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Galoissche Theorie ζ 11 = 1 2143588810 (1965ζ 3 5 - 8664ζ 2 5 + 7600ζ 5 + 6840) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 9 + (51821ζ 3 5 + 28402ζ 2 5 - 22ζ 5 + 18348) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 8 +(-121968ζ 3 5 + 10164ζ 2 5 + 71995ζ 5 - 45012) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 7 + (620246ζ 3 5 + 521752ζ 2 5 + 469843ζ 5 + 412610) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 6 + (658845ζ 3 5 - 1464100ζ 2 5 - 439230ζ 5 + 87846) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 5 +(-2254714ζ 3 5 - 1288408ζ 2 5 - 6764142ζ 5 - 1127357) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 4 + (7086244ζ 3 5 + 21258732ζ 2 5 + 5314683) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 3 + (19487171ζ 3 5 + 38974342ζ 2 5 - 38974342ζ 5 ) 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 2 + 214358881ζ 3 5 10 21615ζ 3 5 - 53625ζ 2 5 - 61985ζ 5 + 116919 - 214358881 ζ 5 = 1 100 (4i + 3) 4 20i - 15 3 + (10i - 5) 4 20i - 15 2 + 25 4 20i - 15 - 25

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Galoissche Theorie

ζ11 =

12143588810(

(1965ζ 35 −8664ζ 25 +

7600ζ5 +6840) 10

√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 9

+(51821ζ 35 +

28402ζ 25 −22ζ5 +

18348) 10√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 8

+(−121968ζ 35 +

10164ζ 25 +71995ζ5 −

45012) 10√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 7

+(620246ζ 35 +

521752ζ 25 +469843ζ5 +

412610) 10√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 6

+(658845ζ 35 −

1464100ζ 25 −439230ζ5 +

87846) 10√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 5

+(−2254714ζ 35 −

1288408ζ 25 −6764142ζ5 −

1127357) 10√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 4

+(7086244ζ 35 +

21258732ζ 25 +5314683) 10

√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

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+(19487171ζ 35 +

38974342ζ 25 −38974342ζ5 ) 10

√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919 2

+214358881ζ 35 10

√21615ζ 35 −

53625ζ 25 −61985ζ5 +

116919−214358881 )

ζ5 =1100

((4i + 3) 4√ 20i− 15

3 + (10i− 5) 4√ 20i− 152 + 25 4√ 20i− 15− 25

)

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Lehrstuhl für Algebra und Zahlentheorie Universität Augsburg

Lehrbuch

Galoissche TheorieEine Einführung in die Algebra für Bachelor und Lehramt

Marc Nieper-Wißkirchen∗

10. Dezember 2013

Universität Augsburg

[email protected]

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Prof. Dr. Marc Nieper-WißkirchenLehrstuhl für Algebra und ZahlentheorieUniversität AugsburgD-86159 Augsburg

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Für Konrad, Karla und Irmgard

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort xiii

Notationen xix

Einleitung xxi

I. Elementare Galoissche Theorie 1

1. Der Fundamentalsatz der Algebra 31.1. Über Polynomgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2. Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.3. Algebraische Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.4. Komplexe Einheitswurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251.6. Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises 432.1. Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432.2. Der Vietasche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502.3. Die Diskriminante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises 62

3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung 713.1. Separabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713.2. Irreduzible Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763.3. Irreduzibilität über den ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853.4. Irreduzibilität modulo einer Primzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913.5. Der Grad algebraischer Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973.6. Der Satz vom primitiven Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013.7. Die Gradformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke 1174.1. Galoissch Konjugierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204.3. Über Invarianten der Galoisschen Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . 1314.4. Galoissche Resolventen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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4.5. Der Lagrangesche Satz und die Klassengleichung . . . . . . . . . . . . 1424.6. Kreisteilungspolynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1484.7. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke . . . . . . . . . . . . . 156

5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen 1615.1. Relative Galoissche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1615.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1665.3. Algebraisch eindeutige Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1775.4. Wurzeldarstellungen der primitiven Einheitswurzeln . . . . . . . . . . 1805.5. Nicht auflösbare Galoissche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1875.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften Grades . . . . . . . . . . . . . 1935.7. Über auflösbare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2015.8. Die Cardanischen Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

II. Abstrakte Galoissche Theorie 215

6. Gruppen 2176.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2176.2. Untergruppen und Nebenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2286.3. Gruppenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2376.4. Normalteiler und Faktorgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2486.5. Auflösbare Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586.6. Die Sylowschen Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2626.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

7. Ringe 2837.1. Ringe und Ringhomomorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2837.2. Ideale und Faktorringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2957.3. Lokalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3027.4. Faktorielle Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3107.5. Hauptidealringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3187.6. Dedekindsche Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

8. Körper 3418.1. Körpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3418.2. Faktorielle Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3458.3. Separabel faktorielle Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3508.4. Vollkommene Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3558.5. Endliche Körper und der Frobenius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3598.6. Separable und inseparable Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3648.7. Transzendente Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3698.8. Galoissche Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3788.9. Auflösbare Galoissche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

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III. Ausblicke 387

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Abbildungsverzeichnis

1. Évariste Galois, 25.10.1811–31.05.1832 . . . . . . . . . . . . . . . . . . xvii1.1. Das Calabische Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2. Die Gaußsche Zahlenebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.3. Multiplikation komplexer Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.4. Die vierten Wurzeln aus −1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211.5. Die sechsten Einheitswurzeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241.6. Konstruktion der Summe zweier komplexer Zahlen. . . . . . . . . . . . 271.7. Konstruktion des Produktes zweier reeller Zahlen. . . . . . . . . . . . 281.8. Konstruktion der Summe zweier Winkel. . . . . . . . . . . . . . . . . . 281.9. Konstruktion der Inversen einer reellen Zahl. . . . . . . . . . . . . . . 301.10. Konstruktion der reellen Wurzel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301.11. Approximation einer Nullstelle im Fundamentalsatz der Algebra. . . . 361.12. Die Funktion m(s). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.1. Quadratur des Kreises. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633.1. Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X4 − 4X2 +X + 1. . . . . . . 803.2. Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X4 − 7X3 + 4X2 + 27X − 15. 813.3. Der Satz vom primitiven Element. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033.4. Relative Grade algebraischer Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073.5. Verdopplung des Würfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093.6. Dreiteilung eines Winkels von 60. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1134.1. Eine Linie in der Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204.2. Ein gleichseitiges Dreiecks in der Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1214.3. Die zyklische Permutation σ2 ∈ S7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1234.4. Ein Quadrat in der Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1234.5. Ein Tetraeder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244.6. Illustration der Klassengleichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1455.1. Die Hauptsatz der Galoisschen Theorie illustriert an der kubischen Glei-

chung X3 − 2 = 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1725.2. Die Hauptsatz der Galoisschen Theorie illustriert an der quartischen Glei-

chung X4 − 2 = 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1735.3. Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X5 − 6X + 3. . . . . . . . . . 1988.1. Ein Solitaire-Brett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

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Vorwort

Die Galoissche Theorie, welche mit einigem Recht sicherlich zu den Perlen der reinenMathematik gezählt werden kann, nimmt eine zentrale Stellung in den Algebra-Kursenfür Bachelor- oder Lehramtsstudenten in Mathematik ein. Ausgangspunkt ist die Frage,ob sich Lösungen von Polynomgleichungen mit Hilfe von Wurzelausdrücken beschreibenlassen können. Dazu werden Symmetrien zwischen den Lösungen einer solchen Gleichunguntersucht. Es zeigt sich, daß aus diesen Symmetrien wesentliche Informationen überdas Polynom erhalten werden können und daß diese insbesondere Antworten auf dieursprüngliche Frage nach der Auflösbarkeit durch Wurzeln geben.In der Galoisschen Theorie kommen die drei wichtigsten Strukturen in der Algebra

vor: Die Symmetrien der Lösungen lassen sich zu einer Gruppe zusammenfassen. DieKoeffizienten der Polynomgleichungen nehmen Werte in einem Körper an, etwa denrationalen oder den komplexen Zahlen. Schließlich bilden die Polynome selbst einenRing, welcher in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit dem Ring der ganzen Zahlen hat.Ziel des ersten Teiles dieses Buches ist es, einen elementaren, klassischen Einstieg in

die Galoissche Theorie zu vermitteln und dabei gleichzeitig die Früchte der Theorie inForm von Anwendungen auf jahrtausend alte Probleme zu ernten. Im zweiten Teil desBuches wird die modernere, abstraktere Sichtweise auf die Galoissche Theorie betont.Dabei werden die Strukturen Gruppe, Ring und Körper motiviert, definiert und dann imDetail studiert. Gleichzeitig wird der Anwendungsbereich der im ersten Teil entwickeltenTheorie erweitert, zum Beispiel von Körpererweiterungen über den rationalen Zahlen zuKörpererweiterungen über beliebigen Körpern. Damit umfaßt der erste der beiden Teilein etwa den Stoff, wie er in einer einsemestrigen Vorlesung Algebra auch schon zu Beginndes Studiums behandelt werden könnte und zusammen mit aus gewählten Abschnittendes zweiten Teiles genau das, was Thema von (Staatsexamens-)Prüfungen in Algebraist.Im dritten und letzten Teil des vorliegenden Buches werden Ausblicke auf Weiterfüh-

rungen und Weiterentwicklungen der Galoisschen Theorie und der Theorie der Gruppen,Ringe und Körper gegeben, insbesondere in Hinblick auf die algebraische Zahlentheorieund die algebraische Geometrie gegeben. Einige Konzepte der ersten beiden Teile wer-den noch einmal vom höheren Standpunkt aus betrachtet, welches das Verständnis nocheinmal vertieft. Der Stoff des dritten Teiles könnte in einer vertiefenden Vorlesung inAlgebra abgehandelt werden oder auch als Grundlage eines Seminars in Algebra dienen.Unabhängig davon soll er aber den interessierten Studenten dazu einladen, sich selbstän-dig weiter mit der Algebra zu beschäftigen und die weiterführenden Themen der Algebraanhand dieses Buches selber zu entdecken und sich zu erarbeiten. Während die erstenbeiden Teile des Buches in chronologischer Reihenfolge gelesen werden sollten, sind dieeinzelnen Kapitel des dritten Teiles unabhängiger voneinander.

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Vorwort

Im Anhang sind schließlich für die Algebra wichtige Ergebnisse aus der Linearen Al-gebra und der Analysis zusammengestellt und weiteres Material aufgenommen, welchesdas Interesse des Leser wecken sollte, welches aus konzeptionellen Gründen aber nichtin den Hauptteil paßt.Es sind schon viele einführende Lehrbücher der Algebra und speziell über die Ga-

loissche Theorie geschrieben worden. Der Autor dieses Buches hat zum Beispiel vielaus dem Buch von Serge Lang [L] gelernt und auch in deutscher Sprache gibt es vielebewährte Lehrbücher wie zum Beispiel das von Siegfried Bosch [B]. Was sind also dieBesonderheiten des vorliegenden Buches, dessen Inhalt auch Grundlage von Vorlesungendes Autors ist? Folgende Prinzipien sind bei der Erstellung der „Galoisschen Theorie“verfolgt worden:Abstrakte Theorien und Definitionen werden aus konkreten Problemstellungen und

Lösungen abgeleitet und nicht umgekehrt das Konkrete als Spezialfall des Abstraktenangesehen. Auch wenn die abstrakte Theorie am Ende das ist, was die eigentliche Weiter-entwicklung der Mathematik darstellt, kann sie doch nur mit Wissen des ursprünglichenkonkreten Rahmens ausreichend gewürdigt und verstanden werden.Weiter besteht bei jeder fortschrittlichen mathematischen Theorie die Gefahr, daß die

großen Sätze am Ende zwar elegant aus einer Kette von Abstraktionen und Lemmatafolgen, der eigentliche Grund für ihre Wahrheit aber nicht mehr übersehen wird. Er-klärtes Ziel des Buches ist es daher auch, dafür zu sorgen, daß der rote Faden im Kopfdes Lesers nicht abreißt und dieser zu jeder Zeit in der Lage ist, einem Laien zumin-dest grob erklären zu können, was die Gegenstände der Theorie sind, und Begründungenfür ihre Aussagen liefern zu können. In dieser Hinsicht wichtig ist dem Autoren auch,daß schon frühzeitig auf Anwendungen der Theorie eingegangen wird und nicht erst amEnde, nachdem ein riesiges Theoriegebäude scheinbar unmotiviert hochgezogen wordenist.Die Entwicklung der Galoisschen Theorie und ihrer Grundlagen erfolgt schließlich in

eine Richtung, auf die in weiteren fortgeschrittenen Vorlesungen die algebraische Zahlen-theorie und die arithmetische und algebraische Geometrie aufbauen können. Auf diesenFeldern gibt es etliche Ausblicke. Im Gegensatz dazu ist der Gruppentheorie ein klei-nerer Raum gegeben worden, etwa in dem Maße, wie sie üblicherweise in einführendenAlgebravorlesungen abgehandelt wird und wie sie in anderen Gebieten der Mathematikbenötigt wird. Die nicht-kommutative Algebra spielt in diesem Buch keine große Rolle,und auch auf die Darstellungstheorie wird nicht wesentlich eingegangen. In jedem Falleist darauf wert gelegt worden, daß auch das Studium nur des ersten Teiles dieses Bu-ches einen wesentlichen Beitrag für die mathematische Allgemeinbildung auch desjenigenStudenten liefert, welcher sich nicht im Bereich der Algebra vertiefen möchte.Etwas, wovon sich dieses Buch von den meisten, wenn auch nicht von allen Lehrbüchern

der Algebra — wir denken da an das von Harold Edwards [E] — unterscheidet, ist, daßkonsequent der Standpunkt eines konstruktiven Mathematikers eingenommen wordenist: Um die Existenz eines mathematischen Objektes zu beweisen, ist eine Konstrukti-onsvorschrift für dieses anzugeben. Damit muß zwar auf das Gesetz des ausgeschlossenenDritten und das Auswahlaxiom, welche beide nicht konstruktiv sind, verzichet werden(das heißt, die klassische Logik muß durch die intuitionistische ersetzt werden), aller-

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dings erlaubt dies nicht nur eine schärfere Sicht auf die Dinge, sondern verhindert auch,daß wir Aussagen ableiten, welche zwar logische Konsequenz der Axiome sind, aber fürsich genommen keine praktische Relevanz haben: So besagt der klassische Fundamental-satz der Algebra, daß jede nicht triviale Polynomgleichung über den komplexen Zahleneine Nullstelle hat. Jedoch gibt es kein allgemeines Verfahren, eine solche Nullstelle zuberechnen, was im wesentlichen daran liegt, daß es für eine beliebige komplexe Zahlunentscheidbar ist, ob sie verschwindet oder nicht. Im Gegensatz zu anderen Büchernüber konstruktive Algebra wie etwa [MRR] wird in diesem Buch der konstruktive Stand-punkt jedoch nicht betont. Jemandem, dem der Konstruktivismus bisher fremd gewesenist und der dieses Buch liest, wird im wesentlichen auffallen, daß einige Aussagen etwasvorsichtiger als klassisch üblich formuliert sind — so werden wir den Fundamentalsatzder Algebra nur für Gleichungen beweisen, deren Koeffizienten algebraische Zahlen sind— und vielleicht, daß einige Beweise zwar aufwendiger, dafür aber mit größerer Klarheitgeführt worden sind.Da es überzeugte Meinung des Autors ist, daß Mathematik genauso wenig wie Schwim-

men oder das Spielen eines Instrumentes nur durch das Studium eines Buches gelerntwerden kann, sind zahlreiche Übungsaufgaben vorhanden. Das Niveau der Übungsaufga-ben beginnt bei einfachen Fragen, anhand derer eine einfache Überprüfung des Lerner-folges möglich ist, und geht hin bis zu schweren Kopfnüssen, die die Begnadeten unterden Studenten animieren sollen.Genug der Vorrede, jetzt kommt die Algebra zu Wort. Ich wünsche viel Spaß beim

Stöbern und Durcharbeiten der Kapitel.

Augsburg, am 10. Dezember 2013 Marc Nieper-Wißkirchen

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Abbildung 1.: Évariste Galois, 25.10.1811–31.05.1832

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Notationen

StandardmengenMit N0 = 0, 1, 2, . . . bezeichnen wir die Menge der natürlichen Zahlen, insbesondereist für uns 0 eine natürliche Zahl. Die Menge der positiven natürlichen Zahlen bezeichnenwir mit N. Weiter sei Z die Menge der ganzen Zahlen, Q die Menge der rationalen Zahlen,R die Menge der reellen Zahlen und C die Menge der komplexen Zahlen.

MengenlehreIst X eine Teilmenge einer Menge Y , so schreiben wir X ⊆ Y . Ist X eine echte Teilmengevon Y , das heißt X ⊆ Y und X 6= Y , so schreiben wir auch X ( Y .

Reelle ZahlenSind x und y zwei reelle Zahlen, so steht x 6= y für

(x > y) ∨ (x < y),

wir haben also x 6= y genau dann, wenn |x− y| > 0.

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EinleitungFrag Jacobi oder Gauß öffentlich um ihreMeinung, nicht hinsichtlich der Richtigkeit,sondern hinsichtlich der Bedeutung dieser Sätze.Später einmal, so hoffe ich, werden es einigeLeute der Mühe wert finden, dieses ganzeGeschmier zu entziffern. [G, S. 25–32]

(Brief von É. Galois an A. Chevalier)Mit zu den wichtigsten Aufgabenstellungen in den Anwendungen der Mathematik aberauch in der Mathematik selbst gehört sicherlich das Lösen von Gleichungen. Die einfach-sten Gleichungen sind vielleicht die linearen, also Gleichungen der Form

aX + b = 0,

oder auch mehrere solcher Gleichungen zusammengefaßt zu linearen Gleichungssystemen,etwa

a11X1 + · · ·+ a1mXm + b1 = 0,...

...an1X1 + · · ·+ anmXm + bn= 0,

wobei die aij und bi zum Beispiel rationale Zahlen sind. Eine befriedigende Lösungstheo-rie für solche linearen Gleichungssysteme liefert die Lineare Algebra.Ein ganzes Stück komplizierter sind dann schon Polynomgleichungen, also Gleichungen

der FormanX

n + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0. (1)

Die Lösungstheorie solcher Gleichungen ist Gegenstand der Algebra und damit zentralesThema dieses Buches. Der nächstkompliziertere Schritt würde dann zu polynomiellenGleichungssystemen in mehreren Variablen führen. Diese werden in der AlgebraischenGeometrie behandelt, welche auf der Algebra aufbaut und auf deren Anfänge wir imdritten Teil des Buches knapp eingehen können.Können wir durch an dividieren, läßt sich (1) in die äquivalente Gleichung

Xn + bn−1Xn−1 + · · ·+ b1X + b0 = 0 (2)

mit bi = a−1n ai für i ∈ 0, . . . , n− 1 umformen. Wir nennen n ∈ N0 dann den Grad der

Polynomgleichung. Im Falle von n = 1 erhalten wir die lineare Gleichung X + b0 = 0,welche genau eine Lösung, nämlich X = −b0 besitzt.Interessant wird es beginnend mit den quadratischen Gleichungen, also dem Falle

n = 2. Mit p = b1 und q = b0 ist die allgemeine quadratische Gleichung durch

X2 + pX + q = 0 (3)

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Einleitung

gegeben. Schon in der Schule wird die Lösungstheorie solcher Gleichungen gelehrt undauch den Babyloniern vor viertausend Jahren war die Lösung wohlbekannt [vdW]: Istdie Diskriminante

∆ = p2 − 4qein Quadrat, sind die Lösungen von (3) durch

x1,2 = 12(−p±

√∆)

gegeben, ansonsten ist die Gleichung unlösbar.Damit wird auch schon ein wesentlicher Unterschied zur linearen Gleichung in einer

Variablen deutlich: es kann auch mehrere, in diesem Falle bis zu zwei Lösungen geben.Schauen wir genauer auf die beiden möglichen Lösungen, so erkennen wir eine interes-sante Sache: Definieren wir eine Wurzel

√∆ von ∆ einfach als eine Zahl, deren Quadrat

∆ ist, so ist diese Zahl im allgemeinen nur bis auf ein Vorzeichen definiert. Und ge-nau um diese Vorzeichenwahl unterscheiden sich die beiden Lösungen x1 und x2. DenWechsel dieses Vorzeichens, das heißt das Vertauschen von x1 und x2 können wir alsSymmetrieoperation auf der Menge der Lösungen der Gleichung auffassen.Erwähnenswert ist weiterhin, daß wir zum Erhalten der Lösung durch 2 dividieren

müssen. Wir werden später lernen, daß dies nicht in jedem Zahlbereich möglich ist,d.h. es gibt Zahlbereiche, in denen die Lösungstheorie der quadratischen Gleichung an-ders aussehen muß.Gehen wir als nächstes zu Polynomgleichungen höheren Grades über. Es zeigt sich,

daß bei der Gleichung (2) vom Grade n höchstens n verschiedene Lösungen auftreten,im Falle der Gleichung

X3 + aX2 + bX + c = 0 (4)dritten Grades also bis zu drei Lösungen. Im Gegensatz zur quadratischen Gleichung hates bis zum 16. Jahrhundert gedauert, bis die allgemeine Lösung der kubischen Gleichunggefunden worden ist, und zwar zuerst von Scipione del Ferro1 und Nicolo Tartaglia2. DieLösung lautet folgendermaßen: Wir setzen

p := b− a2

3 , q := 2a3 − 9ab+ 27c27 .

Dann ist die reduzierte kubische Gleichung

Y 3 + pY + q = 0 (5)

mit Y = X+ a3 äquivalent zu (4) (wie sich schnell durch Einsetzen und Ausmultiplizieren

überprüfen läßt), das heißt, ist y eine Lösung von (5), so ist x = y − a3 eine Lösung

der ursprünglichen Gleichung (4) (und umgekehrt). Damit reicht es offensichtlich, diereduzierte kubische Gleichung zu lösen. Sei

u = 3

√√√√−q2 + 12

√−∆27

1Scipione del Ferro, 1465–1526, italienischer Mathematiker2Nicolo Tartaglia, 1499/1500–1557, italienischer Mathematiker

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wobei∆ := −4p3 − 27q2

die Diskriminante der reduzierten kubischen Gleichung ist. Setzen wir

v = − p

3u,

so isty = u+ v = u− p

3ueine Lösung von (5). (Es folgt, daß x = u+v−a

3 eine Lösung der ursprünglichen Gleichung(4) ist.) Was ist mit den anderen Lösungen? Dazu erinnern wir daran, daß (zumindest imKörper der komplexen Zahlen) das Ziehen der dritten Wurzel keine eindeutige Operationist, das heißt, ist eine Zahl z gegeben, so gibt es in der Regel drei Lösungen u für u3 = z.Damit erhalten wir also auch drei mögliche Werte für y.Im Vergleich zur Lösungsformel für die quadratische Gleichung sticht ins Auge, daß die

kubische Gleichung wieder durch Wurzeln, in diesem Falle durch Quadrat- und dritteWurzeln ausgedrückt werden kann. Die Mehrdeutigkeit der (in diesem Falle dritten)Wurzel liefert wieder die verschiedenen Lösungen der Gleichung. Schauen wir genau hin,erkennen wir aber, daß noch eine andere Wurzel auftritt, nämlich die Quadratwurzel

√∆

unter der dritten Wurzel von u. Was passiert, wenn wir hier die andere Wurzel wählen,also das Vorzeichen vor der Wurzel ändern? Wie sich durch kurze Rechnung bestätigenläßt, ist

v3 = −q2 −12

√−∆27 ,

also

v = 3

√√√√−q2 − 12

√−∆27 ,

das heißt u und v vertauschen durch einen Wechsel des Vorzeichens einer Quadratwurzel,etwas, was wir im Falle der quadratischen Gleichung als Symmetrieoperation angesehenhaben. Und auch hier sind Symmetrien erkennbar. Die Lösung y = u+v ist zum Beispielinvariant unter der Vertauschung von u und v, ist also symmetrisch.Die Lösungsformel für die kubische Gleichung ist durch Gerolamo Cardano3 1545 in

seinem Werke Ars magna aufgeschrieben worden. Ihm wurde das Wissen über dieseFormel von Tartaglia mitgeteilt, allerdings nur unter dem Schwur, sie nicht weiterzuver-breiten. An diesen Schwur fühlte sich Cardano nicht mehr gebunden, nachdem er Kennt-nis davon erlangt hatte, daß del Ferro schon einige Zeit vor Tartaglia die Gleichungenentdeckt hatte. Cardanos Schüler Ludovico Ferrari4 fand unter Anleitung seines Leh-rers schließlich auch noch eine Lösungsformeln für Polynomgleichungen vierten Grades,welche ebenfalls in der Ars magna veröffentlich worden ist (aus diesem Grunde heißen

3Gerolamo Cardano, 1501–1576, italienischer Arzt, Philosoph und Mathematiker4Ludovico Ferrari, 1522–1565, italienischer Mathematiker

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Einleitung

die Auflösungsformeln für die Gleichung dritten und vierten Grades auch CardanischeFormeln.Die Formeln für die quartische Gleichung, also die Gleichung vierten Grades, wollen

wir aufgrund ihrer Kompliziertheit an dieser Stelle nicht angeben — wir werden aber imHauptteil des Buches diese Formel ableiten —, allerdings sei gesagt, daß die Lösungenwieder durch Quadrat- und dritte Wurzeln ausgedrückt werden können. (Wer unbedingteine vierte Wurzel erwartet, der sei daran erinnert, daß eine vierte Wurzel nichts anderesals eine Quadratwurzel einer Quadratwurzel ist.)Damit stellte sich natürlich die Frage nach entsprechenden Lösungsformeln für Po-

lynomgleichungen fünften und höheren Grades, das heißt nach der Antwort auf dasfolgende Problem: Gegeben seien die Koeffizienten einer Polynomgleichung. Bestimmeihre Lösung mittels der Grundrechenarten und Wurzelziehens aus den Koeffizienten; lösedie Gleichung also durch Wurzeln auf. Nachdem Cardano die Formel für die Gleichungendritten und vierten Grades 1545 aufgeschrieben hatte, hat es zunächst über Jahrhun-derte keinen echten Fortschritt gegeben. Die allgemeine Gleichung fünften Grades wi-derstand jeglichen Lösungsversuchen. In den Jahren 1770/71 untersuchte Joseph-Louisde Lagrange5 noch einmal die Rechentricks, welche schließlich zu den Lösungen für dieGleichungen dritten und vierten Grades führten. Er erkannte ein Muster und wende-te es auf die Gleichung fünften Grades an. Doch anstelle einer Vereinfachung auf eineGleichung niedrigeren Grades erhielt er eine Gleichung vom Grad 24, welche jedenfallskeine Vereinfachung der ursprünglichen Gleichung bedeutet. Bei Gleichungen höherenals fünften Grades war die Situation noch hoffnungsloser.Langsam begannen die Mathematiker zu glauben, daß es vielleicht gar keine Lösungs-

formel für Gleichungen fünften oder höheren Grades gibt. Im Jahre 1799 veröffentlichtePaolo Ruffini6 eine Arbeit, in der er behauptete, daß die allgemeine Gleichung fünftenGrades nicht durch Wurzeln auflösbar sei. In dem von ihm gegebenen Beweis gab es je-doch eine kleine Lücke, welche erst von Niels Henrik Abel7 im Jahre 1824 geschlossen wer-den konnte. Seitdem war klar, daß die allgemeine Gleichung fünften und höheren Gradesnicht durch Wurzeln auflösbar ist, daß also jegliche Suche nach Lösungsformeln vergeb-lich war. Dieser Satz heißt heutzutage zu Ehren seiner Entdecker der Abel–RuffinischeSatz.Was der Satz allerdings nicht ausschließt, ist für jede einzelne Gleichung die Existenz

eines Wurzelausdrucks in den Koeffizienten für ihre Lösungen. Denn für zwei verschie-dene Gleichungen könnten diese Wurzelausdrücke ja so unterschiedlich sein, daß sie sichnicht zu einer allgemeinen Formel, deren Nichtexistenz von Abel und Ruffini bewiesenwar, zusammensetzen lassen. Aber auch diese Vermutung war falsch: Es gibt spezielleGleichungen fünften (und höheren) Grades, welche sich nicht durch Wurzeln auflösenlassen, wie zum Beispiel

X5 −X + 1 = 0, (6)

das heißt für keinen wie auch immer gearteten Wurzelausdruck ist dessen fünfte Potenz5Joseph-Louis de Lagrange, 1738–1813, italienischer Mathematiker6Paolo Ruffini, 1765–1822, italienischer Mathematiker, Mediziner und Philosoph7Niels Henrik Abel, 1802–1829, norwegischer Mathematiker

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derselbe um eins vermindert. Dies ist um 1830 von Évariste Galois8 erkannt worden,in dem er die Symmetrien zwischen den Lösungen einer Polynomgleichung untersuchthatte und bewies, daß Gleichungen mit zu vielen Symmetrien existieren, als daß dieLösung noch durch Wurzeln ausdrückbar wäre. Galois selbst hatte zu Lebzeiten nieAnerkennung für seine bahnbrechende Leistung gefunden — im Vergleich zu seinemNichtexistenzsatz ist der Satz von Abel und Ruffini viel leichter. Das lag zum einendaran, daß er 1832 im Alter von nur 20 Jahren tragisch an den Verletzungen durch einPistolenduell starb, dessen vermutlicher Anlaß eine unglückliche Liebe war. Zum anderenschien er mit seinen Ideen seinen mathematischen Zeitgenossen weit voraus gewesen zusein; erst 1843 erkannte Joseph Liouville9 die Bedeutung der Galoisschen Theorie undveröffentlichte sie in seinem Journal.Diese Theorie und ihre Weiterentwicklungen bis in 21. Jahrhundert hinein werden wir

im Buch nachvollziehen, so daß wir am Ende auch die Frage beantworten können, warumGleichungen dritten und vierten Grades durch Wurzeln auflösbar sind, die Gleichung (6)aber zum Beispiel nicht.Neben der Frage nach Auflösungsformeln für Polynomgleichungen gab es weitere, jahr-

tausende alte ungelöste Probleme, diesmal aus der ebenen Geometrie. Schon die altenGriechen fragten danach, ob es möglich sei, einen beliebigen Winkel nur mit Zirkel undLineal dreizuteilen. (Daß die Halbierung eines Winkels mit Zirkel und Lineal möglichist, ist seit der Antike bekannt und wird regelmäßig in der Schule gelehrt.) Eine weitereFrage war die nach der Würfelverdoppelung: Kann aus der Seitenlänge eines gegebenenWürfels nur mit Zirkel und Lineal die Seitenlänge eines Würfels mit doppeltem Flächen-inhalt konstruiert werden? Mit anderen Worten also die Frage, ob aus einer Strecke derLänge 1 eine Strecke mit der Länge 3√2 konstruiert werden kann. Eine ähnliche Fragewar die nach der Quadratur des Kreises: Gegeben ein Radius eines Kreises, kann darausnur mit Zirkel und Lineal die Seitenlänge eines Quadrates mit demselben Flächenin-halt wie der Kreis konstruiert werden? Eine positive Antwort auf diese Frage würde einKonstruktionsverfahren für eine Strecke der Länge π aus einer Strecke mit der Länge 1liefern.Wir werden sehen, daß alle drei Fragen mit nein zu beantworten sind. In der Ma-

thematikgeschichte hat es nach den Griechen allerdings sehr lange gedauert, bis dieseAntworten gefunden waren: Im Jahre 1837 zeigte Pierre Laurent Wantzel10 auch aufbau-end auf den Ideen Galois’, daß weder die Dreiteilung eines allgemeinen Winkels noch dieWürfelverdopplung nur mit Zirkel und Lineal möglich sind. Das Problem der Quadraturdes Kreises war hartnäckiger und benötigte neben der Algebra auch Methoden der Ana-lysis. Erst 1882 wurde die Unmöglichkeit der Kreisquadratur von Carl Louis Ferdinandvon Lindemann11 gezeigt.Eng mit der Dreiteilung des Winkels hängt auch die Frage nach der Konstruierbar-

keit regelmäßiger Polygone zusammen. Mit Zirkel und Lineal konnten die Griechen dasregelmäßige Drei-, Vier-, Fünf- und Fünfzehneck konstruieren. Aufgrund der Möglich-

8Évariste Galois, 1811–1832, französischer Mathematiker (Porträt auf xvii)9Joseph Liouville, 1809–1882, französischer Mathematiker

10Pierre Laurent Wantzel, 1814–1848, französischer Mathematiker11Carl Louis Ferdinand von Lindemann, 1852–1939, deutscher Mathematiker

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Einleitung

keit der Winkelhalbierung folgen daraus sofort Konstruktionsvorschriften für das n-Eckmit n = 2mk, wobei k = 3, 5, 15. Offen blieb zum Beispiel die Frage nach der Konstru-ierbarkeit des regelmäßigen Sieben- oder Neunecks. (Da für das Neuneck der Winkeldes gleichseitigen Dreiecks dreigeteilt werden muß, würde Nichtkonstruierbarkeit desregelmäßigen Neunecks allgemeiner die Unmöglichkeit der Dreiteilung eines beliebigenWinkels implizieren.) Erst 1796 gab es wieder Fortschritt in dieser Frage: Als Neun-zehnjähriger gab Carl Friedrich Gauß12 eine Konstruktionsvorschrift für das regelmäßige17-Eck an. Fünf Jahre später konnte er Konstruktionen mit Zirkel und Lineal für dasregelmäßige n-Eck angeben, wenn immer n ein Produkt aus einer Zweierpotenz und paar-weise verschiedenen Fermatschen13 Primzahlen ist. Dabei ist eine Fermatsche Primzahleine Primzahl, welche von der Form Fn = 22n + 1 ist. (Bisher sind nur fünf FermatschePrimzahlen bekannt, nämlich F0 = 3, F1 = 5, F2 = 17, F3 = 257, F4 = 65537.) Gaußvermutete, daß keine weiteren regelmäßigen n-Ecke mit Zirkel und Linear konstruier-bar sind — was insbesondere die Nichtkonstruierbarkeit des regelmäßigen Sieben- undNeunecks einschließen würde. Ein Beweis dieser Vermutung ist ebenfalls in der Arbeitvon 1837 durch Pierre Wantzel gegeben worden.

