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Analysis IIIb von

Prof. PhD. A. GriewankSommersemester 2010

Vorlesungsmitschrift von Paul BoeckKorrektur durch Dr. Lutz Lehmann

Letzte Änderung: 20. August 2010

Inhaltsverzeichnis

XI Maß- und Integrationstheorie 2§46 σ–Algebren und Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2§47 Lebesgue Maß auf Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11§48 Messbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14§49 Integration messbarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19§50 Produktmaße und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23§51 Transformationsformel für das Lebesgue–Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

XII Vektoranalysis 34§52 Integration über Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34§53 Integralsätze von Gauß und Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Index 55

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XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

XI Maß- und Integrationstheorie

§46 σ–Algebren und Maße

Wünschenswerte Eigenschaften eines Volumenmaßes µ auf Rn ≡ X

(i) Monotonie: A ⊂ B =⇒ µ(A) ≤ µ(B)

(ii) Quaderwert: A = [a1, b1] × [a2, b2] × . . . [an, bn] ≡ x ∈ Rn : ai ≤ xi ≤ bi =⇒ µ(A) = ∏ni=1(bi − ai)

„ geometrisches Volumen“

(iii) Translationsinvarianz: A ⊂ X, r ∈ Rn =⇒ µ(A + r) = µ(A)

(iv) σ–Additivität: Ai ⊂ X, Ai ∩ Aj = ∅ für i 6= j, i, j ∈ N =⇒ µ(⋃∞

i=1 Ai) = ∑∞i=1 µ(Ai), wobei schon vorausge-

setzt ist, dass µ(A) ≥ 0.

Lemma 46.1Es ist nicht möglich, ein solches µ für alle Teilmengen A ⊂ X = Rn, d.h. als Abbildung µ : P(X) = 2X → R mit P(X) diePotenzmenge zu definieren.

Beweis: (Auswahlaxiom vorausgesetzt) Betrachte X = Rn mit Äquivalenzrelation x ∼ y ⇐⇒ x − y ∈ Qn,d.h. Differenzvektor x − y ∈ Qn. Sei A ⊂ [0, 1]n eine Menge von Repräsentanten dieser Äquivalenzklassen.(Dabei ist |A| > |Qn|)

B =⋃

r ∈ [−1, 1]n ∩ Qn

(A + r) ⊂ [−1, 2]n B ⊃ [0, 1]n

Also verlangt Monotonie und σ–Additivität

µ ([0, 1]n) = 1 ≤ µ(B) = µ(⋃

r ∈ [−1, 1]n ∩ Qn

(A + r)) (iv)

= ∑r ∈ [−1, 1]n ∩ Qn

µ(A + r)

(iii)= ∑

r ∈ [−1, 1]n ∩ Qn

µ(A) ≤ µ([−1, 2]n) = 3n

Widerspruch, da linke Ungleichung für µ(A) = 0 verletzt und rechte Ungleichung für µ(A) > 0 verletzt ist.

Beispiel (Banach–Tarski–Paradox) „Eine Erbse kann zerschnitten und dann zur Sonne zusammengesetzt werden“.

Man kann die Kugeln B1 = B1(0) ≡ x ∈ Rn : ‖x‖ ≤ 1 und B2 = B2(0) in einer Dimension n ≥ 3 so in endlichviele disjunkte Teilmengen Ai, Ai für i = 1 . . . m zerlegen, dass

B1 =m⋃

i=1

Ai, Ai ∩ Aj = ∅ falls i 6= j

B2 =m⋃

i=1

Ai, Ai ∩ Aj = ∅ falls i 6= j

und die Stücke bis auf Drehungen und Verschiebungen übereinstimmen. D.h., es gibt Euklidische, den Abstanderhaltende lineare Transformationen

Ti : Rn → Rn, Ti(x) = Qix + qi

mit Ti(Ai) = Ai.

Schlussfolgerung: Mengen A müssen auf geeignete Systeme S ⊂ P(X) eingeschränkt werden.

Definition 46.2S ⊂ P(X) heißt

(i) Ring, falls ∅ ∈ S, sowie A, B ∈ S =⇒ A ∪ B, A \ B ∈ S

(ii) Algebra, falls Ring und zusätzlich A ∈ S =⇒ Ac ≡ X \ A ∈ S

(iii) σ–Algebra, falls Algebra und Ai ∈ S für i ∈ N =⇒ ⋃∞i=1 Ai ∈ S

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Bemerkung Diese Eigenschaften sind realisierbar.

Beispiel ∅, X = S ist σ–Algebra. Für A ⊂ X ist ∅, A Ring und ∅, A, Ac, X σ–Algebra.

S ≡ A ⊂ X mit A oder Ac abzählbar ist σ–Algebra

Prüfung der Eigenschaften:

(i) A ∈ S ⇐⇒ Ac = X \ A ∈ S per Definition. Ist X abzählbar, so S = P(X). Sei also X überabzählbar, z.B.X = Rn.

(ii) A\B 1 0 1 bedeutet Menge selbst abzählbar1 1 0 0 bedeutet Komplement abzählbar0 0 0 (A ∪ B)c = Ac ∩ Bc

Tabelle für A ∪ B, welches immer eindeutigenStatus hat, d.h. zu S gehört.

(iii) Für A ∩ B entsprechend.

(iv) Abzählbare Vereinigung σ–Abgeschlossenheit

A =∞⋃

i=1

Ai, Ai ∈ S für i ∈ N

Falls alle Ai abzählbar sind, ist auch A abzählbar nach Diagonalisierungsargument =⇒ A ∈ S. Andernfallsexistiert ein Ai mit Ac

i abzählbar. Daraus folgt Ac =⋂∞

j=1 Acj ⊂ Ac

i auch abzählbar.

Definition 46.3(i) Die Eigenschaft, σ–Algebra zu sein, bleibt erhalten unter endlichen oder unendlichen Schnittbildungen. Also

Si, i ∈ I σ–Algebren =⇒⋂

i∈I

Si ≡ S ist auch σ–Algebra

(ii) Für beliebiges System S ⊂ P(X) nennt man Aσ(S) =⋂

S ⊂ S σ–Algebra

S die durch S erzeugte σ–Algebra.

(iii) Speziell mit S = O(X) ≡ Menge aller offenen Teilmengen in X oder S ≡ F (X) ≡ Menge aller geschlossenen Teilmen-gen von X erhält man das System Aσ(O(X)) = Aσ(F (X)) der Borel–Mengen

Beweis: In Teilen in Übung.

Definition 46.4Eine Funktion µ : S → M ≡ [0, ∞] = R+ ∪ ∞ heißt

(i) Inhalt, falls A, B ∈ S, A ∩ B = ∅ =⇒ µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B), was insbesondere verlangt, dass µ(∅) = 0 (wennnicht µ ≡ ∞).

(ii) σ–Inhalt, falls Aii∈N ⊂ S,⋃∞

i=1 Ai ∈ S und Ai ∩ Aj = ∅ =⇒ µ (⋃∞

i=1 Ai) = ∑∞i=1 µ(Ai). Diese Eigenschaft

heißt σ–Additivität..

(iii) Maß , falls σ–Inhalt auf σ–Algebra.

(iv) A ∈ S mit Maß µ heißt messbar.

(v) Falls µ(A) = 0 für Inhalt µ heißt A (µ–)Nullmenge.

Satz 46.5 (Eigenschaften von Inhalt µ auf S)(i) A ⊂ B =⇒ µ(A) ≤ µ(B) (Monotonie)

(ii) µ(A ∪ B) + µ(A ∩ B) = µ(A) + µ(B) (de Moivre)

(iii) µ(⋃m

i=1 Ai) ≤ ∑mi=1 µ(Ai) (Subadditivität)

(iv) Falls Ai ∈ S paarweise disjunkt µ(⋃∞

i=1 Ai) ≥ ∑∞i=1 µ(Ai), vorausgesetzt,

⋃∞i=1 Ai ⊂ S.

Beweis:

(i) B = A ∪ (B \ A)Add.=⇒ µ(B) = µ(A) + µ(B \ A)

︸ ︷︷ ︸

≥0

≥ µ(A)

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(ii)

A ∪ B = A ∪ (B \ A) =⇒ µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B \ A)

(B \ A) ∪ (B ∩ A) = B =⇒ µ(B \ A) + µ(B ∩ A) = µ(B)

Einsetzen ergibt µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B) − µ(B ∩ A)

(iii)

Bi = Ai \ A1 ∪ A2 ∪ . . . Ai−1 =⇒ Bi ∩ Bj = ∅,m⋃

i=1

Bi =m⋃

i=1

Ai, Bi ⊂ Ai

µ(m⋃

i=1

Ai) = µ(m⋃

i=1

Bi)Add.=

m

∑i=1

µ(Bi)Monot.≤

m

∑i=1

µ(Ai)

(iv) Für beliebiges m

µ(m⋃

i=1

Ai) =m

∑i=1

µ(Ai) −−−→m→∞

∑i=1

µ(Ai) ≤ µ(∞⋃

i=1

Ai) wie behauptet

Monotonie: µ(∞⋃

i=1

Ai) ≥ µ(m⋃

i=1

Ai)

Satz 46.6 (Eigenschaften von σ–Inhalten)(i)

⋃∞i=1 Ai ∈ S =⇒ µ(

⋃∞i=1 Ai) ≤ ∑

∞i=1 µ(Ai)

(σ–Subadditivität)(ii) Stetigkeit von unten A1 ⊂ A2 ⊂ . . . Ai−1 ⊂ Ai

limi→∞ µ(Ai) = µ(⋃∞

i=1 Ai)(iii) Stetigkeit von oben A1 ⊃ A2 ⊃ . . . Ai−1 ⊃ Ai

limi→∞ µ(Ai) = µ(⋂∞

i=1 Ai)

A∞ =∞⋃

i=1

AiA1A2

A3

Beweis:

(i)

Bi = Ai \ A1 ∪ A2 ∪ . . . Ai−1 =⇒∞⋃

i=1

Bi =∞⋃

i=1

Ai

µ(∞⋃

i=1

Ai) = µ(∞⋃

i=1

Bi) =∞

∑i=1

µ(Bi) ≤∞

∑i=1

µ(Ai)

(ii)

Bi = Ai \ Ai−1, B1 = A1

µ(Am) = µ(m⋃

i=1

Bi) =m

∑i=1

µ(Bi) −−−→m→∞

∑i=1

µ(Bi) = µ(∞⋃

i=1

Ai)

(iii) durch Rückführung auf (ii). Setze Bi = A1 \ Ai

A1 ⊃ A2 ⊃ A3 ⊃ . . . Ai ⊃ Ai+1

B1 = ∅ ⊂ B2 = A1 \ A2 ⊂ B3 = A1 \ A3 ⊂ . . . Bi = A1 \ Ai ⊂ Bi+1 = A1 \ Ai+1 =⇒∞⋃

i=1

Bi = A1 \∞⋂

i=1

Ai

Nach (ii) limi→∞

µ(Bi) = µ(∞⋃

i=1

Bi) = µ(A1 \∞⋂

i=1

Ai) = µ(A1) − µ(∞⋂

i=1

Ai)

µ(Bi) = µ(A1 \ Ai) = µ(A1) − µ(Ai) da Ai ⊂ A1

limi→∞

µ(A1) − µ(Ai) = µ(A1) − µ(∞⋂

i=1

Ai) =⇒ µ(Ai) −−→i→∞

µ(∞⋂

i=1

Ai)

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Idee: Maße lassen sich als Restriktionen von äußeren Maßen auf messbaren Mengensystemen definieren. Die äuße-ren Maße lassen sich aus Inhalten auf Ringen S ⊂ P(X) für P(X) Potenzmenge definieren. Zunächst Restriktions-schritt nach Carathéodory.

Definition 46.7Eine Funktion µ∗ : P(X) → [0, ∞] = R≥0 ∪ +∞ heißt äußeres Maß, falls

(i) µ∗(∅) = 0

(ii) A ⊂ B ⊂ X =⇒ µ∗(A) ≤ µ∗(B) (Monotonie)

(iii) µ∗(⋃∞

i=1 Ai) ≤ ∑∞i=1 µ∗(Ai) (σ–Subadditivität)

Definition 46.8Eine Menge A ⊂ P(X) heißt µ∗–messbar für ein gegebenes äußeres Maß µ∗ auf X, falls

µ∗(E) = µ∗(E ∩ A) + µ∗(E ∩ Ac) für alle E ⊂ X

Satz 46.9 (Carathéodory)Die Menge aller µ∗–messbaren Mengen A ⊂ X bilden eine σ–Algebra Sµ∗ = S und die Restriktion µ = µ∗∣∣

Sµ∗von µ∗ auf

S ⊂ P(X) ist ein Maß.

Beweis: Nach Definition (von µ∗–messbar) gilt A ∈ S ⇐⇒ Ac ∈ S. Für die Algebra–Eigenschaft ist nur nochzu zeigen, dass A, B ∈ S =⇒ A ∪ B ∈ S.

µ∗(E) = µ∗(E ∩ B) + µ∗(E ∩ Bc) da B µ∗–messbar ist

= µ∗(E ∩ B) + µ∗(E ∩ Bc ∩ A) + µ∗(E ∩ Bc ∩ Ac) da A µ∗–messbar ist

Vereinigung (E ∩ B) ∪ (E ∩ Bc ∩ A) = E ∩ (A ∪ B) leicht nachzuprüfen. Diese ergibt wegen Subaddititivität

µ∗(E ∩ B) + µ∗(E ∩ Bc ∩ A) ≥ µ∗(E ∩ (A ∪ B))

Einsetzen in obige Gleichung ergibt

µ∗(E) ≥ µ∗(E ∩ (A ∪ B)) + µ∗(E ∩ (A ∪ B)c)

Wegen Subadditivität gilt auf jeden Fall

µ∗(E) ≤ µ∗(E ∩ (A ∪ B)) + µ∗(E ∩ (A ∪ B)c)

und somit Gleichheit, die die µ∗–Messbarkeit von A ∪ B garantiert.

Zwischenergebnis: S ist Algebra. Zu zeigen bleibt die σ–Algebra–Eigenschaft. Seien

A =∞⋃

i=1

Ai mit Ai ∈ S und o.B.d.A. Ai ∩ Aj = ∅ falls i 6= j .

Dann ist Bn =⋃n

i=1 Ai, n ∈ N, eine monoton wachsende Mengenkette von µ∗–messbaren Mengen.

µ∗(E) = µ∗(E ∩ Bn) + µ∗(E ∩ Bcn)

Monot.≥ µ∗(E ∩ Bn) + µ∗(E ∩ Ac) da Bn ⊂ A und Bc

n ⊃ Ac

µ∗(E ∩ Bn) = µ∗(E ∩ Bn ∩ An) + µ∗(E ∩ Bn ∩ Acn) da An µ∗–messbar

= µ∗(E ∩ An) + µ∗(E ∩ Bn−1)

= µ∗(E ∩ An) + µ∗(E ∩ An−1) + µ∗(E ∩ Bn−2) = . . .

=n

∑i=1

µ∗(E ∩ Ai)

Einsetzen in obige Gleichung ergibt

∀n ∈ N µ∗(E) ≥ µ∗(E ∩ Ac) +n

∑i=1

µ∗(E ∩ Ai)

−−−→n→∞

µ∗(E) ≥ µ∗(E ∩ Ac) +∞

∑i=1

µ∗(E ∩ Ai)Subadd.≥ µ∗(E ∩ Ac) + µ∗(E ∩ A)

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Die Umkehrung µ∗(E) ≤ µ∗(E ∩ Ac) + µ∗(E ∩ A) folgt aus der Subadditivität, so dass Gleichheit entsteht,

A =∞⋃

i=1Ai ∈ S. Also ist S eine σ–Algebra.

Noch zu zeigen: Maßeigenschaften von µ∗ auf S.

Additivität A ∩ B = ∅, A, B ∈ S

µ∗(A ∪ B) = µ∗((A ∪ B) ∩ B) + µ∗((A ∪ B) ∩ Bc) da B µ∗–messbar

= µ∗(B) + µ∗(A)

σ–Additivität A =∞⋃

i=1

Ai mit Ai ∈ S, Ai ∩ Aj = ∅ falls i 6= j

µ(A) = µ(∞⋃

i=1

Ai) ≥ µ(n⋃

i=1

Ai) =n

∑i=1

µ(Ai) für beliebiges n

n → ∞ ergibt µ(A) ≥∞

∑i=1

µ(Ai)

Da für A ∈ S gilt µ∗(A) = µ(A) und µ∗ σ–subadditiv gilt umgekehrt

µ(A) ≤∞

∑i=1

µ(Ai)

und somit Gleichheit, d.h. σ–Additivität.

Definition 46.10Ein Maß µ auf S ⊂ P(X) heißt

(i) vollständig, falls aus A ⊂ B ∈ S mit µ(B) = 0, auch A ∈ S mit µ(A) = 0 folgt.

(ii) endlich, falls µ(X) < ∞.

(iii) σ–endlich, falls X =⋃∞

i=1 Ai mit Ai ∈ S, µ(Ai) < ∞.

Korollar 46.11Jedes nach Satz 46.9 konstruierte Maß ist vollständig.

Beweis: A ⊂ B ∈ S mit µ(B) = 0 = µ∗(B) =⇒ µ∗(A) = 0 =⇒ µ∗(A ∩ E) = 0 für E ⊂ X.E ⊂ X =⇒ µ∗(E) ≤ µ∗(E ∩ A) + µ∗(E ∩ Ac) = 0 + µ∗(E ∩ Ac) ≤ µ∗(E) wegen Monotonie.Also gilt Gleichheit µ∗(E) = µ∗(E ∩ A) + µ∗(E ∩ Ac) und A ist µ∗–messbar und deshalb A ∈ S.

Frage: Wie konstruiert man ein äußeres Maß?Antwort: Durch „Erweiterung“ von Inhalten auf Ringen.

Satz 46.12Falls µ ein Inhalt auf einem Ring R ⊂ P(X) ist, dann wird durch

µ∗(A) ≡ inf

∑i=1

µ(Ai) : A ⊂∞⋃

i=1

Ai, Ai ∈ R

für A ⊂ P(X)

ein äußeres Maß auf P(X) definiert.

Beweis: Da ∅ ∈ R ⊂ P(X) gilt µ∗(∅) = µ(∅) = 0. Falls B ⊂ A ⊂ ⋃∞i=1 Ai, dann gilt B ⊂ ⋃∞

i=1 Ai, d.h. die Aisind auch abzählbare Überdeckung von B, so dass

µ∗(B) ≤∞

∑i=1

µ(Ai)

Nimmt man nun das Infimum über die Überdeckungen von A, so folgt µ∗(B) ≤ µ∗(A).Zum Beweis der σ–Subadditivität betrachte A =

⋃∞i=1 Ai mit Ai ∈ P(X). Dann existiert für beliebiges ε > 0

und jedes i eine Folge (Cij)∞j=1, mit Cij ∈ R, so dass

µ∗(Ai) ≥∞

∑j=1

µ(Cij) − ε2−i

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

und Ai ⊂⋃∞

j=1 Cij. Also folgt

µ∗(A) = µ∗(∞⋃

i=1

Ai)Monot.≤ µ∗(

∞⋃

i=1

∞⋃

j=1

Cij

︸ ︷︷ ︸

∈R

)

≤∞

∑i=1

(∞

∑j=1

µ∗(Cij)

)

≤∞

∑i=1

(µ∗(Ai) + ε2−i) = ε +∞

∑i=1

µ∗(Ai)

Damit ist µ∗ tatsächlich σ–subadditiv, da ε beliebig klein gemacht werden kann.

Beispiel Ring R = (a, b] ⊂ R mit −∞ ≤ a ≤ b < ∞ ⊂ P(R) mit µ(a, b] = (b − a).Behauptung: µ∗(Q) = 0 und damit Q messbar bezüglich µ∗.

Beweis: Betrachte Aufzählung Q = qi∞i=1 und Überdeckung durch Ai = (qi − ε2−i, qi] für festes ε > 0 und

i = 1 . . . ∞.=⇒ Q ⊂ ⋃∞

i=1 Ai, Ai ∈ R, µ∗(Q) ≤ ∑∞i=1 µ(Ai) = ∑

∞i=1 ε2−i = ε =⇒ µ∗(Q) = 0 da ε beliebig.

Satz 46.13Sei µ∗ das nach Satz 46.12 aus Inhalt µ auf Ring R konstruierte äußere Maß und µ das nach Satz 46.9 daraus konstruierteMaß auf der σ–Algebra S. Dann gilt R ⊂ S, d.h. alle A ⊂ R sind µ∗–messbar und µ = µ|R, falls µ schon ein σ–Inhalt ist.

Beweis: Betrachte A ∈ R und E ⊂ X. Falls µ∗(E) = ∞ folgt aus Subadditivität µ∗(E ∩ A) = ∞ oder µ∗(E ∩Ac) = ∞ und damit Gleichheit. Andernfalls existiert Überdeckung E ⊂ ⋃∞

i=1 Ai mit Ai ∈ R und µ∗(E) ≥∑

∞i=1 µ∗(Ai) − ε. Dann gilt

Ai = (Ai ∩ A) ∪ (Ai ∩ Ac) = (Ai ∩ A)︸ ︷︷ ︸

∈R

∪ (Ai \ A)︸ ︷︷ ︸

∈R=⇒ µ(Ai) = µ(Ai ∩ A) + µ(Ai \ A)

Einsetzen ε + µ∗(E) ≥∞

∑i=1

µ∗(Ai ∩ A) +∞

∑i=1

µ∗(Ai \ A)

σ–Subadditivität ≥ µ∗(∞⋃

i=1

Ai ∩ A) + µ∗(∞⋃

i=1

Ai \ A)

Monotonie ≥ µ∗(E ∩ A) + µ∗(E \ A)

ε → 0 =⇒ µ∗(E) ≥ µ∗(E ∩ A) ∪ µ∗(E ∩ Ac)

+ Subadditivität =⇒ Gleichheit =⇒ A ist messbar =⇒ R ⊂ S. A ∈ R =⇒ µ∗(A) = µ(A) ≤ µ(A). Zuzeigen ist, dass µ∗(A) < µ(A) zum Widerspruch führt. Wenn das so wäre, müsste eine Überdeckung

⋃∞i=1 Ai ⊃

A existieren, mit Ai ∈ R und∞

∑i=1

µ(Ai) < µ(A)

O.B.d.A. ist die Überdeckung disjunkt (Ai ∩ Aj = ∅ für i 6= j), ansonsten Ai = Ai \⋃i−1

j=1 Aj ∈ R.

