Hanno Von Karthago

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Hanno von Karthago T1 Plin. nat. 6, 200 (= Solin. 56, 12) ... Hanno Poenorum imperator ... (s. F 5b) ... der Feldherr der Punier Hanno ... Arr. Ind. 43, 11 ka Ἄnnwn d Ð Lbuj k KarchdÒnoj Ðr- mhqej ... (s. F 2). Auch der Libyer Hanno, nachdem er aus Karthago aufbrach ... Die folia 55r – 56r des codex Palatinus Heidelbergensis gr. 398 (A Diller, F 1) 1 haben uns ein bemerkenswertes, achtzehn Abschnitte umfassendes Opusculum erhalten, das von seinem Verfasser einem gewissen karthagischen Admiral namens Hanno zugeschrieben wird. Theoretisch handelt es sich um die griechische Fassung eines Periplus entlang der nordwestlichen afrikanischen Küsten, der ursprünglich in punischer Sprache abgefasst und von seinem Autor im Tempel von Baal Moloch in seiner Geburtsstadt nach der Rückkehr von der Expedition hinterlegt wurde. Dennoch hat dieses Werk trotz sei- ner Kürze ein ungewöhnliches Interesse im Kreis der modernen Forschung erweckt: Einige sind immer noch der Meinung, dass wir es mit der verlässlichen griechischen Transkription des einzigen Relikts der punischen Literatur zu tun haben, dessen Inhalt daher als Dokument ersten Ranges für die Kenntnis der Geschichte, Geographie, Eth- nographie, Botanik und Zoologie der beschriebenen Umgebung zu bewerten ist, sowie auch der Kolonial- und Wirtschaftspolitik, die von den Karthagern damals mit Blick auf ihre atlantischen Herrschaftsgebiete ausgeübt wurde; umgekehrt versuchen jedoch die heutzutage immer zahlreicheren Anhänger der sogenannten kritischen Richtung, die genannte communis opinio abzuschwächen, indem sie die These einer angeblich aus- schließlich punischen Vorlage für die uns erhaltene Fassung relativieren und stattdessen das Studium derselben insbesondere im Kontext der griechischen Literatur selbst in den Mittelpunkt stellen; ihnen zufolge rechtfertigen einige Eigenheiten letzterer einen guten Teil der Merkmale und Aussagen des Periplus 2 . Die allmähliche Konfrontation beider Stellungnahmen hat in eine wahre Hanno- Frage gemündet, die bis heute nicht eindeutig gelöst worden ist; neben anderen Pole- miken, wie etwa der um den Fall des Pseudo-Skylax, ist sie zweifellos das wichtigste der 1 Über dieses Ms. aus dem 9. Jh. vgl. Diller 1952, 3-10 und Marcoe 2000, XXf., LXXXVIII-C. Der Text wiederholt sich einzig in den fol. 12r-v des Londiniensis add. MS. 19391, einer Sammlung von zwanzig folia – derzeit im Besitz des British Museum –, die dem codex Vatopedinus 655 B Diller, einer Abschri des Palatinus, die vermutlich ins 14. Jh. zu datieren ist (vgl. Diller, loc. cit., 10-14 y Marcoe, loc. cit., C-CIX), entnommen wurden. Dennoch handelt es bei diesem Ms. wegen der Anhäufung von Fehlern und Ungenauigkeiten um eine sehr defizitäre Kopie, die jeglichen Wertes ür die Einordnung des Textes entbehrt, wie es ja auch i. Allg. ihre Herausgeber zugeben: vgl. etwa Müller, FHG V/1 XVI-XXII, insbesondere XVIII, und Blomqvist 1979, 57. Auch hier ist sie nicht berücksichtigt worden. 2 Hervorragenden Einblick in diese Polemik gewähren unter anderen in letzter Zeit 1999, Bianchei 1989, 235-238, Musso 1989, 955-958, López Pardo 1991, 60-62, Gozalbes Cravioto 1993, 8-13, Jabouil- le 1994, 19-55, Euzennat 1994 und besonders Mederos Martín-Escribano Cobo 2000, 78-83. Vgl. auch Oone 2002, 563-565 und schließlich Roller 2006, 29-43.

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Die Fragmente des Hanno von Karthagogrichisch und deutsch

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  • Hanno von Karthago

    T 1Plin. nat. 6, 200 (= Solin. 56, 12)... Hanno Poenorum imperator ... (s. F 5b) ... der Feldherr der Punier Hanno ...

    Arr. Ind. 43, 11ka nnwn d Lbuj k Karchdnoj r-mhqej ... (s. F 2).

    Auch der Libyer Hanno, nachdem er ausKarthago aufbrach ...

    Die folia 55r 56r des codex Palatinus Heidelbergensis gr. 398 (ADiller, F 1)1 haben unsein bemerkenswertes, achtzehn Abschnitte umfassendes Opusculum erhalten, das vonseinemVerfasser einem gewissen karthagischenAdmiral namens Hanno zugeschriebenwird. Theoretisch handelt es sich um die griechische Fassung eines Periplus entlang dernordwestlichen afrikanischen Ksten, der ursprnglich in punischer Sprache abgefasstund von seinem Autor im Tempel von Baal Moloch in seiner Geburtsstadt nach derRckkehr von der Expedition hinterlegt wurde. Dennoch hat dieses Werk trotz sei-ner Krze ein ungewhnliches Interesse im Kreis der modernen Forschung erweckt:Einige sind immer noch der Meinung, dass wir es mit der verlsslichen griechischenTranskription des einzigen Relikts der punischen Literatur zu tun haben, dessen Inhaltdaher als Dokument ersten Ranges fr die Kenntnis der Geschichte, Geographie, Eth-nographie, Botanik und Zoologie der beschriebenen Umgebung zu bewerten ist, sowieauch der Kolonial- undWirtschaftspolitik, die von den Karthagern damals mit Blick aufihre atlantischen Herrschaftsgebiete ausgebt wurde; umgekehrt versuchen jedoch dieheutzutage immer zahlreicheren Anhnger der sogenannten kritischen Richtung, diegenannte communis opinio abzuschwchen, indem sie die These einer angeblich aus-schlielich punischen Vorlage fr die uns erhaltene Fassung relativieren und stattdessendas Studium derselben insbesondere im Kontext der griechischen Literatur selbst inden Mittelpunkt stellen; ihnen zufolge rechtfertigen einige Eigenheiten letzterer einenguten Teil der Merkmale und Aussagen des Periplus2.

    Die allmhliche Konfrontation beider Stellungnahmen hat in eine wahre Hanno-Frage gemndet, die bis heute nicht eindeutig gelst worden ist; neben anderen Pole-miken, wie etwa der umden Fall des Pseudo-Skylax, ist sie zweifellos daswichtigste der

    1 ber dieses Ms. aus dem 9. Jh. vgl. Diller 1952, 3-10 und Marcoe 2000, XXf., LXXXVIII-C. DerText wiederholt sich einzig in den fol. 12r-v des Londiniensis add. MS. 19391, einer Sammlung vonzwanzig folia derzeit im Besitz des British Museum , die dem codex Vatopedinus 655 B Diller,einer Abschri des Palatinus, die vermutlich ins 14. Jh. zu datieren ist (vgl. Diller, loc. cit., 10-14y Marcoe, loc. cit., C-CIX), entnommen wurden. Dennoch handelt es bei diesem Ms. wegen derAnhufung von Fehlern und Ungenauigkeiten um eine sehr dezitre Kopie, die jeglichen Wertesr die Einordnung des Textes entbehrt, wie es ja auch i. Allg. ihre Herausgeber zugeben: vgl. etwaMller, FHG V/1 XVI-XXII, insbesondere XVIII, und Blomqvist 1979, 57. Auch hier ist sie nichtbercksichtigt worden.

    2 Hervorragenden Einblick in diese Polemik gewhren unter anderen in letzter Zeit 1999, Bianchei1989, 235-238, Musso 1989, 955-958, Lpez Pardo 1991, 60-62, Gozalbes Cravioto 1993, 8-13, Jabouil-le 1994, 19-55, Euzennat 1994 und besondersMederosMartn-Escribano Cobo 2000, 78-83. Vgl. auchOone 2002, 563-565 und schlielich Roller 2006, 29-43.

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    philologischen Probleme, die die Gesamtheit der Periplographie betreffen. Tatschlichist alles, was in Beziehung zu diesem Periplus steht, in gewisser Weise rtselhaft undGegenstand von Kontroversen; selbst die Identitt der Person, der die berlieferungdie Urheberschaft desWerkes zuschreibt, wird nicht davon ausgenommen.Man scheintsich darin einig zu sein, dass dieser Hanno ein Sufet war, d. h. eines der beiden Mitglie-der des hchsten karthagischen Magistrats, die jhrlich aus der Mitte der berhmtestenaristokratischen Familien der Stadt gewhlt wurden. Wenigstens wird als interpretatiograeca besagten Titels eine von vielen Interpretationen, die uns der Verantwortlicheunserer Fassung nahelegt3 fr gewhnlich die Bezeichnung gedeutet, die Hanno inder berschrift derselben verliehen wird (T 3 [= F 1 tit.]), deren lateinische Versionalso die Titel imperator (T 1a [= F 5b]) oder dux (T 2b) wren, die er von Pliniuserhlt. Dennoch trifft man nicht auf dieselbe bereinstimmung, wenn es darum geht,zwischen den verschiedenen homonymen Kandidaten, die uns die Geschichte bietet,den passendsten fr die Rolle unseres Periplographen zu bestimmen.

    Hinsichtlich dieser Streitfrage kommt die entscheidende Auskunft, die als Aus-gangspunkt fr jeden Identifizierungsversuch herangezogen werden muss, von Plinius:Er przisiert, dass die beschriebene Seereise Hannos mit dem Hhepunkt der kartha-gischen Machtentfaltung zusammenfiel und zeitgleich mit der von seinem LandsmannHimilkon unternommenen berhmten Expedition in den Norden Europas vonstatten-ging (T 2a)4. Die unbestreitbare Komplexitt des Problems hat jedoch die Gelehrtendazu gezwungen, den rein hypothetischen Wert ihrer verschiedenen Vorschlge aus-drcklich zu betonen. Aus traditioneller Sicht pflegt man die von unserem Autor ange-fhrte karthagische Expedition grob zwischen dem 7. und 4. Jh. v. Chr. zu datieren5, sodass es schier unmglich erscheint, jeglichen Versuch einer genaueren Datierung undfolglich jedes Bemhen um eine historische Identifizierung des Protagonisten schls-sig zu begrnden. Die wichtigsten Stellungnahmen hierzu lassen sich folgendermaenzusammenfassen: Eine Zahl von Autoren6 neigt dazu, die genannte Unternehmung undihre Aufzeichnung dem Vater Hamilkars, dem punischen Feldherrn, der bei Himera(480 v. Chr.) geschlagen wurde und von dem uns Herodot erzhlt (7, 165)7, zuzu-schreiben, und erachtet daher die Jahre 510-509 v. Chr. als das zutreffende Datum; dieswrde mit dem ersten rmisch-karthagischen Vertrag (509 v. Chr.) bereinstimmen,der die Schlieung der Strae von Gibraltar durch die Karthager und ihr darauffolgen-des Handelsmonopol im westlichen Mittelmeer und an den Atlantikksten implizierte.Die Mehrheit8 neigt jedoch dazu, unseren Hanno nicht mit dem Vater, sondern mitdem namensgleichen Sohn Hamilkars (ca. 490-440 v. Chr.), dem Enkel des Ersterenund Bruder Himilkons und Giskons, wie Iustinus angibt (19, 2), zu identifizieren, undrechtfertigen dieses Seefahrtsabenteuer, das, wie sie meinen, auf ca. 470 v. Chr. zu da-

    3 Vgl. z. B. Komm. F 1 Par. 4, 14, 16f.4 Siehe auerdem Diod. 5, 15, 4.5 Vgl. unter anderen Desanges 1978, 85 n. 292, Villalba i Varneda 1986, 38f. mit einer Bibliographieund Zusammenstellung der verschiedenen Stellungnahmen seit der Renaissance, wie auch Musso1989, 955 n. 3.

    6 Vor allem Kluge in der Ausgabe von 1829, 1-4. Vgl. Schrader 1990, 98, 107.7 Fr Mller GGM I, XXf. wre dieser der wahre Vater Hamilkars und nicht Mago, wie Iust. 19,1, meint; eine Angabe, die seiner Meinung nach Dion. Chrys. 25, 7 besttigt, wenn er sich mitdenselben Worten auf Hanno bezieht wie Iustinus auf Mago. Letztere Aussage hat eine weitereStellungnahme Kluges eingebracht, Komm. ad loc.

