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Prof. Dr.-Ing. Dirk Werner 40 [email protected] Modul(e) Pflichtmodul Stahlbau - Bachelor 1.9.2 Zur historischen Entwicklung des Stahlbau Die Nutzung von Metallen und Eisen geht sehr lange zurück. Aber in den alten Anlagen (römische Rennöfen, Holzkohleofen) konnten nicht die hohen Temperaturen erreicht wer- den, die für das vollständige Schmelzen der Erze nötig gewesen wären. So konnte sich der Stahlbau erst mit der industriellen Revolution in großem Stil entwickeln. Der Startschuss für den Stahlbau wird klar an ein konkretes Ereignis gebunden: den Bau der Severnbrücke in Coalbrookdale (England) in den Jahren 1777 und 1778. Das Bauwerk ist eine 400 t schwere gusseiserne Bogenbrücke, die einst für den Eisenbahnverkehr ge- nutzt wurde. Sie überspannt 31 m und wird heute noch als Fußgängerbrücke genutzt (Bild 1-12). Nach den gusseisernen Bogenbrücken, von denen einige in Europa erreichtet wur- den, folgten Kette- und Kabelhängebrücken. Eine der bekanntesten Brücken dieser Kate- gorie ist das „Blaue Wunder“ in Dresden Blasewitz. Diese Brücke wurde 1893 errichtet und ist bis heute eine wichtige Verkehrsader der Elbestadt (Bild 1-13). Bild 1-12: die erste gusseiserne Bogenbrücke der Welt in Coalbrookdale, 31 m Spannweite, 400 t Stahlguss, markiert den Beginn des Stahlbau, wird noch als Fußgängerbrücke genutzt, Quelle: Internet Bild 1-13: Blaues Wunder in Dresden, Baujahr 1893, Spannweite 142 m, Quelle: Internet, Open Source

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1.9.2 Zur historischen Entwicklung des Stahlbau

Die Nutzung von Metallen und Eisen geht sehr lange zurück. Aber in den alten Anlagen (römische Rennöfen, Holzkohleofen) konnten nicht die hohen Temperaturen erreicht wer-den, die für das vollständige Schmelzen der Erze nötig gewesen wären. So konnte sich der Stahlbau erst mit der industriellen Revolution in großem Stil entwickeln.

Der Startschuss für den Stahlbau wird klar an ein konkretes Ereignis gebunden: den Bau der Severnbrücke in Coalbrookdale (England) in den Jahren 1777 und 1778. Das Bauwerk ist eine 400 t schwere gusseiserne Bogenbrücke, die einst für den Eisenbahnverkehr ge-nutzt wurde. Sie überspannt 31 m und wird heute noch als Fußgängerbrücke genutzt (Bild 1-12). Nach den gusseisernen Bogenbrücken, von denen einige in Europa erreichtet wur-den, folgten Kette- und Kabelhängebrücken. Eine der bekanntesten Brücken dieser Kate-gorie ist das „Blaue Wunder“ in Dresden Blasewitz. Diese Brücke wurde 1893 errichtet und ist bis heute eine wichtige Verkehrsader der Elbestadt (Bild 1-13).

Bild 1-12: die erste gusseiserne Bogenbrücke der Welt in Coalbrookdale,31 m Spannweite, 400 t Stahlguss, markiert den Beginn des Stahlbau, wird noch als Fußgängerbrücke genutzt, Quelle: Internet

Bild 1-13: Blaues Wunder in Dresden, Baujahr 1893, Spannweite 142 m,Quelle: Internet, Open Source

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Der Brückenbau profitierte von der rasanten Entwicklung extrem. Bereits 1883 erreichte die Brooklyn Brücke in New York eine Spannweite von 486 m zwischen den Pfeilern. In-zwischen sind Spannweiten von mehr als 1000 m kein Problem mehr. Bereits 1973 über-spannte die Bosporusbrücke in Istanbul 1074 m.

Dagegen nehmen sich die Stahlbogenbrücken bescheiden aus. Auch wenn das Gusseisen der ersten Bogenbrücken inzwischen durch Stahl ersetzt wurde, sind die Möglichkeiten der Bogentragwerke offenbar begrenzt. Die 1932 errichtete weltbekannte Harbour Bridge in Sydney weist eine Spannweite von 503 m auf (Bild 1-14).