∑i=1

µ(Ai)Monot.≥

∑i=1

µ(Ai ∩ A︸ ︷︷ ︸

∈R

)σ–Add.

= µ(∞⋃

i=1

Ai ∩ A) = µ(A)

=⇒ µ(A) < µ(A) ist Widerspruch, d.h. µ∗(A) = µ(A) = µ(A).

Lemma 46.14Das aus µ auf R ⊂ P(X) konstruierte äußere Maß µ∗ ist regulär in dem Sinne, dass für alle E ⊂ X ein A in der von Rerzeugten σ–Algebra S0 existiert, so dass

µ∗(E) = µ∗(A) mit E ⊂ A ∈ S0 ⊂ S

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beweis: Wegen Monotonie gilt es auszuschließen, dass

µ∗(E) < inf (µ∗(A), E ⊂ A ∈ S0) ,

was nur für µ∗(E) < ∞ eintreten kann. Dann existiert wiederum einedisjunkte Überdeckung E ⊂ ⋃∞

i=1 Ai mit Ai ∈ R.

µ∗(E) ≤∞

∑i=1

µ(Ai) < inf (µ∗(A), E ⊂ A ∈ S0)

A

E nicht messbar

µ∗(E) = µ∗(A) = µ(A)

O.B.d.A. seien die Ai disjunkt und da A =⋃∞

i=1 Ai ∈ S0 ⊂ S folgt

µ∗(A) = µ(A) < inf (µ∗(A), E ⊂ A ∈ S0) .

Das ist ein Widerspruch.

σ–Inhalt auf R Äußeres Maßµ∗ auf P(X)

Maß auf S0 = Aσ(R)eindeutig falls µ σ–endlich

Vollständiges Maß µauf maximalem S ⊂ P(X)

Restriktion nachCarathéodoryErweitern

Vervollständigung

Satz 46.15 (Vervollständigung eines Maßes)Sei µ ein Maß auf S ⊂ P(X) und

N ≡

B ⊂ X| ∃B ∈ S : B ⊃ B ∧ µ(B) = 0

die Familie der Nullmengen. Dann istS ≡

A ∪ B : A ∈ S, B ∈ N

eine σ–Algebra und die Funktion

µ(E) = µ(A) für E = A ∪ B mit A ∈ S, B ∈ N

ein vollständiges Maß auf S.

Beweis: σ–Abgeschlossenheit

E =∞⋃

i=1

Ei, Ei = Ai ∪ Bi und Bi ⊂ Bi ∈ µ−1(0)

=∞⋃

i=1

Ai ∪∞⋃

i=1

Bi = A ∪ B

A =∞⋃

i=1

Ai ∈ S und B =∞⋃

i=1

Bi ⊂ B =∞⋃

i=1

Bi

wobei Bi und B messbar, so dass

µ(B) ≤∞

∑i=1

µ(Bi) = 0

Also gilt E = A ∪ B ∈ S da B ∈ N.

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Abgeschlossenheit bzgl. Komplementierung

(A ∪ B)c = Ac ∩ Bc, B ⊂ B

Bc = Bc ∪ (B \ B), B \ B ∈ N

(A ∪ B)c = Ac ∩ (Bc ∪ (B \ B))

= Ac ∩ Bc

︸ ︷︷ ︸

∈S

∪ (Ac ∩ B \ B)︸ ︷︷ ︸

∈ N da Teilmenge von B

∈ S

Zu zeigen bleibt σ–Additivität von µ

S ∋ E =∞⋃

i=1

Ei =∞⋃

i=1

(Ai ∪ Bi) mit (Ai ∪ Bi) ∩ (Aj ∪ Bj) = ∅ für i 6= j

µ(E) = µ(∞⋃

i=1

Ai ∪∞⋃

i=1

Bi

︸ ︷︷ ︸

∈N

)Def= µ(

∞⋃

i=1

Ai)

σ–Add.=

∑i=1

µ(Ai) =∞

∑i=1

µ(Ai ∪ Bi) =∞

∑i=1

µ(Ei)

=⇒ µ auch σ–Additiv und damit Maß.

Zum Beweis der Vollständigkeit von µ betrachte F ⊂ X

F ⊂ A ∪ B ∈ S mit µ(A ∪ B) = µ(A) = 0

=⇒ F ⊂ A ∪ B ∈ S =⇒ µ(A ∪ B) ≤ µ(A) + µ(B) = 0

=⇒ F ∈ N ⊂ SA

BC

D

Eindeutigkeit von µ:

E = A ∪ B = C ∪ D mit B, D ∈ N, A, C ∈ S

Zu zeigen ist, dass µ(A) = µ(C).

µ(A) + µ(C) = µ(A ∩ C) + µ(A ∪ C), da A, C ∈ S

(A ∪ B)c = Ac ∩ Bc = (C ∪ D)c = Cc ∩ Dc

µ(A) = µ(A ∩ C) + µ(A ∩ D)µ(C) = µ(A ∩ C) + µ(C ∩ B)

=⇒ µ(A) = µ(A ∩ C) = µ(C) = µ(A ∪ C) = µ(B ∪ D)

µ(A) ≤ µ(A ∩ C ∪ A ∩ D) ≤ (A ∩ C) + µ(A ∪ D) = µ(A ∩ C)Monot.≤ µ(A)

=⇒ µ(A) = µ(A ∩ C) entsprechend nach Austausch A ↔ C und B ↔ D

µ(C) = µ(A ∩ C) =⇒ µ(A) = µ(C) =⇒ µ(A ∪ B) eindeutig definiert.

Satz 46.16Sei µ ein (σ–endlicher) σ–Inhalt auf dem Ring R ⊂ P(X) und µ∗ ein durch µ auf P(X) erzeugte äußeres Maß. S0 =

Aσ(R) ⊂ P(X) ist die durch R erzeugte σ–Algebra, S das System der µ∗–messbaren Elemente von P(X). S0 ist die Erwei-terung von S0 gemäß dem Satz 46.15 mit µ = µ∗

|S und µσ = µ∗|S0

.

Dann ist µ die Verallgemeinerung von µσ auf S = S0 gemäß Satz 46.15.

Beweis:

(i) S0 ⊂ S:

E ⊂ S0 =⇒ E = A ∪ B mit A ∈ S0 und B ⊂ B mit µ∗(B) = µ∗(B) = 0

A ∈ S ⊃ S0, µ∗(B) = 0 =⇒ B ∈ S da alle µ∗–Nullmengen messbar

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§46 σ–Algebren und Maße XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(ii) S ⊂ S0:

E ∈ S46.14=⇒ ∃A ∈ S0 mit A ⊃ E so dass µ∗(A) = µ∗(E) = µ(E)

Da E messbar ist, folgt µ∗(A) = µ∗(A ∩ E) + µ∗(A ∩ Ec) = µ∗(E) + µ(A \ E). Außerdem existiert nach46.14 B ∈ S0, so dass B ⊃ A \ E und µ∗(B) = µ∗(A \ E) = 0.

Also gilt schließlichE = (A \ B)

︸ ︷︷ ︸

∈S0

∪ (E ∩ B)︸ ︷︷ ︸

∈ N da µ∗(B) = 0

(A \ B) ⊂ A \ (A \ E) = E ∩ Bc. Hierbei wurde vorausgesetzt, dass µ∗(E) < ∞. Falls µ∗(E) = ∞ folgt ausvorausgesetzter σ–Endlichkeit

X =∞⋃

i=1

Xi mit Xi ∈ R wobei µ(Xi) < ∞

nach obiger Aussage gilt für E ∈ S, dass Ei = E ∩ Xi = Ai ∪ Ci mit Ai ∈ S0 und Ci ∈ N.

Daraus folgt

E =∞⋃

i=1

Ei =∞⋃

i=1

(Ai ∪ Ci) =

(∞⋃

i=1

Ai

)

︸ ︷︷ ︸

∈S0

∪(

∞⋃

i=1

Ci

)

∈ S0

Satz 46.17 (Eindeutigkeit der Erweiterung)Falls µ ein σ–endlicher σ–Inhalt auf R ist, dann exisitiert genau ein erweitertes Maß µ0 auf der von R erzeugten σ–AlgebraS0 = Aσ(R).

Beweis: Annahme: µ ist ein weiteres Maß auf S0 mit µ(A) = µ(A) für A ∈ R. Sei µ∗ wiederum das durch µerzeugte äußere Maß auf P(X). Für beliebiges A ∈ S0 gilt

µ0(A) = µ∗(A) = inf

(∞

∑i=1

µ(Ai)

)

mit Ai ∈ R disjunkt und∞⋃

i=1

Ai ⊃ A

=⇒ inf

(∞

∑i=1

µ(Ai)

)

µ σ–Add.= inf

(

µ(∞⋃

i=1

Ai)

)

≥ inf µ(A) = µ(A)

da A ⊂ ⋃∞i=1 Ai und µ auch monoton. Also gilt µ(A) ≥ µ0(A) für A ∈ S0. Betrachte A ⊃ A mit A ∈ R. Dann

folgt A \ A ∈ S0 und somit nach Symmetrie µ(A \ A) ≤ µ0(A \ A).

Daraus folgt wegen Additivität

µ(A) = µ(A \ A) + µ(A) ≤ µ0(A \ A) + µ0(A) = µ0(A)

Da A ∈ R vorausgesetzt, gilt µ(A) = µ0(A) und somit überall Gleichheit, d.h. µ(A) = µ0(A).

Da µ σ–endlich vorausgesetzt ist, gilt X =⋃∞

i=1 Xi mit Xi ⊂ R, µ(Xi) < ∞

=⇒ A ∈ S0 =⇒ A =∞⋃

i=1

(A ∩ Xi) =∞⋃

i=1

Ai

mit Ai ∈ S0, Ai ⊂ Xi ∈ R. Für A = Xi folgt aus obigem Beweis

µ(Ai) = µ0(Ai)σ–Add.=⇒ µ(A) = µ0(A) ∀A ∈ S0

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§47 Lebesgue Maß auf Rn XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

§47 Lebesgue Maß auf Rn

Betrachte halboffenen Quader

Q = [a1, b1) × [a2, b2) × . . . [an, bn) ⊂ Rn mit − ∞ < ai ≤ bi < ∞

d.h. Q =(x1, . . . , xn) ∈ Rn : ai ≤ xi < bi für i = 1 . . . n

und entsprechende Figuren A,

A =m⋃

i=1

Qi mit disjunkten Quadern Qi .

Die Figuren bilden einen Ring, aber keine Algebra, da nur Differenzen, aber keine Komplemente enthalten sind. DerInhalt λn ist definiert durch

λn(Q) =n

∏i=1

(bi − ai) =⇒ λn(Q) = 0 falls ai = bi für ein i ⇐⇒ Q = ∅

und entsprechend für Figuren

λn(A) =m

∑i=1

λn(Qi) ∈ [0, ∞)

Lemma 47.1λn ist auf R ein σ–endlicher σ–Inhalt.

Beweis: siehe Übung

Definition 47.2Sei λ∗

n das durch λn auf P(Rn) erzeugte äußere Maß, L(Rn) die λ∗n–messbaren Mengen in P(Rn), λn = (λ∗

n)|L(Rn) dasentsprechende Lebesgue–Maß.

B(Rn) ist die von R erzeugte σ–Algebra der sogenannten Borel–Mengen.

λn = (λn)|B(Rn) ist das Borel–Lebesgue Maß .

Bemerkung Nach Satz 46.15 ist L(Rn) die Vervollständigung von B(Rn) durch Nullmengen und λn die einzigeErweiterung von λn auf B(Rn).

Satz 47.3 (Notwendige und hinreichende Bedingung für Lebesgue–Messbarkeit)A ∈ L(Rn) gdw. es gibt für jedes ε > 0 eine offene Menge Uε ⊃ A und eine abgeschlossene Menge Fε ⊂ A, so dass

(i) λ∗n(Uε \ A) < ε und

(ii) λ∗n(A \ Fε) < ε.

Beweis: (i) „⇒“ A ∈ L(Rn). Dann gibt es eine Überdeckung A ⊂ ⋃∞i=1 Ai durch Figuren Ai =

⋃mij=1 Qij mit

ε2 + λn(A) = λ∗

n(A) + ε2 ≥

∑i=1

λn(Ai) = ∑i,j

λn(Qij) =∞

∑k=1

λn(Qk)

für eine geeignete Abzählung der Qij als Qk. Für jedes k existiert ein offenes Qk

Qk = (a1, b1) × (a2, b2) . . . × (an, bn) ⊃ Qk

mit ai < ai nahe genug, so dass

λn(Qk) =n

∏j=1

(bi − ai) < λn(Qk) +ε

2k+1

Einsetzen in erste Ungleichung ergibt

Uε =∞⋃

k=1

Qk offen und deswegen in L(Rn)

mit Maß

λ∗n(Uε) ≤

∑k=1

λn(Qk) ≤ε

2+

∑k=1

λn(Qk) ≤ ε + λn(A) =⇒ λn(Uε \ A) = λn(Uε) − λn(A) < ε

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§47 Lebesgue Maß auf Rn XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

„⇐“ Sei B =⋂

k∈N U1/k ∈ L(Rn) mit λ∗n(U1/k \ A) <

1k . Dann ist A ⊂ B. Sei N = B \ A. Zu zeigen ist

λ∗(N) = 0, denn dann ist A = B \ N ∈ L(Rn). Es gilt

N ⊂ U1/k \ A =⇒ λ∗n(N) ≤ λ∗

n(U1/k \ A) <1k

k→∞=⇒ λ∗

n(N) = 0

(ii) „⇒“ Betrachte X \ A. Dann existiert nach (i) eine offene Menge Uε ⊃ X \ A mit λ∗n(Uε \ (X \ A)) < ε. Sei

dann Fε = X \ Uε.

„⇐“ Sei B =⋃

k∈N F1/k mit F1/k ⊂ A abgeschlossen und λ∗n(A \ F1/k) <

1k . Setze N = A \ B

analog=⇒ λ∗

n(N) = 0 =⇒ B︸︷︷︸

∈L(Rn)

∪ N︸︷︷︸

∈L(Rn)

= A ∈ L(Rn)

Bemerkung

(i) Wie aus dem Beweis ersichtlich, reicht es für die Lebesgue–Meßbarkeit von A aus, dass A nur nach (i) vonaußen oder nur nach (ii) von innen approximierbar ist.

(ii) Sei A ∈ L(Rn), dann ist

λn(A) = inf λn(U)| U offen, A ⊂ U = sup λn(F)| F abgeschlossen, F ⊂ A

(iii)

A ∈ L(Rn) ⇐⇒ A = (⋃

i∈N

Fi) ∪ N Fi abgeschlossen, N ist λn–Nullmenge

⇐⇒ A = (⋂

i∈N

Ui) \ N Ui offen, N ist λn–Nullmenge

(iv) A ist genau dann eine λ∗n–Nullmenge, falls ∀ε > 0 Würfel W1, W2, . . . existieren mit

A ⊂⋃

i∈N

Int(Wi) und ∑i

λn(Wi) < ε

Verhalten von λn unter Abbildungen

Satz 47.4Sei T : U ⊂ Rn → Rn eine C1–Abb. Ist A eine λn–Nullmenge, dann ist T(A) eine λn–Nullmenge.

Beweis: Sei U =⋃

i∈N Qi mit cl Qi ⊂ U.

T(A) = T(A ∩⋃

i∈N

Qi) = T(⋃

i∈N

A ∩ Qi) =⋃

i∈N

T(A ∩ Qi)

Also reicht es zu zeigen, dass T(A ∩ Qi) eine λn–Nullmenge ist.

Sei ε > 0 fix und W1, W2, . . . Würfel mit

A ⊂⋃

i∈N

Int(Wi) und ∑i∈N

λn(Wi) < ε

Sei x ∈ A ∩ Qi ∩ Int Wj. Bezeichne 2rj die Kantenlänge von Wj und ξ j den Mittelpunkt von Wj. Weil T| cl Qilipschitzstetig mit Konstante Mi ist, gilt

‖T(ξ j) − T(x)‖ < Mirj, denn ‖x − ξ j‖ < rj

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§47 Lebesgue Maß auf Rn XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Daher liegt T(x) in einem Würfel Wj mit Kantenlänge 2Mirj.

=⇒ T(A ∩ Qi) = T

(A ∩ Qi) ∩⋃

j

Int Wj

=⋃

j

T(A ∩ Qi ∩ Int Wj)

=⇒ T(A ∩ Qi) ⊂⋃

j

Int Wj und ∑j

λn(Wj) ≤ ∑j

2n(rj Mi)n ≤ Mn

j ∑ λn(Wi) < Mni ε

Also ist T(A ∩ Qi) λn–Nullmenge.

Satz 47.5(i) Sei T : U ⊂ Rn → Rn eine abgeschlossene (d.h. das Bild einer abgeschlossenen Menge ist abgeschlossen) C1–Abbildung.

Dann folgt aus A ∈ L(Rn) =⇒ T(A) ∈ L(Rn).

(ii) Sei L : Rn → Rn eine lineare Abbildung mit det L 6= 0

=⇒ λn(L(A)) = |det L| · λn(A) ∀A ∈ L(Rn)

Beweis: (i) O.B.d.A. A = (⋃

i∈N Fi) ∪ N, Fi abgeschlossen, N eine λn–Nullmenge

T(A) = (⋃

i∈N

T(Fi)

︸ ︷︷ ︸

abg.

) ∪ T(N)︸ ︷︷ ︸

Nullmenge

47.4∈ L(Rn)

(ii) a) Sei A = Q = [a1, b1) × . . . × [an, bn). Betrachte

P = Q − a mit a = (a1, . . . , an)

= [0, b1 − a1) × . . . × [0, bn − an)

Setze bj = (bj − aj)ej

=⇒ P = P([b1, . . . bn]) := x ∈ Rn|x = ∑ xjbj, 0 ≤ xj ≤ 1

das Parallelepiped von bi. Dann gilt L(P) = P([L(b1), . . . , L(bn)]) = L(Q) − L(a).

=⇒ λn(L(Q))

λn–Translations-

invarianz= λn(L(P))

!= vol(P([L(b1), . . . L(bn)]))

Lin.Alg.= |det(L(b1), . . . , L(bn))|

= ∏(bi − ai)|det(L(e1), . . . , L(en))|= λn(Q)|det L|

b) Sei U offen =⇒ U =⋃

i∈N Qi Quader

L bij.=⇒ λn(L(U)) = λn(

i∈N

(Qi)) = ∑i∈N

λn(L(Qi))

a)= |det L|∑

i

λn(Qi)

= |det L|λn(U)

c) A ∈ L(Rn) beliebig. Sei ε fix und A ⊂ Uε offen mit λn(Uε \ A) < ε.

=⇒ λn(L(A)) ≤ λn(L(Uε)) = |det L|λn(Uε) ≤ |det L| · (λn(A) + ε)

ε→0=⇒ λn(L(A)) ≤ |det L| · λn(A)

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§48 Messbare Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Analog ∃Fε ⊂ A abgeschlossen mit λn(A \ Fε) < ε so dass

λn(A) = λn(Fε) + λn(A \ Fε) < λn(Fε) + ε

=⇒ |det L|(λn(A) − ε) ≤ |det L|λn(Fε) ≤ |det L|λn(Uε)

b)= λn(L(Uε)) = λn(L(Fε)) + λn(L(Uε \ Fε

︸ ︷︷ ︸

offen

))

≤ λn(L(A)) + |det L| · 2ε

ε→0=⇒ |det L|λn(A) ≤ λn(L(A))

Bemerkung Ist F : Rn → Rn eine euklidische Bewegung, d.h.

F(x) = L(x) + a mit L ∈ O(Rn) (orth. Abb.) und a ∈ Rn

=⇒ λn(F(A)) = λn(L(A)) = λn(A), da det L = ±1

§48 Messbare Funktionen

Es soll ein Integralbegriff definiert werden, der das Riemann–Integral erweitert. Bekanntlich ist die

Dirichlet–Funktion f : [0, 1] → R f (x) =

0 x irrational

1 x rational

nicht Riemann–integrierbar, da in jeder endlichen Zerlegung von [0, 1] jedes Teilintervall rationale und irrationalePunkte enthält.

Sei (X,A, µ) ein Maßraum. Es sollen Integrale für Funktionen f : X → R definiert werden. Es muss dazu eineTeilmenge „geeigneter“ Funktionen ausgewählt werden (da es sonst Gegenbeispiele analog zum Banach–Tarski–Paradox gibt).

Definition und Eigenschaften messbarer Funktionen

Sei (X,A) ein messbarer Raum, E ⊂ X beliebig.

AE = A∩ E = A ∩ E : A ∈ A

AE ist wieder eine σ–Algera. Die „(von A) auf E induzierte“ σ–Algebra.

Definition 48.1Seien (X,A), (Y,B) messbare Räume, E ⊂ X. f : E → Y heißt (A,B)–messbar, wenn für alle B ∈ B gilt f−1(B) ∈ AE.

