VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von...

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VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨ anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue- Integral 20.1 Bezeichnungen: Es seien I 1 ,I 2 ,...,I n R beschr¨ ankte Intervalle der L¨ ange |I 1 |,..., |I n |. Die Menge Q = I 1 × ... × I n heißt Quader im R n und λ(Q) := n Y j =1 |I j | heißt Volumen von Q. Wenn die Dimension von Bedeutung ist, benutzen wir auch die Notation λ n (Q). 20.2 Definition: Eine Funktion ϕ : R n R heißt Treppenfunktion, wenn es endlich viele paarweise disjunkte Quader Q 1 ,...,Q s R n und reelle Zahlen c 1 ,...,c s gibt, so dass gilt: (*) ϕ(x)= s X j =1 c j I Q j (x). Dabei ist f¨ ur A R n die charakteristische Funktion durch I A : R n →{0, 1} I A (x) := ( 1 falls x A 0 falls x 6A definiert (vgl. auch mit Definition und Satz 7.17). Das Integral einer Treppenfunktion ϕ mit der Darstellung (*) ist definiert als Z R n ϕ(x)dx = s X j =1 λ(Q j )c j . Weitere Schreibweisen: Z ϕ(x)dx bzw. Z ϕdx. 1

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VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer

Veranderlicher

20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

20.1 Bezeichnungen: Es seien I1, I2, . . . , In ⊂ R beschrankte Intervalle der Lange|I1|, . . . , |In|. Die Menge

Q = I1 × . . .× Inheißt Quader im Rn und

λ(Q) :=n∏j=1

|Ij|

heißt Volumen von Q. Wenn die Dimension von Bedeutung ist, benutzen wir auch dieNotation λn(Q).

20.2 Definition: Eine Funktion ϕ : Rn → R heißt Treppenfunktion, wenn es endlichviele paarweise disjunkte Quader Q1, . . . , Qs ⊂ Rn und reelle Zahlen c1, . . . , cs gibt, sodass gilt:

(∗) ϕ(x) =s∑j=1

cjIQj(x).

Dabei ist fur A ⊂ Rn die charakteristische Funktion durch IA : Rn → {0, 1}

IA(x) :=

{1 falls x ∈ A0 falls x 6∈ A

definiert (vgl. auch mit Definition und Satz 7.17). Das Integral einer Treppenfunktion ϕmit der Darstellung (∗) ist definiert als∫

Rn

ϕ(x)dx =s∑j=1

λ(Qj)cj.

Weitere Schreibweisen: ∫ϕ(x)dx bzw.

∫ϕdx.

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20.3 Eigenschaften:

(1) Das Integral einer Treppenfunktion ist unabhangig von der gewahlten Darstellung.

(2) Es seien ϕ, ψ Treppenfunktionen, α, β ∈ R, dann gilt:

(i)∫

(αϕ+ βψ)dx = α∫ϕdx+ β

∫ψdx.

(ii) |∫ϕdx| ≤

∫|ϕ|dx.

(iii) Gilt ϕ(x) ≤ ψ(x) ∀ x ∈ Rn, dann ist∫ϕdx ≤

∫ψdx.

(iv) Es sei x1 ∈ Rp, x2 ∈ Rq, x =(x1

x2

)∈ Rn (n = p+ q), dann gilt∫

Rn

ϕ(x1, x2)d(x1, x2) :=

∫Rn

ϕ(x)dx =

∫Rq

(∫Rp

ϕ(x1, x2)dx1

)dx2

=

∫Rp

(∫Rq

ϕ(x1, x2)dx2

)dx1.

20.4 Definition: Es sei f : Rn → R eine Funktion. Unter einer Hullreihe zu f verstehen

wir eine Funktion Φ : Rn → R der Form

Φ(x) =∞∑k=1

ckIQk(x)

mit den Eigenschaften:

(1) Q1, Q2, . . . sind offene Quader in Rn und fur alle k ∈ N ist ck ≥ 0.

(2) Fur alle x ∈ Rn gilt|f(x)| ≤ Φ(x).

Wir bezeichnen

I(Φ) :=∞∑k=1

ckλ(Qk) ∈ R+0

als Inhalt von Φ und definieren

‖f‖1 := inf{I(Φ)| Φ ist Hullreihe zu f}.

Man beache, dass die hier aufretenden unendlichen Reihen entweder (absolut) konvergentoder bestimmt divergent sind.

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20.5 Rechenregeln: Es seien f, g, f1, f2, . . . : Rn → R Funktionen, dann gilt:

(i) ‖cf‖1 = |c|‖f‖1 ∀ c ∈ R

(ii) ‖f + g‖1 ≤ ‖f‖1 + ‖g‖1

(iii) |f | ≤ |g| ⇒ ‖f‖1 ≤ ‖g‖1

(iv) ‖∑∞

k=1 fk‖1 ≤∑∞

k=1 ‖fk‖1.

Wegen der Eigenschaften (i) und (ii) bezeichnet man ‖ · ‖1 auch als Semi-Norm.

20.6 Hilfssatz: Fur jede Treppenfunktion ϕ : Rn → R gilt

‖ϕ‖1 =

∫Rn

|ϕ(x)|dx.

20.7 Definition: Eine Funktion f : Rn → R heißt Lebesgue-integrierbar uber Rn (kurz:integrierbar), wenn es eine Folge von Treppenfunktionen (ϕk)k∈N gibt mit

limk→∞‖f − ϕk‖1 = 0.

In diesem Fall existiert der Grenzwert∫Rn

f(x)dx := limk→∞

∫Rn

ϕk(x)dx

(in R) und heißt Lebesgue-Integral von f. Weitere Schreibweisen:∫f(x)dnx oder

∫fdx.

Es sei D ⊂ Rn, f : D → R und A ⊂ D eine Menge. Die Funktion f heißt uber der MengeA Lebesgue-integrierbar, falls ihre Fortsetzung

fA :

{Rn → Rx → IA(x)f(x)

Lebesgue integrierbar ist. In diesem Fall heißt∫A

f(x)dx :=

∫Rn

f(x)IA(x)dx

Lebesgue-Integral von f uber A.

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20.8 Satz: Es seien f, g : Rn → R Lebesgue-integrierbare Funktionen, dann gilt:

(1) |f | ist Lebesgue-integrierbar und∣∣∣ ∫ fdx∣∣∣ ≤ ∫ |f |dx = ‖f‖1

(2) Fur alle α, β ∈ R ist αf + βg Lebesgue-integrierbar und es gilt∫(αf + βg)dx = α

∫fdx+ β

∫gdx.

(3) Ist außerdem f(x) ≤ g(x) ∀ x ∈ Rn, so gilt∫fdx ≤

∫gdx

(4) Ist außerdem g beschrankt, so ist auch f · g Lebesgue-integrierbar.

(5) Die Funktionen

max(f, g) :=1

2(f + g + |f − g|)

min(f, g) :=1

2(f + g − |f − g|)

sind Lebesgue-integrierbar. Insbesondere sind also der positive Anteil von f

f+ := max{f, 0}

und der negative Anteil von f

f− = max{−f, 0}

integrierbar. Man beachte die Darstellungen f = f+ − f−, |f | = f+ + f−.

20.9 Satz: (Zusammenhang zwischen Riemann- und Lebesgue-Integral) Es sei [a, b] ⊂ Rein kompaktes Intervall und f : [a, b] → R Riemann-integrierbar. Dann ist f auch uber[a, b] Lebesgue-integrierbar und die beiden Integrale stimmen uberein, d.h.∫

[a,b]

f(x)dx =

∫ b

a

f(x)dx.

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20.10 Hilfssatz: Es sei f : Rn → R eine Funktion und (ϕk)k∈N eine monoton wachsendeFolge von Treppenfunktion, die punktweise gegen f konvergiert, und fur die die Folge derIntegrale (∫

ϕkdx

)k∈N

beschrankt ist. Dann ist f Lebesgue-integrierbar und es gilt∫fdx = lim

k→∞

∫ϕkdx.

20.11 Bemerkung: Es sei F eine Menge von R-wertigen auf einer Menge A definiertenFunktionen. Die durch

f :

{A → Rx → f(x) := sup{ψ(x) | ψ ∈ F}

definierte Funktion heißt obere Einhullende von F . Ist F = {ψ1, ψ2, . . .} abzahlbar undϕk fur x ∈ A durch

ϕk(x) := max{ψ1(x), . . . , ψk(x)}

definiert, dann gilt fur alle x ∈ A

f(x) = limk→∞

ϕk(x).

20.12 Satz: Es sei A ⊂ Rn entweder offen und beschrankt oder kompakt und f : A→ Rstetig und beschrankt, dann ist f Lebesgue-integrierbar uber A.

20.13 Lemma: (Fortsetzungslemma von Tietze) Es sei f : A→ R eine stetige Funktionauf einer abgeschlossenen Teilmenge eines normierten Raumes (X, ‖ · ‖), dann kann f zueiner stetigen Funktion F : X → R fortgesetzt werden.

20.14 Bezeichnungen: Es sei A ⊂ Rp × Rq, dann heißt fur y ∈ Rq die Menge

Ay := {x ∈ Rp | (x, y) ∈ A}

y-Schnitt von A und fur x ∈ Rp die Menge

Ax := {y ∈ Rq | (x, y) ∈ A}

x-Schnitt von A.

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20.15 Satz: (Kleiner Satz von Fubini) Es sei X = Rp, Y = Rq und A ⊂ X × Y entwedereine kompakte oder eine offene und beschrankte Menge und f : A→ R eine beschrankteund stetige Funktion. Dann ist fur jedes y ∈ Rq mit Ay 6= ∅ die Funktion x → f(x, y)uber Ay integrierbar. Außerdem ist die durch

F (y) :=

∫Ay

f(x, y)dx falls Ay 6= ∅

0 falls Ay = ∅

definierte Funktion uber Y integrierbar und es gilt∫A

f(x, y)d(x, y) =

∫Y

F (y)dy =

∫Y

(∫Ay

f(x, y)dx

)dy.