Bild 1-14: Harbour Bridge in Sydney, Bogentragwerk, Spannweite 503 m, 1932 erbaut, Quelle: Internet, Open Source

Die Systeme sind inzwischen sehr vielfältig geworden und lassen sich nur schwer allum-fassend systematisieren. Es darf davon ausgegangen werden, dass es eine Fülle sinnvol-ler Kombinationen aus Bogen- und Hängetragwerken gibt. Als ein herausragendes Bei-spiel dieser Kategorie sei die Forth Bridge über den Firth of Forth in der Nähe von Edin-burgh genannt (Bild 1-15). Dieses Bauwerk mit einer Gesamtlänge von 1631 m wurde 1889 erbaut und überspannt in den Hauptfeldern jeweils 521 m.

Bild 1-15: Firth of Forth in Schottland bei Edinburgh, Quelle: Internt

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Ebenso interessant wie der ständige Kampf um größere Spannweiten im Brückenbau ist der Wettlauf um die größte Bauhöhe. 7300 t tragendes Eisenmaterial enthält der von 1887 bis 1889 gebaute Eiffelturm in Paris, der die damals magische Marke von 300 m Höhe er-reichte (Bild 1-16).

Bild 1-16: Eiffelturm Paris, Ansicht und Detail, genietete Konstruktion

Viele Turmbauwerke und Wolkenkratzer enthalten im Kern tragende Stahlelemente. Bild 1-17 zeigt das World Financial Center (hinten) und den Jinmao Tower (vorne) in Shanghai. Das WFC ist 492 m hoch und war 2011 noch das höchste Gebäude Chinas. Höhere Ge-bäude waren bereits in Planung. Derartige Gebäude sind in der Regel Kombinationen mehrerer Baustoffe und können kaum allein von einer Bauart allein realisiert werden.

Bild 1-17:

World Financial Center (hinten) und Jinamo Tower (vorne) in Shanghai, Das WTC ist 492 m hoch. Der Skywalk liegt in 474,5 m Höhe und hat teilweise einen begehbaren Glasboden.

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Die Entwicklung führte nicht immer ohne Probleme und ohne Rückschläge „in den Him-mel“. Insbesondere im Brückenbau stürzten viele Bauwerke kurz nach der Inbetriebnahme oder sogar noch während der Bauzeit ein. Unterschiedlichste Ursachen können dafür be-nannt werden. Aus allen Katastrophen, so schlimm sie für die Betroffenen auch sein oder gewesen sein mögen, gilt es zu lernen und die Fehler nicht zu wiederholen.

Scheer hat in zwei Büchern, je eines über Hochbauten und eines über Brücken, viele die-ser kollabierten Tragwerke und die Schadensumstände im Detail beschrieben [9] und [10]. Dass derartige Schäden nicht nur an großen exponierten Tragwerken passieren, sondern auch durchaus im täglichen Umfeld, zeigt das Bild 1-18. Zu sehen ist eine allseits offene Überdachung einer Zollabfertigungsstation, deren Stützen nicht ausreichend gegen Wind ausgesteift waren, weshalb sie bereits bei einem „kleinen“ Sturm weit unterhalb der nor-mativen Lasten versagte.

Bild 1-18: Havarierte offene Überdachung, Ursache: ungenügende Aussteifung

Mit der Entwicklung der Bauweise musste auch die Verbindungstechnik Schritt halten. An den Verbindungen der Bauteile müssen, meist punktuell, große Kräfte von einem zum an-deren Bauteil übertragen werden. Der genauen Lage der Verbindungen und einer exakten Ausführung kommt daher ebenso besondere Bedeutung zu, wie der Notwendigkeit, den Verbindungsmitteln eine hohe Eigenfestigkeit zu geben bzw. den Schweißnähten eine Festigkeit, die in der Nähe der Festigkeit des Grundmaterials liegt.

Das wichtigste Verbindungsmittel war lange Zeit der Niet. Eine ausgefeilte aber auch ar-beitsintensive Technik sicherte Bauteilverbindungen, die über Jahrhunderte bestehen kön-nen, wie der Eiffelturm eindrucksvoll nachweist. Damit konnten also komplizierteste Struk-turen und Bauwerke errichtet werden. Ein Detail einer Nietkonstruktion zeigt Bild 1-19.

Der Rohniet besteht aus einem Schaft und einem Setzkopf. Vor dem Einbringen wird er im Nietofen weißrot geglüht. Mittel Vorschlaghammer wird der Niet in das um 1 mm im Durch-messer größere Loch eingetrieben. Anschließend wird mit einem Setzkopfdöpper gegen-gehalten und mit dem Schließkopfdöpper der Niet geschlagen. Dieser Vorgang muss ab-geschlossen sein, solange der Niet rot glüht. Dann und nur dann kann er durch Schaftver-kürzung seine Klemmwirkung auf das Material entfalten (s.a. Bild 1-20).