    8 Eine hauptschlich von Mller vertretene ese, GGM I, XX-XXII.

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    tieren ist, und Himilkons namhafte Expedition beide, wie Plinius glaubt, zeitgleicheEreignisse (T 2a) als Ausdruck des von den beiden Nachkommen Hamilkars neueingeschlagenen Kurses in Sachen Auenpolitik nach der Niederlage bei Himera; vonnun an richtet sich das Augenmerk auf die Konsolidierung der afrikanischen Herrschaftund auf die Nutzung der verborgenen Handelsrouten des nordwestlichen europischenAtlantiks. Lsst man diese beiden Datierungsvorschlge einmal beiseite, gibt es nocheine dritte Gruppe von Gelehrten, die sich wenn auch mit gewissen Vorbehalten dafr entscheidet, das diskutierte Unterfangen in eine sptere Epoche zu verlegen; siemeinen, dass das wahre Aufblhen Karthagos, auf das Plinius verweist, eher dem Zeit-abschnitt zwischen dem zweiten Vertrag besagterMacht mit Rom (348 v. Chr.) und demersten punischen Krieg (264-241 v. Chr.) entspricht9. Dennoch hat keines der geradedargelegten Argumente gengend berzeugungskraft entwickelt, um die Streitfrage alsbeigelegt betrachten zu knnen. Die schrfsten Gegner einer positivistischen Interpreta-tion unseres Periplus beabsichtigen, seinenWahrheitsgehalt sogar aus der Bezeichnungdes angeblichen Autors selbst zu widerlegen: Bereits Germain10 hlt es fr verdch-tig, dass das Werk einem Hanno, der eines Patronymikons11 entbehrt, zugeschriebenwird in Anbetracht der Gelufigkeit des Namens12 und der angenommenen Wichtig-keit seiner Abstammung erscheint dies ungewhnlich13. Einige Kommentatoren, wieMusso14, meinen daher, dass ein derartiger Name jeglicher historischen Signifikanzermangelt und nicht mehr als ein Synonym fr karthagisch15 ist; eine Bedeutung, mitder der Autor unserer griechischen Version den Namen gebraucht haben muss, umlediglich eine fabelhafte Reise anzuzeigen, wie man anscheinend aus der Bedeutungableiten kann, die spter Athenaios der Wendung nnwnoj plnai (Reisen des Hanno)beilegt, als er einer wahrscheinlich Juba von Mauretanien zuzuschreibenden Mono-graphie romanhaften Zuschnitts ber phantastische Abenteuer diese berschrift gibt(T 7)16. Genauso uert sich Gmez Espelosn17, der Hanno fr einen Topos hlt, derfr einen Griechen mit jeglichem erfahrenen karthagischen Seefahrer gleichbedeutendwar, und urteilt demgem, dass dessen Bezeichnung als Leiter der Expedition nichtmehr als eine von vielen Strategien ist, mittels derer der anonyme Autor der erhaltenenFassung seine Verlsslichkeit zu garantieren vermeint.

    Die Diskussion um die Expedition selbst fllt nicht einfacher aus. Die berwlti-

    9 Dies schlgt Euzennat 1994, 578 vor, dem sodann Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 93f. undHemmerdinger 1997, 51 folgen werden.

    10 Vgl. Germain 1957, 226, 230.11 Ein Mangel, der sogar einigen Vertretern der traditionellen Sichtweise aullt: vgl. z. B. Schrader

    1990, 145.12 Siehe Daebritz 1912, 2353, ein Autor der nicht weniger als 27 homonyme Persnlichkeiten ver-

    zeichnet .13 Aus ebendenselben Grnden sieht Picard 1971, 56 hierin ein klares Zeichen von Authentizitt;

    ihm zufolge war es unter den karthagischen Magistraten Usus, ihre Herkun nicht spezisch zuerlutern.

    14 Vgl. Musso 1989, 959f. mit diesbezglicher Bibliographie.15 Fr Villalba 1936, 91 ist der Name Hanno lediglich ein Unterscheidungsmerkmal innerhalb der

    Militrhierarchie der punischen kriegsmarine. Siehe dazu auerdem Mederos Martn-EscribanoCobo 2000, 85.

    16 Einen guten Einblick in dieses ema liefert Oone 2002, 560-565. Siehe auerdem unten, wasdieses Werk Jubas betri.

    17 Vgl. Gmez Espelosn 1996, 103 y 2000, 149f.

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    gende Mehrheit der Gelehrten setzt diese als ein wahrhaft historisches Faktum voraus,einigt sich jedoch weder auf das Ziel noch den Zweck der Fahrt18. Die Anhnger derpositivistischen Auffassung nehmen im Allgemeinen eine lange Fahrt an; des Weiterenhalten sie es fr plausibel, dass die Flotte es geschafft hatte, einen gewissen Punkt inquatorialafrika19 zwischen Sierra Leone und Gabun zu erreichen, wenn man nichtschon eine tatschliche und vollkommene Umsegelung des Kontinents gelten lassenmchte20. Diese Interpretation baut auf den Untersuchungen von Gsell und Carcopino21

    auf, die whrend der zweiten Hlfte des XX. Jh. groen Nachhall fanden. Beide Au-toren versuchen nachzuweisen, dass die Karthager am Kamerunberg22 vorbeifuhren;dabei verzichten sie weder darauf, die zahlreichen Unstimmigkeiten unseres Textes (F1) durch sehr gewollte Anpassungen seines Inhalts an die geographische WirklichkeitLibyens und mitunter sogar umgekehrt aufzulsen, noch darauf, sich auf kompli-zierte Unregelmigkeiten der Fahrtroute zu berufen, indem sie Fort- und Rckschritteanfhren23; ja sie sind sogar der Meinung, dass die aufgezhlten Ungereimtheiten dasErgebnis einer Strategie des Autors sei, die auf die Verbergung seiner Route vor hypo-thetischen griechischen Handelsrivalen abzielt24. Was die Motive fr die Reise angeht,hat man auf die Kolonisierungsmission Hannos Nachdruck gelegt, die wrtlich zuBeginn unseres Textes genannt wird (F 1 Par. 1: pleij ktzein Libufoinkwn, sieheKomm. ad loc.) und mit der Grndungsttigkeit, die sich im ersten Teil des Werkeswiderspiegelt, bereinstimmt25. Es mag verschiedene Ziele dieser Kolonisierungspo-litik gegeben haben: der neuen und bedrohlichen Macht der Libyphnizier ein Ventilzu schaffen, indem man durch die Bildung neuer Enklaven und die Wiederbevlke-rung der alten tyrischen Siedlungen ihre Ausbreitung an der atlantischen Kste entlanguntersttzte26; oder sich ins Gebiet tyrisch-gaditanischen Einflusses einzuschalten27;oder einfach nach einer Gebietsausdehnung zu suchen, um die landwirtschaftlicheProduktion zu erhhen28 und dem demographischen Druck, unter dem die Metropole

    18 Wichtige Zusammenfassungen zu dieser Frage liefern Lpez Pardo 1991, 60-63, Jabouille 1994, 20-55, Euzennat 1994, 562f., 570 und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 78, 91-93.

    19 Vgl. Daebritz 1912, 2361, Schrader 1990, 108, 145f., Cordano 1992a, 5f., Martn Garca 1992, 80 undJabouille 1994, 57.

    20 Diese Auassung verkrpert die extreme Haltung von Oikonomides 1977, 11f.: Abgesehen vonder Strkung der punischen Kolonien an der nordwestlichen afrikanischen Kste bestand seinerMeinung nach daswirkliche Vorhaben der Reise darin, eine alternative Route auszumachen, die denZugang zu diesen durch das RoteMeer erlaubte, falls die Griechen sich der Kontrolle ber die Straevon Gibraltar ermchtigten. Als Beweis r das Gelingen dieses Unterfangens he das wahreEnde unserer Version gedient, dessen Bericht ber die Rckkehr der Floe via Suezkanal uns nichtberliefert wurde, wenn auch die Parallelversionen von Mela, Plinius und Arrian berzeugenddavon berichten. Vgl. unten und Komm. F 1, Par. 18.

    21 Vgl. Gsell 1913, 472-509 und Carcopino 1943b, 73-163.22 Vgl. Ramin 1974 und 1976a, 792-796. Siehe auerdem Komm. F 1 Par. 17f.23 Siehe dazu Komm. F 1 Par. 4.24 Diese Idee teilt mit Carcopino Vivenza 1980, 109. Vgl. Schrader 1990, 108.25 Vgl. F 1 Par. 2: ktsamen prthn plin... Qumiatrion, Par. 5: katJksamen pleij und Par. 8:

    katJksamen Krnhn. Siehe Komm. ad loc. Zu diesem ema knnen z. B. Schrader 1990, 108 undCordano 1992a, 5f. zu Rate gezogen werden.

    26 Vgl. Kluge, Ausgabe von 1829, 7-9, Movers 1850, 549 und Mller, GGM I, XXII. Siehe auerdemVivenza 1980, 108.

    27 Vgl. Demerliac-Meirat 1983, 92 und Lpez Pardo 1991, 68.28 Vgl. Gozalbes Cravioto 1993, 18.

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    gelitten haben muss29, eine Lsung zu bieten. Niemandem bleibt es aber verborgen,dass das Ziel der Reise in letzter Instanz kommerzieller Natur gewesen sein muss30.Ab Carcopino31 setzte sich die Idee32 durch, dass der Hauptantrieb die Suche nachSeefahrtsalternativen zu den Karawanenrouten war, auf denen das berhmte marok-kanische Gold geliefert wurde,33 oder sogar der direkte Zugriff auf die goldhaltigenMulden am Golf von Guinea. Als weiterer Anreiz kme auch die Kontrolle ber anderemetallhaltige Ressourcen in Frage, die es in jener Gegend zu Genge gab34: Kupfer ausAkjoujt (Mauretanien)35 oder Zinn aus Bauchi (Nigeria)36, obwohl man ebenfalls vondiesen abweichende Ziele vorgeschlagen hat, wie die Suche nach anderen uerst di-versen Rohstoffen (pflanzliche Frbmittel, kostbares Holz, Elfenbein, wilde Tiere oderRauchharz)37, den zum Zweck der Herstellung von garum betriebenen Thunfischfangin den kanarisch-westsaharischen Untiefen und sogar die Rekrutierung dunkelhutiger,aus quatorialafrika stammender Sklaven38.

    Dennoch ist die zur Erreichung derartiger Breitengrade erforderliche technische Lei-stungsfhigkeit eines damaligen karthagischen Schiffes seit Mitte des 20. Jh. ernsthaftin Frage gestellt worden39. Vertreten wird dieser Einwand hauptschlich von Mauny40.Er hlt es fr unwahrscheinlich, dass es imAltertummglich gewesen sei, ber das KapYubi und die Kanarischen Inseln hinauszusegeln allenfalls ber Kap Bojador , undwiderspricht demgem der These einer langen Fahrtroute aus zwei schwerwiegedenGrnden: erstens wegen der unwirtlichen und den Beschaffenheit der Kste sdlichdes Flusses Draa (=Wadi Draa, A.d..), die unmglich die minimalen unentbehrlichenLebensressourcen bot, was wiederum das gnzliche Fehlen (phnizischer, punischeroder rmischer) archologischer Funde jenseits von Mogador erklren wrde (selbstauf der Insel Herne (Ro de Oro) einer der Lieblingskandidatinnen fr die Identifi-zierung der antiken Kerne (siehe unten) , wie Gran Aymerich bewiesen hat41, wurde

    29 Siehe dazu Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 90f. (mit ergnzender Bibliographie).30 Hierauf scheint der deutlich forschungsorientierte Charakter des zweiten Teils unserer griechi-

    schen Version hinzuweisen (siehe unten). Desanges 1999, 23f. und vor allem Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 89-91 fassen die verschiedenen Vorschlge dazu zusammen.

    31 Vgl. Carcopino 1943b, 84, 110, 154.32 Vgl. Jabouille 1994, 14 f., 57.33 Vgl. Vivenza 1980, 105-110. Die Existenz eines Goldhandels zwischen eingeborenen Afrikanern

    und Karthagern ist schon frh belegt: siehe vor allem Hdt. 4, 196, auerdem uk. 6, 34, 2 undschlielich Palaiphat. 31 (F 4). Dennoch ist ihre Relevanz mit soliden Argumenten von Desanges u.a. in Frage gestellt worden. Vgl. dazu Desanges 1999, 23f. (mit Bibliographie). Siehe auch MederosMartn-Escribano Cobo 2000, 90.

    34 Vgl. Martn de Guzmn 1997, 51.35 Vgl. Ramin 1974, 1976a, 802 und 1976b, 35-38, und Schrader 1990, 146.36 Vgl. Ramin 1974, 1976a, 803f. und 1976b, 35-37, und Demerliac-Meirat 1983, 83.37 Siehe dazu Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 90 (mit Bibliographie).38 Siehe zu diesen beiden letzten Hypothesen Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 91 (mit Biblio-

    graphie).39 Siehe auch einebersicht zu diesemema bei Desanges 1999, 20-23 undMederosMartn-Escribano

    Cobo 2000, 82.40 Vgl. vor allem Mauny 1955, 96f., 1960, 1-22, 1970, 79f., 1970b, 98-101 und 1978, 298.41 Vgl. Gran Aymerich 1979, 16f. Desanges 1999, 24-27 gibt einen systematischen Bericht ber die

    Fruchtlosigkeit der sdlich von Marokko ausgehrten archologischen Ausgrabungen whrendder zweiten Hle des 20. Jh., obwohl die Beauragten sich leidenschalich bemht haen. Sieheauerdem Euzennat 1994, 568f. und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 92f.

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    nichts gefunden); und zweitens wegen der ungnstigen Passatwinde (von Norden nachSden), die zuerst die Rckkehr der Flotte von Gabun oder Kamerun nach Senegalund dann von dort nach Marokko vereitelt htten, ganz zu schweigen von der Streckezwischen Kap Blanc und Kap Yubi42. Maunys These wurde sehr bald von Lonis ineinem Artikel zurckgewiesen, der insbesondere im Kreis des Traditionalismus groenNachklang fand43, dessen Vertreter in seinen Schlussfolgerungen den Beweis sahen,der endgltig die technische Durchfhrbarkeit ihrer eigenen Vorschlge verbrgte: mitLonis stimmen im Groen und Ganzen und, wie es scheint, zuflligerweise Blom-qvist44 und insbesondere Picard45 berein. Dessen ungeachtet haben sich die gegenMauny verfochtenen Argumente nicht als stichhaltig und endgltig genug erwiesen,als dass diejenigen, die ihm Glauben schenken, ihre Begrndungsgrundlage gnzlichhtten aufgebenmssen: Sie wrden allenfalls die hypothetische technische Durchfhr-barkeit, die das quatorialziel der hannonischen Expedition voraussetzt, beweisen46;einer Expedition, die gleichzeitig einer solchen Anzahl von Schwierigkeiten unter-worfen war, dass sie als wahrhaft auergewhnlich zu betrachten ist und daher demlogischen Skeptizismus, der einen guten Teil der modernen Kritik wie Desanges47 kennzeichnet, verdchtig erscheint.