Ein entsprechender Satz gilt, falls man x und y vertauscht, d.h.∫A

f(x, y)d(x, y) =

∫X

(∫Ax

f(x, y)dy

)dx.

20.16 Bemerkung: In der Situation von Satz 20.15 sei p = 1, q = n − 1 und fur jedesy ∈ Rn−1 die Menge Ay entweder leer oder ein Intervall der Form [ϕ1(y), ϕ2(y)], dannfolgt mit B = {y ∈ Rn−1 | Ay = ∅} aus Satz 20.15 und 20.9:∫

A

f(x, y)d(x, y) =

∫B

(∫ ϕ2(y)

ϕ1(y)

f(x, y)dx

)dy

(man beachte, dass das innere Integral auf der rechten Seite ein Riemann-Integral ist).Im Fall n = 2 ist die Menge A oft von der Form

A = {(x, y) ∈ R2 | c ≤ y ≤ d;ϕ1(y) ≤ x ≤ ϕ2(y)}

mit stetigen Funktionen ϕ1, ϕ2 : [c, d]→ R und man spricht von einem Normalbereich bzgl.der y-Achse. Es gilt dann (falls f stetig auf A ist)∫

A

f(x, y)d(x, y) =

∫ d

c

(∫ ϕ2(y)

ϕ1(y)

f(x, y)dx)dy

(in diesem Fall sind beide Integrale auf der rechten Seite Riemann-Integrale). Analogbezeichnet (fur stetiges ψ1, ψ2 : [a, b]→ R)

A = {(x, y) ∈ R2 | a ≤ x ≤ b;ψ1(x) ≤ y ≤ ψ2(x)}

einen Normalbereich bzgl. der x-Achse und es gilt (falls f stetig auf der Menge A ist)∫A

f(x, y)d(x, y) =

∫ b

a

(∫ ψ2(x)

ψ1(x)

f(x, y)dy)dx.

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20.17 Beispiele:

(1) Flache des Kreises K2 := {(x, y) ∈ R2 | x2 + y2 ≤ r2}∫K2

1d(x, y) = πr2.

(2) Volumen der Kugel K3 = {(x, y, z) ∈ R3 | x2 + y2 + z2 ≤ r}∫K3

1d(x, y, z) =4

3πr3.

(3) Sei A = {(x, y) ∈ R2 | 0 ≤ x ≤ 1, x2 ≤ y ≤ x}, dann ist∫A

xyd(x, y) =1

24.

20.18 Definition: Eine Menge A ⊂ Rn heißt Lebesgue-meßbar falls ihre charakteristischeFunktion IA Lebesgue-integrierbar ist. Die Zahl

λ(A) :=

∫Rn

IA(x)dx =

∫A

1dx

heißt Lebesgue-Maß von A (bzw. n-dimensionales Volumen von A). Wenn die Dimensionvon Bedeutung ist, benutzen wir auch die Notation λn(A).

20.19 Ubung: (Flache unter einer Kurve) Es sei g : [a, b] → R+0 eine stetige Funktion

undA = {(x, y) ∈ R2 | x ∈ [a, b]; y ∈ [0, g(x)]},

dann gilt

λ2(A) =

∫ b

a

g(x)dx.

20.20 Ubung: Man zeige:

(1) Jede beschrankte und offene und jede kompakte Menge im Rn ist Lebesgue-messbar.

(2) Sind A,B Lebesgue-messbar, so sind auch A∩B und A∪B Lebesgue-messbar undes gilt

λ(A ∪B) = λ(A) + λ(B)− λ(A ∩B)

λ(A) ≤ λ(B) falls A ⊂ B.

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20.21 Beispiel: (Cavalierisches Prinzip)

(1) Sei A ⊂ Rn kompakt oder beschrankt und offen, dann gilt

λn(A) =

∫Rλn−1(Axn)dxn

wobei Axn die Menge

Axn = {(x1, . . . , xn−1) ∈ Rn−1 | (x1, . . . , xn) ∈ A}

bezeichnet.

(2) Es sei a ∈ R+ und

∆n(a) := {x ∈ Rn | x1, . . . , xn ≥ 0;x1 + x2 + . . .+ xn ≤ a}

das n-dimensionale Standardsimplex (mit Kantenlange a), dann gilt:

λn(∆n(a)) =an

n!.

20.22 Definition: Eine Lebesgue-messbare Menge A ⊂ Rn heißt Nullmenge, falls fur ihrLebesgue-Maß λn(A) = 0 gilt.

20.23 Eigenschaften:

(1) N ⊂ Rn ist eine Nullmenge genau dann, wenn ‖IN‖1 = 0 gilt.

(2) Ist N ⊂ Rn eine Nullmenge und M ⊂ N, dann ist auch M eine Nullmenge (alsoinsbesondere Lebesgue-messbar).

(3) Sind N1, N2, . . . Nullmengen, so ist auch

∞⋃k=1

Nk

eine Nullmenge.

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20.24 Bezeichnung: Es sei E eine Eigenschaft derart, dass fur jeden Punkt x ∈ Rn

erklart ist, ob er diese Eigenschaft besitzt oder nicht. Wir sagen

die Eigenschaft E gilt fast uberall bzw. fur fast alle x ∈ Rn,

falls die Menge aller Punkte im Rn, fur die E nicht gilt, eine Nullmenge ist.

20.25 Satz: Es sei f : Rn → R eine Lebesgue-integrierbare Funktion, dann ist f fastuberall endlich, d.h.

λ({x ∈ Rn | f(x) =∞ oder f(x) = −∞}) = 0.

20.26 Satz: Sind die Funktionen f, g : Rn → R auf Rn fast uberall gleich und ist fLebesgue-integrierbar, dann ist auch g Lebesgue-integrierbar und es gilt∫

fdx =

∫gdx.

20.27 Beispiele:

(1) Die Funktion

g :

{[0, 1] → Rx → IQ∩[0,1](x)

ist Lebesgue- aber nicht Riemann-integrierbar.

(2) Ist N eine Nullmenge, dann ist jede Funktion f : Rn → R uber N Lebesgue-integrierbar und es gilt ∫

N

fdx = 0.

(3) Ist f uber A ⊂ Rn und B ⊂ Rn Lebesgue-integrierbar, dann ist f auch uber A ∩Bund A ∪B Lebesgue-integrierbar und es gilt∫

A∪Bfdx =

∫A

fdx+

∫B

fdx−∫A∩B

fdx.

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20.28 Ubung:

(1) Es seif : Rn → R

integrierbar, dann existiert eine integrierbare Funktion

f : Rn → R,

die fast uberall mit f ubereinstimmt.

(2) Fur eine Funktion f : Rn → R gilt ‖f‖1 = 0 genau dann, wenn f fast uberall gleich0 ist.

20.29 Hilfssatz: Sei U ⊂ Rn eine offene Menge, dann existieren (hochstens) abzahlbarviele kompakte Wurfel W1,W2, . . . , die hochstens Randpunkte gemeinsam haben, so dass

U =∞⋃j=1

Wj

gilt. Ist U außerdem Lebesgue-messbar, so gilt

λ(U) =∞∑j=1

λ(Wj).

20.30 Hilfssatz: Es sei N ⊂ Rn eine Nullmenge, dann gibt es zu jedem ε > 0 einemessbare und offene Menge U mit

N ⊂ U,

λ(U) < ε.

20.31 Satz: Eine Menge N ⊂ Rn ist genau dann eine Nullmenge, wenn es zu jedem ε > 0abzahlbar viele Wurfel W1,W2, . . . gibt mit

N ⊂∞⋃j=1

Wj ,

∞∑j=1

λ(Wj) < ε.

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20.32 Satz: Es sei f : Rn → R integrierbar, dann ist auch die durch fa(x) := f(x − a)definierte Funktion integrierbar und es gilt:∫

Rn

fa(x)dx =

∫Rn

f(x)dx

(Translationsinvarianz des Lebesgue-Integrals)

20.33 Satz: Es seien a1, . . . , an ∈ Rn Vektoren. Die Menge

P (a1, . . . , an) :={x =

n∑j=1

tjaj

∣∣∣ t1, . . . , tn ∈ [0, 1]}

heisst das von den Vektoren a1, . . . , an aufgespannte Parallelotop, und es gilt fur dasVolumen von P (a1, . . . , an)

λ(P (a1, . . . , an)) = | det(a1, . . . , an)|.

20.34 Ubung: Es sei T : Rn → Rn, x → T (x) = T · x eine lineare Abbildung, Q ⊂ Rn

ein Quader, dann hat das Parallelotop T (Q) das Volumen

λ(T (Q)) = | detT | · λ(Q).

20.35 Bemerkung: Die in Definition 20.4 definierte Abbildung ‖ · ‖1 definiert keineNorm auf dem Vektorraum

L1(Rn) := {f : Rn → R | f ist integrierbar},

da ‖f‖1 = 0 nicht f = 0 impliziert. Die Menge

N := {f ∈ L1(Rn) | ‖f‖1 = 0}

bildet einen Untervektorraum und auf dem Quotienten

L1(Rn) := L1(Rn)/N

wird durch die Abbildung

‖ · ‖1 :

{L1(Rn) → R+

0

f +N → ‖f‖1

eine Norm erklart. In anderen Worten: wir identifizieren f, g ∈ L1(Rn), falls f = g fastuberall gilt. Im folgenden werden wir diese Identifikation benutzen, ohne dies explizit zuerwahnen.

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20.36 Satz: (Riesz-Fischer) L1(Rn) ist ein Banachraum.