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Bild 1-19: genieteter Trogüberbau einer Fußgängerbrücke,links: Ansicht Hauptträger mit Flanschverstärkung,rechts: Detail mit Nietenköpfen (ca. 45 mm Durchmesser)

Bild 1-20: Grundprinzip der Nietherstellung (Skizze)

In der zitierten Literatur [1], [3] und [4] sind weitere umfangreiche Ausführungen zur ge-schichtlichen Entwicklung der Stahlbauweise enthalten.

1.9.3 Zur Geschichte der Theorie und der Regelwerke im Stahlbau

Parallel zu den Innovationen im Stahlbau selbst arbeiteten die Ingenieure nicht zuletzt we-gen der Schäden und Katastrophen, aus denen es zu lernen galt, an der theoretischen Er-fassung des Materials und studierten sein Verhalten um es rechnerisch beschreiben zu können. Stahl hat gegenüber den anderen Hauptbaustoffen (Beton, Stahlbeton, Spannbe-ton, Holz) den Vorteil, dass er die größte Homogenität aufweist, sich in weiten Teilen im Zug- und Druckbereich linear elastisch verhält und sich daher vergleichsweise „einfach“ mathematisch beschreiben lässt. Er ist somit das am besten untersuchte Material. Das führt andererseits zu immer umfangreicheren Regelwerken.

Vielfach entwickelte sich die Theorie weit vor der Notwendigkeit, in der Praxis angewendet werden zu müssen (Grundlagenforschung). Ebenso häufig waren theoretische Erkenntnis-se, insbesondere aus der Mathematik, aufgeschrieben, konnten aber gar nicht angewandt

Schlagen

Döpper

Gegenhalten Setzkopf

Schließkopf

Rohnietlänge

Klemmlänge

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werden, weil die rechentechnischen Voraussetzungen gar nicht gegeben waren. Finite Elemente oder vielfach statisch unbestimmte Systeme konnten erst mit Einführung der PC-Technik in dem Umfang behandelt werden, wie es heute der Fall ist. Insofern klaffte und klafft stets eine Lücke zwischen der Theorie und der Praxis, die gleichzeitig der Motor für neue Innovationen ist.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren die meisten Grundlagen der elastischen Statik gelegt. Viele Naturwissenschaftler und Ingenieure waren daran beteiligt. Eine kleine Über-sicht gibt Tabelle 1-6, in der einige Namen und das Forschungsgebiet zusammengestellt sind.

Namen Forschungsgebiete, Erkenntnisse

Robert Hooke(1635 bis 1702)

lineare Elastizitätstheorie, Hooksches Gesetz

Jakob Bernoulli(1654 bis 1705)

Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte, Balken sind schlank und Querschnitt bleibt bei Verformung zur Stabachse senkrecht, Grundlagen für die Spannungsberechnung der Elastostatik

C. A. de Coloumb(1736 - 1806)

älteste Formulierung des Schergesetzes der Bodenmechanik,viele weitere physikalische Grundgesetze

Claude H. Navier(1785 - 1836)

gilt als Begründer der Baustatik, brachte die Elastizitätstheorie in eine überschaubare mathematisch handhabbare Form, unterschied als erster zwischen E-Modul als Materialkennwert und dem Trägheitsmoment als Querschnittswert, entwickelte Methoden der Theorie II. Ordnung, berechnete Bögen und Hängewerke

Gustav R. Kirchhoff(1824 – 1887)

eigentlich Elektrophysiker, beschäftigte sich mit der Plattentheorie (Theorie der dünnen Platte, in der FE-Methode gibt es sogenannte „Kirchoffelemente“, die noch heute nach der nach ihm benannten Theorie arbeiten

St. Venant(1797 - 1886)

Mechaniker, der neben der Elastizitätstheorie auch mit der Plastizitätstheorie beschäftigte, wichtigste Arbeit waren seine Ausführungen zur Torsion elastischer Zylinder

Stepan Timoshenko(1878 – 1972)

arbeitete an der Elastizitätstheorie, u.a. an der Balkentheorie und entwickelte u.a. wesentliche Grundlagen für die heutige numerische Statik, die auf dem PC verwendet wird

Tabelle 1-6: Namen und Forschungsgebiete einiger Wissenschaftler, derenErkenntnisse im Bauwesen und im Stahlbau verwendet werden

Im Bestreben, die Bauleute entsprechend gut ausgebildet auf die Baustelle zu lassen, spe-zialisierte sich der Berufszweig. In Paris wurde 1790 mit der „Ecole Polytechniques“ die erste ingenieurwissenschaftliche Schule gegründet, an der auch Navier unterrichtete.