12Carl Friedrich Gauß, 1777–1855, deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker13Pierre de Fermat, 1607–1665, französischer Mathematiker und Jurist

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Teil I.

Elementare Galoissche Theorie

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

1.1. Über Polynomgleichungen

Wie in der Einleitung beschrieben, ist eines der Ziele dieses Buches, die Lösungstheorievon Polynomgleichungen zu beschreiben, also von Gleichungen der Form

anXn + an−1X

n−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0, (1.1)

wobei die Koeffizienten a0, . . . , an Zahlen sind und wir X die Unbestimmte nennen. EineLösung der Gleichung (1.1) ist eine Zahl x, so daß die Setzung X = x in (1.1) dieGleichung erfüllt, das heißt, daß

anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a1x+ a0 = 0. (1.2)

Die erste Frage, die sich stellt, ist die, ob (1.1) überhaupt eine Lösung besitzt. Bevor wirdiese Frage beantworten können, sollten wir erst einmal klären, was bei der Definitionder Polynomgleichung unter einer Zahl verstehen wollen, in welchem Zahlbereich wir alsorechnen wollen. Damit (1.2) Sinn ergibt, müssen wir in diesem Zahlbereich mindestensaddieren und multiplizieren können, und es sollten in ihm die einschlägigen Gesetze,nämlich die Assoziativgesetze, die Kommutativgesetze und das Distributivgesetz gelten.Weiter sollte die Null im Zahlbereich enthalten sein — schließlich taucht sie auf derrechten Seite der Gleichung auf — und ebenso die Eins — denn damit können wir aucheine Gleichung wie X2−1 = 0 in die Form (1.1) bringen, nämlich als 1 ·X2−1 = 01. (InZukunft werden wir Vorfaktoren 1 in der Regel nicht mehr mitschreiben, genausowenigwie Terme mit Vorfaktoren 0.)An schon aus der Schule bekannten Zahlbereichen mit diesen Eigenschaften haben

wir die natürlichen Zahlen N0, die ganzen Zahlen Z, die rationalen Zahlen Q und diereellen Zahlen R zur Verfügung, wobei die Zahlbereiche ineinander liegen, das heißt,wir können jede natürliche Zahl als ganze Zahl auffassen, jede ganze Zahl als rationaleZahl, etc. Damit können wir grundsätzlich die Koeffizienten aus einem anderen dieserZahlbereiche als die gesuchten Lösungen wählen.Fangen wir mit der Betrachtung des Koeffizientenbereiches an: Eine Gleichung der

FormX − a = 0 (1.3)

können wir in die Form (1.1) bringen, indem wir X + (−a) = 0 schreiben. Offensichtlichmuß dazu im Koeffizientenbereich die Negation −a von a existieren, also eine Zahl −a

1Wir werden später lernen, daß ein solcher Zahlbereich ein kommutativer Halbring genannt wird.

3

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

mit der Eigenschaft a + (−a) = 0. Da wir auch Gleichungen der Form (1.3) als Poly-nomgleichungen betrachten möchten, wollen wir als Zahlbereich der Koeffizienten denBereich der natürlichen Zahlen ausschließen. Die übrigen Zahlbereiche Z,Q,R besitzenNegationen. (Bevor die Mathematiker gelernt haben, mit negativen Zahlen zu rechnen,waren zum Beispiel die quadratischen Gleichungen X2 +pX+q = 0 und X2−pX+q = 0Gleichungen von einem unterschiedlichen Typ, was zu einer ganzen Reihe von dann not-wendigen Fallunterscheidungen geführt hatte.)Aber auch die ganzen Zahlen als Koeffizientenbereich legen uns Einschränkungen auf:

Wir wollen eine Polynomgleichung der Form

Xn + bn−1Xn−1 + · · ·+ b1X + b0 = 0

eine normierte Polynomgleichung n-ten Grades nennen, wobei wir für n = 1, 2, 3, 4, 5auch die Adjektive linear, quadratisch, kubisch, quartisch oder quintisch oder die Sub-stantive lineare Gleichung, Quadrik, Kubik, Quartik oder Quintik verwenden. Ist an 6= 0in (1.1), so können wir über den rationalen (oder reellen) Zahlen die Gleichung (1.1) indie äquivalente normierte Gleichung

Xn + an−1an

Xn−1 + · · ·+ a1a0X + a0

an= 0 (1.4)

n-ten Grades überführen. Dabei heißt äquivalent, daß ein x genau dann Lösung von (1.1)ist, wenn es Lösung von (1.4) ist. Über den rationalen Zahlen können wir sogar jede nichttriviale Gleichung der Form (1.1) in eine normierte Polynomgleichung überführen: Sindan = an−1 = · · · = am+1 = 0 und am 6= 0 in (1.1), so können wir die führenden Termeoffensichtlich weglassen, so daß die Gleichung äquivalent zu amXm + am−1X

m−1 + · · ·+a1X + a0 = 0 ist, welche wegen am 6= 0 wiederum äquivalent zu einer normiertenGleichung ist.Von daher vereinbaren wir, daß wir bei der Untersuchung von Polynomgleichungen

als Koeffizientenbereich (zunächst) die rationalen Zahlen wählen. Wir können uns damitauf normierte Polynomgleichungen n-ten Grades beschränken.Überlegen wir uns als nächstes einen geeigneten Zahlbereich für die Lösungen. Je grö-

ßer dieser Zahlbereich, um so eher können wir erwarten, daß sich die Gleichung (1.4) eineLösung besitzt. Gibt es einen Zahlbereich, in dem die normierte Polynomgleichung (1.4)für n ≥ 1 immer eine Lösung besitzt? (Der Fall n = 0 ist die Gleichung 1 = 0, die wiroffensichtlich ausschließen müssen.)Damit Lösungen überhaupt existieren können, muß der Zahlbereich für die Lösungen

sicherlich mindestens so groß sein, wie der Zahlbereich der Koeffizienten, denn die Glei-chung X − a = 0 hat in den natürlichen oder ganzen Zahlen keine Lösung, wenn a einenicht ganze rationale Zahl ist. Doch auch in den rationalen Zahlen besitzen Polynomglei-chungen im allgemeinen keine Lösung, was schon von Hippasos von Metapont2 erkanntworden ist. Eine Polynomgleichung, welche in den rationalen Zahlen keine Lösung be-sitzt, ist zum Beispiel

X2 − 2 = 0. (1.5)2Hippasos von Metapont, 6./5. Jhd. vor Christus, griechischer Mathematiker, Musiktheoretiker undPhilosoph

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1.1. Über Polynomgleichungen

Nach dem Satz des Pythagoras3 ist die Lösung durch die Länge der Diagonalen einesQuadrates mit Seitenlänge 1 gegeben. Wir wollen uns kurz ins Gedächtnis rufen, warumkeine rationale Zahl x Lösung von (1.5) sein kann. Angenommen x2 = 2, wobei x = p

q

ist und p, q zwei ganze Zahlen mit q 6= 0. Dann würde p2 = 2q2 folgen. Da in der Prim-faktorzerlegung eines Quadrates einer ganzen Zahl jeder Primfaktor in gerader Anzahlauftaucht, ist der Exponent von 2 auf der linken Seite ein gerader, auf der rechten Seiteallerdings ein ungerader. Widerspruch! Da wir ein Quadrat über einer Seite und dessenDiagonale, wie aus der Schule bekannt, nur mit Zirkel und Lineal konstruieren können,haben wir damit insbesondere gezeigt, daß wir aus einer Strecke der Länge 1 eine Streckemit einer Länge konstruieren können, welche keine rationale Zahl ist. Für die Pythago-reer der Antike war dies eine erstaunliche Entdeckung, nämlich daß sich Strecken auseiner Strecke konstruieren lassen, zu der sie inkommensurabel sind, das heißt, zu der siein keinem rationalen Verhältnis stehen.Bekanntlich läßt sich aber (1.5) lösen, wenn wir Lösungen aus dem größeren Bereich

der reellen Zahlen zulassen: Eine Lösung ist√

2 = 1, 4142135623 . . . ,

die andere −√

2. Häufig wird in der Schule der Übergang von den rationalen Zahlenzu den reellen Zahlen dadurch motiviert, daß nach einem Zahlbereich gesucht wird,in dem auch Gleichungen wie (1.5) eine Lösung besitzen. Dies ist jedoch irreführend,denn in Wirklichkeit kommen, wie wir noch sehen werden, neben den Lösungen solcherPolynomgleichungen noch viel mehr Zahlen beim Übergang von den rationalen Zahlenzu den reellen Zahlen hinzu.Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch Polynomgleichungen (wie gehabt mit

rationalen Koeffizienten), welche auch in den reellen Zahlen keine Lösung besitzen. Daseinfachste Beispiel ist die Gleichung

X2 + 1 = 0. (1.6)

Eine Lösung wäre eine Zahl, deren Quadrat −1 ist. Doch das Quadrat einer jeden reellenZahl ist bekanntlich positiv. Doch wir können den Lösungsbereich ein weiteres Malerweitern, um eine Lösung auch dieser Gleichung zu erhalten, und zwar zu den komplexenZahlen, wovon im nächsten Abschnitt die Rede sein wird.

AufgabenAufgabe 1.1.1. Zeige, daß

√3 keine rationale Zahl ist.

Aufgabe 1.1.2. Zeige, daß√

12 keine rationale Zahl ist.Aufgabe 1.1.3. Zeige, daß 3√25 keine rationale Zahl ist.Aufgabe 1.1.4. Zeige, daß eine ganze Zahl a genau dann eine n-te Wurzel in den rationalenZahlen besitzt, wenn a eine n-te Wurzel in den ganzen Zahlen besitzt.Aufgabe 1.1.5. Zeige, daß jede rationale Lösung einer normierten Polynomgleichung mitganzzahligen Koeffizenten eine ganze Zahl ist.

3Pythagoras von Samos, etwa 570–495 v. Chr., griechischer Philosoph

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Aufgabe 1.1.6. SeiXn + an−1X

n−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

eine normierte Polynomgleichung mit ganzzahligen Koeffizenten. Zeige, daß jede ganz-zahlige Lösung ein Teiler von a0 sein muß.Aufgabe 1.1.7. Seien rationale Zahlen x1, . . . , xn gegeben. Konstruiere eine Polynom-gleichung vom Grade n mit rationalen Koeffizienten, welche x1, . . . , xn als Nullstellenbesitzt.Aufgabe 1.1.8. Zeige, daß jede normierte Polynomgleichung ungeraden Grades mit ra-tionalen Koeffizienten in den reellen Zahlen eine Lösung besitzt.Aufgabe 1.1.9. Gib eine normierte Polynomgleichung vierten Grades mit rationalen Ko-effizienten an, welche in den reellen Zahlen keine Lösung hat.Aufgabe 1.1.10. Gib eine normierte Polynomgleichung fünften Grades mit rationalenKoeffizienten an, welche als einzige Nullstelle die Zahl 1 hat.Aufgabe 1.1.11. Gib eine Polynomgleichung mit ganzzahligen Koeffizienten an, welche7√

3 + 3√4 als Lösung besitzt.Aufgabe 1.1.12. Gib eine Polynomgleichung mit ganzzahligen Koeffizienten an, welchedie reelle Zahl cos 15 als Lösung besitzt.

x

11

Abbildung 1.1.: Das Calabische Dreieck

Aufgabe 1.1.13. Eugenio Calabi4 hat ein nicht gleichseitiges, gleichschenkliges Dreieckgefunden, in welchem sich drei gleich große, größte Quadrate gemäß Abbildung 1.1 ein-schreiben lassen. Zeige, daß das Verhältnis x der längsten zu einer der beiden kürzerenSeiten die Gleichung 2X3 − 2X2 − 3X + 2 = 0 erfüllt.

1.2. Die komplexen ZahlenZwar sollten die komplexen Zahlen aus den Anfängervorlesungen schon bekannt sein;wir wollen sie an dieser Stelle aber noch einmal einführen und insbesondere motivieren,weil wir im weiteren Verlaufe dieses Buches noch mehrfach auf ähnliche Konstruktionen

4Eugenio Calabi, 1923–, italienisch-amerikanischer Mathematiker

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1.2. Die komplexen Zahlen

stoßen werden: Stellen wir uns zunächst vor, es gibt einen Zahlbereich, in dem (1.6) eineLösung besitzt, welcher die reellen Zahlen enthält und in welchem Addition und Mul-tiplikation definiert sind, welche Addition und Multiplikation reeller Zahlen fortsetzenund für die ebenfalls die einschlägigen Gesetze der Arithmetik (Assoziativitätsgesetze,Kommutativitätsgesetze, Distributivgesetz und Gesetze über Null und Eins) gelten. SeiC ein solcher minimaler Zahlbereich.Bezeichnen wir die Lösung der Gleichung (1.6) in diesem größeren Zahlbereich mit i,

eine Zahl, welche wir imaginäre Einheit nennen. Für diese Zahl gilt offensichtlich

i2 = −1. (1.7)

Da auf unserem (noch hypothetischen) Zahlbereich C eine Multiplikation definiert seinsoll, müssen neben i auch Zahlen der Form b i enthalten sein, wobei b eine beliebigereelle Zahl ist. Außerdem sollen wir im Zahlbereich auch addieren können. Damit folgtaus der Existenz von Zahlen der Form b i auch die Existenz von Zahlen der Form a+ b i,wobei a und b beides reelle Zahlen sind. Insbesondere sind die reellen Zahlen selbst vondieser Form, denn es gilt a = a+ 0 i. Wir behaupten, daß aufgrund der angenommenenMinimalität alle Zahlen in C von dieser Form sind. Dazu müssen wir zeigen, daß wederAddition noch Multiplikation aus dem Bereich von Zahlen der Form a+b i hinausführen.Dies ist aber der Fall, denn aus den einschlägigen Rechenregeln und (1.7) folgt, daß

(a+ b i) + (a′ + b′ i) = (a+ a′) + (b+ b′) iund daß

(a+ b i) · (a′ + b′ i) = aa′ + (ab′ + ba′)i + bb′ i2 = (aa′ − bb′) + (ab′ + ba′) i

für reelle Zahlen a, a′, b, b′. Diese Gleichungen geben uns auch an, wie wir in C zu rechnenhaben.Diese Analyse dieses hypothetischen Zahlbereiches C zeigt uns auch, wie wir einen

solchen Zahlbereich zu konstruieren haben: Wir definieren eine komplexe Zahl als einenAusdruck der Form a + b i, wobei a und b reelle Zahlen sind und für den die einschlä-gigen Rechenregeln und außerdem (1.7) gelten. Den Zahlbereich der komplexen Zahlenbezeichnen wir mit C.Wann sind zwei komplexe Zahlen gleich? Wann gilt also a1 + b1 i = a2 + b2 i? Offen-

sichtlich genau dann, wenn (a1 − a2) + (b1 − b2) i = 0. Damit reicht es zu untersuchen,wann a + b i = 0 für eine komplexe Zahl gilt. Multiplizieren wir diese Gleichung mita− b i, so erhalten wir

0 = (a+ b i) (a− b i) = a2 − b2 i2 = a2 + b2,

das heißt die Quadratsumme der beiden reellen Zahlen a und b verschwindet. Da Qua-drate reeller Zahlen immer nicht negativ sind, müssen damit a2 und b2 verschwinden,also auch a und b. Folglich gilt

a+ b i = 0 ⇐⇒ (a = 0 ∧ b = 0)

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

und damita1 + b1 i = a2 + b2 i ⇐⇒ (a1 = a2 ∧ b1 = b2).

Es folgt, daß wir eine komplexe Zahl z = a + b i mit dem Paar (a, b) reeller Zahlenidentifizieren können. Wir nennen a den Realteil von z und b den Imaginärteil von z. Zweikomplexe Zahlen stimmen also genau dann überein, wenn sie in Real- und Imaginärteilübereinstimmen.Ist z eine komplexe Zahl mit Realteil a und Imaginärteil b, so nennen wir die komplexe

Zahlz = a− b i

die Konjugierte von z. Es sei beachtet, daß i = −i eine (genauer die) andere Lösungvon (1.6) ist, die komplexe Konjugation vertauscht also die beiden Lösungen dieser Glei-chung. Aus den Rechenregeln für komplexe Zahlen folgt, daß

z1 + z2 = z1 + z2,

undz1z2 = z1z2

für komplexe Zahlen z1 und z2 gelten und daß z = z genau dann gilt, wenn z eine reelleZahl ist.Mit

|z| :=√zz =

√(a+ b i)(a− b i) =

√a2 + b2

bezeichnen wir den Betrag von z, dieser ist insbesondere eine reelle Zahl. Der komplexeBetrag verhält sich multiplikativ, das heißt

|1| = 1

und|z · z′| = |z| · |z′|

für zwei komplexe Zahlen z und z′, wie sich sofort aus den Definitionen ableiten läßt.Mit unseren obigen Überlegungen über das Verschwinden einer komplexen Zahl ergibtsich außerdem, daß

|z| = 0 ⇐⇒ z = 0.

Seien z1, z2 zwei komplexe Zahlen. Wir schreiben z1 6= z2, falls |z1 − z2| > 0. Damithaben wir

¬(z1 6= z2) ⇐⇒ z1 = z2.

Für zwei reelle Zahlen a und b ist die Wurzel√a2 + b2 genau dann nahe bei Null, wenn

sowohl |a| als auch |b| nahe bei Null sind. Auf eine komplexe Zahl z = a+b i mit Realteil aund Imaginärteil b angewandt, heißt dies wegen |z| =

√a2 + b2 gerade, daß der Abstand

von z zu 0 genau dann nahe bei Null ist (wir sagen dann, z ist nahe bei Null), wennsowohl ihr Realteil a als auch ihr Imaginärteil b nahe bei Null sind. Das nutzen wir fürfolgende Überlegungen aus: Sei für jede natürliche Zahl n eine Konstruktionsvorschrift

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1.2. Die komplexen Zahlen

komplexer Zahlen zn gegeben, und erfülle diese Vorschrift die Eigenschaft, daß |zn− zn′ |für genügend großes n und n′ beliebig klein wird. (Hierbei dürfen in die Konstruktion vonzn Wahlen eingehen, daß heißt für gegebenes n muß die Konstruktionsvorschrift nichtjedes Mal dasselbe zn liefern. Allerdings muß |zn − zn′ | unabhängig von den Wahlenbeliebig klein werden.) Schreiben wir zn = an + bn i mit reellen an und bn, so folgt, daß|an−an′ | und |bn−bn′ | für genügend großes n und n′ beliebig klein werden. Aufgrund derVollständigkeit der reellen Zahlen existieren damit genau zwei reelle Zahlen a und b, sodaß |an−a| und |bn−b| für genügend großes n beliebig klein wird. Setzen wir z = a+b i,so folgt, daß |z− zn| für genügend großes n beliebig klein wird. Umgekehrt folgt für einekomplexe Zahl z mit Realteil a und Imaginärteil b und der Eigenschaft, daß |zn − z| fürgroßes n beliebig klein wird, daß |an − a| und |bn − b| beliebig klein werden. Damit sindaber a und b eindeutig bestimmt. Also hängt z nur von der Konstruktionsvorschrift fürdie zn ab. (Ist insbesondere (zn) eine Cauchysche Folge komplexer Zahlen, so konvergiert(zn) gegen genau eine komplexe Zahl, das heißt, es existiert genau eine komplexe Zahl zso, daß |z − zn| für genügend großes n beliebig klein wird.)Wie sieht es mit der Invertierbarkeit komplexer Zahlen z aus, das heißt, wann gibt es

ein (dann eindeutiges) Inverses z−1 mit zz−1 = 1? Betrachten wir zunächst den Fall,daß es eine Inverse z−1 von z gibt. Dann ist auch z invertierbar, und zwar gilt

z−1 = z−1.

(Dies können wir durch Multiplizieren der rechten Seite mit z und Ausnutzen der Gleich-heiten zz′ = zz′ und 1 = 1 nachweisen.) Daraus folgt

(z−1z−1) · (zz) = (z−1z) · (z−1z) = 1 · (z−1z) = 1.

Ziehen wir die Quadratwurzel, erhalten wir

|z|−1 = |z−1|.

Insbesondere sehen wir, daß der Betrag einer invertierbaren komplexen Zahl selbst in-vertierbar ist.Sei umgekehrt der Betrag einer komplexen Zahl z invertierbar. Wir machen den Ansatz

z−1 = z

zz= z

|z|2. (1.8)

Die rechte Seite ist aufgrund der Invertierbarkeit des Betrages wohldefiniert. Und in derTat gibt die rechte Seite multitpliziert mit z die komplexe Zahl 1, das heißt, die komplexeZahl z ist invertierbar und ihr Inverses ist durch (1.8) gegeben. Damit haben wir gezeigt,daß eine komplexe Zahl genau dann invertierbar ist, wenn ihr Betrag invertierbar ist.Da wir eine komplexe Zahl z mit Realteil a und Imaginärteil b als ein Paar (a, b)

betrachten können, liegt es nahe, wie in Abbildung 1.2 auf der nächsten Seite komplexeZahlen mit Punkten in einer kartesischen Ebene zu identifizieren, deren eine Achse durchdie reellen Zahlen gegeben ist und deren andere Achse durch die imaginären Zahlen, das

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1z = a+ b i

a

b

|z|=√ a

2 +b2

α

z

z′

z + z′

Abbildung 1.2.: Die Gaußsche Zahlenebene.

heißt durch die Zahlen der Form (0, b) gegeben ist. Diese Ebene nennen wir die Gaußsche(oder Argandsche5) Zahlenebene. Ihr Ursprung ist die komplexe Zahl 0.In diesem Bild können wir die Operationen auf den komplexen Zahlen geometrisch

interpretieren: Die komplexe Konjugation ist die Spiegelung an der reellen Achse, derBetrag (nach dem Satze des Pythagoras’) der Abstand zum Ursprung. Sind z1 und z2zwei komplexe Zahlen aufgefaßt als Punkte in der Gaußschen Zahlenebene, so ergibtsich ihre komplexe Summe z1 + z2 als derjenige Punkt, der auf dem durch z1, z2 und0 aufgespannten Parallelogramm der Ecke 0 gegenüberliegt. Da eine Diagonale einesParallelogramms höchstens so lang wie die Summe der beiden Seitenlängen ist, folgt dieDreiecksungleichung

|z1 + z2| ≤ |z1|+ |z2|

für den komplexen Betrag.Die Interpretation der Multiplikation zweier komplexer Zahlen z1 = (a1, b1) und z2 =

(a2, b2) ist etwas komplizierter. Im Falle z1 = 0 oder z2 = 0 haben wir z1z2 = 0.Betrachten wir den Fall z1 6= 0 und z2 6= 0. Dann schließt die reelle Achse zusammen mitder Verbindungslinie zwischen dem Ursprung der Gaußschen Zahlenebene und zi einenWinkel αi wie in Abbildung 1.3 auf der nächsten Seite ein. Nach Definition des Kosinus’

5Jean-Robert Argand, 1768–1822, französischer Buchhändler und Mathematiker

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1.2. Die komplexen Zahlen

x

y

−1 −12

12

1

12

1

|z1|

z1

|z2|

z2

|z1 |·|z2 |

z1z2

α1

α2

α1 +α2

Abbildung 1.3.: Multiplikation komplexer Zahlen.

und Sinus’ giltbi cosαi = ai sinαi

für i ∈ 1, 2. Wir nennen α1 ein Argument von z1 und α2 ein Argument von z2. Nachden Additionstheoremen für die Winkelfunkionen folgt, daß

(a1b2 + b1a2) cos(α1 + α2) = (a1b2 + b1a2)(cosα1 cosα2 − sinα1 sinα2)= (a1a2 − b1b2)(cosα1 sinα2 + sinα1 cosα2)= (a1a2 − b1b2) sin(α1 + α2).

Damit liegt die komplexe Zahl z1z2 = (a1a2 − b1b2, a1b2 + b1a2) auf der Halbgeradenmit Winkel α1 + α2 zur reellen Achse. Um sie vollständig zu konstruieren, bleibt es,ihren Abstand zum Ursprung zu bestimmen. Dieser ist wegen der Multiplikativität desBetrages gerade durch Produkt der der Abstände von z1 und z2 zu 0 gegeben.

AufgabenAufgabe 1.2.1. Berechne die Inverse der komplexen Zahl 4 + 3 i.Aufgabe 1.2.2. Sei z 6= 0 eine komplexe Zahl, deren Real- und Imaginärteil rationaleZahlen sind. Zeige, daß z−1 ebenfalls rationalen Real- und Imaginärteil hat.Aufgabe 1.2.3. Zeige, daß der Realteil einer komplexen Zahl z durch 1

2(z + z) und daßder Imaginärteil durch 1

2i(z − z) gegeben ist.Aufgabe 1.2.4. Zeige formal die zuerst von Rafael Bombelli6 gefundene Gleichheit

(2±√−1)3 = 2±

√−121

und diskutiere, welche Vorzeichen der Quadratwurzeln jeweils zu wählen sind.6Rafael Bombelli, 1526–1572, italienischer Mathematiker

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Aufgabe 1.2.5. Sei z eine invertierbare komplexe Zahl. Folgere die Gleichheit

z−1 = z−1

aus der Multiplikativität der komplexen Konjugation.

Aufgabe 1.2.6. Zeige, daß für zwei reelle Zahlen a und b genau dann die Wurzel√a2 + b2

nahe bei Null ist, wenn sowohl |a| und |b| nahe bei Null sind. Zeige also:

∀ε > 0 ∃δ > 0:√a2 + b2 < δ =⇒ |a|, |b| < ε,

∀ε > 0 ∃δ > 0: |a|, |b| < δ =⇒√a2 + b2 < ε,

wobei δ und ε reelle Zahlen sind.

Aufgabe 1.2.7. Interpretiere die Multiplikation mit der imaginären Einheit i als geome-trische Operation in der Gaußschen Zahlenebene.

Aufgabe 1.2.8. Erkläre, warum( cosα − sinα

sinα cosα)eine Drehung um den Winkel α um den

Ursprung der Gaußschen Zahlenebene beschreibt. Folgere sodann die Additionstheoreme

cos(α1 + α2) = cosα1 cosα2 − sinα1 sinα2,

sin(α1 + α2) = cosα1 sinα2 + sinα1 cosα2

aus der bekannten Formel für das Produkt von Matrizen.

Aufgabe 1.2.9. Zeige, daß die Polynomgleichung X2 + X + 1 = 0 in den reellen Zahlenkeine Lösung besitzt.

Aufgabe 1.2.10. Konstruiere einen minimalen Zahlbereich R(ω), welcher die reellen Zah-len und eine Lösung ω der Polynomgleichung X2 + X + 1 = 0 enthält und in welchemAddition und Multiplikation definiert sind, welche Addition und Multiplikation reellerZahlen fortsetzen und für die ebenfalls die einschlägigen Gesetze der Arithmetik gelten.Zeige, daß ω3 = 1 in R(ω) gilt und daß es in R(ω) eine Lösung der Gleichung X2 +1 = 0gibt.

1.3. Algebraische Zahlen

Die fundamentale Eigenschaft der komplexen Zahl i ist, daß sie die Gleichung X2 +1 = 0erfüllt. Wie sieht es mit den übrigen komplexen Zahlen aus? Sind sie ebenfalls Lösungeiner Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten? Betrachten wir einfach diejenigenkomplexen Zahlen, welche Lösung einer solchen Polynomgleichung sind, und definieren:

Definition 1.1. Eine komplexe Zahl z heißt algebraisch, wenn es eine normierte Poly-nomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

mit rationalen Koeffizienten gibt, welche z als Lösung besitzt.

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1.3. Algebraische Zahlen

Um auszudrücken, daß z eine algebraische Zahl ist, schreiben wir auch

z ∈ Q.

Diese Schreibweise werden wir weiter unten in Abschnitt 1.6 auf Seite 34 erklären können.Die imaginäre Einheit i ist ein Beispiel für eine algebraischen Zahl. Die reelle Zahl

√2

ist ein weiteres Beispiel für eine algebraische Zahl, schließlich erfüllt sie die GleichungX2−2 = 0, welche offensichtlich rationale Koeffizienten hat. Weiter ist jede rationale Zahla trivialerweise eine algebraische Zahl, sie ist nämlich Lösung der Gleichung X − a = 0.Dies und die Tatsache, daß jede algebraische Zahl per definitionem eine komplexe Zahlist, können wir durch

Q ⊆ Q ⊆ C

ausdrücken.Da wir jede Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten mit dem Hauptnenner

aller Koeffizienten multiplizieren können und so eine äquivalente Polynomgleichung mitganzzahligen Koeffizienten erhalten, ist eine komplexe Zahl z offensichtlich genau dannalgebraisch, wenn eine Beziehung der Form

bnzn + bn−1z

n−1 + . . .+ b1z + b0 = 0

mit ganzzahligen bi besteht, wobei nicht alle bi gleichzeitig Null sind.Diese Beziehung sollte den Leser an den Begriff der linearen Abhängigkeit aus der

linearen Algebra erinnern: Eine komplexe Zahl z ist genau dann algebraisch, wenn einenatürliche Zahl n existiert, so daß das Tupel (1, z, z2, . . . , zn) komplexer Zahlen überden ganzen Zahlen (oder äquivalent über den rationalen Zahlen) linear abhängig ist.Das sollte den folgenden Begriff ausreichend motivieren:

Definition 1.2. Eine komplexe Zahl z heißt transzendent, falls aus

bnzn + bn−1z

n−1 + . . .+ b1z + b0 = 0

mit ganzzahligen bi schon b0 = b1 = · · · = bn = 0 folgt.