20.37 Folgerung: Der Beweis des Satzes von Riesz-Fischer zeigt, dass jede L1-Cauchy-Folge (fk)k∈N eine Teilfolge (fk`

)`∈N enthalt, die punktweise fast uberall gegen eine inte-grierbare Funktion f konvergiert. Außerdem gilt

lim`→∞

∫Rn

fk`(x)dx =

∫Rn

f(x)dx.

20.38 Folgerung: Es sei f : Rn → R eine integrierbare Funktion, dann existiert eineFolge von Treppenfunktionen (ϕk)k∈N mit den folgenden Eigenschaften:

(1) limk→∞||f − ϕk||1 = 0

(2) ϕk konvergiert fast uberall gegen f .

(3)∞∑k=1

||ϕk − ϕk+1||1 < ∞

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21. Die Satze von Beppo Levi, Lebesgue, Fubini unddie Transformationsformel

21.1 Satz: (Beppo Levi) Es sei (fk)k∈N eine monoton wachsende Folge integrierbarerFunktionen auf Rn, so dass die Folge der Integrale(∫

Rn

fk(x)dx)k∈N

beschrankt ist. Dann ist die durch f : Rn → R

f(x) := limk→∞

fk(x)

auf Rn definierte Funktion integrierbar, und es gilt:∫Rn

f(x)dx = limk→∞

∫Rn

fk(x)dx.

21.2 Folgerung: Es sei (fk)k∈N Folge integrierbarer, nichtnegativer Funktionen, fur diedie Folge ( k∑

j=1

∫Rn

fj(x)dx)k∈N

beschrankt ist. Dann konvergiert die Reihe

∞∑k=0

fk

fast uberall und es gilt: ∫Rn

∞∑k=1

fk(x)dx =∞∑k=1

∫Rn

fk(x)dx.

21.3 Satz: (Zusammenhang zwischen uneigentlichem Riemann- und Lebesgue-Integral) Es sei [a,∞) ein unbeschranktes Intervall und f : [a,∞) → R eine auf je-dem Intervall [a, b] (b > a) Riemann-integrierbare Funktion. f ist genau dann uber[a,∞) Lebesgue-integrierbar, wenn das uneigentliche Riemann-Integral von f absolut kon-vergiert, d.h. ∫ ∞

a

|f(x)|dx <∞.

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In diesem Fall stimmen beide Integrale uberein:∫ ∞a

f(x)dx =

∫[a,∞)

f(x)dx.

Ein entsprechender Satz gilt fur die anderen in Abschnitt 14 definierten uneigentlichenRiemann-Integrale.

21.4 Satz: (Satz von Lebesgue, Satz von der majorisierten Konvergenz) Es sei(fk)k∈N eine Folge integrierbarer Funktionen auf Rn, fur die

f(x) = limk→∞

fk(x)

fast uberall existiert. Es sei g eine integrierbare Funktion auf Rn mit |fk| ≤ g fur allek ∈ N. Dann ist f integrierbar, und es gilt∫

Rn

f(x)dx = limk→∞

∫Rn

fk(x)dx.

Man beachte: Ein entsprechender Satz gilt fur die Integration uber eine Teilmenge A ⊂Rn.

21.5 Beispiele:

(i) Die fur s > 1 definierte Funktion

ζ(s) :=∞∑n=1

1

ns

heißt Riemannsche Zeta-Funktion. Es gilt fur s > 1 :

ζ(s) =1

Γ(s)

∫ ∞0

xs−1

ex − 1dx.

(ii) Fur x ∈ R gilt ∫ ∞−∞

e−t2

cos(xt)dt =√πe

−x2

4 .

(iii) Die durch

J0(x) :=1

π

∫ 1

−1

cos(xt)√1− t2

dt

definierte Funktion heißt Besselfunktion (der Ordnung 0) und es gilt

J0(x) =∞∑n=0

(−1)n( x

2n!

)2n

.

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21.6 Anwendung: Es sei U ⊂ Rn offene Menge, V ⊂ Rm und

f :

{U × V → R(u, v) → f(u, v)

eine Funktion, die fur jedes feste u ∈ U uber der Menge V integrierbar ist.

(1) Ist fur jedes feste v ∈ V die Funktion fv : u → f(u, v) stetig und existiert eineintegrierbare Funktion g : V → R mit

|f(u, v)| ≤ g(v)

fur fast alle (u, v) ∈ U × V, dann ist die durch

(∗) F (u) =

∫V

f(u, v)dv

definierte Funktion auf U stetig.

(2) Gilt zusatzlich, dass fv auf U fur jedes feste v ∈ V bzgl. der jten Komponente ujpartiell stetig differenzierbar ist und existiert eine auf V integrierbare Funktion hmit

| ∂f∂uj

(u, v)| ≤ h(v)

fur fast alle (u, v) ∈ U × V, dann ist auch die durch (∗) definierte Funktion bzgl.der Variablen uj partiell stetig differenzierbar und es gilt

∂F

∂uj(u) =

∫V

∂f

∂uj(u, v)dv.

D.h. insbesondere ist fur jedes u ∈ U die partielle Ableitung ∂f∂uj

(u, v) uber V

integrierbar.

21.7 Satz: (Fubini) Es sei X = Rp, Y = Rq und f : X × Y → R eine integrierbareFunktion. Dann gilt:

(a) Es gibt eine Nullmenge N ⊂ Y, so dass fur alle y ∈ Y \N die Funktion x→ f(x, y)(fur festes y) uber X integrierbar ist.

(b) Die durch diese Integration erhaltene Funktion

F :

Y → R

y → F (y) :=

{ ∫Xf(x, y)dx fur y ∈ Y \N

0 fur y ∈ N

ist uber Y integrierbar und es gilt∫X×Y

f(x, y)d(x, y) =

∫Y

F (y)dy =

∫Y

(∫X

f(x, y)dx)dy.

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(c) Ein entsprechender Satz gilt, falls man die Reihenfolge der Integration vertauscht,d.h. ∫

X×Yf(x, y)d(x, y) =

∫X

(∫Y

f(x, y)dy)dx.

21.8 Satz: (Tonelli) Es sei X = Rp, Y = Rq und f : X×Y → R eine fast uberall stetigeFunktion. f ist genau dann integrierbar, wenn eines der beiden iterierten Integrale∫

Y

(∫X

|f(x, y)|dx)dy ;

∫X

(∫Y

|f(x, y)|dy)dx

existiert. In diesem Fall gilt:∫X×Y

f(x, y)d(x, y) =

∫X

(∫Y

f(x, y)dy)dx =

∫Y

(∫X

f(x, y)dx)dy.

21.9 Beispiel: Es sei f : R → R eine nichtnegative integrierbare Funktion, so dass dieFunktion t→ tf(t) integrierbar ist und∫

Rf(t)dt = 1

gilt. Dann sind die durch

F (x) :=

∫ x

−∞f(t)dt bzw. 1− F (x) =

∫ ∞x

f(t)dt

definierten Funktionen auf (−∞, 0] bzw. [0,∞) integrierbar und es gilt:∫Rtf(t)dt =

∫[0,∞)

(1− F (x))dx−∫

(−∞,0]

F (x)dx.

21.10 Definition: Es seien U, V ⊂ Rn offene Mengen. Eine Abbildung T : U → V heißtDiffeomorphismus, falls T stetig differenzierbar und bijektiv ist und die Umkehrabbildungebenfalls stetig differenzierbar ist.

21.11 Satz (Transformationsformel): Es seien U, V ⊂ Rn offene Mengen und T : U →V ein Diffeomorphismus. Eine Funktion f : V → R ist genau dann uber V integrierbar,wenn die Funktion (f ◦ T ) · | detT ′| uber U integrierbar ist. In diesem Fall gilt:∫

U

f(T (x)) · | detT ′(x)|dx =

∫V

f(y)dy.

16

Page 17: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

21.12 Beispiel: (Polarkoordinaten und das Volumen der Kugel) Es sei R > 0,die Abbildung

Pn :

{(0, R)× (−π, π)× (−π

2, π

2)n−2 → K∗n

(r, ϕ1, . . . , ϕn−1) → Pn(r, ϕ1, . . . , ϕn−1)

mit K∗n = {x ∈ Rn | ‖x‖2 < R;x1 > 0 oder x2 6= 0} und

Pn(r, ϕ1, . . . , ϕn−1) =

r cosϕ1 · cosϕ2 · cosϕ3 . . . cosϕn−2 · cosϕn−1

r sinϕ1 · cosϕ2 · cosϕ3 . . . cosϕn−2 · cosϕn−1

r sinϕ2 · cosϕ3 . . . cosϕn−2 · cosϕn−1

...

r sinϕn−2 · cosϕn−1

r sinϕn−1

ist ein Diffeomorphismus. Fur x = (x1, . . . , xn)T ∈ K∗n heißt x = Pn(r, ϕ1, . . . , ϕn−1)die Polarkoordinatendarstellung von x. Fur das Volumen der n-dimensionalen Kugel mitRadius R

Kn := {x ∈ Rn | ‖x‖2 ≤ R}

gilt fur das Volumen κn = λn(Kn)

κn =

∫Kn

dx =

∫ R

0

∫ π

−π

∫ π/2

−π/2. . .

∫ π/2

−π/2rn−1 cosϕ1 · cos2 ϕ2 · · · cosn−2 ϕn−1 dϕn−1 . . . dϕ2dϕ1dr

=πn/2

RnΓ(n2

+ 1),

wobei die Reihenfolge der Integration vertauscht werden kann.