Von da an entstanden nach und nach auf der ganzen Welt technische Hochschulen und Universitäten, an denen die theoretischen Grundlagen auch für den Stahlbau entwickelt wurden und weiterentwickelt werden.

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In Deutschland wurde zur Lenkung der Forschung und Entwicklung im Stahlbau im Jahre 1908 der „Ausschuss für Versuche im Eisenbau“ gegründet. Dieser Ausschuss existiert heute als „Deutscher Ausschuss für Stahlbau“ (DAST) und ist auch das Lenkungsgremium für die Stahlbaunormung im Normenausschuss Bau (NABau). Er ist also verantwortlich für die Normung in Deutschland und entsprechend beteiligt an der Europäischen Normung.

In den frühen Jahrzehnten waren die Niet- und Schweißtechnik, die Dauerstandsfestigkeit und Knickversuche wichtigste Forschungsinhalte. Ab Mitte des vorigen Jahrhunderts stan-den zunächst verschiedene Entwicklungen des Werkstoffs an sich im Mittelpunkt. Ferner wurde durch die Kombination von Schweißungen und Schrauben zur Verbindung von Bau-teilen die Vereinheitlichung zu „Typisierten Verbindungen“ vorangetrieben. Ergebnis dieser Arbeiten ist das sogenannten „DAST-Ringbuch – Typisierte Verbindungen im Stahlbau“, welches auch heute noch ein Hilfsmittel für die Konstrukteure ist, da es regelmäßig ange-passt wurde, u.a. [11]. Das Feld der Forschungen wurde stets erweitert.

Norm Gültigkeit Inhalt und Grundlage

DIN 4114-1 1952 bis 1990 Knicken und Kippen, ω -Verfahren, globaler Sicherheitsfaktor

DIN 4114-2 1953 bis 1990 Beulen, globaler Sicherheitsfaktor

DAST Ri 008 1973 bis 1990 Traglastverfahren (Plastizitätstheorie)

DAST Ri 012 1978 bis 1990 Plattenbeulen, Ergänzung zu DIN 4114-2

DAST Ri 013 1980 bis 1990 Schalenbeulen, Ergänzung zu DIN 4114-2

DIN 18800-1 1981 bis 1990 Bemessung und Konstruktion,globaler Sicherheitsfaktor

TGL 13500 1982 bis 1990 Stahlbau, Stahltragwerke, Berechnung und bauliche Durchbildung, globaler Sicherheitsfaktor

TGL 13503 1982 bis 1990 Stahlbau, Stabilität von Stahltragwerken, globaler Sicherheitsfaktor

DIN 18800-1 bis DIN 18800-4

1990 bis 2012 Bemessung und Konstruktion, Knicken, Plattenbeulen und Schalenbeulen, Nachweis mit Teilsicherheitsfaktoren in Grenzzuständen

EN 1993-j-k ab 01.7.2012 umfasst den gesamten Stahlbau (s.a. Tabellen 1-2 und 1-3 in diesem Script), erweitertes Konzept mit Teilsicherheitsbeiwerten und Grenzzuständen

Tabelle 1-7: Entwicklung der Normung in Deutschland, Kurzüberblick Hochbau(nicht aufgeführt sind Nomen für den Stahlbrückenbau)

Anerkannte Regeln der Technik sind Regeln, die:

a) theoretisch richtig und anerkannt sind und sich b) in der Praxis bewährt haben.

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Eine neue Erkenntnis in der Forschung kann sich nicht „per se“ auch gleichzeitig in der Praxis bewährt haben. Das ist erst nach einiger Zeit der Fall. Insofern darf davon ausge-gangen werden (der Jurist spricht von „begründeter Vermutung“), dass eine Norm die an-erkannten Regeln der Technik enthält. Gleichwohl kann eine Norm nicht den aktuellen Stand der Technik repräsentieren. Forschung und Entwicklung sind immer einige Schritte voraus. Tabelle 1-7 zeigt die Entwicklung der Normung in Deutschland in den letzten Jahr-zehnten.

Bis 1990 wurde in Deutschland also mit globalen Sicherheitsfaktoren gearbeitet. Das Ver-fahren war so aufgebaut, dass die zulässige Bemessungsspannung, die nicht überschrit-ten werden durfte, in Abhängigkeit von der Belastungskombination durch einen globalen Faktor γ dividiert wurde. Für den Lastfall H (Hauptlasten) betrug.

