Vortrag Werkle Nichtlineare Schnittgrössenermittlung-1 · θ, das Biegemoment im Fließgelenk als...

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1 Nichtlineare Schnittgrößenermittlung * Prof. Dr.-Ing. Horst Werkle, Konstanz 1 Einführung 2 Schnittgrößenermittlung nach DIN 1045-1 3 Balkentragwerke 3.1 Allgemeines 3.2 Duktilitätsanforderungen beim linearen Berechnungsverfahren 3.3 Lineare Schnittgrößenermittlung mit begrenzter Momentenumlagerung Beispiel 1 3.4 Schnittgrößenermittlung auf der Grundlage der Plastizitätstheorie 3.4.1 Vereinfachter rechnerischer Rotationsnachweis 3.4.2 Momenten-Krümmungs-Beziehung 3.4.4 Zulässiger Rotationswinkel Beispiel 2 4 Platten 4.1 Allgemeines 4.2 Bruchlinientheorie Beispiel 3 5 Nichtlineare Finite-Element-Methode 5.1 Allgemeines 5.2 Materialgesetze Beispiel 4 6 Anwendungsbereiche und Ausblick Literatur _______________________________________________ * Vortrag auf dem Seminar „DIN 1045-neu“, Fachhochschule Konstanz, Oktober 2004

Transcript of Vortrag Werkle Nichtlineare Schnittgrössenermittlung-1 · θ, das Biegemoment im Fließgelenk als...

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Nichtlineare Schnittgrößenermittlung*

Prof. Dr.-Ing. Horst Werkle, Konstanz 1 Einführung 2 Schnittgrößenermittlung nach DIN 1045-1 3 Balkentragwerke 3.1 Allgemeines 3.2 Duktilitätsanforderungen beim linearen Berechnungsverfahren 3.3 Lineare Schnittgrößenermittlung mit begrenzter Momentenumlagerung Beispiel 1 3.4 Schnittgrößenermittlung auf der Grundlage der Plastizitätstheorie 3.4.1 Vereinfachter rechnerischer Rotationsnachweis 3.4.2 Momenten-Krümmungs-Beziehung 3.4.4 Zulässiger Rotationswinkel Beispiel 2 4 Platten 4.1 Allgemeines 4.2 Bruchlinientheorie Beispiel 3 5 Nichtlineare Finite-Element-Methode 5.1 Allgemeines 5.2 Materialgesetze Beispiel 4 6 Anwendungsbereiche und Ausblick Literatur _______________________________________________ * Vortrag auf dem Seminar „DIN 1045-neu“, Fachhochschule Konstanz, Oktober 2004

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1 Einführung Die Schnittgrößen in statisch unbestimmten Systemen hängen von der Verteilung der Steifigkeiten ab. Ändern sich Steifigkeiten durch Rissbildung im Beton oder Fliessen des Stahls, so ergeben sich damit veränderte, vom Beanspruchungszustand abhängige Schnitt-größen. In der konventionellen statischen Berechnung werden derartige Einflüsse nicht berücksichtigt. Man ermittelt die Schnittgrößen aufgrund einer linear elastischen Berechnung und bemisst an den Stellen der maximalen Beanspruchung im Bruchzustand. Da aber in der Praxis für die maximalen Beanspruchungen an unterschiedlichen Stellen des Tragwerks auch unterschiedliche Lastkombinationen maßgebend sind, werden die der Bemessung zugrunde liegenden maximalen Beanspruchungswerte nicht an allen Bemessungsstellen gleichzeitig erreicht. Dadurch ergeben sich in statisch unbestimmten Systemen zusätzliche Sicherheits-reserven bei der Bemessung. Die Traglastreserven lassen sich am klassischen Beispiel des Durchlaufträgers leicht veranschaulichen. Die für das minimale Stützmoment und für das maximale Feldmoment maßgeblichen Lastkombinationen LK1 bzw. LK2 eines Zweifeldträgers sind in Bild 1 beispielhaft dargestellt. Die Schnittgrößen werden zunächst am linear elastischen Durchlaufträger für die Lastkombination LK1 ermittelt. Es wird deutlich, dass beim Erreichen des minimalen Stützmoments StplM , die Feldmomente noch unterhalb des rechnerischen Grenzmoments im Feld bleiben. Über der Stütze bildet sich ein plastisches Gelenk. Bei einer weiteren Steigerung der Belastung bleibt das Stützmoment konstant, während die Feld-momente zunehmen. Das Versagen des Gesamtsystems in der Lastkombination LK1 tritt erst dann ein, wenn das Feldmoment den Grenzwert FplM , erreicht. Ganz analog bleibt bei einer Steigerung der Belastung in der Lastkombination LK2 das Feldmoment im Feld 1 konstant, während das Stützmoment bis zu dessen Grenzwert StplM , zunimmt. Die möglichen Laststeigerungen stellen bei einer konventionellen linearen Berechnung ohne Lastumlagerung zusätzliche, nicht näher ausgewiesene Traglastreserven dar. Umgekehrt kann man den geschilderten Effekt auch heranziehen, um für eine vorgegebene Belastung die Bemessungsmomente an der Stütze und gegebenenfalls auch im Feld zu reduzieren. Dies entspricht einer Momentenumlagerung von der Stütze ins Feld (LK1) beziehungsweise vom Feld zur Stütze (LK2), vgl. Bild 2. So ergeben sich in der Regel niedrigere Bewehrungsmengen und damit eine wirtschaftlichere Bemessung.

Lastkombination LK 1 Lastkombination LK 2 Bild 1: Traglasten eines Zweifeldträgers bei unterschiedlichen Lastfallkombinationen

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Damit nach dem Überschreiten des Grenzmomentes an einer Stelle des Tragwerks eine weitere Laststeigerung bis zum Versagen des Gesamtsystems möglich ist, muss gewährleistet sein, dass die Stelle, an der das Grenzmoment erreicht ist, eine ausreichende Verformungs-fähigkeit oder Duktilität besitzt. Dies ist in der Lastkombination LK1 an der Stütze und in der Lastkombination LK2 im Feld zu fordern. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass das Versagen durch Fliessen des Stahls und nicht durch Bruch des Betons erfolgen muss, was eine entsprechend hohe Duktilität des Stahls sowie niedrige Bewehrungsgrade bedingt. Die Forderung nach einer ausreichenden Duktilität ist somit eine entscheidende Voraussetzung zur Anwendung nichtlinearer Verfahren.

Linear-elastische Momente Momentenumlagerung Bild 2: Prinzip der Momentenumlagerung 2 Schnittgrößenermittlung nach DIN 1045-1 Die DIN 1045-1 lässt zur Ermittlung von Schnittgrößen im Grenzzustand der Tragfähigkeit mehrere Verfahren zu, die sich durch den Grad der Vereinfachung sowie den Rechenaufwand unterscheiden [1]. Es handelt sich um folgende Verfahren:

• Linear elastische Berechnungen (DIN 1045-1, 8.2) • Linear elastische Berechnungen mit begrenzter Momentenumlagerung

(DIN 1045-1, 8.3) • Berechnung nach der Plastizitätstheorie (DIN 1045-1, 8.4) • Nichtlineare Berechnungsverfahren (DIN 1045-1, 8.5)

Schnittgrößen im Grenzzustand der Gebrauchsfähigkeit lassen sich mit dem erstgenannten und dem letztgenannten Verfahren ermitteln. Linear elastische Berechnungen stellen eine vergleichsweise einfache Form des Nachweises dar. Im Unterschied zu den nichtlinearen Berechnungsverfahren bleibt das Superpositions-gesetz gültig. Die Tragfähigkeitsreserven bei statisch unbestimmten Systemen werden jedoch nicht genutzt. Dennoch werden nach DIN 1045 8.2 (2), (3) gewisse Anforderungen an die Verformungsfähigkeit gestellt. Es sei auch darauf hingewiesen, dass bei Zwangseinwirkungen lineare Berechnungsverfahren aufgrund der Vernachlässigung der Rissbildung zu sehr unwirtschaftlichen Ergebnissen führen können. Das Verfahren mit begrenzter Momentenumlagerung bezieht sich auf Durchlaufträger und unverschiebliche Rahmen. Ausgehend von den aus einer linearen Berechnung erhaltenen