17

Page 18: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

21.13 Beispiel: Es sei f : (a, b)→ R (0 ≤ a < b), dann bezeichnet man die Funktion

f :

{Ka,b → Rx → f(‖x‖2)

als rotationssymmetrisch auf

Ka,b := {x ∈ Rn | a < ‖x‖2 < b}.

f ist genau dann auf Ka,b integrierbar, wenn die Funktion t → tn−1f(t) auf (a, b) inte-grierbar ist, und es gilt in diesem Fall∫

Ka,b

f(x)dx =

∫Ka,b

f(‖x‖2)dx = nκn

∫ b

a

f(t)tn−1dt,

wobei κn das in 21.12 definierte Volumen der n-dimensionalen Einheitskugel

En = {x ∈ Rn | ‖x‖2 ≤ 1}

bezeichnet.

21.14 Beispiele:

(1)

∫Rn

e−‖x‖22dx = πn/2

(2)

∫Re−t

2

dt =√π

(3) Fur p, q > 0 gilt: ∫ 1

0

tp−1(1− t)q−1dt =Γ(p)Γ(q)

Γ(p+ q)= B(p, q).

Die durch diese Identitat definierte FunktionB : R+×R+ → R+ heißt Beta-Funktion.

18

Page 19: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

22. Differentialformen und Flachenintegrale

22.1 Definition: Es sei U ⊂ Rn offen. Eine stetige Abbildung

ω : U × Rn → R,

die bzgl. des zweiten Arguments linear ist, heißt 1-Form bzw. Pfaffsche Form. Ist

γ : [α, β]→ U

ein stuckweise glatter Weg so heißt∫γ

ω :=

∫ β

α

ω(γ(t), γ′(t))dt

das Integral uber ω langs der durch γ festgelegten orientierten Kurve.

22.2 Bemerkung:

(1) Mit dem Skalarprodukt

〈a, b〉 :=n∑i=1

aibi

fur a = (a1, . . . , an)T ∈ Rn, b = (b1, . . . , bn)T ∈ Rn, f : Rn → Rn und ω(a, b) =〈f(a), b〉 erhalt man die Definition des Kurvenintegrals als Spezialfall.

(2) Sind γj : [αj, βj] → U (j = 1, 2) stetig differenzierbare Wege und gilt γ2 = γ1 ◦ ϕmit einer stetig differenzierbaren, streng wachsenden Funktion ϕ : [α2, β2]→ [α1, β1]dann gilt fur jede Pfaffsche Form ω∫

γ1

ω =

∫γ2

ω.

Man nennt γ1 und γ2 in diesem Fall aquivalent und die zugehorigen Aquivalenzklasseebenfalls orientierte stuckweise glatte Kurve.

22.3 Bezeichnung: Fur 1-Formen wird oft die folgende Darstellung verwendet

ω = a1(x)dx1 + . . .+ an(x)dxn,

wobei bei der Berechnung des Integrals uber ω langs γ dann aj(x)dxj durch aj(γ(t))γ′j(t)dtersetzt wird und

aj(x) = ω(x, ej), j = 1, . . . , n

mit ej = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)T gilt.

19

Page 20: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

22.4 Ubung:

(1) Es sei U = R2\{(0, 0)T} und

ω = − x2

x21 + x2

2

dx1 +x1

x21 + x2

2

dx2,

dann gilt fur den Weg γ : [0, π]→ R2 mit

γ(t) =

(cos t

sin t

)∫γ

ω = π,

und fur den Weg γ = [0, 2]→ R2 mit

γ(t) =

{(1− t,−t)T fur 0 ≤ t ≤ 1

(1− t, t− 2)T fur 1 < t ≤ 2

∫γ

ω = −π.

(2) Sind γ1, γ2 stuckweise glatte Wege mit γ1 = γ2 ◦ ϕ fur eine stetig differenzierbarestreng fallende Funktion ϕ, dann gilt fur jede Pfaffsche Form ω :∫

γ1

ω = −∫γ2

ω.

(3) Sind ω1, ω2 Pfaffsche Formen und γ stuckweise glatter Weg, dann gilt∫γ

ω1 + ω2 =

∫γ

ω1 +

∫γ

ω2∫γ

cω1 = c

∫γ

ω1 ∀ c ∈ R.

(4) Ist γ = (γ1, γ2) stuckweise glatter Weg, dann gilt fur jede Pfaffsche Form ω∫(γ1,γ2)

ω =

∫γ1

ω +

∫γ2

ω.

22.5 Satz und Definition: Es sei U ⊂ Rn offen. Eine Pfaffsche Form ω : U × Rn → R

ω =n∑i=1

ai(x)dxi

20

Page 21: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

heißt exakt, falls eine stetige differenzierbare Funktion f : U → R existiert mit

∂f

∂xi= ai i = 1, . . . , n.

In diesem Fall heißt f Stammfunktion zu ω bzw. Potential von ω. ω ist genau dann ineinem Gebiet G exakt, wenn eine der folgenden Bedingungen erfullt ist:

(1)

∫γ1

ω =

∫γ2

ω fur je zwei stuckweise glatte Wege mit denselben Anfangs- und End-

punkten (d.h. das Integral von ω langs γ ist wegunabhangig).

(2) Fur jeden geschlossenen stuckweise glatten Weg γ gilt∫γ

ω = 0.

22.6 Satz: Es sei ω : U × Rn → R mit

ω =n∑i=1

ai(x)dxi

eine exakte Pfaffsche Form mit stetig differenzierbaren Funktionen a1, . . . , an, dann gilt

(∗) ∂ai∂xj

=∂aj∂xi

∀ i, j = 1, . . . , n.

Ist die offene Menge U sternformig, so folgt aus der Bedingung (∗) auch die Exaktheitvon ω.

22.7 Beispiele:

(1)ω = −(x2 + y2 + z2)−3/2{xdx+ ydy + zdz}

besitzt auf U = R3\{0} die Stammfunktion f : U → R mit

f(x, y, z) =1√

x2 + y2 + z2.

Man nennt ω auch Gravitationsform.

(2)ω = (x2 + y2)−1{−ydx+ xdy}

besitzt auf U = R2\{0} keine Stammfunktion, aber auf jeder sternformigen Teil-menge von U. ω heißt Windungsform.

21

Page 22: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

22.8 Definition: Es sei U ⊂ Rn offen. Eine stetige Abbildung

(∗) ω :

{U × Rn × . . .× Rn → R(x, h1, . . . , hp) → ω(x, h1, . . . , hp)

heißt alternierend, falls bei Vertauschen zweier Argumente hi und hj sich das Vorzeichenvon ω andert, d.h. es gilt fur i 6= j

ω(x, h1, . . . , hi−1, hi, hi+1, . . . , hj−1, hj, hj+1, . . . , hp)

= −ω(x, h1, . . . , hi−1hj, hi+1, . . . , hj−1, hi, hj+1, . . . , hp).

Eine stetige und alternierende Abbildung der Form (∗), die bzgl. der Argumente h1, . . . , hplinear ist, heißt p-Form in U bzw. alternierende Differentialform p-ter Stufe.

22.9 Bemerkung:

(1) Existieren zwei gleiche Argumente unter h1, . . . , hp, so gilt ω(x, h1, . . . , hp) = 0.

(2) Ist σ Permutation der Zahlen {1, . . . , p} und

σp := #{(i, j) ∈ {1, . . . , p}2 | i < j, σ(i) > σ(j)}

die Anzahl der Inversionen von σ, dann gilt

ω(x, hσ(1), . . . , hσ(p)) = (−1)σpω(x, h1, . . . , hp).

22.10 Bezeichnungen: Es sei hj = (hj1, . . . , hjn)T , ej = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)T ∈ Rn derj-te Einheitsvektor, dann besitzt eine p-Form auf U die Darstellung

ω =∑

1≤i1<...<ip≤n

ω(x, ei1 , . . . , eip)

∣∣∣∣∣∣∣h1i1 . . . hpi1

......

h1ip . . . hpip

∣∣∣∣∣∣∣(man beachte, dass aus den Vektoren h1, . . . , hp ∈ Rn jeweils nur die Komponenteni1, . . . , ip fur die Determinantenbildung benutzt werden!). Mit den Bezeichnungen

ai1...ip(x) = ω(x, ei1 , . . . , eip)

dxi1 ∧ dxi2 ∧ . . . ∧ dxip :=

∣∣∣∣∣∣∣h1i1 . . . hpi1

......

h1ip . . . hpip

∣∣∣∣∣∣∣besitzt ω dann die Darstellung

ω =∑

1≤i1<...<ip≤n

ai1...ip(x)dxi1 ∧ . . . ∧ dxip .

22

Page 23: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

Dabei sind die ai1...ip stetige Funktionen auf der offenen Menge U.

22.11 (Multiplikation von Differentialformen) Eine p-Form der Gestalt

ω = dxi1 ∧ . . . ∧ dxip

wird als Basis-Form (der Stufe p) bezeichnet. Wir fuhren eine (nicht kommutative) Mul-tiplikation von Basis-Formen ω1 = dxi1 ∧ . . . ∧ dxip , ω2 = dxj1 ∧ . . . ∧ dxjq durch

ω1 ∧ ω2 := dxi1 ∧ . . . dxip ∧ dxj1 ∧ . . . ∧ dxjq

ein. Das ergibt bis auf das Vorzeichen eine Basis-Form der Stufe p+ q (falls {i1, . . . , ip}∩{j1, . . . , jq} = ∅) oder 0 (falls {i1, . . . , ip} ∩ {j1, . . . , jq} 6= ∅). Die Multiplikation vonallgemeinen Differentialformen

ω1 =∑

1≤i1<...<ip≤n

ai1...ip(x)dxi1 ∧ . . . ∧ dxip

ω2 =∑

1≤j1<...<jq≤n

bj1...jq(x)dxj1 ∧ . . . ∧ dxjq

wird dann durch

ω1 ∧ ω2 :=∑

1≤i1<...<ip≤n1≤j1<...<jq≤n

ai1...ip(x)bj1...jq(x)dxi1 ∧ . . . dxip ∧ dxj1 . . . dxjq

erklart.