    Das Fehlen beweiskrftiger Belege fr die traditionelle Auffassung hat dazu gefhrt,dass sich in letzter Zeit die entgegengesetzte These durchgesetzt hat, das heit dieVerfechtung des uersten Nordwestens der afrikanischen Kstenregion als wahresund einziges Reiseziel der Expedition; diese Ansicht teilen vor allem die Vertreter derderzeit mehrheitlichen kritischen Richtung48. Das ausschlaggebende Detail, das diese

    42 Mauny ergnzt, dass, wenn man die Historizitt der berhmten libyschen Umsegelung durch diekarthagischen Seefahrer auf Gehei des PharaoNecho annehmenwolle (vgl. jngstMederosMartn-Escribano Cobo 2004), man auch akzeptieren msse, dass diese Marokko einzig auf dem Landweg(der Wagenroute) erreichen konnten, nachdem sie ihre Schie an der senegalesischen Kste aufStrand gesetzt haen.

    43 Vgl. Lonis 1978, 148f., 153, 159f., demzufolge die Rckkehr im Sommer und Herbst, wenn dieWind-verhltnisse den Passat aus SW blasen lassen, kein Hindernis he sein sollen. Hinzuzugen wre,dass die karthagischen Seefahrer Kenntnis gewisser technischer Fertigkeiten besaen: den Einsatzdes Steuerruders als Achterstevensteuer, das partielle Zusammenlegen und lngsseitige Drehendes viereckigen Segels, um demWind standzuhalten und Lavierungsmanver durchzuhren usw. all dies zumindest auf mediterranem Gewsser geluge Manahmen unter den Seefahrern derAntike, wie Aristot. (Mech. 851b.) darlegt. Siehe dazu auerdem Casson 1973, 276.

    44 Vgl. Blomqvist 1979, 8-11, 13, der mit Lonis die Idee teilt, dass die Floe mit der Technik des Zick-zackkurses zurckgekehrt sein knnte; dies war seit frhester Zeit im Mielmeer blich und manknnte als Beispiel das technische Geschick, das die Schie der unerschrockenen wikingischenSeefahrer bei der berwindung zahlreicher hnlicher Schwierigkeiten demostrierten, anhren.Schrader 1990, 107f. teilt diese Ansichten ebenfalls.

    45 Vgl. Picard 1971, 57-59 und 1982, 177f. Seiner Meinung nach ergibt es einen Anachronismus, diederzeitige Verdung der befahrenen Kstenstrecke auf die Antike zu extrapolieren, da diese damalseine sehr viel prchtigere Vegetation aufweisen musste. In letzter Instanz knne man, so Picard,die Rckkehr der Expedition ber den Landweg annehmen eine Mglichkeit, die Mauny im Fallder durch den Pharao Necho angeordneten afrikanischen Umsegelung problemlos akzeptiert (sieheoben).

    46 Diese Meinung ist Jabouille 1994, 70f. und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 82, 92f. zu ent-nehmen.

    47 Vgl. Desanges 1978, 40-43 y 1999, 22 (mit einer Zusammenfassung der Argumente und bibliogra-phischem Kommentar).

    48 Vgl. dazu Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 78.

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    Annahme besttigt, ist die Identifizierung des Vorgebirges Soloeis mit dem heutigenKap Spartel49, was die Neubestimmung aller im Periplus genannten karthagischenGrndungen im Umkreis der Strae von Gibraltar zwischen Kap Spartel und dem FlussLixos gestattet50. Im Allgemeinen nimmt man an, dass der geographische Schauplatzder Reise dieKstengebiete des heutigenMarokkowaren. DieseHypothese scheint sichheute vor allem infolge Rebuffats bedeutender, im Laufe der letzten drei Jahrzehnte51

    erschienener Untersuchungen durchgesetzt zu haben; dort wird gezeigt, dass der ersteTeil unseres Textes (F 1 Par. 1-13) grosso modo die geographische Beschaffenheit desFlussbeckens des Sebou im 6. Jh. v. Chr. beschreibt, in dessen Innerem, so der Autor,Kerne als echtes Expeditionsziel angesiedelt werden msse (siehe unten), so dass im Einklang mit Germains y Desanges Ideen (siehe unten) jene traditionellerweisein quatorialafrika lokalisierten Landschaften (F 1 Par. 14-18) als bloe literarischeAusschmckungen spterer Zeit zu verstehen sind, denen man dennoch das Geprgeder vagen Kenntnis, die man damals in Lixos von den sdlichen Kstengebieten habenkonnte, ansieht. Doch die rchologie zeigt, dass die punische Prsenz um einigessdlicher gelegene Punkte erreichte, insbesondere die kleine Insel von Mogador (vorEssaouira), die bereits seit Mitte des 7. Jh. v. Chr. eine phnizische Faktorei war52

    und heute als die am weitesten akzeptierte Entsprechung der umstrittenen Kerne gilt(siehe unten), so dass ein guter Teil der Kritiker Euzennats53 Annahme teilt, dass dieFlotte uerstenfalls das Flusstal des Sous oder auch die Mndung des Draa54 erreichenkonnte. Dennoch neigen einige dazu, die hannonische Expedition auf die KanarischenInseln zu verlegen und versuchen, die in den letzten Abschnitten unseres Textes55

    beschriebenen Orte auf ihnen ausfindig zu machen.Aus einer radikal skeptischen Haltung heraus gehen einige sogar so weit, die tat-

    schliche Existenz der Seereise selbst zu bestreiten. Diese Haltung zu der, unteranderen Grnden, die bermige Diskrepanz bezglich der Identifizierung einer Viel-zahl der bereisten Gegenden beigetragen haben muss (siehe unten) ist schon beiGermain selbst56 erkennbar; nachdem er alle mglichen Beweggrnde fr das karthagi-scheAbenteuer abwgt, gelangt er zu demSchluss, dass das wahre Ziel, nmlich das derKolonisierung, lediglich den politischen Blickwinkel eines Griechenwiderspiegelt: vondiesem aus gesehen kann es fr eine ausgedehnte Seereise keinen logischeren Grundgeben.Und geradewegen der oben aufgezhltenHindernisse besteht auchGmezEspe-losn57 auf dem fiktiven Charakter der Expedition: die technischen Unzulnglichkeitenfr eine beraus komplexe Seefahrt, das Fehlen minimaler archologisch gesicherter

    49 Vgl. unter anderen Lpez Pardo 1991, 63f. und Euzennat 1994, 563. Siehe auerdem Bucciantini2006 und Komm. F 1 Par. 3.

    50 Wie bereits Germain 1957, 246f. vercht. Vgl. unter anderen Ponsich 1967, Lpez Pardo 1991, 64-66,Gozalbes Cravioto 1993, 16-18 und Euzennat 1994, 565-567. Siehe auerdem Komm. F 1 Par. 5.

    51 Vgl. Rebuat 1974, 1976, 1985-1986, 1988a, 85f. und 1988b.52 Vgl. Jodin 1966 und 1967. Siehe auerdem Desanges 1999, 25, Lpez Pardo 1991, Euzennat 1994,

    567 und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 93, alle mit umfangreicher Bibliographie.53 Vgl. Euzennat 1960, 1976-1978 und 1994), 563-578.54 Vgl. beispielsweise Lpez Pardo 1991, 62f. und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 92f.55 Vgl. unter anderen Schmi 1968, 379-383 und 1974 und Gozalbes Cravioto 1993, 13, 19 und siehe

    Komm. F 1 Par. 14. Bezglich dieses emas ziehe man auch Euzennat 1994, 570 n. 22 (mit ausge-whlter umfassender Bibliographie) zu Rate.

    56 Vgl. Germain 1957, 226f.57 Vgl. Gmez Espelosn 1996, 107-109 y 2000, 152-154.

  • 8 Hanno von Karthago

    Anhaltspunkte (noch nicht einmal fr die sechs umstrittenen, zu Anfang gegrndetenKolonien, siehe Komm. F 1 Par. 2 und 5) und die Unbestimmtheit der wirtschaftlichenAntriebskrfte all dies Grnde, die Garca Moreno58 so weit bringen, jeglichen Hin-weis auf die Reise- und Handelsttigkeit mediterraner Vlker der Antike sdlich vonKap Yubi als bloe paradoxographische Nachbildung zu bewerten.

    So gut wie alle Kommentatoren halten die Nachricht fr zutreffend, dass Hannonach seiner Rckkehr nach Karthago im Tempel von Baal Moloch (Kronos fr dieGriechen) eine Inschrift anbrachte, in der er von den Reisedetails Bericht erstattete,wie die berschrift unserer Fassung besagt (n ka nqhken n t to Krnou temneiF 1 Tit. = T 3), die vermutlich eine bersetzung jener ist, wie wir zu Anfang darlegten.Kluge und Mller59 und mit ihnen der grte Teil der Forschung halten es fr eineGewohnheit der hohen karthagischen Magistrate, Denkmler ihrer Ruhmestaten alsWeihegaben aufzustellen60; wie in diesem Fall brachte man die herausragendsten vonihnen der hchsten Gottheit dar. Die Wahrheit der Tatsache wird ihrer Meinung nachsowohl durch den lapidaren Stil der griechischen Fassung als auch durch das Zeugnisanderer antiker Quellen verbrgt, insbesondere durch Aelius Aristides (F 8 [= T 8]), der teilweise in bereinstimmungmitMela und Plinius (FF 5a-b)61 dieselbe Informationwiedergibt, ohne jedoch explizit unseren Admiral zu erwhnen. Nichtsdestowenigerwird die Existenz besagten Dokuments, wenn schon nicht angezweifelt, so doch sogarvon Autoren eines gewissen positivistischen Zuschnitts mindestens nuanciert. So urteiltbeispielsweise Oikonomides62, dass die umstrittene Inschrift, einmal angenommen sieexistierte, sehr viel knapper als unser Text htte sein mssen, da ein guter Teil derdurch diesen vermittelten Information notgedrungen von geheimer Art war und inden von Plinius erwhnten Privatberichten des Admirals aufbewahrt war (TT 2a [=F 7b] y 2b [= FF 3 y 7c])63. Einen hnlichen Ton schlgt in diesem Fall Desangesan64, der darauf besteht, dass es unmglich sei, die wahre Machart der hypothetischenInschrift zu bestimmen, die vielleicht sehr verschieden vom Rest der Dokumente war(man denke an das genannte scriptum und die commentarii des Hanno neben den libriPunici des Knigs Hiempsal), die das heterogene punische Dossier bildeten, auf das inletzter Instanz die diversen hannonischen berlieferungsstrnge zurckgefhrt werdenmssten (siehe unten). Ihm zufolge knnte diese Diskrepanz die hinsichtlich diesesStreitpunktes bestehende Unstimmigkeit zwischen unserem Text und dem, was Pliniuserzhlt (F 5b), begrnden; mit der strittigen Inschrift konfrontiert, erkennt dieser alseinzige Weihegaben der Expedition die Felle der Wilden an (siehe F 1 Par. 18), diebrigens im Tempel der Juno (der punischen Tanit), und nicht in dem des Kronos,hinterlegt worden seien.

    Es mangelt jedoch auch nicht an Kritikern, die es offen ablehnen, die tatschli-

    58 Vgl. Garca Moreno 1989, 240-242.59 Vgl. Kluge, Ausgabe von 1829, 5-7 und Komm. ad loc. wie auch Mller, GGM I, XXIII.60 Kluge zufolge liefert Diod. 11, 26, 2 einen hnlichen Tatsachenbericht. Dieser erinnert auerdem

    an die Neigung Hannibals, sogar zweisprachige punisch-griechische Inschrien anzufertigen, wiePol. 3, 33, 18 und besonders Liv. 28, 46, 16 berichten.

    61 Siehe dazu unten. Vgl. auerdem Komm. F 1 Par. 18.62 Vgl. Oikonomides 1977, 13.63 Siehe auerdem Mela 3, 90 T 5 [= F 7a]). Siehe auch Kluge, Ausgabe von 1829, 5-7 und Casariego

    1947, 19f.64 Vgl. Desanges 1978, 55f., 72, 84.

  • Hanno von Karthago 9

    che Existenz der umstrittenen epigraphischen Weihegabe anzuerkennen, zumindestinsofern, als sie als Originalversion des Periplus verstanden wird. Einige, wie z.B.Rousseaux (demMederos Martn und Escribano Cobo folgen65), schlieen die genann-te Hypothese bedenkenlos aus, da sie F 1 Par. 1 insgesamt fr eine Interpolation halten.Es gibt aber auch solche, die weniger drastische Argumente verfechten. Germain66

    glaubt, dass sich alles auf einen in Karthago selbst erzeugten Topos reduzieren lsst,den einige Griechen verbreiteten, die sich von den Nachrichten ber die sagenhafteKolonisierungsexpedition beeindruckt sahen, die vor betrchtlicher Zeit von einemgewissen Hanno in Angriff genommen worden war und von der sie unter anderenErinnerungsstcken eine Gedenkinschrift herumzeigten, die keinesfalls die uns heutebekannten Details htte wiedergeben knnen, da es unlogisch erscheint, geheime Han-delsrouten bekannt zu geben und es fr diese Art von offiziellem Dokument untypischist, die Beschwerlichkeiten (etwa die ngste der Schiffsbesatzung, siehe F 1 Par. 14 und16) und das Scheitern, das eine Reise ohne Beutegut mit sich bringt (siehe F 1 Par. 18),ans Tageslicht zu bringen; dem fgt er hinzu, dass die berschriften in der handschrift-lichen berlieferung geflscht und spter verfasst zu sein pflegen (siehe app. crit.),und dass jedenfalls die bersetzungshypothese keinen untersttzenden Text fr sich inAnschlag bringen kann67. Garca Moreno68 fhrt ergnzend an, dass die Berufung aufdie vollkommen unbekannte punische Literatur bei der Behandlung des afrikanischenNordwestens eines der am hufigsten gebrauchten Beglaubigungsverfahren unter grie-chischen Paradoxographen und Mythographen ist (z.B. Juba [vgl. BNJ 275 F 38b],siehe unten); hinzu kommt die verdchtige formale hnlichkeit der Titelberschriftder Heidelberger Version (F 1) mit den griechischen Texten der Beschlussfassung. Unddieselbe Haltung nimmt Gmez Espelosn69 ein, der auf die von Germain dargelegtenGrnde Nachdruck legt und die Nachricht ber die punische Originalinschrift als bloeBelegstrategie betrachtet, auf die sich der anonyme Autor aus hellenistischer Zeit be-rufen habe, um einem an sich faszinierenden Bericht Glaubwrdigkeit zu verleihen,zumal in dieser Zeit der eigentliche Prozess der bersetzungen vomFremdsprachlichenins Griechische in Gang kommt70.