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Schnittgrößen werden die Traglastreserven näherungsweise berücksichtigt. Es handelt sich um ein praxisnahes Verfahren, das die Vorteile der möglichen Schnittgrößenumlagerungen nutzt. Bei den Verfahren nach der Plastizitätstheorie werden bei biegebeanspruchten Bauteilen die plastischen Verformungen in plastischen Gelenken zusammengefasst und damit der Grenz-zustand der Tragfähigkeit untersucht. Vernachlässigt man zusätzlich die elastischen Verformungsanteile, so spricht man bei Balkentragwerken von der Fließgelenktheorie, bei Platten von der Bruchlinientheorie. Nach der Fließgelenk- bzw. Bruchlinientheorie erhält man einfache Rechenmodelle zur Ermittlung der Systemtragfähigkeit. Der Gebrauchszustand ist mit einem anderen Verfahren nachzuweisen. Unter den nichtlinearen Berechnungsverfahren versteht man solche Ansätze, die sowohl das Materialverhalten im linear elastischen wie auch im nichtlinearen Bereich erfassen. Ziel ist eine möglichst wirklichkeitsnahe Ermittlung der Systemtragfähigkeit. Bei Balkentragwerken erreicht man dies unter Zugrundelegung einer nichtlinearen Momenten-Krümmungs-Beziehung und iterativem Vorgehen. Die größtmögliche Allgemeinheit besitzt die nicht-lineare Finite-Element-Methode zur Simulation des Tragverhaltens von Stab- und Flächen-tragwerken. Der Rechenaufwand ist bei nichtlinearen Verfahren hoch und erfordert eine geeignete Software. Bauteile aus Leichtbeton sind von der Anwendung nichtlinearer bzw. plastischer Verfahren ausgeschlossen, da hierfür keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen. Weiterhin ist zu beachten, dass die Verfahren der nichtlinearen Schnittgrößenermittlung nur für den Nachweis der Tragfähigkeit gelten. Der Nachweis der Durchbiegungen bzw. der Gebrauchszustand kann andere Abmessungen erfordern. 3 Balkentragwerke 3.1 Allgemeines Für Balkentragwerke kommen alle in Abschnitt 2 genannten Verfahren in Betracht. Die Verfahren gelten insbesondere für Durchlaufträger aber auch für unverschiebliche Rahmen und einachsig gespannte Platten. 3.2 Duktilitätsanforderungen beim linearen Berechnungsverfahren Bei linearen Berechnungsverfahren wird mit den Steifigkeiten nach Zustand I gerechnet. Um eine gewisse Duktilität zu gewährleisten, begrenzt DIN 1045-1, 8.2 (3) die Druckzonenhöhe im Querschnitt. Für Durchlaufträger mit einem Stützweitenverhältnis von 0,2/5,0 21 ≤≤ , für unverschiebliche Rahmen sowie für einachsig gespannte Platten gilt, sofern keine besonderen Nachweise der Verformungsfähigkeit geführt werden:

67/5535,0

60/5045,0

Cabdx

Cbisdx

≤ (1)

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Die Druckzonenhöhe x ist mit den Bemessungswerten der Einwirkungen und der Baustoff-festigkeiten zu ermitteln. Alternativ kann eine ausreichende Verformungsfähigkeit auch durch konstruktive Maßnahmen (DIN 1045-1 13.1.1 (5)) oder durch einen Nachweis der Rotations-fähigkeit nach Abschnitt 3.4.1 geführt werden. Gegebenenfalls ist eine Druckbewehrung einzulegen. 3.3 Lineare Schnittgrößenermittlung mit begrenzter Momentenumlagerung Das Verfahren mit begrenzter Momentenumlagerung ist auf Durchlaufträger mit einem Stütz-weitenverhältnis von 0,2/5,0 21 ≤≤ anwendbar. Die Momente dürfen für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit umgelagert werden, wobei aber folgende Grenzen gelten: hochduktiler Stahl

67/558,08,072,0

60/507,08,064,0

Cabdx

Cbisdx

d

d

≥⋅+≥

≥⋅+≥

δ

δ (2a)

normal duktiler Stahl

67/55)(1

60/5085,08,064,0

CabUmlagerungkeine

Cbisdxd

=

≥⋅+≥

δ

δ (2b)

Hierin ist: δ Umlagerungsfaktor (Verhältnis des Moments nach der Umlagerung zu dem Ausgangsmoment vor der Umlagerung) x Druckzonenhöhe im Grenzzustand der Tragfähigkeit nach der Umlagerung d statische Nutzhöhe im betrachteten Querschnitt In den Eckpunkten unverschieblicher Rahmen ist die Umlagerung auf 9,0=δ begrenzt. Die Gleichungen gelten für die Umlagerung von Stützmomenten in den Feldbereich. Grund-sätzlich ist aber auch die Umlagerung vom Feld zur Stütze zulässig. In diesem Fall ergeben sich jedoch aufgrund der völligeren Form der Momentenlinie größere Bereiche der erforder-lichen Rotation. In diesen Fällen muss dann der Rotationsnachweis nach Abschnitt 3.4.1 geführt werden. Dies gilt auch bei Überschreitung des angegebenen Stützweitenverhältnisses. Die Einstufung von Bewehrungsstahl als normal duktil oder hoch duktil ist in Tafel 1 angegeben. Im Allgemeinen gilt Stabstahl als hoch duktil und Mattenstahl als normal duktil. Auch nach einer Momentenumlagerung kann das Bemessungsmoment durch Momenten-ausrundung oder Bezug auf das Anschnittsmoment (je nach Art des Auflagers) nach DIN 1045-1 7.3.2 zusätzlich abgemindert werden. Dabei ist jedoch der Grenzwert von 65% des Volleinspannmoments einzuhalten. Beispiel 1 Ein Zweifeldträger mit gleichen Stützweiten und Gleichlast ist dem Verfahren mit begrenzter Momentenumlagerung zu bemessen (Bild 3). Es wird hochduktiler Stahl verwendet. Es werden die Lastkombinationen „Volllast“ und „Verkehrslast nur auf Feld 1“ entsprechend LK1 und LK2 in Bild 1 untersucht. Die Berechnungen wurden auch in den Beispielen 2 und 3 mit Mathcad durchgeführt [2].

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Spalte 1 2 3 4

Benennunga) BSt 500 S(A) BSt 500 M(A) BSt 500 S(B) BSt 500 M(B)

Erzeugnisform Betonstahl Matten Betonstahl Matten

Duktilität normal hoch

Streckgrenze fyk in

N / mm2 500

Verhältnis ( ft / fy )k ≥ 1,05 ≥ 1,08

Stahldehnung unter

Höchstlast εuk in ‰ 25 50

a) S: Betonstahl; M: Betonstahlmatten; A: normale Duktilität; B: hohe Duktilität

Tafel 1: Duktilitätskriterien beim Stahl nach DIN 1045-1, Tabelle 11

Bild 3: Durchlaufträger

Bei einem Umlagerungsfaktor von δmax 0.787= ist das maximale

Feldmoment nach Umlagerung (Verkehrslast auf beiden Feldern) gleich dem maximalen Feldmoment, wenn die Verkehrslast ausschließlich im betrachteten Feld wirkt.

δ1 0.90:=Umlagerungsfaktor:

σsd fyd:=fyd 435N

mm2⋅:=Stahl:

fcd 17N

mm2=fcd 0.85

fck1.5⋅:=fck 30

N

mm2⋅:=Beton Materialkennwerte:

pd 35.25kNm

=pd gd qd+:=Gesamtlast:

qd 15.00kNm

=qd 1.5 qk⋅:=qk 10kNm

⋅:=Verkehrslast:

gd 20.25kNm

=gd 1.35 gk⋅:=gk 15kNm

⋅:=Eigengewicht:Belastung:

d 40cm:=b 25cm:=Querschnitt:

l2 l1:=l1 6m:=Stützweiten:

Kennwerte des Zweifeldträgers

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Biegemomente des Zweifeldträgers

Momente vor Umlagerung Momente nach Umlagerung

Lastfall Volllast:

Stützmoment Mb_d_o 158.6− kN m⋅= Mb_d_1 142.8− kN m⋅=

Feldmoment M1_max_d_o 89.2kN m⋅= M1_max_d_1 95.3kN m⋅=

Lastfall Verkehrslast nur auf Feld 1:

Feldmoment M1_max_d_o_F1 102.3kN m⋅=

Die noch mögliche Momentenausrundung an der Stütze wurde hier nicht angesetzt!

0 1 2 3 4 5 6

200

100

100

200

M_1_oM_1_1M_1_F1

Momentenline des Zweifeldträgers, Feld 1

Bemessung an der Stütze

µb_d_1Mb_d_1

b d2⋅ fcd⋅

:= µb_d_1 0.210=

ξb_d_1 ξ µb_d_1( ):= ξb_d_1 0.296=

ωb_d_1 ω µb_d_1( ):=ωb_d_1 0.239=

As_b_11

σsdωb_d_1⋅ b⋅ d⋅ fcd⋅:= As_b_1 9.4 cm2

=

Überprüfung der Zulässigkeit des angesetzten Umlagerungsfaktors

zul_δ ξ( ) max 0.64 0.8 ξ⋅+ 0.7( )( ):= zul_δ ξb_d_1( ) 0.88= δ1 0.90=

Prüfung "Der angesetzte Umlagerungsfaktor ist zulässig!"=

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3.4 Schnittgrößenermittlung auf der Grundlage der Plastizitätstheorie 3.4.1 Vereinfachter rechnerischer Rotationsnachweis Im Grenzzustand der Tragfähigkeit entstehen in Bereichen hoher Biegebeanspruchung nach Überschreiten der Fließgrenze des Stahls plastische Verformungen. Die sich über eine bestimmte Länge erstreckenden Fließzonen werden nach der Plastizitätstheorie vereinfachend in Fließgelenken zusammengefasst (Bild 4). Die Biegelinie weist nach Entstehung eines Fließgelenks an dieser Stelle einen Knick auf. Der Knickwinkel wird als plastische Rotation θ , das Biegemoment im Fließgelenk als plastisches Moment Mpl bezeichnet. Bei weiterer Laststeigerung kann das Fließmoment nicht mehr zunehmen, wenn man die Stahlverfestigung außer Betracht lässt. Allerdings ist die zulässige Rotation im Fließgelenk begrenzt.

