Kritische_Zeichen_[DNP]

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Frühester Erfinder von kritischen Zeichen war Zenodotos von Ephesos (1. H. 3. Jh. v. Chr.), der den ὀβελός (obelós), einen kurzen horizontalen Strich (-), einführte, mit dem er jene Homerverse markierte, die er athetiert (d. h. als unecht gestrichen) wissen wollte. Dabei handelte es sich nicht einfach um ein technisches Arbeitsinstrument; viel- mehr lag seine Bedeutung darin, daß der Philologe sein eigenes kritisches Urteil ohne drastischen Eingriff in den Text, der Gegenstand seiner Ausgabe (ἔκδοσις, ékdosis) war, zum Ausdruck brachte und somit dem Urteil anderer freien Raum ließ. Einige Jahrzehnte später verfolgte Aristophanes von Byzanz diesen Weg weiter und vervollkommnete die philologische Technik auch durch eine vergrößerte Zahl der benutzten kritischen Zei- chen: Er führte den ἀστερίσκος (asterískos, ※) sowie σίγμα (sígma, Ϲ) und ἀντίσιγμα (antísigma, Ͻ) ein (mit den beiden letztgenannten bezeichnete er zwei aufeinanderfolgen- de Verse gleichen Inhalts). Das System der kritischen Zeichen wurde schließlich von Aristarchos von Samothra- ke perfektioniert, der ihre Zahl noch einmal vergrößerte und ihre Anwendung präzi- sierte und strukturierte; die kritischen Zeichen stellten die Verbindung zwischen der Ausgabe des Homertextes, in dem sie neben dem jeweiligen Vers notiert waren, und dem Kommentar ὑπόμνημα (hypómnēma) sicher, der sie interpretierte. Abgesehen vom traditionellen ὀβελός (für Athetierungsvorschläge) waren für Aristarchos διπλῆ (di- plḗ , >, zur Anzeige verschiedener Erklärungen und gelehrter Anmerkungen) und διπλῆ περιεστιγμένη (diplḗ periestigménē , ⸖, d.h. “punktiert”: zur Anzeige von Meinungs- unterschieden gegenüber Zenodotos) charakteristisch; mit dem ἀστερίσκος (※) mar- kierte er wiederholte Verse (ἀστερίσκος allein an Stellen, wo er sie für passend hielt, ἀστερίσκος mit ὀβελός an Stellen, wo er sie für unpassend hielt und somit ihre Strei- chung empfahl); er benutzte auch ἀντίσιγμα (Verse in verkehrter Reihenfolge), ἀντί- σιγμα περιεστιγμένον (antísigma periestigménon, Ͽ, d. h. “punktiert”, zur Anzeige zweier Verse gleichen Inhalts), στιγμή (stigmḗ , d. h. “Punkt”, anscheinend zur Anzeige eines schwächeren Authentizitätszweifels als ihn der ὀβελός bezeichnete) und vielleicht auch das κεραύνιον (keraúnion, “Zeichen von der Gestalt eines Blitzes”, das etwa so aussah: ).

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The *Aristarchean signs* placed beside lines of Homer..

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  • Frhester Ernder von kritischen Zeichen war Zenodotos von Ephesos (1. H. 3. Jh.v. Chr.), der den (obels), einen kurzen horizontalen Strich (-), einfhrte, mitdem er jene Homerverse markierte, die er athetiert (d. h. als unecht gestrichen) wissenwollte. Dabei handelte es sich nicht einfach um ein technisches Arbeitsinstrument; viel-mehr lag seine Bedeutung darin, da der Philologe sein eigenes kritisches Urteil ohnedrastischen Eingri in den Text, der Gegenstand seiner Ausgabe (, kdosis) war,zumAusdruck brachte und somit demUrteil anderer freien Raum lie. Einige Jahrzehntespter verfolgte Aristophanes von Byzanz diesen Weg weiter und vervollkommnete diephilologische Technik auch durch eine vergrerte Zahl der benutzten kritischen Zei-chen: Er fhrte den (asterskos, ) sowie (sgma, ) und (antsigma, ) ein (mit den beiden letztgenannten bezeichnete er zwei aufeinanderfolgen-de Verse gleichen Inhalts).

    Das System der kritischen Zeichen wurde schlielich von Aristarchos von Samothra-ke perfektioniert, der ihre Zahl noch einmal vergrerte und ihre Anwendung przi-sierte und strukturierte; die kritischen Zeichen stellten die Verbindung zwischen derAusgabe des Homertextes, in dem sie neben dem jeweiligen Vers notiert waren, unddem Kommentar (hypmnma) sicher, der sie interpretierte. Abgesehen vomtraditionellen (fr Athetierungsvorschlge) waren fr Aristarchos (di-pl, >, zur Anzeige verschiedener Erklrungen und gelehrter Anmerkungen) und (dipl periestigmn, , d. h. punktiert: zur Anzeige von Meinungs-unterschieden gegenber Zenodotos) charakteristisch; mit dem () mar-kierte er wiederholte Verse ( allein an Stellen, wo er sie fr passend hielt, mit an Stellen, wo er sie fr unpassend hielt und somit ihre Strei-chung empfahl); er benutzte auch (Verse in verkehrter Reihenfolge), - (antsigma periestigmnon, , d. h. punktiert, zur Anzeigezweier Verse gleichen Inhalts), (stigm, d. h. Punkt, anscheinend zur Anzeigeeines schwcheren Authentizittszweifels als ihn der bezeichnete) und vielleichtauch das (keranion, Zeichen von der Gestalt eines Blitzes, das etwa soaussah: ).