    Wie dem auch sein mag Fakt ist jedenfalls, dass sich in der griechich-lateinischenLiteratur neben dem Heidelberger Text eine nicht zu verachtende Zahl von Anspielun-gen auf die auerordentliche Ruhmestat, in der der namhafte karthagische Admiral denHauptpart spielt, erhalten71. Die herkmmlicherweise als lter eingestuften Hinweisesind jedoch nicht gegen Schwierigkeiten gefeit. Der erste, Palaiphatos (F 4) zu verdan-

    65 Vgl. Rousseaux 1949, 190f. und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 84. Siehe Komm. F 1 Par. 2.66 Vgl. Germain 1957, 215, 229, 236f.67 Germain gem 1957, 206 n. 4 muss der Ausdruck , mit dem der Kopist aus Hei-

    delberg die berschri abschliet und zum eigentlichen Text berleitet (siehe app. crit.), durchausnicht als Beweis dar gelesenwerden, dass er einewrtliche bersetzung des punischen Epigraphseinleitet, wie man seit Gsell 1913, 472, 476 gewhnlich annimmt. Selbst wenn es besagtes Doku-ment gegeben hat, gibt es keinen Grund, der verbieten wrde, den Periplus als Zusammenfassungoder Paraphrase sta als bersetzung desselben zu begreifen.

    68 Vgl. Garca Moreno 1989, 248f.69 Vgl. Gmez Espelosn 1996, 102f. und 2000, 147-150.70 Man entsinne sich der Parallellle von Antonius Diogenes, Dionysios Skytobrachion, Philon von

    Byblos, Philostratos sowie von Dares und Dictys.71 Praktisch alle Texte wurden von Desanges 1978, 397-403 zusammengestellt und herausgegeben.

    Vgl. dazu auerdem z. B. Germain 1957, 232-235 und Blomqvist 1979, 52-54.

  • 10 Hanno von Karthago

    ken, macht sich sogar einer Korruptel verdchtig, die ausgerechnet den Namen Hannobetrifft, der vom Autor seltsamerweise einem Fluss verliehen wird. Der zweite, durchden pseudo-aristotelischen Autor der Mirabilia (F 6) berliefert, ist andererseits einzutreffender Hinweis auf das von unserem Periplographen beschriebene feurige Gebiet(F 1 Par. 13-16), welches hier jedoch irrtmlich und unter Einfluss von Ephoros in derNhe der Strae von Gibraltar angesiedelt wird72. Dem muss man hinzufgen, dassdie Datierung beider Werke uerst problematisch ist: dasjenige des Palaiphatos, vonInterpolationen berst, kann zwischen Ende des 4. und Mitte des 2. Jh. v. Chr. datiertwerden73, und hnliches kann man hinsichtlich des Pseudo-Aristoteles behaupten, des-sen paradoxographische Schrift in Wirklichkeit eine mehrschichtige Kompilation ist,die Materialien vereinigt, die zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und mindestens der Zeitder Antoninischen Dynastie anzusiedeln sind74. Abgesehen von diesen Autoren mussauch Augustus Zeitgenosse Juba von Mauretanien Kenntnis des Abenteuers besessenhaben; wie wir schon oben sagten, hat er mglicherweise ein von diesem inspiriertesromanhaftesWerk verfasst, das Athenaios als berlieferungsquelle nach zu urteilen die berschrift (Reisen de Hanno [T 7])75 trug. Die sichersten und ausfhrlichsten Hinweise werden jeoch in den nchsten Jahrzehnten von Pomponius Mela und Pliniusdem lteren gegeben. Der erste beruft sich bei zwei Gelegenheiten auf Hannos Reise:einmal als Nachweis dafr, dass der afrikanische Kontinent auch auf der Sdseite vonMeer umgeben ist (F 7a [= T 5]), und ein weiteres Mal ausfhrlicher, um die von ihmin eben jenen Breitengraden lokalisierten zahlreichen Paradoxa zu beglaubigen (F 5a).Zweifellos ist jedoch Plinius der Autor, der sich am weitlufigsten in Nachrichten berunseren Periplographen ergangen hat, den er, abgesehen davon, dass er ihn ohne zuzgern in seinen Autorittenkatalog aufnimmt (T 6), bei drei Gelegenheiten ausdrck-lich erwhnt: erstens, um die Auskunft zu erteilen, dass seine Expedition den uerstenOsten des libyschen Kontinents als Endziel hatte (T 2a [= F 7b], siehe dazu unten),dann, um an den fabelhaften Charakter seiner Schriften zu erinnern (T 2b [= FF 3 y7c]), und zuletzt als Garanten fr die Existenz der sagenumwobenen Gorgaden-Inseln(F 5b [= T 1a]). Dennoch hlt man es fr ausgemacht76, dass wenigstens zwei weiterePassagen des Naturforschers hannonisch inspiriert sind: jene, in der er sich auf die Feu-erstrme in unmittelbarer Nhe des Hesperusberges und des Theon Ochema bezieht (F9a), und jene andere, in der er neben dem bereits Erwhnten die geo-ethnographischenDetails der Fahrtstrecke zwischen den beiden Hgeln im Sden Afrikas beschreibt (F9b). Nach Plinius interessiert sich dann Arrian (F2) wieder fr die Ruhmestaten des

    72 Vgl. dazu Desanges 1978, 48f.73 Nach Festa 1896, 1902, dessen Ideen heutzutage r die communis opinio stehen (siehe eine zu-

    sammengefasste Darstellung dieses emas in Sanz Morales 1999 und 2002 195197), ist besagterAutor ein Peripatetiker von Paros und persnlicher Schler des Aristoteles, obwohl er einrumt,dass sein Werk verschiedene, spter anzusetzende und mitunter sogar byzantinische Interpolatio-nen aufweist. Im Gegensatz zu Festa identiziert Wipprecht 1892, 4565 Palaiphatos mit dem vonDemetrios von Skepsis zitierten gyptischen Grammatiker, der dementsprechend um die Mie des2. Jh. v. Chr. zu datieren wre, ohne dass diese Hypothese das Problem der Interpolationen lsenwrde. Dies entspricht auch der Ansicht, die Desanges 1978, 47f., 66 vorzugsweise wenn auchmit groer Vorsicht teilt.

    74 Vgl. dazu unter anderen Desanges 1978, 48f. und Gmez Espelosn 1996, 199-202 (mit Bibliogra-phie).

    75 Siehe zu diesem Werk Desanges 1978, 60-62.76 Vgl. beispielsweise Desanges 1978, 46, 52, 400f.

  • Hanno von Karthago 11

    unerschrockenenKarthagers; im arabischen Exkurs, der seiner Abhandlung ber Indienals Kolophon dient, bezieht er sich in einem gewiss sonderbaren und mglicherweisevon Korruptelen verdorbenen Text77 auf die an der sdafrikanischen Kste entlang er-littenen Beschwerlichkeiten der Flotte, die sich sehr wahrscheinlich bis zur Ankunft amuersten stlichen Ufer in der Nhe des Roten Meeres fortsetzen (siehe dazu unten).Und obwohl er Hannos Namen verschweigt, besteht kein Zweifel daran, dass AeliusAristides sich in der Passage seines oben erluterten gyptischen Diskurses (F 8 [= T8]) ebenfalls auf ihn beruft, wo er den punischen Admirlen bestimmte Gewohnheitenzuschreibt, die deutlich denen unseres Periplographen nach der Heidelberger Fassunggleichen78. In der Sptantike erwhnt schlielich auch Marcianus von Herakleia Hanno(T 4) und nimmt ihn in sein berhmtes Verzeichnis von Periplographen auf.

    Obwohl die erhaltenen Zeugnisse zweifellos sprlich gest sind, erweist sich dievergleichende Untersuchung derselben als recht aufschlussreich, da sie den Bezie-hungsgrad zwischen ihnen sichtbare macht; das heit, ihre gegenseitige Abhngigkeitoder Selbstndigkeit ein Faktor ersten Ranges, sobald es darum geht, weitere Schlsseber die Beschaffenheit unseres Werkes zu ziehen. Die zwischen ihnen bestehendenbereinstimmungen, und zwar insbesondere zwischen demHeidelberger Text und demRest der verschiedenen Verweise (FF 2-9), sind natrlich offenkundig und zahlreich.Das wirklich Auffllige in diesem Fall sind jedoch nicht die zu erwartenden hn-lichkeiten, sondern das Gegenteil: nmlich die Abweichungen, die zahlreicher als diebereinstimmungen sind, so sehr man sie auch imAllgemeinen von traditionalistischerSeite aus hat bergehen wollen. Doch wie wir sehen werden, fhrt jeglicher Versuch,das komplizierte Problemder literarischenberlieferung vonHannosReise zu erhellen,unvermeidlich ber jene nicht immer gebhrend bercksichtigten Divergenzen.

    Wir erwhnten bereits, dass die berschrift der uns vorliegenden Fassung (F 1 tit.[= T 3]) dem Karthager den Titel basilej verleiht, whrend Plinius seinerseits vonihm als dux (T 2b) oder imperator (T 1a) spricht und Aelius Aristides ihn anscheinendals gemn (T 8) bezeichnet und dass auch der Heidelberger Text den Anspruch erhebt,die griechische bersetzung einer punischen Originalinschrift zu sein, eine Angabe,fr die angeblich Aelius Aristides brgt, whrend Plinius fr seinen Teil andeutet, einscriptum (T 2a) und/oder einige commentarii (T 2b) unseres Periplographen benutzt zuhaben, wie ebenfalls Mela zu besttigen scheint (T 5). Doch die zwischen der restlichenberlieferung und dem erhaltenen Text bestehenden Anomalien betreffen nicht nur diein der in ihrer Authentizitt zweifelhaften berschrift enthaltene Information,sondern auch eine gute Anzahl der Nachrichten, die der eigentliche erzhlerische Teilabhandelt (F 1 Par. 1-18). Eine nicht allzu pedantische Lektre dieses Teils gestattet es,wenigstens folgende Unstimmigkeiten aufzudecken, die wir, dem Faden der Erzhlungfolgend, aufzhlen mchten79.

    Die der Expedition zugrunde liegende Kolonisierungsmission und Stdtegrndung(F 1 Par. 1-5) wird bei Plinius wieder aufgegriffen (F 3), whrend Mela nichts dar-ber berichtet. Bei Palaiphatos (F 4) ist Kerne keine punische Siedlung (F 1 Par. 8und 10), sondern ihre Einwohner sind thiopier. Der von unserem Autor beschriebene

    77 Siehe dazu Desanges 1978, 68-72.78 Desanges 1978, 66-68 hebt hervor, dass der Redner vielleicht durch die uns vorliegende Fassung F

    1 Zugang zu den hannonischen Nachrichten hae. Siehe dazu das ber diesen berlieferer obenGesagte.

    79 Siehe zu diesem ema Desanges 1978, 46-72.

  • 12 Hanno von Karthago

    feurige Landstrich zwischen Hesperu Keras und Notu Keras (F 1 Par. 13-16) wird vonPseudo-Aristoteles, wie wir sahen (F 6), in der Umgebung der Strae von Gibraltarlokalisiert. Whrend die erhaltene Fassung eine gegen den Uhrzeigersinn erfolgendeUmsegelung Afrikas beschreibt, veranschaulichen Mela und Plinius den entgegenge-setzten Kurs, wie man unter anderen Grnden aus dem umgekehrten Verlauf (vonOsten nach Westen) der Strecke zwischen Hesperu Keras und Theon Ochema (F 1Par. 14-16) schlieen kann, die Letzterer liefert (F 9b). Wenn man annimmt, dass diefr den von der wunderbaren, Hesperu Keras gegenberliegenden Insel stammendennchtlichen rituellen Lrm (F 1 Par. 14) verantwortlichen Eingeborenen ein Abbild dersagenhaften Aigipane und Satyrn sind80, dann erscheint es widersprchlich, dass Mela(F 5a) besagtes Paradoxon in einer inneren Ebene zwischen jenem Kap und TheonOchema ansiedelt, und diese Ebene durch dieselben dicht belaubten Hgel, die Pliniusseinerseits (F 9b) neben Hesperu Keras ansiedelt und als Schauplatz der mrchenhaf-ten Begebenheit81 betrachtet, vom Meer getrennt ist, whrend der Heidelberger Autordiese Hgel als genau nrdlich von diesem Gebirge liegend beschreibt (F 1 Par. 12).Dem ist hinzuzufgen, dass die Entfernung einer viertgigen Fahrt zwischen Hespe-ru Keras und Theon Ochema (F 1 Par. 16) dieselbe, die Plinius angibt (F 9b) von Mela nicht erwhnt wird. Es gibt diesbezglich jedoch keine aufschlussreichereTextstelle, als diejenige, die den strittigen Fang der wilden Tierweibchen erzhlt (F1 Par. 18)82: Wenn unser Autor und Mela (F 5a) diese Wesen auf einer anonymen,im uersten Sdosten Afrikas befindlichen Insel ansiedeln, lokalisiert Plinius sie (F5b) auf den sogenannten Gorgaden, die die Grenze zum Horn des Westens (HesperuKeras) bilden; zottige Wilde mit weiblicher Vorherrschaft (eine Angabe, die Pliniusbergeht undMela in die Version einer ausschlielich weiblichen Gemeinschaft mit derFhigkeit der Autogenese verwandelt), die den umstrittenen Namen Gorillas erhalten(jedoch Gorgonen oder Gorgaden bei Plinius und ohne Bezeichnung bei Mela, siehedazu unten), und deren Mnnchen es gelang zu fliehen (wie auch bei Plinius, whrendes bei Mela diese berhaupt nicht gibt). Doch drei ihrer Weibchen (zwei nach Pliniusund eine unbestimmte Anzahl bei Mela) wurde das Fell abgezogen und nach Karthagobefrdert (wo sie Plinius gem im Tempel der Juno ausgestellt wurden; Mela geht aufdas Detail berhaupt nicht ein). Auerdem hlt auch Mela (F 7a), wie der HeidelbergerText (F 1 Par. 18), den Mangel an Lebensmitteln fr den Grund, der der Expedition einEnde setzte, whrend Arrian (F 2) den Wassermangel und die Lavaflsse anfhrt undPlinius sich anstelle einer Antwort lediglich in Schweigen hllt. Schlielich hatten wirbereits die allzu auffllige Eigenart des arrianischen Textes vorausgeschickt, der, unteranderen Anomalien, unumwunden die Strae von Gibraltar und nicht das VorgebirgeSoloeis (F 1 Par. 3f.) als den Wendepunkt der libyschen Kste in Richtung Sdostenerachtet und die Entfernungen bertreibt: fnfunddreiig Tage allein von den Sulen