Es gelten folgende erste Eigenschaften:

Satz 48.2(X,A), (Y,B) messbare Räume

(i) Falls B von einem System S ⊂ P(Y) erzeugt wird, dann ist f : X → Y genau dann (A,B)–messbar, falls ∀S ∈ S :f−1(S) ∈ A, bzw. allgemeiner

E ⊂ X, f : E → Y messbar ⇐⇒ ∀S ∈ S : f−1(S) ∈ AE

(ii) f : X → Y (A,B)–messbar, E ⊂ X, dann ist auch f|E : E → Y (A,B)–messbar.

(iii) Sei X =⋃∞

i=1 Xi, Xi ∈ A eine Überdeckung, f : X → Y eine Abbildung mit f|Xi(A,B)–messbar für alle i ∈ N, dann

ist auch f (A,B)–messbar.

(iv) (X,A, µ) sei ein vollständiger Maßraum, N ⊂ X eine Nullmenge, dann ist jede Abbildung f : N → Y (A,B)–messbar. Insbesondere gilt: Sind f , g : X → Y Abbildungen mit f messbar, g ist nur auf einer Nullmenge N ⊂ X von fverschieden, dann ist auch g messbar.

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§48 Messbare Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beweis: (i) Betrachte B = f∗(AE) = B ⊂ Y : f−1(B) ∈ AE, diese ist eine σ–Algebra (nach Aufgabe 1.3).

S ⊂ B =⇒ B = Aσ(S) ⊂ B =⇒ f−1(B) ∈ AE

(ii) Für alle B ∈ B giltf−1|E (B) = f−1(B)

︸ ︷︷ ︸

∈A

∩E ∈ AE

(iii) Xi ∈ A =⇒ AXi⊂ A.

∀B ∈ B ( f|Xi)−1(B) =: Ai ∈ AXi

⊂ A =⇒ f−1(B) =∞⋃

i=1

Ai ∈ A

(iv) 1) f : N → Y, f−1(B) ⊂ N ∀B ∈ B. Da (X,A, µ) vollständig, ist auch f−1(B) als Nullmenge in Aenthalten.

2) f , g : X → Y, N = x ∈ X : f (x) 6= g(x) Nullmenge.

X = X1 ∪ X2, X1 = X \ N, X2 = N

Wende iii) und iv.1) an.

Ist (Y, d) ein metrischer Raum, so wird, falls nicht anders angegeben, die σ–Algebra der Borelmengen

B = B(Y) = Aσ(O(Y)) = Aσ(F (Y))

verwendet.

Definition 48.3Seien (X,A) ein messbarer und (Y, d) ein metrischer Raum. Dann heißt f : X → Y A–messbar, falls f (A,B(Y))–messbarist. Insbesondere ist f A–messbar, falls f−1(U) ∈ A für alle offenen Teilmengen U ⊂ Y.

Korollar 48.4Seien (X,A) ein messbarer und (Y1, d1), (Y2, d2) metrische Räume, sowie h : Y1 → Y2 stetig. Dann ist für jede A–messbareAbbildung f : X → Y auch die Verknüpfung h f A–messbar.

Beweis: Sei V ⊂ Y2 offen. Dann ist auch U = h−1(V) offen und

(h f )−1(V) = f−1(h−1(V)) = f−1(U) ∈ A

Die Borelmengen von R werden von den Intervallen [a, +∞) bzw. (a, +∞) erzeugt.

B(R) = Aσ ([a, ∞) : a ∈ R)

Korollar 48.5Seien (X,A) ein messbarer Raum und f : X → R eine Abbildung. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

(i) f ist A–messbar

(ii) x ∈ X : f (x) ≥ a ∈ A ∀a ∈ R

(iii) x ∈ X : f (x) > a ∈ A ∀a ∈ R

(iv) x ∈ X : f (x) ≤ a ∈ A ∀a ∈ R

(v) x ∈ X : f (x) < a ∈ A ∀a ∈ R

Zur einfacheren Formulierung von Konvergenzaussagen erweitert man R durch Hinzufügen von +∞ und −∞ zu

R = R ∪ −∞, +∞

mit den Rechenregeln:

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§48 Messbare Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(i) (±∞) + (±∞) = ±∞

(ii) (±∞) + a = a + (±∞) = ±∞

(iii) (±∞) · a = a · (±∞) =

±∞ , falls a ∈ (0, +∞]

∓∞ , falls a ∈ [−∞, 0)

und den Vereinbarungen:

(+∞) + (−∞) = (−∞) + (+∞) = 0 (±∞) · 0 = 0 · (±∞) = 0

Damit ist R bzgl. „+“ und „·“ abgeschlossen. Die Operationen sind weiterhin kommutativ, aber nicht mehr assoziativ.

Eine Teilmenge A ⊂ R ist offen, falls A ∩ R offen ist und

+∞ ∈ A =⇒ ∃a ∈ R mit (a, +∞] ⊂ A − ∞ ∈ A =⇒ ∃b ∈ R mit [−∞, b) ⊂ A

Abbildungen f : X → R werden „numerische“ Funktionen genannt.

Die Borelmengen von R ergeben sich als

B(R) = Aσ(O(R)) = A ∪ E : A ∈ B(R), E ⊂ −∞, +∞

Definition 48.6Sei (A, X) ein messbarer Raum. Dann heißt f : X → R A–messbar, falls f (A,B(R))–messbar ist.

Bemerkung Die Charakterisierung A–messbarer Funktionen in 48.5 gilt auch für numerische Funktionen.

Satz 48.7Sei (X,A) ein messbarer Raum.

(i) Sind f , g : X → R A–messbar, so auch f ± g, f · g, max( f , g), min( f , g), | f |.(ii) f = ( f1, . . . , fn) : X → Rn ist A–messbar gdw. jedes fi, i = 1, . . . , n A–messbar ist.

(iii) fn : X → R, n ∈ N, seien A–messbar. Dann sind auch supn∈N fn, infn∈N fn, lim supn→∞ fn und lim infn→∞ fnA–messbar.

Aus (iii) folgt, dass falls f (x) = limn→∞ fn(x) für alle x ∈ X, d.h. f ist punktweiser Grenzwert der fn, dann diesein messbares f ergibt, falls fi messbar. Im Gegensatz dazu wird Stetigkeit bei (nur) punktweise Konvegenz nichterhalten.

Beweis: Hilfsaussage für beliebiges a ∈ R

N ≡ x ∈ X : f (x) + g(x) < a !=⋃

y∈Q

f (x) < y ∩ g(x) < a − y ≡ M

„⊃“ trivial, da x ∈ M =⇒ f (x) < y und g(x) < a − y =⇒ f (x) + g(x) < a − y + y = a, so dassx ∈ f−1(−∞, a)

„⊂“

x ∈ N =⇒ f (x) < y < a − g(x) für ein y ∈ Q, da die rationalen Zahlen dicht liegen

=⇒ f (x) < y ∧ g(x) < a − y =⇒ x ∈ M

=⇒ N = M, damit gilt die Hilfsaussage.

(i) Laut Voraussetzung sind f , g messbar und somit alle f (x) < y und g(x) < a − y Elemente ausder σ–Algebra A. Wegen deren Abgeschlossenheit bzg. abzählbarer Schnitte und Vereinigungen gilt auchN = M ∈ A.

f − g = f + (−1)g messbar, da für beliebiges c 6= 0

c g(x) < a =

g(x) < a/c falls c > 0

g(x) > a/c falls c < 0

Also erbt (−1)g die Messbarkeit von g und damit auch f − g.

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§48 Messbare Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(ii) Da B(Rn) von Quadern Q = [a1, b1) × [a2, b2) × . . . [an, bn) erzeugt wird, betrachte Urbild

f−1(Q) = x ∈ X : ai ≤ fi(x) < bi für i = 1 . . . n =n⋂

i=1

f−1i ([ai, bi)) =

n⋂

i=1

x ∈ X : ai ≤ fi(x) < bi

Also folgt aus der Messbarkeit aller Komponentenfunktionen fi unmittelbar die Messbarkeit der Vektor-funktion f . Umkehrung in Übung.

(iii) x ∈ X : sup fn(x) > a =⋃∞

n=1x ∈ X : fn(x) > a. Also folgt Messbarkeit von sup fn aus Messbarkeitder fn ( =⇒ inf entsprechend).

lim supn→∞

fn(x) = infm

supn≥m

fn(x) = infm

f m mit f m(x) = supn≥m

fn(x) messbar nach (iii) erste Aussage

Damit ist infm≥0 f m auch messbar. Daraus folgt, wenn

limn→∞

fn(x) = f (x) = lim supn→∞

fn(x) = lim infn→∞

fn(x), dann ist auch f messbar.

Reste siehe Übung. Hinweis für f · g: Nutze die Apollonius–Identität

f · g = 14 [( f + g)2 − ( f − g)2]

Bemerkung (zu „Numerische“ Funktion, d.h. Bildbereich R = −∞ ∪ R ∪ ∞)

(i) Name merkwürdig. Erklärung: Analytiker denken „numerisch“ bedeutet „keine strenge Mathematik“Englisch: „Extended Real Valued Function“, d.h. erweiterter reeller Wertebereich

(ii) Hierachie

c/0 = sign(c)∞ für c 6= 0 okay

= ±∞ in IEEE Arithmetik

0 · ∞ =??? = NaN ≡ (Not a Number)

Test in C: (x == x) ergibt

1 = wahr falls x 6= NaN

0 = f alsch falls x ≡ NaN

(iii) Es gab und gibt viele Versuche, R um unendliche Größen zu erweitern, so dass algebraische und topologischeEigenschaften erhalten bleiben („Nonstandard Analysis“)

(iv) Bis auf Weiteres sind Fallunterscheidungen nötig.

Definition 48.8 (Einfache Funktionen)auch Treppenfunktionen, stückweise konstante Funktionen

(i) Für A ⊂ X definiert man die charakteristische Funktion χA : X → 0, 1

χA(x) =

1 falls x ∈ A

0 falls x /∈ A

χA ist offensichtlich messbar gdw. χ−1A (1) = A ∈ A

(ii) f : X → R heißt einfach, wenn für n paarweise disjunkte Mengen Ai ⊂ X (Ai ∩ Aj = ∅ falls i 6= j) und reelleKoeffizienten ci ∈ R

f (x) =n

∑i=1

ciχAi(x)

Äquivalenterweise kann man verlangen, dass f auf X nur endlich viele unterschiedliche Werte in R annimmt.

Satz 48.9Falls f : X → [0, ∞] messbar, dann ist es monoton von unten durch messbare einfache Funktion fk : X 7→ [0, ∞) annäherbar,d.h. fk(x) ր f (x) für alle x ∈ X.

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§48 Messbare Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beweis: Betrachte zunächst einfache Funktionen ϕk : [0, ∞) → [0, ∞) mit ϕk(y) ր y für alle y ∈ [0, ∞),Konstruktion später. Dann folgt unmittelbar für fk(x) = ϕk( f (x)), dass

fk(x) = ϕk( f (x)) րk→∞

ϕ( f (x)) = f (x)

Aus der Kettenregel folgt die Messbarkeit von fk aus der Messbarkeit von f und ϕk.

Definition der ϕk

ϕk(y) =

k falls y ≥ k

i−12k falls i−1

2k ≤ y <i

2k für 1 ≤ i ≤ k · 2k

Satz 48.10 (Erhaltung von Messbarkeit bei punktweiser Konvergenz)(X,A) messbarer, (Y, d) metrischer Raum, fi : X → Y messbar und f (x) = limi→∞ fi(x) für alle x ∈ X, dann ist auch fmessbar.

Beweis: Es reicht zu zeigen, dass für alle offenen (und deswegen auch messbaren) U ⊂ Y das Urbild f−1(U)messbar ist. Es ist

U =∞⋃

k=1

Uk , Uk ≡

y ∈ Y : d(y, Uc) >1k

wobei die Uk für alle k offen und damit auch messbar sind.

f−1(Uk) =

x ∈ X : d( f (x), Uc) >1k

sowie lim fi(x) = f (x)

=

x ∈ X : ∃j ∈ N∀i ≥ j : d( fi(x), Uc) >1k

=∞⋃

j=1

∞⋂

i=j

x ∈ X : d( fi(x), Uc) >1k

︸ ︷︷ ︸

f−1i (Uk)

∂UkU

Uc

Messbarkeit der f−1i (Uk) folgt aus der Messbarkeit der Folgenelemente fi. Schnitt und Vereinigung bleibt in

σ–Algebra =⇒ f messbar.

Satz 48.11Sei E ⊂ X messbar mit µ(E) < ∞. Betrachte die Funktionenfolge fk : E → R, messbar und f (x) = limk→∞ fk(x) für x ∈ E.Dann existieren für alle Paare δ > 0 < ε ein messbares A ⊂ E und ein k0, so dass µ(A) < δ und

| fk(x) − f (x)| < ε für x ∈ E \ A und k ≥ k0

Beweis: Betrachte

Gk = x ∈ E : | fk(x) − f (x)| ≥ ε und Em =∞⋃

k=m

Gk ≡ x ∈ E : | fk(x) − f (x)| ≥ ε für ein k ≥ m

Offensichtlich ist Em eine monotone Folge, d.h. Em−1 ⊃ Em ⊃ Em+1 . . .

∞⋂

m=1

Em = x ∈ E : | fk(x) − f (x)| ≥ ε für unendlich viele k = ∅ wegen punktweiser Konvergenz.

Wegen Stetigkeit von oben nach Satz 46.6 gilt

limm→∞

µ(Em) = µ(∞⋂

m=1

Em) = µ(∅) = 0

Also existiert ein m, so dass für A = Em gilt µ(A) < δ und X ∈ E \ A impliziert | fk(x) − f (x)| ≤ ε für allek ≥ m.

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§49 Integration messbarer Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

§49 Integration messbarer Funktionen

Einfache Funktionen sind Verallgemeinerungen von Treppenfunktionen, so dass man sinnvollerweise das Riemann-integral in [a, b] ⊂ R verallgemeinert zu

Eϕ dµ =

n

∑k=1

ckµ(Ak ∩ E) für ϕ =n

∑k=1

ckχAkund Ak, E messbar

Satz 49.1 (Eigenschaften des Integrals für einfache ϕ)(i) unabhängig vom Repräsentanten von ϕ (Eindeutigkeit)

(ii)∫

E(αϕ + βψ) dµ = α∫

E ϕ dµ + β∫

E ψ dµ (Linearität)

(iii)∫

E1∪E2ϕ dµ =

E1ϕ dµ +

E2ϕ dµ für E1 ∩ E2 = ∅ (Additivität bzgl. E)

(iv)∫

E ϕ dµ ≤∫

E ψ dµ falls ϕ(x) ≤ ψ(x) für x ∈ E (Monotonie)

(v)∣∣∫

E ϕ dµ∣∣ ≤

E |ϕ| dµ ≤ µ(E)‖ϕ‖∞ für ‖ϕ‖∞ = supx∈E |ϕ(x)|(vi)

A ϕ dµ ≤∫

B ϕ dµ falls ϕ ≥ 0 und A ⊂ B

wobei E messbar, ϕ, ψ einfach auf X und α, β ∈ R und | · | der übliche Betrag.

Beweis: Einfaches Nachrechnen, eventuell in Übung

Ziel: Integral so auf möglichst alle messbaren Funktionen erweitern, dass (i)-(vi) gültig bleiben. Abgesehen vonunendlichen Werten ist Messbarkeit hinreichend und notwendig für Integrierbarkeit.

Satz 49.2Sei E ⊂ X messbar, µ(E) < ∞ und f : E → R mit Schranke M ≥ | f (x)| für x ∈ E. Dann gilt mit ϕ und ψ einfacheFunktionen

supϕ≤ f

Eϕ dµ = inf

ψ≥ f

Eψ dµ

gdw. f messbar.

Beweis: „⇐“ Für beliebiges, aber festes m betrachte Niveaumengen (messbar)

Ek =

x ∈ E : (k−1)Mm < f (x) ≤ k

m M

für k = −m,−m + 1, . . . , m

ϕm(x) =m

∑k=−m

(k − 1)Mm

χEk(x)

ψm(x) =m

∑k=−m

kMm

χEk(x)

=⇒ ϕm(x) ≤ f (x) ≤ ψm(x) für x ∈ E∫

Eϕm dµ ≡

m

∑k=−m

(k − 1)Mm

µ(Ek) ≤∫

Eψm dµ ≡

m

∑k=−m

kMm

µ(Ek)

Eψm dµ −

Eϕm dµ =

E(ψm − ϕm) dµ =

m

∑k=−m

(kMm

− (k − 1)Mm

)

µ(Ek)

=m

∑k=−m

Mm

µ(Ek) =Mm

m

∑k=−m

µ(Ek) =Mm

µ(E)

infψ≥ f

Eψ dµ − sup

ϕ≤ f

Eϕ dµ ≤ inf

ψm≥ f

Eψm dµ − sup

ϕm≤ f

Eϕm dµ

≤ infψm≥ f

Eψm dµ + inf

ϕm≤ f

E(−ϕm) dµ

≤ infm∈N

E(ψm − ϕm) dµ ≤ inf

m∈N

Mm

µ(E) = 0 =⇒ infψ≥ f

Eψ dµ ≤ sup

ϕ≤ f

Eϕ dµ

Daraus folgt die Gleichheit wie behauptet, da aus ϕ ≤ f ≤ ψ wegen Monotonie des Integrals bei einfachenFunktionen folgt

E ϕ dµ ≤∫

E ψ dµ =⇒ sup ≤ inf.

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§49 Integration messbarer Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

„⇒“ Seien ϕn ≤ f eine wachsende und ψn ≥ f eine fallende Folge einfacher Funktionen, für die gilt

limn→∞

Eϕn dµ = sup

ϕ≤ f

Eϕ dµ = inf

ψ≥ f

Eψ dµ = lim

n→∞

Eψn dµ

Diese müssen nach Voraussetzung von „⇒“ existieren. Daraus folgt, dass∫

Eψn dµ −

Eϕn dµ =

E(ψn − ϕn) dµ −−−→

n→∞0

Seien ϕ∗ = limn→∞ ϕn und ψ∗ = limn→∞ψn, diese erfüllen punktweise ϕ∗(x) ≤ f (x) ≤ ψ∗(x) und sindnach Satz 48.7 messbar.

Annahmeµx ∈ E : ψ∗(x) > ϕ∗(x) > 0

dann folgt für ein ε > 0, dass auch

µ x ∈ E : ψ∗(x) > ϕ∗(x) + ε︸ ︷︷ ︸

≡Aε

> 0

und für alle n : ψn(x) ≥ ψ∗(x) > ϕ∗(x) + ε ≥ ϕn(x) + ε ∀x ∈ Aε

Dann gilt∫

E(ψn − ϕn︸ ︷︷ ︸

≥0

) dµ ≥∫

(ψn − ϕn) dµ ≥∫

ε dµ ≥ εµ(Aε) > 0

Da rechte untere Schranke für alle n gilt, widerspricht dies der Voraussetzung, dass∫

E(ψ − ϕ) dµ → 0.

Also gilt µx ∈ E : ϕ∗(x) < ψ∗(x) = 0 und daher∫

E ϕ∗(x) dµ =∫

E ψ∗(x) dµ und mit µx ∈ E : f (x) 6=ϕ∗(x) = 0 folgt aus der Vollständigkeit des Maßes, dass auch f messbar ist.

Definition 49.3Falls E ⊂ X und f messbar mit f beschränkt, setze (bei ψ ≥ f einfache Funktion)

Ef dµ = inf

ψ≥ f

Eψ dµ

Falls µ = λn das Lebesgue–Maß spricht man vom Lebesgue–Integral und schreibt einfach∫

Ef dµ =

Ef (x)dx

M.a.W. „Default–Maß“ ist Lebesgue–Maß.

Korollar 49.4Falls f : [a, b] → R beschränkt und Riemann–integrierbar, dann ist f messbar und das Lebesgue–Integral ergibt den selbenWert wie das Riemann–Integral.

Beweis: Wie beim Riemann–Integral auftretenden Unter- und Obersummen lassen sich als Integral über einfa-che, d.h. Treppenfunktionen interpretieren, die mit der „neuen“ Definition übereinstimmen. Konvergenz unddamit nach Satz 49.2 Messbarkeit von f folgen.

Beispiel (die Umkehrung gilt nicht)

Q = Q ∩ [0, 1], χQ(x) =

1, falls x ∈ Q;

0, sonst.

ist nicht Riemann–integrierbar auf [0, 1], da alle Untersummen = 0 und alle Obersummen = 1 für beliebig feineZerlegung. χQ ist Borel–messbar =⇒ Lebesgue–messbar.

χ−1Q

(U) =

[0, 1] , falls 0 ∈ U ∋ 1

Qc , falls 1 /∈ U ∋ 0 für offenes U ⊂ R

Q , falls 0 /∈ U ∋ 1

∅ , falls 0, 1 /∈ U

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§49 Integration messbarer Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Q =⋃∞

j=1qi mit Q = q1, q2, . . . auszählen ist Borelmenge und auch Qc und damit

[0,1]χQ(x)dx = 0

Definition 49.5Falls f : X → [0, ∞] messbar und E ⊂ X messbar, setze

Ef dµ = sup

Eϕ dµ : 0 ≤ ϕ ≤ f , einfach

Lemma 49.6Das obige Integral erfüllt aus 49.1 die Eigenschaften (iii),(v), (vi) und

E α f dµ = α∫

E f dµ falls α ≥ 0.

Beweis: Siehe Übung

Lemma 49.7 (von Fatou)0 ≤ fn messbar, f = lim infn→∞ fn punktweise, E ⊂ X messbar.

lim infn→∞

Efn dµ ≥

Elim inf

n→∞fn dµ =

Ef dµ

(

= supϕ≤ f einfach

Eϕ dµ

)

(Vergleiche lim inf(an + bn) ≥ lim inf an + lim inf bn.)

Beweis: Es reicht zu zeigen, dass lim inf ≥∫

E ϕ dµ für beliebiges einfaches ϕ ≤ f .