Eine komplexe Zahl z ist also genau dann transzendent, wenn für alle natürlichenZahlen n das Tupel (1, z, z2, . . . , zn) komplexer Zahlen über den ganzen Zahlen (und auchwieder äquivalent über den rationalen Zahlen) linear unabhängig ist. Eine transzendenteZahl ist also dasselbe wie eine nicht algebraische komplexe Zahl.Bisher haben wir schon Beispiele algebraischer Zahlen gesehen, aber noch kein einzi-

ges Beispiel einer transzendenten Zahl. Sobald wir allerdings ein Beispiel für eine trans-zendente Zahl haben, haben wir damit auch gezeigt, daß nicht jede komplexe Zahl al-gebraisch ist, daß es also komplexe Zahlen gibt, welche nicht Lösung einer normiertenPolynomgleichung mit rationalen Koeffizienten ist. Ein solches Beispiel einer transzen-denten Zahl werden in Abschnitt 2.4 auf Seite 62 kennenlernen, wo wir zeigen werden,daß die Kreiszahl π eine transzendente Zahl ist7.

7Es gibt komplexe Zahlen, deren Transzendenz sich wesentlich leichter zeigen läßt als die Transzendenzvon π (die sogenannten Liouvilleschen Zahlen), allerdings ist die Transzendenz von π mathematischviel interessanter.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Kehren wir zu den algebraischen Zahlen zurück. Die folgende Proposition erlaubt esuns, aus bekannten algebraischen Zahlen neue zu gewinnen:

Proposition 1.3. Sind x und y zwei algebraische Zahlen, so sind auch x+ y und x · yalgebraische Zahlen.

Aus der Algebraizität der rationalen Zahlen und der imaginären Einheit, folgt damitzum Beispiel die Algebraizität aller komplexen Zahlen der Form a + b i, wobei a und bbeliebige rationale Zahlen sind. Den Beweis erbringen wir mit Hilfe eines Hilfssatzes, derauch einer weiteren Proposition zugrunde liegen wird.

Hilfssatz 1.4. Seien c1, c2, . . . , cn komplexe Zahlen, wobei wir c1 = 1 annehmen. Habedie komplexe Zahl x die Eigenschaft, daß die Zahlen xc1, . . . , xcn rationale Linearkom-binationen von c1, . . . , cn sind, das heißt, es existiert eine Matrix

A =

a11 . . . a1n... . . . ...an1 . . . ann

rationaler Zahlen aij, so daß

xc1 = a11c1 + · · ·+ a1ncn,

...xcn = an1c1 + · · ·+ anncn.

(1.9)

Dann ist x eine algebraische Zahl.

Beweis von Hilfssatz 1.4. Sei B = x · I −A, wobei I die Einheitsmatrix mit n Zeilen ist,das heißt

B =

x− a11 −a12 . . . . . . −a1n

−a21 x− a22. . . ...

... . . . . . . . . . ...

... . . . x− an−1,n−1 −an−1,n−an1 . . . . . . −an,n−1 x− ann

.

Dann können wir (1.9) in die Form

0 = b11c1 + · · ·+ b1ncn,

...0 = bn1c1 + · · ·+ bnncn

umschreiben. Da c1 = 1, haben wir

b11 = −b12c2 − · · · − b1ncn,

...bn1 = −bn2c2 − · · · − bnncn.

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1.3. Algebraische Zahlen

Mit anderen Worten ist die erste Spalte der Matrix B eine Linearkombination der übrigenSpalten. Folglich ist detB = 0. Nach der Leibnizschen Formel für die Determinante istalso

0 =∑σ∈Sn

sgn σ ·n∏i=1

biσ(i) = b11b22b33 · · · bnn − b12b21b33 · · · bnn + · · · , (1.10)

wobei die Summe über alle n-stelligen Permutationen läuft und sgn σ ∈ 1,−1 dassogenannte Signum der Permutation ist. Schauen wir uns noch einmal die Definitionder Matrixeinträge von B an, so erkennen wir, daß die Gleichung (1.10) eine (normierte)polynomielle Gleichung für x ist, welche nur rationale Zahlen als Koeffizienten hat. Damitist x Lösung einer Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten, also eine algebraischeZahl.

Beweis von Proposition 1.3 auf der vorherigen Seite. Da x eine algebraische Zahl ist,existieren eine natürliche Zahl n und rationale Zahlen a0, . . . , an−1 mit

xn + an−1xn−1 + · · ·+ a1x+ a0 = 0,

alsoxn = −an−1x

n−1 − · · · − a1x− a0. (1.11)Da y nach Voraussetzung ebenfalls eine algebraische Zahl ist, existieren analog einenatürliche Zahl m und rationale Zahlen b0, . . . , bm−1 mit

ym = −bm−1ym−1 − · · · − b1y − b0. (1.12)

Seien die komplexen Zahlen c1, . . . , cnm die n ·m Produkte xiyj mit i ∈ 0, . . . , n − 1und j ∈ 0, . . . ,m− 1; insbesondere also c1 = 1.Sei z = x+y. Jedes Produkt zxiyj können wir unter Benutzung von (1.11) und (1.12)

als Linearkombination von (c1, . . . , cnm) mit rationalen Koeffizienten darstellen. NachHilfssatz 1.4 auf der vorherigen Seite ist damit z = x+ y eine algebraische Zahl.Dieselbe Schlußweise können wir für z = xy verwenden und erhalten, daß das Produkt

zweier algebraischer Zahlen ebenfalls eine algebraische Zahl ist.

Summen- und Produktbildung (und damit auch Differenzenbildung, welche sich ausMultiplizieren mit −1 und Summieren zusammensetzt) führt damit nicht aus dem Be-reich der algebraischen Zahlen heraus. Wie sieht es mit dem Wurzelziehen aus? Dasheißt, es stellt sich folgende Frage: Sei xn = a, die Zahl x sei also eine n-te Wurzeleiner Zahl a. Folgt dann aus der Algebraizität von a auch die Algebraizität von x? DieFrage läßt offenbar folgende Verallgemeinerung zu: Sei x Lösung einer normierten Poly-nomgleichung mit algebraischen Koeffizienten. Ist dann auch x algebraisch? Die positiveAntwort gibt die folgende Proposition:

Proposition 1.5. Sei eine komplexe Zahl z Lösung einer normierten Polynomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0 (1.13)

mit algebraischen Koeffizienten. Dann ist z eine algebraische Zahl.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Insbesondere sind also Wurzeln aus algebraischen Zahlen wieder algebraisch.Was bedeutet diese Proposition für unsere ursprüngliche Fragestellung nach Polynom-

gleichungen? Wir hatten zunächst vereinbart, daß die Koeffizienten einer solchen Glei-chung rationale Zahlen sein sollen und daß wir die Lösungen zumindest in den komplexenZahlen suchen sollten. Per definitionem sind alle komplexen Lösungen schon algebraisch,das heißt, wir können Lösungen von Polynomgleichungen mit rationalen Koeffizientengenauso gut in den algebraischen Zahlen suchen. Wie sieht es aber aus, wenn wir eineVerallgemeinerung wagen und Polynomgleichungen mit algebraischen Zahlen als Koeffi-zienten betrachten? Nach Proposition 1.5 auf der vorherigen Seite ist jede solche Lösungauch Lösung einer Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten, die wir prinzipiellangeben könnten. Eine echte Verallgemeinerung scheint der Übergang zu algebraischenZahlen als Koeffizientenbereich also nicht. Im folgenden werden wir jedoch sehen, daß wirviele Probleme über algebraische Zahlen lösen können, indem wir nicht nur die Gleichun-gen mit rationalen Koeffizienten betrachten, die eine algebraische Zahl erfüllt, sondernallgemeiner die Gleichungen mit algebraischen Koeffizienten, welche die algebraische Zahlerfüllt.

Beweis. Da z die Gleichung (1.13) erfüllt, gilt

zn = −an−1zn−1 − · · · − a1z − a0. (1.14)

Da die ai algebraisch sind, also Lösungen einer normierten Polynomgleichung mit ratio-nalen Koeffizienten, existieren natürliche Zahlen mi und rationale Zahlen bij mit

amii = −bi,mi−1ami−1i − . . .− bi,1ai − bi,0. (1.15)

Seien c1, . . . , cN alle Produkte der Form

zi · aj00 · · · ajn−1n−1

mit i ∈ 0, . . . , n − 1, j0 ∈ 0, . . . ,m0 − 1, . . . , jn−1 ∈ 0, . . . ,mn−1. Wir könnendie Produkte so sortieren, daß c1 = 1. Wegen (1.14) und (1.15) ist das Produkt vonz mit einer der komplexen Zahlen c1, . . . , cN eine Linearkombination von (c1, . . . , cN )mit rationalen Koeffizienten. Nach Hilfssatz 1.4 auf Seite 14 ist z also eine algebraischeZahl.

An dieser Stelle wollen wir noch einen weiteren Begriff einführen, und zwar nennenwir eine algebraische Zahl x eine ganze algebraische Zahl (nicht zu Verwechseln mit demBegriff einer ganzen, algebraischen Zahl, was dasselbe wie eine ganze Zahl ist), wenn sieeine normierte (!) Polynomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

erfüllt, deren Koeffizienten a0, . . . , an allesamt ganze Zahlen sind. Zum Beispiel sinddie imaginäre Einheit i und die Wurzel aus

√2 nicht nur algebraische, sondern sogar

ganze algebraische Zahlen. Außerdem ist jede ganze Zahl a als Lösung von X − a eine

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1.3. Algebraische Zahlen

ganze algebraische Zahl. Gehen wir einmal die letzten Aussagen durch, die wir für alge-braische Zahlen gewonnen haben: Fordern wir in der Voraussetzung von Hilfssatz 1.4 aufSeite 14, daß die Zahlen xc1, . . . , xcn sogar Linearkombinationen von c1, . . . , cn mit ganz-zahligen Koeffizienten sind, so ergibt eine Durchsicht des Beweises von Hilfssatz 1.4 aufSeite 14, daß dann die dort konstruierte Polynomgleichung, welche x als Nullstelle hat,die Eigenwertgleichung einer Matrix mit ganzen Einträgen ist und damit eine normierteGleichung mit ganzzahligen Einträgen ist. Folglich ist unter der verschärften Vorausset-zung von Hilfssatz 1.4 auf Seite 14 die komplexe Zahl x sogar eine ganze algebraischeZahl. Hilfssatz 1.4 auf Seite 14 geht in die Beweise von Proposition 1.3 auf Seite 14 undProposition 1.5 auf Seite 15 ein. Gehen wir diese noch einmal durch, erkennen wir, daßsich die Aussage von Proposition 1.3 auf Seite 14 und Proposition 1.5 auf Seite 15 analogverschärfen läßt: Sind x und y zwei ganze algebraische Zahlen, so sind auch ihre Summex+ y und ihr Produkt x · y ganze algebraische Zahlen. Ist x Nullstelle einer normiertenPolynomgleichung, deren Koeffizienten allesamt ganze algebraische Zahlen sind, so istauch x eine ganze algebraische Zahl.Was noch fehlt, ist die Klärung der Frage, inwiefern die Division bzw. Inversenbildung

innerhalb der algebraischen Zahlen möglich ist:

Proposition 1.6. Sei z eine algebraische Zahl. Dann ist entweder z = 0, oder es existierteine (dann eindeutige) algebraische Zahl z−1 mit zz−1 = 1.

Insbesondere können wir also feststellen, ob zwei algebraische Zahlen x und y gleichsind. Im ersten Falle ist x − y = 0. Im zweiten Falle besitzt x − y ein multiplikativesInverses.

Beweis. Da z eine algebraische Zahl ist, existiert eine normierte Polynomgleichung

zn + an−1zn−1 + · · ·+ a1z + a0 = 0 (1.16)

mit rationalen Koeffizienten a0, . . . , an−1. Sei m ∈ 0, . . . , n mit am 6= 0 aber a0 = a1 =· · · = am−1 = 0. (Hierbei setzen wir an := 1.) Mit k := n−m und bj := ai+m wird (1.16)zu

(bkzk + bk−1zk−1 + . . .+ b1z + b0) zm = 0, (1.17)

wobei bk = 1 und b0 6= 0. Sei ε eine positive reelle Zahl mit

ε < j

√|b0|k|bj |

(1.18)

für alle j ∈ 1, . . . , n. (Hierbei sei 10 :=∞.) Wegen ε > 0 haben wir

|z| > 0 ∨ |z| < ε.

Wir untersuchen beide Fälle einzeln.Im ersten Falle, also |z| > 0, ist z in den komplexen Zahlen invertierbar. Damit können

wir (1.16) mit z−m multiplizieren und erhalten nach Subtrahieren von b0 die Gleichung

bkzk + bk−1z

k−1 + · · ·+ b1z = −b0.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Dividieren durch −b0 (wir erinnern uns, daß b0 eine nicht verschwindende rationale Zahlist) und anschließendes Ausklammern von z liefert

z

(−bkb0zk−1 − bk−1

b0zk−2 − · · · − b1

b0

)= 1.

Damit istz−1 = −bk

b0zk−1 − bk−1

b0zk−2 − · · · − b1

b0, (1.19)

und da z und Summe und Produkt algebraischer Zahlen wieder algebraisch sind, folgt dieAlgebraizität von z−1. Es ist z also insbesondere in den algebraischen Zahlen invertierbar.Betrachten wir jetzt den zweiten Fall, |z| < ε. Unter dieser Voraussetzung folgt

|bkzk + bk−1zk−1 + · · ·+ b1z + b0| > |b0| − |bk| · |z|k − |bk−1| · |z|k−1 − · · · − |b1| · |z|

> |b0| − |bk|εk − |bk−1|εk−1 − · · · − |b1|ε> 0

aufgrund der Dreiecksungleichung und (1.18). Damit ist der geklammerte Ausdruckauf der linken Seite von (1.17) in den komplexen Zahlen invertierbar. Multiplizierenwir (1.17) mit seinem Inversen, erhalten wir zm = 0. Daraus folgt |z|m = 0, also |z| = 0,was wiederum z = 0 impliziert.

AufgabenAufgabe 1.3.1. Ist cos 10 eine algebraische Zahl?Aufgabe 1.3.2. Gib eine normierte Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten an,welche

√2 + 3√7 als Lösung besitzt.

Aufgabe 1.3.3. Gib eine nicht triviale Polynomgleichung mit ganzzahligen Koeffizientenan, welche

√3 · 3√7 als Lösung besitzt.

Aufgabe 1.3.4. Sei z eine Lösung der Polynomgleichung

X3 −√

2− 3√4X2 + 3 = 0.Gib eine normierte Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten an, welche z als Lö-sung besitzt.Aufgabe 1.3.5. Zeige, daß die Polynomgleichung X3 − 2X + 5 = 0 genau eine reelleLösung x besitzt. Zeige weiter, daß x eine invertierbare algebraische Zahl ist, und gibeine normierte Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten an, welche x−1 als Lösungbesitzt.Aufgabe 1.3.6. Seien x und y algebraische Zahlen, welche Lösungen normierter Poly-nomgleichungen mit rationalen Koeffizienten von Graden n beziehungsweise m sind. Gibeine Abschätzung des Grades an, den eine normierte Polynomgleichung mit rationalenKoeffizienten höchstens haben muß, damit sie x · y als Lösung besitzt.Aufgabe 1.3.7. Sei x eine rationale Zahl, welche zugleich eine ganze algebraische Zahl ist.Zeige, daß x dann sogar eine ganze Zahl ist.Aufgabe 1.3.8. Seien a0, . . . , an−1 rationale Zahlen. Sei z eine transzendente Zahl. Zeige,daß dann auch zn + an−1z

n−1 + · · ·+ a1z + a0 eine transzendente Zahl ist.

18

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1.4. Komplexe Einheitswurzeln

1.4. Komplexe Einheitswurzeln

Die reelle Exponentialfunktion läßt sich bekanntlich über ihre Potenzreihe definieren,also

ex =∞∑`=0

x`

`! .

Für eine komplexe Zahl z gilt ∣∣∣∣∣∣n2∑`=n1

z`

`!

∣∣∣∣∣∣ ≤n2∑`=n1

|z|`

`!

aufgrund der Dreiecksungleichung des komplexen Betrages. Da die reelle Exponential-reihe konvergiert, folgt damit, daß die Partialsummen der Reihe

ez :=∞∑`=0

z`

`! (1.20)

eine Cauchysche Folge bilden. Damit konvergiert die Reihe in den komplexen Zahlen.Durch (1.20) haben wir eine komplexe Exponentialfunktion für alle komplexen Zahlendefiniert. Die üblichen Rechenregeln für die Exponentialfunktion, das heißt

ez1+z2 = ez1ez2

für zwei komplexe Zahlen z1 und z2 und

enz = (ez)n (1.21)

für eine komplexe Zahl z und eine natürliche Zahl n, lassen sich genauso wie die ent-sprechenden Regeln für die Exponentialfunktion im Reellen beweisen.Den Real- und Imaginärteil von ez berechnen wir folgendermaßen. Zunächst sei z =

x+ y i mit reellen x und y. Dann gilt

ez = ex+yi = exeyi = ex∞∑`=0

(y i)n

n!

= ex ·( ∞∑n=0

(−1)n y2n

(2n)! + i∞∑n=0

(−1)n y2n+1

(2n+ 1)!

)= ex · (cos y + i sin y),

das heißt der Realteil von ez ist durch ex cos y und der Imaginärteil durch ex sin y gegeben.Wegen e0 = 1 erhalten wir mit x = 0 insbesondere

eyi = cos y + i sin y,

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

die sogenannte Eulersche8 Formel. Der Wert von ey i liegt immer auf dem Einheitskreisin der Gaußschen Zahlenebene und umgekehrt ist jeder Punkt auf dem Einheitskreis vonder Form ey i. Speziell gilt (für y = π)

eπi = −1,

also eπi + 1 = 0, eine bemerkenswerte Formel, welche die Zahlen e, π, i, 0 und 1 inVerbindung bringt. Die Additionstheoreme für den Kosinus und Sinus lassen sich ausder Gleichheit ey1i · ey2i = e(y1+y2)i ablesen.Bei der geometrischen Interpretation der Multiplikation zweier komplexer Zahlen ha-

ben wir eine komplexe Zahl z 6= 0 (also |z| > 0) durch die Angabe eines Argumentesy, das heißt eines Winkels zwischen der reellen Achse und der Verbindungslinie zwi-schen dem Ursprung und der komplexen Zahl z, und die Angabe ihres Abstandes r zumUrsprung angegeben:

z = r · (cos y + i sin y). (1.22)

Diese Darstellung heißt die Polardarstellung der komplexen Zahl z. Die reelle Zahl y istdurch z bis auf Vielfache des ganzen Winkels 2π definiert, das heißt zwei verschiedenemögliche Wahlen von y unterscheiden sich genau um ein ganzzahliges Vielfaches von 2πund umgekehrt ergibt die Addition eines ganzzahligen Vielfaches von 2π auf eine Wahleine andere mögliche Wahl. Da r > 0, existiert genau eine reelle Zahl x (nämlich dernatürliche Logarithmus von r) mit r = ex. Damit können wir (1.22) kompakt als

z = r eyi = ex+yi (1.23)

schreiben.Im Falle, daß z 6= 0 eine algebraische Zahl ist, können wir das Argument y in (1.23)

sogar so wählen, daß 0 ≤ y < 2π, das heißt für jede algebraische Zahl z ungleich Nullexistiert genau eine positive reelle (algebraische) Zahl r und genau eine reelle Zahl ymit 0 ≤ y < 2π (die Zahl y heißt dann das Argument von z): Zunächst schreiben wirz = r eαi, wobei r eine eindeutig bestimmte positive reelle Zahl (nämlich |z|) und α einebis auf ein Vielfaches von 2π bestimmte reelle Zahl ist. Sei ε eine kleine, positive reelleZahl. Indem wir gegebenenfalls ganzzahlige Vielfache von 2π auf α addieren, können wirdavon ausgehen, daß −ε < α < 2π. Im Falle von α > ε

2 können wir einfach y = α setzen.Anderfalls ist auf alle Fälle −ε < α < ε. Ist ε klein genug, können wir das Vorzeichen vonα am Vorzeichen des Imaginärteils von z ablesen. Und dieses Vorzeichen ist bestimmbar,denn der Imaginärteil ist eine algebraische Zahl und bei einer algebraischen Zahl könnenwir bestimmen, ob sich gleich Null oder ungleich Null ist, im Falle einer reellen algebrai-schen Zahl insbesondere, ob sie Null, positiv oder negativ ist. Ist α ≥ 0, so setzen wiry = α. Ist α < 0, so setzen wir y = α+ 2π ≥ 0.Nutzen wir diese Erkenntnisse, um mit unserer ursprünglichen Frage nach einem ge-

eigneten Lösungsbereich für Polynomgleichungen mit rationalen Koeffizienten weiterzu-kommen. Unser ursprüngliches Ziel ist es gewesen, einen Lösungsbereich zu finden, indem möglichst alle Polynomgleichungen (mit rationalen beziehungsweise algebraischen)

8Leonhard Euler, 1707–1783, schweizerischer Mathematiker

20

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1.4. Komplexe Einheitswurzeln

Koeffizienten eine Lösung besitzen. Dazu haben wir zunächst die reellen Zahlen durchformales Hinzufügen einer Wurzel von −1 zu den komplexen Zahlen erweitert, so daßinsbesondere die Gleichung (1.6) eine Lösung in den komplexen Zahlen besitzt. Wie siehtes mit anderen Polynomgleichungen aus? Betrachten wir etwa die Gleichung

X4 + 1 = 0, (1.24)

deren Lösung eine vierte Wurzel von −1 ist, also eine Quadratwurzel von i. Müssenwir unseren Zahlbereich ein weiteres Mal erweitern, um auch diese Gleichung lösen zukönnen, müssen wir etwa eine Lösung von X2 = i hinzufügen, nennen wir sie j? In-teressanterweise ist dies nicht der Fall. Es reichte, eine Quadratwurzel von −1 zu denreellen Zahlen hinzuzufügen, so daß auch eine vierte Wurzel z von −1 existiert. Um dieseinzusehen, erinnern wir uns an die geometrische Interpretation der Multiplikation derkomplexen Zahlen: Das Vierfache eines Argumentes von z muß ein Argument von −1

x

y

x1x2

x3 x4

12√

2

12√

2

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1

Abbildung 1.4.: Die vierten Wurzeln aus −1.

sein. Damit können wir als Argument von z zum Beispiel 14π,

34π,

54π,

74π wählen. Auf

der anderen Seite ist die vierte Potenz des Abstandes von z zum Ursprung 0 durch denAbstand von 1 zu 0 gegeben, also durch 1. Es folgt, daß der Abstand von z zu 0 ebenfalls1 ist. Damit sind vier Lösungen von (1.24) in den komplexen Zahlen durch

x1 = 12√

2 + i2√

2, x2 = −12√

2 + i2√

2,

x3 = −12√

2− i2√

2, x4 = 12√

2− i2√

2(1.25)

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

wie in Abbildung 1.4 auf der vorherigen Seite gegeben. Mit Hilfe der komplexen Expo-nentialfunktion lassen sich diese Lösungen auch einfach finden und angeben: Ist z eineLösung von (1.24), also z4 = −1, so besitzt z wegen |z| = 1 die Darstellung

z = eφi

für eine reelle Zahl φ, welche bis auf Vielfache von 2π festgelegt ist. Schreiben wir z4 = −1in dieser Darstellung aus, so erhalten wir

eπi = −1 = z4 = (eφi)4 = e4φi.

Da das Argument einer komplexen Zahl ungleich Null bis auf Vielfache von 2π festgelegtist, folgt

4φ = π+ 2k π,

wobei k eine ganze Zahl ist, also φ = 2k+14 π. Damit ist

z = eφi = e2k+1

4 πi,

also einer der folgenden vier verschiedenen Ausdrücke:

x1 = e14πi, x2 = e

34πi, x3 = e

54πi, x4 = e

74πi,

welche allesamt Lösungen von (1.24) und mit den Lösungen (1.25) übereinstimmen.(Weitere Lösungen gibt es nicht. So ist zum Beispiel e

94πi = e

14πi+2πi = e

14πi).

Dieses Vorgehen beim Ziehen vierter Wurzeln aus i läßt sich verallgemeinern: wirkönnen aus nicht verschwindenden komplexen Zahlen beliebige Wurzeln ziehen:

Proposition 1.7. Sei a eine komplexe Zahl. Sei weiter n eine positive natürliche Zahl.Ist a = 0, so besitzt die Polynomgleichung

Xn − a = 0 (1.26)

in den komplexen Zahlen genau eine Lösung x, nämlich x = 0. Ist a 6= 0, also a = r eφi

für eine positive reelle Zahl r und eine reelle Zahl φ, so besitzt (1.26) in den komplexenZahlen genau n verschiedene Lösungen, nämlich

xk = n√r e

2kπi+φin (1.27)

für k ∈ 0, . . . , n− 1.

Setzen wirζn := e

2πin , (1.28)

so können wir (1.27) nach den Rechenregeln für die Exponentialfunktion auch in

xk = ζknn√r e

iφn

umschreiben.

22

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1.4. Komplexe Einheitswurzeln

Beweis. Ist a = 0, so ist x = 0 offensichtlich eine Lösung von (1.26). Umgekehrt gilt imFalle a = 0 für jede Lösung x von (1.26), daß

|x|n = |xn| = |0| = 0,

insbesondere also |x| = 0. Dies ist aber nur für x = 0 möglich.Damit bleibt es, den Fall a = r eφi für eine positive reelle Zahl r und eine reelle Zahl φ

zu betrachten. Sei die komplexe Zahl x eine Lösung der Gleichung (1.26), also xn = r eφi.In diesem Falle ist

|x|n = |r eφi| = r,

also |x| = n√r > 0. Damit ist die Lösung von der Form

x = n√r eαi.

Eingesetzt in die Gleichung xn = r eφi erhalten wir

enαi = eφi

nach Abdividieren von r und Ausnutzen von (1.21). Wie schon in den Vorabüberlegungenhaben wir damit nα = φ+ 2k π, also

α = 2k π+ φ

n

für eine ganze Zahl k. Es folgt, daß die Lösung x einer der n verschiedenen Werte

xk = n√r e

2kπi+φin

mit k ∈ 0, . . . , n−1 sein muß. Direktes Einsetzen in (1.26) liefert, daß alle diese Wertexk in der Tat Lösungen darstellen.

Ist a eine algebraische Zahl, so können wir sogar eine kanonische Lösung von (1.26)konstruieren, welche wir einfach mit

n√a

bezeichnen wollen: Im Falle von a = 0 setzen wir n√a = 0. Im Falle von a 6= 0 schreiben

wir zunächst a = r eαi, wobei r eine eindeutig bestimmte positive reelle Zahl und α eineeindeutig bestimmte reelle Zahl mit 0 ≤ α < 2π ist, also das Argument von a. Dannsetzen wir

n√a = n

√r e

αin ,

das heißt n√a ist diejenige n-te Wurzel aus a, deren Argument am kleinsten ist. Die oben

in (1.28) eingeführte komplexe Zahl ζn ist eine sogenannte n-te Einheitswurzel. Dies liegtdaran, daß ζn die Gleichung

Xn − 1 = 0, (1.29)

also Xn = 1 erfüllt. (Die Eins wird in diesem Zusammenhang als Einheit bezeichnet).Nach Proposition 1.7 auf der vorherigen Seite sind alle Lösungen von (1.29) durch

ζkn = e2kπin

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1 ζ6 = e2πi6

π3

e4πi6 = ζ2

6

2π3e

6πi6 = ζ3

6

e8πi6 = ζ4

6 ζ56 = e

10πi6

ζ06 = e

0πi6

Abbildung 1.5.: Die sechsten Einheitswurzeln.

gegeben, wobei wieder k ∈ 0, . . . , n− 1. Die komplexe Zahl ζkn liegt auf dem Einheits-kreis, und der Winkel zwischen der reellen Achse und der Verbindungslinie zwischen demUrsprung und ζkn beträgt 2kπ

n , das heißt alle n-ten Einheitswurzeln bilden die Ecken einesregelmäßigen n-Ecks auf dem Einheitskreis der Gaußschen Zahlenebene, wobei desseneine Ecke durch 1 = ζ0

n gegeben ist, wie in Abbildung 1.5 dargestellt. Die Lösungenvon (1.29) haben also eine besonders schöne geometrische Interpretation. Aus diesemgeometrischen Grunde heißt (1.29) auch n-te Kreisteilungsgleichung.

AufgabenAufgabe 1.4.1. Sei ζ eine vierte Einheitswurzel, und sei θ eine sechste Einheitswurzel.Zeige, daß ζ · θ eine zwölfte Einheitswurzel ist.Aufgabe 1.4.2. Seien m und n zwei positive natürliche Zahlen, deren größten gemeinsa-men Teiler wir mit (m,n) bezeichnen. Sei ζ eine m-te und θ eine n-te Einheitswurzel.Zeige, daß ζ · θ eine k-te Einheitswurzel ist, wobei k = mn

(m,n) .Aufgabe 1.4.3. Wieviele zehnte Einheitswurzeln ζ gibt es, so daß alle anderen zehntenEinheitswurzeln eine ganzzahlige Potenz von ζ sind?Aufgabe 1.4.4. Sei n eine natürliche Zahl. Sei ϕ(n) die Anzahl der zu n teilerfremdennatürlichen Zahlen kleiner als n. (Die Funktion ϕ(n) heißt Eulersche ϕ-Funktion.) Zeige,daß die Anzahl der n-ten Einheitswurzeln ζ, so daß jede andere n-te Einheitswurzel eineganzzahlige Potenz von ζ ist, durch ϕ(n) gegeben ist.

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1.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Aufgabe 1.4.5. Sei eine algebraische Zahl z in der Form z = r eφi mit einer positivenreellen Zahl r und einer reellen Zahl φ gegeben. Zeige, daß r eine algebraische Zahl ist.Aufgabe 1.4.6. Gib alle komplexen Lösungen von X6 + 1 = 0 in der Form a + b i an,wobei a und b jeweils reelle Zahlen sind.Aufgabe 1.4.7. Gib eine normierte Polynomgleichung an, deren Lösungen genau die Eckeneines regelmäßigen Siebenecks in der komplexen Ebene sind, dessen Zentrum der Ur-sprung der Ebene ist und dessen eine Ecke durch die komplexe Zahl 1 + 1

2 i gegebenist.Aufgabe 1.4.8. Zeige, daß die Gleichung X3 + X2 + X + 1 = 0 genau drei komplexeLösungen besitzt, und zwar alle vierten Einheitswurzeln bis auf 1.Aufgabe 1.4.9. Zeige, daß die Gleichung Xn−1 + Xn−2 + · · · + X + 1 = 0 genau n − 1komplexe Lösungen besitzt, und zwar alle n-ten Einheitswurzeln bis auf die 1.Aufgabe 1.4.10. Folgere die Additionstheoreme für die Sinus- und die Kosinusfunktionaus der Identität ey1i · ey2i = e(y1+y2)i.