    80 Vgl. zu diesem ema den Komm. ad loc.81 Die von Plinius in nat. 5, 7 beschriebene Lokalisierung dieser sagenhaen Vlker in der Atlasregion

    muss nicht als Widerspruch gegen diese Textstelle aufgefasst werden, wenn man bedenkt, dass dervon Juba beeinusste Naturforscher die Daten, die an ein Kap Hesperu Keras gebunden waren,dessen Existenz der Knig Mauretaniens leugnete, auf den Atlas zu bertragen pegt. Siehe dazuDesanges 1978, 60f.

    82 Fr einen vollstndigen Kommentar dieser Passage, der die im Vergleich mit Mela und Pliniusbestehenden hnlichkeiten und Abweichungen unseres Textes erschpfend behandelt, siehe Gon-zlez Ponce 2003-2007 [2010].

  • Hanno von Karthago 13

    bis zum neuen und definitiven Kurswechsel (bei Hesperu Keras?83), whrend unser Textzweiunddreiig einhalb fr die Gesamtheit der Strecke zhlt, die die Flotte zurcklegt84.

    In Anbetracht dessen, was wir gerade dargelegt haben, ergibt sich unschwer, dassdie eigentliche Aufgabe der philologischen Untersuchung dieser hannonischen Remi-niszenzen keine andere sein kann, als die Rolle zu przisieren, die die einzige erhalteneFassung (F 1) in der Gesamtheit der Zeugnisse einnimmt. Das Thema ist entscheidend:Wie wir in der Folge sehen werden, wird die Haltung, die diesbezglich vertreten wird,den Rang eines Schnittmusters fr die Ausarbeitung der zwei Theorien einnehmen, diesich als Beispiel par excellence fr den eigentmlichen Zwiespalt, der die Hanno-Frage bestimmt in der hartnckigen Debatte ber die Auslegung unseres Werkes denRang streitig machen.

    Eines der augenflligsten Merkmale, die die Anhnger der traditionellen Analyseteilen, besteht darin, die dokumentarische Beweiskraft der Erzhlung zu berschtzen,die der codex Heidelbergensis tradiert. Aus dieser Perspektive glaubt man, wie wir zuAnfang feststellten, in der vorliegenden Version das quivalent zum offiziellen Berichtdes Admirals zu sehen und zwar dergestalt, dass das Problem des zwischen diesemText und dem Rest der ber die Jahrhunderte erfolgten hannonischen Berichterstat-tung bestehenden Verhltnisses im Allgemeinen einseitig gelst wird: Trotz der vorhinvorgetragenen eklatanten Divergenzen denen man nur selten Beachtung schenkt hlt man unseren Periplus fr die einzige legitimierte Niederschrift der Unternehmung,von der demnach alle anderen Hinweise auf dieselbe auszugehen haben. Der Restder berlieferer msse also Zugang zu dieser exklusiven Informationsquelle ber dasReisewesen in der griechisch-lateinischen Welt gehabt haben; daher biete ihre Chrono-logie einen sicheren terminus ante quem, wenn es darum geht, das Abfassungsdatumfr diesen einzigen vollstndigen Text zu bestimmen. Als treue Anhnger dieser An-sicht ergehen sich denn auch die Vertreter der communis opinio in der Entwicklungvon Hypothesen, die zur Erluterung unseres Werkes dienen, wobei mehr oder we-niger alle in der Frhdatierung (niemals nach dem 4. Jh. v. Chr.) bereinstimmen.Nur ein nebenschliches Detail gestattet es vielleicht, eine winzige Diskrepanz in deneinheitlichen Reihen des Positivismus auszumachen: Auch wenn die Mehrheit sichfr eine hundertprozentige Treue des erhaltenen Textes im Verhltnis zum punischenAusgangsdokument ausspricht, ben einige Kommentatoren mehr Zruckhaltung undgeben zu, dass verschiedene Modelle und bestimmte sptere berarbeitungen nichtauszuschlieen sind.

    Der Glaube an die durchgngige Wahrhaftigkeit unseres Periplus lsst sich bis zuden ersten Kommentatoren der Renaissance zurckverfolgen85. In spterer Zeit tei-len ihn Ocampo und Mariana86, sodann Ramusio, Bochart (nach dessen Ansicht diehannonische Toponymie auf griechischen Lehnbersetzungen phnizischer Bezeich-nungen beruht) und Vossius (der besagtes Werk sogar frher als Homer datiert)87. DenRitterschlag erhielt besagte These jedoch durch Montesquieu88, dessen Autoritt die

    83 Vgl. zu dieser Frage Desanges 1978, 69.84 Nach Mller GGM I, XXV hchstens einundnfzig einhalb.85 Hierzu mag man Mund-Dopchie 1995 zu Rate ziehen.86 Vgl. Ocampo 15532 und Mariana 1592, Kap. 21f.87 Vgl. Ramusio 15542, 121-124, Bochart 1646, I Kap. 37, 710-715 und Vossius 1658, 208 II 7, 305. 3,

    9f.88 Vgl. Montesquieu 1748, XXI Kap. 8. Siehe dazu Musso 1989, 956f.

  • 14 Hanno von Karthago

    bereits damals angezweifelte Redlichkeit unseres Periplographen (siehe unten) bekrf-tigte. Mit ihm stimmen praktisch alle anderen Kommentatoren des 18. Jh. berein,Campomanes89 eingeschlossen, wie auch der grte Teil der Kritik des neunzehntenJahrhunderts vor Mllers Edition; hervorzuheben sind hier die Herausgeber Bredow1802, Hug 1808 (der die Meinung teilt, dass Semitismen ihre Spur in unserem Texthinterlassen haben), Gail 182690 und Cory 183291, und schlielich Gelehrte vom For-mat eines Movers92. Nach Montesquieu hat die Verffentlichung des ersten Bandes vonMllers GGM im Jahr 1855 nicht nur eine heute nahezu als Standardversion bewerteteFassung des hannonischen Textes besiegelt, sondern auch die endgltige Besttigungder genuin punischen Herkunft unseres Textes geboten. NachMller93 haben wir es mitder echten Reproduktion der ursprnglichen Votivinschrift zu tun, die in spterer Zeitaufgrund eines nicht klar definierten berlieferungsprozesses von einem Geographenins Griechische bertragen worden sei. Fr die Identifizierung des bersetzers schlgter einen der folgenden zwei Periplographen vor: Ophellas von Kyrene (ca. 322-308v. Chr.) oder Charon von Karthago (3. Jh.-146 v. Chr.?)94, beides recht unbekannte Au-toren, weshalb unser Werk zu jener Zeit unbeachtet blieb, bis es den nach Rarittengierenden byzantinischen Philologen, die fr das HeidelbergerMs. verantwortlich sind,die Schrift ans Licht zu bringen gelungen sei. Dies wrde die zahlreichen Unstimmig-keiten zwischen der genannten Version und den brigen hannonischen Nachrichtenerklren, die wiederum den von Plinius zitierten commentarii des Admirals entstam-men, die dem offiziellen epigraphischen Bericht kaum gleichen. Auerdem hat nochin den spteren Jahrzehnten jenes Jahrhunderts eine ganze Legion von Anhngern,unter die Vivien de Saint-Martin, Bunbury, Meltzer, Tozer oder Illing95 gezhlt werdenmssen, Mllers Ideen ohneWeiteres oder hchstens leicht abgewandelt bernommen.

    Die hunderprozentige Authentizitt unseres Periplus wird in der ersten Hlfte desvergangenen Jahrhunderts noch kaum angezweifelt. Als Beispielfall dieser berzeu-gung kann man die Ideen von Daebritz anfhren: Sein in der RE erschienener be-rhmter Aufsatz ber unseren Autor verbreitet die damals gelufigsten Meinungenber die betreffende Fragestellung weiter. Ihm zufolge96 soll die ursprngliche Voti-vinschrift zu Anfang des 4. Jh. v. Chr. ins Griechische bersetzt worden sein, dabeiseien alle Eigennamen hellenisiert worden. Nichtsdestoweniger verberge die zustan-de gekommene Version, ohne sich der Fabel oder der Mythologie zu verschreiben,weder die Einfachheit noch den natrlichen Ton, die fr die wahrheitsgeme Erzh-lung eines redlichen Forschers kennzeichnend sind, der ohne Umschweife bei seinerHeimkehr Rede und Antwort steht. Dessen Bericht sei als einziger fr die restlichenZeugnisse des Abenteuers verantwortlich, selbst wenn diese zuweilen aufgrund reinerKontingenzen der berlieferungsgeschichte oder der ausschlielichen Unfhigkeit derberliefernden Autoren selbst von ihm abweichen. Grosso modo stimmen unter ande-

    89 Vgl. Bd. II, 1-114 im Prolog und Komm. seiner Ausgabe von 1756.90 Vgl. 67-105, 113-120.91 Vgl. 203-208.92 Vgl. Movers 1850, 521-554.93 Vgl. Mller, GGM I, XVIII, XXIII-XXX.94 Vgl. dazu Gonzlez Ponce 1997, 153f., 156, 161, 166 und 2004, 65-67.95 Vgl. Vivien de Saint-Martin 1863, 326-424, Bunbury 1879, I, 318-331, Meltzer 1879, 229-248, 505-507,

    Tozer 1897, 104-109 und Illing 1899.96 Vgl. Daebritz 1912, RE, 2361f.

  • Hanno von Karthago 15

    ren Kommentatoren mit dem Renommee eines Berger, Gsell, Hennig, Carcopino (derjedoch unsere Textvorlage fr ein implizites Tuschungsmanver hlt, dazu ersonnen,knftige Leser als hypothetische Handelsrivalen bewusst in die Irre zu fhren, und inderen Meinungsverschiedenheiten genau den Erfolg seiner Verwirrungsstrategie sieht)oder Thompson97 mit ihm berein, wenn man Herausgeber wie Schoff 1912-1913,Harris 1928 oder Kaeppel 1936 einmal beiseite lsst.

    Seitdem sind die Reihen des Positivismus bis auf unsere Tage stetig angewach-sen. Noch bis vor Kurzem hat es solche gegeben, die sich immer noch bedingungslosan die communis opinio geklammert haben, die von ihren hervorragendsten Vorgn-gern gutgeheien wurde (Cordano, Daz del Ro98). Nach wie vor schenkt man demepigraphischen und punischen Ursprung der uns vorliegenden Fassung Glauben (DelTurco99 undGautier, obwohl dieser, wie Carcopino, die ursprngliche Inschrift als bloePropaganda fr eine irreale Reise abstempelt100). Wie es vorher Bochart, Hug (sieheoben) und Kluge (siehe unten) hielten, beharrt man sogar weiterhin auf der Existenzerkennbarer Spuren der karthagischen Abfassung (Segert101). Man hlt an der Frhda-tierung (4. oder 3. Jh. v. Chr.) fr die griechische bersetzung besagten Dokuments fest(Peretti102). Die Idee der langen Reisestrecke und einer Rckkehr, die irgendwo zwi-schen Sierra Leone und Gabun (Demerliac-Meirat103) oder sogar auf dem KanarischenArchipel (Schmitt104) angesiedelt wird, besteht fort. Und man pflegt wie zuvor Car-copino105 nicht daran zu zweifeln, dass der ursprngliche Autor das Modell unseresPeriplus als Vorsichtsmanahme entstellt haben muss, um seine Geheimnisse vor denneugierigen Augen der griechischen Rivalen zu bewahren (Snac, Warmington, Finzi,Vivenza106). Die traditionellen Thesen gedeihen jedoch innerhalb einer immer schwie-rigeren wissenschaftlichen Debatte nicht mehr ungestrt. Vielmehr mssen sie, wie wirsehen werden, mit einer kritischen Stellungnahme konkurrieren, die durch die beinahedefinitive Sicherstellung der kurzen Fahrtstrecke, die zu Anfang der fnfziger Jahrevorgenommen wurde (siehe oben)107, gut gesttzt und motiviert wird. Infolgedessenmacht sich bei ihren letzten Anhngern (seit Casariego108) eine grere Besonnenheitund Vorsicht bei der Verteidigung ihrer Postulate bemerkbar109. So besteht man jetztnicht mehr so sehr auf der unmittelbaren punischen Herkunft des erhaltenen Textes dessen Vorlage nicht mehr ausschlielich die Votivinschrift sein muss: jede weitere Artvon mndlichem oder schriftlichem Bericht kme in Frage , sondern vielmehr auf derFlle von Fehlgriffen undVerschnerungen, die dem spteren griechischenAutor zuge-

    97 Vgl. Berger 19032, 399-401, Gsell 1913, 468-523, Hennig 1927 und 19442, 86-95, Carcopino 1943a und1943b, 73-163, 305f. sowie omson 1948, 73-76, 400.