γH = 1,50 → σ zul = 160N

mm2 (1-30

und den Lastfall HZ (Haupt- und Zusatzlasten) war er mit

γH = 1,30 → σ zul = 180N

mm2 (1-31)

angegeben, wobei σF für einen Baustahl St 37-2 (S 235) nach alter Normung mit

σF = 240N

mm2 (1-32)

angesetzt wurde. Diese wurde mit der Spannung verglichen, die sich aus den angesetzten Lasten ergab:

σ vorh< σ zul → NW erfüllt ! (1-33)

Die Lasten konnten direkt den Lastannahmen entnommen werden. Auch die zulässigen Spannungen waren tabelliert. Für Stablilitätsnachweise (z.B. Knicken) wurde das Konzept angepasst. Dabei wurde die auftretende Spannung σ vorh aus (1-33) infolge der Belastun-gen durch einen Wert ω erhöht bzw. alternativ die zulässige Spannung durch denselben Wert dividiert. Es ergab sich das ω -Verfahren (vereinfachte Darstellung für den idealen Druckstab):

σ vorh =ω⋅F D

A< σ zul → NW erfüllt ! (1-34)

In (1-34) sind F D die einwirkende Druckkraft, A die Querschnittsfläche und ω der von der Schlankheit λ des Druckstabes abhängige Knickbeiwert. Die Schlankheit des Druck-stabes ließ sich einfach aus:

20 ≤ λ =β⋅l

i≤ 250 (1-35)

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berechnen. l ist darin die Stablänge, β der Knicklängenbeiwert und i der Trägheitsra-dius, Größen, deren Bedeutung im weiteren Script noch dargelegt wird. Die Knickbeiwerteω waren dann für verschiedene Baustähle (St 37 und St 52) tabelliert und konnten in

Abhängigkeit von λ abgelesen werden. Das Verfahren war relativ übersichtlich und für einfache Standardfälle schnell von Hand abzuarbeiten. Das größte Problem bestand in der zutreffenden Festlegung des Knicklängenbeiwertes β .

Im Vergleich mit den Darlegungen des Scriptes zum aktuellen Sicherheitskonzept der Eu-rocodes versteht es sich von selbst, dass eine Mischung der Verfahren aus alten und neu-en Normen definitiv und immer entfallen muss. Das trifft auch für die Lastannahmen und für andere Fachnormen zu.

Mit Einführung der Nachweisformate des semiprobabilistischen Sicherheitskonzeptes mit Teilsicherheitsbeiwerten in der Reihe der DIN 18800 (Teil 1 bis 4) wurden die Nachweise rechnerisch aufwändiger. Erste Ansätze der Entwicklung dieser Normen gehen bis in die 70-iger Jahre zurück, was Roik [1] bereits 1983 dazu veranlasste, in seinen Vorlesungen über Stahlbau zu sagen:

"Bei aller bestechenden Logik des neuen Sicherheitskonzeptes darf allerdings eines nicht eintreten: Der "Normalfall" (d.h. lineare Zusammenhänge und "gutmütige" Material- und Systemeigenschaften) - und dies sind mindestens 90 % unserer Aufgaben - darf nicht unnötig verkompliziert werden. Sonst besteht die Gefahr, daß der entwerfende Ingenieur in Zahlen und Rechenanweisungen ertrinkt, die Übersicht verliert und das "Konstruieren" vergißt."

Karlheinz Roik, [1]

Allerdings konnte er zwar warnen, diese Entwicklung aber nicht stoppen, denn es besteht natürlich keine Veranlassung, aktuelle Forschungsergebnisse und neue Erkenntnisse nicht in die Normung einfließen zu lassen. Es ist auch klar, dass JEDES Mitgliedsland im Gel-tungsbereich der Eurocodes gegenüber den früheren nationalen Regelungen Kompromis-se eingehen muss. Der Übergang scheint zuweilen schmerzvoll, ist aber unvermeidlich.

1990 wurde die DIN 18800 im Stahlbau eingeführt. Für die Stahlbauer in Deutschland war es die erste Norm, nach der sie die Nachweise über Teilsicherheitsbeiwerte führen muss-ten. Die Norm brachte aber auch Vorteile. So konnten plastische Tragreserven durch die Anwendung entsprechender Nachweisverfahren endlich besser ausgenutzt werden. Bis dahin war die Anwendung des Traglastverfahrens „nur“ in der DAST Richtlinie 008 von 1973 geregelt und nicht in einer Norm. Damit wurde erstmals in Deutschlands alten Bun-desländern nach Grenzzuständen bemessen. In den neuen Bundesländern waren zumin-dest die Massivbauer an das Denken in Grenzzuständen bereits gewohnt. Das „Einheitlich Technische Vorschriftenwerk Beton“ - kurz „ETV Beton“ - war die erste Norm auf deut-schem Boden, in der nach dem semiprobabilistischen Sicherheitskonzept bemessen wur-de.