1.5. Konstruktionen mit Zirkel und LinealWir bleiben für einen Moment bei der ebenen Geometrie und betrachten eine Zeichene-bene, auf der n Punkte x1, . . . , xn vorgegeben sind. Was heißt es, daß ein bestimmterPunkt x der Ebene aus x1, . . . , xn nur mit Zirkel und Lineal (ohne Markierungen) kon-struiert werden kann (wir sagen kurz, daß x aus den vorgegebenen Punkten x1, . . . , xnkonstruierbar ist)? Der Konstruierbarkeitsbegriff läßt sich mathematisch folgendermaßenfassen:

1. Jeder der Punkte x1, . . . , xn ist aus x1, . . . , xn konstruierbar.

2. Sind x, x′, y und y′ aus x1, . . . , xn konstruierbare Punkte mit x 6= x′ und y 6= y′,so daß die Gerade L1 durch x und x′ nicht parallel zu der Geraden L2 durch yund y′ ist, und ist z der Schnittpunkt von L1 und L2, so ist z aus x1, . . . , xnkonstruierbar.

3. Sind x, x′, y und y′ aus x1, . . . , xn konstruierbare Punkte mit x 6= x′ und y 6= y′.Ist dann z ein Schnittpunkt der Geraden durch x und x′ und des Kreises durch y′mit Mittelpunkt y, so ist z aus x1, . . . , xn konstruierbar.

4. Sind x, x′, y und y′ aus x1, . . . , xn konstruierbare Punkte mit x 6= x′ und y 6= y′,so daß der Kreis K1 durch x′ mit Mittelpunkt x verschieden vom Kreis K2 durchy′ mit Mittelpunkt y ist, und ist z ein Schnittpunkt von K1 und K2, so ist z ausx1, . . . , xn konstruierbar.

5. Es gibt keine weiteren konstruierbaren Punkte.

Die Definition ist offensichtlich induktiv. Jeder konstruierbare Punkt muß in endlichvielen Schritten durch Schneiden von Geraden und Kreisen aus den gegebenen Punktenx1, . . . , xn ableitbar sein.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Betrachten wir zunächst den Grenzfall n = 0, daß also kein Punkt in der Ebene vor-gegeben ist. Dann fehlt uns gewissermaßen der Induktionsanfang, so daß wir in diesemFalle auch keinen einzigen weiteren Punkt konstruieren können. Im Falle n = 1 ist genauein Punkt x1 vorgegeben. Dieser Punkt ist auch der einzige, welcher aus x1 konstruier-bar ist, denn ein einzelner Punkt erlaubt es nach der obigen Definition nicht, Geradenund Kreise zu ziehen, so daß keine Schnittpunkte als weitere konstruierbare Punktehinzukommen.Damit schränken wir uns im folgenden auf die Fälle ein, in denen mindestens zwei

Punkte x1 und x2 mit x1 6= x2 auf der Zeichenebene vorgegeben sind (insbesondere alson ≥ 2). In diesen Fällen gibt es eine eindeutige, insbesondere abstands- und orientie-rungserhaltende Identifikation der Zeichenebene mit der Gaußschen Zahlenebene, welchex1 mit der komplexen Zahl Null und x2 mit der komplexen Zahl 1 identifiziert. Die Ge-rade durch x1 und x2 entspricht unter dieser Identifikation der reellen Achse, der Kreisdurch x2 mit Mittelpunkt x1 dem Einheitskreis der Gaußschen Zahlenebene. Nachdemwir diese Identifikation vorgenommen haben, sind die aus 0 und 1 und eventuell weite-ren xi konstruierbaren Punkte komplexe Zahlen. Da wir für spätere Anwendungen nichtmehr brauchen, schränken wir uns im folgenden auf den Fall n = 2 ein, das heißt es sindzwei Punkte, nämlich 0 und 1 vorgegeben. (Im wesentlichen bleibt alles Folgende auchfür n > 2 richtig, d.h. wenn wir mehr als zwei Punkte vorgeben.) Eine aus den Zahlen 0und 1 konstruierbare komplexe Zahl nennen wir einfach konstruierbar.Trivialerweise sind 0 und 1 konstruierbar. Da wir die Gerade durch 0 und 1 ziehen

und sukzessive die Strecke von 0 bis 1 wiederholt in beide Richtungen mit dem Zirkelabschlagen können, sind damit auch alle ganzen Zahlen konstruierbar.Aus der Schulmathematik erinnern wir uns daran, daß mit Zirkel und Lineal Senk-

rechte durch Punkte konstruiert werden können. Wir können insbesondere zur reellenAchse Senkrechte durch alle ganzen Zahlen konstruieren, diese sind dann parallel zurimaginären Achse. Auf diesen Senkrechten läßt sich der Abstand zwischen zwei Senk-rechten (also der Einheitsabstand) wieder sukzessive in beide Richtungen mit dem Zirkelabschlagen. Es folgt, daß sogar alle Punkte der Form a+ b i, wobei a und b ganze Zahlensind, konstruierbar sind. Komplexe Zahlen der Form a + b i, wobei a und b ganz sind,heißen ganze Gaußsche Zahlen.In den folgenden Hilfssätzen werden wir einige starke Aussagen über den Zusam-

menhang der arithmetischen Operationen komplexer Zahlen mit der Konstruierbarkeitkomplexer Zahlen herleiten. Wir beginnen mit der Addition:

Hilfssatz 1.8. Sind z und w zwei konstruierbare Zahlen, so sind auch ihre Summe z+wund die Negation −z konstruierbar.

Beweis. Wir zeigen als erstes die Konstruierbarkeit der Summe. Dazu betrachten wirzunächst den Fall, daß eine der beiden Zahlen, etwa z, von Null verschieden ist. Ausder Schule ist bekannt, daß wir nur mit Zirkel und Lineal das Lot durch den Punkt wauf die Gerade durch 0 und z fällen können. Dann ist die Konstruktion einer zum Lotsenkrechten Geraden durch w möglich. Diese Gerade G ist parallel zu der Geraden durch0 und z. Ist w 6= 0, so ist ebenso die Konstruktion einer Parallelen H der Geraden durch

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1.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

x

y

z

w

w + z

w − z

0

G H

H ′

−1 −12

12

1

12

1

Abbildung 1.6.: Konstruktion der Summe zweier komplexer Zahlen.

0 und w möglich, welche durch den Punkt z geht. Diese schneidet die Gerade G imPunkte w+ z. Ist w 6= z (wegen z 6= 0 muß mindestens einer der Fälle w 6= 0 oder w 6= zgelten), ist die Konstruktion einer Parallelen H ′ der Geraden durch w und z möglich,welche durch den Punkt 0 geht. Diese schneidet die Gerade G im Punkte w− z. Der zukonstruierende Punkt w+ z ist dann der zweite Schnittpunkt eines Kreises durch w− zmit Mittelpunkt w mit der Geraden G. Betrachten wir jetzt den allgemeinen Fall, daßnicht unbedingt z 6= 0 gilt. Dann wählen wir eine nicht verschwindende ganze Zahl k,so daß z + k 6= 0. Nach dem schon behandelten Spezialfall können wir z + k und w − kkonstruieren und ebenso z + w = z + k + (w − k).Es bleibt, die Negation einer konstruierbaren Zahl z zu konstruieren. Ist z 6= 0, so

können wir die Gerade durch 0 und z zeichnen, einen Kreis durch z mit Mittelpunkt0 schlagen und den zweiten Schnittpunkt des Kreises mit der Geraden durch 0 und zkonstruieren. Dieser ist gerade −z.Ist nicht unbedingt z 6= 0, so gibt es aber eine ganze Zahl k mit z+k 6= 0. Wir können

dann −(z + k) = −z − k konstruieren, also auch −z = (−z − k) + k.

Der Beweis des ersten Teiles von Hilfssatz 1.8 auf der vorherigen Seite besteht also imwesentlichen aus der Angabe eines Verfahrens, zu drei Punkten a, b und c einen viertenPunkt d zu konstruieren, so daß in dieser Reihenfolge a, b, d und c die Eckpunkte einesParallelogramms sind.

Hilfssatz 1.9. Sind z und w zwei konstruierbare Zahlen, so ist auch ihr Produkt z · wkonstruierbar.

Beweis. Wir betrachten zunächst den Fall, daß z und w beide verschieden von Null sind.In diesem Falle haben wir z = r eαi und w = s eβi für positive reelle Zahlen r und s undfür geeignete Winkel α und β. Zu konstruieren haben wir dann zw = rs e(α+β)i.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1

r

r i

srs

rs i

Abbildung 1.7.: Konstruktion des Produktes zweier reeller Zahlen.

x

y

G

H

αβ

α+β

−1 −12

12

1

12

1

Abbildung 1.8.: Konstruktion der Summe zweier Winkel.

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1.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Dazu reicht es offensichtlich, auf der reellen Achse die Zahl rs zu konstruieren unddanach eine Halbgerade beginnend bei 0, so daß die reelle Achse zusammen mit diesereinen Winkel von α+ β einschließt.Beginnen wir zunächst mit der Konstruktion von rs laut Abbildung 1.7 auf der vorhe-

rigen Seite. Dazu schlagen wir einen Kreis mit Mittelpunkt 0 durch den Punkt z. Dieserschneidet die reelle Achse am Punkt r, insbesondere die reelle Zahl r konstruierbar.Genauso folgt die Konstruierbarkeit der reellen Zahl s. Auf der imaginären Achse kon-struieren wir die Zahl r i, indem wir einen Kreis durch den Punkt r und mit Mittelpunkt0 schlagen. Wir zeichnen dann die Gerade durch 1 und r i. Wir haben schon gesehen, daßwir dann eine zu dieser Geraden parallele Gerade durch s konstruieren können. Aufgrunddes Strahlensatzes schneidet diese Gerade die imaginäre Achse im Punkte rs i. Die reelleZahl rs können wir dann durch Schlagen eines Kreises durch rs i und mit Mittelpunkt 0auf der reellen Achse abtragen.Als nächstes zeigen wir, wie der Winkel α+ β zu konstruieren ist, das heißt: Gegeben

zwei Halbgeraden G und H beginnend bei 0, so daß der Winkel zwischen der reellenAchse und den Halbgeraden α beziehungsweise β ist, konstruiere eine Halbgerade, sodaß der Winkel von der reellen Achse zu dieser Halbgerade gerade α + β ist. Dazuschlagen wir wie in Abbildung 1.8 auf der vorherigen Seite zunächst den Einheitskreisum den Ursprung, also den Kreis mit Radius 1 um 0. Dann verschieben wir die Streckezwischen 1 und dem Schnittpunkt des Einheitskreises und G parallel zum Schnittpunktdes Einheitskreises und H, so daß wir um diesen Punkt einen Kreis vom Radius derStrecke schlagen können, welcher den Einheitskreis dann in zwei Punkten schneidet.Die Halbgerade beginnend bei 0 durch einen der beiden Punkte ist die gesuchte. (DieHalbgerade beginnend bei 0 durch den anderen Punkt ist die zum Winkel β − α.)Damit ist der Fall z 6= 0 und w 6= 0 abgehandelt. Im allgemeinen Fall, in dem wir

nicht davon ausgehen können, daß z 6= 0 und w 6= 0, existieren in jedem Falle ganzeZahlen k und `, daß z+ k 6= 0 und w+ ` 6= 0. Der schon bewiesene Spezialfall liefert dieKonstruierbarkeit von (z + k) · (w + `) = zw + kw + `z + k`. Wegen Hilfssatz 1.8 aufSeite 26 ist damit aber auch zw = (z + k)(w + `)− kw − `z − k` konstruierbar.

Hilfssatz 1.10. Ist z eine konstruierbare Zahl mit z 6= 0, so ist auch z−1 eine konstru-ierbare Zahl.

Beweis. Nach Voraussetzung ist z = r eαi für eine positive reelle Zahl und einen Winkelα. Wir müssen z−1 = r−1 e−αi konstruieren. Wir können wie im Beweis von Hilfssatz 1.9auf Seite 27 argumentieren, so daß es reicht, die reelle Zahl r−1 und den Winkel −α zukonstruieren. Beim Beweis von Hilfssatz 1.9 auf Seite 27 ist schon die Konstruktion von−α = 0 − α abgefallen, so daß es bleibt, aus einer reellen Zahl r die reelle Zahl r−1 zukonstruieren. Dazu bedienen wir uns wieder des Strahlensatzes wie in Abbildung 1.9 aufder nächsten Seite: Wir zeichnen die Gerade durch r und i. Diese verschieben wir parallelzu einer Geraden durch 1. Diese Parallele schneidet die imaginäre Achse im Punkte r−1 i.Die Zahl r−1 können wir dann wieder durch Schlagen eines Kreises durch r−1 i und mitMittelpunkt 0 auf der reellen Achse abtragen und damit konstruieren.

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1

r

r−1 i

r−1

Abbildung 1.9.: Konstruktion der Inversen einer reellen Zahl.

Hilfssatz 1.11. Ist z 6= 0 eine konstruierbare Zahl und w eine Quadratwurzel von z,das heißt eine komplexe Zahl mit w2 = z, so ist auch w konstruierbar.

Im Falle von z = 0 können wir sicherlich auch eine Quadratwurzel konstruieren, dieseist ja ebenfalls die Null.

x

y

−r

s i

s−1 −12

12

1

12

1

Abbildung 1.10.: Konstruktion der reellen Wurzel.

Beweis. Da z 6= 0, existieren eine positive reelle Zahl r und ein Winkel α mit z = r eαi.Zu konstruieren haben wir die beiden möglichen Quadratwurzeln von z, das heißt dieZahlen

√r e

12αi und −

√r e

12αi.

30

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1.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Wir dürfen wieder wie im Beweis von Hilfssatz 1.9 auf Seite 27 argumentieren, so daßes reicht, die reelle Zahl

√r und den Winkel 1

2α zu konstruieren. Das Verfahren zurWinkelhalbierung sollte aus der Schule bekannt sein: Sei G die Halbgerade, so daß derWinkel α von der reellen Achse und G eingeschlossen wird. Alsdann konstruieren wir denMittelpunkt der Geraden durch 1 und dem Schnittpunkt von G mit dem Einheitskreis.Der Winkel zwischen der reellen Achse und der Halbgeraden durch diesen Mittelpunktist dann 1

2α.Es bleibt die Konstruktion der reellen Quadratwurzel nach Abbildung 1.10 auf der

vorherigen Seite: Nach dem Bisherigen ist die reelle Zahl 12(−r+1), also der Mittelpunkt

der Strecke von −r bis 1 konstruierbar. Um diesen Mittelpunkt schlagen wir einen Kreis,welcher durch −r und damit auch durch 1 geht. Sei ein Schnittpunkt dieses Kreises mitder imaginären Achse durch s i gegeben, wobei s eine positive reelle Zahl ist. Aus derKonstruierbarkeit von s i folgt auch die Konstruierbarkeit der reellen Zahl s. Und sist die Höhe des Dreiecks mit den Eckpunkten 1, s i und −r. Aufgrund des Satzes desThales ist dieses Dreieck rechtwinklig, das Quadrat s2 seiner Höhe bestimmt sich alsodurch den Höhensatz Euklids als das Produkt der beiden Hypothenusenabschnitte, alsos2 = r · 1 = r. Folglich ist s =

√r, wir haben also die positive reelle Quadratwurzel aus

r konstruiert.

Hilfssatz 1.12. Ist z eine konstruierbare Zahl, so ist auch ihr Konjugiertes z einekonstruierbare Zahl.

Beweis. Die Zahl z ist die Spiegelung von z an der reellen Achse. Diese Spiegelungkonstruieren wir folgendermaßen: Wir wählen zwei verschiedene konstruierbare Punkteauf der reellen Achse (zum Beispiel zwei ganze Zahlen), welche beide verschieden von zsind. Dann können wir zwei Kreise durch z schlagen, deren Mittelpunkte jeweils einerder beiden gewählten Punkte auf der reellen Achse sind. Beide Kreise schneiden sichnach Konstruktion in z. Der weitere Schnittpunkt der beiden Kreise ist z.

Die Menge des konstruierbaren Zahlen ist also abgeschlossen unter Addition, Sub-traktion, Multiplikation, Division durch Zahlen ungleich Null, Quadratwurzelziehen ausZahlen ungleich Null und komplexer Konjugation. Insbesondere lassen sich alle rationa-len Zahlen auf der reellen Achse konstruieren.Andererseits werden wir gleich zeigen, daß sich jede konstruierbare Zahl durch suk-

zessives Anwenden dieser Rechenoperationen aus den vorgegebenen Punkten x1, . . . ,xn erhalten läßt. Dazu vereinbaren wir zunächst folgende Sprechweise: Seien t1, . . . , tmkomplexe Zahlen. Eine komplexe Zahl z heißt dann rational in t1, . . . , tm, falls sich z ausden rationalen Zahlen und den komplexen Zahlen t1, . . . , tm nur mithilfe von Addition,Subtraktion, Multiplikation und Division darstellen läßt. Damit ist eine komplexe Zahlz ist genau dann rational in t1, . . . , tm, wenn z von der Form

z =

∑i1,...,im≥0

ai1···im ti11 · · · timm∑

i1,...,im≥0bi1···im t

i11 · · · t

imm

(1.30)

31

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

ist, wobei die Koeffizienten ai1···im und bi1···im alle rationale Zahlen sind und wobei fastalle Koeffizienten verschwinden, so daß die Summen im Zähler und Nenner effektiv end-lich sind: Die rechte Seite von (1.30) ist ein rationaler Ausdruck in den ti, die rationalenZahlen und die ti sind selber von der Form (1.30) und die erlaubten Rechenoperatio-nen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division überführen Terme in der Formder rechten Seite von (1.30) wieder in einen solchen. (Indem wir mit einem geeignetenHauptnenner multiplizieren, können wir sogar erreichen, daß alle Koeffizienten ai1···imund bi1···im ganze Zahlen sind.) Ist z eine in t1, . . . , tm rationale komplexe Zahl, soschreiben wir

z ∈ Q(t1, . . . , tm).

Jede rationale Zahl ist insbesondere auch eine in t1, . . . , tm rationale Zahl.

Satz 1.13. Eine komplexe Zahl z ist genau dann konstruierbar, wenn es eine Folgekomplexer Zahlen z1, . . . , zn−1, zn = z gibt, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n die komplexeZahl zi rational in z1, . . . , zi−1 ist oder eine Quadratwurzel einer in z1, . . . , zi−1 rationalenkomplexen Zahl ist.

Der Satz besagt also, daß die konstruierbaren Zahlen genau diejenigen sind, welchesich aus 0 und 1 durch sukzessives Anwenden von Addition, Subtraktion, Multiplikation,Division und Quadratwurzelziehen gewinnen lassen.

Beweis. Sei zunächst z1, . . . , zn−1, zn = z eine bei z endende Folge komplexer Zahlen,so daß zi rational in z1, . . . , zi−1 ist oder eine Quadratwurzel einer solchen Zahl ist. Wirmüssen zeigen, daß z konstruierbar ist. Da Summen, Differenzen, Produkte, Quotientenund Quadratwurzeln aus algebraischen Zahlen wieder algebraisch sind, folgt zunächst perInduktion, daß alle zi algebraisch sind. Wir zeigen jetzt per Induktion, daß alle zi auchkonstruierbar sind, das heißt, daß zi konstruierbar ist, wenn z1, . . . , zi−1 konstruierbarsind: Jeder rationale Ausdruck x in z1, . . . , zi−1 ist konstruierbar, da Summen, Dif-ferenzen, Produkte und Quotienten konstruierbarer Zahlen wieder konstruierbar sind.Es bleibt zu zeigen, daß auch die Quadratwurzeln aus x konstruierbar sind. Da x alsrationaler Ausdruck in algebraischen Zahlen algebraisch ist, können wir mit Propositi-on 1.6 auf Seite 17 entscheiden, ob x = 0 oder x 6= 0. Im ersten Falle ist x = 0 selbstdie Quadratwurzel, im zweiten Falle folgt die Konstruierbarkeit der Quadratwurzel ausHilfssatz 1.11 auf Seite 30.An dieser Stelle interessanter ist die umgekehrte Richtung: Sei z eine konstruierbare

Zahl. Es ist zu zeigen, daß sich z aus den rationalen Zahlen sukzessive durch die arithme-tischen Operationen Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division und Quadratwur-zelziehen gewinnen läßt. Dazu müssen wir zeigen, daß die erlaubten Konstruktionsver-fahren nicht aus der Menge dieser Zahlen herausführt. Für das Folgende schreiben wirx ∈ K, wenn x eine komplexe Zahl ist, welche aus den rationalen Zahlen nur durch Addi-tion, Subtraktion, Multiplikation, Division und Quadratwurzelziehen gewonnen werdenkann. Zunächst halten wir folgendes fest: Ist x ∈ K, so gilt auch x ∈ K, denn die kom-plexe Konjugation vertauscht mit Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division,das heißt das komplex Konjugierte eines rationalen Ausdrucks in komplexen Zahlen t1,

32

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1.5. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

. . . , tm ist ein rationaler Ausdruck in t1, . . . , tm, und das komplex Konjugierte einerQuadratwurzel aus einer komplexen Zahl y ist eine Quadratwurzel aus y. Da der Real-teil einer komplexen Zahl x durch 1

2(x+x) und der Imaginärteil durch 12i(x−x) gegeben

ist, führt damit auch das Bilden von Real- und Imaginärteil nicht aus K hinaus.Wir gehen schließlich die erlaubten Konstruktionsverfahren nacheinander durch:Seien x, x′, y, y′ ∈ K Punkte mit x 6= x′ und y 6= y′. Sei die Gerade L1 durch x und

x′ nicht parallel zur Geraden L2 durch y und y′. Sei w der Schnittpunkt der Geraden L1und L2. Da es genau einen Schnittpunkt gibt, existieren eindeutig reelle Zahlen s und tmit

w = sx+ (1− s)x′ = ty + (1− t)y′. (1.31)

Die Gleichheit auf der rechten Seite von (1.31) ist eine Gleichheit zwischen komplexenZahlen, entspricht also zwei reellen Gleichungen, nämlich eine für den Real- und einefür den Imaginärteil. Die Lösungen des so erhaltenen linearen Gleichungssystems in sund t über den reellen Zahlen lassen sich bekanntlich nach der Cramerschen Regel alsrationale Ausdrücke in den Koeffizienten, hier also in den Real- und Imaginärteilen vonx, x′, y und y′ ausdrücken. Damit gilt s, t ∈ K, insbesondere also auch w ∈ K.Seien x, x′, y, y′ ∈ K Punkte mit x 6= x′ und y 6= y′. Sei w ein Schnittpunkt der

Geraden durch x und x′ mit dem Kreis durch y′ und mit Mittelpunkt y. Dann existierteine reelle Zahl t, so daß w = tx+ (1− t)x′ auf dem Kreis liegt, also

|tx+ (1− t)x′ − y|2 = |y′ − y|2.

Dies ist eine quadratische Gleichung in t, deren Koeffizienten rationale Ausdrücke in denReal- und Imaginärteilen von x, x′, y und y′ sind. Nach der bekannten Lösungsformel fürquadratische Gleichungen, in der neben rationalen Ausdrücken nur eine Quadratwurzelvorkommt, gilt damit t ∈ K, insbesondere also auch w ∈ K.Es bleibt den Fall eines Schnittpunktes zweier Kreise zu betrachten. Dazu seien Punkte

x, x′, y, y′ ∈ K mit x 6= x′ und y 6= y′ gegeben. Sei der Kreis K1 durch x′ und mitMittelpunkt x verschieden vom Kreis K2 durch y′ und mit Mittelpunkt y. Sei w einSchnittpunkt der Kreise K1 und K2. Dann gelten die beiden Gleichungen

|w − x|2 = |x′ − x|2, |w − y|2 = |y′ − y|2 (1.32)

für w. Schreiben wir w = u+ v i, wobei u und v reelle Zahlen sind, so können wir (1.32)in die Form

(u− a)2 + (v − b)2 = r2, (u− c)2 + (v − d)2 = s2 (1.33)

bringen. Hierbei sind a, b, c, d Real- und Imaginärteile von x und y und r und s dieRadien der Kreise K1 und K2, insbesondere gilt also a, b, c, d, r, s ∈ K. (Die Kreisradienlassen sich als Quadratwurzeln rationaler Ausdrücke in Real- und Imaginärteilen von x,x′, y und y′ schreiben.) Subtrahieren wir die Gleichungen (1.33) voneinander, erhaltenwir eine lineare Gleichung der Form

(a− c)u+ (b− d)v = e (1.34)

33

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

in u und v, wobei e ∈ K. Da K1 und K2 nicht zusammenfallen, gilt a − c 6= 0 oderb− d 6= 0. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir den ersten Fall. Dannkönnen wir (1.34) nach u auflösen und erhalten, daß u ein rationaler Ausdruck in a, b, c,d, e und v ist. Setzen wir diesen Ausdruck in eine der Gleichungen (1.33) ein, erhaltenwir eine nicht triviale quadratische Gleichung in v, deren Koeffizienten allesamt aus Ksind. Damit ist auch v ∈ K. Folglich auch u ∈ K und damit w = u+ v i ∈ K.

Aus dem Beweis von Satz 1.13 auf Seite 32 nehmen wir insbesondere mit, daß allekonstruierbaren Zahlen algebraisch sind. Wir werden aber später sehen, daß es algebrai-sche Zahlen, also Nullstellen von Polynomgleichungen mit rationalen Koeffizienten gibt,welche nicht konstruierbar sind.

AufgabenAufgabe 1.5.1. Zeige, daß alle ganzen Gaußschen Zahlen ganze algebraische Zahlen sind.Aufgabe 1.5.2. Zeige, wie sich eine Strecke der Länge 1

3 aus einer Strecke der Länge 1konstruieren läßt.Aufgabe 1.5.3. Zeige, wie sich eine Strecke der Länge 4√7 aus einer Strecke der Länge 1konstruieren läßt.Aufgabe 1.5.4. Konstruiere einen Winkel von 15.Aufgabe 1.5.5. Sei z eine Lösung von X4 + X3 + X2 + X + 1 = 0. Zeige, daß z + z−1

eine Lösung von X2 +X − 1 = 0 ist.Aufgabe 1.5.6. Zeige, daß die vier Lösungen von X4 + X3 + X2 + X + 1 = 0 allesamtkonstruierbare komplexe Zahlen sind.Aufgabe 1.5.7. Gib eine Konstruktionsanleitung für das regelmäßige Fünfeck.Aufgabe 1.5.8. Seien x, x′, y, y′ vier komplexe Zahlen mit x 6= x′ und y 6= y′. SeiK1 der Kreis durch x′ und mit Mittelpunkt x, und sei K2 der Kreis durch y′ und mitMittelpunkt y. Seien K1 und K2 verschieden. Gib explizite Formeln für den oder diebeiden Schnittpunkte der Kreise K1 und K2 an.

1.6. Der Fundamentalsatz der AlgebraNach diesem Ausflug in die Welt der konstruierbaren komplexen Zahlen kehren wirzurück zu unserem Problem: Ist unser Lösungsbereich, gegeben durch die komplexenZahlen, groß genug, so daß jede (normierte, nicht triviale) Polynomgleichung, deren Ko-effizienten in den rationalen Zahlen liegen, eine Lösung in den komplexen Zahlen besitzt?Die erfreuliche Antwort wird durch den sogenannten Fundamentalsatz der Algebra (füralgebraische Zahlen) gegeben, welcher nämlich aussagt, daß wir bei unserer Suche nacheinem genügend großen Lösungsraum am Ende angekommen sind:

Hauptsatz 1.14. Jede normierte Polynomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

34

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1.6. Der Fundamentalsatz der Algebra

positiven Grades n, deren Koeffizienten a0, . . . , an−1 allesamt algebraische Zahlen sind,besitzt eine Lösung z in den komplexen Zahlen, das heißt, für je n algebraische Zahlena0, . . . , an−1 existiert eine komplexe Zahl z mit

zn + an−1zn−1 + · · ·+ a1z + a0 = 0.

Da die Lösung z, deren Existenz in Hauptsatz 1.14 behauptet wird, Nullstelle ei-nes Polynoms mit algebraischen Koeffizienten ist, ist z insbesondere selbst algebraisch,das heißt die Menge der algebraischen Zahlen ist gewissermaßen abgeschlossen unterAddition, Subtraktion, Multiplikation, Division und dem Bilden von Lösungen von Po-lynomgleichungen.Die Idee des Beweises können wir folgendermaßen zusammenfassen. Sei n eine positive

natürliche Zahl. Für jede Folge b0, . . . , bn−1 algebraischer Zahlen werden wir eine alge-braische Zahl z = zb0···bn−1 so konstruieren, daß wir über sie folgende Aussage beweisenkönnen werden:

Hilfssatz 1.15. Sei q = qn := 1− 12 · 3

1−n2< 1. Dann erfüllt die (noch zu definierende)

algebraische Zahl z = zb0···bn die Ungleichungen:

|z| ≤ n

√|b0|, (1.35)

|zn + bn−1zn−1 + · · ·+ b1z + b0| ≤ q|b0|. (1.36)

Diese Aussage können wir wie folgt interpretieren: Fassen wir 0 als approximativeLösung von

Xn + bn−1Xn−1 + · · ·+ b1X + b0 = 0 (1.37)

auf, so ist z = zb0···bn−1 eine bessere Approximation, denn setzen wir in (1.37) auf derlinken Seite X = 0, so ist die betragsgemäße Differenz zwischen linker und rechter Seitedurch |b0| gegeben. Setzen wir dagegen X = z auf der linken Seite von (1.37), so ist diebetragsgemäße Differenz nur noch höchstens q|b0| = qn|b0|, sinkt also mindestens umden festen Faktor q < 1.Wie machen wir von hier aus weiter? Die Idee des folgenden Beweises ist es, anstelle

von (1.37) im nächsten Schritt die Polynomgleichung

(X + z)n + bn−1(X + z)n−1 + · · ·+ b1(X + z) + b0 = 0 (1.38)

zu betrachten. Eine Lösung x von (1.37) entspricht einer Lösung x − z von (1.38) undumgekehrt. Insbesondere entspricht die gefundene approximative Lösung z von (1.37)einer approximativen Lösung 0 der Gleichung (1.38), welche betragsgemäß mindestensbis auf q|b0| korrekt ist. Aus dieser können wir mit einer weiteren Anwendung von Hilfs-satz 1.15, diesmal angewandt auf (1.38), eine Lösung gewinnen, welche betragsmäßigmindestens bis auf q2|b0| korrekt ist, usw. Diese Idee führen wir aus:

35

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1

z0

z1

z2

n√|a0 |

q 1nn√|a0 |

q2n

n√ |a0|

Abbildung 1.11.: Approximation einer Nullstelle im Fundamentalsatz der Algebra.

Beweis von Hauptsatz 1.14 auf der vorherigen Seite. 9Wir definieren q = qn < 1 wie inHilfssatz 1.15 auf der vorherigen Seite. Sei

f(x) := xn + an−1xn−1 + · · ·+ a1x+ a0, x ∈ Q. (1.39)

Gesucht ist dann eine komplexe Zahl z mit f(z) = 0, also eine Nullstelle der Funktionf .Dazu werden wir induktiv eine algebraische Zahlenfolge (zm) wie in Abbildung 1.11

mit folgenden Eigenschaften konstruieren:

|zm+1 − zm| ≤ n

√qm|a0|, (1.40)

|f(zm)| ≤ qm|a0|. (1.41)

Aus der ersten Ungleichung (1.40) folgt, daß (zm) eine Cauchysche Folge ist: Sei etwam′ ≥ m. Dann gilt nach der Dreiecksungleichung für den komplexen Betrag:

|zm′ − zm| ≤∞∑k=0|zm+k+1 − zm+k| ≤ n

√qm|a0|

∞∑k=0

qkn = n

√qm|a0| ·

11− q

1n

. (1.42)

Hier haben wir für die letzte Gleichheit die bekannte Summationsformel für die geo-metrische Reihe benutzt. Da wegen q < 1 auch q

1n < 1 und damit lim

m→∞qmn = 0, folgt

9Wir folgen im wesentlichen Martin Knesers (1928–2004, deutscher Mathematiker) Beweis in [K].