    98 Vgl. Cordano 1992a, 11 und 1992b, 33-35 sowie Daz del Ro 2004.99 In seiner Ausgabe von 1958.100 Vgl. Gautier 1952, 44.101 Vgl. Segert 1969, 518.102 Vgl. Perei 1979, 51-54.103 Vgl. Demerliac-Meirat 1983.104 Vgl. Schmi 1968, 379-383 y 1974.105 Vgl. Carcopino 1943b, 97.106 Vgl. Snac 1966, Warmington 1969, 89, Finzi 1979, 71 und Vivenza 1980, 109.107 Siehe dazu Rousseaux 1949.108 Vgl. Casariego 1947, 11, 19-21.109 Vgl. zu demema Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 78.

  • 16 Hanno von Karthago

    schrieben werden knnen (Carpenter, Ramin, Garzn Daz, Bianchetti, Martn Garca,Gozalbes Cravioto, Jabouille110, Letzterer sehr der Linie gem, die anderthalb Jahr-hunderte frher von Kluge vertreten wurde111). Diese Eingriffe vermgen zwar nicht,die ursprnglichen Textmerkmale gnzlich auszulschen, legen aber Zeugnis davon ab,wie ein zutiefst sonderbares Informationsdossier sich allmhlich den kulturellen und li-terarischen Modellen hellenistischer Zeit angepasst hat. Dieselbe Dosis Zurckhaltunglsst sich bei dem khnsten und einflussreichsten Gefolgsmann des Traditiona-lismus in letzter Zeit beobachten: Gemeint ist Blomqvist (mit dem teilweise Lipiskiund Huss bereinstimmen, und dem Schepens und praktisch wortwrtlich Schraderfolgen112). Nach dem schwedischen Forscher113 lsst sich der erhaltene Periplus auf einverlssliches Dokument zurckfhren: auf die punische Inschrift mitsamt dem Rest derOriginalnotizen ber die Reise, deren anonyme bersetzung oder berarbeitung dieLeistung eines Griechen war (womit folglich jeglicher von Bochart bis Segert ange-nommene Semitismus verschwinden wrde), der es in ehrlicher Absicht verfasst hat(ohne sich im Mindesten der Fabel oder Sage zu verschreiben), welche noch nicht ein-mal durch dieMenge von Textanomalien, die durch dieWechselflle einer verworrenenberlieferungsgeschichte zustande gekommen sind, verdunkelt wird. Andererseits fgter aber hinzu, dass unsere Fassung wie man aus inhaltlichen und grammatikalischenAnhaltspunkten und dem Stil, in dem das Werk verfasst wurde, schlieen knne von einem Autor mit einem vollentwickelten literarischen Bewusstsein stammt, dessenProsa die sogenannte getreu widerspiegelt; dieses Kompositionsverfahren ist fr diegriechische Frhprosa (seit der Sptarchaik) charakteristisch, weshalb das Werk aufmindestens 400 v. Chr. datiert werden msse (hiermit stnde es zeitgleich mit den lte-sten Vertretern der attischen Prosa), wie auerdem der Gebrauch, den Ephoros in derersten Hlfte des 4. Jh. v. Chr. davon macht, zeige (siehe Komm. F 1 Par. 5). Und ergelangt zu dem Schluss, dass alle als hellenistisch ausgelegten sprachlichen Zge, aufdie sich Aly und Germain (siehe unten) zur Verteidigung einer Sptdatierung unseresAutors sttzen, hchstens beweisen, dass dieser kein reiner Attizist war (viele seinerEigenheiten sein darauf zurckzufhren, dass wir es mit dem einzigen erhaltenen Zeug-nis der Fachsprache der Seefahrt zu tun haben) und eine starke Neigung zeige, sich wie Xenophon persnlich Poetismen und Ionismen zu bedienen (er deutet sogar114

    eine ursprngliche Abfassung des Werkes auf Ionisch an, wonach es erst in einer fort-geschrittenen berlieferungsphase ins Attische bertragen worden wre), ohne dassjedoch irgendetwas in echtem Missklang mit der klassischen Norm steht.

    Zuletzt tendieren einige Anhnger des Positivismus jngeren Datums ihr Beharrenauf der unauslschlichen Spur des griechischen bersetzers einmal beiseite gelassen dazu, ihren Verzicht auf die maximalistische Haltung damit zu begrnden, dass sie

    110 Carpenter 1966, 81-100, Ramin 1974, 1976a, 1976b, Garzn Daz 1987, 83, Bianchei 1989, MartnGarca 1992, 64f., 68-70, 75f. 80-84, Gozalbes Cravioto 1993, 11-13, 1999-2000, 45 und 2003, 58-60,und Jabouille 1994, 55-71.

    111 Wenn auch die Votivinschri nach Kluge, Ausgabe von 1829, 5-7, sogar von Hanno selbst imauslaufenden 6. Jh. v. Chr. auf Griechisch he verfasst werden knnen wobei er unzweifelhasprachlichen Semitismen verfallen wre , ist unsere Version, so hrt Kluge weiter aus, dochnicht mehr als eine Anpassung des Originaltextes an den kulturellen griechischen Horizont, dievon gyptischen Philologen in hellenistischer Zeit angefertigt wurde.

    112 Lipiski 1988, 79, Huss 1993, 44, Schepens 1987, 324f. und Schrader 1990, 98f., 106, 108-145.113 Vgl. Blomqvist 1979, 5-7, 11-56.114 Vgl. Blomqvist 1979, 51 n. 38.

  • Hanno von Karthago 17

    entweder die Existenz eines einzigen punischen Modells verwerfen, oder aber erlu-tern, dass dieses (oder diese) nicht das uns vorliegende Werk in seiner Gesamtheitzu rechtfertigen vermag. Dieser entspricht die von Picard115 verfochtene Haltung (mitdem Domnguez Monedero116 bereinstimmt), nach dem der erhaltene Periplus an sichein Amalgam aus zwei verschiedenen karthagischen Schriftstcken ist, die ebenfallsin verschiedenen Epochen ins Griechische bersetzt wurden: das erste, das F 1 Par.1-6 wiedergibt, entsprche der in der berschrift des codex Heidelbergensis erwhn-ten Votivinschrift, in der der Admiral von seiner Kolonisierungsttigkeit nrdlich desLixos berichtet; beim zweiten, das das vorige ergnzen wrde und in F 1 Par. 8-18wiedergegeben wird, msse es sich um ein Fragment der hannonischen commentariiselbst handeln, die ja auch Plinius erwhnt, der sie wohl ber Xenophon von Lampsa-kos stark verflscht kennengelernt hat. Beide Dokumente seien jedoch unvollstndigin die Hnde unseres Autors geraten, was vielleicht mit jenem Eifer der Karthager, dieeigenen geographischen Entdeckungen fr sich zu behalten, zu tun habe. Hiermit kon-frontiert, habe der Verantwortliche unserer Fassung beschlossen, die genanntenMngelseiner Vorlagen auszugleichen, indem er als Bindeglied fr beide eine unangebrachteDoppelentlehnung bei Herodot durchgefhrt habe (F 1 Par. 7), was aber auch die ein-zige Gelegenheit gewesen sei, bei der er eine ansonsten unbestreitbare und derjenigenanderer berlieferer weit berlegene Aufrichtigkeit zugegebenermaen missbrauchthabe117. Diese Entlehnung gilt Picard als Beweis, dass unser Autor dem Kreise Jubasvon Mauretanien zugehrte.

    Einen gewissen Zusammenhang mit dem soeben Dargelegten weist Oikonomides118

    Ansatz auf: Seiner Meinung nach sind sowohl unser Text (F 1) als auch die anderenhannonischen Nachrichten vom offiziellen Reisebericht inspiriert (und nicht unbedingtvon der kurzen Votivinschrift, die ihn zusammenfasst), und das tatschliche Reisezielsei die Entdeckung einer neuen Alternativroute zu den punischen Kolonien amAtlantikgewesen, die zur Vorbeugung einer hypothetischen Kontrolle der Strae von Gibral-tar von Seiten der Griechen ostwrts ber den Nil und das Rote Meer fhren sollte.Die Expedition wre demnach in Wirklichkeit bis an die Grenzen Arabiens gelangt,wie die Aufzeichnungen von Mela, Plinius, Arrian und Martianus Capella (FF 2 und7a-c) besttigen, und ber den Nil (den Kanal des Pharao Necho) und das stlicheMittelmeer nach Karthago zurckgekehrt (siehe dazu unten). Und wenn dies nicht dementspricht, was in unserem Periplus zu lesen ist, sei das ausschlielich darauf zurck-zufhren, dass dieser seine ursprngliche Vorlage, die dem Autor in fragmentarischemZustand bekannt war, nicht wortgetreu wiedergibt, sondern eine von den modernen Ko-pisten manipulierte und verflschte Fassung ist, deren Lcken Letztere mit einer Serieunechter Passagen zu verbessern beschlossen, die ihrem wahren Inhalt nicht gerechtwerden (siehe app. crit.): so die berschrift und vor allem die beiden Schlusszeilen, dieirrtmlich eine Rckkehr ber den Atlantik evozieren (siehe dazu Komm. F 1 Par. 18).

    115 Vgl. Picard 1958, 233f., 1967, 1970, 118-122, 1971, 1982 und 1992.116 Vgl. Domnguez Monedero 1987, 130.117 Picard (vgl. etwa 1982. 179f.) besteht darauf, dass unser griechischer bersetzer sehr viel gewis-

    senhaer als Xenophon von Lampsakos war, der im Gegensatz zur Zuverlssigkeit des ersterendie echten Gorillas in F 1 Par. 18 mit den legendren Gorgonen verwechselte (siehe F 5b). Vgl. dazuKomm. ad loc. und Gonzlez Ponce 2003-2007 [2010].

    118 Vgl. Oikonomides 1977, 12-19.

  • 18 Hanno von Karthago

    Vielleicht sollte man abschlieend in Betracht ziehen, dass auch Rebufatt119 diesemgemigten Traditionalismus nahesteht (dessenHaltung sich ebenfalls Lpez Pardo undMederos Martn-Escribano Cobo anzueignen scheinen120). Er interpretiert den erstenTeil unseres Textes (F 1 Par. 1-13) als Beschreibung eines wahrheitsgemen karthagi-schen Seewegs ber das Flussbecken des Sebou, welches hier mit auergewhnlicherPrzision beschrieben wird, whrend das restliche Werk andererseits eine derartigeFlle typisch griechischer Exegese und literarischer Ausschmckung aufweist, dassjeglicher Zweifel ber die irrefhrende Absicht des Autors der es dennoch nichtgeschafft hat, die Spuren des Originals gnzlich zu verwischen aufgehoben wird.

    Doch die allmhliche Schwchung, die die traditionelle Verteidigung der original-getreuen Wiedergabe der in Heidelberg erhaltenen hannonischen Version erfahren hat,hrt nicht einfach mit dem Verzicht auf ihre ursprnglichen extremen Standpunkteund der betrchtlichen Migung in ihren festgefahrensten Anstzen auf. Nach undnach tritt in der Debatte ber unser Werk die Frage, ob es ein oder mehrere punischeModelle gegeben haben knnte, immer mehr in den Hintergrund. Dagegen macht sichein fortschreitendes Interesse an der Analyse des Textes selbst bemerkbar, das jeneanderen jahrhundertealten Kontroversen ber die ihm angeblich zugrundeliegendenverborgenen Quellen die bis vor Kurzem noch an der Tagesordnung standen hintan-stellt. Tatschlich ist es nur ein Schritt von der Feststellung, der anonyme griechischeAutor habe sich an einem einfachen punischen Bericht kreativ versucht, bis zu der mitNachdruck vertretenen und von jedweder vermeintlichenAbhngigkeit abstrahierendenMeinung, eben jenem sei bereits schpferisches Potential inhrent gewesen.

    Und diesen Schritt pflegen die Vertreter eines Revisionismus zu gehen, der sichin den letzten Jahrzehnten recht gut etabliert hat; seine gewagtesten Anstze erwgensogar, wie wir sehen werden, jegliche Hypothese, die irgendeine Beziehung zwischenunserer Fassung und ihrem imaginren Originalbericht voraussetzt, zurckzuweisen.

    Logischerweise grndet derKritizismus seinen Illegitimittsverdacht auf zwei hchstphilologische Argumente, denen sich bereits die communis opinio auf ihre Art stellenmusste: die zahlreichen greifbaren Unstimmigkeiten zwischen unserer Fassung (F 1)und dem, was uns andere berlieferungsquellen erzhlen einerseits, die erdrckendeMenge der mit ihrer angeblichen Originalvorlage unvereinbaren Elemente, die sich vorallem im zweiten Teil der Fassung zeigen andererseits. Die Argumentationsstruktur desPositivismus wird jedoch bereits durch ihren eigenen Ansatz zu Fall gebracht: Die hef-tige Polemik, meist durch gegenstzliche und unvereinbare Lsungen gekennzeichnet,der seine Anhnger verfallen, wenn sie so gut wie alle genannten Toponyme identi-fizieren und die Sonderbarkeit vieler Nachrichten erklren wollen, passt schlecht zurIdee erzhlerischer Objektivitt, selbst wenn man hierunter eine abgewandelte Objekti-vitt verstehen soll. Der den Text begleitende Kommentar spiegelt das, was wir geradegesagt haben, klar wider: Man gewinnt den Eindruck, dass der hannonische Berichtperfekt in jede der verschiedenen afrikanischen Umgebungen hineinpassen knnte; esgengt schon, dass der obligate gerade magebliche Kommentator die winzigste Mg-lichkeit einer Identifizierung gelten lsst. Es gibt viele Beispiele, die diese Behauptungbesttigen. Wir wollen uns jedoch auf einige der aufflligsten konzentrieren.

