Carmina anacreontea 1-34 (Ein Kommentar) || Anakreontisches Gedicht 13

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Anakreontisches Gedicht 13 {θέλω, θέλω φιλῆσαι.} Ἔπειθ’ Ἔρως φιλεῖν με· ἐγὼ δ’ ἔχων νόημα ἄβουλον οὐκ ἐπείσθην. ὃ δ’ εὐθὺ τόξον ἄρας καὶ χρυσέην φαρέτρην μάχηι με προυκαλεῖτο· κἀγὼ λαβὼν ἐπ’ ὤμων θώρηχ’ ὅπως Ἀχιλλεύς καὶ δοῦρα καὶ βοείην ἐμαρνάμην Ἔρωτι. ἔβαλλ’, ἐγὼ δ’ ἔφευγον· ὡς δ’ οὐκέτ’ εἶχ’ ὀιστούς, ἤσχαλλεν, εἶτ’ ἑαυτόν ἀφῆκεν εἰς βέλεμνον· μέσος δὲ καρδίης μευ ἔδυνε καί μ’ ἔλυσεν. μάτην δ’ ἔχω βοείην· τί γὰρ βάλωμεν ἔξω, μάχης ἔσω μ’ἐχούσης; (20) 5 10 15 {Ich will, ich will lieben} Eros forderte mich auf zu lieben; da ich aber einen unwilligen Sinn hatte, liess ich mich nicht überzeugen. Er aber hob sogleich den Bogen und den goldenen Köcher und forderte mich zum Kampf auf; und ich legte um die Schulter den Harnisch wie Achilleus, ergriff die Lanze und den Schild aus Rindshaut und kämpfte gegen Eros. Er schoss, ich aber floh, und als er keine Pfeile mehr hatte, war er ungehalten und schoss sich dann selbst als Geschoss ab; in die Mitte meines Herzens versenkte er sich und löste mich. Umsonst habe ich den Schild aus Rinds- haut; warum soll ich außen kämpfen, wenn der Kampf mich innen beherrscht? Die Thematik des Gedichts wird stark von der Liebe geprägt, obwohl die ganze Auseinandersetzung mit Eros epische Züge enthält. Eros fordert das Ich auf zu lieben (V. 1). In den kommenden zwei Versen wird die Reaktion des Ichs dargestellt: Es weigert sich, sich der Liebe hinzuge- ben. Diesen Versen folgt eine „kriegerische“ Szene. Sie besteht aus verschiede- nen kleineren Abschnitten, die knapp und Schritt für Schritt die Konfrontation mit Eros gleichsam filmisch darstellen. Zuerst bewaffnet sich Eros (V. 5‒7), dann der Dichter (V. 8‒10), und später werden die Verfolgung (V. 12), die Flucht, der letzte Eros-Angriff (V. 13‒15) und endlich die Verletzung des Ichs (V. 16‒17) dargestellt. Der homerische Prätext wird in diesem Gedicht auf eine ei- gentümliche Weise modifiziert. Die Vergeblichkeit, Eros zu widerstehen, ist ein Topos in der griechischen Literatur. Er wird oft als ἀμήχανος charakterisiert; niemand, weder eine Gottheit Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated | 10.248.254.158 Download Date | 9/15/14 3:47 PM

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  • Anakreontisches Gedicht 13

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    {Ich will, ich will lieben}Eros forderte mich auf zu lieben; da ich aber einen unwilligen Sinn hatte, liess ich mich nicht berzeugen. Er aber hob sogleich den Bogen und den goldenen Kcher und forderte mich zum Kampf auf; und ich legte um die Schulter den Harnisch wie Achilleus, ergriff die Lanze und den Schild aus

    Rindshaut und kmpfte gegen Eros. Er schoss, ich aber floh, und als er keine Pfeile mehr hatte, war er ungehalten und schoss sich dann

    selbst als Geschoss ab; in die Mitte meines Herzens versenkte er sich und lste mich. Umsonst habe ich den Schild aus Rinds-

    haut; warum soll ich auen kmpfen, wenn der Kampf mich innen beherrscht?

    Die Thematik des Gedichts wird stark von der Liebe geprgt, obwohl die ganze Auseinandersetzung mit Eros epische Zge enthlt.