36

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1.6. Der Fundamentalsatz der Algebra

aus (1.42), daß |zm′ − zm| für genügend großes m und m′ beliebig klein wird. Per defini-tionen ist (zm) eine Cauchysche Folge, und es existiert die komplexe Zahl z = lim

m→∞zm.

Die durch (1.39) definierte Funktion ist bezüglich des komplexen Betrages stetig (dasheißt für jede algebraische Zahl x ist |f(x′)−f(x)| klein, wenn nur x′ bezüglich des kom-plexen Betrages nahe genug an x gewählt worden ist; dies beweist sich wie die Stetigkeitder reellen Polynomfunktionen). Damit folgt

|f(z)| =∣∣∣f( lim

m→∞zm)∣∣∣ =

∣∣∣ limm→∞

f(zm)∣∣∣ = lim

m→∞|f(zm)| ≤ lim

m→∞qm|a0| = 0

nach (1.41), wobei an einer Stelle auch noch die Stetigkeit des komplexen Betragesverwendet worden ist.Es bleibt, die Folge (zm) zu konstruieren. Wir beginnen mit z0 := 0 und betrachten dies

als erste Approximation einer Nullstelle (der Wert von f an der Stelle z0 ist allerdingsum den Betrag |a0| vom gewünschten Wert 0 entfernt). Die weiteren Stellen z1, z2, z3,. . . sind dann wie folgt gegeben: Sei die Stelle zm schon definiert. Wir setzen dann

g(x) := f(zm + x) (1.43)

für alle algebraischen Zahlen x. Einsetzen, Ausmultiplizieren und Zusammenfassen aufder rechten Seite von (1.43) liefert, daß sich g(x) wieder als normiertes Polynom in xvom Grade n schreiben läßt, das heißt, es ist von der Form

g(x) = f(zm + x) = xn + bn−1xn−1 + . . .+ b1x+ b0

mit algebraischen Koeffizienten b0, . . . , bn−1. Insbesondere ist b0 = g(0) = f(zm), nachInduktionsvoraussetzung also |b0| ≤ qm|a0|. Wir können dann

zm+1 = zm + zb0···bn−1

setzen, denn aufgrund von Hilfssatz 1.15 auf Seite 35 gilt nach Induktionsvoraussetzung

|zm+1 − zm| = |zb0···bn−1 | ≤n

√|b0| = n

√f(zm) ≤ n

√qm|a0|

und|f(zm+1)| = |g(zb0···bn−1)| ≤ q|b0| = qf(zm) ≤ qm+1|a0|.

Es bleibt die Konstruktion von z = zb0···bn−1 und der Beweis von Hilfssatz 1.15 aufSeite 35. Ist |b0| = 0, so setzen wir z := 0. Ansonsten fahren wir im einzelnen folgender-maßen fort: Sei bn := 1. Für i ∈ 1, . . . , n und eine positive reelle algebraische Zahl ssetzen wir

fi(s) := |bi|si.

SeiJ := i ∈ 1, . . . , n | |bi| > 0.

37

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Sind i und j ∈ J mit i < j, so schneiden sich die Graphen der Funktionen fi(s), fj(s) angenau einer Stelle σ = σi,j > 0, nämlich σ = j−i

√|bi|/|bj |. Wir halten außerdem fest, daß

fi(s) ≥ fj(s) für s ≤ σ,fi(s) ≤ fj(s) für s ≥ σ.

Mithilfe der fi(s) definieren wir

s

m(s)

12

1

12

1

f1(s)

f2(s)

f3(s)f4(s)

m(s)

t

|b0|

s0 s1

Abbildung 1.12.: Die Funktion m(s).

m(s) := maxfi(s) | i ∈ J

wie in Abbildung 1.12. Da bn = 1, ist m(s) > 0 für alle s > 0. Es gibt eindeutigbestimmte 0 = s0 ≤ s1 ≤ s2 ≤ · · ·, so daß für i ∈ J und für si−1 < s ≤ si gilt

m(s) = fi(s).

Für jedes i ∈ J gibt es genau ein ti > 0 mit fi(ti) = |b0|, nämlich ti := i√|b0|/|bi|. Dann

istt := minti | i ∈ J

die kleinste positive reelle algebraische Zahl mit m(t) = |b0|. Für alle i ∈ −1, 0, 1, 2, . . .sei ki ∈ J diejenige Zahl mit

ski−1 < 3−it ≤ ski .

38

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1.6. Der Fundamentalsatz der Algebra

Insbesondere gilt fki(3−it) = m(3−it). Aus 3t > t > 3−1t > 3−2t > · · · und s0 ≤ s1 ≤s2 ≤ · · · folgt

n ≥ k−1 ≥ k0 ≥ k1 ≥ k2 ≥ · · · ≥ 1,

das heißt, wir können j als kleinste natürliche Zahl mit

kj−1 = kj = kj+1

definieren. Wir setzen dann k := kj ∈ J und r := 3−jt und schließlich

z = zb0···bn−1 := r k

√− b0/bk|b0/bk|

.

Die anschauliche Bedeutung ist die folgende: In der Gaußschen Zahlenebene ist derAbstand von z zum Ursprung die Strecke r, und b0 und bkzk liegen zusammen mit 0 aufgegenüberliegenden Seiten auf einer Geraden, das heißt b0 und −bkzk haben dasselbeArgument.Ein Beweis steht noch aus:

Beweis von Hilfssatz 1.15 auf Seite 35. Die Aussage über den Betrag von z = zb0···bn−1

folgt recht zügig: Da m(s) monoton ist s ist und r ≤ t, ist

rn ≤ m(r) ≤ m(t) = |b0|,

also |z| = r ≤ n√|b0|, womit (1.35) bewiesen ist. Nach Definition von z ist

|b0 + bkzk| =

∣∣∣∣b0 −|bk||b0|

b0rk

∣∣∣∣ = |b0| ·∣∣∣∣1− fk(r)

|b0|

∣∣∣∣. (1.44)

Da fk(r) ≤ fk(t) ≤ m(t) = |b0|, ist 1− fk(r)|b0| ≥ 0, also ist (1.44) äquivalent zu

|b0 + bkzk| ≤ |b0| ·

(1− fk(r)

|b0|

)= |b0| − fk(r). (1.45)

Um (1.36) zu zeigen, benötigen wir zunächst eine weitere Abschätzung von m(r),diesmal von der anderen Seite: Sei i ≥ 0. Nach Definition von ki−1 ist m(3−i+1t) =fki−1(3−i+1t), also

m(3−it)m(3−i+1t) = m(3−it)

fki−1(3−i+1t) ≥fki−1(3−it)fki−1(3−i+1t) = 3−ki−1 ,

also m(3−it) ≥ 3−ki−1 m(3−i+1t). Es folgt

m(r) = m(3−jt) ≥ 3−kj−1 m(3−j+1t)≥ 3−kj−1−kj−2 m(3−j+2t)≥ · · · ≥ 3−kj−1−kj−2−···−k0 m(t).

(1.46)

39

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1. Der Fundamentalsatz der Algebra

Wir wollen den Exponenten h = k0 + k1 + · · · + kj−1 abschätzen. Da j minimal mitkj−1 = kj = kj+1 gewählt worden ist, kann in der Ungleichungskette

k−1 ≥ k0 ≥ k1 ≥ k2 ≥ · · · ≥ kj

von Zahlen aus 1, . . . , n höchstens an jeder zweiten Stelle Gleichheit gelten, das heißtfür 2i− 1 ≤ j ist k2i−1 ≤ n− i. Damit ist

h ≤ n+ (n− 1) + (n− 1) + (n− 2) + (n− 2) + · · ·+ (k + 1) + (k + 1) + k

= n+ k + 2n−1∑`=k+1

` = n+ k + (n− 1)n− k(k + 1) = n2 − k2.

Setzen wir dies in (1.46) ein, erhalten wir

m(r) ≥ 3k2−n2m(t) = 3k2−n2 |b0|. (1.47)

Als nächstes schätzen wir die fi(r) = |bi|ri für i 6= 0, k gegen fk(r) = |bk|rk ab. Dak = kj+1 und damit sk−1 <

r3 ≤ sk folgt für i ∈ 1, 2, . . . , k − 1, daß

fi(r) = 3ifi(r

3

)≤ 3im

(r

3

)= 3ifk

(r

3

)= 3i−kfk(r).

Aufsummiert ergibt sich

k−1∑i=1

fi(r) ≤k−1∑i=1

3i−kfk(r) = 31−kfk(r)k−2∑`=0

3` = 31−k 3k−1 − 13− 1 fk(r) = 1− 31−k

2 fk(r)

(1.48)nach der bekannten Summationsformel für die geometrische Summe. Da auch k = kj−1und damit sk−1 < 3r < sk haben wir für i ∈ k + 1, k + 2, . . . , n, daß

fi(r) = 3−ifi(3r) ≤ 3−im(3r) = 3−ifk(3r) = 3k−ifk(r)

Aufsummiert ist das

n∑i=k+1

fi(r) ≤n∑

i=k+13k−ifk(r) = 3−1

n−k−1∑`=0

3−`fk(r) = 3−1 3−(n−k) − 13−1 − 1 fk(r)

= 1− 3k−n

2 fk(r).

(1.49)

Zusammen mit (1.48) ergibt (1.49), daß

∑i 6=0,k

fi(r) ≤(

1− 31−k

2 + 1− 3k−n

2

)fk(r) ≤ fk(r)−

31−k

2 fk(r).

40

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1.6. Der Fundamentalsatz der Algebra

Daraus, aus (1.45) und aus (1.47) folgt schließlich

|zn + bn−1zn−1 + · · ·+ b1z + b0| ≤ |b0 + bkz

k|+∑i 6=0,k|bizi|

≤ |b0| − fk(r) +∑i 6=0,k

fi(r)

≤ |b0| − fk(r) + fk(r)−31−k

2 fk(r)

≤ |b0| −31−k

2 m(r)

≤ |b0| −31−k+k2−n2

2 |b0| ≤(

1− 31−n2

2

)|b0|,

womit wegen q = 1− 1231−n2 die Gleichung (1.36) bewiesen ist.

An dieser Stelle können wir auch die Schreibweise Q für die algebraischen Zahlen er-klären: Nach Hauptsatz 1.14 auf Seite 35 ist Q die kleinste Teilmenge aller komplexenZahlen, welche die rationalen Zahlen enthält und welche in folgendem Sinne abgeschlos-sen ist: Ist eine normierte Polynomgleichung positiven Grades mit Koeffizienten aus Qgegeben, so besitzt sie wieder eine Lösung in Q.

AufgabenAufgabe 1.6.1. Sei zn eine konvergente Folge komplexer Zahlen. Warum ist lim

n→∞|zn| =

| limn→∞

zn|?

Aufgabe 1.6.2. Sei f(z) eine komplexe Polynomfunktion, das heißt sei f(z) = anzn +

an−1zn−1 + · · ·+ a1z+ a0 für eine komplexe Zahl z und mit komplexen Koeffizienten a0,

. . . , an. Zeige, daß f(z) bezüglich des komplexen Betrages stetig ist, das heißt zeige:

∀C > 0∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀z, z′ mit |z|, |z′| ≤ C : |z − z′| < δ =⇒ |f(z)− f(z′)| < ε,

wobei C, ε und δ reelle Zahlen und z und z′ zwei komplexe Zahlen sind.Aufgabe 1.6.3. Sei q eine komplexe Zahl. Beweise die Formel

∑n−1k=0 q

k = 1−qn1−q .

Aufgabe 1.6.4. Gib eine Abschätzung des Betrages aller komplexen Lösungen von X4 −2X3 + 5X2 − 4X + 5 von oben an.Aufgabe 1.6.5. Sei Xn+an−1X

n−1 + · · ·+a1X+a0 = 0 eine normierte Polynomgleichungmit komplexen Koeffizienten. Zeige, daß jede komplexe Lösung z in der abgeschlossenenScheibe vom Radius 1 + max|a0|, . . . , |an−1| liegt.Aufgabe 1.6.6. Im obigen Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra taucht die Zahl 3immer wieder auf. Kann sie durch eine andere Zahl ersetzt werden?

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

2.1. Polynome

Spätestens jetzt ist an der Zeit, den Begriff eines Polynoms zu formalisieren, auch weilwir ihn im nächsten Abschnitt brauchen werden. Zur Motivation betrachten wir zweiganze Zahlen a und b. Bekanntlich gilt die (erste) binomische Formel

(a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2. (2.1)

Wir schreiben hier „die (erste) binomische Formel“, obwohl wir genau genommen nichteine, sondern unendlich viele Formeln haben, nämlich für jedes Paar (a, b) ganzer Zahleneine. Wollen wir diese unendlich vielen Formeln als eine Formel ansehen, müssen wir aund b in (2.1) als Platzhalter für ganze Zahlen verstehen. Die linke und rechte Seite sinddann formale Ausdrücke in a und b, und die binomische Formel ist dann die Aussage, daßdiese beiden formalen Ausdrücke gleich sind. In diese formalen Ausdrücke lassen sich füra und b konkrete ganze Zahlen einsetzen. So gewinnen wir die ursprünglichen unendlichvielen konkreten Formeln zurück. Die angesprochenen formalen Ausdrücke in a und bauf der linken und rechten Seite in (2.1) sind Beispiele für Polynome und Produkte vonPolynomen (mit ganzzahligen Koeffizienten) in a und b. Die binomische Formel (2.1) istalso eine Gleichheit zwischen Polynomausdrücken.Mathematisch präzise läßt sich der Begriff eines Polynoms folgendermaßen fassen:

Definition 2.1. Ein Polynom f mit rationalen Koeffizienten in der Unbestimmten Xist eine formale Summe der Form

anXn + an−1X

n−1 + · · ·+ a1X + a0,

wobei die ai rationale Zahlen sind. Sei j eine natürliche Zahl. Der j-te Koeffizient von fist aj falls j ≤ n und 0 andernfalls. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie inallen Koeffizienten übereinstimmen.Ist an = 1, so heißt f ein normiertes Polynom vom Grad n, geschrieben deg f = n. Ist

nicht notwendigerweise an = 1, so sagen wir, f ist ein Polynom höchstens vom Grade n,geschrieben deg f ≤ n.

Ist f ein Polynom mit rationalen Koeffizienten in der Unbestimmten X, so schreibenwir auch

f ∈ Q[X].

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Polynome lassen sich unter Anwendung von Assoziativ-, Distributiv- und Kommutativ-gesetz und der Regel Xi ·Xj = Xi+j addieren und multiplizieren. So gilt zum Beispiel

(X2 + 4X) · (X − 2) = X2 ·X + (4X) ·X +X2 · (−2) + (4X) · (−2)= X3 + 4X2 − 2X2 − 8X= X3 + 2X2 − 8X.

Die rationalen Zahlen können wir auch als Polynome auffassen, nämlich als solche, dereni-te Koeffizienten für i > 0 allesamt verschwinden. Solche Polynome nennen wir auchkonstante Polynome. Wir können zwei Polynome f und g subtrahieren, indem wir inAnalogie zur Subtraktion auf den bekannten Zahlbereichen

f − g := f + (−1) · g

setzen. Da sich die Subtraktion so auf Addition und Multiplikation zurückführen läßt,brauchen wir in der Regel nicht speziell auf sie einzugehen. Es zeigt sich, daß ein Polynommit rationalen Koeffizienten in der Unbestimmten X einfach ein Ausdruck ist, welchersich in endlich vielen Schritten aus den rationalen Zahlen und der UnbestimmtenX durchAddition und Multiplikation unter Berücksichtigung des Assoziativ-, des Distributiv- unddes Kommutativgesetzes gewinnen läßt.In Definition 2.1 auf der vorherigen Seite haben wir Polynome mit rationalen Koeffizi-

enten definiert. Analoge Definitionen für Polynome mit algebraischen, reellen, komplexenoder auch ganzzahligen Koeffizienten sind möglich, das heißt als Koeffizienten lassen wiralgebraische, reelle, komplexe beziehungsweise ganzzahlige Koeffizienten zu. Ist f ein Po-lynom mit solchen Koeffizienten, dann schreiben wir entsprechend f ∈ Q[X], f ∈ R[X],f ∈ C[X] beziehungsweise f ∈ Z[X].Um den Umgang mit dem Polynombegriff zu üben, beweisen wir einen ersten Hilfssatz

über den Gradbegriff eines Polynoms. Da der Koeffizientenbereich keine Rolle spielt,spezifizieren wir ihn nicht weiter.

Hilfssatz 2.2. Seien f und g Polynome (in der Unbestimmten X). Sei g normiert. Fürjede natürliche Zahl n gilt dann

deg f ≤ n ⇐⇒ deg(f · g) ≤ n+ deg g.

Sind f und g beides normierte Polynome, so folgt

deg(f · g) = (deg f) + (deg g) (2.2)

Beweis. Seien

f = amXm + am−1X

m−1 + · · ·+ a1X + a0

undg = Xk + bk−1X

k−1 + · · ·+ b1X + b0,

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2.1. Polynome

insbesondere also deg g = k. Dann ist

f · g = amXm+k +

m+k−1∑`=0

∑i+j=`

aibj X`.

Insbesondere ist deg(f · g) ≤ m + k = m + deg g. Ist deg f ≤ n, so können wir m ≤ nannehmen, und damit deg(f · g) ≤ m+ deg g ≤ n+ deg g, womit die eine Richtung derÄquivalenz (2.2) bewiesen ist.Den Beweis der anderen Richtung führen wir per Induktion überm. Istm ≤ n, so folgt

deg f ≤ n, und es ist weiter nichts zu zeigen. Andernfalls betrachten wir die Ungleichungdeg(f · g) ≤ n + deg g = n + k. Diese kann wegen m > n nur für am = 0 erfüllt sein.Damit können wir f auch in der Form

f = am−1Xm−1 + · · ·+ a1X + a0

schreiben und können die Induktionsvoraussetzung anwenden.

Aus Hilfssatz 2.2 auf der vorherigen Seite läßt sich unmittelbar eine Kürzungsregel fürPolynome ableiten: Für drei Polynome f , g und h gilt

f · g = f · h =⇒ g = h, (2.3)

falls f ein normiertes Polynom ist. Aus f ·g = f ·h folgt nämlich, daß f · (g−h) = 0. DieAbschätzung in Hilfssatz 2.2 auf der vorherigen Seite liefert dann deg(g − h) ≤ −deg f .Ist deg f positiv, also deg(g−h) negativ, so muß g−h = 0, also g = h gelten. Andernfallsist deg f = 0, also f = 1, da normiert. In diesem Falle ist (2.3) trivial.In (2.1) tauchen auf beiden Seiten genaugenommen Polynome in zwei Unbestimmten,

nämlich a und b auf, in Definition 2.1 auf Seite 43 haben wir bisher aber nur Polynomein einer Unbestimmten betrachtet. Die Verallgemeinerung ist nicht schwer: Ein Poly-nom (mit rationalen Koeffizienten) in den Unbestimmten X1, . . . , Xm ist einfach einAusdruck, welcher sich in endlich vielen Schritten aus den rationalen Zahlen und denUnbestimmten X1, . . . , Xm durch Addition und Multiplikation wieder unter Berücksich-tung des Assoziativ-, des Distributiv- und des Kommutativgesetzes gewinnen läßt. Ist fein solches Polynom, schreiben wir

f ∈ Q[X1, . . . , Xm],

wobei wir Q wieder durch die anderen Zahlbereiche ersetzen dürfen. Für ein Polynom fin m Variablen schreiben wir

deg f ≤ d,

falls f eine Summe von Termen der Form aXk1 · · ·Xkm mit einer Konstanten a undk1 + · · ·+ km ≤ d ist.Um unnötige Wortwiederholungen zu vermeiden, nennen wir ein Polynom mit alge-

braischen Koeffizienten im folgenden einfach ein Polynom und formulieren die übrigenDefinitionen und Aussagen des Abschnittes in der Regel nur für diese Polynome. Soweit

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

nichts anderes gesagt wird, bleibt das Folgende aber richtig, wenn wir einen anderen Ko-effizientenbereich wählen, etwa die ganzen, rationalen, reellen oder komplexen Zahlen.Die erste wichtige Operation, die wir mit Polynomen durchführen können, ist die des

Einsetzens: Istf = anX

n + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0

ein Polynom in X und x eine algebraische Zahl, so nennen wir

f(x) = anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a1x+ a0 (2.4)

den Wert von f an x, und wir sagen, wir setzen x für X in f ein. Eine Polynomgleichungist damit eine Gleichung der Form

f(X) = 0,

und eine Lösung dieser Gleichung ist eine algebraische Zahl x mit f(x) = 0. (Eine Zahlx mit f(x) = 0 nennen wir allgemein Nullstelle von f). Der Vorteil, Polynomgleichungendurch Polynome zu beschreiben, ist der, daß wir als zusätzliche Struktur auf den Poly-nomen die Rechenoperationen Addition und Multiplikation haben. Ist Y eine (weitere)Unbestimmte, so schreiben wir in formaler Analogie

f(Y ) = anYn + an−1Y

n−1 + · · ·+ a1Y + a0. (2.5)

Auf diese Weise können wir das Polynom f in X als eins in Y auffassen. Setzen wir Xin f ein, erhalten wir wieder f(X) = f . Die Definitionen (2.4) und (2.5) können wir infolgender ganz allgemeinen Definition zusammenführen: Ist g = g(Y ) ein Polynom in Y ,so setzen wir

f(g(Y )) = f(g) = angn + an−1g

n−1 + · · ·+ a1g + a0.

Im Falle, daß g das konstante Polynom x ist, stimmt f(g) mit f(x) überein; im Falle,daß g die Unbestimmte Y ist, aufgefaßt als (normiertes) Polynom vom Grade 1, stimmtf(g) mit f(Y ) überein.Der Prozeß des Einsetzens ist mit den auf Polynomen definierten Rechenoperationen

verträglich, das heißt, sind f(X) und g(X) zwei Polynome, so gilt

(f + g)(x) = f(x) + g(x),(f · g)(x) = f(x) · g(x).

Dagegen ist im allgemeinen nicht f(x+ y) = f(x) + f(y) oder f(xy) = f(x) · f(y). EinGegenbeispiel für die erste Gleichheit ist etwa das Polynom f = X2, wie aus der erstenbinomischen Formel folgt.Ist f ein Polynom in mehreren Unbestimmten X1, . . . , Xn und sind x1, . . . , xn Zahlen

(oder allgemeiner Polynome), so schreiben wir in Analogie f(x1, . . . , xn) für den Wertden wir erhalten, wenn wir im f definierenden Ausdruck jede Unbestimmte Xi jeweilsdurch die gegebene Zahl (beziehungsweise durch das gegebene Polynom) xi ersetzen. Wirerinnern an die Definition eines rationalen Ausdrucks aus Abschnitt 1.5 auf Seite 25. Diessind komplexe Zahlen gewesen, welche sich aus vorgegebenen komplexen Zahlen durch die

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2.1. Polynome

Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division gewinnen lassen.Lassen wir die Division weg, kommen wir zum Begriff eines polynomiellen Ausdrucks:Sind t1, . . . , tn vorgegebene komplexe Zahlen, so heißt eine komplexe Zahl z polynomiell(oder genauer ein Polynom mit rationalen Koeffizienten) in t1, . . . , tn, falls sich z ausden rationalen Zahlen und den komplexen Zahlen t1, . . . , tn nur mithilfe von Additionund Multiplikation darstellen läßt. Dies ist gleichbedeutend damit, daß ein Polynomf(X1, . . . , Xn) mit rationalen Koeffizienten existiert, so daß z = f(t1, . . . , tn). Ist z einein t1, . . . , tn polynomielle Zahl, so schreiben wir dementsprechend

z ∈ Q[t1, . . . , tn].

Jeder in t1, . . . , tn polynomielle Ausdruck ist auch ein in t1, . . . , tn rationaler Ausdruck.Es besteht kein offensichtlicher Grund, warum die Umkehrung gelten sollte, warum sichalso jeder rationale Ausdruck in einen polynomiellen umformen lassen sollte. Wir könneneine in t1, . . . , tn rationale komplexe Zahl z jedoch immer in die Form z = p/q bringen,wobei p und q polynomiell in t1, . . . , tn sind. Betrachten wir jetzt den speziellen Fall, daßt1, . . . , tn algebraische Zahlen sind. Dann ist q als Summe von Produkten algebraischerZahlen wieder algebraisch. Schauen wir noch einmal in den Beweis von Proposition 1.6auf Seite 17, genauer in (1.19), so sehen wir, daß die Inverse einer invertierbaren alge-braischen Zahl t ein Polynom (mit rationalen Koeffizienten) in t ist. Insbesondere istq−1 ein Polynom (mit rationalen Koeffizienten) in q, also auch in t1, . . . , tn. Damit istz = p/q = p · q−1 polynomiell in t1, . . . , tn. Wir haben also gezeigt, daß jeder rationaleAusdruck in algebraischen Zahlen in einen polynomiellen Ausdruck in diesen algebrai-schen Zahl umgeformt werden kann. Wir können dies kurz

Q(t1, . . . , tn) = Q[t1, . . . , tn], t1, . . . , tn ∈ Q

schreiben. Mit diesem Wissen können wir Satz 1.13 auf Seite 32 über die Charakteri-sierung der konstruierbaren komplexen Zahlen noch verschärfen: Da jede konstruierbareZahl algebraisch ist, haben wir:

Folgerung 2.3. Eine komplexe Zahl z ist genau dann konstruierbar, wenn es eine Folgekomplexer Zahlen z1, . . . , zn−1, zn = z gibt, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n die komple-xe Zahl zi ein rationales Polynom in z1, . . . , zi−1 ist oder eine Quadratwurzel eines inz1, . . . , zi−1 rationalen Polynoms ist.

Im Zahlbereich der ganzen Zahlen gibt es den Begriff der Teilbarkeit: Sind a und b zweiganze Zahlen, so sagen wir bekanntlich, a teilt b, geschrieben a | b, falls b ein ganzzahligesVielfaches von a ist, falls wir also b = ra für eine weitere ganze Zahl r schreiben können.Als Spezialfälle haben wir, daß jede Zahl Teiler der Null ist und daß die Eins jedeZahl teilt. Wir könnten versuchen, den Teilbarkeits- und den Primzahlbegriff auf dierationalen Zahlen auszudehnen, das heißt wir könnten sagen, eine rationale Zahl a istTeiler einer rationalen Zahl b, falls eine rationale Zahl r mit b = ra existiert. Da wirim Falle a 6= 0, r = b/a setzen können, erhalten wir, daß sich zwei beliebige rationaleZahlen ungleich Null immer gegenseitig teilen. Es sieht so aus, als ob Teilbarkeit auf

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

den rationalen Zahlen keine besonders spannende Relation ist. Dasselbe gilt auch für diealgebraischen Zahlen.Sobald wir jedoch zu den Polynomen (in einer Variablen X) übergehen, wird es wieder

interessanter: Seien f(X) und g(X) zwei Polynome. Wir sagen wieder, f(X) teilt g(X),geschrieben f(X) | g(X), falls ein weiteres Polynom q(X) mit f(X) = q(X) · g(X)existiert. Beispielsweise ist X − 1 ein Teiler von X2 − 1, denn es gilt

X2 − 1 = (X + 1) · (X − 1).

Auf der anderen Seite ist zum Beispiel X − 2 kein Teiler von X2 − 1. Eine schnelleMöglichkeit, das einzusehen, ist die folgende: Angenommen (X − 2) | (X2 − 1). Dannmüßte auch (x− 2) | (x2 − 1) für jede ganze Zahl x gelten, denn aus (X − 2) | (X2 − 1)folgt X2 − 1 = q(X) · (X − 2) für ein Polynom q(X), also x2 − 1 = q(x) · (x − 2), also(x− 2) | (x2 − 1). Setzen wir x = 2, so würden wir 0 | 3 erhalten, ein Widerspruch.Im Falle der ganzen Zahlen gibt es den Begriff der Division mit Rest. Genau dann, wenn

die Division von b durch a den Rest Null ergibt, ist b durch a teilbar. Entsprechendesgilt auch für Polynome in einer Variablen.

Proposition 2.4. Sei f(X) ein Polynom und g(X) ein normiertes Polynom. Dannexistieren eindeutig bestimmte Polynome q(X) und r(X) mit

f(X) = q(X) · g(X) + r(X) (2.6)

und deg r(X) < deg g(X).

Wir nennen r(X) den Rest der Division von f(X) durch g(X). Wenn wir in Proposi-tion 2.4 den Begriff „Polynom“ durch ganze Zahl, „normiertes Polynom“ durch „positiveganze Zahl“ und den Grad deg(·) durch den Absolutbetrag |·| ersetzen und zusätzlich for-dern, daß der Rest nicht negativ ist, erhalten wir die analoge Aussage über die Divisionganzer Zahlen mit Rest.

Beweis. Beweisen wir als erstes die Eindeutigkeit von q(X) und r(X) im Falle ihrerExistenz. Dazu nehmen wir an, daß wir zwei Darstellungen von f(X) wie in (2.6) haben,etwa

q(X) · g(X) + r(X) = f(X) = q′(X) · g(X) + r′(X)

für Polynome q(X), r(X), q′(X), r′(X) mit deg r(X), deg r′(X) < deg g(X) haben.Subtrahieren wir die linke von der rechten Seite erhalten wir (q(X) − q′(X)) · g(X) +r(X)− r′(X) = 0, also

(q(X)− q′(X)) · g(X) = r′(X)− r(X). (2.7)

Da für das Polynom auf der rechten Seite deg(r′(X)− r(X)) < deg g(X) gilt, haben wirdie entsprechende Ungleichung auch auf der linken Seite, also

deg((q(X)− q′(X)) · g(X)) < deg g(X).

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2.1. Polynome

Nach Hilfssatz 2.2 auf Seite 44 ist deg(q(X) − q′(X)) < 0, also q(X) − q′(X) = 0, alsoq(X) = q′(X). Setzen wir die erhaltene Gleichheit in (2.7) ein, folgt r′(X) − r(X) = 0,womit auch r(X) = r′(X) bewiesen ist.Es bleibt, die Existenz von q(X) und r(X) zu zeigen. Dazu wählen wir eine natür-

liche Zahl n mit deg f(X) ≤ n und führen den Existenzbeweis per Induktion übern. Im Falle von n < deg g(X), können wir q = 0 und r(X) = f(X) setzen, undes ist nichts weiter zu zeigen. Im Falle von n ≥ deg g fahren wir wie folgt fort: Seif(X) = anX

n + an−1Xn−1 + · · · + a0. Setze q′(X) := anX

n−deg g. Da g(X) normiertist, ist dann deg(f(X) − q′(X)g(X)) < n, so daß wir die Induktionsvoraussetzung auff(X) − q′(X) · g(X) anwenden können, das heißt, es existieren Polynome q′′(X) undr(X) mit f(X)− q′(X) · g(X) = q′′(X) · g(X) + r(X) und deg r < deg g. Wir erhalten

f(X) = (q′(X) + q′′(X)) · g(X) + r(X).

Mit q(X) = q′(X) + q′′(X) ist die Proposition damit bewiesen.

Als erste wichtige Folgerung aus der Möglichkeit der Division durch Rest erhalten wireinen Zusammenhang zwischen dem Teilbarkeitsbegriff und Nullstellen von Polynomen,also Lösungen von Polynomgleichungen:

Proposition 2.5. Sei f(X) ein Polynom. Eine algebraische Zahl a ist genau dannNullstelle von f , wenn f durch das Polynom X − a teilbar ist.

Beweis. Sei a Nullstelle von f(X). Nach Proposition 2.4 auf der vorherigen Seite exi-stieren Polynome q(X) und r(X), so daß

f(X) = q(X) · (X − a) + r(X), (2.8)

wobei deg r(X) < deg(X − a) = 1. Damit ist r(X) ein konstantes Polynom, also einealgebraische Zahl. Setzen wir X = a in (2.8), so erhalten wir

0 = f(a) = q(a) · (a− a) + r = r.