1. Fall:∫

E ϕ dµ = ∞. Setze A = E \ ϕ−1(0), dann ist auch µ(A) = ∞. Es gibt ein a > 0 mit ϕ(x) > a > 0 fürjedes x ∈ A. Konstruiere

An = x ∈ E : fk(x) > a für alle k ≥ n =⇒ An ⊂ An+1,∞⋃

n=1

An ⊃ A =⇒ limn→∞

µ(An) = µ(∞⋃

n=1

An) ≥ µ(A) = ∞;

Efn dµ ≥ aµ(An) −−−→

n→∞∞ =⇒ lim inf

n→∞

Efn dµ = lim

n→∞

Efn dµ = ∞

2. Fall: 0 ≤∫

E ϕ dµ < ∞. Sei 0 ≤ ε beliebig,

An ≡ x ∈ E : fk(x) > (1 − ε)ϕ(x) für alle k ≥ n

An ⊂ An+1 . . . ⊂∞⋃

n=1

An ⊃ A,∞⋂

n=1

(A \ An) = ∅

µ(A \ An) −−−→n→∞

0. D.h., ab einem bestimmten n0 gilt µ(A \ An) < ε falls n ≥ n0. Mit ϕ(x) ≤ M für x ∈ E:

Efn dµ

fn≥0 + Monot.≥

An

fn dµ ≥ (1 − ε)∫

An

ϕ dµ

= (1 − ε)

(∫

Aϕ dµ −

A\An

ϕ dµ

)

≥ (1 − ε)

(∫

Eϕ dµ − εM

)

da ϕ(x) ≤ M

für ε → 0 ergibt sich genau die Behauptung.

Korollar 49.8 (Monotone Konvergenz)Falls 0 ≤ fn ≤ f auf E, alles messbar, und lim infn→∞ fn = f punktweise in E, dann gilt

limn→∞

Efn dµ =

Ef dµ

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§49 Integration messbarer Funktionen XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beweis: Aus Monotonie des Integrals folgt zunächst∫

Ef dµ ≥

Efn dµ

=⇒∫

Ef dµ ≥ lim inf

n→∞

Efn dµ

Fatou≥

Ef dµ

Also gilt Gleichheit und lim inf fn ist ein echter Grenzwert.

Lemma 49.9 (Linearität des Integrals für nichtnegative Funktionen f ≥ 0 ≤ g)

E(α f + βg) dµ = α

Ef dµ + β

Eg dµ mit α ≥ 0 ≤ β

Beweis: Nach Satz 48.9 gibt es einfache Funktionen ϕn ր f und ψn ր g. O.B.d.A. ϕn ≥ 0 und ψn ≥ 0 da sonstϕn → max(0, ϕn) und ψn → max(0, ψn) ersetzt werden kann.

limn→∞

αϕn(x) + βψn(x) = α f (x) + βg(x) auch von unten

Aus monotoner Konvergenzaussage folgt∫

E(α f + βg) dµ

49.8= lim

n→∞

E(αϕn + βψn) dµ

49.1= lim

n→∞α∫

Eϕn dµ + β

Eψn dµ

49.8= α

Ef dµ + β

Eg dµ

Korollar 49.10fn ≥ 0, E messbar

E

∑n=1

fn dµ =∞

∑n=1

Efn dµ

Beweis: Folgt aus Anwendung von 49.8 auf Partialsummen

fn =n

∑k=1

fk ր f (x) = limn→∞

fn(x) =∞

∑n=1

fn(x)

Definition 49.11(i) f : X → [0, ∞] heißt integrierbar auf E ⊂ X falls

Ef dµ < ∞

(ii) f : X → R heißt integrierbar auf E, wenn f +(x) = max(0, f (x)) und f−(x) = max(0,− f (x)) beide integrierbarsind. Man setzt dann ∫

Ef dµ =

Ef + dµ −

Ef− dµ

da f (x) = f +(x) − f−(x) nach Definition.

Lemma 49.12Falls f , g auf E integrierbar und α, β ∈ R

(i)∫

E(α f + βg) dµ = α∫

E f dµ + β∫

E g dµ

(ii) für messbares h folgt aus |h| ≤ g ≥ 0 dass auch h integrierbar ist mit∣∣∣∣

Eh dµ

∣∣∣∣≤∫

E|h| dµ ≤

Eg dµ < ∞

Beweis: (i) siehe Übung

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(ii)

0 ≤ h+(x) ≤ |h(x)| ≤ g(x)

0 ≤ h−(x) ≤ |h(x)| ≤ g(x)

E+ = x ∈ E : h(x) > 0E− = x ∈ E : h(x) ≤ 0

Eh+ dµ =

E+h+ dµ ≤

E+|h| dµ ≤

E+g dµ < ∞

Eh− dµ =

E−h− dµ ≤

E−|h| dµ ≤

E−g dµ < ∞

=⇒ h integrierbar

∣∣∣∣

Eh dµ

∣∣∣∣=

∣∣∣∣

E+h+ dµ −

E−h− dµ

∣∣∣∣≤∫

E+h+ dµ +

E−h− dµ ≤

E|h| dµ ≤

Eg dµ

Satz 49.13 (Beschränkte Konvergenz nach Lebesgue)Falls fn(x) → f (x) und | fn(x)| ≤ g(x) für x ∈ E mit g auf E integrierbar, dann gilt f integrierbar und

Ef dµ = lim

n→∞

Efn dµ

Beweis: Betrachte die nicht–negativen Funktionen

0 ≤ g + fn −−−→n→∞

g + f ≥ 0

0 ≤ g − fn −−−→n→∞

g − f ≥ 0

Nach Fatou∫

Eg dµ + lim inf

n→∞

E± fn dµ = lim inf

n→∞

E(g ± fn) dµ

Fatou≥

E(g ± f ) dµ =

Eg dµ ±

Ef dµ

Eg dµ + lim inf

E± fn dµ ≥

Eg dµ ±

Ef dµ

lim infn

Efn dµ ≥

Ef dµ

lim infn

E− fn dµ = − lim sup

n

Efn dµ ≥ −

Ef dµ

lim infn

Efn dµ ≥

Ef dµ ≥ lim sup

n

Efn dµ

Daraus folgt Gleichheit und damit die behauptete Konvergenz der Integrale.

§50 Produktmaße und Integration

Ziel: Definition und Auswertung von Maßen und Integralen in Rn durch wiederholte = geschachtelte Integrationin R.

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Voraussetzung: im ganzen Kapitel: Zwei σ–endliche Maßräume (X,Aσ, µ), (Y, Bσ, ν)und deren Cartesisches Produkt Z ≡ X × Y ≡ (x, y) : x ∈ X, y ∈ Y.

Für einfache Teilmengen von Z, sogenannte Rechtecke

A × B mit A ∈ Aσ, B ∈ Bσ,

definiere den Produktinhalt λ = µ × ν

λ(A × B) = µ(A) · ν(B).b

b

X = R = Y

︸ ︷︷ ︸

A︸

︷︷

B

x

y

A × B

Aufgabe: erweitere λ eindeutig von (Aσ × Bσ) ⊂ P(Z) ≡ P(X × Y) auf die von (Aσ × Bσ) in P(Z) erzeugteσ–Algebra Cσ.

Satz 50.1Die Menge

C0 ≡

m⋃

i=1

(Ai × Bi) : Ai ∈ Aσ, Bi ∈ Bσ für i = 1 . . . m

bildet eine Algebra, wobei o.B.d.A. Disjunktheit der (Ai × Bi), d.h. (Ai × Bi) ∩ (Aj × Bj) = ∅ falls i 6= j, angenommenwerden kann. Dann ist für E =

⋃mi=1 Ei ∈ C0 mit Ei ≡ Ai × Bi durch

λ(E) =m

∑i=1

µ(Ai) · ν(Bi)

ein σ–endlicher und σ–additiver Inhalt definiert.

Korollar 50.2Der Inhalt λ ≡ µ × ν lässt sich nach Satz 46.17 eindeutig zu einem Maß λ auf die von C0 erzeugte σ–Algebra Cσ erweitern.λ wird als Produktmaß bezeichnet.

Beweis: Schnittbildung E = A × B, E = A × B

E ∩ E = (A ∩ A)︸ ︷︷ ︸

∈Aσ

× (B ∩ B)︸ ︷︷ ︸

∈Bσ

∈ C0

Entsprechend für endliche Vereinigungen E =⋃n

i=1 Ei, E =⋃m

j=1 Ej

E ∩ E =n⋃

i=1

m⋃

j=1

(Ei ∩ Ej) ∈ C0

weiter E \ E =[(B \ B) × (A \ A)

]∪[(A ∩ A) × (B \ B)

]∪[(B ∩ B) × (A \ A)

]

E ∪ E = (E \ E) ∪ E ist disjunkte Zerlegung ∈ C0

Ec = Z \ E = (X × Y) \ E ∈ C0

=⇒ Algebraeigenschaften gegeben.

E

EB

A

A \ A

B \ B

A ∩ A

B ∩ B

A

B

︸ ︷︷ ︸

A ∩ A

︸︷︷︸

B ∩ B

Die σ–Endlichkeit folgt allgemein aus der vorausgesetzten σ–Endlichkeit von µ und ν, da

∞⋃

i=1

Xi = X mit µ(Xi) < ∞ und∞⋃

i=1

Yi = Y mit ν(Yi) < ∞

und o.B.d.A. Xi ⊂ Xi+1, Yi ⊂ Yi+1, dann gilt für Zi = Xi × Yi

∞⋃

i=1

Zi = Z und λ(Zi) = µ(Xi)ν(Yi) < ∞

Die σ–Addititvität als Übung.

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Satz 50.3Falls E ⊂ Cσ, dann sind die Schnitte (eng. „slice“)

Ex ≡ z : (x, z) ∈ E ⊂ Y und Ey ≡ z : (z, y) ∈ E ⊂ X

Bσ bzw. Aσ messbar.

X

y

x

Y

E

Ey

Ex

Beweis: Sei S ⊂ Cσ die Menge der E für die diese Behauptung wahr ist. Dann ist zu zeigen, dass C0 ⊂ S und Sbzgl. abzählbarer Vereinigungen eine abgeschlossene Algebra ist.

E ∈ C0 =⇒ E =m⋃

i=1

Ei, Ei = Ai × Bi

Ex =

z ∈ Y : (x, z) ∈ E

=

z ∈ Y : (x, z) ∈ Ei für ein i

=

z ∈ Y : z ∈ (Ei)x für ein i

=m⋃

i=1

(Ei)x

wobei (Ei)x =

z : (x, z) ∈ Ei

=

z : X ∈ Ai ∧ z ∈ Bi

=

∅, falls x /∈ Ai

Bi, falls x ∈ Ai

Ex =⋃

i: x∈Ai

Bi ⊂ Bσ da Bi ∈ Bσ nach Voraussetzung.

Entsprechend gilt wegen Symmetrie Ey ⊂ X ist Aσ–messbar.

Es wird nun gezeigt, dass für E =⋃∞

i=1 Ei mit Ei ∈ S auch Ex ∈ Bσ und Ey ∈ Aσ und damit E ∈ S. Es gilt

Ex =

z ∈ Y : (x, z) ∈ Ei für ein i

=

z ∈ Y : z ∈ (Ei)x für ein i

=∞⋃

i=1

z ∈ Y : z ∈ (Ei)x

=∞⋃

i=1

(Ei)x︸ ︷︷ ︸

∈Bσ da Ei∈S

=⇒ Ex ⊂ Bσ da dieses System σ–Algebra

Entsprechend gilt Ey ⊂ Aσ und daher E ⊂ S.

Es bleibt der Abschluss unter Komplementbildung zu zeigen.

E ∈ S =⇒ (Z \ E)x =

z ∈ Y : (x, z) ∈ Z \ E

=

z ∈ Y : (x, z) /∈ E

=

z ∈ Y : z /∈ Ex

= Y \ Ex ∈ Bσ

Also gilt S = Cσ.

Satz 50.4Für E ∈ Cσ gilt

x → ν(Ex) ist eine Aσ–messbare Funktion

y → µ(Ey) ist eine Bσ–messbare Funktion∫

X(ν(Ex)) dµ(x) =

Y(µ(Ey))dν(y)

Beweis: Sei S ⊂ Cσ die Menge der E ∈ Cσ, für die die Behauptung gilt. Die erste Aussage ist dann C0 ⊂ S.

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Betrachte E ∈ C0

E =m⋃

i=1

Ai × Bi︸ ︷︷ ︸

Ei

disjunkt

Ex =m⋃

i=1

(Ei)x =⋃

x∈Ai

Bi wie im letzten Beweis

ν(Ex) = ∑x∈Ai

ν(Bi) =m

∑i=1

χAi(x)ν(Bi)

ist eine einfache Funktion und deshalb messbar.

Entsprechend ist µ(Ey) einfach und messbar mit µ(Ey) = ∑mi=1 µ(Ai)χBi

(y). Integration ergibt unmittelbar

Xν(Ex) dµ =

m

∑i=1

ν(Bi)∫

XχAi

(x) dµ(x) =m

∑i=1

ν(Bi)µ(Ai)

=∫

Yµ(Ey)dν(y)

Betrachte E =⋃∞

i=1 Ei mit Ei ∈ S, d.h. erfüllt Behauptung. O.B.d.A. Ei ⊂ Ei+1 monoton steigend in X × Y unddaher (Ei)x ⊂ (Ei+1)x monoton steigend in Y.

(Ex) =∞⋃

i=1

(Ei)x =⇒ ν(Ex) = limi→∞

ν((Ei)x)

wegen Stetigkeit von unten des Maßes. Die ν((Ei)x) sind eine monoton steigende Folge nichtnegativer, mess-barer Funktionen. Also ist nach Satz über monotone Konvergenz auch ν(Ex) messbar und es gilt

Xν(Ex) dµ(x) = lim

i→∞

Xν((Ei)x) dµ(x)

Entsprechend gilt symmetrisch∫

Yµ(Ey)dν(y) = lim

i→∞

Yµ((Ei)y)dν(y)

Beide Grenzwerte sind gleich, da die Ei bereits die Aussage erfüllen, so dass für alle i gilt, dass∫

Yµ((Ei)y)dν(y) =

Xν((Ei)x)dµ(x)

Um Abschluss bzgl. Schnitten zu zeigen, betrachte eine abfallende Folge

E1 ⊃ . . . ⊃ Ei ⊃ Ei+1 ⊃ . . .

1. Fall E1 ⊂ A × B mit µ(A) < ∞ > ν(B). Wegen Stetigkeit von oben gilt für E =⋂∞

i=1 Ei, dass

ν(E)x = limi→∞

ν((Ei)x) mit ν((Ei)x) < ν(E1) < ∞

Also haben die ν((Ei)x) die messbare Grenzfunktion ν(Ex) und es gilt wiederum∫

Xν(Ex) dµ = lim

i→∞

Xν((Ei)x)dµ = lim

i→∞

Yµ((Ei)y)dν =

Yµ(Ey)dν

wie bei der Vereinigung.

2. Fall E 6⊂ A × B ist in keinem endlichen Rechteck enthalten. Wegen vorausgesetzter σ–Endlichkeit

X =∞⋃

i=1

Xi, Xi ⊂ Xi+1, Y =∞⋃

i=1

Yi, Yi ⊂ Yi+1

mit µ(Xi) < ∞ > ν(Yi) für alle i.∞⋃

i=1

(Xi × Yi)︸ ︷︷ ︸

Zi

= Z = X × Y

26

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Ei = E ∩ (Xi × Yi) erüllen schließlich Behauptung nach Fall 1.∫

Xν((Ei)x) dµ =

Yµ((Ei)y) dν,

Xν(Ex) dµ(x) =

Yµ(Ey) dν(y),

da die ν((Ei)x) eine monoton steigende Folge nichtnegativer Funktionen bilden, die gegen die deshalbmessbare Funktion ν(Ex) : X → [0, ∞] konvergieren.

Bemerkung Algebra–Eigenschaften und Abschluss bzgl. abzählbarer Vereinigung und Schnitte ergibt σ–AlgebraEigenschaft. (Monotones System nach Baum)

Korollar 50.5Unter den Voraussetzungen von Satz 50.4 wird durch

λ(E) ≡∫

Xν(Ex) dµ(x) =

Yµ(Ey) dν(y)

ein Maß definiert, dass gerade die Erweiterung des Inhaltes λ = µ × ν auf C0 darstellt. (Wegen σ–Endlichkeit eindeutig.)

Beweis: Übereinstimmung auf C0 ergibt wie folgt A × B, A ∈ Aσ, B ∈ Bσ

λ(A × B) =∫

X×YχA×B dλ =

Xν[(A × B)x

]dµ(x) =

XχAν(B) dµ(x) = ν(B)

XχA dµ(x)

= µ(A)ν(B) = (µ × ν)(A × B) wie ursprünglich definiert

Zu zeigen bleibt, dass die neue Definition von λ auch σ–additiv ist. Betrachte E =⋃∞

i=1 Ei, mit Ei disjunkt.

λ(Ei) =∫

Xν((Ei)x) dµ(x)

∑i=1

λ(Ei) =∞

∑i=1

Xν((Ei)x)︸ ︷︷ ︸

nichtnegativemessbare Fkt. auf X

dµ(x)Korollar 49.10

=∫

X

(∞

∑i=1

ν(Ei)x

)

dµ(x)

=∫

Xν(Ex) dµ(x) = λ(E)

da Ex =⋃∞

i=1(Ei)x disjunkte Vereinigung messbarer Mengen. Also ist λ tatsächlich ein Maß, das genau dieErweiterung des ursprünglichen Inhaltes ist.

Satz 50.6 (Fubini)(X,Aσ, µ), (Y,Bσ, ν) σ–endlich. f : X × Y → [0, ∞] messbar bzgl. Cσ. Dann sind die Funktionen

x 7→∫

Yf (x, y) dν(y) Aσ–messbar,

y 7→∫

Xf (x, y) dµ(x) Bσ–messbar.

Für die Integrale gilt die Identität

X×Yf (x, y) d(µ × ν) =

X

[∫

Yf (x, y) dν(y)

]

dµ(x) =∫

Y

[∫

Xf (x, y) dµ(x)

]

dν(y)

Einfache Interpretation: Unter bestimmten Voraussetzungen kommutiert die Integration bzgl. verschiedenen Varia-blen, ähnlich wie die Differentiation nach Schwarzschen Satz.

Beweis: Zunächst betrachte f = χE mit E ⊂ X × Y∫

Yf (x, y) dν(y) =

YχE dν(y) =

YχEx dν(y) = ν(Ex) messbar nach Satz 50.4

27

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

wegen Symmetrie ist∫

X f (x, y) dµ(y) = µ(Ey) Bσ–messbar und∫

Xν(Ex) dµ(x) =

Yµ(Ey) dν(y)

|| ||∫

X

[∫

Yf (x, y) dν(y)

]

dµ(x) =∫

Y

[∫

Xf (x, y) dµ(x)

]

dν(y)

wurde bereits in 50.4 gezeigt.

Behauptung gilt wegen Linearität dann unmittelbar auch für einfache Funktionen, d.h. endliche Linearkombi-nationen von charakteristischen Funktionen. Beliebige messbare f ≥ 0 sind Grenzwerte monoton steigenderFolgen einfacher Funktionen

f (x, y) = limi→∞

fi(x, y) mit fi(x, y) ≤ fi+1(x, y) für alle i

Dann sind wegen Monotonie des Integrals auch die Funktionenfolgen

x 7→∫

Yfi(x, y) dν(y) und y 7→

Xfi(x, y) dµ(x)

monoton steigend und es gilt nach monotoner Konvergenz

limi→∞

Yfi(x, y) dν(y) =

Xlimi→∞

fi(x, y) dν(y)

Da die Aussage für jede einfache Funktion fi(x, y) gilt∫

X

[∫

Yfi(x, y) dν(y)

]

dµ(x) =∫

Y

[∫

Xfi(x, y) dµ(x)

]

dν(y)

gilt auch im Grenzwert i → ∞

X

[∫

Yf (x, y) dν(y)

]

dµ(x) =∫

Y

[∫

Xf (x, y) dµ(x)

]

dν(x)

Bemerkung Wird beim letzten Satz die Messbarkeit bzgl. Cσ ausgetauscht durch integrierbar bzgl. µ × ν und Mess-barkeit bzgl. Aσ ausgetauscht durch µ–integrierbar für fast alle x (und Bσ entsprechend), so wird der Beweis wiefolgt verallgemeinert:

Nach Vorausgesetzter Integrierbarkeit gilt∫

X×Yf +(x, y) d(µ × ν) < ∞ >

X×Yf−(x, y) d(µ × ν)

Der Satz 50.6 ist auf f± jeweils anwendbar, so dass∫

X×Yf±(x, y) d(µ × ν) =

X

[∫

Yf±(x, y) dν(y)

]

︸ ︷︷ ︸

(∗)

dµ(x)

(∗): nichtnegative Funktion von x mit endlichem Integral bzgl µ(x). Daher kann sie nur auf einer Menge A ∋ x mitµ(A) = 0 unendlich sein.∫

Yf±(x, y) dν(y) endlich für fast alle x ∈ X entsprechend

Xf±(x, y) dµ(x) endlich für fast alle y ∈ Y

X×Yf (x, y) d(µ × ν) =

X×Yf +(x, y) d(µ × ν) −

X×Yf−(x, y) d(µ × ν)

=∫

X

[∫

Yf +(x, y) dν(x)

]

dµ(x) −∫

X

[∫

Yf−(x, y) dν(x)

]

dµ(x)

=∫

X

[∫

Yf +(x, y) dν(y)

︸ ︷︷ ︸

fast überall

−∫

Yf−(x, y) dν(y)

]

dµ(x)

28

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beispiel (i) f (x, y) = xex+y auf [0, 1]2, µ = ν = λ =Lebesgue–Maß

∫ 1

0

[∫ 1

0xex+y dx

]

dy =∫ 1

0

[

xex+y∣∣∣∣

1

0−∫ 1

0ex+y dx

]

dy =∫ 1

0

[

e1+y − 0 − ex+y∣∣∣∣

1

0

]

dy

=∫ 1

0e1+y dy −

∫ 1

0e1+y dy +

∫ 1

0ey dy = e − 1

∫ 1

0

[∫ 1

0xex+y dy

]

dx =∫ 1

0

[xex+y]1

0 dx =∫ 1

0

[

xe1+x − xex]

dx

= (e − 1)∫ 1

0xex dx = (e − 1)

[

xex∣∣∣∣

1

0−∫ 1

0ex dx

]

= (e − 1) [e − e + 1] = e − 1

(ii)

∫ π

0

[∫ 1

0x cos(xy) dy

]

dx =∫ 1

0

[

sin(xy)

∣∣∣∣

π

0

]

dx

=∫ 1

0(sin(πx)) dx = − 1

π cos(πx)

∣∣∣∣

1

0= 1

π (− − 1 + 1) = 2π

∫ π

0

[∫ 1

0x cos(xy) dx

]

dy =∫ π

0

[

xy

sin(xy)

∣∣∣∣

1

0−∫ 1

0

1y

sin(xy) dx

]

dx

=∫ π

0

[

sin(y)

y+

cos(xy)

y2

∣∣∣∣

1

0

]

dy =∫ π

0

[sin(y)

y+

cos(y) − 1y2

]

︸ ︷︷ ︸

ganze Funktionen

=2π

(iii) Gegenbeispiel zu Fubini (nach Cauchy)

f (x, y) =x2 − y2

(x2 + y2)2 =∂2

∂x∂yarctan( x

y )︸ ︷︷ ︸

ϕ

auf X × Y = [0, 1]2 mit f (0, 0) = 0

∂ϕ

∂x=

1

(1 + x2

y2 )y=

yy2 + x2 −→

∂y

x2 − y2

(x2 + y2)2

∂ϕ

∂y=

1

(1 + x2

y2 )

(−xy2

)

=−x

x2 + y2 −→∂x

x2 − y2

(x2 + y2)2

∫ 1

0

[∫ 1

0

x2 − y2

(x2 + y2)2 dx

]

dy =∫ 1

0

−xx2 + y2

∣∣∣∣

1

0dy = −

∫ 1

0

11 + y2 dy = − arctan(y)

∣∣∣∣

1

0= −π

4∫ 1

0

[∫ 1

0

x2 − y2

(x2 + y2)2 dy

]

dx =∫ 1

0

yx2 + y2

∣∣∣∣

1

0dx =

∫ 1

0

11 + x2 dx = arctan(x)

∣∣∣∣

1

0=

π

4

Schlussfolgerung: Voraussetzung verletzt. (Integrierbarkeit ist nicht gegeben). Messbarkeit ist wegen Stetigkeitgegeben.