22.12 Ubung: Es seien ω1, ω1 alternierende Differentialformen der Ordnung p, ω2, ω2

alternierende Differentialform der Ordnung q und ω3 alternierende Differentialform derOrdnung r und a eine 0-Form (d.h. eine auf U stetige Funktion). Man zeige

(1) (ω1 + ω1) ∧ ω2 = ω1 ∧ ω2 + ω1 ∧ ω2

(2) ω1 ∧ (ω2 + ω2) = ω1 ∧ ω2 + ω1 ∧ ω2

(3) (ω1 ∧ ω2) ∧ ω3 = ω1 ∧ (ω2 ∧ ω3)

(4) ω1 ∧ ω2 = (−1)pqω2 ∧ ω1

(5) a(ω1 ∧ ω2) = (aω1) ∧ ω2 = ω1 ∧ (aω2).

23

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22.13 Definition: Es sei

ω =∑

1≤i1<...<ip≤n

ai1...ipdxi1 ∧ . . . ∧ dxip

eine alternierende Differentialform der Stufe p mit stetig differenzierbaren Koeffizienten-funktionen ai1...ip , dann ist die außere Ableitung von ω definiert als die (p+ 1)-Form

dω :=∑

1≤i1<...<ip≤n

dai1...ip ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxip ,

wobei dai1...ip die 1-Form

dai1...ip =n∑j=1

∂ai1...ip∂xj

dxj

bezeichnet.

22.14 Definition: Es sei ω : U × R3 → R mit

ω = a1dx1 + a2dx2 + a3dx3

eine 1-Form mit stetig differenzierbaren Koeffizientenfunktionen a1, a2, a3. Dieser Formentspricht das Vektorfeld v = (a1, a2, a3). Das zu der außeren Ableitung

dω =(∂a2

∂x1

− ∂a1

∂x2

)dx1 ∧ dx2 +

(∂a3

∂x2

− ∂a2

∂x3

)dx2 ∧ dx3 +

(∂a1

∂x3

− ∂a3

∂x1

)dx3 ∧ dx1

gehorende Vektorfeld

rot v :=(∂a3

∂x2

− ∂a2

∂x3

,∂a1

∂x3

− ∂a3

∂x1

,∂a2

∂x1

− ∂a1

∂x2

)heißt Rotation des Vektorfelds v.In ahnlicher Weise erhalt man die außere Ableitung einer 2-Form

ω = b1dx2 ∧ dx3 + b2dx3 ∧ dx1 + b3dx1 ∧ dx2

als

dω =( ∂b1

∂x1

+∂b2

∂x2

+∂b3

∂x3

)dx1 ∧ dx2 ∧ dx3.

Fur das Vektorfeld b = (b1, b2, b3) ist dann die Divergenz von b durch die Abbildungdiv b : U → R mit

div b :=∂b1

∂x1

+∂b2

∂x2

+∂b3

∂x3

definiert und liefert die Koeffizientenfunktion der außeren Ableitung von ω.

24

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22.15 Ubung: Es sei U ⊂ R3 offen und seien v, w : U → R3, v = (v1, v2, v3), w =(w1, w2, w3) stetig differenzierbare Vektorfelder, f : U → R stetig differenzierbar. Manzeige die Identitaten

(1) div(f · v) = f · div v + 〈grad f, v〉

(2) rot(f · v) = f · rot v + (grad f)× v

(3) div(v × w) = −〈v, rotw〉+ 〈rot v, w〉

indem man entsprechende Gleichungen fur Differentialformen herleitet. Dabei bezeichnet〈a, b〉 =

∑ni=1 aibi das Skalarprodukt der Vektoren (a1, . . . , an)T und (b1, . . . , bn)T (n = 3)

undv × w := (v2w3 − v3w2, v3w1 − v1w3, v1w2 − v2w1)T

das Kreuzprodukt der Vektoren v = (v1, v2, v3)Tund w = (w1, w2, w3)T .

22.16 Rechenregeln fur die außere Ableitung: Es seien ω1, ω1 p-Formen und ω2, ω2 q-Formen auf U mit stetig differenzierbaren Koeffizientenfunktionen (kurz: ωj, ωj sind stetigdifferenzierbar). Außerdem sei f : U → R stetig differenzierbare Funktion und ω p-Formmit zweimal stetig differenzierbaren Koeffizientenfunktionen (kurz: ω ist zweimal stetigdifferenzierbar). Dann gilt fur die außeren Ableitungen:

(1) d(ω1 + ω1) = dω1 + dω1

(2) d(fω1) = df ∧ ω1 + f ∧ dω1

(3) d(ω1 ∧ ω2) = dω1 ∧ ω2 + (−1)pω1 ∧ dω2

(4) d(dω) = 0.

22.17 Beispiel: Mit den Bezeichnungen aus Ubung 22.15 gelten fur eine zweimal stetigdifferenzierbare 0-Form f : U → R (U ⊂ R3 offen) und fur das Vektorfeld a = (a1, a2, a3)der zweimal stetig differenzierbaren 1-Form ω = a1dx1 + a2dx2 + a3dx3 die Identitaten

rot(grad f) = 0

div(rot a) = 0

22.18 Ubung: Es sei

Φ :

{Rn → Rn

x → Φ(x) = (ϕ1(x), . . . , ϕn(x))T

stetig differenzierbare Abbildung, dann gilt

dϕ1 ∧ . . . ∧ dϕn = (det Φ′)dx1 ∧ . . . ∧ dxn.

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22.19 Definition: Es sei ω eine p-Form auf der offenen Menge U. Ist ω in U differenzierbarund gilt

dω = 0,

so heißt ω geschlossen. Ist ω in U stetig und existiert eine stetig differenzierbare (p− 1)-Form π mit

dπ = ω,

so heißt ω exakt und π eine Stammform von ω.

22.20 Satz: Jede stetig differenzierbare exakte p-Form ist geschlossen.

22.21 Beispiel: Die Differentialform

ω =−x2

x21 + x2

2

dx1 +x1

x21 + x2

2

dx2

ist auf R2\{0} geschlossen aber nicht exakt [vgl. Beispiel 22.7 (2)].

22.22 Satz: (Lemma von Poincare) Jede in einer sternformigen Menge U stetigdifferenzierbare geschlossene Differentialform ist exakt.

22.23 Definition: Eine Menge M eines Vektorraums X heißt konvex, falls fur je zweiPunkte x, y ∈M auch die x und y verbindende Strecke

{xt+ (1− t)y | t ∈ [0, 1]}

ganz in M liegt.

22.24 Definition: Es sei T ⊂ Rp offen (1 ≤ p ≤ n). Eine stetig differenzierbare Abbil-dung

γ : T → Rn

heißt Parameterdarstellung einer p-dimensionalen (glatten) Flache bzw. Immersion, fallsdie Abbildung γ′(x) fur alle x ∈ T den Rang p hat. Ist T offen und konvex oder diffeo-morphes Bild einer offenen und konvexen Menge, so heißt γ Parameterdarstellung eines p-dimensionalen (glatten) Flachenstucks, falls γ′(x) fur alle x ∈ T den Rang p hat. Manspricht abkurzend von einer p-Flache bzw. einem p-Flachenstuck. Zwei Parameterdarstel-lungen

γ : T → Rn, γ : T → Rn

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eines p-dimensionalen Flachenstucks heißen aquivalent, falls es einen DiffeomorphismusΦ : T → T gibt mit

γ = γ ◦ Φ

det Φ′(x) > 0 ∀ x ∈ T.

Bei der Aquivalenz von Parameterdarstellungen von p-Flachen wird auf die Bedingungdet Φ′(x) > 0 verzichtet. Die Aquivalenzklassen von Parameterdarstellungen von p-Flachenstucken bzw. p-Flachen werden ebenfalls als p-Flachenstucke bzw. p-Flachenbezeichnet.

22.25 Beispiele:

(1) Es sei I ⊂ R ein (offenes) Intervall, f, g : I → R stetig differenzierbare Funktionenund γ : I × R→ R3 definiert durch

γ(u, v) =

f(u) cos v

f(u) sin v

g(u)

.

Dann ist γ Parameterdarstellung eines 2-Flachenstucks, falls fur alle u ∈ I gilt:

f(u) > 0 und (f ′(u))2 + (g′(u))2 > 0.

Das 2-Flachenstuck entsteht durch Rotation der in der (x, z)-Ebene liegenden Kurve{(f(u), g(u))T | u ∈ I} um die z-Achse. Man spricht in diesem Fall von einerRotationsflache.

(2) Es sei V ⊂ Rp offen, f1, . . . , fn−p : V → R stetig differenzierbare Funktionen, dannwird durch γ : V → Rn mit (v = (v1, . . . , vp)

T ∈ V )

(∗) γ(v) =

v1

...

vpf1(v)

...

fn−p(v)

eine p-Flache dargestellt.

(3) Es sei γ : U → Rn Parameterdarstellung einer p-Flache und fur ein u0 ∈ U habe diep× p Matrix (

∂γj∂ui

(u0)

)pi,j=1

den Rang p. Dann existiert eine Umgebung W von u0, so dass γ|W aquivalent zueiner Parameterdarstellung γ : V → Rn der Form (∗) ist. Insbesondere ist γ|Winjektiv.

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22.26 Beispiel: Durch die stereographische Projektion γ : R2 → R3 mit

γ(u, v) =1

1 + u2 + v2

2u

2v

1− u2 − v2

wird die Ebene auf die gelochte Kugelflache

x1

x2

x3

∈ R3 | x21 + x2

2 + x23 = 1

\ 0

0

−1

abgebildet. Man erhalt z.B. fur

W = {(w1

w2

)| w2

1 + w21 < 1}

als alternative Darstellung von γ|W die Abbildung γ : W → R3 mit

γ(w) =

w1

w2√1− w2

1 − w22

.