    119 Vgl. Rebuat 1976, 1985-1986, 1988a, 1988b.120 Vgl. Lpez Pardo 1991, 61, 68 und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 78, 82, 84 sowie 2004,

    143-145.

  • Hanno von Karthago 19

    Es hat sehr berrascht, dass unser Autor zwar nicht auf die wichtige phnizischeSiedlung am Lixos hinweist, wohl aber auf ihre Bewohner (die er als Dolmetscheranheuert, F 1 Par. 8) und den gleichnamigen Fluss. Um diesen Makel zu rechtfertigen,hat man alle mglichen im Allgemeinen widersprchlichen Argumente ins Feldgefhrt (siehe F 1 Par. 6). Bei der Bestimmung der faktischen Lokalisierung dieserGegenden ist die Diskussion aber auch nicht bescheidener ausgefallen. Hiemit belebtdie zeitgenssische Forschung einzig einen bereits in der Antike berhmten Streit121

    wieder, demzufolge gewisse Autoren Lixos in der Nhe von Gades und der Straevon Gibraltar ansiedelten, sodass sie sogar so weit gingen, die Siedlung mit Tangerzu verwechseln122, whrend die anderen aus Grnden purer geographischer Symmetrieim Verhltnis zu Karthago besagte Siedlung allzu weit in den Sden und bis in dienhere Umgebung der rtselhaften Kerne verlegten123. Die Tatsache, dass die gesamteToponymie in den ersten Abschnitten des Werkes, die im Allgemeinen als Beispielfr Authentizitt hochgehalten werden, auf der Landkarte die gesamte marokkanischeKste (siehe Komm. F 1 Par. 2-6) entlanggewandert ist, ist sehr entlarvend: Die tradi-tionelle sdliche Lokalisierung des Vorgebirges Soloeis (Kap Cantin, Par. 3) und dersechs hannonischen Siedlungen (zwischen dem Sebou und Kap Nun, Par. 2 und 5)hat die Mehrheit der Kommentatoren gezwungen, den Fluss Lixos mit dem heutigenDraa zu identifizieren. Den Befrwortern der Kurzstrecke ist es spter gelungen, dieFrage sinnvoll zu erhellen: Die unvermeidliche Identifizierung von Kap Soloeis mitKap Spartel hat die Lokalisierung der Kolonien in die Grenzgebiete der Strae vonGibraltar zurckverlegt und es deshalb gestattet, den in Frage stehenden Fluss (Lixos)mit dem modernen Loukkos zu identifizieren; der einzige, auf den sich die Alten offenmit jenem Namen beziehen. Diese geographische Korrektur wird von der neueren po-sitivistischen Forschung genauso wie die zuvor von ihren Vorgngern vorgenommeneOrdnung akzeptiert; dies geht so weit, dass die Neulokalisierung des Lixos in manchenFllen (Carcopino, s. Komm. F 1 Par. 4) eine vollstndige Neubeschreibung der vonder Flotte zurckgelegten Strecke erfordert.

    Ammeisten hufen sich Kontroversen dieser Art aber hinsichtlich des zweiten Teilsdes Werkes, das heit bei der diffusen Beschreibung des afrikanischen Kstengebietssdlich von Kerne: Diese ist seit jeher als die am meisten in die Irre fhrende beur-teilt worden, wo die traditionelle Identifizierung der genannten Motive eher der reinenPhantasie entstammt als einer derart verschwommenen geographischen Wirklichkeit,die so diffus ist, dass sie evident macht, dass der positivistische Ansatz untauglich undvon Vorannnahmen abhngig ist. Der verbissene Streit, in den sich derartige Kom-mentatoren verwickeln, wenn sie die reprsentativsten Landschaften besagter Streckeidentifizieren sollen, spricht fr sich: Man denke an die zwei berhmten Hrner, nm-lich das westliche (Hesperu Keras) und das sdliche (Notu Keras), sowie an den nichtweniger bekannten Gtterpfeiler (Theon Ochema). Die neuere Kritik hat endlich ge-zeigt, wie unangemessen jeglicher Versuch ist, Toponyme zu identifizieren, die, aufdiese Weise losgelst von jeder beabsichtigten hnlichkeit mit der Realitt, lediglichdie theoretische Schematisierung des libyschen Kontinents zum Ausdruck bringen; siesind das Ergebnis von Vorstellungskraft und reiner Logik, und entsprechen nicht etwa

    121 Siehe zu diesem ema Desanges 1999 und Oone 2002, 485-488.122 Siehe dazu Strab.17, 3, 2-8 C825.123 Vgl. Plin. Nep., nat. 5, 4 und 6, 199. Siehe dazu Komm. F 1 Par. 8.

  • 20 Hanno von Karthago

    dem direkten Zeugnis irgendeines Seefahrers (s. Komm. F 1 Par. 14-17)124. Doch vordieser Bilanz und in manchen Fllen sogar danach ergehen sich die Vertreter desTraditionalismus in anspruchsvollenArgumentationen, wenn sie nur ihren persnlichenVorschlag fr die Lokalisierung von Orten durchbringen knnen, die wegen ihrer im-mensen Wichtigkeit nicht den geringsten Zweifel an ihrer Identitt aufkommen lassensollten: Sie platzieren Hesperu Keras (Par. 14) von Kap Yubi bis zumNigerdelta, TheonOchema (Par. 16) von Conakry (Guinea) bis Kamerun (und die Kanarischen Inseln) undNotu Keras (Par. 17) von Senegal bis Gabun. Die Unterschiedlichkeit derartiger wiees scheint vollkommen kompatibler Lokalisierungen hat bei den Vertretern der com-munis opinio jedoch nicht den leisesten Zweifel an der Glaubwrdigkeit des Periplusgeweckt. Und auch wenn es hier gar nicht um die Auffindung von Toponymen geht,kann man kaum die heikle Debatte um die Identifizierung der unbekannten Gorillasvergessen (siehe Komm. F 1 Par. 18), einer der wirklich obskuren Flle innerhalb derverwickelten Hanno-Frage. Neuerdings gewinnt die Idee an Gewicht, nach der besagteBezeichnung eine Textkorruptel impliziert und den ursprnglichen Namen Gorgonenverdeckt. Dies wiederum dient als offensichtlicher Beleg fr die literarische Herkunftdieser Nachricht und zeigt, dass unsere Erzhlung durch die legendre Perseus-Sagebeeinflusst wurde125, wie die Plinius-Parallele (F 5b) beweist, derzufolge Xenophonvon Lampsakos als mglichem direktem Kenner unserer Fassung offenbar die korrekteVersion vorgelegen htte was eine Datierung des Werkes nach der zweiten Hlf-te des 2. Jh. v. Chr. unmglich machen wrde (siehe dazu unten)126. Dies verhindertjedoch nicht, dass sich immer noch Stimmen zur Verteidigung der unbestreitbarenEchtheit unseres Textes erheben, wofr gerade der vom Autor gewhlte Name fr diegenannten Wesen brgen wrde, die erst spter aufgrund eines allmhlichen Adapta-tionsprozesses der Urfassung an den hellenischen Bildungskreis mit den sagenhaftenGorgonen gleichgesetzt wurden127. Folglich sahen sich die Verteidiger der Authentizittdes Begriffs gentigt, seine Nennung imRahmen einer tatschlich stattgefundenen For-schungsreise in die Tropen Afrikas zu rechtfertigen: Fr die einen handelte es sich umden genuinen Gattungsnamen einer Art bis dahin unbekannter Groaffen, was Hannozustzlich als Pioniergenie der Naturforschung ausgezeichnet hat, indem seine Kolle-gen der Moderne128 ihm die Ehre erwiesen, die mutmalichen aktuellen Artverwandtenjener Affen nach ihrer Wiederentdeckung mit genau demselben Namen (Gorillas) zubezeichnen; andere haben besagte Wesen dagegen fr niedere Hominide, kurzwch-sige Vorgnger der Pygmen gehalten, die bis heute hufig die Zentralregionen desKontinents bewohnen129. Zwei Interpretationen, deren Antagonismus sich angesichtsdes unerschtterlichens Glaubens an die Zuverlssigkeit des Berichts offensichtlich alsunbedeutend erweist.

    Die Frage aber, die die traditionalistische Seite am meisten herausgefordert hat, istzweifellos die nach der Lokalisierung der verborgenen Stadt Kerne, fr gewhnlichder Endpunkt karthagischer Herrschaft am afrikanischen Kstengebiet (siehe Komm.

    124 Vgl. dazu insbesondere die Schlussfolgerungen von Desanges 1978, 50f., 54f., 73-80, 83f., 1999, 20.125 Vgl. zu diesem ema vor allem Germain 1957, 217-219 und Desanges 1978, 62-66, 81f. neben

    anderen Analysen. Im Komm. zu dieser Passage liefern wir die Gesamtbibliographie.126 Vgl. zu diesem ema insbesondere Gonzlez Ponce 2003-2007 [2010].127 Eine unter anderen von Bianchei verteidigte ese, 1989, 244f.128 Seit Savage 1847.129 Siehe dazu unter anderen Oikonomides 1977, 47-51.

  • Hanno von Karthago 21

    F 1 Par. 8). Die Menge und Vielfalt der vorgeschlagenen Identifizierungen130 zeigterneut, wie unbestreitbar polyvalent unser Text ist, wenn man ihn als getreue Wieder-gabe eines Seeweges versteht, der den widersprchlichsten geographischen Gebietenangepasst werden kann, ohne Gefahr zu laufen, an Glaubwrdigkeit einzuben. DieDebatte ist nicht neu, sondern ein Erbe der Antike131. Entgegen der Mehrheit der Au-toren, die sich wie unser Hanno fr eine Lokalisierung der Stadt im uersten WestenLibyens entscheiden, gibt es andere, die sie umgekehrt an Libyens stlichen Gren-zen ansiedeln132. Wer unserem Autor vertraut, pflegt sich von letzterem Vorschlag zudistanzieren und sich darauf zu beschrnken, die verschiedenen Mglichkeiten eineratlantischen Lokalisierung zu rechtfertigen, die sowohl durch die brigen literarischenZeugnisse als auch durch die Besonderheiten der Kstenstrecke gesttzt werden kn-nen. Das Ergebnis ist, dass praktisch alle kleineren Inseln, die die 2500 Kilometerdes Kstenstreifens zwischen dem an der Mndung des Tensift (Marokko) gelegenenFedala (= Mohammedia, A.d..) und der le de Gore, dem heutigen Dakar (Senegal)gegenber, sumen, als rivalisierende Anwrter fr die Lokalisierung dieser Inselstadtin Frage kommen. Auf den Punkt gebracht133, hat man sich entweder fr eine ma-rokkanische Lokalisierung entschieden, wo die Identifizierung mit der Insel Mogadorhervortritt, die die Verfechter der Kurzstrecke befrworten und die derzeit die am wei-testen akzeptierte These ist, oder man hat sich eine sdlichere Lsung berlegt, indemman die Stadt vor allem auf zwei kleineren Inseln platziert hat: auf Herne (Ro de Oro,in Westsahara) und Arguin (an das Kap Blanc in Mauretanien angrenzend)134. Wie mansehen kann, reicht weder der Periplus noch irgendeine der anderen Nachrichten derAntike aus, um eine Stadt zu lokalisieren, die so rtselhaft ist, dass bereits Strabonpersnlich (1, 3, 2C) dieselbe auf eine vage und ferne Erinnerung der Vergangenheitzurckfhrte. Und wie bei vielen anderen Dilemmata, die die Kommentierung unseresWerkes mit sich bringt, scheint sich die Lsung auch hier an den Schlussfolgerungen,zu denen die revisionistische Kritik gelangt (und der in diesem Punkt die Mehrheitdes neueren Traditionalismus folgt), ablesen zu lassen. Wenn man darauf verzichtet,Kerne mit einer bestimmten Siedlung Hannos gleichzusetzen, die eine einzige konkretePlatzierung erfordern wrde, und stattdessen wie es ja auch ihre eigene Etymologienahelegt (siehe Komm.) auf ihre Eigenschaft als letzte punische Enklave aufmerk-sam wird135, wird man leicht verstehen, dass besagter Name mglicherweise die Ortebezeichnet hat, die nach und nach den Abschluss der phnizisch-punischen Expansionmarkiert haben (und zwar von den diversen mediterranen Gebieten bis zur westlichenGrenze). Auf diese Weise vermag man auch die sonderbare Variante zu erklren, dieEphoros einfhrt. Man kann sowohl die Meinung vertreten, dass dieses stliche Kerne

    130 Es gibt zahlreiche Zusammenfassungen zu dieser Frage. Vgl. insbesondere Ramin 1974 und 1976a,796-801.

    131 Auf diese Kontroverse bezieht sich deutlich Eust. ad D. P. 218.132 Vgl. Ephor., BNJ 70 F 172 Plin., nat. 6, 198f. Auf derselben Idee beruhen Lykophr. 16-19, 1084 und

    Nonn. Dion. 33, 183-187; 36, 6f.; 38, 287.133 Zu den Behauptungen der verschiedenen Lokalisierungen kann Ramin 1974, 439f. und 1976 a, 796

    herangezogen werden.134 Neben den zwei angehrten Inseln pegt man auch die folgenden Gebiete sdlich von Marokko

    zu erwgen: Saguia el Hamra in Westsahara und Saint-Louis in Senegal.135 Hierauf bestehen bereits Dion. Per. 218f. und Avien. Orb. Terr. 328. Vgl. dazu Ramin 1974, 442 und

    1976a, 801, Bianchei 1989, 241, Euzennat 1994, 573 und Gmez Espelosn 1996, 117.