Motivation: Wir wollen den Satz von Fubini auf Lebesgue–integrierbare Funktionen im Rn anwenden.

X = Rn, Y = Rm, X × Y = Rn+m, A = L(Rn), B = L(Rm), C = Aσ(L(Rn) ×L(Rm))

Problem: C 6= L(Rn+m). Genauer: Es ist bekannt, dass

(i) L(Rn) ×L(Rm) ⊂ L(Rn+m) (Übung)

(ii) Aσ(L(Rn) ×L(Rm)) ⊂ L(Rn+m)

(iii) Aσ(L(Rn) ×L(Rm)) 6= L(Rn+m)

Beispiel E = p × B, B ⊂ Rm nicht messbar. E ist Nullmenge in Rn+m, aber

E 6⊂ Aσ(L(Rn) ×L(Rm)) denn Ep ist nicht messbar.

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

(iv) (λn+m)|Aσ(L(Rn)×L(Rm))= λn × λm

(v) Aσ(L(Rn)×L(Rm))λn×λm= L(Rn+m) (Vervollständigung des Produktmaßes). Denn für die σ–Algebren der

Borelmengen gilt

Aσ(B(Rn) ×B(Rm)) = B(Rn+m)

B(Rn) ×B(Rm) ⊂ L(Rn) ×L(Rm) ⊂ L(Rn+m)

=⇒ B(Rn+m) ⊂ Aσ(L(Rn)) ×L(Rm)) ⊂ L(Rn+m)

=⇒ L(Rn+m) = B(Rn+m)λn+m⊂ Aσ(L(Rn) ×L(Rm))λn×λm

⊂ L(Rn+m)

Allgemeiner: Seien (X,A, µ), (Y,B, ν) vollständige Maßräume, C = Aσ(A× B), λ = µ × ν Produktalgebra und –Maß und Cλ die Vervollständigung bzgl. λ. Untersuchen nun die Integration von Cλ–messbaren bzw. –integrierbarenFunktionen.

Korollar 50.7 (aus 50.5)Sei E ∈ C. Dann gilt λ(E) = 0 gdw.

µ(Ey) = 0 für y ∈ Y ν–fast überall

⇐⇒ ν(Ex) = 0 für x ∈ X µ–fast überall

Beweis: Satz 50.5 und Übung 5.1b

„⇒“ x 7→ ν(Ex) ≥ 0, µ–messbar, A ⊂ X messbar

0 ≤∫

Aν(Ex) dµ ≤

Xν(Ex)

50.5= λ(E) = 0

Ü. 5.1b=⇒ ν(Ex) = 0 µ–fast überall

„⇐“ ν(Ex) = 0 µ–fast überall =⇒∫

x ν(Ex) dµ = 0

Satz 50.8(X,A, µ), (Y,B, ν) vollständige Maßräume. C, λ, Cλ wie oben.

Wenn E ∈ C, eine Nullmenge und F ⊂ E sind, dann gilt

µ(Fy) = 0 ν–fast überall

ν(Fx) = 0 µ–fast überall

Beweis: Für die Fasern gilt auch Fx ⊂ Ex.

Nach 50.7 gibt es ein X0 ⊂ X messbar mit µ(X \ X0) = 0, so dass µ(Ex) = 0 ∀x ∈ X0.

Nach Definition der Vollständigkeit ist für x ∈ X0 auch Fx messbar und ν(Fx) = 0. Für Fy analog.

Satz 50.9 (vervollständigter Fubini)(X,A, µ), (Y,B, ν) vollst. Maßräume, C = Aσ(A× B), λ = µ × ν, Cλ Vervollst. bzgl. λ, d.h. (X × Y, Cλ, λ) ist vollst.Maßraum.

1. Wenn f : X × Y → [0, ∞] Cλ–messbar ist, dann

a) x 7→ f (x, y0) ist A–messbar ν–fast überall (y0 ∈ Y0) und y 7→ f (x0, y) ist B–messbar µ–fast überall (x0 ∈ X0)

b) X0 ∋ x0 7→∫

Yf (x0, y) dν(y) ist A–messbar und Y0 ∋ y0 7→

Xf (x, y0) dµ(x) ist B–messbar

c)∫

X×Yf (x, y) dλ(x, y) =

X

(∫

Yf (x, y) dν(y)

)

dµ(x) =∫

Y

(∫

Xf (x, y) dµ(x)

)

dν(y)

2. Wenn f : X × Y → R Cλ–integrierbar ist, dann

a) x 7→ f (x, y0), y 7→ f (x0, y) sind fast überall integrierbar

b) x 7→∫

Yf (x, y) dν(y), y 7→

Xf (x, y) dµ(x) sind integrierbar.

30

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§50 Produktmaße und Integration XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

c)∫

X×Yf (x, y) dλ =

X

Yf dν dµ =

Y

Xf dµ dν

Beweis: Es genügt, 1. für charakteristische Funktionen χH , H ∈ Cλ, zu zeigen. Die Schlussfolgerung auf einfa-che und dann messbare nichtnegative Funktionen sowie nachfolgend auf integrierbare Funktionen erfolgt wiein Satz 50.6.

Sei also H = G ∪ F ∈ Cλ mit G ∈ C, F eine Nullmenge, d.h. F ⊂ E ∈ C mit λ(E) = 0. Betrachten f = χH . Fürdie vertikalen Schnitte gilt

Hx = Gx ∪ Fx, Gx ∈ B, Fx ⊂ Ex ∈ B.

Nach 50.8 gibt es ein X0 ⊂ X, µ(X \ X0) = 0 mit

ν(Ex) = 0 ∀x ∈ X0 =⇒ Fx ∈ B und ν(Fx) = 0

=⇒ Hx ∈ B(1), ν(Hx) ≤ ν(Gx) + ν(Fx)︸ ︷︷ ︸

=0

= ν(Gx) ≤ ν(Hx)

=⇒ ν(Hx) = ν(Gx) µ–fast überall∫

YχH(x, y) dν(y) = ν(Hx) = ν(Gx) =

YχG(x, y) dν(y)(2)

(1): y 7→ χH(x0, y) ist B–messbar µ–fast überall, (2): x 7→∫

χH(x, ·) dν ist A–messbar.

Analog für die horizontalen Schnitte, und zusammen∫

X×YχH dλ = λ(H) = λ(G) = (µ × ν)(G)

50.5=∫

X

(∫

YχG dν

)

dµ =∫

X

YχH dν dµ

=∫

Y

XχG dµ dν =

Y

XχH dµ dν

Korollar 50.10 (Fubini für Lebesgue–integrierbare Fkt.)Seien A ⊂ Rn, B ⊂ Rm Lebesgue–messbare Mengen und f : A × B → R Lebesgue–integrierbar bzw. nicht negativ undmessbar. Dann gilt

A×Bf dλn+m =

A

(∫

Bf dλm

)

dλn =∫

B

(∫

Af dλn

)

dλm

Ist f = g · h mit messbaren Funktionen g : A → R, h : B → R, dann ist

A×Bf dλn+m =

(∫

Ag dλn

)(∫

Bh dλm

)

Korollar 50.11E ⊂ Rn L–messbar, f : E → R L–integrierbar

Ef dλn =

RnχE · f dλn

=∫

R

(∫

Rn−1(χE · f )(x1, . . . , xi, . . . , xn) dλn−1(x1, . . . xi, . . . xn)

)

dxi

=∫

R

(∫

Exi

f dλn−1

)

dxi

Korollar 50.12 (Prinzip von Cavalieri)Für E ∈ L(Rn) gilt

λn(E) =∫

Rλn−1(Ex) dλ1(x) =

Rn−1λ1(Ey) dλn−1(y)

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§51 Transformationsformel für das Lebesgue–Integral XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

Beispiel (i) Sei E ∈ L(Rn), f : E → [0, ∞] L–messbar. Betrachte das Volumen

Vf =

(x, y) ∈ Rn+1∣∣x ∈ E, y ∈ [0, f (x)]

unter dem Graphen von f . Dann gilt

λn+1(Vf ) =∫

Rnλ1(Vfx ) dλn(x) =

Ef (x) dλn(x)

denn

Vfx = y ∈ R| 0 ≤ y ≤ f (x) =

∅ ,falls x /∈ E

[0, f (x)] ,sonst

(ii) Sei f : [a, b] → R+ L–integrierbar. Betrachten den Rotationskörper K des Graphen von f um die x–Achse.Dann gilt

λ3(K) =∫

Rλ2(Kx) dλ1(x) = π

∫ b

af 2(x) dx denn Kx =

∅ ,falls x /∈ [a, b]

Kreisscheibe mit Radius f (x) ,sonst

§51 Transformationsformel für das Lebesgue–Integral

Wir wollen die Transformationsformel für das Riemann–Integral∫

ϕ(I)f (t) dt =

If (ϕ(x)︸︷︷︸

t

)|ϕ′(x)| dx

mit ϕ : I ⊂ R → ϕ(I) ⊂ R ein C1–Diffeomorphismus sowie f : ϕ(I) → R stetig, auf das mehrdimensionaleLebesgue–Integral verallgemeinern.

Satz 51.1Seien U ⊂ Rn offen und ϕ : U → V = ϕ(U) ⊂ Rn ein C1–Diffeomorphismus. Dann gilt

∀ A ∈ L(U) : ϕ(A) ist L–messbar und

(∗) λn(ϕ(A)) =∫

A|det∇ϕ| dλn

Korollar 51.2Seien U ⊂ Rn offen und ϕ : U → V = ϕ(U) ⊂ Rn ein C1–Diffeomorphismus. Dann gilt für alle A ∈ L(U) undf : ϕ(A) → R L–messbar.

(∗∗) f ϕ ist L–messbar und∫

ϕ(A)f dλn =

A( f ϕ) · |det∇ϕ| dλ1

Insbesondere ist f über ϕ(A) L–integrierbar gdw. ( f ϕ) |det∇ϕ| über A L–messbar ist.

Beweis: Folgt aus Lemma 51.3

Bemerkung (∗) und (∗∗) sind äquivalent.

Beweis: (von Satz 51.1) Messbarkeit von ϕ(A) folgt aus der Abgeschlossenheit von ϕ. (Bild von abgeschlosse-nen Mengen ist abgeschlossen)

(i) Brauchen nur zu zeigen, dass ∀p ∈ U∃W ⊂ U offen, so dass ϕ|W (∗) erfüllt. Denn linke und rechte Seitevon (∗) sind σ–additiv und jedes A ∈ L(U) kann man in eine abzählbare, disjunkte Vereinigung vonTeilmengen Ai solcher Wi zerlegen.

(ii) Brauchen für n ≥ 2 die lokale Eigenschaft nur für solche ϕ zu zeigen, für die

ϕ(x1, . . . , xi, . . . , xn︸ ︷︷ ︸

x

) =(

ϕ1(x), . . . , ϕi−1(x), xi, ϕi+1(x), . . . , ϕn(x))

für mindestens ein i ∈ 1, . . . , n gilt. Denn:

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§51 Transformationsformel für das Lebesgue–Integral XI MASS- UND INTEGRATIONSTHEORIE

a) Sind U1 −→ϕ1

U2 −→ϕ2

U3 C1–Diffeomorphismus die (∗) erfüllen, dann erfüllt auch ϕ2 ϕ1 (∗).

λn(ϕ2(ϕ1(U1))ϕ2,(∗)=

ϕ1(U1)|det∇ϕ2| dλn

ϕ2,(∗∗)=

U1

|det∇ϕ2| ϕ1|det∇ϕn|︸ ︷︷ ︸

|det∇(ϕ2ϕ1)|

dλn

b) Sei Tij die Vertauschung der i–ten und j–ten Koordinate. Gilt für Tij ϕ Tkl (∗), dann gilt (∗) auchfür ϕ. Aus der Linearität von Tij folgt

λn(Tij(ϕ(Tkl(U′)))

)= |det Tij|λn

(ϕ(Tkl(U′))

)

und (∗) für Tij, sowie

λn(Tij(ϕ(Tkl(U′)))

)=∫

U′

∣∣det∇(Tij ϕ Tkl)

∣∣ dλn

⇐⇒ λn(ϕ(Tkl(U′)︸ ︷︷ ︸

U

)) =∫

U′|det∇ϕ| Tkl |det Tkl | dλn

Tkl ,(∗∗)=∫

U|det∇ϕ| dλn

c) Sei ϕ : U → ϕ(U) ein C1–Diffeomorphismus und p ∈ U fix. Aus |det∇ϕ(p)| 6= 0 kann man

durch Vertauschen der Koordinaten im Bild– und Definitionsbereich ∂ϕ1∂x1

(p) 6= 0 erlangen. Setzen

ψ(x) = (ϕ1(x), x2, . . . , xn), dann ist det∇ψ = ∂ϕ1∂x1

6= 0 und es existiert lokal eine Umkehrung ψ−1.

Für p(y) = ϕ ψ−1 und y = ψ(x) folgt

p(y) =(y1, p2(y), . . . , pn(y)

)

Daraus folgt, dass man (Modulo Vertauschung) für n ≥ 2 jeden C1–Diffeomorphismus lokal alsKomposition zweier C1–Diffeomorphismen schreiben, die mindestens eine Koordinate fest lassen.

(iii) Eigentlicher Beweis durch Induktion über n

IA: n = 1 Betrachten die Maße µ1(A) = λ1(ϕ(A)) und µ2(A) =∫

A |ϕ′| dλ1 auf L(U).

Für A = [a, b] folgt dies aus der Transformationsformel für das Riemann–Integral.

Wegen [a, b) =⋃∞

n=1[a, b − 1n ] und der Unterhalbstetigkeit für Maße gilt die Gleichheit von µ1 und

µ2 auf dem Ring der halboffenen Intervalle. Weil µ1 und µ2 σ–endlich sind, folgt die Gleichheit aufL(U) aus der Eindeutigkeit der Fortsetzung.

IV: (∗) gilt für alle C1–Diff. in Dimension n − 1 ∈ N.

IB: Sei U ∋ (t, x)ϕ7→ (t, ϕt(x)) ∈ Rn mit ϕt : Ut = x ∈ Rn−1|(t, x) ∈ U → Rn−1.

=⇒ |det∇ϕ|(t, x) = |det∇ϕt|(x) und ϕ(A)t = ϕt(At) und

λn(ϕ(A)) =∫

Rλn−1(ϕ(A)t) dt =

Rλn−1(ϕt(At)) dt

IV=∫

R

At

|det∇ϕt|(x) dλn−1(x) dt =∫

R

Rn−1χAt(x)︸ ︷︷ ︸

χA(t,x)

|det∇ϕ|(t, x)dλn−1 dt

Fubini=

A|det∇ϕ| dλn

Beispiel Sei KR = (x, y, z) ∈ R3|x2 + y2 + z2 ≤ R die Vollkugel mit Radius R und

(x, y, z) = ψ(α, β, r) = (r cos(α), r cos(α) sin(β), r sin(α))

Dann ist ψ : U = (0, 2π) × (−π2 , π

2 ) × (0, R) → ψ(U) ⊂ R3 ein C1–Diffeom. |det∇ψ| = r2 cos(β) und λ3(K) =λ3(ψ(U)).

51.1=⇒ λ3(K) =

ψ(U)dλ3 =

Ur2 cos(β) dλ3 =

∫ 2π

0

∫ π2

− π2

∫ R

0r2 cos(β) dr dβ dα =

R3

33

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XII VEKTORANALYSIS

Lemma 51.3Sei ϕ : U : Rn → ϕ(U) ⊂ Rn ein Diffeomorphismus. Dann gilt (∗∗) ⇐⇒ (∗).

Beweis: Siehe Übungsaufgabe.

XII Vektoranalysis

Motivation: Häufig möchte man Analysis auf gekrümmten Flächen und anderen sogenannten Mannigfaltigkeiten(eng. manifold) durchführen. Ein Beispiel ist die Berechnung vom Durchschnitt einer gegebenen Temperaturvertei-lung T(θ, ϕ) auf Erdoberfläche

∂Br

T(θ, ϕ) dµ(θ, ϕ).

Letztlich betrachten wir den Gaussschen Divergenzsatz, der zum Beispiel das folgende formalisiert∫

∂Br

Wärmeabstrahlung −∫

∂Br

Wärmeabsorbtion =∫

Br

Wärmeerzeugung

§52 Integration über Mannigfaltigkeiten

Definition 52.1Eine Teilmenge M ⊂ Rn heißt (Unter–)Mannigfaltigkeit der Dimension d ≤ n, wenn eine der folgenden äquivalentenBedingungen erfüllt ist:

(i) (Lösung eines regulären Gleichungssystems) Es existiert zu jedem x ∈ M eine Umgebung U ⊂ Rn mit x ∈ U undeine Funktion F : Rn → Rn−d, F ∈ C1(U), so dass

F−1(0) ∩ U = M ∩ U und rang(F′(x)) = n − d für x ∈ U

m.a.W. Elemente der Mannigfaltigkeit sind lokal Lösungen von n − d Gleichungen.

Beispiel 1) M ≡ x2 + y2 + z2 = r2 : x, y, z ∈ R = Br ⊂ R3 ist eine Mannigfaltigkeit der Dimension d = 2 für r > 0,da

F(x, y, z) = x2 + y2 + z2 − r2 = 0 ∈ R1, d = 3 − 1 = 2

mit ∇F = 2(x, y, z) 6= 0 da ‖∇F‖ = 2‖(x, y, z)‖ = r

2) Mr ≡ (x, y, z) ∈ M : αx + βy + γz = 1 ist Mannigfaltigkeit der Dimension d = 1 = 3 − 2, vorausgesetzt, dassr > 1/‖(α, β, γ)‖

(α, β, γ)(x, y, z) ≤ 1‖(α, β, γ)‖ mit (α, β, γ) =

(α, β, γ)

‖(α, β, γ)‖

(ii) (Existenz von Karten) Es existiert zu jedem x ∈ M eine Umgebung U ⊂ Rn und eine stetige differenzierbare, injektiveAbbildung (Parametrisierung)

γ : Ω ⊂ Rd → Rn mit Ω offen und γ ∈ C1(Ω)

die ebenfalls ein Homöomorphismus

γ : Ω → U ∩ M ist und so dass rang(γ′(ω)) = d für ω ∈ Ω

(iii) (Graph einer glatten Abbildung) Wie (ii) mit Einschränkung, dass

P · γ(ω) =

γ(ω)

) d Komponenten n − d Komponenten

mit einer Permutationsmatrix P

d.h. M ∩ U ist, bis auf Permutation der Koordinaten, der Graph der Abbildung γ : Ω → Rn−d.