Damit ist (2.8) äquivalent zu f(X) = q(X) · (X − a), und damit ist X − a ein Teiler vonf(X).Sei umgekehrt X − a ein Teiler von f(X), das heißt

f(X) = q(X) · (X − a) (2.9)

für ein Polynom q(X). Setzen X = a in (2.9), so erhalten wir

f(a) = q(a) · (a− a) = 0,

also ist a eine Nullstelle von f(X).

AufgabenAufgabe 2.1.1. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome mit deg f(X) ≤ n und deg g(X) ≤m. Zeige, daß deg(f(X) + g(X)) ≤ maxn,m und deg(f(X) · g(X)) ≤ n+m.

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Aufgabe 2.1.2. Gib ein Beispiel für ein Polynom f(X) und zwei algebraische Zahlen xund y an, so daß f(x · y) 6= f(x) · f(y).Aufgabe 2.1.3. Ist X +

√2 ein Teiler von X3 − 2X?

Aufgabe 2.1.4. Ein Polynom f(X) mit ganzzahligen Koeffizienten teile ein weiteres Po-lynom g(X) mit ganzzahligen Koeffizienten. Zeige, daß für jede ganze Zahl n die ganzeZahl f(n) ein Teiler der ganzen Zahl g(n) ist.Aufgabe 2.1.5. Besitzt das Polynom X7 + 11X3 − 33X + 22 einen Teiler der Form (X −a)(X − b), wobei a und b rationale Zahlen sind?Aufgabe 2.1.6. Seien p(X), q(X), f(X) und g(X) Polynome mit algebraischen Koeffizi-enten. Teile das Polynom d(X) die beiden Polynome f(X) und g(X). Zeige, daß d(X)dann auch das Polynom p(X) · f(X) + q(X) · g(X) teilt.Aufgabe 2.1.7. Seien f(X) = 3X4 −X3 + X2 −X + 1 und g(X) = X3 − 2X + 1. GibPolynome q(X) und r(X) mit f(X) = q(X)g(X) + r(X) an, so daß q(X) und r(X)Polynome mit rationalen Koeffizienten sind und deg r(X) < deg g(X).Aufgabe 2.1.8. Inwiefern kann ein Polynom in den zwei Unbestimmten X und Y alsPolynom in einer Unbestimmten Y , dessen Koeffizienten Polynome in X sind, aufgefaßtwerden? Wie läßt sich diese Aussage auf Polynome mit mehr als zwei Unbestimmtenverallgemeinern?Aufgabe 2.1.9. Schreibe 1√

2+5√

3 als polynomiellen Ausdruck mit rationalen Koeffizientenin√

2 und√

3.Aufgabe 2.1.10. Sei t eine komplexe Zahl, so daß Q[t] = Q(t). Zeige, daß t algebraischist.

2.2. Der Vietasche SatzJede normierte Polynomgleichung positiven Grades mit algebraischen Koeffizienten be-sitzt nach dem Fundamentalsatz der Algebra eine Lösung. In der Regel ist dies nichtdie einzige. Im Falle der Kreisteilungsgleichung Xn − a = 0, a 6= 0 haben wir nachProposition 1.7 auf Seite 22 genau n Lösungen. Wir werden zeigen, daß jede normiertePolynomgleichung n-ten Grades höchstens n verschiedene Lösungen besitzt, beziehungs-weise sogar genau n Lösungen, wenn wir die Anzahl der Lösungen geeignet zählen.Dazu betrachten wir ein normiertes Polynom f(X) vom Grade n mit algebraischen

Koeffizienten und die zugehörige Polynomgleichung

f(X) = 0. (2.10)

Sei a1 eine nach Hauptsatz 1.14 auf Seite 35 existierende Lösung von (2.10). Nach Pro-position 2.5 auf der vorherigen Seite können wir dann

f(X) = (X − a1) · f1(X)

schreiben, wobei f1(X) ein normiertes Polynom vom Grade n − 1 mit algebraischenKoeffizienten ist. Ist n ≥ 2, so ist f1(X) ein nicht konstantes Polynom. Damit besitzt

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2.2. Der Vietasche Satz

auch f1(X) nach Hauptsatz 1.14 auf Seite 35 eine Nullstelle in den algebraischen Zahlen,etwa a2. Nach Proposition 2.5 auf Seite 49 ist also f1(X) = (X − a2) · f2(X) für einnormiertes Polynom f2(X) vom Grade n− 2 mit algebraischen Koeffizienten und damit

f(X) = (X − a1) · (X − a2) · f2(X).

Ist n ≥ 3, können wir analog mit f2(X) fortfahren und so weiter. Am Ende erhalten wir,daß

f(X) = (X − a1) · (X − a2) · · · (X − an) (2.11)

für algebraische Zahlen a1, . . . , an, das heißt wir haben soeben gezeigt, daß sich jedesnormierte Polynom f(X) mit algebraischen Koeffizienten als Produkt von n Linear-faktoren der Form X − a schreiben läßt (wir sagen auch, f(X) zerfällt vollständig inLinearfaktoren).Ist a eine Lösung von (2.10), also f(a) = 0, so folgt aus (2.11), daß (a − a1) · (a −

a2) · · · (a − an) = 0. Da ein Produkt algebraischer Zahlen genau dann Null ist, wenneiner der Faktoren Null ist, muß a = ai für ein i ∈ 1, . . . , n gelten. Damit ist a einervon höchstens n verschiedenen Werten, wir haben also bewiesen, daß eine normiertePolynomgleichung n-ten Grades (mit algebraischen Koeffizienten) höchstens n verschie-dene Lösungen in den algebraischen (und damit auch in den komplexen) Zahlen besitzt.(Aus (2.11) folgt umgekehrt, daß jedes ai eine Nullstelle von f(X) ist, also eine Lösungvon (2.10).) Da verschiedene ai zusammenfallen können, wird es im allgemeinen wenigerals n verschiedene Lösungen von (2.10) geben.Inwiefern ist die Zerlegung (2.11) eindeutig? Zunächst können wir Eindeutigkeit der

Linearfaktorzerlegung sicherlich nur bis auf Reihenfolge erwarten. (Vergleichbar mit die-ser Frage ist diejenige nach der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung einer natürlichenZahl. Es ist nicht offensichtlich, warum eine natürliche Zahl im wesentlichen, das heißtbis auf Reihenfolge, nur eine Primfaktorzerlegung besitzt.) Es stellt sich also die Frage,ob die Folge a1, a2, . . . , an bis auf Reihenfolge eindeutig ist. Diese Frage wollen wir po-sitiv beantworten. Seien dazu b1, . . . , bk die verschiedenen Werte der ai, das heißt diepaarweise verschiedenen Lösungen von (2.10). Für j ∈ 1, . . . , k sei ej die Häufigkeit,mit der bj unter a1, . . . , an auftaucht, das heißt (2.11) wird zu

f(X) = (X − b1)e1 · (X − b2)e2 · · · (X − bk)ek .

Wir müssen zeigen, daß die e1, . . . , ek unter der Annahme, daß die b1, . . . , bk paarweiseverschieden sind, durch f(X) eindeutig bestimmt sind. Dazu schreiben wir

(X − b1)e1 · (X − b2)e2 · · · (X − bk)ek = (X − b1)e′1 · (X − b2)e′2 · · · (X − bk)e′k (2.12)

und wollen zeigen, daß e1 = e′1, e2 = e′2, . . . , ek = e′k. Beginnen wir mit e1: Sei ohneBeschränkung der Allgemeinheit e1 ≤ e′1. Da das Polynom (X − b1)e1 normiert ist,können wir die Kürzungsregel (2.3) auf (2.12) anwenden und erhalten

(X − b2)e2 · · · (X − bk)ek = (X − b1)e′1−e1 · (X − b2)e2 · · · (X − bk)ek . (2.13)

51

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Da die bj als paarweise verschieden angenommen worden sind, hat die linke Seite derGleichung (2.13) die algebraische Zahl b1 nicht als Nullstelle. Damit kann aber auch dierechte Seite b1 nicht als Nullstelle haben, so daß e′1−e1 = 0, also e′1 = e1 gelten muß. DieGleichheit von e2 und e′2 und so weiter wird genauso bewiesen. Wir haben also gezeigt:

Satz 2.6. Sei f(X) ein normiertes Polynom mit algebraischen Koeffizienten. Dann exi-stieren algebraische Zahlen a1, . . . , an mit

f(X) = (X − a1) · (X − a2) · · · (X − an). (2.14)

Die a1, . . . , an sind bis auf Reihenfolge eindeutig durch f bestimmt.

Wir sagen, a1, . . . , an sind die Lösungen mit Vielfachen von (2.10). Es gilt also: Einenormierte Polynomgleichung n-ten Grades besitzt genau n Lösungen, wenn die Lösungenmit Vielfachheiten gezählt werden. Wir veranschaulichen dies anhand der Gleichung

Xn = 0, (2.15)

welche 0 als einzige Lösung besitzt. Da Xn = (X − 0)n ist 0 eine n-fache Lösungvon (2.15). Die Gleichung besitzt also n Lösungen, wenn wir sie mit Vielfachheitenzählen.Ist a eine Nullstelle des Polynoms f(X), so sagen wir, daß a eine k-fache Nullstelle

von f(X) ist, wenn a eine k-fache Lösung von f(X) = 0 ist, in der Linearfaktorzerle-gung (2.14) der Term X−a also genau k-mal vorkommt. In der Analysis gibt es auch denBegriff einer mehrfachen Nullstelle. Ist g eine differenzierbare Funktion auf der reellenGeraden, so heißt eine reelle Zahl a eine mehrfache Nullstelle von g, falls g(a) = 0 undg′(a) = 0. Im Falle von Polynomen können wir dies algebraisch nachvollziehen:

Definition 2.7. Sei

g(X) = anXn + an−1X

n−1 + . . .+ a2X2 + a1X + a0

ein Polynom. Dann heißt

g′(X) = nanXn−1 + (n− 1)an−1X

n−2 + . . .+ 2a2X + a1

die (formale) Ableitung von g(X).

Die formale Ableitung von g(X) ist wohldefiniert, das heißt die formalen Ableitungenzweier Polynome mit denselben Koeffizienten stimmen in allen Koeffizienten überein.Weiter halten wir fest, daß

deg g(X) ≤ n =⇒ deg g′(X) ≤ n− 1

und daß die Ableitungsoperation linear ist, das heißt, daß (g + h)′(X) = g′(X) + h′(X)und (cg)′(X) = cg′(X) für zwei Polynome g und h und für eine Konstante c. Die formaleAbleitung eines Polynoms ist gerade so gemacht, daß für reelles (oder komplexes) x dieFunktion g′(x) die aus der Analysis bekannte Ableitung von g(x) ist. Da die formale

52

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2.2. Der Vietasche Satz

Ableitung g′(X) wieder ein Polynom ist, können wir dieses ein weiteres Mal ableitenund erhalten g′′(X), die zweite Ableitung von g. Nach n-maligem Ableiten von g(X)erhalten wir die n-te Ableitung g(n)(X) von g(X). Es gelten die aus der Analysis bekannteProdukt- oder Leibnizregel und die Kettenregel.

Proposition 2.8. Seien g(X) und h(X) zwei Polynome. Dann gilt

(gh)′(X) = g′(X)h(X) + g(X)h′(X), (2.16)g(h)′(X) = g′(h(X)) · h′(X). (2.17)

Beweis. Beweisen wir als erstes die Produktregel (2.16): Beide Seiten von (2.16) sindsowohl in g als auch in h linear. Damit reicht es, die Gleichheit (2.16) für den Fallg(X) = Xm und h(X) = Xn nachzurechnen:

(Xm+n)′ = (m+ n)Xm+n−1 = mXm−1Xn + nXmXn−1 = (Xm)′Xn +Xm(Xn)′.

Kommen wir jetzt zur Kettenregel (2.17): Da beide Seiten von (2.17) linear in g(X)sind, können wir wieder von g(X) = Xm ausgehen. Wegen der schon bewiesenen Pro-duktregel berechnet sich die linke Seite von (2.17) dann zu

(hm)′(X) = h′(X) · hm−1(X) + h(X) · (hm−1)′(X) = · · · = mh′(X)hm−1(X).

Wegen g′(X) = mXm−1 ist dies gleich der rechten Seite der zu beweisenden Gleich-heit (2.17).

Für die k-te Ableitung folgt mittels vollständiger Induktion

(gh)(k)(X) =∑i+j=k

(k

i

)· g(i)(X) · h(j)(X). (2.18)

aus (2.16). Als Spezialfall von (2.17) notieren wir

g′(X − a) = g(X − a)′. (2.19)

Wir können jetzt folgende Proposition beweisen:

Proposition 2.9. Sei f(X) ein normiertes Polynom mit algebraischen Koeffizienten.Eine algebraische Zahl a ist genau dann eine k-fache Nullstelle von f , falls

f(a) = f ′(a) = · · · = f (k−1)(a) = 0,

aber f (k)(a) 6= 0.

53

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Beweis. Nach Satz 2.6 auf Seite 52 gilt

f(X) = (X − a)k · g(X)

für eine natürliche Zahl k und ein normiertes Polynom g mit g(a) 6= 0. (Es ist genaudann k = 0, wenn a keine Nullstelle von f(X) ist.) Wegen (2.18) und (2.19) erhalten wir

f (`)(X) =∑i+j=`

(`

i

)· ((X − a)k)(i) · g(j)

=∑i+j=`

(`

i

)· k · (k − 1) · · · (k − i+ 1) · (X − a)k−i · g(j)

=∑i+j=`

(`

i

)k!

(k − i)! · (X − a)k−i · g(j)

für ` ≤ k. Im Falle von ` < k ist in jedem Summanden i < k, das heißt jeder Summandvon f (`), und damit auch f (`), besitzt a als Nullstelle, das heißt f (`)(a) = 0 für ` < k.Im Falle von ` = k gibt es genau einen Summanden (der zu i = k), welcher keinen

Faktor X − a enthält. Dieser ist k!(k−k)! g(X) = k! · g(X) und hat a wegen g(a) 6= 0 nicht

als Nullstelle. Damit ist auch f (k)(a) 6= 0.

Bisher sind wir der Frage nachgegangen, ob eine Polynomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

Lösungen besitzt und wenn ja, wie viele. Der Fundamentalsatz der Algebra liefert unseine positive Antwort auf die Lösbarkeit, und im Beweis von Hauptsatz 1.14 auf Seite 35und von Satz 2.6 auf Seite 52 steckt ein Verfahren, alle Lösungen (mit Vielfachheiten)x1, . . . , xn aus den Koeffizienten a1, . . . , an−1 numerisch zu bestimmen. Wir stellenjetzt die umgekehrte Frage, die vielleicht zunächst etwas unnatürlich erscheint, die unsaber den richtigen Weg auf der Suche nach Lösungsformeln weisen wird: Gegeben dieLösungen (mit Vielfachheiten) x1, . . . , xn, bestimme daraus die Koeffizienten a1, . . . ,an−1. Dieses Problem ist nicht schwer zu lösen. Beginnen wir mit dem Fall n = 2. NachSatz 2.6 auf Seite 52 haben wir

X2 + a1X + a0 = (X − x1) · (X − x2).

Ausmultipliziert ist die rechte Seite X2−(x1 +x2)X+x1x2. Koeffizientenvergleich ergibtdann die Gleichungen

a1 = −(x1 + x2), a0 = x1x2,

das heißt, wir haben die Koeffizienten a1 und a0 durch die beiden Lösungen x1 und x2ausgedrückt. Gehen wir zum Falle n = 3 über. Hier haben wir

X3 + a2X2 + a1X + a0 = (X − x1) · (X − x2) · (X − x3)

= X3 − (x1 + x2 + x3)X2 + (x1x2 + x1x3 + x2x3)X − x1x2x3,

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2.2. Der Vietasche Satz

also

a2 = −(x1 + x2 + x3), a1 = x1x2 + x1x3 + x2x3, a0 = x1x2x3,

der Koeffizient a2 ist also bis auf ein Vorzeichen die Summe der Lösungen xi, der Ko-effizient a1 die Summe aller zweifachen Produkte der Lösungen und der Koeffizient a0bis auf ein Vorzeichen das dreifache Produkt der Lösungen. Für n ≥ 4 können wir of-fensichtlich auf dieselbe Art entsprechende Formeln ableiten. Um diese in knapper Formnotieren zu können, definieren wir:

Definition 2.10. Das Polynom

ek(X1, . . . , Xn) :=∑

1≤i1<i2<···<ik≤nXi1 ·Xi2 · · ·Xik , 0 ≤ k ≤ n

heißt die k-te elementarsymmetrische Funktion in X1, . . . , Xn.

Da e0(X1, . . . , Xn) = 1 gar nicht von den Variablen abhängt, zählen häufig auch nur e1,. . . , en als elementarsymmetrische Funktionen. Mit Definition 2.10 lautet der Vietasche1

Satz wie folgt:

Satz 2.11. SeiXn + an−1X

n−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0

eine normierte Polynomgleichung mit algebraischen Koeffizienten a0, . . . , an−1. Sind x1,. . . , xn ihre Lösungen mit Vielfachheiten, so gilt

an−i = (−1)iei(x1, . . . , xn),

für i ∈ 0, . . . , n, wenn an = 1 gesetzt wird.

Beweis. Nach Satz 2.6 auf Seite 52 haben wir

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = (X − x1) · (X − x2) · · · (X − xn).

Ausmultiplizieren der rechten Seite und Koeffizientenvergleich liefert dann die Behaup-tung.

AufgabenAufgabe 2.2.1. Gib eine normierte Polynomgleichung dritten Grades an, welche 1 alszweifache Lösung, 2 als einfache Lösung und keine weiteren Lösungen besitzt.Aufgabe 2.2.2. Warum sind beide Seiten von (2.16) sowohl in g(X) als auch in h(X) linearund warum reicht es daher, die Gleichung (2.16) nur für g(X) = Xm und h(X) = Xn

nachzurechnen?Aufgabe 2.2.3. Sei f(X) ein Polynom mit algebraischen Koeffizienten mit deg f ≤ n füreine natürliche Zahl n. Seien x0, . . . , xn paarweise verschiedene algebraische Zahlen mitf(x0) = · · · = f(xn) = 0. Zeige, daß f(X) das Nullpolynom ist.

1François Viète, 1540–1603, französischer Rechtsanwalt und Mathematiker

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Aufgabe 2.2.4. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome mit algebraischen Koeffizienten unddeg f , deg g ≤ n für eine natürliche Zahl n. Seien x0, . . . , xn algebraische Zahlen mitf(x0) = g(x0), . . . , f(xn) = g(xn). Zeige, daß dann f(X) = g(X) gilt.

Aufgabe 2.2.5. Seien x0, . . . , xn paarweise verschiedene algebraische Zahlen. Sei i ∈0, . . . , n. Zeige, daß genau ein Polynom f(X) vom Grade höchstens nmit algebraischenKoeffizienten und

f(xj) =

1 für j = i und0 für j ∈ 0, . . . , i− 1, i+ 1, . . . , n

existiert.

Aufgabe 2.2.6. Seien x0, . . . , xn paarweise verschiedene algebraische Zahlen. Seien y0,. . . , yn weitere algebraische Zahlen. Zeige, daß genau ein Polynom f(X) vom Gradehöchtens n mit algebraischen Koeffizienten und f(xi) = yi für i ∈ 0, . . . , n existiert.

Aufgabe 2.2.7. Seien g(X) und h(X) zwei Polynome. Begründe, warum mittels vollstän-diger Induktion

(gh)(k)(X) =∑i+j=k

(k

i

)g(i)(X)h(j)(X)

aus Proposition 2.8 auf Seite 53 folgt.

Aufgabe 2.2.8. Sei f(X) ein Polynom. Zeige, daß f (n+1) = 0 ⇐⇒ deg f ≤ n für jedenatürliche Zahl n.

Aufgabe 2.2.9. Sei f(X) ein Polynom und x eine komplexe Zahl. Zeige, daß die Entwick-lung von f(X) nach X − x durch die Taylorsche2 Formel

f(X) =∞∑k=0

f (k)(x)k! (X − x)k

gegeben ist.

Aufgabe 2.2.10. Gib die zweite elementarsymmetrische Funktion in den fünf Unbestimm-ten X, Y , Z, U und V explizit an.

Aufgabe 2.2.11. Sei X4 +a3X3 +a2X

2 +a1X+a0 = 0 eine normierte Polynomgleichungvierten Grades, deren Lösungen mit Vielfachheiten x1, x2, x3 und x4 seien. Drücke dieKoeffizienten a0, a1, a2 und a3 explizit als Polynome in den xi aus.

Aufgabe 2.2.12. Verwende den Vietaschen Satz für n = 2 um die bekannte Lösungsformelfür normierte quadratische Gleichungen herzuleiten.

2Brooke Taylor, 1685–1731, britischer Mathematiker

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2.3. Die Diskriminante

2.3. Die DiskriminanteDie elementarsymmetrischen Funktionen ek(X1, . . . , Xn) heißen symmetrisch, weil sieinvariant unter Vertauschungen der Xi sind: Sei σ eine n-stellige Permutation, das heißteine Umordnung (

1 2 . . . nσ(1) σ(2) . . . σ(n)

)der Zahlen 1, . . . , n in die Reihenfolge σ(1), σ(2), . . . , σ(n) (jede Zahl von 1 bis n kommtunter σ(1), σ(2), . . . , σ(n) genau einmal vor). Für eine elementarsymmetrische Funktiongilt dann

ek(Xσ(1), . . . , Xσ(n)) = ek(X1, . . . , Xn). (2.20)

Ist etwa n = 3 undσ =

(1 2 33 1 2

),

so lautet (2.20) wie folgt

ek(X3, X1, X2) = ek(X1, X2, X3).

Ist f(X1, . . . , Xn) ein beliebiges Polynom in den n Variablen X1, . . . , Xn, so nennen wirallgemein f symmetrisch, falls für jede n-stellige Permutation σ die Gleichheit

f(Xσ(1), Xσ(2), . . . , Xσ(n)) = f(X1, X2, . . . , Xn)

gilt. Ein Beispiel für ein symmetrisches Polynom, welches keine elementarsymmetrischeFunktion ist, ist etwa X2

1 +X22 + · · ·+X2

n. Einen Teil der Aussage des Vietaschen Satzes,Satz 2.11 auf Seite 55, können wir also folgendermaßen formulieren: Die Koeffizienteneiner normierten Polynomgleichung sind symmetrische Polynome in den Lösungen (mitVielfachheiten) der Gleichung. Daß sich die Koeffizienten auf symmetrische Art und Wei-se universell durch die Lösungen ausdrücken lassen, ist sehr natürlich: Ansonsten kämees nämlich darauf an, in welcher Reihenfolge die Lösungen durchzunumerieren sind — esgibt aber keinen offensichtlichen Grund dafür, daß die Lösungen einer Polynomgleichungeine wie auch immer definierte natürliche Anordnung haben. Diesen Fragen werden wirim übernächsten Kapitel im Rahmen der Galoisschen Theorie weiter nachgehen.Daß ein Polynom symmetrisch ist, können wir folgendermaßen kompakt schreiben: Ist

f(X1, . . . , Xn) ein beliebiges Polynom in n Variablen und σ eine n-stellige Permutation,so definieren wir ein neues Polynom σ · f in n Variablen durch

(σ · f)(X1, . . . , Xn) := f(Xσ(1), . . . , Xσ(n)).

Wir sagen, σ ·f ist das Ergebnis der Operation von σ auf f . Das Polynom f offensichtlichgenau dann symmetrisch, wenn

σ · f = f

für alle n-stelligen Permutationen σ gilt. Wir dürfen dazu folgende Entsprechung imKopf haben: Betrachten wir anstelle von Permutationen Drehungen der Ebene um einen

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Ursprung und anstelle von Polynomen geometrische Figuren in der Ebene. Jede Drehungσ überführt eine geometrische Figur f in eine neue geometrische Figur σ ·f ; eine geome-trische Figur f ist genau dann (dreh-)symmetrisch, wenn σ · f = f für alle Drehungen σgilt. In diesem Bilde entspricht ein Kreis, dessen Zentrum der Ursprung der Ebene ist,einem symmetrischen Polynom.Die elementarsymmetrischen Funktionen sind die wichtigsten Beispiele für symmetri-

sche Polynome. Sie heißen elementar, weil jede andere symmetrische Funktion sich durchsie ausdrücken läßt. Betrachten wir etwa das symmetrische Polynom X2

1 + X22 . Dieses

ist keine der elementarsymmetrischen Funktionen X1 +X2 oder X1X2, aber wir könnenes in Termen dieser beiden beschreiben, denn nach der ersten binomischen Formel gilt:

X21 +X2

2 = (X1 +X2)2 − 2(X1X2)

Daß so etwas allgemein möglich ist, ist die Aussage des sogenannten Hauptsatzes überdie symmetrischen Funktionen:

Satz 2.12. Sei f(X1, . . . , Xn) ein symmetrisches Polynom, dessen Koeffizienten alge-braische (oder ganze, rationale, reelle, komplexe) Zahlen sind. Dann gibt es genau einPolynom H(Y1, . . . , Yn) mit algebraischen (oder ganzen, rationalen, reellen, komplexen)Koeffizienten, so daß

f(X1, . . . , Xn) = H(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)).

Jedes symmetrische Polynom ist also auf eindeutige Weise eine Summe von Vielfa-chen von Produkten elementarsymmetrischer Funktionen. Wesentlich trivialer ist dieUmkehrung: Jeder polynomielle Ausdruck in den elementarsymmetrischen Funktionenist wieder symmetrisch.

Beweis. Sei d eine natürliche Zahl mit deg f(X1, . . . , Xn) ≤ d. Neben der Aussage vonSatz 2.12 werden wir zusätzlich zeigen, daß degH(X,X2, . . . , Xn) ≤ d. Den Beweis füh-ren wir per Induktion über n. Im Falle von n = 0 ist nichts zu zeigen, da f notwendiger-weise eine Konstante ist und wir H = f setzen können. Im Falle von n > 0 führen wir beifestem n eine weitere Induktion, diesmal über d. Im Falle von d = 0 ist nichts zu zeigen,da f dann wieder eine Konstante sein muß. Sei also d > 0. Nach Induktionsvorausset-zung (der Induktion über n), existiert wegen ei(X1, . . . , Xn−1, 0) = ei(X1, . . . , Xn−1) füri < n ein Polynom H1(Y1, . . . , Yn−1) mit

f(X1, . . . , Xn−1, 0) = H1(e1(X1, . . . , Xn−1, 0), . . . , en−1(X1, . . . , Xn−1, 0)),

und es gilt degH1(X,X2, . . . , Xn) ≤ d. Wir setzen

f1(X1, . . . , Xn) := f(X1, . . . , Xn)−H1(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)).

Dann ist f1(X1, . . . , Xn) ein symmetrisches Polynom mit deg f1(X1, . . . , Xn) ≤ d. Set-zen wir in dieser Definition Xn = 0 erhalten wir f1(X1, . . . , Xn−1, 0) = 0, das heißt

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2.3. Die Diskriminante

f1(X1, . . . , Xn) ist durch Xn teilbar. Da f1(X1, . . . , Xn) aber symmetrisch in X1, . . . , Xn

ist, ist f1(X1, . . . , Xn) dann auch durch X1, . . . , Xn−1 teilbar, mithin also durch denAusdruck en(X1, . . . , Xn) = X1 · · ·Xn. Es existiert also ein Polynom f2(X1, . . . , Xn) mit

f1(X1, . . . , Xn) = en(X1, . . . , Xn) · f2(X1, . . . , Xn).

Es ist f2(X1, . . . , Xn) ein symmetrisches Polynom mit deg f2(X1, . . . , Xn) ≤ d − n <d. Nach Induktionsvoraussetzung (der Induktion über d) existiert also ein PolynomH2(Y1, . . . , Yn) mit degH2(X,X2, . . . , Xn−1) ≤ d− n so, daß

f2(X1, . . . , Xn) = H2(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)),

alsof(X1, . . . , Xn) = H(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)),

wenn wir H(Y1, . . . , Yn) = H1(Y1, . . . , Yn−1) + Yn ·H2(Y1, . . . , Yn) setzen. Außerdem giltdegH(X,X2, . . . , Xn) ≤ d.Es bleibt, die Eindeutigkeit von H zu zeigen. Sei dazu H(Y1, . . . , Yn) ein weiteres

Polynom mit f(X1, . . . , Xn) = H(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)), das heißt

(H − H)(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)) = 0.

Dann folgt aus dem folgenden Hilfssatz 2.13, daß H − H = 0, also H = H:

Hilfssatz 2.13. Für jede natürliche Zahl n sind die elementarsymmetrischen Funktionene1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn) algebraisch unabhängig, das heißt ist H(Y1, . . . , Yn)ein Polynom mit

H(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)) = 0, (2.21)

so folgt schon H = 0.

Beweis. Den Beweis führen wir wie auch den Beweis von Satz 2.12 auf der vorherigen Sei-te per Induktion über n und d, wobei d eine natürliche Zahl mit degH(X,X2, . . . , Xn) ≤d ist. Im Falle von n = 0 ist nichts zu zeigen. Im Falle von n > 0 betrachten wir zu-nächst den Fall d = 0, den Induktionsanfang. Wegen degH(X,X2, . . . , Xn) ≤ d = 0 istH(Y1, . . . , Yn) dann eine Konstante, so daß H(Y1, . . . , Yn) = 0 direkt aus (2.21) folgt. Esbleibt, d > 0 zu betrachten: Wir schreiben H(Y1, . . . , Yn) in der Form

H(Y1, . . . , Yn) = H0(Y1, . . . , Yn−1) + Yn ·H1(Y1, . . . , Yn−1, Yn) (2.22)

mit eindeutig bestimmten Polynomen H0(Y1, . . . , Yn−1) und H1(Y1, . . . , Yn). Insbeson-dere gilt H0(Y1, . . . , Yn−1) = H(Y1, . . . , Yn−1, 0). Setzen wir Yi = ei(X1, . . . , Xn) ein,erhalten wir

0 = H(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn))= H0(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en−1(X1, . . . , Xn))+ en(X1, . . . , Xn) ·H1(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)).

(2.23)

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Wir erinnern daran, daß ei(X1, . . . , Xn−1, 0) = ei(X1, . . . , Xn−1) für i < n und außerdemen(X1, . . . , Xn−1, 0) = 0. Indem wir (2.23) bei Xn = 0 auswerten, erhalten wir also

H0(e1(X1, . . . , Xn−1), . . . , en−1(X1, . . . , Xn−1)) = 0.

Nach Induktionsvoraussetzung (der Induktion über n) ist damit H0(Y1, . . . , Yn−1) = 0.Die Gleichung (2.23) wird damit zu

0 = en(X1, . . . , Xn) ·H1(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)).

Wir dürfen kürzen und folgern

0 = H1(e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn)).

Wegen degH1(X,X2, . . . , Xn) ≤ degH(X,X2, . . . , Xn)−n < d können wir auf das Poly-nom H1(Y1, . . . , Yn) die Induktionsvoraussetzung (der Induktion über d) anwenden underhalten H1(Y1, . . . , Yn) = 0, summa summarum wegen (2.22) und H0(Y1, . . . , Yn−1) = 0also H(Y1, . . . , Yn) = 0.

Als nächstes wollen wir Satz 2.11 auf Seite 55 mit Satz 2.12 auf Seite 58 kombinieren:Sei

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0 (2.24)

eine normierte Polynomgleichung (mit algebraischen Koeffizienten), deren Lösungen (mitVielfachheiten) durch x1, . . . , xn gegeben seien. Ist dann f(X1, . . . , Xn) ein symmetri-sches Polynom, so existiert ein Polynom H(Y0, . . . , Yn−1) mit

f(x1, . . . , xn) = H(a0, . . . , an−1).