Bild 4: Fließzone und idealisiertes Fließgelenk [3], [4] DIN 1045-1 enthält einen vereinfachten rechnerischen Rotationsnachweis. Man weist nach, dass die rechnerisch vorhandene Rotation Eθ bei Annahme einer vorgegebenen Momenten-umlagerung kleiner als die zugelassene Rotation dpl ,θ ist:

dplE ,θθ ≤ (3) Die rechnerische Ermittlung des vorhandenen Rotationswinkels setzt die Kenntnis der Biege-bewehrung und der damit bestimmten Momenten-Krümmungs-Beziehungen in den einzelnen Bewehrungsabschnitten voraus. Für eine angestrebte Momentenumlagerung ermittelt man da-her zunächst die zugehörigen Schnittgrößenverläufe unter den Bemessungswerten der Ein-wirkungen und bemisst an den maßgeblichen Stellen. Aus der Momentenlinie lässt sich mit Hilfe der Momenten-Krümmungs-Beziehungen der vorhandene Rotationswinkel berechnen. Ist dieser kleiner als der zulässige Winkel, so ist der Rotationsnachweis erfüllt. Anderenfalls muss der Nachweis mit einem kleineren Umlagerungsfaktor erneut geführt werden. Das Verfahren ist damit ebenfalls iterativ.

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3.4.2 Momenten-Krümmungs-Beziehung Die Momenten-Krümmungs-Beziehungen sind für alle Stababschnitte mit unterschiedlichen Querschnittswerten aufzustellen. Sie werden unter Zugrundelegung der Mittelwerte der Baustoffkenngrößen bestimmt. Zur Vereinfachung darf nach DIN 1045-1 die trilineare Momenten-Krümmungs-Beziehung nach Bild 5 verwendet werden.

MI,II : Moment beim Übergang von Zustand

I zu Zustand II My : Fließmoment Mu : Bruchmoment

uyII,I ,, κκκ : Krümmungen

Bild 5: Vereinfachte Momenten-Krümmungs-Beziehung nach DIN 1045-1 Zur Ermittlung der Kurve bestimmt man die Momente MI,II, My und Mu. Die zugehörigen Krümmungen erhält man aus den Dehnungen cε des Betons und Sε des Stahls nach Bild 6 zu:

dcs εε

κ+

= . (4)

Bild 6: Ermittlung der Krümmung Das Moment beim Übergang vom Zustand I zu Zustand II erhält man unter Vernachlässigung des Bewehrungsanteils näherungsweise zu

1, z

IfM cctmIII ⋅= . (5)

Hierin bedeuten Ic das Flächenträgheitsmoment des Betonquerschnitts, z1 der Abstand des Zugrandes vom Schwerpunkt und fctm die rechnerische Zugfestigkeit des Betons nach DIN 1045-1, Tabelle 9.

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Die zugehörige Krümmung III ,κ erhält man mit dem mittleren Elastizitätmodul Ecm (DIN 1045-1, Tabelle 9) zu

ccm

IIIIII IE

M⋅

= ,,κ . (6)

Alternativ kann die Krümmung auch mit Gl. (4) aus den Randdehnungen

)( 11,

1 dzIE

M

ccm

IIIsr −⋅

⋅=ε (7a)

2, zIE

M

ccm

IIIc ⋅

⋅−=ε (7b)

bestimmt werden, wobei z2 den Abstand des Druckrandes vom Schwerpunkt bezeichnet. Nach Rissbildung ändern sich – bei gleich bleibendem Rissmoment - die Randdehnungen und die Krümmung. Während die Krümmungsänderung in der vereinfachten Momenten-Krümmungs-Beziehung nach DIN 1045-1 (Bild 5) vernachlässigt wird, ist die dann vorhandene Stahl-dehnung 2srε bei der Berücksichtigung der Mitwirkung des Betons auf Zug im gerissenen Zustand von Bedeutung. Die zugehörige Dehnungsverteilung ist grundsätzlich durch Iteration zu bestimmen. Legt man aber näherungsweise wegen der geringen Beanspruchung des Betons eine lineare Spannungs-Dehnungslinie zugrunde, so kann man bei einem Recheckquerschnitt die Dehnungsverteilung im Zustand II auch mit Gleichungen bestimmen. In diesem Fall erhält man mit dem Verhältnis der Elastizitätsmoduli von Stahl und Beton cms EEn /= und dem Bewehrungsgrad )/( dbAs ⋅=ρ die Druckzonenhöhe zu

( ) ρρρ ⋅−⋅⋅+⋅= nnndx 22 (8)

und damit die Stahlspannung im Zustand II

)/3(

3 ,

dxdAM

s

IIIsr −⋅⋅

⋅=σ (8a)

sowie die zugehörige Dehnung im Zustand II

s

srsr E

σε =2 . (8b)

Das Moment beim Erreichen der Fließgrenze des Bewehrungsstahls erhält man aus der Bedingung, dass die Stahlspannung ykyR ff ⋅= 1,1 beträgt. Die Stahldehnung wird damit

s

yk

s

yRsy E

fEf ⋅

==1,1

ε . (9)

Für den üblichen Betonstahl B 500 erhält man ooo

sy /75,2=ε . Nach DIN 1045-1 ist zusätzlich die Mitwirkung des Betons auf Zug zwischen den Rissen (Zugversteifung) zu berück-sichtigen. Für eine abgeschlossene Rissbildung erhält man die mittlere Stahldehnung nach [5] zu

11

)( 122 srsrtssm εεβεε −⋅−= (10) Für eine andauernde Last oder häufige Lastwechsel ist nach [5] 25,0=tβ zu setzen. Ausgehend von der gegebenen Stahldehnung werden die Betondehnung cε sowie das Fließ-moment My iterativ bestimmt. Für Rechteckquerschnitte oder Plattenbalkenquerschnitte, bei denen die Druckzone vollständig in der Platte liegt, lassen sich auch Betondehnung und das Fließmoment auch aus den in [6] angegebenen Tafeln bestimmen. Die zugehörige Krümmung erhält man mit der allgemeinen Beziehung, Gl. (4), wobei zur Berücksichtigung der Zugversteifung für die Stahldehnung der Wert smε nach (10) einzusetzen ist. Das Bruchmoment und die dazugehörigen Dehnungen sind in der Regel aus der Bemessung bekannt. Zur Berücksichtigung der Mitwirkung des Betons auf Zug zwischen den Rissen ist die mittlere Stahldehnung nach [3] hier anzusetzen zu )()/1()( 212 sysyRsrdsrsrtsysm f εεσδεεβεε −⋅−⋅+−⋅−= (11) Der Beiwert δ zur Berücksichtigung der Duktilität der Bewehrung ist mit 8,0=δ für hochduktilen Stahl und 6,0=δ für normalduktilen Stahl anzusetzen. 3.4.3 Vorhandener Rotationswinkel Die Ermittlung der vorhandenen plastischen Rotation erfolgt in der Regel mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Kräfte. Setzt man an der Stelle des Fließgelenks ein virtuelles Momentenpaar der Größe 1 an, so lautet die Arbeitsgleichung zur Ermittlung des Rotationswinkels

∫ ∫ ⋅=⋅⋅

= dxMdxIEMM

E κθ (12)

Hierin bedeuten M die virtuelle Momentenlinie infolge des Momentenpaares 1 und κ der Verlauf der Krümmungen, den man aus der wirklichen Momentenlinie und den Momenten-Krümmungs-Beziehungen in den einzelnen Stababschnitten erhält. Die Lösung von (12) lässt sich nur mit noch weiter gehenden Vereinfachungen wie der Annahme eines zur Momentenlinie affinen Krümmungsverlaufs und der Vereinfachung der trilinearen Momenen-Krümmungs-Beziehung zu einer Ersatzgeraden mit Hilfe der Integraltafeln lösen (vgl. [3], [7]). In der Regel ist eine numerische Integration sinnvoll. Diese kann beispielsweise mit Hilfe der Trapezregel oder genauer nach Simpson durchgeführt werden (vgl. [6]). 3.4.4 Zulässiger Rotationswinkel Die Rotationsfähigkeit eines Stahlbetonquerschnittes hängt im Wesentlichen von der Höhe der Beanspruchung, der Duktilität der Bewehrung und gegebenenfalls der Umschnürung der Betondruckzone mit geschlossenen Bügeln ab. In DIN 1045-1 wird die Höhe der Bean-