    Eros fordert das Ich auf zu lieben (V. 1). In den kommenden zwei Versen wird die Reaktion des Ichs dargestellt: Es weigert sich, sich der Liebe hinzuge-ben. Diesen Versen folgt eine kriegerische Szene. Sie besteht aus verschiede-nen kleineren Abschnitten, die knapp und Schritt fr Schritt die Konfrontation mit Eros gleichsam filmisch darstellen. Zuerst bewaffnet sich Eros (V. 57), dann der Dichter (V. 810), und spter werden die Verfolgung (V. 12), die Flucht, der letzte Eros-Angriff (V. 1315) und endlich die Verletzung des Ichs (V. 1617) dargestellt. Der homerische Prtext wird in diesem Gedicht auf eine ei-gentmliche Weise modifiziert.

    Die Vergeblichkeit, Eros zu widerstehen, ist ein Topos in der griechischen Literatur. Er wird oft als charakterisiert; niemand, weder eine Gottheit

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  • Anakreontisches Gedicht 13 | 79

    noch ein Sterblicher, kann ihm entfliehen (vgl. Soph. Ant. 787789 / - / ).116

    5f. / : In diesen Versen wird die Bewaffnung des Eros dargestellt. Diese Ausrstung ist fr Eros typisch, wenn wir A. P. 9, 440, 1820 (Moschos Syrakousios) bercksichtigen: , / , /

    Es lohnt sich zu bemerken, dass die Beschreibung der Bewaffnung des Ichs mehrere Elemente enthlt, die bei der Ausrstung des anderen Kontrahenten fehlen. Diese Art von Beschreibung hebt die berlegenheit des einen Gegners im Vergleich zu dem anderen hervor.

    In Versen der Ilias wird z. B. die Ausrstung des Achilles auf eine eigentm-liche, bedeutsame Weise beschrieben, um seine Superioritt im Vergleich zum verfolgten Hektor zu unterstreichen (vgl. Il. 22, 134136: - / . / ).

    Aber in dem vorliegenden Gedicht wird das Ich, obwohl es eine vollstndige Ausrstung hat, den Kampf verlieren. Die berlegenheit seiner Ausrstung unterstreicht ironisch seine Niederlage. Das Ich kommt als ein geflschter Hek-tor daher, der zwar die Ausrstung des Achilleus trgt, aber unterliegt.

    810: Vgl. Il. 19, 371f. . /

    Die Ausrstung des Ichs, der sich mit Achilleus identifiziert, besteht aus , und . Auf den ersten Blick erhlt man den Eindruck, dass das lyrische Ich im Vergleich zu Eros besser bewaffnet sei, denn Eros trgt nur einen Behlter mit Pfeilen. Aber genau diese elaborierte Ausrstung des Dich-ters, unterstreicht die unberwindliche Macht des Eros, denn sie kann trotz ihrer hervorgehobenen Sorgfalt Eros nicht aufhalten. Sie erweist sich letztlich als vergeblich (vgl. V. 18: ).

    7 : Das Streiten mit Eros ist ein Topos schon beim echten Anakreon: vgl. bereits Anakr. fr. 396,2 PMG , fer-ner Anakr. fr. 358 PMG .

    || 116 Carson 1986, 148 weist in Bezug auf Eros Unbesiegbarkeit auf Hom. Hym. Herm. 434, Sappho fr. 130, 2, Soph. Ant. 781, Trach. 441, Plat. Symp. 196 d hin.

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  • 80 | Kommentar

    1213 , : Die Figur des Eros, die andere attackiert, ist ein Topos besonders in der hellenistischen Dichtung:117 vgl. Anakr. fr. 358, 1f. PMG / ; Anakreont. 35, 16 , ;

    Als Topos taucht auch die Flucht vor Eros auf; vgl. A. P. 5, 59 (Archias, fr-hes 1. Jh. v. Chr.?) / .

    Verfolgung und Flucht sind ein Topos der griechischen erotischen Lyrik und der Malerei seit der archaischen Zeit (Carson 1986, 19f.).

    16 : Schon im Symposion Platons wird erwhnt, dass Eros sich auf bzw. in die zarten Krperteile setzt; vgl. Symp. 195 e: , , . Siehe auch: A. P. 9, 440, 17 (Moschos, 2. Jh. v. Chr.) .

    Das Herz ist der blichste Ort, den die Pfeile des Eros treffen: vgl. Nonn. Di-on. 33, 236238 / , / , ferner Nonn. Dion. 16, 11 (Eros) . Im 33. anakreontischen Gedicht trifft Eros die Leber des lyrischen Ichs (V. 27f.): , / .

    17 : Eros versenkt sich in das Herz des Dichters und lst seine Glieder. Eros ist in der griechischen Poesie als Topos wohl be-kannt.