Sind γ und γ aquivalent?

22.27 Definition: Es sei γ : T → U (T ⊂ Rp, U ⊂ Rn) ein glattes Flachenstuck undω : U × Rnx . . . xRn → R eine stetige p-Form auf U, dann heißt∫

γ

ω :=

∫T

ω(γ(t),

∂γ

∂t1(t), . . . ,

∂γ

∂tp(t))dt

das Integral von ω langs γ oder auch p-Flachenintegral (hierbei wird die Existenz desIntegrals auf der rechten Seite vorausgesetzt).

22.28 Lemma: Mit den Bezeichnungen aus 22.24 und 22.27 gilt fur aquivalente p-Flachenstucke γ1, γ2 ∫

γ1

ω =

∫γ2

ω.

In anderen Worten: das in 22.27 definierte Flachenintegral hangt nur von der zugehorigenAquivalenzklasse des gegebenen Flachenstucks ab.

22.29 Beispiel: Die 2-Form ω im R3 sei erklart durch

ω = x1dx2 ∧ dx3 − x2dx1 ∧ dx3 + x3dx1 ∧ dx2

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Page 29: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

und fur T = {(t1, t2) ∈ R2 | t21 + t22 < 1} sei

γ :

T → R3

t → γ(t1, t2) =(

2t11+t21+t22

, 2t21+t21+t22

,1−t21−t221+t21+t22

)Teine Parametrisierung der oberen Halfte der Einheitskugel. Fur das Integral von ω langsγ gilt ∫

γ

ω = 2π.

Fur die Parametrisierung

γ :

{T → R3

t → γ(t1, t2) = (t1, t2,√

1− t21 − t22)T

ergibt sich (auch ohne Rechnung - warum ?) ebenfalls∫γ

ω = 2π.

22.30 Definition (Variablensubstitution bei Differentialformen) Es sei

ω =∑

1≤i1<...<ip≤n

ai1...ip(x)dxi1 ∧ . . . ∧ dxip

eine p-Form in U ⊂ Rn, V ⊂ Rm und

Φ : V → U

eine stetig differenzierbare Abbildung mit Koordinatenfunktionen (ϕ1, . . . , ϕn). DurchEinsetzen von x = Φ(y) und

dxi =m∑j=1

∂ϕi∂yj

(y)dyj

in die p-Form ω wird ω eine p-Form ω in V zugeordnet, die mit Φ∗ω bezeichnet wird, Φ∗ωheißt die in die Menge V zuruckgeholte p-Form von ω.

22.31 Ubung: Es seien ω1, ω2 p-Formen ω3 q-Form in U, f eine 0-Form und Φ : V → Ueine stetig differenzierbare Abbildung. Man zeige:

(1) Φ∗(ω1 + ω2) = Φ∗ω1 + Φ∗ω2

(2) Φ∗(f · ω1) = Φ∗f · Φ∗ω1

(3) Φ∗(ω1 ∧ ω3) = Φ∗ω1 ∧ Φ∗ω3

29

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22.32 Satz: Es sei Φ : V → U eine zweimal stetig differenzierbare Abbildung und ω einestetig differenzierbare p-Form in U, dann gilt:

d(Φ∗ω) = Φ∗(dω).

22.33 Bemerkung: Fur das in Definition 22.27 eingefuhrte Integral von ω langs γ erhaltman mit der Bezeichnung 22.30 die Darstellung∫

γ

ω =

∫idT

γ∗ω =

∫T

f(t)dt

wobei idT : T → T die Identitat auf T bezeichnet und γ∗ω = f(t)dt1 ∧ . . . ∧ dtp alsDarstellung besitzen soll. Andere Schreibweise∫

T

γ∗ω :=

∫idT

γ∗ω.

22.34 Ubung: Man zeige:

(1) Es seien W ⊂ Rk, V ⊂ Rm, U ⊂ Rn offene Mengen und Ψ : W → V,Φ : V → Ustetig differenzierbare Abbildungen, dann gilt fur jede Differentialform ω in U

Ψ∗(Φ∗ω) = (Φ ◦Ψ)∗ω.

(2) Es sei Φ : V → U ein Diffeomorphismus, ω eine stetige p-Form in der offenen MengeU und γ Parameterdarstellung einer p-Flache. Es gilt∫

γ

ω =

∫Φ−1◦γ

Φ∗ω.

30

Page 31: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

23. Die Integralsatze von Gauß und Stokes

23.1 Definition: Ein durch γ : T → Rp (T offen und konvex) dargestelltes p-Flachenstuckheißt einfach, falls gilt

(1) γ ist injektiv

(2) γ−1 ist stetig.

23.2 Definition: Eine Teilmenge M ⊂ Rn heißt p-dimensionale Untermannigfaltigkeit,falls es zu jedem Punkt x ∈M eine offene Menge U ⊂ Rn mit x ∈ U gibt, so dass U ∩Mein einfaches p-Flachenstuck γ ist. Die Umkehrabbildung γ−1 heißt eine Karte fur M undM ∩ U das Kartengebiet von γ−1.

23.3 Beispiele:

(1) Die Kugeloberflache

S2 = {(x1, x2, x3) ∈ R3 | x21 + x2

2 + x23 = 1}

ist eine zweidimensionale Untermannigfaltigkeit. Fur die Beschreibung von S2 sindzwei Parameterdarstellungen erforderlich. Z.B. wird S2 durch γ, γ : R2 → R3 mit

γ(t1, t2) =1

1 + t21 + t22

2t12t2

1− t21 − t22

γ(t1, t2) =

1

1 + t21 + t22

2t12t2

t21 + t22 − 1

beschrieben. γ ist die stereographische Projektion aus dem Sudpol und γ die stere-ographische Projektion aus dem Nordpol.

(2) Der Torus

T = {(x1, x2, x3) ∈ R3 | (√x2

1 + x22 − s)2 + x2

3 = r2}

mit 0 < r < s ist eine 2-dimensionale Untermannigfaltigkeit und wird durch dieAbbildung γ : R2 → R3

γ(u, v) =

(s+ r cos v) cosu

(s+ r cos v) sinu

r sin v

parametrisiert. Man beachte, dass γ eine Rotationsflache beschreibt, aber nichtinjektiv ist.

31

Page 32: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

(3) Das Moebiusband

M =

cos t · (1 + s cos t

2)

sin t · (1 + s cos t2)

s sin t2

∣∣∣∣t ∈ [0, 2π], s ∈ (−1

2,1

2)

ist eine zweidimensionale Untermannigfaltigkeit, fur dessen Beschreibung zwei Pa-rameterdarstellungen erforderlich sind. Z.B. wird M durch die beiden Abbildungen

γ : (−1

2,1

2)× (0, 2π)→ R3

γ : (−1

2,1

2)× (−π, π)→ R3

mit

γ(s, t) = γ(s, t) =

cos t · (1 + s cos t2)

sin t · (1 + s cos t2)

s · sin t2

beschrieben.

23.4 Bemerkung: Es sei M p-dimensionale Untermannigfaltigkeit und

γ : T →M, γ : S →M

Parameterdarstellungen (von einfachen Flachenstuckenin M), fur die gilt

D := γ(T ) ∩ γ(S) 6= ∅.

Dann bildet die Abbildung

(∗) Φ := γ−1 ◦ γ

die Menge γ−1(D) diffeomorph auf die Menge γ−1(D) ab. D.h. haben die Definitions-mengen von zwei Karten γ−1 und γ−1 auf M nichtleeren Durchschnitt, dann ist γ−1 ◦ γein Diffeomorphismus. Man beachte, dass die gesamte Untermannigfaltigkeit M durchein System von Karten (Atlas fur M) beschrieben wird, deren Definitionsbereiche Muberdecken.Dabei erhalt man fur je zwei Karten mit nicht disjunktem Definitionsbereich durch dieVorschrift (∗) einen Diffeomorphismus.

23.5 Definition: Es seien γ : T →M, γ : S→M p-dimensionale Flachenstucke mit

D = γ(T ) ∩ γ(S) 6= ∅

32

Page 33: VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher · VII. Integralrechnung von Funktionen mehrerer Ver anderlicher 20. Integration von Treppenfunktionen und das Lebesgue-Integral

(Sprechweise: γ und γ sind uberlappend). γ und γ heißen gleichorientiert, falls derDiffeomorphismus

Φ := γ−1 ◦ γ : γ−1(D)→ γ−1(D)

eine uberall positive Funktionaldeterminante besitzt. Eine p-dimensionale Untermannig-faltigkeit M des Rn heißt orientierbar, falls M durch eine Familie gleichorientierter Pa-rameterdarstellungen beschrieben werden kann. D.h. es existiert eine offene Uberdeckung{Ui}i∈I von M und ein Atlas

A = {γ−1i : M ∩ Ui → Ti | i ∈ I}

fur M, fur den je zwei Parameterdarstellungen γi : Ti → M ∩ Ui; γj : Tj → M ∩ Ujgleichorientiert sind. A heißt auch orientierter Atlas. Ist eine Orientierung in diesem Sinnfestgelegt, so spricht man auch von einer orientierten Untermannigfaltigkeit des Rn.

23.6 Beispiele:

(1) In Beispiel 23.3(1) ist {γ−1, γ−1} ein Atlas fur die Kugeloberflache S2, aber nichtorientiert. Dennoch ist die Kugeloberflache orientierbar, wenn man die gleichorien-tierten Parameterdarstellungen γ : R2 → R3, γ : R2 → R3 mit

γ(t1, t2) =1

1 + t21 + t22

2t12t2

1− t21 − t22

γ(t1, t2) =

1

1 + t21 + t22

2t1−2t2

t21 + t22 − 1

fur die Beschreibung von S2 verwendet.