12

spruchung durch die bezogene Druckzonenhöhe xd/d im Bruchzustand beschrieben. Sie wird unter den Bemessungswerten der Einwirkungen sowie mit den Bemessungswerten der Baustoffkennwerte ermittelt. Der nach DIN 1045-1 zulässige Rotationswinkel lautet nach [5]

3,,, 3 =⋅= λθλθ dpldpl (13)

⎪⎪⎩

⎪⎪⎨

⋅−⋅−

+⋅⋅+==

)(03.02,40043,0

)(007.0)30,015,0(min

1

1

3,,

genBetonversadx

genStahlversadx

duc

duc

dpl

ε

εθ λ (13a)

Die Betongrenzdehnung ist für Betone bis zur Festigkeitsklasse C50/60 mit 0035.01 −=ucε und für Beton C100/115 mit 0030.01 −=ucε einzusetzen. Bild 7 gibt die Funktion 3,, =λθ dpl wieder. Der Beiwert

dVM

Sd

Sd

⋅=λ (14)

bezeichnet die Schubschlankheit. Er wird mit den Bemessungswerten des Biegemoments und der Querkraft am Fließgelenk berechnet. Bei einem Balkenabschnitt ohne Streckenlast, d.h. mit konstanter Querkraft, entspricht er dem Verhältnis des Abstandes von Momenten-nullpunkt und Momentenmaximum zur statischen Nutzhöhe des Querschnitts.

Legende 1 für C12/16 bis

C50/60 2 für C100/115

Bild 7: Zulässige plastische Rotationswinkel für 3=λ

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Beispiel 2 Der in Beispiel 1 untersuchte Zweifeldträger soll mit dem genaueren Verfahren des Nachweises des Rotationswinkels untersucht werden. Die Lasten, Geometrie- und Materialkennwerte entsprechend denjenigen des Beispiels 2. Es wird allerdings ein höherer Umlagerungsfaktor gewählt.

qd 15.00kNm

=

Gesamtlast: pd gd qd+:= pd 35.25kNm

=

Materialkennwerte: Beton fck 30N

mm2⋅:= fcd 0.85

fck1.5⋅:= fcd 17

N

mm2=

fctm 2.9N

mm2:= fcR 0.85 0.85⋅ fck⋅:= fcR 21.7

N

mm2=

Ecm 31900N

mm2⋅:=

Stahl: fyd 435N

mm2⋅:= σsd fyd:=

fyk 500N

mm2:= fyR 1.1 fyk⋅:= fyR 550

N

mm2=

Es 2.0 108⋅kN

m2:=

Umlagerungsfaktor: δ1 0.8:=

Bei einem Umlagerungsfaktor von δmax 0.79= ist das maximale

Feldmoment nach Umlagerung (Verkehrslast auf beiden Feldern) gleich dem maximalen Feldmoment, wenn die Verkehrslast ausschließlich im betrachteten Feld wirkt.

Kennwerte des Zweifeldträgers

Stützweiten: l1 6m:= l2 l1:=

Querschnitt: b 25cm:= d 40cm:= h 45cm:=

d1 h d−:= d1 5cm= z1h2

:= z2h2

:=

Trägheitsmoment: Icb h3⋅

12:= Ic 1.9 105

× cm4=

Belastung: Eigengewicht: gk 15kNm

⋅:= gd 1.35 gk⋅:= gd 20.25kNm

=

Verkehrslast: qk 10kNm

⋅:= qd 1.5 qk⋅:=

14

0 1 2 3 4 5 6

200

100

100

200

M_1_oM_1_1M_1_F1

Momentenline des Zweifeldträgers, Feld 1

Die noch mögliche Momentenausrundung an der Stütze wurde hier nicht angesetzt!

M1_max_d_o_F1 102.3kN m⋅=Feldmoment

Lastfall Verkehrslast nur auf Feld 1:

Bd_1 126.9kN=Querkraft links der Stütze

xo1_1 4.8m=Momentennullpunkt

M1_max_d_1 101.5kN m⋅=M1_max_d_o 89.2kN m⋅=Feldmoment

Mb_d_1 126.9− kN m⋅=Mb_d_o 158.6− kN m⋅=Stützmoment

Lastfall Volllast:

Momente nach UmlagerungMomente vor Umlagerung

Biegemomente des Zweifeldträgers

Bemessung

Stütze µb_d_1Mb_d_1

b d2⋅ fcd⋅

:= µb_d_1 0.187=

ωb_d_1 ω µb_d_1( ):=ωb_d_1 0.209=

As_b_11σsd

ωb_d_1⋅ b⋅ d⋅ fcd⋅:= As_b_1 8.2cm2=

Feld µb_d_FM1_max_d_o_F1

b d2⋅ fcd⋅

:= µb_d_F 0.150=

ωb_d_F ω µb_d_F( ):= ωb_d_F 0.164=

As_b_F1σsd

ωb_d_F⋅ b⋅ d⋅ fcd⋅:= As b F 6.4cm2=

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ρ 0.64%=

ξIIEs

Ecmρ⋅

⎛⎜⎝

2

2Es

Ecmρ⋅

⎛⎜⎝

⎠⋅+

EsEcm

ρ⋅−:= ξII 0.246=

σsr3 MI_II⋅

As_b_F d⋅ 3 ξII−( )⋅:= σsr 103.7

N

mm2=

εsr2_FσsrEs

:=εsr2_F 5.2 10 4−

×=

Fliessbeginn: σs2 fyR:=σs2 550

N

mm2=

Stahldehnung bei Fließbeginn: εs2σs2Es

:=εs2 2.8 10 3−

×=

Stahldehnung bei Fließbeginn unter Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen:

βt 0.25:=

Stütze εsmy_1 εs2 βt εsr2_1 εsr1−( )⋅−:= εsmy_1 2.7 10 3−×=

Feld εsmy_F εs2 βt εsr2_F εsr1−( )⋅−:= εsmy_F 2.6 10 3−×=

Moment, eps_Beton und Krümmung müssen iterativ ermittelt werdenhier: Verwendung der Tafeln in "Stahlbetonbau aktuell 2002", Seite C.14

Momenten-Krümmungs-Beziehungen

Erstrissbildung

MI_II fctmIcz1⋅:= MI_II 24.5kN m⋅=

Dehnungen vor der Erstrissbildung:

εsr1MI_IIEcm Ic⋅

z1 d1−( )⋅:= εsr1 7.1 10 3−× %=

εcMI_II−

Ecm Ic⋅z2⋅:= εc 9.1− 10 3−× %=

κI_IIεsr1 εc+

d:= κI_II 0.4040

1m

10 3−=

Dehnung nach der Erstrissbildung:

Stütze ρ

As_b_1b d⋅

:= ρ 0.82%=

ξIIEs

Ecmρ⋅

⎛⎜⎝

2

2Es

Ecmρ⋅

⎛⎜⎝

⎠⋅+

EsEcm

ρ⋅−:= ξII 0.273=

σsr3 MI_II⋅

As_b_1 d⋅ 3 ξII−( )⋅:= σsr 82.3

N

mm2=

εsr2_1σsrEs

:=εsr2_1 4.1 10 4−

×=

Feld ρAs_b_F

b d⋅:=

16

Auf die Bestimmung der Momente und Krümmungen im im Bruchzustand wird hierverzichtet, da diese hier nicht benötigt werden.

Bruchzustand:

κy_b_F 9.516 10 3−×

1m

=κy_b_Fεsmy_F εc−

d:=

εc 1.2− 10 3−×=εc εc ωII( ):=

My_b_F 123.6kN m⋅=My_b_F fakM b⋅ d2⋅ fcR⋅:=

fakM 0.1=fakM Mc ωII( ):=ωII 0.16=ωIIAs_b_F fyR⋅

b d⋅ fcR⋅:=

Feld

κy_b_1 0.0101m

=κy_b_1εsmy_1 εc−

d:=

εc 1.4− 10 3−×=εc εc ωII( ):=

My_b_1 158.4kN m⋅=My_b_1 fakM b⋅ d2⋅ fcR⋅:=

fakM 0.2=fakM Mc ωII( ):=ωII 0.21=ωIIAs_b_1 fyR⋅

b d⋅ fcR⋅:=

Stütze

0 0.002 0.004 0.006 0.008 0.01 0.0120

50

100

150

200

M_StützeM_Feld

Momenten-Krümmungs-Beziehungen

Krümmung Kappa

Vorhandener Rotationswinkel

Für x=0 bis zum Momentennullpunkt bei xo1_1 4.8m= gilt in Feld 1 die

Momenten-Krümmungs-Beziehung für M_Feld, danach bis x=l1 die Beziehung für M_Stütze. Danach erhält man in Feld 1 folgende Krümmungslinie:

0 1 2 3 4 5 6

0.01

0.005

0.005

0.01

κ x( )− m⋅

x

17

Die virtuelle Momentenlinie in Feld 1 lautet: M1 x( )xl1

:=

0 1 2 3 4 5 6

1

M1 x( )−

x

Den Rotationswinkel an der Stütze erhält man durch Integration des Produkts aus vorhandener Krümmung virtueller Momentenlinie. Aufgrund der Symmetrie des Systems erhält man des Gesamtwinkel hier durch Multiplikation des Rotationswinkel des Feldes 1 mit dem Faktor 2.