34

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

(iv) (Bügelabbildung) Für jedes x ∈ M gibt es eine Umgebung U ⊂ Rn mit x ∈ U und eine offene Menge Ω ⊂ Rn

Γ : Ω → U C1–Diffeomorphismus

mit Γ−1(M ∩ U) ⊂ Rd × 0n−d

Beispiel (Parameterdarstellung von M ≡ ∂Br) Nahe Nordpol/Südpol = +/−

γ(ω) =

xy

±√

r2 − x2 − y2

ω = (x, y)

Nahe Äquator, z.B. (x, y, z) = (r, 0, 0) parametrisierende

γ

(yz

)

=

r2 − y2 − z2

yz

Breite θ ∈ [−π2 , π

2 ], Länge ϕ ∈ (−π, π]. Parametrisierung:

γ(θ, ϕ) = r

cos θ cos ϕcos θ sin ϕ

sin θ

surjektiv, aber nicht injektiv, da

γ(+π

2, ϕ) = (0, 0, 1) für alle ϕ

U = R3 \ y = 0 ∧ x = 0 geeignete offene Umgebung

U \ M = γ((−π

2 , π2 ) × (−π, π)

)ist reguläre Parametrisierung

γ′(θ, ϕ) =

− sin θ cos ϕ − cos θ sin ϕ− sin θ sin ϕ cos θ cos ϕ

cos θ 0

=⇒Drei 2 × 2Untermatrizenmit Determinanten

det γ′(θ, ϕ) =

− cos θ sin θ cos2 ϕ − sin θ cos θ sin2 ϕ

= −2 sin θ cos θ = −2 sin 2θ 6= 0 , falls θ 6= 0 und |θ| <π2

− cos2 θ sin ϕ 6= 0 , falls ϕ 6= 0 und |θ| <π2

cos2 θ cos ϕ 6= 0 , falls |θ| <π2 und |ϕ| <

π2

Beweis: (i) ⇒ (iii) O.B.d.A bzw. nach Permutation der Variablen in Rn nehme an, dass

F′(x, y) =

(∂F∂x

,∂F∂y

)

mit∂F∂y

∈ R(n−d)×(n−d)

nicht singulär an Stelle (x0, y0) mit F(x0, y0) = 0. Dann existiert nach IFT eine differenzierbare Funktiong : Ω ⊂ Rd → Rn−d mit

g(x0) = y0 und F(x, g(x)) = 0 ∀x ∈ Ω

Setze x = ω und γ(x) =

(x

g(x)

)

mit γ′(x) =

(I

g′(x)

)

also rang(γ′) = d und ist deshalb in hinreichend

kleiner Umgebung Ω injektiv, sodass nach Einschränkung von U gilt

γ(Ω) = M ∩ U ∋ (x0, y0)

(iii) ⇒ (ii) trivial, da spezieller Fall

(ii) ⇒ (i) O.B.d.A sei γ =

(γ1γ2

)

mit γ′1 = ∂γ1

γω ∈ Rd×d integrierbar.

Dann folgt aus Umkehrfunktionensatz nahe γ(ω0) =

(x0y0

)

=

(γ1(ω0)γ2(ω0)

)

die Existenz einer Funktion

h : U(γ1(ω0)) → Rd, so dass h(γ1(ω)) = ω für alle ω ≈ ω0. Dann gilt

F(x, y) = γ2(h(x)) − y ∈ C1(U(γ1(ω0)) × U(y0)) → Rn−d

mit∂F∂y

= −I ∈ R(n−d)×(n−d)

und F(x, y) = 0 falls y = γ2(ω), x = γ1(ω) für ein ω ≈ ω0

35

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

F erfüllt Eigenschaften von (i) in hinreichend kleiner Umgebung U von (x0, y0) ∈ Rn.

Bemerkung Mannigfaltigkeiten brauchen nicht zusammenhängend sein und können durch Vereinigung mehrererdisjunkter Teilmannigfaltigkeiten entstehen.

Beispiel (i)

M = x ∈ Rn : x⊤Ax = ρ mit ρ 6= 0 mit A = A⊤ nicht singulär.

F = x⊤Ax − ρ, ∇F(x) = 2Ax 6= 0 da x 6= 0 für x ∈ M

A =

(1 00 −1

)

=⇒ x21 − x2

2 = ρ

=⇒ Niveaumengen f = x21 − x2

2

x22 = −ρ + x2

1 =⇒ x2 = ±√

−ρ + x21

x 2=√ −ρ

+x

2 1

x1= ±√

ρ + x22

ρ > 0ρ > 0x1

x2

ρ < 0

ρ < 0

ρ

ρ

(ii)

M ≡ A = A⊤ ∈ R2×2 : det(A) = 0, A 6= 0 =

(α ββ γ

)

: det(A) = αγ − β2

︸ ︷︷ ︸

F(α,β,γ)

= 0, α 6= 0 ∨ β 6= 0 ∨ γ 6= 0

∇F(α, β, γ) = (γ,−2β, α) 6= 0 da A = 0 ausgeschlossen wurde. =⇒ reguläre Mannigfaltigkeit der Dimension2

M ≡

A =

(α ββ′ γ

)

∈ R2×2 : β = β′, det(A) = 0, A 6= 0

=⇒ F1(α, β, β′, γ) = αγ − ββ′ F2(α, β, β′, γ) = β − β′

=⇒ F′(α, β, β′, γ) =

(γ −β′ −β α0 1 −1 0

)

drei Unterdeterminanten γ, α, β′ + β,−γ,−α, 0

= (0, 0, 0, 0, 0, 0, 0) =⇒ γ = 0, α = 0, ββ′ = 0, β + β′ = 0 =⇒ β = 0 = β′

ist 2–dimensionale Untermannigfaltigkeit von R3 bzw. R4. αγ = β2 ≥ 0 =⇒ sign(α) = sign(γ) =⇒ (α, γ)in erstem oder dritten Quadranten der (α, γ)–Ebene

α + γ = 2ρ =⇒ β2 = α(2ρ − α) = −(α − ρ)2 + ρ2 ⇐⇒ (α − ρ)2 + β2 = ρ2

M ist der Rand eines Doppelkegel ohne gemeinsame Spitze. Kegel besteht aus positiv semidefiniten und ne-gativ semidefiniten Matrizen.

Reguläre Parametrisierung

ω =

(ω1ω2

)γ1−→ A =

(ω1ω2

)

(ω1, ω2) =

(ω2

1 ω1ω2ω1ω2 ω2

2

)

= ωω⊤ pos. semidef.

γ2−→ A = −ωω⊤ neg. semidef.

Definition 52.2Ein offenes Teilgebiet G = M ∩ U mit U offen in Rn einer d–dimensionalen Mannigfaltigkeit M ⊂ Rn heißt Kartengebiet,wenn es Bild einer injektiven regulären Parametrisierung γ : Ω ⊂ Rd → Rn ist, d.h. γ(Ω) = G. Dann heißt γ auch Kartevon G.

Lemma 52.3Je zwei Karten γ : Ω → G und γ : Ω → G sind äquivalent in dem Sinne, dass es einen Diffeomorphismus T : Ω → Ω gibt,so dass

γ = γ T ⇐⇒ γ(ω) = γ(T(ω)) für ω ∈ Ω

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Beweis: Wegen vorausgesetzter Injektivität von γ und γ existiert T = γ−1 γ und T−1 = γ−1 γ. Zu zeigenbleibt somit „nur“ noch die stetige Diffbarkeit von T, die von T−1 folgt analog aus Symmetriegründen.

Wegen vorausgesetzter Regularität von γ existiert Projektion P = (e⊤j )j∈J ∈ Rd×n mit ej = (0, . . . , 1, . . . , 0)⊤ ∈Rn und J ⊂ 1 . . . , n und |J| = d so dass

Pγ(ω) = (e⊤j γ(ω))j∈J = (γj(ω))j∈J : Ω → Rd

in offener Teilmenge Ω0 ⊂ Ω mit ω0 ∈ Ω0 eine reguläre Jacobimatrix (P(γ(ω))′ = (∇γj(ω))j∈J . Dann existiertnach Satz über Umkehrfunktionen eine Funktion h : U(P(γ(ω)) ⊂ Rd → Rd so dass h P γ(ω) = ω für alleω ∈ Ω0.

Außerdem ist h sogar stetig diffbar und das selbe gilt für P. Also ist auch T = h P γ(ω) : Ω → Ω ist aufallen Umgebungen und damit auf ganz Ω differenzierbar. Entsprechend ist auch T−1 differenzierbar und es giltγ = γ T sowie γ = γ T−1.

Definition 52.4(i) Für eine Karte γ : Ω → G heißt

Γγ(ω) = γ′(ω)⊤γ′(ω) =

(n

∑k=1

∂γk(ω)

∂ωi

∂γk(ω)

∂ωj

)i=1...d

j=1...d

∈ Rd×d

die Grammatrix von γ. Sie ist symmetrisch positiv definit so dass gγ(ω) = det(Γγ(ω)) > 0 für alle ω ∈ Ω.

(ii) f : G → R heißt integrierbar bzgl. γ falls√

gγ(ω) f (γ(ω)) auf der Menge Ω Lebesgue–integrierbar ist. Man setztdann ∫ γ

f dλ =∫

Ω

gγ(ω) f (γ(ω)) dω

A ∈ Rn×d mit rang(A) = d =⇒ Γ = A⊤A =⇒ v⊤Γv = v⊤A⊤Av = ‖Av‖2 ≥ 0 für v 6= 0 gilt sogar‖Av‖2

> 0 da sonst Av = 0 was der Vollrangeigenschaft widerspricht.

PA =

(A1A2

)

mit det(A1) 6= 0, PAv = 0 =⇒ A1v = 0A2v = 0

=⇒ v = 0

Satz 52.5Die obige Definition ergibt für alle Karten γ den selben Wert, so dass wir setzen können

∫ Gf dλd =

∫ γf dλd =

Ωf (γ(ω))

gγ(ω) dω

Beweis: Betrachte alternative Karte γ : Ω → G mit γ = γ T, T : Ω → Ω. Nach Kettenregel

γ′(ω) = γ′(T(ω))T′(ω)

=⇒ Γγ(ω) = T′(ω)⊤(γ′(T(ω))⊤γ′(T(ω)))T′(ω)

Γγ(ω) = T′(ω)⊤Γγ(T(ω)) · T′(ω)

gγ(ω) = det(T′(ω))2gγ(T(ω))∫ γ

f dλ =∫

Ωf (γ(ω))

gγ(ω) dω

=∫

Ωf (γ T(ω))

gγ(T(ω))|det(T′(ω))| dω

nach Trafosatz=∫

Ωf (γ(ω))

gγ(ω) dω

Def=∫ γ

f dλ

Also ergibt sich für jede Karte der selbe Integralwert.

Korollar 52.6Falls γ(ω) =

h(ω)

)

∈ Rd×(n−d) ergibt sich

∫ γf dλ =

Ωf (γ(ω))

det(I + ∇h(ω)⊤∇h(ω)) dω

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

speziell für Hyperflächen, d.h. n − d = 1 =⇒ h ∈ R

∫ γf dλ =

Ωf (ω, h(ω))

1 + ‖∇h(ω)‖2 dω

Beweis:

γ =

h(ω)

)

=⇒ γ′ =

(I

∇h(ω)

)

Γ(ω) = γ′(ω)⊤γ′(ω) =(

I ∇h(ω)⊤)(

I∇h(ω)

)

= I + ∇h(ω)⊤∇h(ω)

d = n − 1, d.h. M ist Hyperfläche.

Γ = I + ∇h(ω)⊤∇h(ω) Rang 1 Störung von I

det(I + aa⊤) = ∏nj=1 λj mit λj die Eigenwerte von I + aa⊤

v1 ≡ a ist Eigenvektor mit (I + aa⊤)v1 = a(1 + ‖a‖2) =⇒ λ1 = 1 + ‖a‖2. v1 lässt sich durch Vektoren vj fürj = 2 . . . n zu orthogonalen Basis erweitern und es gilt

(I + aa⊤)vj = vj + aa⊤vj = vj + a v⊤1 vj︸︷︷︸

0

=⇒ λj = 1 für j = 2 . . . n

Also ist det(I + aa⊤) = 1 + ‖a‖22 wie behauptet, ‖a‖2

2 = a⊤a.

Beispiel Aufgabe: Berechne Fläche auf Nordhalbkugel, die durch Zylinder ausgeschnitten wird. (Darstellung inEulerwinkeln.)

Auf Kugeloberfläche:

x = 2 sin θ cos ϕy = 2 sin θ sin ϕz = 2 cos ϕω = (θ, ϕ)

=⇒ γ′(ω) = 2

cos θ cos ϕ − sin θ sin ϕcos θ sin ϕ sin θ cos ϕ− sin θ 0

Γ(ω) = 4(

cos θ cos ϕ cos θ sin ϕ − sin θ− sin θ sin ϕ sin θ cos ϕ 0

)

cos θ cos ϕ − sin θ sin ϕcos θ sin ϕ sin θ cos ϕ− sin θ 0

= 4(

1 00 sin2 θ

)

=⇒√

gγ(ω) =√

4 sin2 θ = 2 sin θ

Es bleibt zu zeigen, was auf Parametrisierungsbereich Ω = 0 < θ <π2 , θ < ϕ < π − θ. Auf Schnittkurve gilt:

(2 sin θ cos ϕ)2 + (2 sin θ sin ϕ − 1)2 = 1 =⇒ 4 sin2 θ cos2 ϕ + 4 sin2 θ sin2 ϕ − 4 sin θ sin ϕ + 1 = 1

Im Inneren des kleineren Kreises gilt θ < ϕ < π − θ Fläche des Ausschnittes

Ω1√

gγ(ω) dω = −∫ π

2

0

∫ θ

π−θ2 sin θ dϕ dθ = −

∫ π2

0

(

2 sin θ∫ θ

π−θdϕ

)

=∫ π

2

02 sin θ(π − 2θ) dθ = −2 cos θ(π − 2θ)

∣∣∣∣

π2

0−∫ π

2

02 cos θ · 2 dθ = 2(π) + 4 sin θ

∣∣∣∣

π2

0

= 2π + 4 > 0

Mit Cartesischer Parametrisierung

z =√

4 − x2 − y2

︸ ︷︷ ︸

h(x,y)

γ′ =

1 00 1−x√

4−x2−y2

−y√4−x2−y2

gγ = 1 + ‖∇h(x, y)‖22 = 1 +

x2 + y2

4 − x2 − y2 =4

4 − x2 − y2 ∇h(x, y) =(−2x,−2y)

2√

4 − x2 − y2

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Ein alternativer Ausdruck für die Fläche ist

∫ 2

0

√1−(y−1)2∫

−√

1−(y−1)2

44 − x2 − y2 dx dy

die Auswertung erfolgt wiederum mit Hilfe von trigonometrischer Substitution.

Bemerkung Anwendung der jeweiligen Ergebnisse für Lebesgue–Integrale über Ω ⊂ Rd auf Funktionenf (γ(ω))

gγ(ω) ergibt unter Voraussetzung von Satz 52.5

(i) f integrierbar über G =⇒ | f | ist integrierbar. f−, f + integrierbar

(ii) fk integrierbar auf G und monoton steigend fk ր f punktweise, dann gilt

limk→∞

Gfk dλd =

Gf dλd Monotone Konvergenz

(iii) fk → f messbar und punktweise konvergent sowie | fk| ≤ g mit g auf G integrierbar, dann ist auch f integrier-bar mit

G f dλd = limu→∞

G fk dλd. (Lebesgue beschränkte Konvergenz).

Frage: Wie definiert man∫

M f dλd wenn M ⊂ Rn d–dimensionale Untermannigfaltigkeit, aber kein Kartengebiet,zum Beispiel S2 ≡ x2 + y2 + z2 = 1 : (x, y, z) ∈ R3Antwort: Benutze Zerlegung der 1 (partition of unity)

Definition 52.7Eine abzählbare Menge von Funktionen εi : M → [0, 1] heißt Zerlegung der 1 auf M, falls alle Träger

supp(εi) = clx ∈ M : εi(x) > 0

im Inneren eines Kartengebietes von M enthalten sind und

∑i=1

εi(x) = 1 für x ∈ M

wobei jedes x nur zu endlich vielen Trägern gehören darf.

( f hat kompakte Träger genau dann, wenn supp f beschränkt.)

Beispiel („Hütchenfunktionen“ auf M = R)

εk = max(0, 1 − |x − k|)supp(εk) = (k − 1, k + 1)∞

∑k=−∞

εk(x) = εk(x) + εk+1(x) für x ∈ [k, k + 1)

= 1 − (x − k) + 1 − (k + 1 − x)

= 1 + 1 − 1 + k − k − x + x = 1

Bemerkung Hütchen sind zwar global Lipschitz–stetig, aber keinmal differenzierbar auf R.

Eine Alternative ist die beliebig oft differenzierbare Funktion

ψρ(d) = e1−ρ2/(ρ2−d2) für − ρ < d < ρ ψρ(d) = 0 außerhalb.

Sie ist ein Beispiel für Funktionen, die an einer Stelle, hier d = ρ, beliebig oft reell differenzierbar sind, aber nichtholomorph (Cauchy–Riemann nicht erfüllt), insbsondere nicht in eine Potenzreihe entwickelbar.

Beispiel (Torus) Mannigfaltigkeit der Dimension 2 da 1 definierende Funktion (√

x2 + y2 − R)2 + z2 = r2.

γ =

xyz

=

R cos ϕ + r cos ϕ cos θR sin ϕ + r sin ϕ cos θ

r sin θ

γ′(ϕ, θ) hat überall Rang 2, aber kann nicht auf ganz M injektiv sein.Offene Teilmenge M = γ(θ, ϕ) : 0 < ϕ < π,−π

2 < θ <π2 .

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

θϕ

R r

Zerlegung der 1: εij(θ, ϕ) = ψi(θ)ψj(ϕ) und

ψ1(θ) = max(0, 1 − 2

π |θ + π2 |)

ψ2(θ) = max(0, 1 − 2

π |θ − 0|)

ψ3(θ) = max(0, 1 − 2

π |θ − π2 |)

ψ4(θ) = max(0, 1 − 2

π |θ − π|)

supp(ψ1) = [−π, 0], supp(ψ1) = [−π2 , π

2 , . . .

−π π

ψ4 ψ3 ψ2 ψ1 ψ4

0

∑ij

εij(θ, ϕ) =4

∑i=1

4

∑j=1

ψi(θ)ψj(ϕ) =4

∑i=1

ψi(θ)4

∑j=1

ψj(ϕ)

︸ ︷︷ ︸

1

=4

∑i=1

ψi(θ) = 1

Lemma 52.8Sei M Untermannigfaltigkeit und x ∈ V ⊂ M mit V offen. Dann existiert eine stetige Funktion ϕ : M → [0, 1] so dassϕ(x) 6= 0 und supp(ϕ) ⊂ V.

Erinnerung: V offen in M, falls offenes U in Rn existiert, so dass V = M ∩ U.

Beweis: ∃ρ > 0 : cl Bρ ∩ M ⊂ V.

ϕ(x) ≡ ψρ(‖x − x‖) für x ∈ M,

Satz 52.9 (Kompakte Ausschöpfung)Für jede Untermannigfaltigkeit M existiert eine aufsteigende Folge kompakter Ki ⊂ M, so dass

Ki ⊂ K0i+1 ⊂ Ki+1 ⊂ K0

i+2 ⊂ · · ·

und M =⋃∞

i=1 Ki wobei K0i+1 = Innere von Ki+1 in M.

Beweis: Definiere abzählbares System offener Vi ⊂ M mit cl Vi ⊂ M z.B. Vi = Qi ∩ M mit Qi ⊂ Rn offenerQuader mit rationalen Ecken und cl Qi ∩ M kompakt und

∞⋃

i=1

Vi = M K1 = cl V1 und Ki =ki⋃

i=1

cl Vi ⊂ki+1⋃

i=1

Vi

letztere Beziehung definiert die Teilfolge K1 < K2 < · · · < Ki < Ki+1. Die so konstruierten kompakten MengenKi erfüllen die Behauptung.

Korollar 52.10Jede Untermannigfaltigkeit M ⊂ Rn hat einen abzählbaren Atlas A = (Gi)

∞i=1, d.h. ist die Vereinigung abzählbar vieler

Kartengebiete Gi.

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Beweis: Wir wissen, dass jeder Punkt x ∈ M zu einem Kartengebiet gehört. Jedes Ki wird also durch endlichviele dieser Kartengebiete überdeckt (wegen Kompaktheit). Das System aller dieser ausgewählten Kartenge-biete ist somit abzählbar.

Satz 52.11Zu jedem (abzählbaren, lokal endlichen) Atlas A einer Untermannigfaltigkeit M gibt eine Zerlegung der 1, die ihr untergeord-net ist in dem Sinne, dass

∑i=1

εi = 1 mit εi : M → [0, 1], εi ∈ C(M)

so dass es für jedes εi eine Karte Gj ∈ A gibt mit supp(εi) ⊂ Gj.

Beweis: Abschluss der schraffierten Menge ist Ki \ K0i−1

Ki \ K0i−1 ⊂ K0

i+1 \ Ki−2 offen

∀x ∈ Ki \ K0i−1 existiert eine Umgebung V ⊂ K0

i+1 \ Ki−2 und entspre-chend eine Funktion ϕix; M → [0, 1] mit ϕix(x) > 0 und supp(ϕix) ⊂Gj ∩ (K0

i+1 \ Ki−2).

Ki−1

Ki

Ki+1

Ki−2

K0i−1 \ Ki−2

Die strikten Trägerx ∈ M : ϕix(x) > 0

bilden eine offene Überdeckung des Ki \ K0i−1. Also gibt es eine endliche Teilüberdeckung durch die Träger von

Funktionϕij für j = 1, . . . , nj mit nj < ∞

Da die Träger der ϕij höchstens noch nach Ki+1 \ Ki oder Ki−1 \ Ki−2 reichen, schneiden höchsten ni−1 + ni +

ni+1 Träger die Menge Ki \ K0i−1. Folglich gehört jedes x ∈ M höchstens zu endlich vielen Trägern der ϕij und

die Summe

ϕ(x) =∞

∑i=1

ni

∑j=1

ϕij(x) : M → (0, ∞)

ist eine stetige überall positive Funktion. Folglich ist auch

εij = ϕij/ϕ

eine stetige Funktion mit ∑i,j εij = 1. Nach Umnummerierung erhält man Folge (εi)∞i=1 mit den geforderten

Eigenschaften.