    Die epische Resonanz dieses Verses wird nicht nur in der homerischen Formel deutlich (vgl. Il. 21, 406 ), sondern e contrario auch in den Versen / , / (Il. 17, 210212): Der Gott Ares fllt die des Hektor mit Kraft und Tapferheit, im Gegensatz zum Eros, der eine entgegengesetzte Wirkung hat, d. h. er lsst die sich auflsen.

    || 117 Vgl. A.P. 5, 180, 1f. (Meleager, um 100 v. Chr.) , / ; A. P. 12, 110, 1 (ebenfalls Meleager) ; A. P. 12, 82, 4 (Meleager) , ; A. P. 12, 45, 1 (Poseidipp, um 280 v. Chr.) ; A. P. 12, 166, 35 (Asklepiades, sptes 4. / frhes 3 Jh. v. Chr.) , / / , , . In einem Epigramm des Moschus (A. P. 9, 440) wird Eros ( ) detailliert beschrieben, und zwar mit kleinen Hnden, die aber den Pfeil weit schieen knnen; vgl. V. 13f. , / .

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  • Anakreontisches Gedicht 13 | 81

    19f.: Das lyrische Ich wird von Eros getroffen; trotz seiner fatalen Verletzung aber fhrt es mit einer rhetorischen Frage fort. Rosenmeyer (1992, 158) spricht bei dieser Gelegenheit von verbosity: The verbosity could be seen as com-promising the whole effect of disaster and fragmentation. Sie fhrt als ein anderes Beispiel der Wortflle angesichts eines Zusammenbrechens das Gedicht der Sappho 31 und den Kommentar des Ps.-Longinos (10, 13) an und sagt: The individual voice tries to counteract the physical collapse by a verbal response or rationalization, a last attempt at control of the self. Bei unserem Gedicht aber htte man Bedenken, diese Interpretation anzunehmen. Obwohl der Dichter von dem Pfeil des Eros getroffen wird, erlebt er m.E. kein tiefes Zusammenbre-chen. Er fhrt, die homerischen Figuren nachahmend, mit einer rhetorischen Frage fort, die seine Lebensvorstellung verdeutlicht. Im Corpus Anacreonticum begegnet man nicht tiefen erotischen Gefhlen wie bei Sappho.

    19 : erklrt sich im Sinne von kmp-fen: vgl. Pindar Pyth. 1, 44 -/ ; Nonn. Dion. 29, 41 , ferner 42, 24 .

    Was der Dichter darstellt, erinnert an Homer. Das lyrische Ich rstet sich wie Achilleus aus und setzt sich mit Eros (einer Gottheit) auseinander.118

    Die ganze Beschreibung knnte als epische Resonanz der Verfolgung des Apollon durch Achilleus betrachtet werden. Apollon fragt in Ilias 22, 8f. Achilleus: / ; Achilleus hat sich vergeblich mit der Verfolgung eines Unsterblichen (Apollo) abgemht, whrend die Troianer, die ihm leicht zum Opfer htten fal-len knnen, sich unterdessen hinter den Mauern ihrer Stadt in Sicherheit ge-bracht haben.

    Die Auseinandersetzung eines Sterblichen mit einer Gottheit wird in dem anakreontischen Text selbstverstndlich auf der inneren Ebene platziert. Und umgekehrt wie im homerischen Text wird das (sterbliche) Ich von dem unsterb-lichen Eros verfolgt. Die rhetorische Frage pointiert den ber-gang vom epischen zum lyrischen Abschnitt und deutet gleichzeitig auf die anakreontische Lebensvorstellung hin.

    Auerdem knnte man auch die ganze Beschreibung als epische Resonanz der Verfolgung des Hektor durch Achilleus (Il. 22, 131 ff.) betrachten. In diesem

    || 118 Mller 2010, 212 sieht in der Szene das scherzhafte Mittel der epischen berhhung am Werk.

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    Fall sollte das lyrische Ich als Hektor identifiziert werden, der auch die Ausrs-tung des Achilleus angelegt hatte; es unterliegt auch hnlich wie Hektor.

    20 : West verweist hier auf Achilleus Tatios 4, 7, 3: . , . Diese Worte werden von Charmides, einem Soldaten aus gypten ausge-sprochen, der sich in Leukippe whrend einer Jagd auf Nilpferde verliebt. An dieser Stelle stellt Achilleus Tatios diesen gewhnlichen Kampf dem inneren Kampf wegen der Liebe gegenber.

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