Prüfung "Der angesetzte Umlagerungsfaktor ist zulässig!"=

θpl_d 10.310 3−=Zulässinger Rotationswinkel:

θvorh 10.210 3−=Vorhandener Rotationswinkel:

Überprüfung der Zulässigkeit des Umlagerungsfaktors

θpl_d 10.310 3−=θpl_d

λ

3θpl_d_3 ξ1( )⋅:=

Zulässiger Rotationswinkel:

θpl_d_3 ξ1( ) 0.01124=Rotationswinkel für λ=3:

ξ1 0.259=ξ1 ξ µb_d_1( ):=

(ohne Ausrundung!)µb_d_1 0.187=µb_d_1Mb_d_1

b d2⋅ fcd⋅

:=

Bezogene Druckzonenhöhe:

λ 2.50=λMb_d_1Bd_1 d⋅

:=Schubschlankheit:

0 0.1 0.2 0.3 0.4

0.005

0.01

0.015

θpl_d_3 ξd( )

ξd

θpl_d_3 ξ( ) min 0.15 30 εc1u⋅+( ) ξ⋅ 0.007+ 0.0043 4.2 εc1u⋅−( ) .03 ξ⋅−⎡⎣ ⎤⎦⎡⎣ ⎤⎦:=

εc1u 0.0035−:=

Zulässiger Rotationswinkel

18

4 Platten 4.1 Allgemeines Die Schnittgrößenermittlung zweiachsig gespannter Platten darf nach DIN 1045-1 außer nach linearen Verfahren auch nach der Plastizitätstheorie sowie mit genaueren nichtlinearen Berechnungsverfahren wie z.B. der nichtlinearen Finite-Element-Methode erfolgen. Von den Verfahren der Plastizitätstheorie ist vor allem die Bruchlinientheorie von praktischer Bedeutung. Diese soll hier weiter behandelt werden. Bei der Anwendung von Verfahren nach der Plastizitätstheorie brauchen die plastischen Rotationswinkel nicht überprüft zu werden, wenn folgende Bedingungen eingehalten sind:

• für die bezogene Druckzonenhöhe in Gelenkbereichen gilt:

67/5515,0

60/5025,0

CsklasseFestigkeitderabBetonfürdx

CvonsklasseFestigkeiteinerzubisBetonfürdx

• für das Verhältnis des Stützmoments StM zum Feldmoment FM gilt:

25,0 ≤≤F

St

MM

Die Druckzonenhöhe ist mit den Bemessungswerten der Einwirkungen und der Baustoff-kennwerte zu ermitteln. Weiterhin wird bei der Anwendung der Plastizitätstheorie bei stabförmigen Bauteilen und Platten die Verwendung von hochduktilem Stahl gefordert. 4.2 Bruchlinientheorie Die Bruchlinientheorie ist ein stark vereinfachtes Verfahren zur Berechnung von Platten im Grenzzustand der Tragfähigkeit. Alle plastischen Verformungen werden entlang gerader Linien, den so genannten Bruchlinien angenommen (Bild 8). Dies entspricht beim Balken der Zusammenfassung der plastischen Verformungen zu Fließgelenken nach Bild 4. Anders als bei dem in Abschnitt 3.4 vorgestellten Berechnungsverfahren für Balken werden allerdings die Plattenteile zwischen den Bruchlinien als starr angenommen, d.h. die elastischen Ver-formungsanteile werden gegenüber den größeren plastischen Verformungen vernachlässigt. Es ergibt sich im Grenzzustand der Tragfähigkeit ein aus starren Plattenteilen und linienförmigen Gelenken bestehendes kinematisches System.

Bild 8: Rechteckplatte mit Bruchlinien

19

An die Bruchlinien sind aus kinematischen Gründen bestimmte Anforderungen zu stellen:

1. Die Bruchlinie zwischen zwei Plattenteilen verläuft durch den Schnittpunkt ihrer Drehachsen. Sind die Drehachsen zweier Plattenteile parallel, so verläuft eine gemeinsame Bruchlinie parallel zu den Drehachsen.

2. Linienlager bilden Drehachsen des kinematischen Systems. 3. Eingespannte Ränder bilden obere Bruchlinien, die gleichzeitig Drehachsen des

kinematischen Systems sind. 4. Punktlager liegen auf einer Drehachse. Damit ergeben sich für Rechteckplatten mit allseitig gelenkiger Lagerung oder Einspannung bzw. für Platten mit einem freien Rand die in Bild 9 dargestellten möglichen Bruchlinien-figuren. Die genaue Lage der Bruchlinien sowie die maßgebende Bruchlinienfigur hängen von der Geometrie des Systems sowie von der Belastung und der Bewehrungsanordnung ab.

Bild 9: Bruchlinienfiguren von Rechteckplatten Die Ermittlung des Grenzzustandes der Tragfähigkeit erfolgt in der Regel mit Hilfe eines Arbeitsprinzips anstelle der Gleichgewichtsbedingungen. Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen geht von einem angenommen virtuellen Verschiebungszustand aus. Hierzu erteilt man einem verschieblichen Punkt der Bruchlinienfigur eine beliebige virtuelle Ver-schiebung, z.B. der Größe 1, und ermittelt hieraus die virtuellen Drehwinkel der Plattenteile. Bei der virtuellen Verschiebung wird von den plastischen Biegemomenten in den Bruchlinien mit den virtuellen Verdrehungen der Plattenteile die innere virtuelle Arbeit iW geleistet. Bei Systemen mit orthogonal verlaufenden Gelenklinien wie z.B. Rechteckplatten lautet die Arbeit an der Bruchlinie k im Plattenteil j

20

jxkxy

jki lmW ,,)(

, ϕ⋅⋅= wenn Gelenklinie des Plattenteils parallel zur x-Achse (15a)

jykyx

jki lmW ,,

)(, ϕ⋅⋅= wenn Gelenklinie des Plattenteils parallel zur y-Achse (15b)

Hierbei bedeuten: mx , ym bezogenes Moment (pro [m]) bezüglich Biegespannungen in x- bzw. y-Richtung

kxl , , l y k, auf die x- bzw. y-Achse projizierte Länge der Bruchlinie

jx,ϕ , ϕ y j, virtueller Drehwinkel des Plattenteils j um die x- bzw. y-Achse Obere Bruchlinien, die sich bei Einspannungen einstellen, werden entsprechend behandelt. Die gesamte innere Arbeit erhält man als Summe der Arbeiten aller Bruchlinien und Plattenteile. Die Lasten leisten mit den virtuellen Verschiebungen die äußere virtuelle Arbeit aW . Man ermittelt die äußere Arbeit einzeln für jeden starren Plattenteil der Bruchlinienfigur. Für den mit einer konstanten Flächenlast q belasteten Plattenteil j erhält man

)()()(,

jS

jjqa wAqW ⋅⋅= (16)

wobei A j( ) die Fläche und wS

j( ) die virtuelle Verschiebung im Schwerpunkt des Plattenteils j bedeuten. Eine Einzelkraft Fi leistet mit der virtuellen Verschiebung wi ihres Angriffspunkts die virtuelle äußere Arbeit ii

iFa wFW ⋅=)(, (17)

Die Summe der Arbeiten aller Flächen- und Einzellasten ergibt die gesamte äußere Arbeit aW . Mit dem Arbeitsprinzip W Wa i= (18) kann die Belastung im Grenzzustand der Tragfähigkeit für ein System mit einer gegebenen Größe der plastischen Momente bestimmt werden. Alternativ kann auch für eine gegebene Belastung unter der Annahme der Verhältnisse der plastischen Momente deren Größe berechnet werden. Sowohl die innere wie auch die äußere Arbeit hängen von der angenommenen Lage der Bruchlinien sowie von der angenommenen Bruchlinienfigur ab. Maßgebend ist aufgrund des kinematischen Satzes der Plastizitätstheorie diejenige Lage, die bei gegebenen plastischen Momenten die kleinste Bruchlast liefert. Entsprechend ist bei gegebener Belastung diejenige Lage, die die größten plastischen Momente ergibt, maßgebend. Dies führt zu einem iterativen Vorgehen zur Bestimmung der Bruchlinien. Für einige wenige Fälle lassen sich geschlossene Lösungen nach der Bruchlinientheorie angeben. Tafel 2 enthält die Lösung für eine Rechteckplatte mit Gleichlast. Die Ränder können eingespannt oder gelenkig gelagert sein. Das Verhältnis µ der Feldmomente sowie

21

die Verhältnisse 41 ii − von Einspann- und Feldmomenten werden bei der Bruchlinientheorie frei gewählt. Hinweise zum sinnvollen Ansatz werden in [8] gegeben. Das Superpositionsgesetz für Lastfälle ist wie bei allen nichtlinearen Verfahren nicht gültig. Man kann es näherungsweise allerdings doch anwenden und erhält auf der sicheren Seite liegende Ergebnisse [8]. Die Genauigkeit ist umso höher je mehr die Bruchlinienfiguren in den einzelnen Lastfällen übereinstimmen. Weitere Einflüsse wie die Ausbildung von Fächern in den Ecken, lokale Bruchlinien um Einzellasten und Bruchlinienfiguren für eine allgemeine Plattengeometrie werden in der Literatur erläutert [7],[8],[9],[10].