(2) Der in Beispiel 23.3 (2) definierte Torus T ist eine zweidimensionale orientierbareUntermannigfaltigkeit. Die Parameterdarstellungen

γ1 : (0, 2π)× (0, 2π)→ T

γ2 : (−π, π)× (0, 2π)→ T

γ3 : (0, 2π)× (−π, π)→ T

γ4 : (−π, π)× (−π, π)→ T

mit

γj(u, v) :=

(s+ r cos v) · cosu

(s+ r cos v) · sinur sin v

, j = 1, 2, 3, 4,

definieren einen orientierten Atlas A = {γ−11 , γ−1

2 , γ−13 , γ−1

4 }.

33

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(3) Das in Beispiel 23.3 definierte Moebiusband ist eine zweidimensionale nicht orien-tierbare Untermannigfaltigkeit.

23.7 Bemerkung: Es sei γ : T → Rn Parameterdarstellung eines p-Flachenstucks. Derp-dimensionale affine Unterraum

Tγ(t) := {γ(t) +

p∑j=1

λj∂γ

∂tj(t) | λ1, . . . , λp ∈ R}

durch den Punkt γ(t) heißt Tangentialraum im Punkte γ(t) und hangt nicht von dergewahlten Parameterdarstellung ab. Daher hat eine p-dimensionale Untermannigfaltigkeitin jedem Punkt einen wohlbestimmten Tangentialraum.

Die Basen eines endlichdimensionalen Vektorraums konnen in zwei Klassen eingeteilt wer-den, so dass je zwei Basen derselben Klasse durch einen Basiswechsel mit positiver De-terminante ineinander uberfuhrt werden. Durch Auszeichnung einer Klasse (d.h. durchAngabe eines Reprasentanten) wird der Vektorraum orientiert.

Der Tangentialraum eines p-Flachenstucks γ : T → Rn wird durch die geordnete Basis(∂γ

∂t1(t), . . . ,

∂γ

∂tp(t)

)orientiert (man beachte, dass diese Festlegung unabhangig von der gewahlten Parameter-darstellung einer Aquivalenzklasse ist). IstM eine p-dimensionale wegzusammenhangendeorientierbare Untermannigfaltigkeit, dann legt die Orientierung eines Tangentialraums dieOrientierung aller anderen Tangentialraume in naturlicher Weise fest. Insbesondere andertsich die Orientierung eines Tangentialraums beim Durchlaufen eines geschlossenen Wegesin einer orientierbaren Untermannigfaltigkeit nicht.

23.8 Ubung: Im R3 sei eine Orientierung durch die Standardbasis

E =

1

0

0

,

0

1

0

,

0

0

1

definiert. Fur zwei linear unabhangige Vektoren a = (a1, a2, a3)T , b = (b1, b2, b3)T ∈ R3 istdas Vektorprodukt a× b definiert durch den Vektor

a× b =

a2b3 − a3b2

a3b1 − a1b3

a1b2 − a2b1

.

Man zeige

(1) a× b ist orthogonal zu a und b.

34

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(2) (a× b, a, b) hat dieselbe Orientierung wie E.

(3) a×b wird bis auf einen positiven Faktor durch die Eigenschaften (1) und (2) charak-terisiert.

(4) Man berechne ∂γ∂s

(s, t) × ∂γ∂t

(s, t) fur das Moebiusband aus Beispiel 23.3 (3) in denPunkten (s, t) = (0, 0) und (s, t) = (0, 2π).

23.9 Beispiel: Es bezeichne

〈x, y〉 :=n∑i=1

xiyi = xTy = yTx

das gewohnliche innere Produkt im Rn. Fur gegebenes a ∈ Rn\{0}, b ∈ R heißt die Menge

H = {x ∈ Rn | 〈x, a〉 ≤ b}

abgeschlossener Halbraum im Rn. Der Rand von H ist gegeben durch

∂H = {x ∈ Rn | 〈x, a〉 = b}

und heißt Hyperebene. ∂H ist eine (n − 1)-dimensionale orientierbare Untermannig-faltigkeit des Rn. Ist γ : Rn−1 → Rn mit

γ(t) = a0 +n−1∑j=1

ajtj

[t = (t1, . . . , tn−1) ∈ Rn−1, a0, . . . , an−1 ∈ Rn] eine Parameterdarstellung von ∂H, so gilt

〈a, aj〉 = 0 , j = 1, . . . , n− 1

(d.h. a ist orthogonal zu der Hyperebene) und man erhalt eine Orientierung auf ∂H durchdie Bedingung

det(a, a1, . . . , an−1) > 0

(d.h. die Basis (a, a1, . . . , an) ist gleichorientiert zur Standardbasis des Rn). Der Vektora ∈ Rn heißt auch ein Normalenvektor der Hyperebene ∂H. Man beachte, dass die in 23.6eingefuhrten Tangentialraume Hyperebenen definieren.

23.10 Ubung: Es sei a ∈ Rn\{0}, b ∈ R und

(∗) E = {x ∈ Rn | 〈x, a〉 = b}

eine Hyperebene des Rn. Die Darstellung (∗) von E heißt Hessesche Normalform, fallsb ≥ 0 und ‖a‖2 = 1 gilt. Man zeige, dass in der Hesseschen Normalform b den Abstandder Ebene zum Nullpunkt angibt.

35

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23.11 Definition: Es sei T ⊂ Rp offen und konvex und γ : T → Rn Parameterdarstellungeines einfachen p-Flachenstucks. Ist H abgeschlossener Halbraum des Rp mit T ∩∂H 6= ∅,so heißt das durch γ|H∩T dargestellte p-Flachenstuck einfaches p-Flachenstuck mit Rand(abkurzend bezeichnet man auch γ|H∩T als einfaches p-Flachenstuck mit Rand). DiePunkte des p-Flachenstucks γ(T ∩ H0) heißen innere Punkte, die Punkte des (p − 1)-Flachenstucks γ(T ∩ ∂H) Randpunkte.

23.12 Definition. Eine Menge M ⊂ Rp heißt p-dimensionale berandete Untermannig-faltigkeit, wenn es zu jedem Punkt x ∈ M eine offene Menge U ⊂ Rn mit x ∈ U gibt, sodass U ∩M entweder einfaches p-Flachenstuck oder einfaches p-Flachenstuck mit Randist. Diejenigen Punkte von M, die nur als Punkte von p-dimensionalen Flachenstuckenmit Rand beschrieben werden konnen, heißen Randpunkte von M, alle anderen Punkteinnere Punkte von M. Fur die Menge der Randpunkte verwenden wir die Bezeichnung∂M. Man beachte, dass fur ,,gewohnliche“ (nicht berandete) Untermannigfaltigkeiten(im Sinn der Definition 23.2) ∂M = ∅ gilt und man in diesem Fall auch von einergeschlossenen Untermannigfaltigkeit spricht. Der Begriff Orientierbarkeit wird fur be-randete Untermannigfaltigkeiten wie in Definition 23.5 erklart.

23.13 Beispiele:

(1) M = {x ∈ R3 | x21 + x2

2 + x23 = 1, x1 ≤ 0} ist eine zweidimensionale, berandete,

orientierbare Untermannigfaltigkeit des R3 (Halbkugelflache) und es gilt

∂M =

0

x2

x3

∣∣∣ x22 + x2

3 = 1

(2) Das Mobiusband mit Rand

M =

cos t · (1 + s cos t

2)

sin t · (1 + s cos t2)

s sin t2

∣∣∣ t ∈ [0, 2π), s ∈ [−1

2,1

2]

ist eine zweidimensionale berandete Untermannigfaltigkeit des R3.

23.14 Bemerkung: Ist M eine orientierbare und berandete p-dimensionale Unterman-nigfaltigkeit des Rn, so ist auch ihr Rand ∂M orientierbar.

36

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23.15 Hilfssatz: Es seien y1, . . . , ym ∈ Rn, r1, . . . , rm > 0 und

Uj := Urj (yj) = {x ∈ Rn | ‖x− yj‖2 < rj}

(j = 1, . . . ,m) offene Kugeln mit Mittelpunkten xj und Radien rj > 0 (j = 1, . . . ,m).Dann existieren auf

U :=m⋃j=1

Uj

definierte unendlich oft differenzierbare Funktionen fj : U → R mit den folgenden Eigen-schaften

(i) fj(x) > 0 fur alle x ∈ Uj

(ii) fj(x) = 0 fur alle x ∈ U\Uj

(iii)∑m

j=1 fj(x) = 1 fur alle x ∈ U.Man spricht in diesem Fall von einer glatten Zerlegung der 1.

23.16 Definition: Es sei M eine orientierte p-dimensionale berandete Untermannig-faltigkeit des Rn und ω eine in einer offenen Obermenge von M stetige p-Form. Außer-dem sei durch f1, . . . , fr eine Zerlegung der 1 gegeben, so dass die Definitionsbereiche derFunktionen fi jeweils in p-Flachenstucken (mit oder ohne Rand) γi : Ti → Rn enthaltensind. Die Zahl ∫

M

ω :=r∑i=1

∫M

fiω :=r∑i=1

∫γi

fiω

heißt das Integral von ω uber M. Dabei sollen die Parameterdarstellungen γi gleichori-entiert zu der Untermannigfaltigkeit M seien. Man beachte: Eine Zerlegung der obigenForm existiert immer und die Definition des Integrals ist unabhangig von der verwendetenZerlegung der 1.

23.17 Ubung: Es seien M1,M2 kompakte orientierte, berandet Untermannigfaltigkeitendes Rn mit M1 ∩ M2 = ∅,M = M1 ∪ M2 und ω1, ω2 stetige p-Form auf einer offenenObermenge von M, dann gilt

(1)∫Mω1 + ω2 =

∫Mω1 +

∫Mω2;

∫Mcω1 = c ·

∫Mω (c ∈ R)

(2)∫M1ω1 +

∫M2ω1 =

∫Mω1.