Nach der Wiedervereinigung waren die Stahlbauer in Deutschland bis zur Einführung der DIN 1045-1 fast 17 Jahre lang die einzigen, die mit Teilsicherheitsbeiwerten gearbeitet ha-ben. Ab 01.07.2012 gelten für alle Bauarten die Eurocodes.

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1.9.4 Regeln für die Ausführung von Stahlbauten nach EN 1090

Zweifelsfrei ist der Standsicherheitsnachweis einer Konstruktion nicht nur im Stahlbau eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Sicherheitsniveau zur Erreichung der Schutzziele für Leib und Leben erreicht wird. Daneben steht die Forderung nach einer wirtschaftlichen und herstellbaren Konstruktion auf Augenhöhe. Für Stahlbauten gilt dahingehend die Normenreihe EN 1090. Im Teil 2 dieser Norm (EN 1090-2) werden technische Regeln für die Ausführung von Stahltragwerken gegeben:

„Diese Europäische Norm legt Anforderungen, unabhängig von der Art und Gestalt des Stahltragwerks fest (z.B. Hochbau, Brücken, Flächentragwerke oder Fachwerke), einschließlich Tragwerken unter Ermüdungs- oder Erdbebeneinwir-kungen. Die Anforderungen werden in Form von Ausführungsklassen angegeben.“

Ausführungsklassen sind zusammengefasste Anforderungen an die Stahlkonstruktion als Ganzes, als Bauteil oder Detail. Im Anhang B zur EN 1090 ist ein Leitfaden für die Bestim-mung der Ausführungsklasse einer Konstruktion angegeben. Die Ausführungsklassen wer-den mit EXC1 bis EXC 4 (Execution Class) bezeichnet. Dafür sind zunächst verschiedene Einflussfaktoren zu bewerten. Es sind das die Beanspruchung (Beanspruchungskategorie SC1 oder SC2), die Herstellungskategorie (PC1 oder PC2) und die Schadensfolgeklasse (CC1 bis CC3). Sind diese Faktoren bewertet, kann die Ausführungsklasse in Tabelle 1-8 bestimmt werden.

Schadensfolgeklassen CC1 CC2 CC3

Beanspruchungskategorien SC1 SC2 SC1 SC2 SC1 SC2

Herstellungs-kategorien

PC1 EXC1 EXC2 EXC2 EXC3 EXC3 EXC3

PC2 EXC2 EXC2 EXC2 EXC3 EXC3 EXC4

EXC4 sollte bei außergewöhnlichen Tragwerken oder bei Tragwerken mit hohen Schadensfolgen entsprechend der nationalen Vorschriften angewandt werden.

Tabelle 1-8: empfohlene Matrix für die Bestimmung der Ausführungsklasseeiner Stahlkonstruktion nach EN 1090-2

Die Beanspruchungskategorie 1 (SC1) ist für Tragwerke oder Tragwerksteile, die vorwiegend ruhende Belastungen ableiten müssen, wie Gebäude, Tragwerke und Bauteile in Erdbebengebieten geringer Seismizität und in der Duktilitätsklasse DCL sowie für ermüdungsrelevante Lasten aus Kränen der Klasse S

0 (s.a. Normen für Kräne und Erdbeben, also EN 1998, EN 1993-6, EN 1993-1-9). Alle anderen Tragwerke sind in die Beanspruchungskategorie SC2 einzuordnen.

In die Herstellungskategorie PC1 werden Tragwerke und Bauteile eingeordnet, die nicht geschweißt werden (Stahlsorte egal) bzw. geschweißte Bauteile aus Stahlprodukten unterhalb der Stahlgüte S355. In die Herstellungskategorie PC2 werden insbesondere auch Bauteile eingeordnet, die im Verlauf der Herstellung einer Wärmebehandlung unterzogen wurden.

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Soweit die Zuordnung bis dahin noch vergleichsweise einfach ist, gibt es zur Einordnung in die Schadensfolgeklassen „nur“ einen informativen Anhang in der EN 1990, den Grundlagen der Tragwerksplanung. Es wird empfohlen, diesen Anhang in Zweifelsfällen für die Einordnung heranzuziehen, denn die Einordnung eines Tragwerkes in eine Ausführungsklasse hat u.a. Konsequenzen für die ausführenden Betriebe und die Ausbildung und Qualifikation des jeweiligen Personals. Einige konkrete Anforderungen, die aus der Ausführungsklasse resultieren, sind in Tabelle 1-9 als Auszug aus dem Anhang A3 der EN 1090 zusammengestellt. Wird keine Ausführungsklasse festgelegt, gilt automatisch EXC2.