Allseitig eingespannte Rechteckplatte mit Gleichlast

Bemessungsmomente

2

2

2

324 ⎥

⎥⎦

⎢⎢⎣

⎡−+⋅

⋅=

rr

ry

bqmεµ

εµ oder 2

ry bqcm ⋅⋅=

mit aa

i ir =⋅

+ + +2

1 11 3

bb

i ir =⋅

+ + +2

1 12 4

ε rr

r

ab

= a br r≥

Tafel 2: Bemessungsmomente allseitig gelagerter Rechteckplatten nach der Bruchlinientheorie Die Bruchlinientheorie beruht auf stark vereinfachenden Annahmen und besitzt bei weitem nicht die Nachweistiefe des in Abschnitt 3.4 dargestellten Verfahrens zur Berechnung von Balkentragwerken. Sie erfüllt im Wesentlichen die Gleichgewichtsbedingungen im Grenz-zustand der Tragfähigkeit und liefert keine detaillierten Aussagen über Schnittgrößenverläufe. Konstruktive Überlegungen sind daher hier von entscheidender Bedeutung für eine sinnvolle Bewehrungsführung. Der Einsatz der Bruchlinientheorie in der Praxis erfordert wegen seiner stärkeren Vereinfachungen ein hohes Maß an konstruktiver Erfahrung.

22

Beispiel 3 Die in Bild 9 dargestellte Zweifeldplatte ist nach der Bruchlinientheorie zu berechnen. Platte 1 mit einem freien Rand wird ausführlich als Beispiel in [8] behandelt. Da es sich um eine lang gestreckte Platte handelt, ist die zweite in Bild 9 dargestellte Bruchlinienfigur nicht maßgebend und braucht hier nicht untersucht zu werden. Für Platte 2 kann die analytische Lösung nach Tafel 2 verwendet werden. Bei der Belastung handelt es sich um die Gesamtlast im Bemessungszustand. Da es sich um den Grenzzustand des Tragverhaltens des Gesamt-systems handelt, brauchen keine unterschiedlichen Lastfälle berücksichtigt zu werden. Mit den nach der Bruchlinientheorie ermittelten Biegemomenten wird die Biegebewehrung an der Stützlinie und in den beiden Feldern bestimmt. Weiterhin wird der Nachweis der Druck-zonenhöhe nach Abschnitt 4.1 geführt. Zur Gewährleistung der erforderlichen Duktilität muss darüber hinaus sichergestellt sein, dass nur Stahl mit hoher Duktilität, d.h. Stabstahl ver-wendet wird. Im Hinblick auf konstruktive Lösungen wie z.B. die örtliche Erhöhung der Bewehrung am freien Rand wird auf [8] verwiesen. Anstelle des Nachweises der Durchbiegungen im Gebrauchszustand wird vereinfachend der Nachweis der Begrenzung der Biegeschlankheit geführt.

Bild 9: Zweifeldplatte mit einem freien Rand

Kennwerte: lx 8m:= ly 6m:= q 10kN

m2⋅:=

Platte 1: µ1 0.5:= i2 1:=

Die Momentenverhältnisse i2=ms/my des Stütz- zum Feldmoment sowie µ1 = mx/my der Feldmomente in den beiden Bewehrungsrichtungen werden sinnvoll gewählt.

23

Ermittlung der Bemessungsmomente

Bruchlinienfigur und virtuelle Verschiebungen der Platte 1

ms_1_2 24.0kN m⋅

m=ms_1_2 i2 my h1 h2,( )⋅:=Stützmoment:

mx_Platte1 12.0kN m⋅

m=mx_Platte1 µ1 my_Platte1⋅:=

my_Platte1 24.0kN m⋅

m=my_Platte1 my h1 h2,( ):=Feldmomente:

Wi_my_1 h1 h2,( ) 8.891=Wa h1 h2,( ) 213.2kN=h2 3.51m:=h1 2.68m:=

Wahl von h1 und h2 so, dass m y maximal (nach Iteration):

my h1 h2,( )Wa h1 h2,( )

Wi_my_1 h1 h2,( ):=Moment my:

Innere Arbeit:Wi_my_1 h1 h2,( ) µ1 ly⋅

1h1⋅ lx 1 i2+( )⋅

1h2⋅+ lx

1ly h2−( )⋅+⎡

⎢⎣

⎤⎥⎦

:=

Äußere Arbeit: Wa h1 h2,( ) q13

h1⋅ ly⋅⎛⎜⎝

⎞⎠

12

lx h1−( )⋅ ly⋅+⎡⎢⎣

⎤⎥⎦

⋅:=

24

ms_2_1 24.1kN m⋅

m=ms_2_1 i4 my_⋅:=Stützmoment:

mx_Platte2 8.6kN m⋅

m=mx_Platte2 µ2 my_⋅:=

my_Platte2 17.2kN m⋅

m=my_Platte2 my_:=Feldmomente:

my_q br

2⋅

243

µ2

ε r2

+µ2ε r

−⎛⎜⎜⎝

2

⋅:=

εr 1.7=εrarbr

:=br2 ly⋅

1 1 i4++:=ar lx:=

Die Momentenverhältnisse i4=ms/my des Stütz- zum Feldmoment sowie µ2 = mx/my der Feldmomente in den beiden Bewehrungsrichtungen werden sinnvoll gewählt. Der Beiwert i4 für das Einspannmoment wurde hier so gewählt, dass sich das gleiche Einspannmument wie bei Platte 1 ergibt. Anderenfalls wäre das größere Moment aus beiden Platten an der Einspannstelle maßgebend.

i4 1.4:=µ2 0.5:=Platte 2:

25

Bemessung und Nachweis der Druckzonenhöhe

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξx_Platte1( ) "erfüllt"=

ξx_Platte1 0.049=ξx_Platte1 ξ µ( ):=

ax_Platte1 1.65cm2

m=ax_Platte1

1σsd

ωb⋅ dx⋅ fcd⋅:=

ωb 0.025=ωb ω µ( ):=

mx_Platte1 12.0kN m⋅

m=

µ 0.024=µmx_Platte1

dx2 fcd⋅

:=

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξy_Platte1( ) "erfüllt"=

ξy_Platte1 0.07=ξy_Platte1 ξ µ( ):=

ay_Platte1 3.145cm2

m=ay_Platte1

1σsd

ωb⋅ dy⋅ fcd⋅:=

Nutzhöhen der Platten: dx 17cm:= dy 18cm:=

Materialkennwerte: Beton fck 30N

mm2⋅:= fcd 0.85

fck1.5⋅:= fcd 17

N

mm2=

Stahl: fyd 435N

mm2⋅:= σsd fyd:=

Platte 1:

my_Platte1 24.0kN m⋅

m= µ

my_Platte1

dy2 fcd⋅

:= µ 0.044=

ωb ω µ( ):= ωb 0.045=

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξy_Platte2( ) "erfüllt"=

ξy_Platte2 0.056=ξy_Platte2 ξ µ( ):=

ay_Platte2 2.244cm2

m=ay_Platte2

1σsd

ωb⋅ dy⋅ fcd⋅:=

ωb 0.032=ωb ω µ( ):=

µ 0.031=µmy_Platte2

dy2 fcd⋅

:=my_Platte2 17.2kN m⋅

m=

Platte 2:

26

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξx_Platte2( ) "erfüllt"=

ξx_Platte2 0.041=ξx_Platte2 ξ µ( ):=

ax_Platte2 1.18cm2

m=ax_Platte2

1σsd

ωb⋅ dx⋅ fcd⋅:=

ωb 0.018=ωb ω µ( ):=

µ 0.018=µmx_Platte2

dx2 fcd⋅

:=mx_Platte2 8.6kN m⋅

m=

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξy_Platte2( ) "erfüllt"=

Einspannung

ms_1_2 24.0kN m⋅

m= ms_2_1 24.1

kN m⋅m

= ms max ms_1_2 ms_2_1( )( ):=

Maßgebend ist das betragsmäßig maximale Moment

ms 24.1kN m⋅

m= µ

ms

dy2 fcd⋅

:= µ 0.044=

ωb ω µ( ):= ωb 0.045=

ay_stütz1σsd

ωb⋅ dx⋅ fcd⋅:= ay_stütz 2.985cm2

m=

ξy_stütz ξ µ( ):= ξy_stütz 0.07=

Nachweis_der_Druckzonenhöhe ξy stütz( ) "erfüllt"=

Nachweis zur Begrenzung der Biegeschlankheit

nach DIN 1045-1, 11.3.2:0.8 ly⋅

dy26.7= < 35 ? Nachweis_Biegeschlankheit "erfüllt"=

5 Nichtlineare Finite-Element-Methode 5.1 Allgemeines Bei der nichtlinearen Finite-Element-Methode handelt es sich um ein aufwendiges numerisches Verfahren, das den Anspruch erhebt, das physikalische Verhalten von Stahl-betontragwerken bis zum Erreichen der Tragfähigkeit rechnerisch darzustellen. Der Rechen-ablauf ähnelt der Durchführung eines Versuchs: Nach der Definition des Tragwerks ein-

