir es nun nicht mit dem einen, sondern mit den vielen Objecten der Religion zu thun.

2.3.2. Brede Kristensen (1867 – 1953)   Aufteilung Religionsgeschichte, Religionsphänomenologie und Religionsphilosophie wie

bei de la Saussaye, jedoch systematisch ausformuliert

  Religionsphänomenologie als Komparatistik:

  Ziel: in persönlich engagierter Weise nach dem Sinngehalt von religiösen Phänomenen suchen

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.3.2. Brede Kristensen (1867 – 1953)

Phenomenology does not try to compare the religions with one another as large units, but it takes out of their historical setting the similar facts and phenomena which it encounters in different religions, brings

them together, and studies them in groups.The corresponding data, which are sometimes nearly identical, bring us almost automatically to comparative study.The purpose of such study is to become

acquainted with the religious thought, idea or need which underlies the group of corresponding data. Its purpose is not to determine their greater or lesser religious value. Certainly, it tries to determine their

religious value, but this is the value that they have had for the believers themselves, and this has never been relative, but is always absolute.The comparative consideration of corresponding data often gives a deeper and more accurate insight than the consideration of each datum by itself, for considered as a group, the data shed light upon one another. Phenomenology tries to gain an over-all view of the ideas

and motives which are of decisive importance in all of History of Religion. – The Meaning of Religion. Lectures in the Phenomenology of Religion (1960): Phänomenologie als “method of comparison”, p.2.

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.2.3. Gerardus van der Leeuw (1890-1950)   verhilft der Religionsphänomenologie zum Durchbruch:   Phänomenologie der Religion (1933): – statt Evolutions- oder Dekadenztheorie:

Religionsphänomenologie als Disziplin ahistorischer Wesensschau, S. 365:

Ja, das Erlebnis der Zeilen von soeben liegt mir nicht einmal näher als das Erlebnis des ägyptischen Schreibers, der vor bald viertausend Jahren sein Briefchen auf Papyrus schrieb. ... Was uns die

größte Differenz und der weit möglichste Abstand dünkt: die Differenz nämlich zwischen uns selbst und dem “Anderen”, dem Nachbar, nebenan oder in China, von gestern oder vor

viertausend Jahren, – das ist eine Kleinigkeit, gemessen an der ungeheuren Aporie, in der wir uns befinden, sobald wir an das Leben überhaupt heran wollen.

inführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Im Zentrum: Beziehung des Menschen zur Macht, dem Göttlichen   Art und Weise dieser Gottesbeziehung = erlaubt Anordnung der Religionen,

Typenbildung je nach Form und Struktur

  analysiert werden die Phänomene, in denen sich die Macht zeigt und das Verhältnis der Menschen zu dieser Macht

  Phänomene nicht an sich greifbar, müssen rekonstruiert werden

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

  1. Phänomene werden eingeordnet, benannt

  2. Einschaltung in das eigene Leben: Nachempfinden des fremden Erlebens mit Epoché (Rücknahme des eigenen Standpunktes)

  3. intuitives Erfassen des Wesens des Phänomens, „eidetische

Reduktion“ (Abstraktion von den vielfältigen Erscheinungsformen auf das Wesen, den „Kern“, „Wesensschau“)

  4. Phänomene mit ähnlichen gruppieren

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Probleme der Argumentation:   zirkulärer Schluss: Annahme eines homo religiosus (und seines Verhältnisses zur

Macht als Zentrum der Religion) als Voraussetzung, Erscheinungen wie z. B. die “Seele” als Phänomen in allen Religionen und Kulturen zu diagnostizieren

  Pointe: Wenn es überall in der Menschheitsgeschichte religiöse Phänomene gibt, dann ist die Existenz Gottes aus der Religionsgeschichte beweisbar

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie 2.4. „Klassiker“ im Umfeld der Religionsphänomenologie

2.4.1. Nathan Söderblom (1866-1931)

  Religionswissenschaftler in Leipzig, Erzbischof von Uppsala seit 1914

  oft als Religionsphänomenologie charakterisiert

  Heiligkeit als Zentrum der Religion

  Deutung der Heiligkeit in den unterschiedlichen Religionen verschieden: macht Gruppierungen möglich

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie 2.4. „Klassiker“ im Umfeld der Religionsphänomenologie

2.4.2. Rudolf Otto (1869-1937)

  Theologe in Breslau und Marburg

  1917: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen   das Numinose = das Heilige minus seines sittlichen Momentes = das Zentrum der Religion   mysterium tremendum und mysterium fascinans

  Ausweg aus der Vielfalt an Dokumenten: durch Vergleich der Phänomene in der Religionsgeschichte zu den a-priori- Elementen der Religionen und schließlich zum Wesen der Religion gelangen

  das Erleben hat die Position, die einmal die Offenbarung eingenommen hat

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

2.6. Mircea Eliade (1907-1986)   rumänischer Religionswissenschaftler und Schriftsteller   großes wissenschaftliches und literarisches Werk   Karriere zunächst in Paris, dann in Chicago

  Forderung einer eigenständigen religionswissenschaftlichen Methode zur Erforschung der religiösen Phänomene

  Prämissen des homo religiosus und des Heiligen, das sich in der Religionsgeschichte zeigt: Hierophanie

  aus Hierophanien resultiert die Unterscheidung in das Heiligeund das Profane, Mensch

sucht stets die Erfahrung des Heiligen

  Aufgabe des Religionswissenschaftlers: Analyse der Struktur der Hierophanien und ihrer Veränderungen

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie

1. 

Einführung in die Religionswissenschaft Kurs 3: Religionsphänomenologie   Zusammenfassung:

1. Systematisierung/Typologisierung der Religionen/der religiösen Phänomene

2. Definition des Wesens von Religion

  entsprechend:

1. Entwicklung einer Methode der Religionsforschung – a-historischer Vergleich aller Religionen

2. Aufstellung einer Theorie der Religion: das „Heilige“ als Zentrum, anthropologische Prämissen: homo religiosus