Wir haben damit gezeigt, daß jede symmetrische Funktion in den Lösungen einer allge-meinen normierten Polynomgleichung ein Polynom in den Koeffizienten dieser Gleichungist. Wir werden dies an einem wichtigen Beispiel verdeutlichen: Der Ausdruck

(−1)(n2)∏i 6=j

(xi − xj)

ist symmetrisch in den Lösungen x1, . . . , xn. Damit existiert genau ein Polynom ∆ inden Koeffizienten a0, . . . , an−1 mit

∆ = (−1)(n2)∏i 6=j

(xi − xj).

Der Ausdruck ∆ heißt die Diskriminante der Gleichung (2.24) oder Diskriminante desPolynomes f(X) = Xn + an−1X

n−1 + · · · + a1X + a0. Da das Produkt der paarwei-sen Differenzen der Lösungen genau dann Null ist, wenn die Gleichung eine mehrfacheLösung besitzt, können wir eine wichtige Eigenschaft der Diskriminanten ∆ folgern:Die Diskriminante einer normierten Polynomgleichung ist genau dann Null, wenn diePolynomgleichung mehrfache Lösungen besitzt. Da ∆ ein Polynom in den bekanntenKoeffizienten der Gleichung (2.24) ist, müssen wir die Lösungen gar nicht kennen, umzu entscheiden, ob es nur einfache oder auch mehrfache Lösungen gibt!Wir illustrieren dies an quadratischen und kubischen Gleichungen:

60

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2.3. Die Diskriminante

Beispiel 2.14. SeiX2 + pX + q = 0

eine normierte quadratische Gleichung (mit algebraischen Koeffizenten) mit Lösungenx1 und x2. Nach Satz 2.11 auf Seite 55 ist dann p = −(x1 + x2) und q = x1x2. DieDiskriminante ist

∆ = −(x1 − x2)(x2 − x1) = (x1 − x2)2,

symmetrisch in x1 und x2 und daher ein Polynom in p und q: Multiplizieren wir dieDiskriminante aus, erhalten wir

∆ = x21 − 2x1x2 + x2

2 = (x1 + x2)2 − 4x1x2 = p2 − 4q.

Eine quadratische Gleichung besitzt also genau dann zwei verschiedene Lösungen, wennihre Koeffizienten die Ungleichung p2 − 4q 6= 0 erfüllen — eine Tatsache, die schon ausder Gültigkeit der bekannten Lösungsformel für quadratische Gleichungen folgt.Beispiel 2.15. Sei

X3 + pX + q = 0

eine reduzierte kubische Gleichung (mit algebraischen Koeffizienten), deren Lösungen x1,x2 und x3 seien. Nach Satz 2.11 auf Seite 55 gilt x1 +x2 +x3 = 0, x1x2 +x2x3 +x1x3 = pund −x1x2x3 = q. Die Diskriminante der Gleichung ist

∆ = (x1 − x2)2(x1 − x3)2(x2 − x3)2. (2.25)

Nach Satz 2.12 auf Seite 58 gibt es ein universelles Polynom in p und q, welches ∆darstellt. Und in der Tat ergibt eine längere Rechnung, daß

∆ = −4p3 − 27q2. (2.26)

(Diese postulierte Gleichheit läßt sich systematisch überprüfen, indem p und q in derrechten Seite von (2.26) durch x1, x2, x3 ausgedrückt werden und danach sowohl in derrechten Seite von (2.26) und (2.25) die Lösung x3 vermöge der Beziehung x3 = −x1−x2durch x1 und x2 ausgedrückt wird. Anschließend ist alles auszumultiplizieren, und dieErgebnisse sind zu vergleichen. Mit einem Trick läßt es sich allerdings schneller zum Zielkommen: Wir wissen, daß ∆ vom Grad 6 in x1, x2 und x3 ist. Damit muß ∆ als Polynomin p und q eine Linearkombination von Termen der Form p3 und q2 sein — alle anderenProdukte aus p und q haben den falschen Grad in x1, x2 und x3. Die Koeffizienten dieserLinearkombination lassen sich anhand konkreter Beispielspolynome bestimmen.)Ohne daß wir (abgesehen von Hauptsatz 1.14 auf Seite 35) eine Lösungsformel für

(reduzierte) kubische Gleichungen haben, können wir also schon anhand der Koeffizientenp und q entscheiden, ob eine solche Gleichung eine mehrfache Lösung besitzt oder nicht.

AufgabenAufgabe 2.3.1. Sei f(X,Y, Z,W ) := XY + ZW +XY ZW . Wieviele 4-stellige Permuta-tionen σ gibt es, so daß σ · f = f?

61

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Aufgabe 2.3.2. Zeige, daß ek(1, . . . , 1︸ ︷︷ ︸n

) =(nk

).

Aufgabe 2.3.3. Schreibe X2 + Y 2 + Z2 als Polynom in den elementarsymmetrischenFunktionen in X, Y und Z.Aufgabe 2.3.4. Schreibe X2

1 +X22 + · · ·+X2

n als Polynom in den elementarsymmetrischenFunktionen in X1, . . . , Xn.Aufgabe 2.3.5. Sei X3 + pX + q = 0 eine reduzierte kubische Gleichung. Zeige, daß ihreDiskriminante durch −4p3 − 27q2 gegeben ist.Aufgabe 2.3.6. Sei X3 +pX+ q = 0 eine reduzierte kubische Gleichung mit ganzzahligenKoeffizienten p und q. Zeige, daß die Gleichung drei verschiedene Lösungen besitzt, wennq ungerade ist.Aufgabe 2.3.7. Berechne die Diskriminante einer allgemeinen kubischen Gleichung X3 +aX2 + bX + c = 0.Aufgabe 2.3.8. Zeige, daß X3−5X2 + 3X+ 9 = 0 höchstens zwei verschiedene Lösungenhat.Aufgabe 2.3.9. Zeige, daß die Diskriminante einer Polynomgleichung Xn + an−1X

n−1 +· · ·+ a1X + a0 = 0 mit Lösungen x1, . . . , xn durch das Quadrat der VandermondschenDeterminanten

det

1 . . . 1x1 . . . xn...

...xn−1

1 . . . xn−1n

gegeben ist.Aufgabe 2.3.10. SeiXn+an−1X

n−1+· · ·+a1X+a0 = 0 eine normierte Polynomgleichungmit rationalen Koeffizienten. Zeige, daß sie mindestens eine nicht reelle Nullstelle besitzt,wenn ihre Diskriminante negativ ist.Aufgabe 2.3.11. Seien f(X) und g(X) zwei normierte Polynome mit rationalen Koeffizi-enten und mit Nullstellen (mit Vielfachheiten) x1, . . . , xn beziehungsweise y1, . . . , ym.Zeige, daß der Ausdruck R =

∏i,j

(xi − yj) ein Polynom in den elementarsymmetrischen

Funktionen der Koeffizienten von f(X) und den elementarsymmetrischen Funktionender Koeffizienten von g(X) ist.Aufgabe 2.3.12. Seien X2 +aX+b = 0 und X2 +cX+d = 0 zwei quadratische Gleichun-gen. Gib einen in a, b, c und d polynomiellen Ausdruck an, der genau dann verschwindet,wenn die beiden Gleichungen eine gemeinsame Lösung besitzen.

2.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadraturdes Kreises

Am Ende dieses Kapitels wollen wir die bisher zusammengetragenen Resultate nutzen,um ein erstes klassisches Problem der Geometrie zu lösen, das Problem der Quadratur des

62

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2.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

x

y

−1 −12

12

1

−1

−12

12

1

r

a

Abbildung 2.1.: Quadratur des Kreises.

Kreises: Gegeben ein Kreis, konstruiere nur mit Zirkel und Lineal ein Quadrat mit dem-selben Flächeninhalt wie der Kreis. Ist der Radius des Kreises r, so ist der Flächeninhaltdes Kreises bekanntlich durch πr2 gegeben. Ist die Seitenlänge des zu konstruierendenQuadrates a, so ist sein Flächeninhalt a2. Da ein Quadrat zu einer gegeben Seite immerkonstruiert werden kann, ist die Aufgabe also gleichbedeutend dazu, nur mit Zirkel undLineal aus einer Strecke der Länge r eine Strecke der Länge a zu konstruieren, so daßπr2 = a2 gilt, daß also

a = r√π.

Wir können die Gaußsche Zahlenebene mit der Zeichenebene wie in Abbildung 2.1 soidentifizieren, daß ein Radius des Kreises die Strecke von 0 nach 1 in der GaußschenZahlenebene ist, daß also r = 1. Aufgabe ist es dann, mit Zirkel und Lineal einenPunkt mit Abstand

√π vom Ursprung zu konstruieren. Nachdem das Problem im fünften

Jahrhundert vor Christus in der Antike gestellt worden war, ist es den Mathematikern inden folgenden Jahrhunderten weder gelungen, eine Konstruktionsvorschrift anzugeben,noch zu zeigen, daß eine solche Konstruktion grundsätzlich unmöglich ist. Erst Ende des19. Jahrhunderts konnte gezeigt werden:

Satz 2.16. Die Quadratur des Kreises ist mit Zirkel und Lineal unmöglich.

Beweis. Wäre die Quadratur des Kreises möglich, so wäre auch die Konstruktion derZahl

√π möglich. Um Satz 2.16 zu zeigen, muß also gezeigt wrden, daß

√π keine kon-

struierbare Zahl ist. Wir zeigen sogar, daß√π keine algebraische Zahl ist: Wäre

√π eine

algebraische Zahl, so wäre auch ihr Quadrat π eine algebraische Zahl. Dies ist aber nichtder Fall, wie aus dem folgenden Satz folgt:

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Satz 2.17 (Carl Louis Ferdinand von Lindemann3, 1882). Die Kreiszahl π ist einetranszendente Zahl.Bevor dieser Satz bewiesen war, war seit 1761 durch Johann Heinrich Lambert4 nur

bekannt, daß π eine irrationale Zahl ist. Da aber viele irrationale Zahlen mit Zirkelund Lineal konstruierbar sind — wir haben zum Beispiel

√2 kennengelernt —, wurde

dadurch nichts über die Möglichkeit der Quadratur des Kreises ausgesagt.Da wir den Beweis möglichst elementar mit den bisher vorgestellten Hilfsmitteln führen

möchten, werden wir ihn mit zwei Hilfssätzen vorbereiten. Dazu verwenden wir (nurin diesem Abschnitt) folgende Bezeichnungen: Sei P (X) ein Polynom mit komplexenKoeffizienten. Dann setzen wir

P ∗(X) :=∑k≥0

P (k)(X).

Dabei ist die unendliche Summe effektiv eine endliche, da P (k) höchstens ungleich Nullist, wenn degP ≤ k. Für P (X) = X` haben wir zum Beispiel, daß

P ∗(X) = `!∑m=0

Xm

m! .

Ist P (X) = anXn + an−1X

n−1 + · · ·+ a1X + a0, so definieren für jede komplexe Zahl xden Ausdruck

P (x) := |an| · |x|n + |an−1| · |x|n−1 + · · ·+ |a1| · |x|+ |x0|.

Nach der Dreiecksungleichung ist |P (x)| ≤ P (x). Ist Q(X) ein weiteres Polynom, so giltebenfalls nach der Dreiecksungleichung, daß P ·Q(x) ≤ P (x) ·Q(x). Damit kommen wirzum ersten Hilfssatz:Hilfssatz 2.18. Seien x eine komplexe Zahl, t eine ganze Zahl, Q(X) ein Polynom undp eine natürliche Zahl. Dann ist( 1

(p− 1)! ·Q(tX) · (tX − tx)p)∗

(x) = p ·R(tX)

für ein Polynom R(X), dessen Koeffizienten ganzzahlige polynomielle Ausdrücke in denKoeffizienten von Q(X) sind.Beweis von Hilfssatz 2.18. Es ist( 1

(p− 1)! ·Q(tX) · (tX − tx)p)∗

(x) = 1(p− 1)!

∞∑`=0

(Q(tX) · (tX − tx)p)(`)(x)

= 1(p− 1)!

∞∑k=0

∞∑q=0

(k + q

q

)· tkQ(k)(tx) · ((tX − tx)p)(q)(x)

= p∞∑k=0

(k + p

p

)· tk+p ·Q(k)(tx),

3Carl Louis Ferdinand von Lindemann, 1852–1939, deutscher Mathematiker4Johann Heinrich Lambert, 1728–1777, schweizerischer Mathematiker, Physiker und Astronom

64

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2.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

und die rechte Seite ist das p-fache eines polynomiellen Ausdrucks, dessen Koeffizientenganzzahlig polynomiell in den Koeffizienten von Q(X) sind.

Der zweite Hilfssatz lautet:

Hilfssatz 2.19. Sei P (X) ein Polynom mit komplexen Koeffizienten und x eine kom-plexe Konstante. Dann gilt

|P ∗(x)− exP ∗(0)| ≤ |x|e|x|P (x).

Beweis von Hilfssatz 2.19. Aufgrund der Linearität von P ∗(X) in P (X) und der Drei-ecksungleichung reicht es, die zu beweisende Ungleichung für den Fall P (X) = X`/`!nachzurechnen. In diesem Falle ist

P ∗(X) =∑m=0

Xm

m! ,

insbesondere also P ∗(0) = 1 und damit

|P ∗(x)− exP ∗(0)| =

∣∣∣∣∣∣∑m=0

xm

m! −∑m≥0

xm

m!

∣∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣∣−∑m≥0

xm+`+1

(m+ `+ 1)!

∣∣∣∣∣∣ ≤∑m≥0

|x|m+`+1

(m+ `+ 1)! ,

wobei die letzte Ungleichung wieder aus der Dreiecksungleichung folgt.Die letzte Zeile können wir wegen m! `! = m! `! 1! ≤ (m + ` + 1)! weiter wie folgt

abschätzen: ∑m≥0

|x|m+`+1

(m+ `+ 1)! ≤∑m≥0

|x||x|m|x|`

m! `! = |x|e|x| |x|`

`! = |x|e|x|P (x),

womit alles bewiesen ist.

Beweis von Satz 2.17 auf der vorherigen Seite. 5Sei f(X) ein Polynom mit rationalenKoeffizienten, und es gelte f(π) = 0. Wir müssen zeigen, daß f(X) = 0. Dazu nehmenwir an, daß f(X) 6= 0 und wollen dies zu einem Widerspruch führen.Wir können davon ausgehen, daß f ein normiertes Polynom ist. Das Polynom

g(X) := f(iX) f(−iX)

hat mindestens π i und −π i als Nullstellen und a priori Koeffizienten der Form a + b imit a, b ∈ Q. Da das komplex konjugierte Polynom von g(X) mit g(X) aufgrund von

g(X) = f(iX)f(−iX) = f(−iX)f(iX) = g(X)

übereinstimmt, sind die Koeffizienten von g(X) rationale Zahlen. Seien x1, . . . , xm dieNullstellen (mit Vielfachheiten) von g(X), das heißt

g(X) = (X − x1) · · · (X − xm).5Wir folgen im wesentlichen Oskar Perrons (1880–1975, deutscher Mathematiker) Beweis in [P].

65

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Wir können annehmen, daß x1 = πi und x2 = −π i.Da 1 + ex1 = 1 + eπ i = 1 + (−1) = 0, gilt erst recht

(1 + ex1) · · · (1 + exm) = 0.

Multiplizieren wir die linke Seite aus und nutzen die Rechenregel ex ex′ = ex+x′ , soerhalten wir

1 +∑j1

exj1 +∑j1<j2

exj1 +xj2 +∑

j1<j2<j3

exj1 +xj2 +xj3 + · · ·+ ex1+···+xm = 0, (2.27)

wobei die Summationsindizes jeweils die Werte 1, . . . ,m durchlaufen.Die Koeffizienten des Polynoms

h(X) :=m∏r=0

∏j1<···<jr

(X − xj1 − · · · − xjr)

sind symmetrisch in den xj . Nach Satz 2.12 auf Seite 58 sind sie also Polynome in denelementarsymmetrischen Funktionen der xj . Nach Satz 2.11 auf Seite 55 sind die elemen-tarsymmetrischen Funktionen in den xj wiederum die Koeffizienten des Polynoms g(X),welche allesamt rationale Zahlen sind. Es folgt, daß h(X) ein normiertes Polynom mit ra-tionalen Koeffizienten ist. Nach Konstruktion sind die Nullstellen (mit Vielfachheit) vonh(X) gerade alle endlichen Summen der Form xj1 + · · ·+ xjr mit 1 ≤ j1 < · · · < jr ≤ mund 0 ≤ r ≤ m). Wir können das Polynom damit in der Form

h(X) = cXq t(X)

schreiben, wobei c eine rationale Zahl, q eine natürliche Zahl und t(X) = tnXn + · · ·+

t1X + t0 ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten und tn, t0 6= 0 ist. Da in h(X) einFaktor zur leeren Summe 0 (der Faktor zu r = 0) vorkommt, haben wir q ≥ 1.Sind y1, . . . , yn die Nullstellen (mit Vielfachheit) von t(X), können wir damit (2.27)

in der Form0 =

q∑i=1

e0 +n∑i=1

eyi = q +n∑i=1

eyi

schreiben, also q = −∑ni=1 eyi . Aufgrund von Satz 2.6 auf Seite 52 gilt

t(X) = tn (X − y1) (X − y2) · · · (X − yn). (2.28)

Mit y bezeichnen wir das Maximum der reellen Zahlen |y1|, . . . , |yn|. Sei p zunächsteine beliebige natürliche Zahl. Wir setzen dann

P (X) := tnp−1n Xp−1t(X)p

(p− 1)! .

Nach Hilfssatz 2.19 auf der vorherigen Seite gilt∣∣∣∣∣qP ∗(0) +n∑i=1

P ∗(yi)∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣n∑i=1

(P ∗(yi)− eyiP ∗(0))∣∣∣∣∣ ≤

n∑i=1|yi|eyiP (yi) ≤ nyeyP (y). (2.29)

66

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2.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Nach der Dreiecksungleichung gilt

P (y) ≤ |tn|np−1|y|p−1t(y)p

(p− 1)! .

Bezeichnen wir mit die rechte Seite dieser Ungleichung mit ap. Es existiert ein C < 1mit

ap+1ap

= |tn|n|y|t(y)p

< C

für genügend großes p. Daraus folgt die Existenz einer reellen Zahl A mit P (y) ≤ ACp

für große p. Daraus und aus (2.29) folgt∣∣∣∣∣qP ∗(0) +n∑i=1

P ∗(yi)∣∣∣∣∣ < 1 (2.30)

für genügend großes p. Dies werden wir zum Widerspruch führen, indem wir für einegeeignete Wahl von p zeigen werden, daß die linke Seite eine nicht verschwindende ganzeZahl ist.Schreiben wir P (X) in der Form

P (X) =∑`≥0

g``!X

`,

so ist

g` =

0 für ` < p− 1,tnp−1n tp0 für ` = p− 1 undp g` für ` ≥ p und eine ganze Zahl g`.

Wählen wir für p eine genügend große Primzahl mit p > q, p > |t0|, p > |tn| aus (andieser Stelle geht offensichtlich der Satz über die Unendlichkeit der Primzahlen ein), soist damit

qP ∗(0) = q∑`≥0

g` = qtnp−1n tp0 + qp

∑`≥p

g`

eine ganze, nicht durch p teilbare Zahl. Damit reicht es zu zeigen, daß die Summe∑ni=1 P

∗(yi) eine ganze durch p teilbare Zahl ist, weil dann die linke Seite von (2.30)eine nicht verschwindende ganze Zahl sein muß, was den Widerspruch liefern würde.Sei ein i ∈ 1, . . . , n fixiert. Aufgrund von (2.28) gilt

P (X) = tnp−1n Xp−1 t(X)p

(p− 1)!

= tnp−1n Xp−1 · tpn · (X − y1)p · · · (X − yn)p

(p− 1)!

= (tnX)p−1 · (tnX − tny1)p · · · (tnX − tnyn)p

(p− 1)! .

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2. Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Nach Hilfssatz 2.18 auf Seite 64 ist

P ∗(yi) = p ·Di(tny1, . . . , tnyn),

wobeiDi(Y1, . . . , Yn) ein universelles Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten ist, welchessymmetrisch in den Unbestimmten Y1, . . . , Yi−1, Yi+1, . . . , Yn ist.Damit ist

n∑i=1

P ∗(yi) = pn∑i=1

Di(tny1, . . . , tnyn) =: pD(tny1, . . . , tnyn). (2.31)

Hier ist D(Y1, . . . , Yn) ein in Y1, . . . , Yn symmetrisches Polynom mit ganzzahligen Koef-fizienten. Damit läßt sich D(tny1, . . . , tnyn) nach Satz 2.12 auf Seite 58 als Polynom mitganzzahligen Koeffizienten in den elementarsymmetrischen Funktionen der tnyi schrei-ben.Wir erinnern daran, daß die yi die Nullstellen des Polynoms t(X) = tnX

n+tn−1Xn−1+

. . .+ t1X+ t0 sind. Daraus folgt, daß tny1, . . . , tnyn gerade die Nullstellen des Polynoms

s(X) = Xn + tntn−1Xn−1 + . . .+ tn−1

n t1X + tnnt0

sind. Da das Polynom s(X) normiert ist, sind nach Satz 2.11 auf Seite 55 die elementar-symmetrischen Funktionen in den tnyi gerade die Koeffizienten von s(X), und diese sindalle ganzzahlig. Damit ist D(tny1, . . . , tnyn) ein ganzer Ausdruck. Folglich ist die rechte(und damit auch die linke) Seite von (2.31) durch p teilbar, was zu zeigen war, um denWiderspruch herbeizuführen.

AufgabenAufgabe 2.4.1. Sei (zn) eine konvergente komplexe Zahlenfolge mit Grenzwert z. Seiendie zn algebraisch. Ist dann auch z algebraisch?Aufgabe 2.4.2. Ist 3

√π eine algebraische Zahl? Ist π3 algebraisch?

Aufgabe 2.4.3. Ist folgendes Problem lösbar: Gegeben ein Kreis, konstruiere nur mitZirkel und Lineal ein gleichseitiges Dreieck mit demselben Flächeninhalt?Aufgabe 2.4.4. Konstruiere eine Folge paarweise verschiedener transzendenter Zahlen.Aufgabe 2.4.5. Sei n eine natürliche Zahl. Gib eine Konstruktionsvorschrift für eine Prim-zahl p > n.Aufgabe 2.4.6. Seien a0, . . . , am komplexe Zahlen mit amem+am−1em−1+· · ·+a1e+a0 =0. Für eine natürliche Zahl p definieren wir weiter das Polynom

P (X) = Xp−1(X − 1)p · · · (X −m)p

(p− 1)! .

Zeige, daß der Ausdruck

|a0P∗(0) + a1P

∗(1) + · · ·+ amP∗(m)|

für großes p beliebig nahe an Null kommt.

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2.4. Transzendenz von π und die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises

Aufgabe 2.4.7. Zeige, daß e eine transzendente Zahl ist, und gehe dabei ganz ähnlich wieim Beweis von Satz 2.17 auf Seite 64 vor.Aufgabe 2.4.8. Sei

x :=∞∑k=0

10−k!.

Zeige, daß x eine konvergente Summe ist und gib ihre ersten Stellen an. Die Zahl x heißtdie Liouvillesche Konstante.Aufgabe 2.4.9. Zeige mit elementaren Methoden, daß die Liouvillesche Konstante einetranszendente Zahl ist.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelungund der Winkeldreiteilung

3.1. SeparabilitätIn diesem Abschnitt wollen wir zeigen, daß wir jede Polynomgleichung (mit algebraischenKoeffizienten) in eine solche umschreiben können, welche dieselben verschiedenen Lösun-gen wie die Ausgangsgleichung hat, dafür allerdings alle nur mit Vielfachheit Eins. Da dieumgeschriebene Gleichung in der Regel kleineren Grad als die Ausgangsgleichung hat,können wir sie als Vereinfachung der ursprünglichen Gleichung ansehen, jedenfalls wennwir nur an den verschiedenen Lösungen, aber nicht an ihren Vielfachheiten interessiertsind.Um dahin zu gelangen, brauchen wir den Begriff des größten gemeinsamen Teilers

zweier Polynome. Diesen Begriff kennen wir schon aus dem Bereich der ganzen Zahlen:Für je zwei gegebene ganze Zahlen n und m existiert immer eine positive ganze Zahl d,welche die Zahlen n undm teilt, so daß jeder weitere gemeinsame Teiler von n undm auchein Teiler von d ist. Die Division mit Rest für Polynome liefert uns eine entsprechendeAussage für normierte Polynome:

Proposition 3.1. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome mit algebraischen Koeffizien-ten. Dann existiert ein normiertes Polynom d(X) mit algebraischen Koeffizienten (wobeiwir d(X) = 0 ausdrücklich zulassen), welches sowohl f(X) und g(X) teilt und für dasPolynome p(X) und q(X) mit

d(X) = p(X) · f(X) + q(X) · g(X) (3.1)

existieren.

Aus der Darstellung (3.1) folgt, daß jedes (normierte) Polynom, welches Teiler vonf(X) und g(X) ist, auch Teiler von d(X) sein muß, das heißt das Polynom d(X), des-sen Existenz durch Proposition 3.1 gegeben ist, ist ein größter gemeinsamer Teiler vonf(X) und g(X). Weiter ist ein größter gemeinsamer Teiler eindeutig bestimmt. Ist daskonstante Polynom 1 ein größter gemeinsamer Teiler von f(X) und g(X), so nennen wirf(X) und g(X) teilerfremd.Das dem Beweis von Proposition 3.1 zugrundeliegende Verfahren zur Konstruktion

von d(X) ist der sogenannte Euklidische1 Algorithmus:

Beweis. Wir können ohne Einschränkung davon ausgehen, daß deg f(X) ≥ deg g(X).Sei n eine natürliche Zahl mit deg g < n. Den Beweis führen wir per Induktion über

1Euklid von Alexandria, ca. 360–280 v. Chr., griechischer Mathematiker

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

n. Im Falle von n = 0 ist notwendigerweise g(X) = 0. Damit können wir d(X) :=f(X) = 1 · f(X) + 0 · g(X) setzen. Es bleibt, den Induktionsschritt auf n > 0 zu zeigen.Wir können also g(X) 6= 0 annehmen, das heißt wir haben g(X) = cg(X) mit einemnormierten Polynom g(X) und einer algebraischen Zahl c 6= 0. Wir führen Division mitRest durch und erhalten

f(X) = h(X) · g(X) + r(X) (3.2)

für zwei Polynome h(X) und r(X) mit deg r(X) < deg g(X) < n. Wir können dieInduktionsvoraussetzung auf das Paar g(X) und r(X) anwenden und erhalten einengemeinsamen Teiler d(X) von g(X) und r(X), so daß Polynome q(X) und p(X) mit

d(X) = q(X) · g(X) + p(X) · r(X) (3.3)

existieren. Da d(X) die rechte Seite von (3.2) teilt, teilt d(X) auch die linke Seite, dasheißt d(X) ist auch ein Teiler von f(X). Außerdem gewinnen wir aus (3.3) und (3.2) dieDarstellung

d(X) = q(X) · g(X) + p(X) · r(X)= q(X) · g(X) + p(X) · (f(X)− h(X)g(X))= p(X) · f(X) + (q(X)− p(X)h(X)) · g(X)= p(X) · f(X) + c−1 (q(X)− h(X)) · g(X)

für d(X), womit der Beweis (mit der Setzung q(X) := c−1 (q(X) − h(X))) erbrachtist.

Schauen wir uns den Beweis von Proposition 3.1 auf der vorherigen Seite genau an,erkennen wir, daß er für Polynome mit rationalen Koeffizienten genauso durchgeht wiemit algebraischen Koeffizienten, das heißt Proposition 3.1 auf der vorherigen Seite bleibtrichtig, wenn wir „algebraische Koeffizienten“ durch „rationale Koeffizienten“ ersetzen.(Im Gegensatz dazu ist die Aussage für ganzzahlige Koeffizienten falsch, weil wir im Be-weis durch beliebige Zahlen ungleich Null dividieren können müssen.) Außerdem haltenwir fest, daß ein größter gemeinsamer Teiler zweier Polynome mit rationalen Koeffizi-enten auch ein größter gemeinsamer Teiler im Bereich der Polynome mit algebraischenKoeffizienten ist ist, das heißt, wenn wir die Polynome als Polynome mit algebraischenKoeffizienten betrachten.Beispiel 3.2. Wir wollen den größten gemeinsamen Teiler der Polynome

f(X) = X3 − 2X2 + 2X − 4und

g(X) = X2 − 3X + 2

berechnen und folgen dem Beweis von Proposition 3.1 auf der vorherigen Seite. Dazu stel-len wir zunächst fest, daß f(X) und g(X) normiert sind und daß deg f(X) > deg g(X).Wir führen Division mit Rest durch und erhalten

X3 − 2X2 + 2X − 4 = (X + 1) · (X2 − 3X + 2) + 3X − 6.

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3.1. Separabilität

Der Rest ist also r(X) = 3X−6 = 3(X−2). Im nächsten Schritt (der Induktionsvoraus-setzung im obigen Beweis) müssen wir Division mit Rest von g(X) durch r(X) = X − 2durchführen. In diesem Falle geht die Division auf, es ist nämlich

X2 − 3X + 2 = (X − 1) · (X − 2).

Folglich ist r(X) = X − 2 der größte gemeinsame Teiler von g(X) und r(X) und damitauch von f(X) und g(X).Der euklidische Algorithmus funktioniert für ganze Zahlen genauso wie für Polynome,

wenn wir Teilbarkeit von Polynomen durch Teilbarkeit ganzer Zahlen ersetzen. Das heißt,wir können formulieren:

Proposition 3.3. Seien a und b zwei ganze Zahlen. Dann existiert eine ganze Zahld ≥ 0, welche gemeinsamer Teiler von a und b ist und für die weitere ganze Zahlen rund s mit

d = r · a+ s · b

existieren.