27

schließlich der Bewehrung wird die Belastung schrittweise aufgebracht. In jedem Lastschritt werden die Steifigkeitsänderungen infolge von Rissbildung und Plastifizierungen von Stahl und Beton erfasst. Auch geometrische Nichtlinearitäten wie das Gleichgewicht am verformten System und große Verschiebungen können berücksichtigt werden. Als Ergebnis erhält man die Schnittgrößen, Spannungen, Dehnungen und Verschiebungen des Tragwerks in jedem Lastschritt. Der Nachweis des rechnerischen Grenzzustandes der Tragfähigkeit erfolgt nach DIN 1045-1 über die Begrenzung der auftretenden Dehnungen von Beton und Stahl, sofern nicht vorab schon Stabilitätsversagen eintritt. Auch Rissbreiten können in jedem Lastschritt ermittelt werden. Das Verfahren ist also auch zum Nachweis des Gebrauchszustands geeignet. Da bei nichtlinearen Verfahren die Schnittgrößen von den Steifigkeiten abhängen und diese wiederum von der Bewehrung, kann eine Bemessung mit der nichtlinearen Finite-Element-Methode nicht unmittelbar erfolgen (Bild 10). Sie ist nur indirekt möglich. Zunächst muss, z.B. aufgrund einer linearen Finite-Element-Berechnung das Tragwerk vorab für geringere als die gegebenen Bemessungslasten bemessen werden. Danach führt man eine nichtlineare Finite-Element-Berechnung durch und überprüft, ob die Grenzwerte nach DIN 1045-1 auch unter der gegebenen Belastung eingehalten sind. Sinnvoll ist der Einsatz der nichtlinearen Finite-Element-Methode insbesondere zum Nachweis der Tragfähigkeit vorhandener Stahlbetontragwerke unter Ausnutzung aller Tragreserven.

Bild 10: Bemessung von Tragwerken bei nichtlinearen Verfahren 5.2 Materialgesetze Grundlage des nichtlinearen Tragverhaltens sind die mehrdimensionalen Materialgesetze von Beton und Stahl. Die eindimensionalen Spannungs-Dehnungs-Linien nach DIN 1045-1 9.1.5 bzw. 9.2.3 sind in Bild 11 dargestellt. Die Kennlinie des Betons im Druckbereich wird beschrieben durch

ηηησ⋅−+

−⋅⋅−=

)2(1

2

kkfcRc (19)

mit 1/ cc εεη = und cRccm fEk /1,1 1ε⋅⋅−= . Die Dehnung 1cε beim Erreichen des Höchstwertes der Betondruckspannung sowie der mittlere Elastizitätsmodul cmE sind für Normalbeton in Tabelle 9 der DIN 1045-1 angegeben. Für die Baustofffestigkeiten ty ff , und

cf sind deren Mittelwerte tRyR ff , und cRf zugrunde zu legen. Diese sind anzunehmen zu:

ykyR ff ⋅= 1,1

28

DuktilitätnormalermitBetonstahlfürf

DuktilitäthohermitBetonstahlfürff

yR

yRtR

⋅=

⋅=

05,1

08,1

)60/50(85,0 CBetonbisff ckcR ⋅⋅= α α nach DIN 1045-1, 9.1.6(2) Zur Modellierung der Materialkennlinie des Betons im Zugbereich gibt es eine Reihe von Ansätzen, die aber bisher in die DIN 1045 noch nicht eingegangen sind.

(a) Beton (b) Betonstahl Bild 11: Materialkennlinien von Beton und Betonstahl Im zweidimensionalen Spannungszustand wird die Materialkennlinie des Betons jeweils auf die beiden Hauptspannungsrichtungen bezogen. Die jeweiligen Materialkennlinien werden allerdings aufgrund des zweidimensionalen Spannungszustandes modifiziert. Dies betrifft die Werte für die höchste Druckspannung cf sowie die zugehörige Dehnungen. So erhöht sich die Druckspannung cf , wenn in der anderen Hauptspannungsrichtung Druckspannungen wirken. Risse werden bei Materialgesetzen nicht als Einzelrisse sondern „verschmiert“, d.h. auf die Flächeneinheit bezogen, angesetzt. Dabei tritt als weiterer Einfluss die Steifigkeitserhöhung infolge der Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen (Zugversteifung) auf. Aufgrund der Rissbildung nimmt der Wert cf der Druckspannung senkrecht zum Riss ab. Die Zug-versteifung ist insbesondere bei Laststufen im Gebrauchszustand, also deutlich unterhalb der Bruchlast, von Einfluss. Weitere wichtige Bestandteile eines Materialgesetzes sind die Beschreibung der Schub-verzahnung und des Verbundes. Mehrdimensionale Materialgesetze beschreiben somit recht komplexe Zusammenhänge des Materialverhaltens. Die Anwendung mehrdimensionaler Materialgesetze wie auch der nichtlinearen Finite-Element-Methode erfordern ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen [11]. Beispiel 4 Die Leistungsfähigkeit der nichtlinearen Finite-Element-Methode wird anhand der Nach-rechnung eines klassischen Versuchs zum Tragverhalten wandartiger Scheiben gezeigt. Mit dem Finite-Element-Programm ATENA [12] wird ein von Leonhard und Walter 1964

29

experimentell untersuchter wandartiger Träger berechnet. Die Versuche und ihre Ergebnisse sind in [13] beschrieben. Der hier untersuchte Versuch WT2 besitzt die in Bild 12 dargestellten Abmessungen (in cm) und Bewehrungsanordnung.

Bild 12: Versuch an einem wandartigen Träger Für den Beton wurden im Rahmen der Versuchsreihe die Würfeldruckfestigkeit zu -35,2 MPa, die Zylinderdruckfestigkeit zu -29,9 MPa, die Biegezugfestigkeit zu 4,7 MPa sowie der Elastizitätsmodul Ecm zu 32000 MPa bestimmt. Die Hauptbewehrung bestand aus Stahl III mit dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm nach Bild 13, die Bügelbewehrung aus Stahl I mit MPaf yk 220= nach DIN 1045, November 1959.

Bild 13: Materialkennlinien des verwendeten Betonstahls (Rippentorstahl IIIb) Die Finite-Element-Berechnung erfolgt mit dem in Bild 14 dargestellten FE-Modell. Die Bewehrung wird durch Einzelstäbe abgebildet. Die Spannungs-Dehnungs-Linie des Stahls wird als polygonartiger Linienzug abgebildet. Für den Beton wird das in ATENA implementierte SBETA-Materialgesetz in Anlehnung an die oben angegebenen Kennwerte angesetzt [14]. Die Lager wurden mit linear elastischen Stahlplatten modelliert. Dies entspricht der Lagerung im Versuch. Hierdurch werden insbesondere auch Spannungs-singularitäten im Auflagerbereich vermieden [15].

30

Die Berechnung erfolgt lastgesteuert mit insgesamt 13 Lastschritten bis zum Versagen und einer Gleichgewichtsiteration nach Newton-Raphson in jedem Schritt.

-

1

2 3123

4

5

6

7

8

9

10 11 12 13 14 15 16

1 2 3

4

567

8910 11 1213 1415 161 2 3 4

5678

9 10 11 1213 141

2

3

X

Y

Bild 14: Finite-Element-Modell mit Bewehrungsstäben

Bild 15 zeigt die Hauptspannungsrichtungen und Risse in zwei Lastschritten. Im ersten Lastschritt treten noch keine Risse auf und das System bleibt im elastischen Zustand. Die Risse im letzten Lastschritt verlaufen ähnlich wie im Versuch beim Bruchzustand. Die Risse verlaufen bei der Berechnung mit ATENA allerdings nicht an der Oberseite der Scheibe zusammen, wie dies im Versuch der Fall ist (Bild 16). Bemerkenswert ist auch der unter-schiedliche Verlauf der Hauptspannungen im elastischen Zustand (Lastschritt 1) und in der Nähe des Bruchzustands (Lastschritt 13). Im Bruchzustand verlaufen die Druckspannungen mit ca. 060 steiler als im elastischen Zustand mit ca. 045 . Damit vergrößert sich der innere Hebelarm der Scheibe im Bruchzustand gegenüber einer elastischen Berechnung deutlich.