Abschnitt inEN 1090-2

EXC1 EXC2 EXC3 EXC4

4.2.1 Qualitätsdokument. nein ja ja ja

7.4.1 Qualifizierung des Schweißverfahrens

nein ja, nähere Angaben in EN 1090-2, Tabellen 12 und 13

7.4.3 Schweißaufsicht nein Technische Kenntnisse nach EN 1090-2 erforderlich

7.5.1 Schweißnaht-vorbereitung

nein belassene Fertigungsbe- schichtungen nicht zulässig

12.5.2 Kontrolle planmäßig vorgespannter Schraubverbindungen

nein ja, nähere Angaben in 12.5.2.2, 12.5.2.3, 12.5.2.4 und 12.5.2.5 der EN 1090-2

12.5.3.1Kontrolle, Prüfung und Reparatur von Nieten

nein Klangtest, sequentieller Typ A Klangtest, sequentieller

Typ B

Tabelle 1-9: Einige Anforderungen an die Ausführung, durch die Herstellerund Planer zu erfüllen, Auszug aus Tabelle A.3, EN 1090-2, A3

In EN 1090-2 werden weitere Begriffe geprägt. Zur Herstellung eines Stahlproduktes wird alles gezählt, was zu dessen Produktion und Lieferung gerechnet wird. Für einen üblichen Walzträger ist damit der Weg vom Erz über den Hochofen, den Konverter, die Walzstraße bis in die Stahlbaufirma gemeint. Als Ausführung wird jegliche Tätigkeit bezeichnet, die zur Fertigstellung auf der Baustelle dient, also das Schneiden im Werk, das Schweißen und Bohren zur Vorbereitung der Anschlüsse, der Korrosionsschutz und schließlich Transport und Montage auf die Baustelle. Ausführungsklassen gelten dahingehend natürlich nicht für die Herstellung.

Häufiger Streitpunkt sind Toleranzen. Diese sind in der Anhängen zur Norm EN 1090-2 angegeben. Die Norm selbst definiert Toleranzen und unterscheidet:

a) grundlegende Toleranzen, deren Einhaltung notwendig ist, damit die Ânnahmen in der Planung und der Berechnung in der Praxis hinreichendumgesetzt und so die Standsicherheitsanforderungen erfüllt werden,

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b) ergänzende Toleranzen, deren Einhaltung notwendig sein kann, um weitergehende Anforderungen an Aussehen, Gestalt und Passgenauigkeit zu erfüllen,

c) besondere Toleranzen, die nicht genormt und einzig durch die am Bau Beteiligten zu definieren sind und

d) herstellungsbedingte Toleranzen, mit denen die zulässigen Abweichungenaus dem Herstellungsprozess bei Übergabe an den Ausführenden beschrieben werden.

Die Diskussion über Toleranzen und Maßabweichungen kann mit den Definitionen und den normativen Verweisungen in EN 1090-2 weitgehend entkrampft werden.

Ein sehr wichtiger Teil der EN 1090-2 ist deren Abschnitt 2. Dort werden auf neun Seiten lediglich Normen aufgezählt, die weitere Bestimmungen für Stahlbauprodukte enthalten. Eine bessere Übersicht ist kaum zu finden. Die Aufzählung ist thematisch geordnet und enthält Normen zu:

a) Stähle 50 Normen b) Stahlguss 3 Normen c) Schweißzusätze 16 Normen d) mechanische Verbindungsmittel 35 Normen e) Hochfeste Zugglieder 7 Normen f) Lager 7 Normen g) Bearbeiten 3 Normen h) Schweißen 28 Normeni) Prüfungen 12 Normen j) Montage 5 Normen k) Korrosionsschutz 12 Normen l) Toleranzen 1 Normm) Verschiedenes 6 Normen

Zu allen genannten Themenbereichen werden zudem in EN 1090-2 auch erste Hinweise gegeben. Die EN 1090-2 ist so gesehen als Leitfaden zu sehen, wenn Fragen nach der Ausführung, den Randbedingungen der Montage, der notwendigen Qualifikation des Per-sonals und der Dokumentation der Planung und der Ausführung zu klären sind. Diese Norm wird im praktischen Alltag leider oft „vergessen“.

1.9.5 Prüffähige Nachweise im Stahlbau

Für die Aufstellung von Standsicherheitsnachweisen gibt es zwei Prämissen. Beide führen dazu, die Nachweise möglichst in einer einheitlichen Form zu erbringen:

a) Der Nachweis muss durch andere Fachingenieure gelesen und interpretiert werden können. Es muss alle Informationen enthalten, die für die Erstellungder Werkpläne und eine einwandfreie Ausführung nötig sind. Es darf nichtzu Informationsverlust kommen.