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    dasselbe wie das von Hanno erwhnte ist (Schepens136), als auch den Historiker ausKyme fr einen Rezipienten der phnizischen Seeleute halten, die die Strae von Gi-braltar von Osten aus eingenommen haben mussten137 in beiden Fllen spricht nichtsdagegen, dass die griechische berlieferung aufgrund einer geographischen Extrapola-tion, die durch die angenommene Nhe beider afrikanischer Grenzpunkte (siehe unten)nahegelegt wurde138, den Osten Libyens seiner Westseite anglich und hiermit fr jenendie aufflligsten geographischen Details von dieser verdoppelte: die Sulen und eineKerne-Insel, die durch die eine oder andere Seite immer die Grenze der Kenntnis dermeridionalen kumene kennzeichnete.

    Die verschiedenen externen und internen Grnde, die wir gerade dargelegt haben,wurden, wie man feststellen kann, von der traditionellen Forschung im Allgemeinenzwar bergangen139, dafr aber von Seiten einer nicht allzu groen Zahl von Kom-mentatoren ernstgenommen, die schon seit Jahrhunderten darauf bestehen, unser Textsei eine Falsifikation. Die Bedeutung dieser Autoren hat nach und nach so weit zu-genommen, dass man in den letzten Jahrzehnten zur Ansicht gelangt ist, dass ihreSchlufolgerungen am die genauesten und berzeugendsten sind und vollkommenmit dem philologischen und historisch-archologischen Fortschritt hinsichtlich der Pe-riplus-Debatte bereinstimmen. Sie alle teilen die Zurckweisung der entscheidendenPrmisse der positivistischen These, das heit sie verwerfen die primre karthagischeUrheberschaft unseres Werkes, die somit gegenwrtig nur in ihrer anonymen griechi-schen Version reprsentiert sei, die ein mehr oder weniger revidiertes Sptprodukt ist.Die letztgenannte Ansicht impliziert nicht zwangslufig, dass er nicht mglicherweiseoffizielle Dokumente eingesehen hat.

    Den Startschuss fr diesen Revisionismus muss man in den sich herantastenden, un-reflektiertenEinwndenDodwells140 sehen, die von denAnhngern eines sich noch ohneEinschrnkung behauptenden Positivismus als respektlos und unsinnig abgestempeltwurden141. Doch der wahre Lehrmeister des Reformideals war in Wirklichkeit Tauxier,ein Autor einer Serie brisanter Artikel142, die jedoch wegen ihrer geringen Verbreitungseinerzeit nur bescheidenen Nachhall fanden. Nachdem er die Unmenge von Schwach-stellen und unglaubwrdigen Details unserer Fassung betont, die auerdem hinsichtlichder Fakten, die in jedem mutmalich offiziellen Bericht ber eine derartige Expeditionvorrangig seien, uerst defizitr sei (es fehlten viele grundlegende Einzelheiten berdie Vorbereitung, den Verlauf und das Ergebnis derselben), gelangt Tauxier zu demSchluss, dass es sich bei dem erhaltenen Text (wie bei dem mutmalichen LogbuchHimilkons) um ein Apokryph handelt: ein in erster Instanz von einem griechischenAutor vielleicht Xenophon von Lampsakos aus den Jahren zwischen 90 und 60v. Chr stammendes Werk, das durch die reine Nachahmung von Herodot, Ephoros

    136 Schepens 1987, 323-325 hlt den Hinweis auf die Gluten, die jegliches Vorrcken der Schismann-scha verhindern, r ein Beispiel der typischen horror tales, mit denen die Phnizier mglicheRivalen von ihren Routen fernzuhalten versuchten; folglich sieht er darin einen Beweis r diehannonische Abstammung dieser Nachricht.

    137 Hdt. 4, 42f. erzhlt uns von ihnen. Vgl. Bianchei 1989, 242.138 Vgl. Ramin 1976a, 797.139 Gozalbes Cravioto 1993, 11 betont die Ungereimtheit der positivistischen Argumentation.140 Vgl. Dodwell 1698.141 Siehe dazu Diller 1952, 66 z101 und Mederos Martn-Escribano Cobo 2000, 78.142 Vgl. Tauxier 1867a, 20., 1867b und ganz besonders 1882.

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    und Polybius all die Figuren, die der imaginre Hellene im tiefen Westen lokalisiert(Atlas, die Hesperiden, die Satyrn, die Gorgonen usw...), in sich aufgenommen hat,obwohl spter (in der Zeit Theodosius des Groen) ein zweiter, byzantinischer Autorjede Spur von Paganismus aus dem Periplus beseitigt und ihm hiermit jenen Schein vonWeltlichkeit verliehen habe, die die Verteidiger seiner Zuverlssigkeit so schtzen.

    Trotz des Schweigens, das die zeitgenssische Kritik ber diese Hypothese be-wahrte, sind die Anstze Tauxiers im darauffolgenden Jahrhundert von einer ReiheKommentatoren positiv aufgenommen worden; es gelang ihnen, diese kritische Hal-tung in den Rang einer tatschlichen Alternative innerhalb der Hanno-Debatte zuerheben. Viele von ihnen teilen seine radikale Skepsis angesichts der scheinbaren Ab-stammung unseres Textes von einem anderen Dokument. Sie sind der Meinung, dassjener als rein literarische bung zu verstehen ist und als vllig losgelst von jederwirklich stattgefundenen Erfahrung anzusehen sei. So befindet Cintas143, dass dasWerkeine vollstndige, imaginre Umsegelung der afrikanischen Kstengebiete ist, von denSulen bis zum Horn des Sdens, die mit der theoretischen Schematisierung des Kon-tinents, nach welcher dieser in der griechischen Welt allgemein aufgefasst wurde, inEinklang steht (siehe unten). Auch Mauny144 streitet seine Objektivitt ab: wie wiroben sahen, hlt er die Fahrt sdlich von Kap Yubi in der Antike fr undurchfhrbar(insbesondere auch die Rckfahrt), wie das Fehlen archologischer Funde aus diesemZeitabschnitt jenseits der marokkanischen Kste beweise. Dieselbe Haltung nehmenauch die Autoren der zuletzt erschienenen Handbcher ber antike Geographie ein:Pdech145 hlt das Werk unumwunden fr einen Betrug, weil es sowohl eine undurch-fhrbare Reise widerspiegelt als auch offenkundig der griechischen Literaturtraditionverpflichtet ist, abgesehen davon, dass sein Sprachgebrauch zweifellos einer spterenEpoche entspricht; Jacob146 interpretiert es als Prototyp einer erdichteten Reise bisan die Grenzen der bekannten Welt, das der odysseischen Vorlage getreu demSchreckenerregenden und Wundervollen groen Spielraum gewhrt und sich dennochhinter der lebensechtenMaske der karthagischen Kolonisierungsexpedition prsentiert.In klarer bereinstimmung mit Tauxier schreibt Musso147 die Urheberschaft des Wer-kes ausschlielich Xenophon von Lampsakos zu (2.-1. Jh. v. Chr.), der, da er unteranderen durch Alexander Polyhistor und Dionysios Skytobrachion von der angebli-chen Existenz gewisser Berichte des Admirals wusste, einen Periplus verfasst habe und zwar unseren , von dem nur noch einige Reste bei Valerius Maximus, Plinius undSolinus erhalten sind. Das Werk sei sodann in byzantinischer Zeit im Auftrag Kon-stantins Porphyrogennetos gekrzt worden, was viele seiner stilistischen Eigenheitenerklrt (siehe dazu Komm. F 1 Par. 2). Auf derselben Linie argumentiert auch GarcaMoreno148, der, die Polemik ber die Existenz des punischen Modells beseite lassend,unseren Text (genau wie den angeblichen Periplus des Pytheas) als Amalgam einer Rei-he paradoxographischer und legendrermembra interpretiert, mit denen der Autor den143 Vgl. Cintas 1954, 92 n. 5. Siehe ber ihn vor allem Desanges 1978, 84f. 1999, 41 und Mederos

    Martn-Escribano Cobo 2000, 80f.144 Vgl. Mauny 1955, 96f., 1970a, 80, 1970b, 98-101 und 1978, 298. Vor 1951 hat er die originalgetreue

    Authentizitt des Periplus verfochten.145 Vgl. Pdech 1976, 31f.146 Vgl. Jacob 1991, 73-84.147 Vgl. Musso 1989, 960-963.148 Vgl. Garca Moreno 1989, 247-257 und 1995, 106.

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    verschiedenen geo-ethnographischen Theorien, die zwischen dem 2. und 1. Jh. v. Chr.in alexandrinischen Kreisen vertreten wurden (man denke an Krates von Mallos, sieheKomm. F 1 Par. 7), Glaubwrdigkeit zu verleihen vermeint. Diese These stimmt mitder erst krzlich von Albaladejo Vivero149 verteidigten berein: Seiner Meinung nachgeht dasWerk nicht ber ein literarisches Divertimento hinaus und kann keinesfalls miteiner karthagischen Quelle in Verbindung gebracht werden. Auerdem sei es gnzlichder geo-ethnographischen Tradition der Griechen verpflichtet und msse in der erstenHlfte des 2. Jh. v. Chr. in Alexandria verfasst worden sein. Von dort aus habe man es inden verschiedenen hellenistischen Metropolen in Umlauf gebracht: Bereits Polybius,der kurz danach die faktische Grundlage vieler neuartiger Behauptungen des Werkesnachzuweisen versucht hat, msse es gekannt haben. Die radikalste Position ist aberwahrscheinlich die vonGmez Espelosn150 bezogene. Fr ihn bringt der Periplus seinenInhalt sehr schlecht mit dem Bericht einer angeblich tatschlich stattgefundenen Expe-dition in Einklang: Der am Anfang stehende Bericht ber die Kolonisierungsttigkeitist uerst defizitr, und die Beschreibung der schwarzafrikanischen Umgebung weistein legendres Kolorit auf, das deutlich mit der griechischen Idealisierung der meridio-nalen Regionen einhergeht. Typische hellenisch ist denn auch das formale Klischeedes Kontinents, das die befolgte Route voraussetzt (siehe unten): eine rein theoretischeUmsegelung bis zum Land der Dfte. Mit alledem wrde unser Flscher einzig undallein den Erwartungen seiner Zuhrerschaft entsprechen, weshalb die Berufung aufein punisches Modell als simple und bewusst angewandte Strategie verstanden werdenmuss, um einen Bericht ber abenteuerliche Begebenheiten, die sich in den uerstenbewohnten Lebensrumen abspielen, zu rechtfertigen. Was die Datierung des Werkesbetrifft, ist Gmez Espelosn ebenfalls der Meinung, dass man das Werk in die helleni-stische Epoche gehrt, da nur hier das Zusammenfallen einer griechischen bersetzungin Einklang mit den gewhnlichen Gepflogenheiten der zeitgleichen alexandrinischenPhilologen Sinn ergebe.

    Die kritische Richtung wei jedoch auch gemigtere Haltungen einzunehmen.Viele Ihrer Anhnger und gerade die einflussreichsten fassen die hypothetische

    punische Herkunft unserer Version nicht notwendigerweise als Nachteil fr die Ver-teidung ihrer Nicht-Authentizitt auf: Dahinter steht die Idee, dass die schpferischeVerantwortung des anonymen Autors durch die Existenz vermeintlicher Vorbilder nichtgemindert wird.

    Zwei Kommentatoren, deren Untersuchungen (unzweifelhaft philologischen Zu-schnitts) ein Vorher und ein Nachher in der Hanno-Frage gekennzeichnet haben, teilendiese Ansicht: Aly und Germain. Hauptanliegen von beiden ist die sprachliche Untersu-chung des Periplus, und beide gelangen in dieser Hinsicht zu sehr hnlichen Schlssen.Fr Aly151 (dem Gngerich152 teilweise folgt) hnelt das Sprachregister unseres Autorsdem des Polybios (Mitte des 2. Jh. v. Chr.), woraus er schliet, dass die karthagische Vo-tivinschrift von eben diesemGeschichtsschreiber (oder auf seinen Auftrag) unmittelbarnach Zerstrung der Stadt (146 v. Chr.) ins Griechische bersetzt wurde. Polybios ms-se dann besagte Inschrift ins Textcorpus seiner Historiai aufgenommen haben. Auch149 Vgl. Albaladejo Vivero 2005, 284-292.150 Vgl. Gmez Espelosn 1996, 100-107 und 2000, 147-154.151 Vgl. Aly 1927, 317, 324-329, 485-489.152 Vgl. Gngerich 1950, 17f.

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    nach Germain153 (mit dem unter vielen anderen Tarradell154 bereinstimmt) muss derText als nachklassisch bewertet werden. Er setzt seine Datierung jedoch etwas frheran, nmlich zwischen Platon und Palaiphatos (ca. 350-290 v. Chr.), und beschrnktdie diskutierte Abhngigkeit von der punischen Inschrift (mit gewissen Vorbehalten)auf die sechs ersten Abschnitte, die in einwandfreiem klassischem Attisch (mit demein oder anderen hellenistischen Zug) geschrieben seien, whrend der Rest, der voneiner stark poetisierenden Sprache berladen scheint, dem reinen Zeitvertreib einesmittelmigen Literaten entspreche: Es handle sich um eine wohlberlegte Flschungvon der Hand eines Kakographen, der ein provinzieller Zeitgenosse des Aristoteleswar und das Griechische der Gebildeten zwar schlecht beherrschte, dafr aber in derKenntnis des Allerfeinsten der klassischen Prosa versiert war, insbesondere was Hero-dot und Platon betrifft, aus derenWerken er ganze Passagen exzerpiert habe (siehe z. B.Komm. F 1 Par. 7). Ein halbgebildeter, nach Nachrichten ber wunderbare Reisen in dieFerne durstender Autodidakt, habe unser griechischer Autor sich in der damals bereitshellenisierten punischen Metropole nach der sagenhaften atlantischen Expedition desSufeten Hanno erkundigt, deren Reliq