31

X

Y

X

Y

Lastschritt 1: F = 0,13 MN Lastschritt 13: F = 1,03 MN Bild 15: Hauptspannungen und Rissbildung

Bild 16: Versagen der Scheibe im Versuch bei F= 1,195 MN Die maximalen Stahlspannungen im Lastschritt 13 betragen 439,1 MPa die Betonspannungen an der Außenseite der Auflager 33,7 MPa (Bild 17). Das Versagen tritt demnach in der Berechnung durch Bruch des Betons am Auflager ein. Dies deckt sich allerdings nicht mit dem Versuch, bei dem der Bruch durch Überschreiten der Stahlfestigkeit erfolgte. Die gemittelten Druckspannungen am Auflager betragen im Lastschritt 13 MPa2,32)10,016,02/(03,1 =⋅⋅=σ und im Versuch

MPa3,37)10,016,02/(195,1 =⋅⋅=σ . Die höhere Druckfestigkeit des Betons im Versuch lässt sich durch die Umschnürungswirkung der bügelartig eingebauten Bewehrung am Auflager erklären.

32

Stahlspannungen Betonspannungen 1σ Bild 17: Spannungen im letzten Lastschritt (Lastschritt 13) Durch die Umschnürungswirkung lassen sich im Versuch Festigkeiten erreichen, die deutlich über denjenigen des in der Berechnung angesetzten zweidimensionalen Materialgesetzes liegen. Erhöht man, um diesen dreidimensionalen Effekt zu simulieren, die Druckfestigkeit im Rechenmodell von 29,9 MPa auf 37,3 MPa, tritt auch bei der Berechung das Versagen durch Bruch der Bewehrung ein. Die Bruchlast stimmt mit F=1,197 MN praktisch mit dem Versuchswert von 1,195 MN überein. Die Last-Verschiebungsverläufe für den unteren Rand in Scheibenmitte sind für beide angesetzten Betonfestigkeiten in Bild 18 dargestellt.

[m]

[MN]

-1.5

07E-

03

-1.4

25E-

03

-1.3

50E-

03

-1.2

75E-

03

-1.2

00E-

03

-1.1

25E-

03

-1.0

50E-

03

-9.7

50E-

04

-9.0

00E-

04

-8.2

50E-

04

-7.5

00E-

04

-6.7

50E-

04

-6.0

00E-

04

-5.2

50E-

04

-4.5

00E-

04

-3.7

50E-

04

-3.0

00E-

04

-2.2

50E-

04

-1.5

00E-

04

-7.5

00E-

05

0.00

0E+

00

0.000E+00

1.500E-01

3.000E-01

4.500E-01

6.000E-01

7.500E-01

9.000E-01

1.030E+00

M1: Verschiebung Mitte unten

M3:

Auf

lage

rkrä

fte

A+

B

Berechnung mit MPafc 9,29=

[m]

[MN]

-4.8

48E-

03-4

.750

E-03

-4.5

00E-

03

-4.2

50E-

03

-4.0

00E-

03

-3.7

50E-

03

-3.5

00E-

03

-3.2

50E-

03

-3.0

00E-

03

-2.7

50E-

03

-2.5

00E-

03

-2.2

50E-

03

-2.0

00E-

03

-1.7

50E-

03

-1.5

00E-

03

-1.2

50E-

03

-1.0

00E-

03

-7.5

00E-

04

-5.0

00E-

04

-2.5

00E-

04

0.00

0E+

00

0.000E+00

1.500E-01

3.000E-01

4.500E-01

6.000E-01

7.500E-01

9.000E-01

1.050E+00

1.197E+00

M1: Verschiebung Mitte unten

M3:

Auf

lage

rkrä

fte

A+

B Berechnung mit MPafc 3,37=

33

Bild 18: Last-Verschiebungs-Diagramme (Gesamtlast / vertikale Verschiebung Mitte unterer Rand) Das Beispiel zeigt, dass das Tragverhalten von Stahlbetontragwerken mit der nichtlinearen Finite-Element-Methode mit großer Realitätsnähe simuliert werden kann. Spezielle Effekte, wie hier die dreidimensionale Umschnürungswirkung am Auflager, müssen jedoch gesondert modelliert werden. 6 Anwendungsbereiche und Ausblick Nichtlineare Berechnungsverfahren ermöglichen den Nachweis der Tragfähigkeit des Gesamtsystems und stellen somit die einzige letztlich durchgängige Nachweisform für den Grenzzustandes der Tragfähigkeit dar. Derzeit ist ihre Anwendung in der Praxis vor allem in folgenden Bereichen sinnvoll:

• Wirtschaftliche Bemessung durch Ausnutzung von Schnittgrößenumlagerungen Für Durchlaufträger und einachsig gespannte Platten stehen detaillierte Verfahren zum Nachweis von Schnittgrößen zur Verfügung (Abschnitt 3). Plattensysteme lassen sich nach der Bruchlinientheorie nachweisen (Abschnitt 4).

• Nachweis von vorhandenen Tragwerken für neue Lasten beim Bauen im Bestand Mit nichtlinearen Verfahren lassen sich alle ansetzbaren Tragreserven nutzen. Dies kann mit vereinfachenden Methoden wie der Bruchlinientheorie oder mit anspruchs-vollen und detaillierten Methoden wie der nichtlinearen Finite-Element-Methode für Platten, Scheiben und Schalen erfolgen. In bestimmten Fällen lassen sich die erforder-lichen statischen Nachweise für Tragwerke auch dann noch führen, wenn deren Standsicherheit mit einfacheren Verfahren nicht mehr nachgewiesen werden kann. Somit können aufwendige Sanierungsmaßnahmen vermieden werden.

• Rechnerische Simulation von experimentellen Untersuchungen Begleitend zu Versuchen an Stahlbetontragwerken wird das Tragverhalten im nicht-linearen Rechenmodell simuliert. Bei einer ausreichend guten Übereinstimmung von Versuch und rechnerischer Simulation können Parametervariationen bei den Ver-suchen reduziert werden. Dadurch lassen sich die Kosten der experimentellen Unter-suchungen verringern.

Zu beachten ist aber auch, dass die Nachweise im Gebrauchszustand wie die Begrenzung der Durchbiegungen wieder andere Abmessungen erfordern können. Als allgemeines Bemessungsverfahren sind nichtlineare Berechnungsverfahren mit Ausnahme der stark vereinfachenden Verfahren wie der Bruchlinientheorie derzeit noch nicht geeignet. Hierzu sind die Verfahren meisten zu aufwendig und zu komplex. Weiterhin fehlen derzeit allgemeingültige Verfahren zur Bestimmung der optimalen Bewehrung vor Durchführung einer nichtlinearen Berechnung. Die Bemessung auf der Grundlage nichtlinearer Berechnungsverfahren ist aber durchaus eine sinnvolle Option für die Zukunft, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen sondern auch aus konzeptionellen Gründen. Nur die nichtlinearen Berechnungsverfahren weisen den Grenzzustand der Tragfähigkeit eines Tragwerks in konsistenter Weise nach.

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[6] Schmitz P.U., Statik, in: Stahlbetonbau aktuell - Praxishandbuch 2002, Bauwerk Verlag, Berlin, 2002

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[9] DAfStb, Bemessungshilfen zu EC2 Teil 1, Heft 425, Beuth Verlag, Berlin, 1992 [10] Schmitz P.U., Statik, in: Stahlbetonbau aktuell - Praxishandbuch 2001, Bauwerk Verlag,

Berlin, 2001

[11] Stempniewski, L., J. Eibl, Finite Elemente im Stahlbetonbau, Betonkalender 1993 Teil 1, Ernst&Sohn, Berlin, 1993

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[13] Leonhardt F., R. Walter, Wandartige Träger, DAfSt Heft 178, Ernst&Sohn, Berlin, 1966

[14] Werkle H., Nichtlineare Baustatik II, Skriptum, Fachhochschule Konstanz, Fachbereich Bauingenieurwesen, WS 2004/05

[15] Werkle H., Finite Elemente in der Baustatik, Vieweg, Wiesbaden, 2. Auflage, 2001

Dateiname: Vortrag_Werkle_Nichtlineare_Schnittgrössenermittlung-1.doc Verzeichnis: J: Vorlage: C:\Dokumente und

Einstellungen\appelt\Anwendungsdaten\Microsoft\Vorlagen\Normal.dot Titel: Nichtlineare Schnittgrößenermittlung Thema: Autor: admin Stichwörter: Kommentar: Erstelldatum: 30.03.2006 15:56:00 Änderung Nummer: 2 Letztes Speicherdatum: 30.03.2006 15:56:00 Zuletzt gespeichert von: appelt Letztes Druckdatum: 30.03.2006 15:56:00 Nach letztem vollständigen Druck Anzahl Seiten: 34 Anzahl Wörter: 6.076 (ca.) Anzahl Zeichen: 38.284 (ca.)