Lemma 52.12Falls f : M → R mit supp( f ) ⊂ G Kartengebiet, dann ist f auf G integrierbar genau dann, wenn für jede Zerlegung der 1die Produkte f · εi auf G integrierbar sind und ∑G

∫| f εi| dλd < ∞. Dann gilt

G

f dλd =∞

∑i=1

G

f εi dλd

Man setzt dann auch∫

M

f dλd ≡∫

G

f dλd.

Beweis: 1. Fall ist d = n, d.h. M = Ω = G ist offene Teilmenge von Rn. Da f integrierbar auf G, ist auch | f |integrierbar auf G und daher |εi f | ≤ | f | für jedes i integrierbar (wegen Lebesgue–beschränkter Konver-genz).

fn =

(n

∑i=1

εi

)

| f |

ist monoton steigende punktweise konvergente Folge, so dass nach monotoner Konvergenzaussage

G

| f | dλn =∫

G

limk→∞

k

∑i=1

εi| f | dλ = limk→∞

k

∑i=1

G

εi| f | dλn =∞

∑i=1

G

|εi f | dλn

41

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

d.h. aus Integrierbarkeit von f folgen die Beschränktheit der Summe über∫

Gεi| f | dλ.

limk→∞

G

k

∑i=1

εi f dλ =∫

G

f dλ

folgt nach Lebesgue aus gemeinsamen Beschränkungen∣∣∣∣∣

k

∑i=1

εi f

∣∣∣∣∣≤ | f |

2. Fall G Gebiet von d–dimensionaler Untermannigfaltigkeit. Betrachten Parametrisierung γ : Ω → G undwende Argumentation von Fall 1 an auf die Zerlegung der 1, nämlich ηi = εi γ auf Ω und Integranden

f = ( f γ) · √gr

folgt analog.

Bemerkung Die Zerlegung der 1 ist eher ein theoretisches als praktisches Werkzeug. Integrale über Mannigfaltig-keiten müssen fast immer numerisch ausgewählt werden. Dann sind verschiedene Darstellungen über Zerlegungenauch nicht mehr exakt äquivalent.

Satz 52.13 (Integrierbarkeit auf Untermannigfaltigkeit)M ⊂ Rn, f : M → [−∞, ∞] heißt integrierbar über M, falls für einen Atlas A und eine untergeordnete Zerlegung der 1

1 =∞

∑i=1

εi(x) für x ∈ M

gilt:

f εi mit supp(εi) ⊂ Gj sind integrierbar

=⇒

M

f εi dλd =∫

Gj

f εi dλd

∑i=1

M

| f |εi dλd < ∞

Dann setzt man∫

M

f dλd ≡∞

∑i=1

M

f εi dλd ∈ (−∞, ∞)

Diese Setzung ist von speziellem Atlas und Zerlegung unabhängig.

Beweis: Betrachten anderen Atlas A′ und entsprechende Zerlegung ∑∞k=1 ηk = 1. Zu zeigen ist

f ηk und | f |ηk sind integrierbar∞

∑k=1

M

| f ηk| dλd < ∞

∑k=1

M

f ηk dλd =∞

∑i=1

M

f εi dλd

Es ist | f ηkεi| mit supp( f ηkεi) < supp( f εi) ⊂ Gj. Also sind sowohl f ηkεi wie | f ηkεi| integrierbar nach Lemma52.12 und es gilt

M

f ηk dλd =∞

∑i=1

M

f ηkεi dλd

M

| f ηk| dλd =∞

∑i=1

M

| f ηk|εi dλd

42

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Umgekehrt gilt wegen Integrierbarkeit von f εi und Zerlegungseigenschaften von ηk

M

f εi dλd =∞

∑k=1

M

f εiηk dλd

Summation über i ergibt für Absolutbeträge

∑i=1

∑k=1

M

| f |εiηk dλd

∑i=1

| f |εi dλdVor.< ∞

Deswegen darf Doppelsumme umgeordnet werden.

∑i=1

M

| f |εi dλd =∞

∑k=1

∑i=1

M

| f |εiηk dλd

=∞

∑k=1

M

| f |ηk dλd

Dasselbe folgt aus beschränkter Konvergenz nach Lebesgue für die Integranden ohne Betrag. Also sind beideDarstellen wohldefiniert und ergeben den selben Wert.

Definition 52.14Eine beliebige Teilmenge A ⊂ M heißt messbar, wenn die charakteristische Funktion

χA : M → 0, 1 mit χA(x) =

1 falls x ∈ A

0 sonst

integrierbar ist, man nennt dann

vd(A) =∫

M

χA dλd das Volumen A

Satz 52.15Jede stetige Funktion auf einer kompakten Teilmenge A ⊂ M ist über diese integrierbar.

Beweis: Für Fall A ⊂ Kartengebiet G (Allgemein wieder mit Zerlegung der 1). γ : Ω → G ergibt stetigeFunktion

√gγ(ω) f (γ(ω)). Urbild B = γ−1(A) ist auch kompakt und messbar. Also gilt

A

f dλd =∫

M

f χA dλd =∫

Ω

( f γ)√

gγχB dω =

Integral von stetigen

Funktion über kompakter

Teilmenge von Rd

Bemerkung: γ muss Homöomorphismus sein.

Bemerkung Sätze über monotone und beschränkte Konvergenz lassen sich auf Untermannigfaltigkeiten erweitern.

Nächste Hürde: Viele „Oberflächen“ sind keine regulären Mannigaltigkeiten, sondern haben „Knicke“, also Sprüngein der Ableitung der Parametrisierung.

Beispiel (Würfel) Es existieren überall stetige, aber nicht notwendiger Weise differenzierbare Karten. D.h. der Wür-fel ist nur eine C0 Mannigfaltigkeit. Wir haben bisher immer C1–Mannigfaltigkeiten betrachtet.

Würfel =Vereinigung von

6 offene Quadrate, d.h. 2–dimensionale Untermannigfaltigkeiten

12 offene Kanten, d.h. 1–dimensionale Untermannigfaltigkeiten

8 Ecken, d.h. 0–dimensionale Untermannigfaltigkeiten

Hier wie allgemeiner bei C0–Mannigfaltigkeiten M lassen sich Integrale über dem Komplement M \ N definieren,wobei N eine sogenannte d–Nullmenge ist.

43

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Definition 52.16Sei M ⊂ Rn eine d–dimensionale C1–Mannigfaltigkeit. f : M → Rk ist stetig differenzierbar gdw. für jede Karte γ : Ω → Mdie Verknüpfung f γ eine C1–Abbildung ist,

f γ : Ω ⊂ Rd → Rk

Definition 52.17Eine Menge N ⊂ Rn heißt Hausdorff–Nullmenge der Dimension d ≤ n oder kurz d–Nullmenge, falls zu jedem ε > 0 eineÜberdeckung N ⊂ ⋃∞

i=1 Wi mit Würfeln der Kantenlänge ri existiert, so dass ∑∞i=1 rd

i ≤ ε

Beispiel Für d = n erhalten wir genau die Nullmengen bezüglich des Lebesguemaßes λn. (Siehe Bemerkung (iv))nach Satz 47.3).

Lemma 52.18 (Elementare Eigenschaften)(i) N ′ ⊂ N und N ist d–Nullmenge, dann gilt das auch für N ′

(ii) d′ ≥ d impliziert, dass jede d–Nullmenge auch d′–Nullmenge ist

(iii)∞⋃

k=1

Nk ist d–Nullmenge, falls dies für alle Nk gilt.

Beweis: (i) und (ii) offensichtlich

(iii) Für gegebenes ε wähle zu Nk eine Überdeckung Nk ⊂∞⋃

j=1

Wkj mit Kantenlänge rkj so dass

∑j=1

rdkj ≤ ε =

ε

2k

Daraus folgt N ⊂∞⋃

k=1

∞⋃

j=1

Wkj und damit∞

∑j=1

∑k=1

rdkj ≤

∑k=1

εk = ε.

Beispiel (i) x1 = x2 ≥ 0 : (x1, x2) ∈ R2 ≡ NSumme der Kantenpotenzen für d = 2

∑n=0

m(n + 1)2 1(m(n + 1)2)2 =

∑n=0

1m(n + 1)2 =

1m

∑n=0

1(n + 1)2 −−−→

m→∞0

(ii) N = Rn−m × 0m für m ∈ [0, n] ist d–Nullmenge für d > n − m. Für n = 3, m = 1 ist Ebene R2 × 0 ⊂ R3.Beweis analog zu Beispiel 1. (3–Nullmenge, aber nicht 2–Nullmenge).

Lemma 52.19 (Vererbung unter Lipschitz– bzw. C1–Abbildung)(i) Falls N ⊂ Rn d–Nullmenge und F : N → Rm ist Lipschitzstetig (global) mit Konstante L, dann ist auch F(N ) ⊂ Rm

eine d–Nullmenge.

(ii) Falls F : U ⊂ Rn → Rm auf offenen U ⊂ Rn stetig differenzierbar und N ⊂ U d–Nullmenge, dann ist auch F(N )eine d–Nullmenge.

Beweis: (i) N ⊂∞⋃

k=1

Wk mit∞

∑k=1

rdk < ε dann folgt aus Schrankensatz

F(Wk ∩N ) ⊂ Wk mit Kantenlängen ≤ 2Lrk.

Daraus folgt ∑∞k=1(rk)

d ≤ 2dLdε kann auch beliebig klein gemacht werden.

(ii) Betrachte Ausschöpfung von U =⋃∞

i=1 Ki durch kompakte Teilmengen, es können Würfel mit rationalenEcken gewählt werden. Dann hat ‖F′(x)‖ auf Ki jeweils ein Maximum Li, das eine Lipschitz–Konstantevon F auf Ki ∩N ist.

Dann folgt nach (i), dass F(Ki ∩ N ) d–Nullmenge und nach (iii) des Lemmas 52.17 auch die abzählbareVereinigung F(N ) =

⋃∞j=1 F(N ∩ Kj)

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§52 Integration über Mannigfaltigkeiten XII VEKTORANALYSIS

Korollar 52.20Jede d–dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn ist d + i–Nullmenge für 1 ≤ i ≤ n − d

Beweis: Betrachte Atlas A = Gj∞j=1 mit Gj = γj(Ωj) für Ωj ⊂ Rd. Wobei o.B.d.A mit

γj(ω) =

hj(ω)

) d(n − d)

einmal stetig differenzierbar

Modifiziere

γj

(ω1ω2

)

=

(ω1

hj(ω1)

)

mit ω1 × ω2 ∈ Ωj × 0n−d

︸ ︷︷ ︸

Ω

⊂ Rn

Dann ist Ωj ⊂ Rd × 0 eine (d + 1)–Nullmenge und dasselbe gilt wegen Differenzierbarkeit für das Bildγj(Ωj) = γj(Ωj) = Gj.

Gesamte Mannigfaltigkeit M =⋃∞

j=1 Gj ist somit auch (d + i)–Nullmenge.

Satz 52.21Eine Teilmenge N ⊂ M mit M ⊂ Rn Untermannigfaltigkeit d–Nullmenge gdw. für jede Karte γi : Ωi → Gi im AtlasM ⊂ ⋃∞

i=1 Gi gilt γ−1i (N ∩ Gi) ist d–Nullmenge was wiederum äquivalent ist dazu, dass λd(γ−1

i (N ∩ Gi)) = 0.

Beweis: Letzte Äquivalenz folgt wiederum aus Bem. nach Satz 47.7 da Ωi = γ−1(Gi) ⊂ Rd.N d–Nullmenge ⇐⇒ N ∩ Gi d–Nullmege für jedes i ∈ N ⇐⇒ γ−1

i (N ∩ Gi) ist d–Nullmenge, da γiDiffeomorphismus nach Definition.

Satz 52.22Falls f , f : M → R ∪ ∞ und f über d dimensionalem M integrierbar ist. Dann folgt aus der Bedingung, dass

N ≡ f (x) 6= f (x), x ∈ M

eine d–Nullmenge die Integrierbarkeit von f über M mit∫

M

f dλd =∫

M

f dλd

M.a.W: Jede integrierbare Funktion darf an d–Nullmenge N beliebig modifiziert werden, ohne dass sich das Integral ändert.

Beweis: Für individuelles Kartengebiete G = γ(Ω)

G

f dλd =∫

Ω

( f γ)√

gγ dω =∫

Ω

( f γ)√

gγ dω =∫

G

f dλd

da f γ von f γ nur auf der d–Nullmenge γ−1(G ∩N ) abweichen kann.

Definition 52.23X ⊂ Rn heißt C1–Fläche der Dimension d, falls es eine nichtleere Teilmenge M ⊂ X gibt, so dass

(i) M ist d–dimensionale Untermannigfaltigkeit in Rn

(ii) X \ M ist d–Nullmenge

(iii) M liegt in X dicht.

Dann heißt M regulär. Falls d = n − 1, spricht man von einer C1–Hyperfläche.

Beispiel (i) 3–dimensionaler Würfel X mit M die Vereinigung der G offenen Seitenquadrate

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

(ii)Rotationskörper r : [0, b] → R+ mit r ∈ C1(bi, bi+1) für Zerlegung0 = b0 < b1 < · · · < bn = b endlich und r ∈ C[0, b]. Dann ist

X = (x, y, z) ∈ R3 : mit x2 + y2 = r(z)2

∧ (0 ≤ z ≤ b ∨ (z = b ∧ x2 + y2 ≤ r2(b)))

eine C1 Hyperfläche der Dimension 2 mit regulären Mannigfaltigkeit

z = bn, x2 + y2 ≤ r(b)︸ ︷︷ ︸

offene Kreisscheibe

n⋃

i=1

bi−1 < z < bi, x2 + y2 = r2(z)

für i = 1, . . . , n.

bbn−1

b1

0 x

y

Definition 52.24Für C1–Fläche X mit f integrierbar auf regulärem Teil M ⊂ X setze

X

f dλd =∫

M

f dλd

Diese Definition ist eindeutig, d.h. ergibt den selben Wert für alternative M ⊂ X.

Beweis: X \ (M ∩ M) = (X \ M) ∪ (X \ M) ist auch d–Nullmenge.M \ M ⊂ X \ M ist d–Nullmenge. M \ M ⊂ X \ M ist d–Nullmenge.Also gilt nach Modifikationssatz

M

f λd =∫

M∩M

f dλd =∫

M

f dλd

§53 Integralsätze von Gauß und Stokes

Namen: Gauß = Divergence Theorem = Divergenzsatz (Russ. Ostrogradski)Intuitive Herleitung:

F(x) : Rn → Rn Flussgeschwindigkeit einer inkompressiblen Flüssigkeiten

G ⊂ Rn eine zusammenhängendes Gebiet mit (stückweise) glattem Rand

ν(x) für x ∈ ∂G ist nach außen zeigender „Normalenvektor“

F(x)⊤ν(x) = 〈F(x), ν(x)〉 = ‖F(x)‖‖ν(x)‖ cos(F(x), ν(x))

Normaler Fluss an Stelle x ∈ ∂G

Gesamtfluss über Rand für Einheitsnormale ‖ν(x)‖2 = 1:∫

∂G

F(x)⊤ν(x) dλn−1 =∫

∂G \ ∂G2

F(x)⊤ν(x) dλn−1 +∫

∂G\∂G1

F(x)⊤ν(x) dλn−1

=∫

∂G \ ∂G2

F(x)⊤ν(x) dλn−1 +∫

∂G1∩∂G2

F(x)⊤ν1 dλn−1 +∫

∂G1∩∂G2

F(x)⊤ν2 dλn−1

︸ ︷︷ ︸

=0 da ν1+ν2=0

+∫

∂G\∂G1

F(x)⊤ν(x) dx

=∫

∂G1

F(x)⊤ν1(x) dλn−1 +∫

∂G2

F(x)⊤ν2(x) dλn−1

Wiederholte Zerlegung in m Würel Wi für i = 1, . . . , m ergibt∫

∂G

F(x)⊤ν(x) dλn−1 ≈ ∑∫

∂Wi

F(x)⊤ν(x) dλn−1 + Randstückchen

wobei Wi offen, paarweise disjunkt und es gilt annäherndm⋃

i=1

Wi = G.

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Frage: Was ist∫

∂W

F(x)⊤ν(x) dλn−1 für Würfel der Kantenlänge 2r mit Zentrum im Ursprung.

Da Kanten und Ecken n − 1 Nullmengen, ergibt sich

∂W

F(x)⊤ν(x) dλn−1 =n

∑k=1

Q+k

F(x)⊤ek dλn−1 −∫

Q−k

F(x)⊤ek dλn−1

wobeiQ±

k ≡ (ω1, ω2, . . . , ωk−1,±r, ωk+1, . . . , ωn) : |ωj| < r, ωj ∈ RDie Q±

k sind Untermannigfaltigkeit der Dimension n − 1 parametrisiert durch (n − 1) Werte ωj mit entsprechender

Haar–Matrix I ∈ R(n−1)×(n−1) =⇒ gγ = 1

=n

∑k=1

r∫

−r

r∫

−r

· · ·r∫

−r︸ ︷︷ ︸

n−1 mal

(

e⊤k F(ω1, ω2, . . . , ωk−1, r, ωk+1, . . . , ωn)

− e⊤k F(ω1, ω2, . . . , ωk−1,−r, ωk+1, . . . , ωn)

)

dω1 dω2 . . . dωk−1 dωk+1 . . . dωn

Nach Mittelwertsatz gilt für Fk = e⊤k F

[Fk(ω1, ω2, . . . , ωk−1, r, ωk+1, . . . , ωn) − Fk(ω1, ω2, . . . , ωk−1,−r, ωk+1, . . . , ωn)]

=

r∫

−r

∂Fk

∂ωk(ω1, ω2, . . . , ωk−1, ωk, ωk+1, . . . , ωn) dωk

Einsetzen Mehrfachintegral

∂W

F(x)⊤ν(x)λn−1 =n

∑k=1

r∫

−r

r∫

−r

· · ·r∫

−r︸ ︷︷ ︸

n mal

Fk(ω) dω1 . . . dωn

=n

∑k=1

W

∂xkFk(x)λn ist Volumenintegral =

W

div(F(x) dλn

mit div(F(x)) =n

∑k=1

∂Fk(x)

∂xk= Tr(F′(x)) = Summe der Diagonaleinträge der Jacobimatrix = Divergenz an Stelle x.

∂G

F(x)⊤ν(x) dλn−1 ≈ ∑∫

∂Wi

F(x)⊤ν(x) dλn−1 + Randstückchen

=m

∑i=1

Wi

div(F(x)) dλn ≈∫

G

div(F(x)) dx

=⇒ Gauss:∫

∂G

F(x)⊤ν(x) dλn−1 =∫

G

div(F(x))λn

Beispiel (i) zur Divergenz

F(x) = x div(F(x)) = Tr(∂x∂x

) = Tr(I) = n

F(x) = −cx mit c > 0 div(F(x)) = −nc < 0

für n = 2 F(x) =

(−x2x1

)

div(F(x)) = 0

Bemerkung Zu klären bleibt eine genaue Definition und Berechnung der Normalen ν(x) an fast allen Randpunkteneines geeigneten Gebietes G ⊂ Rn.

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Satz 53.1An jedem Punkt x0 einer regulären Hyperfläche M ⊂ Rn (d.h. Teilmannigfaltigkeit der Dimension d = n − 1) existiert einsogenannter Normalenvektor ν(x0) 6= 0, so dass für alle differenzierbaren Pfade x(t) ∈ M mit x(0) = x0 gilt, dass

ν(x0)⊤ d

dtx(t)

∣∣∣∣t=0

= ν(x0)⊤x′(0) = 0

Je zwei Normalen ν1(x0) und ν2(x0) mit dieser Eigenschaft sind Vielfache voneinander. Falls M lokal Nullstellenmenge derFunktion f : Rn → R mit ∇ f (x0) 6= 0 ist, so bildet dieser Gradient eine Normale.

Beweis: Da immer geeignetes f existiert und für beliebiges differenzierbares x(t) ∈ M gilt

ddt

f (x(t))

∣∣∣∣t=0

= ∇ f (x(t))⊤x′(t)

∣∣∣∣t=0

= ∇ f (x(0))⊤x′(0)

d.h. ν(x0) = ∇ f (x0) ist Normale. Für Parametrisierung γ : Ω → M mit x0 ∈ γ(Ω) betrachte Pfade

x(t) = γ(ω1, . . . , ωk−1, ωk + t, . . . , ωn−1) ∈ M mit Tangenten x′(0) =∂γ

∂ωk(x0) · 1

D.h. jegliche Normale muss orthogonal sein zu den Spalten der Matrix A = γ′(x0) ∈ Rn×(n−1) =⇒ A⊤ν = 0.Da laut Voraussetzung rang(A) = n − 1 ist der Nullraum von A⊤ eindimensional, so dass Elemente ungleichnull Vielfache von einander und insbesondere von ∇ f (x0) sind.

Korollar 53.2Wenn M = f−1(0) oder M = γ(Ω) ein Kartengebiet, dann ist M orientierbar in dem Sinne, dass es eine stetige Normaleν : M → Rn \ 0 gibt.

Beweis: Im ersten Fall nehme ν(x) = ∇ f (x) 6= 0. Zweiter Fall später mit Hilfe des äußeren Produktes.

Beispiel einer nichtorientierbaren Hyperfläche ist das Möbiusband.

Definition 53.3Falls M orientierbare Hyperfläche mit Einheitsnormale γ(x) = ν(x)/‖ν(x)‖ setze

M

F(x) · γ(x) dλn−1 =∫

(M,γ)

F dλn−1

für stetiges F : M → R.