23.18 Beispiel: Es sei T der in Beispiel 23.3(2) definierte Torus mit dem Parameterr = 1, s > 1 und

ω = x1dx2 ∧ dx3 − x2dx1 ∧ dx3 + x3dx1 ∧ dx2,

dann gilt: ∫T

ω = 6π2s.

37

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23.19: Satz (Integralsatz von Stokes) Es seiM eine kompakte orientierte p-dimensionaleUntermannigfaltigkeit des Rn mit Rand ∂M, und die Orientierung von ∂M sei durch dieOrientierung von M induziert. Es sei ω eine auf einer offenen Obermenge von M stetigdifferenzierbare (p− 1)-Form, dann gilt∫

∂M

ω =

∫M

dω.

23.20 Satz: (Integralsatz von Gauß) Es seiG eine kompakte orientierte n-dimensionale,berandete Untermannigfaltigkeit des Rn und ω eine in einer offenen Obermenge von Gerklarte stetig differenzierbare (n− 1)-Form, dann gilt∫

G

dω =

∫∂G

ω.

23.21 Beispiel: Es sei G ⊂ Rn kompakte orientierte Untermannigfaltigkeit des Rn, danngilt fur das Volumen von G

λ(G) =1

n

∫∂G

n∑i=1

(−1)i−1xidx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn.

Insbesondere gilt im Fall n = 2 die Leibnizsche Formel fur die Berechnung des Flacheninhalts

λ(G) =1

2

∫∂G

(xdy − ydx).

23.22 Bemerkung:

(1) In der Situation von Satz 23.20 wird G auch oft als glatt berandetes Gebiet beze-ichnet — warum?

(2) Die Integralsatze wurden hier ,,nur“ fur kompakte p-dimensionale Untermannig-faltigkeiten mit glattem Rand formuliert und bewiesen. Sie bleiben aber auch furp-dimensionale Untermannigfaltigkeiten mit ,,stuckweise glattem“ Rand gultig.

23.23 Beispiel: Fur das Volumen des in Beispiel 23.3(2) betrachteten Torus

M = {(x1, x2, x3)T ∈ R3 | (√x2

1 + x22 − s)2 + x2

3 ≤ r2}

gilt fur r = 1 und s > 1 : λ(M) = 2π2s.

38

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23.24 Satz: Es sei G ⊂ Rn ein glatt berandetes Gebiet, dann gibt es keine auf eineroffenen Obermenge U von G erklarte, zweimal stetig differenzierbare Funktion, die G aufseinen Rand ∂G abbildet, so dass jeder Randpunkt fest bleibt.

23.25 Hilfssatz: Es sei K ⊂ Rn eine kompakte Menge und f : K → R eine stetigeFunktion, dann existiert fur alle ε > 0 eine unendlich oft differenzierbare Funktion F :Rn → R mit der Eigenschaft

supx∈K|F (x)− f(x)| < ε.

D.h. die Funktion f kann gleichmaßig durch unendlich oft differenzierbare Funktionenapproximiert werden.

23.26 Satz: (Fixpunktsatz von Brouwer) Jede stetige Abbildung einer abgeschlosse-nen Kugel des Rn in sich besitzt mindestens einen Fixpunkt.

23.27 Folgerung: Es gibt keine stetige Abbildung einer abgeschlossenen Kugel auf ihrenRand, so dass jeder Randpunkt fest bleibt.

23.28 Definition: Es sei γ : T → Rn ein p-dimensionales Flachenstuck. Die Zahl

A(γ) :=

∫T

√G( ∂γ∂t1

(t), . . . ,∂γ

∂tp(t))dt

heißt das Oberflachenmaß des p-Flachenstucks. Dabei bezeichnet fur Vektoren a1, . . . , ap ∈Rn die Große

G(a1, . . . , ap) = det

< a1, a1 > . . . < a1, ap >...

...

< ap, a1 > . . . < ap, ap >

die Gramsche Determinante. Man beachte, dass

√G(a1, . . . , ap) das Volumen des durch

die Vektoren a1, . . . , ap aufgespannten Parallelotops ist.

23.29 Bemerkung:

(1) Ist γ : T → Rn p-Flachenstuck, T = T1 ∪ T2 disjunkte Zerlegung und γj = γ|Tj

(j = 1, 2), so giltA(γ) = A(γ1) + A(γ2).

(2) Es seien γ : T → Rn und γ : T → Rn aquivalente Darstellungen eines p-Flachenstucks,dann gilt:

A(γ) = A(γ).

39

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(3) Fur die inneren Produkte in G( ∂γ∂t1

(t), . . . , ∂γ∂tp

(t)) wird oft die Bezeichnung

gγij = gγij(t)

verwendet. Mit dieser Notation liefert die Definition 23.28 die Darstellung

A(γ) =

∫T

√det(gγij)dt.

(4) Ist γ : T → Rn ein ebenes Flachenstuck, d.h. von der Form

γ(t) = a+ t1b1 + . . .+ tpbp; t ∈ T

mit a ∈ Rn und paarweise orthonormalen Vektoren b1, . . . , bp ∈ Rn, dann gilt

A(γ) = λp(T ).

In anderen Worten: das Oberflachenintegral liefert in diesem Fall das p-dimensionaleLebesgue-Maß von T.

23.30 Bezeichnung: Durch Einfuhrung der p-Form

dσ :=√

det gγij(t)dt1 ∧ . . . ∧ dtp

und gγij(t) =< ∂γ∂ti

(t), ∂γ∂tj

(t) > (i, j = 1, . . . , p) kann man das Oberflachenintegral auch als

A(γ) =

∫T

darstellen. Die p-Form dσ heißt p-dimensionale Volumenform auf dem p-Flachenstuck γ(T ).

23.31 Beispiele:

(1) Ein Flachenstuck im R3 sei beschrieben durch die Koordinatendarstellung

γ :

T → R3(x

y

)→

x

y

f(x, y)

wobei T offen und konvex und f : T → R eine stetig differenzierbare Funktion ist.Dann gilt:

A(γ) =

∫T

√1 + (

∂f

∂x)2(x, y) + (

∂f

∂y)2(x, y)d(x, y)

und

dσ =

√1 + (

∂f

∂x)2(x, y) + (

∂f

∂y)2(x, y)dx ∧ dy

40

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(2) Das Oberflachenmaß des in Beispiel 23.3(2) definierten Torus γT : (0, 2π)×(0, 2π)→R3 mit

γT (u, v) =

(s+ cos v) cosu

(s+ cos v) sinu

sin v

gilt A(γT ) = 4πs.

(3) Fur das Oberflachenmaß der in Beispiel 22.25(1) definierten Rotationsflachen

γR :

I × (0, 2π) → R3(

u

v

)→

f(u) cos v

f(u) sin v

g(u)

ergibt sich

A(γR) = 2π

∫I

f(u)√

(g′(u))2√

(g′(u))2 + (f ′(u))2du.

23.32 Bezeichnung: Es sei γ : T → Rn ein p-Flachenstuck, ω eine stetige p-Form und

γ∗ω = f(t)dt1 ∧ . . . ∧ dtpdie nach T zuruckgeholte Differentialform. Mit

F (t) =f(t)√

det gγij(t)

erhalt man die Darstellung ∫γ

ω =

∫T

γ∗ω =:

∫M

Fdσ.

D.h. das p-Flachenintegral kann als Integral der reellwertigen Funktion F uber das miteinem Maß versehene p-Flachenstuck M = γ(T ) interpretiert werden. Fur p = 1 wirdstatt dem Symbol dσ das Symbol ds benutzt.

23.33 Beispiele:

(1) In der Situation von Definition 23.30 sei

ω = a1dx1 + . . .+ andxn

eine 1-Form, dann gilt∫γ

ω =

∫T

〈a(γ(t)),γ′(t)

‖γ(t)‖2

〉 · ‖γ′(t)‖2dt =

∫M

< a,γ′

‖γ′‖2

> dσ,

wobei a = (a1, . . . , an) das Vektorfeld von ω bezeichnet und M = γ(T ) ist.

41

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(2) Ist γ : T → Rp

ω =

p∑i=1

(−1)i−1vidx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxp

eine (p− 1)-Form und n = n(t) ∈ Rp der zu den Vektoren ∂γ∂t1

(t), . . . ∂γ∂tp−1

(t) orthog-

onale Vektor mit ‖n‖2 = 1 und

det(n,∂γ

∂t1, . . . ,

∂γ

∂tp−1

) > 0,

dann gilt ∫γ

ω =

∫T

< v(γ(t)), n(t) >√

det gγij(t)dt =

∫M

< v, n > dσ

wobei M = γ(T ) und v = (v1, . . . , vp) das Vektorfeld von ω bezeichnet.

23.34 Beispiel: [Umformulierung des Gauß’schen Integralsatzes (vgl. 23.20)] Es seiG eine kompakte, orientierte p-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rn und v ein aufeiner offenen Obermenge von G definiertes stetiges Vektorfeld, dann gilt mit den Beze-ichnungen aus 23.33 ∫

G

div vdV =

∫∂G

< v, n > dσ,

dabei ist dV = dx1 ∧ . . . ∧ dxp die Volumenform des Rp und

div v =

p∑i=1

∂vi∂xi

bezeichnet die Divergenz des Vektorfelds (vgl. 22.14).

23.35 Ubung:

(1) Mit den Bezeichnungen aus Beispiel 23.33 gilt

λp(G) =1

p

∫∂G

< x, n > dσ,

wobei x die Identitat auf Rn bezeichnet.

(2) Es bezeichne op das Oberflachenmaß der p-dimensionalen Einheitskugel

Kp = {x ∈ Rp | ‖x‖ ≤ 1},

dann gilt

op = pλp(Kp) =p · πp/2

Γ(p2

+ 1).

42