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b) Die Berechnungen müssen leicht prüfbar sein. In Deutschland gilt das Vier-Augen-Prinzip, nach dem Tragwerke ab einer definiertenBauwerksklasse (Schwierigkeitsgrad) unabhängig geprüft werden

Für die größtmögliche Einheitlichkeit der Nachweise ist es nötig einen breiten Konsens zwischen den Aufstellern für das Erstellen einer Tragwerksplanung zu finden. Aber zuneh-mend sind auch die Programmhersteller gefragt, sich um weitgehende Variabilität zu be-mühen, um den Nutzern größtmögliche Freiheit bei der Gestaltung der Ausdrucke zu ge-währen. Beides klingt einfach, ist aber schwer zu realisieren.

Zwei Unterlagen können den Planer dabei unterstützen, die Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. In den Lehrveranstaltungen werden vorgestellt und als download zur internen Ver-wendung zur Verfügung gestellt.

a) Anforderungen an statische Unterlagen von Stahlbauten Richtlinie des DSTV-Ausschusses „Technisches Büro“, 10/2000(DSTV = Deutscher Stahlbau Verband)

b) Ri-EDV-AP-2001Richtlinie für das Aufstellen und Prüfen EDV-unterstützter Standsicherheitsnachweise, Herausgeber ist die BVPI.(BVPI = Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik)

Die DSTV-Richtlinie beschreibt detailliert den Inhalt einer Tragwerksplanung und der zuge-hörigen Positionspläne, ist aber in vielen Punkten durchaus kritik- bzw. ergänzungswürdig. Die Datei zum download wurde entsprechend kommentiert.

Auf die Besonderheiten EDV-basierter Nachweise, heute die absolute Regel, geht die Ri-EDV-AP-2001 im Detail ein. Zentrale Aussage in Bezug auf die Vollständigkeit der Nach-weise ist:

„Der Standsicherheitsnachweis muss unter Einschluss der EDV-Berechnungenund aller sonstigen technischen Unterlagen ein technisch und rechnerisch geschlossenes Ganzes bilden. Es soll dem Standsicherheitsnachweis eine kurze Erläuterung vorangestellt werden.“

Damit bereits klar, dass ein Programmausdruck allein in den seltensten Fällen die Anforde-rungen erfüllen kann. Ohne erläuternde Skizzen und ergänzende Angaben zur Konstrukti-on kann das Unikat „Tragwerk“ durch ein automatisiertes Programm nicht umfassend be-schrieben werden.

Zu den Grundlagen, die in den Programmen „versteckt“ sind, führt die Richtlinie weiter aus:

„Die Programme sind mit Hilfe von Programmkenndaten oder in vergleichbarer Form zu erläutern, wenn deren Grundlagen, Annahmen und Anwendungsgrenzen aus der Niederschrift des Standsicherheitsnachweises nicht zweifelsfrei erkennbarsind. Die Programmdaten sind in deutscher Sprache abzufassen und dem

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Standsicherheitsnachweis beizufügen. … Falls die Angaben nicht ausreichen, muss er Aufsteller Informationen nachreichen.“

Damit wird insbesondere unterstrichen, dass ausschließlich und allein der Aufsteller eines Nachweises für den Inhalt verantwortlich ist, nie der Programmierer. Egal, welche Fehler das Programm hat, der Aufsteller muss die Ergebnisse verifizieren können. Er muss die Berechnungsgänge kennen und darf den PC „nur“ als Hilfsmittel zur Produktionssteige-rung betrachten, nie als Ersatz für Ingenieurwissen. Wer diese Kernaussage beachtet, hat die Chance ein guter Tragwerksplaner zu werden.

1.9.6 Zusammenfassung

Der letzten Abschnitte des vorliegenden 1. Teils des Scriptes befassten sich mit den grundlegenden Definitionen zum Stahlbau, einigen Angaben zu besonderen Bauwerken und zur historischen Entwicklung der Bauweise. Über Regeln für die Ausführung von Stahltragwerken sowie Angaben zu Toleranzen und Anforderungen in Abhängigkeit von vier definierten Ausführungsklassen nach EN 1090-2 wurde kurz berichtet und auf die Norm und die Literatur verwiesen. Abschließend wurden die Anforderungen an Planungsleistungen für Stahlbauten, insbesondere an die Tragwerksplanung beschrieben. Für einen vollständigen Überblick wird das Studium der vollständigen Normentexte und Richtlinien dringend empfohlen.