Definition 53.4Für G ⊂ Rn heißt x0 regulärer Randpunkt von G, wenn es offene Umgebung U ∋ x0 und Funktion f : U → R gibt, sodass G ∩ U = x ∈ U : f (x) ≤ 0 und ∇ f (x) 6= 0 für x ∈ U.

Die Menge aller solcher Punkte ist offen in ∂G und heißt regulärer Rand ∂rG. Falls der singuläre Rand ∂G \ ∂rG eine(n − 1)–Nullmenge und G abgeschlossen, heißt G ein C1–Polyeder. Wenn G beschränkt und damit kompakt ist, heißt G einC1–Polytop.

Bemerkung Nach Definition ist der reguläre Rand eine Teilmannigfaltigkeit.

Beispiel Falls M = γ(Ω) mit γ(ω) =

h(ω)

)

für ω ∈ Ω ⊂ Rn−1 und ωi = xi für i = 1, . . . , n − 1 und xn =

h(x1, . . . , xn−1).

ν(ω) = ∇(−h(x1, . . . , xn−1) + xn) = (−∇h, 1) mit pos. xn Komponente∫

M

Fν dλn−1 =∫

Ω

F(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1))

(−∇h(x1, . . . , xn)1

)

· √gγ

(((((((((((((((1 + ‖∇h(x1, . . . , xn−1)‖2)1/2

dx1 . . . dxn−1

=∫

Ω

(n−1

∑k=1

(

−Fk(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1))∂h∂xk

)

+ Fn(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1))

)

dx1 . . . dxn−1

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Spezialfall: M ≡ (x, y, z) : 0 < x2 + y2< 1, 0 < z < 1, z = x2 + y2. F(x, y, z) = (x, y, z)

h = h(x, y) = x2 + y2 =⇒ f (x, y, z) = z − h(x, y) =⇒ ν = ∇ f = (−2x,−2y, 1)

M

F dλ2 =∫

0 < x2 + y2< 1

(x, y, x2 + y2)

−2x−2y

1

dx dy

=∫

0 < x2 + y2< 1

(−2x2 − 2y2 + x2 + y2) dx dy = −∫

0 < x2 + y2< 1

(x2 + y2) dx dy

x = r cos ϕ und y = r sin ϕ

∣∣∣∣det

(∂(x, y)

∂(r, ϕ)

)∣∣∣∣=

∣∣∣∣det

(cos ϕ −r sin ϕsin ϕ r cos ϕ

)∣∣∣∣= r

−∫

0 < x2 + y2< 1

(x2 + y2) dx dy = −π∫

−π

1∫

0

r2r dr dϕ = −π

2

Definition 53.5Für C1–Polytop G mit F : Rn → Rn stetig auf Umgebung von G setze

∂G

F(x)ν(x) dλn−1 =∫

∂rG

F(x)ν(x) dx

wobei jeweils ν(x) = ∇ f (x)/‖∇ f (x)‖ an x ∈ ∂rG. Diese Normale ist eindeutig.

Lemma 53.6Betrachte berandeten Würfel

W = (x1, . . . , xn) ∈ Rn : ai ≤ xi ≤ bi für i = 1, . . . , n − 1, 0 ≤ xn ≤ h(x1, . . . , xn−1)

wobei h ∈ C1(U) mit U ⊃ [a1, b1] × [a2, b2] . . . [a−1, bn−1], h > 0 und F : C2(U) mitU ⊃ W. Dann gilt

W

div(F(x)) dx1 dx2 . . . dxn =∫

∂W

F(x) · ν(x) dλn−1

Q+1

Q−1

Q−n

Q+n

e1−e1

ν = −en

xn = h(x1, . . . , xn−1)

a2

a1

b2

x2

x1

x3

Beweis:

W

div(F(x)) dλn =∫

W

n

∑k=1

∂xkFk(x) dλn mit F = (Fk)

nk=1 ⇐⇒ Fk = e⊤k F

Fubnini=

n

∑k=1

b1∫

a1

b2∫

a2

· · ·bn−1∫

an−1

h(x1,...,xn−1)∫

0

∂xkFk(x1, . . . , xn) dxn dxn−1 . . . dx1

︸ ︷︷ ︸

Ik

In =

b1∫

a1

b2∫

a2

· · ·bn−1∫

an−1

(

Fn(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1)) − Fn(x1, . . . , xn−1, 0)

)

dxn−1 . . . dx1

=

b1∫

a1

b2∫

a2

· · ·bn−1∫

an−1

Fn(x1, . . . , xn−1, h) dxn−1 . . . dx1 +∫

Q−n

Fν dλn−1

49

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Für k < n

Ik =

b1∫

a1

· · ·bk−1∫

ak−1

bk+1∫

ak+1

· · ·bn−1∫

an−1

bk∫

ak

b(x1,...,xn−1)∫

0

∂xkFk(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1 dxn

︸ ︷︷ ︸zk

)) dxk

dxn−1 . . . dxk+1 dxk−1 . . . dx1

Betrachte x1, . . . , xk−1xk+1, . . . xn−1 als Konstante und lasse Argument weg

zk =

bk∫

0

h(xk)∫

0

∂xkFk(xk, xn) dxn

︸ ︷︷ ︸

∂∂xk

h(x0)∫

0Fk(xk , xn) dxn − Fk(xk , h(xk))

∂∂xk

h(xk)

dxn =

h(bk)∫

0

Fk(bk, xn) dxn −h(ak)∫

0

Fk(ak, xn) dxn −bk∫

ak

Fk(xk, h(xk))∂

∂xnh(xk) dxk

Ik =

b1∫

a1

· · ·bn−1∫

an−1︸ ︷︷ ︸

kein k

zk(x1, . . . , xk−1, xk+1, . . . , xn−1)

=

b1∫

a1

· · ·bn−1∫

an−1

h(bk)∫

0

Fk(x1, . . . , xk−1, xk+1, . . . , xn) dxn dxn−1 . . . dx1︸ ︷︷ ︸

kein k

+

b1∫

a1

· · ·bn−1∫

an−1

h(bk)∫

0

−Fk(x1, . . . , xk−1, xk+1, . . . , xn) dxn dxn−1 . . . dx1︸ ︷︷ ︸

kein k

−b1∫

a1

· · ·bn−1∫

an−1

h(bk)∫

0

Fk(x1, . . . , xn−1, h(x1, . . . , xn−1))∂h∂xk

(x1, . . . , xn−1) dx1 . . . dxn−1

Insgesamt ergibt sich

−∫

Q−n

Fν dλn−1 +n−1

∑k=1

Q+k

Fν dλn−1 −∫

Q−k

Fν dλn−1

+

b1∫

a1

· · ·bn−1∫

an−1

(

Fn(x1, . . . xn−1, h(x1, . . . , xn−1)) −n−1

∑k=1

Fk()∂h∂xk

()

)

dx1 . . . dxn−1

︸ ︷︷ ︸

=∫

Q+n

Fν dλn−1=b1∫

a1

bn−1∫

an−1

F

(−∇h1

)

dx1 ... dxn

=n

∑k=1

Q+k

Fν dλn−1 −∫

Q−k

Fν dλn−1

=

∂W

Fν dλn−1

Lemma 53.7 (Nachtrag zu Korollar 53.2)Falls γ : Ω → M ⊂ Rn, Ω ∈ Rn−1 und γ′(x) =

(∂γ∂ωj

)

j=1,...n−1≡ A hat Rang (n − 1) für x ∈ Ω, dann ergibt sich eine

Normale durch das „äußere“ oder Dach–Produkt (en: wedge product)

ν(x) = a1 ∧ a2 ∧ . . . ∧ an−1 ≡(

(−1)k−1 det(Ak))

k=1,...,n∈ Rn,

wobei Ak die durch Weglassen der k–ten Zeile aus A = (a1, a2, . . . , an−1) erhaltene (quadratische) Matrix ist. Es gelten diefolgenden Eigenschaften.

50

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

(i) b⊤(a1 ∧ a2 ∧ . . . ∧ an−1) = det(b, A) =⇒ a⊤j (a1 ∧ a2 ∧ . . . ∧ an−1) = 0 für j = 1, . . . , n − 1, d.h.,∧n−1

j=1 aj ist

orthogonal zu allen Spalten von A, somit im Nullraum von A⊤ und deshalb eine Normale 6= 0.

(ii) ‖a1 ∧ a2 ∧ . . . ∧ an−1‖ =√

det(

A⊤A)

=√

gγ.

(iii)∧n−1

j=1 aj ist multilinear, d.h., additiv und homogen in jedem Argument,

a1 ∧ . . . aj−1 ∧ (aj + α∆aj)∧ aj+1 . . . ∧ an−1 = a1 ∧ . . . ∧ aj ∧ aj+1 . . . ∧ an−1 + α(a1 ∧ . . . ∧ ∆aj ∧ aj+1 ∧ . . . ∧ an−1)

und alternierend oder antisymmetrisch

a1 ∧ . . . ∧ aj ∧ aj+1 ∧ . . . ∧ an−1 = −a1 ∧ . . . ∧ aj−1 ∧ aj+1 ∧ aj ∧ aj+2 . . . ∧ an−1

d.h. Austausch von Vektoren ergibt Vorzeichenwechsel.

Beweis: (i) nach Lagrange–Entwicklungssatz ist

det

b1 a1,1 . . . a1,n−1...

...bn an,1 an,n−1

= b1 det

a2,1 . . . a2,n−1...

...an,1 . . . an,n−1

︸ ︷︷ ︸

A1

−b2 det(A2) ± · · · + (−1)n−1bn det(An)

= b⊤(a1 ∧ a2 . . . ∧ an−1)

(ii) a = a1 ∧ . . . ∧ an−1 und det(X)2 = det(X⊤) det(X) = det(X⊤X) ergibt

(

a⊤(a1 ∧ a2 . . . ∧ an−1))2

= det(

a⊤

A⊤

)(a A

)= det

(a⊤a 0

0 A⊤A

)

= a⊤a det(A⊤A)

=⇒ ‖a‖4 = ‖a‖2 det(A⊤A) =⇒ ‖a‖ =√

det(A⊤A)

(iii) folgt unmittelbar aus entsprechenden Eigenschaften der Determinante.

Korollar 53.8Für M = γ(Ω) gilt

M

‖ν‖ dλn−1 =∫

Ω

F(γ(ω))⊤(

∂γ

∂ω1∧ ∂γ

∂ω2∧ . . . ∧ ∂γ

∂ωn−1

)

dω1 . . . dωn−1

Beispiel (Torus)

x(ϕ, θ) = (R + r sin(θ)) cos ϕy(ϕ, θ) = (R + r sin(θ)) sin ϕz(ϕ, θ) = r cos θ

= γ(ϕ, θ)

A =

−(R + r sin θ) r cos θ cos ϕ(R + r sin ϕ) cos ϕ r cos θ sin ϕ

0 −r sin θ

=⇒ a1 ∧ a2 = −(R + r sin θ)

r cos ϕ sin θr sin ϕ sin θ

r cos θ

ist geeignete Normale.

Korollar 53.9Ein C1–Polyeder G hat auf dem regulären Rand ∂rG eine eindeutig definierte äußere Einheitsnormale ν(x) für x ∈ ∂rG, wobeiν(x) = ∇q(x)/‖∇q(x)‖ für Funktionen q : U → R mit q ∈ C1

U ∩ G ≡ x ∈ U : q(x) ≤ 0 Äußere Normale, d.h.

x + tν(x) /∈ G für alle kleinen t > 0

und x + tν(x) ∈ G für alle kleinen t < 0

Beweis: Betrachte Ableitung ddt q(x + tν(x))

∣∣t=0 = ∇q(x)⊤ν(x) = ‖∇q(x)‖ > 0 nach Kettenregel.

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Satz 53.10 (Divergenzsatz von Gauß)F ∈ C1(U, Rn), Rn ⊃ U offen, U ⊂ G ein C1–Polytop. Dann gilt

∂G

F · ν

‖ν‖ dλn−1 =∫

G

div(F(x)) dλn

Beweis: Überdecke kompakten singulären Rand ∂G \ ∂rG mit endlich vielen Würfeln Wii=1...m mit Kanten-längen ri, so dass ∑

mi=1 rn−1

j < ε , was geht, da ∂G \ ∂rG eine n − 1 Nullmenge.

Zerlege den Rest G \ ⋃mi=1 Wi in Bereiche auf denen 53.6 gilt. Schätze Differenz über

⋃mi=1 Wi und dessen Rand

geeignet ab.

Korollar 53.11 (Greensche Formeln)G wie oben F(x) = ϕ(x)∇ f (x) mit f ∈ C2(U), ϕ ∈ C1(U).

(i)∫

∂G

ϕ(x) fν(x) dλn−1 =∫

G

∇ϕ(x)⊤∇ f (x) dλn +∫

G

ϕ(x)∆ f (x) dλn mit fν(x) = ∇ f (x)ν(x) Normalenableitung

(ii)∫

∂G

ϕ(x) fν(x) − f (x)ϕν(x) dλn−1 =∫

G

(ϕ(x)∆ f − f (x)∆ϕ) dλn falls ϕ ∈ C2(U).

Beweis: (i) div(F(x)) = ∇ϕ(x)⊤∇ f (x) + ϕ(x)∆ f (x) mit ∆ f (x) = div(∇ f ) = fxx + fyy + fzz = ∑nj=1

∂2 fx2

j

(ii) Wegen Symmetrie durch Austausch von f und ϕ.

Idee: Gauß in Ebene −→ Stokes auf Fläche in R3.

n = 2, F(x, y) = ( f (x), g(x)), G ⊂ R2 mit stückweise glattem Rand(

xy

)

= γ(ω) =

(x(ω)y(ω)

)

.

T∫

0

(

f(x(ω), y(ω)

), g(

x(ω), y(ω)))(

y′(ω)−x′(ω)

)

Erstes Integral lässt sich interpretieren als Kurvenintegral der VektorfunktionF(x, y) = (−g(x, y), f (x, y)) = ( f (x, y), g(x, y))

T∫

0

( f (γ(ω)y′(ω) − g(γ(ω))x′(ω))) dω =

T∫

0

(−g(γ(ω)), f (γ(ω)))

(x′(ω)y′(ω)

)

=

T∫

0

Fγ′(ω) dω = Wegintegral entlang des Pfades γ(ω)

=∫

G

(∂g∂x

− ∂ f∂y

)

dx dy

=∫

G

rot

fg0

001

dx dy =

T∫

0

F(γ′(ω)) dω = Stokes in Ebene

Allgemeiner betrachte Fläche (x(ω, δ), y(ω, δ), z(ω, δ)) mit Rand

xyz

= γ(t) und Funktion

F(x, y, z) = ( f (x, y, z), g(x, y, z), h(x, y, z)). Dann gilt für γ stückweise differenzierbar und F ∈ C1

M

rot(F) · ν(x) dλ1 =

T∫

0

F(γ(t))γ′(t) dt

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

wobei rot(F) = det

e1 e2 e3∂/∂x ∂/∂y ∂/∂z

f g h

=

(∂h∂y

− ∂g∂z

,∂ f∂z

− ∂h∂x

,∂g∂x

− ∂ f∂y

)

Satz 53.12Betrachte C1–Fläche M = (x(ω, ϕ), y(ω, ϕ), z(ω, ϕ)) mit Rand (x, y, z)⊤ = γ(t) und Vektorfunktion

F(x, y, z) = ( f (x, y, z), g(x, y, z), h(x, y, z)) ∈ C1

Dann gilt stückweise differenzierbares γ : [0, T) → ∂M

M

rot(F)ν(x)

‖ν(x)‖ dλ2 =

T∫

0

F(γ(t))γ′(t) dt

Beweis:∫

Ω

rot(F)ν dω

ν =

∂x∂ω∂y∂ω∂z∂ω

∂x∂ϕ∂y∂ϕ∂z∂ϕ

=

yωzϕ − yϕzω

xϕzω − xωzϕ

xωyϕ − xϕyω

rot F =

hy − gzfz − hxgx − fy

( fyyω + fxxω + fzzω)xϕ − ( fyyϕ + fxxϕ + fzzϕ)xω

+ (gzzω + gxxω)yϕ − (gzzϕ + gxxϕ)yω

+ (hyyω + hxxω + hzzω)zϕ − (hyyϕ + hxxϕ + hzzϕ)zω

=

∂∂ω

(f (x(ω, ϕ), y(ω, ϕ), z(ω, ϕ)xϕ

)

− ∂∂ϕ ( f (x(ω, ϕ), y(ω, ϕ), z(ω, ϕ)xω)

+ ∂∂ω

(g(. . . )yϕ

)− ∂

∂ϕ (g(. . . )yω)

+ ∂∂ω

(h(. . . )zϕ

)− ∂

∂ϕ (h(. . . )zω)

Nach der Uminterpretation des Gaußschen Satzes in Ebene lässt sich das Integral über ω ⊂ R2 gleichsetzendem Integral über den Rand ∂Ω des Gebietes Ω und wird erhalten

Ω

(gω − fϕ) dω dϕ =

T∫

0

( f , g)γ′(t) dt

=∫

Ω

∂ω( f (x(ω, ϕ), y(ω, ϕ), z(ω, ϕ))xϕ) − ∂

∂ϕ( f (. . . )xω) dω dϕ

=∫

Ω

(f (x, y, z)xω

f (x, y, z)xϕ

)( ∂w∂t∂ϕ∂t

)

dt

=∫

Ω

f (x, y, z)

xω∂ω/ dt + xϕ∂ϕt︸ ︷︷ ︸

dx/ dt

=∫

Ω

f (x(ω(t), ϕ(t)), y . . . )dxdt

dt

T∫

0

(

f dxdt + g dy

dt + h dzdt

)

dt =

T∫

0

F(γ(t))γ′(t) dt

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§53 Integralsätze von Gauß und Stokes XII VEKTORANALYSIS

Beispiel (J.C. Amazigo und K.A. Rubenfeld: Advanced Calculus) Paraboloid 3x2 + 3y2 + z2 = 28, z ≤ 1.

F = (yz2, 4xz, x2yz)z=1= (y, 4x, x2y)

rot(F) =

x2z − 4x2zy − 2yz

4z − z2

=

x2 − 4x2y − 2xy2

3

2π∫

0

(F γ)γ′ dt =

2π∫

0

3

sin t4 cos t

• 3

− sin tcos t

0

dt

=

2π∫

0

(9 sin2 t + 36 cos2 t) dt = −π9 + 36π = 27π

M

rot(F)ν

‖ν‖ dλ2 = −∫

x2 + y2< 9

rot(F)

00−1

dx dy

=∫

x2 + y2< 9

3 dx dy = 3λ2(x2 + y2 ≤ 9) = 27π

Beweis: (Nachtrag zum Beweis vom Brouwerschen Fixpunktsatz Teild d) f : B1 → B2 mit f ∈ C(B1) : B =x ∈ Rn : ‖x‖ ≤ 1. Annahme: f hat keinen Punkt x∗ mit f (x∗) = x∗ soll zum Widerspruch geführt werden.

(i) O.B.d.A. f ist polynomial per Weierstraß.

(ii) λ = λ(x), g = g(x), ht(x) = x + tg(x) für 0 ≤ t ≤ 1 sind alle auf Umgebung von B differenzierbar und esgilt

ht(B) ⊂ B, ht(∂B) = ∂B da λ(x) = 0, g(x) = 0

t ∈ (0, 1] ht(x) = x ⇐⇒ tg(x) = 0 ⇐⇒ g(x) = 0 ⇐⇒ λ(x) = 0 ⇐⇒ x ∈ ∂B

h1(B) = ∂B ≡ S = x ∈ Rn : ‖x‖ = 1

(iii) ht(B) = B und det(h′t(x)) > 0 für 0 ≤ t < t ≤ 1

Nach Transformationssatz für alle t ∈ [0, 1]

ht(B)

1 dx =∫

B

1 |det(h′t(x))| dx ≥∫

B

det(h′t(x)) dx ≡ V(t)

V(0) = λn(B), V(t) ist polynomial bzgl. t, h′t = I + tg′ polynomial bzgl. x erhält Polynomialität bzgl. t.

V(t) = V(0) für t ≤ t

= λn(ht(B)) =⇒ V(t) ist konstant auf [0, 1]

=⇒ λn(h1(B)) ≥ V(1) = V(0) > 0

aber ∂B = h1(B) ist Mannigfaltigkeit der Dimension n − 1 und somit λn–Nullmenge.

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Index

äußeres Produkt, 50

Additivitätσ–Additivität, 3Sub-, 3

Algebra, 2σ–Algebra, 2

Apollonius–Identität, 17Atlas, 40

Borel–Mengen, 3

Carathéodory, Satz von, 5Cartesisches Produkt, 24Cavalieri, Prinzip von, 31charakteristische Funktion, 17

de Moivre, Satz von, 3Divergenzsatz von Gauß, 52

einfache Funktion, 17

Fatou, Lemma von, 21Figuren, 11

Hausdorff–Nullmenge, 44Hyperfläche, 45

Inhalt, 3σ–Inhalt, 3

Integralbeschränkte Konvergenz, 23Linearität, 22Monotone Konvergenz, 21Rechenregeln, 22

integrierbar, 22auf Mannigfaltigkeiten, 42

Karte, 36Kartengebiet, 36

LebesgueSatz von -, beschränkte Konvergenz, 23

Lebesgue–Integral, 20

Maß, 3äußeres, 5endlich, 6regulär, 7vollständig, 6

Mannigfaltigkeit, 34messbar, 3, 43

µ∗–messbar, 5Funktion, 14

Normalenvektor, 48Nullmenge, 3

orientierbar , 48

Parallelepiped, 13

Parametrisierung, 34Polyeder, 48Polytop, 48Produktmaß, 23, 24

Quader, 11

Randregulär, 48singular, 48

Randpunktregulär, 48

regulär, 45Ring, 2

Transformationsformel, 32

55