Eine weitere Möglichkeit, den größten gemeinsamen Teiler zweier normierter Polynomezu berechnen, ergibt sich durch das Betrachten von Nullstellen: Sind f(X) und g(X) zweiPolynome, so können wir sie gemäß Satz 2.6 auf Seite 52 in den Formen

f(X) = (X − y1)d1 · (X − y2)d2 . . . (X − yk)dk

undg(X) = (X − y1)e1 · (X − y2)e2 · · · (X − yk)ek

schreiben, wobei y1, . . . , yk paarweise verschiedene algebraische Zahlen und d1, . . . , dkund e1, . . . , ek natürliche Zahlen sind (von denen einige auch gleich Null sein können).Sei für jedes j ∈ 1, . . . , k die natürliche Zahl bj das Minimum von dj und ej . Wirbehaupten, daß dann

d(X) = (X − y1)b1 · (X − y2)b2 · · · (X − yk)bk

der größte gemeinsame Teiler von f(X) und g(X) ist: Da bj ≤ dj , ej , ist zunächst d(X)sowohl ein Teiler von f(X) und g(X). Ist h(X) ein weiteres normiertes Polynom, welchesgemeinsamer Teiler von f(X) und g(X) ist, so besitzt h(X) höchstens die Nullstelleny1, . . . , yk, das heißt wir können

h(X) = (X − y1)f1 · (X − y2)f2 . . . (X − yk)fk

gemäß Satz 2.6 auf Seite 52 für gewisse natürliche Zahlen f1, . . . , fk schreiben. Da h(X)durch (X−y1)f1 teilbar ist, muß auch f(X) durch (X−y1)f1 teilbar sein, so daß f1 ≤ d1gelten muß. Analog folgt fj ≤ dj , ej , also fj ≤ bj für j ∈ 1, . . . , k. Damit ist h(X) aberein Teiler von d(X). Damit ist d(X) der größte gemeinsame Teiler von f(X) und g(X).Den größten gemeinsamen Teiler zweier normierter Polynome f(X) und g(X) können wir

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

also als dasjenige normierte Polynom charakterisieren, dessen paarweise verschiedenenNullstellen die gemeinsamen Nullstellen von f(X) und von g(X) sind und so daß dieVielfachheit einer Nullstelle x das Minimum der Vielfachheit von x als Nullstelle vonf(X) beziehungsweise g(X) ist.Diese Überlegungen wollen wir auf ein normiertes Polynom f(X) und seine Ableitung

anwenden. Sei also f(X) ein normiertes Polynom vom Grade n > 0. Dann ist 1nf′(X)

wieder ein normiertes Polynom. Wir schreiben weiter

f(X) = (X − y1)e1 · (X − y2)e2 · · · (X − yk)ek

mit paarweise verschiedenen algebraischen Zahlen y1, . . . , yk und positiven natürlichenZahlen e1, . . . , ek, das heißt y1, . . . , yk sind die paarweise verschiedenen Nullstellen vonf(X), deren jeweilige Vielfachheiten durch e1, . . . , ek gegeben sind. Nach Proposition 2.9auf Seite 53 sind e1 − 1, . . . , ek − 1 die jeweiligen Vielfachheiten der Nullstellen y1, . . . ,yk von f ′(X) (und damit auch von 1

nf′(X)). Folglich ist

d(X) = (X − y1)e1−1 · (X − y2)e2−1 · · · (X − yk)ek−1 (3.4)

der größte gemeinsame Teiler eines Polynoms f(X) und seiner normierten formalenAbleitung. Da d(X) ein Teiler von f(X) ist, existiert insbesondere (genau) ein Polynomf0(X) mit f(X) = f0(X)d(X). Schauen wir uns (3.4) an, erkennen wir, daß

f0(X) = (X − y1) · (X − y2) · · · (X − yk)

mit paarweise verschiedenen Nullstellen y1, . . . , yk. Wir haben damit ein Polynom kon-struiert, welches dieselben verschiedenen Nullstellen von f(X) besitzt, dafür aber allemit Vielfachheit Eins, das heißt f0(X) ist separabel gemäß folgender Definition:

Definition 3.4. Sei f(X) ein normiertes Polynom mit algebraischen Koeffizienten. DasPolynom heißt separabel, falls alle Nullstellen von f(X) einfache Nullstellen sind.

Ein Polynom ist also genau dann separabel, wenn seine Diskriminante nicht verschwin-det. Sind wir nur an den paarweise verschiedenen Lösungen der Gleichung

f(X) = 0

interessiert, so können wir anstelledessen die Gleichung

f0(X) = 0

lösen.Nehmen wir zusätzlich an, daß f(X) nicht nur algebraische, sondern sogar rationale

Koeffizienten hat. Wie sieht es dann mit den Koeffizienten von f0(X) aus? Da die Be-stimmung des größten gemeinsamen Teilers zweier Polynome auch für Polynome mit ra-tionalen Koeffizienten funktioniert, besitzt zunächst der größte gemeinsame Teiler d(X)von f(X) und 1

nf′(X) rationale Koeffizienten. Wir behaupten, daß aus der Gleichung

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3.1. Separabilität

f(X) = f0(X) ·d(X) folgt, daß dann auch f0(X) rationale Koeffizienten hat, und bewei-sen es wie folgt: Zunächst führen wir die Division mit Rest von Polynomen mit rationalenKoeffizienten durch und erhalten f(X) = q(X) · d(X) + r(X) mit rationalen Polynomenq(X) und r(X) und deg r(X) < deg d(X). Da diese Darstellung aber auch für Polynomemit algebraischen Koeffizienten eindeutig ist und wir in diesem Falle f(X) = f0(X)·d(X)haben, folgt r(X) = 0 und f0(X) = q(X), insbesondere hat f0(X) also rationale Koef-fizienten. (Die Verallgemeinerung dieser Tatsache auf mehrere Polynome lautet: Ist dasProdukt normierter Polynome mit algebraischen Koeffizienten ein Polynom mit rationa-len Koeffizienten und haben alle Faktoren bis auf höchstens einen rationale Koeffizienten,so haben alle Faktoren rationale Koeffizienten.) Wir können damit jede normierte Po-lynomgleichung mit rationalen Koeffizienten in eine äquivalente Polynomgleichung mitrationalen Koeffizienten umwandeln, deren Lösungen alle einfach sind.Beispiel 3.5. Sei f(X) = X4 + 2X2 + 1. Wir wollen f0(X) berechnen, also ein Polynom,welche dieselben Nullstellen wie f(X) besitzt, allerdings mit Vielfachheit Eins. Dazubilden wir die normierte formale Ableitung

14f′(X) = X3 +X = X · (X2 + 1)

Der größte gemeinsame Teiler von f(X) und 14f′(X) ist d(X) = X2 + 1. Damit ist

f0 = X4 + 2X2 + 1X2 + 1 = X2 + 1.

Die verschiedenen Nullstellen von f(X) sind also die Nullstellen von X2 + 1, also i und−i.

AufgabenAufgabe 3.1.1. Seien

f(X) = X3 − 2X2 + 2X − 4und

g(X) = X2 − 3X + 2

wie in Beispiel 3.2 auf Seite 73. Gib Polynome p(X) und q(X) mit (X − 2) = p(X) ·f(X) + q(X) · g(X) an.Aufgabe 3.1.2. Gib einen Beweis von Proposition 3.3 auf Seite 73 an.Aufgabe 3.1.3. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome mit algebraischen Koeffizienten.Zeige, daß genau ein normiertes Polynom d(X) (der Fall d(X) = 0 ist ausdrücklichzugelassen) existiert, welches ein größter gemeinsamer Teiler von f(X) und g(X) ist.Aufgabe 3.1.4. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome mit algebraischen Koeffizienten.Definiere und konstruiere danach das kleinste gemeinsame Vielfache von f(X) und g(X).Aufgabe 3.1.5. Sei f(X) ein normiertes Polynom über den rationalen Zahlen. Zeige, daßf genau dann separabel ist, wenn der größte gemeinsame Teiler von f(X) und f ′(X)das konstante Polynom 1 ist.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Aufgabe 3.1.6. Gib eine normierte Polynomgleichung minimalen Grades über den ratio-nalen Zahlen an, welche dieselben Lösungen (ohne Vielfachheiten) wie die Gleichung

X7 +X6 − 4X4 − 4X3 + 4X + 4 = 0

besitzt.Aufgabe 3.1.7. Sei a eine algebraische Zahl. Sei f(X) = X3 + 2a2X − a+ 5. Konstruiereeine Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten, welche von a genau dann erfülltwird, wenn f(X) kein separables Polynom ist.

3.2. Irreduzible PolynomeBetrachten wir ein normiertes Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten und die zu-gehörige Polynomgleichung

f(X) = 0. (3.5)

Stellen wir uns vor, daß wir das Polynom f(X) als Produkt f(X) = g(X) · h(X) zweiernormierter Polynome g(X) und h(X) positiven Grades und mit rationalen Koeffizientenschreiben können. Die Gleichung (3.5) wird damit zu

g(X) · h(X) = 0.

Da das Produkt zweier algebraischer Zahlen genau dann verschwindet, wenn (minde-stens) einer der Faktoren verschwindet, folgt, daß eine Lösung von (3.5) eine Lösung vong(X) = 0 oder von h(X) = 0 ist und daß umgekehrt jede Lösung von g(X) = 0 odervon h(X) = 0 eine Lösung von (3.5) ist. Es ist zu erwarten, daß sich die Gleichungeng(X) = 0 und h(X) = 0 einfacher als (3.5) lösen lassen, schließlich ist der Grad dernormierten Polynome g(X) und h(X) echt kleiner als der Grad von f(X). Im folgendenwollen wir daher studieren, inwiefern sich Polynome in Faktoren zerlegen lassen.Um dahin zu kommen, betrachten wir als Motivation zunächst eine positive ganze Zahl

n. Eine Zerlegung von n ist ein Produkt der Form n = n1 · · ·nm, wobei n1, . . . , nm positi-ve ganze Zahlen ungleich Eins sind. Wir betrachten zwei Zerlegungen als gleich, wenn siesich nur in der Reihenfolge der Faktoren unterscheiden. Die Zahl 12 erlaubt zum Beispieldie Zerlegungen 12 = 2 ·6, 12 = 2 ·2 ·3, 12 = 3 ·4 und 12 = 12. Die Zahl 5 besitzt dagegennur die Zerlegung 5 = 5. Eine positive ganze Zahl p ist offensichtlich genau dann einePrimzahl, wenn sie nur die Zerlegung p = p zuläßt. Es ist daher sinnvoll, eine Primzahleine irreduzible (positive ganze) Zahl zu nennen. Den (Un-)Zerlegbarkeitsbegriff kön-nen wir auf normierte Polynome übertragen: Eine Zerlegung eines normierten Polynomsf(X) (mit rationalen Koeffizienten) ist ein Produkt der Form f(X) = f1(X) · · · fm(X),wobei f1(X), . . . , fm(X) nicht konstante normierte Polynome sind. Zwei Zerlegungen,welche sich nur in der Reihenfolge der Faktoren unterscheiden, betrachten wir wieder alsgleich. Alsdann können wir definieren:

Definition 3.6. Ein normiertes Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten heißt irre-duzibel (über den rationalen Zahlen), wenn es nur die triviale Zerlegung f(X) = f(X)zuläßt.

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3.2. Irreduzible Polynome

Zum Beispiel ist das Polynom X2 − 1 nicht irreduzibel, denn wir können X2 − 1 =(X − 1) · (X + 1) schreiben. Wie sieht es auf der anderen Seite mit dem Polynom X2 + 1aus? Angenommen, es besitzt eine echte Zerlegung, das heißt X2 + 1 = f(X) · g(X) fürzwei nicht konstante normierte Polynome f(X) und g(X) mit rationalen Koeffizienten.Da wir 2 = deg(X2 + 1) = deg f(X) + deg g(X) haben, müssen f(X) und g(X) beidesPolynome vom Grad 1 sein. Da sie normiert sind, existieren rationale Zahlen a und b mitf(X) = X − a und g(X) = X − b. Unter der Annahme, daß X2 + 1 eine echte Zerlegungbesitzt, haben wir also X2 + 1 = (X − a) · (X − b). Die rechte Seite hat die rationalenZahlen a und b als Nullstellen. Die linke Seite hat jedoch keine einzige Nullstelle in denrationalen Zahlen, Widerspruch. Damit ist X2 + 1 irreduzibel.Indem wir wie in diesem Beispiel Nullstellen betrachten, können wir für jedes Polynom

feststellen, ob es irreduzibel ist: Sei f(X) ein nicht konstantes, normiertes Polynom mitrationalen Koeffizienten, welches wir auf Unzerlegbarkeit untersuchen wollen. Seien x1,. . . , xn seine Nullstellen mit Vielfachheiten, also

f(X) = (X − x1) · · · (X − xn). (3.6)

(Dies ist nur dann eine Zerlegung über den rationalen Zahlen, wenn alle Nullstellen x1bis xn rationale Zahlen sind.) Sei weiter

f(X) = g(X) · h(X), (3.7)

wobei g(X) und h(X) normierte Polynome mit algebraischen Koeffizienten sind. Weiterhabe g(X) rationale Koeffizienten, womit auch h(X) rationale Koeffizienten hat. Seieny1, . . . , yr die Nullstellen mit Vielfachheiten von g(X) und z1, . . . , zs die Nullstellen mitVielfachheiten von h(X). Dann haben wir

f(X) = g(X) · h(X) = (X − y1) · · · (X − yr) · (X − z1) · · · (X − zs).

Da diese Darstellung von f(X) nach Satz 2.6 auf Seite 52 bis auf Reihenfolge eindeutigist, ergibt der Vergleich mit (3.6), daß wir die Reihenfolge von x1, . . . , xn so wählenkönnen, daß x1 = y1, . . . , xr = yr, xr+1 = z1, . . . , xn = zs. Mit anderen Worten habenwir

g(X) = (X − x1) · · · (X − xr), h(X) = (X − xr+1) · · · (X − xn).

Folglich entspricht jede Produktdarstellung der Form (3.7) einer Partition der Nullstel-len von f(X) (mit Vielfachheiten) in zwei Hälften x1, . . . , xr und xr+1, . . . , xn, so daß(X−x1) · · · (X−xr) (und damit auch (X−xr+1) · · · (X−xn)) ein Polynom mit rationa-len Koeffizienten ist. Nennen wir eine Teilfolge xi1 , . . . , xik , 1 ≤ i1 < i2 < · · · < ik ≤ n,der Nullstellen (mit Vielfachheiten) von f(X) eine Auswahl der Nullstellen mit Vielfach-heiten und eine solche Auswahl echt, wenn k /∈ 0, n, so können wir damit folgendesKriterium für die Unzerlegbarkeit eines Polynoms f(X) mit rationalen Koeffizienten for-mulieren: Das Polynom f(X) ist genau dann irreduzibel, wenn es keine echte Auswahlxi1 , . . . , xik , 1 ≤ i1 < i2 < · · · < ik ≤ n der Nullstellen (mit Vielfachheiten) von f(X)gibt, so daß

(X − xi1) · · · (X − xik) (3.8)

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

ein Polynom mit rationalen Koeffizienten ist. Da nach Satz 2.11 auf Seite 55 die Ko-effizienten von (3.8) bis auf Vorzeichen die elementarsymmetrischen Funktionen in denxij sind, können wir das Kriterium umformulieren: Das Polynom f(X) ist genau dannirreduzibel, wenn es keine echte Auswahl xi1 , . . . , xik , 1 ≤ i1 < i2 < · · · < ik ≤ nder Nullstellen (mit Vielfachheiten) von f(X) gibt, so daß die elementarsymmetrischenFunktionen

ej(xi1 , . . . , xik), 1 ≤ j ≤ k (3.9)

ausgewertet in den xij allesamt rationale Zahlen sind.Können wir damit entscheiden, ob ein normiertes Polynom über den rationalen Zahlen

irreduzibel ist? Gibt es einen Algorithmus für dieses Problem? Da die Ausdrücke (3.9)in jedem Falle algebraische Zahlen sind, würde für eine positive Antwort ein Verfahrenreichen, welches feststellt, ob eine gegebene algebraische Zahl eine rationale Zahl ist.Und ein solches Verfahren wollen wir im folgenden angeben:Sei dazu x eine algebraische Zahl, von der wir testen wollen, ob sie eine rationale Zahl

ist. Ist x = 0, so ist x offensichtlich rational, also können wir von x 6= 0 ausgehen. Da xalgebraisch ist, existieren ganze Zahlen b0, . . . , bn mit bnxn+bn−1x

n−1+· · ·+b1x+b0 = 0.Wir können davon ausgehen, daß bn 6= 0 ist (ansonsten lassen wir den Term bnx

n einfachweg). Ebenso können wir davon ausgehen, daß b0 6= 0 ist (ansonsten lassen wir den Termb0 weg und dividieren durch x 6= 0). Wenn x rational ist, muß die Gleichung

bnXn + bn−1X

n−1 + · · ·+ b1X + b0 = 0 (3.10)

insbesondere eine rationale Lösung, das heißt eine Lösung der Form

y = p

q(3.11)

mit ganzen Zahlen p und q besitzen, wobei p 6= 0 und q > 0. Wir können weiter davonausgehen, daß der Bruch p/q vollständig gekürzt ist, das heißt, daß p und q keinengemeinsamen Primteiler haben. Setzen wir dann y in (3.10) ein und multiplizieren mitqn, so erhalten wir die Gleichung

bnpn + bn−1p

n−1q + · · ·+ b1pqn−1 + b0q

n = 0.

als Bedingung dafür, ob y eine Lösung von (3.10) ist. Formen wir (3.10) in

bnpn = −bn−1p

n−1q − · · · − b1pqn−1 − b0q

n

um, so erkennen wir, daß bnpn durch q teilbar sein muß, wenn y eine Lösung von (3.10)ist. Da p keinen gemeinsamen Primfaktor mit q hat, muß damit bn durch q teilbarsein. Da bn 6= 0 kommen damit nur endlich viele ganzzahlige Werte für q infrage. Wirkönnen (3.10) auch in

b0qn = −bnpn − bn−1p

n−1q − · · · − b1pqn−1

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3.2. Irreduzible Polynome

umformen. Wir erhalten also, daß b0qn durch p teilbar sein muß, wenn y eine Lösung

von (3.10) ist. Da q keinen gemeinsamen Primfaktor mit p hat, muß damit b0 durchp teilbar sein. Da b0 6= 0 ist, kommen damit nur endlich viele ganzzahlige Werte für pinfrage. Folglich gibt es nur endlich viele rationale Zahlen y, welche als Lösung von (3.10)infrage kommen. Die algebraische Zahl x ist damit genau dann rational, wenn sie miteiner dieser endlich vielen rationalen Zahlen y übereinstimmt. Und die Gleichheit zweieralgebraischer Zahlen ist entscheidbar. Damit haben wir in der Summe einen Algorithmusgefunden, der uns sagt, ob ein gegebenes Polynom mit rationalen Koeffizienten über denrationalen Zahlen zerlegbar ist.Im Falle, daß wir entscheiden wollen, ob ein normiertes Polynom f(X) mit ganzzah-

ligen Koeffizienten irreduzibel ist, können wir uns das Leben noch ein bißchen einfachermachen: Die Nullstellen mit Vielfachheit x1, . . . , xn sind nach Definition allesamt ganzealgebraische Zahlen. Da Summe und Produkt ganzer algebraischer Zahlen wieder eineganze algebraische Zahl ist, sind die elementarsymmetrischen Funktionen in einer Aus-wahl der x1, . . . , xn wieder ganze algebraische Zahlen. Um zu testen, ob f(X) irreduzibelist, müssen wir testen, ob gewisse dieser ganzen algebraischen Zahlen x rationale Zah-len sind. Da wir bei ganzen algebraischen Zahlen davon ausgehen können, daß bn = 1in (3.10), ist das q in (3.11) als Teiler von bn notwendigerweise gleich 1, das heißt wirmüssen nur alle ganzzahligen Teiler von b0 6= 0 daraufhin testen, ob sie mit x über-einstimmen. Können wir einer Dezimalentwicklung von x schon ansehen, daß x nichtganzzahlig ist, brauchen wir insbesondere gar nichts zu testen, sondern können direktausschließen, daß x eine rationale Zahl ist.Wir wollen das Verfahren an zwei Beispielen demonstrieren.

Beispiel 3.7. Seif(X) = X4 − 4X2 +X + 1

wie in Abbildung 3.1 auf der nächsten Seite. Wir können die Nullstellen von f(X) nachder Beweismethode von Satz 2.6 auf Seite 52 berechnen, oder wir fragen einen Numeriker.Als Nullstellen von f(X) erhalten wir die algebraischen Zahlen

x1 = −2,061 . . . , x2 = 1,764 . . . , x3 = 0,694 . . . , x4 = −0,396 . . . .

Um festzustellen, ob f(X) irreduzibel ist, müssen wir uns die elementarsymmetrischenFunktionen einer ein- oder zweielementigen Auswahl der vier Lösungen anschauen (einedreielementige Auswahl entspricht einer einelementigen Auswahl, indem wir zum Kom-plement übergehen). Die Lösungen x1, . . . , x4 selbst sind die elementarsymmetrischenFunktionen in allen einelementigen Auswahlen. Offensichtlich ist keine dieser eine ganzeZahl. Bei den zwei elementigen Auswahlen haben wir

e1(x1, x2) = x1 + x2 = −0,297 . . . , e2(x1, x2) = x1 · x2 = −3,64 . . . ,e1(x1, x3) = x1 + x3 = −1,368, . . . , e2(x1, x3) = x1 · x3 = −1,430 . . . ,e1(x1, x4) = x1 + x4 = −2,458 . . . , e2(x1, x4) = x1 · x4 = 0,817 . . . .

(Alle anderen zweielementigen Auswahlen sind Komplemente dieser.) Auch hier tauchtin jeder Zeile mindestens eine offensichtlich nicht ganze Zahl auf, womit das Polynom

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

x

f(x)

−3 −2 −1 1 2

−4

−3

−2

−1

1

2

3

Abbildung 3.1.: Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X4 − 4X2 +X + 1.

f(X) auch keinen Faktor vom Grade 2 über den rationalen Zahlen zuläßt. Damit istnachgewiesen, daß f(X) irreduzibel ist.Beispiel 3.8. Sei

f(X) = X4 − 7X3 + 4X2 + 27X − 15

das Polynom in Abbildung 3.2 auf der nächsten Seite. Approximationen der Nullstellenvon f(X) sind

x1 = 5,449 . . . , x2 = 2,791 . . . , x3 = −1,791 . . . , x4 = 0,551 . . . .

Wie in Beispiel 3.7 folgt aus der Tatsache, daß keine dieser vier Zahlen eine ganzeZahl sein kann, daß f(X) keinen Linearfaktor abspaltet. Damit kommen wir zu den

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3.2. Irreduzible Polynome

x

f(x)

−2 −1 1 2 3 4 5

−40

−30

−20

−10

10

20

Abbildung 3.2.: Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X4 − 7X3 + 4X2 + 27X − 15.

zweielementigen Auswahlen. Schauen wir uns an, welche Koeffizienten möglicherweiseeine ganze Zahl als Summe haben könnten. Das ist offensichtlich für x1 und x4 der Fall,denn wir haben e1(x1, x4) = x1 + x4 = 6.000 . . . (auf drei Stellen gerundet). Auch diezweite elementarsymmetrische Funktion in den beiden Wurzeln, e2(x1, x4) = x1 · x4 =3.000 . . ., sieht nach einer ganzen Zahl aus. Wir können dies überprüfen, indem wir denmittels Proposition 3.1 auf Seite 71 den Rest der Division von f(X) nach dem Polynom

g(X) = X2 − 6X + 3 ≈ X2 − 6,000 . . . X + 3,000 . . .

berechnen. Wir erhaltenf(X) = h(X) · g(X)

mit h(X) = X2 −X − 5, also keinen Rest. Damit haben wir die Zerlegung von f(X) inirreduzible Polynome gefunden, nämlich

X4 − 7X3 + 4X2 + 27X − 15 = (X2 − 6X + 3) · (X2 −X − 5).

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Wir haben oben bemerkt, daß die irreduziblen ganzen Zahlen gerade die Primzahlensind. Aus der Schule ist bekannt, daß sich jede positive ganze Zahl eindeutig (bis aufReihenfolge) als Produkt von Primzahlen schreiben läßt. Gibt es eine Analogie für Po-lynome, können wir also normierte Polynome mit rationalen Koeffizienten eindeutig (bisauf Reihenfolge) als Produkt irreduzibler Polynome schreiben? Die Antwort auf dieseFrage ist ja. In Analogie zu den ganzen Zahlen nennen wir eine solche Zerlegung dannauch Primfaktorzerlegung. Wir zeigen zunächst die Existenz einer solchen Zerlegung fürein normiertes Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten. Ist f(X) irreduzibel, so istf(X) = f(X) eine Zerlegung in irreduzible Polynome, und wir sind fertig. Andernfallsist f(X) nicht irreduzibel, und wir können f(X) = g(X) ·h(X) für zwei normierte Poly-nome mit rationalen Koeffizienten und deg g(X), deg h(X) < deg f(X) schreiben. Sinddann g(X) und h(X) irreduzibel, so sind wir wieder fertig, ansonsten zerlegen wir g(X)und/oder h(X) weiter, und so weiter. Da der Grad der beteiligten Polynome immer klei-ner wird, muß dieses Verfahren irgendwann ein Ende finden (Induktion über den Gradvon f(X) ist das Stichwort, um diese Argumentation formal sauber aufzuschreiben). DieEindeutigkeit der Zerlegung folgt dann aus:

Proposition 3.9. Seien f1(X), . . . , fn(X) und g1(X), . . . , gm(X) irreduzible normiertePolynome mit rationalen Koeffizienten, so daß

f1(X) · · · fn(X) = g1(X) · · · gm(X). (3.12)

Dann stimmen die Faktoren f1(X), . . . , fn(X) mit den Faktoren g1(X), . . . , gm(X) mitVielfachheiten und bis auf Reihenfolge überein, das heißt, es ist m = n und es existierteine n-stellige Permutation σ mit gi(X) = fσ(i)(X) für alle i ∈ 1, . . . , n.

Der Beweis von Proposition 3.9 gelingt mit folgendem wichtigen Satz, dem AbelschenIrreduzibilitätssatz.

Satz 3.10. Seien f(X) und g(X) zwei normierte Polynome mit rationalen Koeffizien-ten, welche eine algebraische Zahl x als gemeinsame Nullstelle besitzen. Ist dann f(X)irreduzibel, so teilt f(X) das Polynom g(X).

Ist auch g(X) auch irreduzibel, folgt insbesondere f(X) = g(X), das heißt zwei ir-reduzible normierte Polynome mit rationalen Koeffizienten sind schon gleich, wenn sieeine gemeinsame Nullstelle besitzen.

Beweis von Satz 3.10. Sei d(X) ein größter gemeinsamer Teiler von f(X) und g(X), dasheißt ein normiertes Polynom, welches f(X) und g(X) teilt und für das Polynome p(X)und q(X) nach Proposition 3.1 auf Seite 71 mit

d(X) = p(X)f(X) + q(X)g(X) (3.13)

existieren. Setzen wir X = x in (3.13), so erhalten wir

d(x) = p(x)f(x) + q(x)g(x) = p(x) · 0 + q(x) · 0 = 0.

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3.2. Irreduzible Polynome

Insbesondere hat d(X) eine Nullstelle, nämlich x. Damit ist d(X) nicht das konstantePolynom Eins. Da d(X) Teiler von f(X) ist und f(X) nach Voraussetzung irreduzibel,ist notwendigerweise d(X) = f(X). Damit folgt die zu beweisende Behauptung aus derTatsache, daß d(X) das Polynom g(X) teilt.

Aus Satz 3.10 auf der vorherigen Seite folgern wir unmittelbar:

Folgerung 3.11. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom mit rationalen Koeffizi-enten. Ist f(X) dann ein Teiler eines Produktes g(X) ·h(X) zweier Polynome g(X) undh(X) mit rationalen Koeffizienten, so teilt f(X) mindestens einen der beiden Faktoreng(X) und h(X).

In diesem Sinne verhält sich ein normiertes irreduzibles Polynom wie eine Primzahlin den ganzen Zahlen: Teilt eine Primzahl ein Produkt, so teilt die Primzahl auch min-destens einen der beiden Faktoren. Wir nennen ein normiertes Polynom f(X) 6= 1 mitdieser Eigenschaft daher auch prim. Aussage von Folgerung 3.11 ist also, daß jedes nor-mierte irreduzible Polynom prim ist. (Die Umkehrung, nämlich daß jedes prime Polynomauch irreduzibel ist, ist wesentlich leichter einzusehen.)

Beweis von Folgerung 3.11. Sei x eine Nullstelle von f(X). Da f(X)·k(X) = g(X)·h(X)für ein weiteres Polynom k(X) mit rationalen Koeffizienten nach Voraussetzung gilt, istx auch Nullstelle von g(X) · h(X), also g(x) = 0 oder h(x) = 0. Sei ohne Einschränkungg(x) = 0. Da f(X) irreduzibel ist, folgt nach Satz 3.10 auf der vorherigen Seite, daßf(X) ein Teiler von g(X) ist.

Die Aussage von Folgerung 3.11 läßt sich leicht auf mehr als zwei Faktoren verallge-meinern. Dies nutzen wir für den noch ausstehenden Beweis aus:

Beweis von Proposition 3.9 auf der vorherigen Seite. Wir führen den Beweis per Induk-tion über n. Im Falle von n = 0 ist die linke Seite von (3.12) gleich Eins, ist also vomPolynomgrad Null. Dies muß damit auch für die rechte Seite von (3.12) gelten. Damitmuß aber m = 0 sein, womit der Beweis der Behauptung für n = 0 erbracht ist.Da fn(X) irreduzibel ist, muß fn(X) nach Folgerung 3.11 einen der Faktoren g1(X),

. . . , gm(X) teilen. Ohne Einschränkung können wir davon ausgehen, daß j = m (anson-sten sortieren wir die gj(X) vorher um). Da fn(X) und gm(X) beide irreduzibel sind,muß dann sogar fn(X) = gm(X) gelten. Wir dürfen damit (3.12) nach diesen Polynomenkürzen und erhalten

f1(X) · · · fn−1(X) = g1(X) · · · gm−1(X),

worauf wir die Induktionsvoraussetzung anwenden können. Damit stimmen die Polynomef1(X), . . . , fn−1(X) mit den Polynomen g1(X), . . . , gm−1(X) mit Vielfachheit und bisauf Reihenfolge überein. Da zudem fn(X) = gm(X), ist der Induktionsschritt vollbrachtund der Beweis damit erbracht.

Der Abelsche Irreduziblitätssatz hat noch folgende wichtige Konsequenz für irreduziblePolynome:

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Proposition 3.12. Sei f(X) ein irreduzibles normiertes Polynom über den rationalenZahlen. Dann ist f(X) separabel.

Beweis. Sei d(X) der größte gemeinsame Teiler von f(X) und 1nf′(X), wobei n der Grad

von f(X) ist. In Abschnitt 3.1 auf Seite 71 haben wir gesehen, daß f0(X) = f(X)/d(X)ein separables normiertes Polynom ist, welches (bis auf Vielfachheiten) dieselben Null-stellen wie f(X) hat. Nach Satz 3.10 auf Seite 82 ist f(X) damit ein Teiler von f0(X).Da nach Konstruktion f0(X) ein Teiler von f(X) ist, folgt f(X) = f0(X), es ist f(X)also separabel.

Die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung für Polynome erlaubt insbesondere folgendeDefinition:

Definition 3.13. Seien f(X) ein normiertes Polynom mit rationalen Koeffizienten. Seiweiter p(X) ein irreduzibles Polynom. Die Vielfachheit, mit der der Faktor p(X) in derPrimfaktorzerlegung von f(X) vorkommt, heißt die Bewertung von f(X) an der Stellep(X). (Dabei ist die Bewertung definitionsgemäß Null, wenn p(X) gar nicht als Faktorin der Primfaktorzerlegung vorkommt.)

Für die Bewertung von f(X) an der Stelle p(X) schreiben wir auch

ordp(X) f(X).

Beispiel 3.14. Ist x eine rationale Nullstelle von f(X), so ist die Bewertung von f(X)an (X − x) die Vielfachheit der Nullstelle x.Bevor wir diesen Abschnitt abschließen, wollen wir noch einen weiteren Beweis für die

Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung geben, welcher ohne den Fundamentalsatz derAlgebra auskommt, also der Existenz von Nullstellen von nicht konstanten Polynomen.Dazu brauchen wir einen alternativen Beweis für Folgerung 3.11 auf der vorherigenSeite: Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom, welches ein Teiler eines Produktesg(X) · h(X) ist. Sei f(X) kein Teiler von g(X). Wir müssen zeigen, daß f(X) ein Teilervon h(X) ist. Der größte gemeinsame Teiler von f(X) und g(X) kann nicht f(X) sein.Da f(X) irreduzibel ist, muß er damit 1 sein. Also existieren Polynome p(X) und q(X)mit rationalen Koeffizienten, so daß

1 = p(X) · f(X) + q(X) · g(X).

Multiplizieren wir die Gleichung mit h(X), erhalten wir

h(X) = p(X) · f(X) · h(X) + q(X) · g(X) · h(X).

Beide Summanden der rechten Seite werden von f(X) geteilt. Damit teilt f(X) auchh(X), die linke Seite.

AufgabenAufgabe 3.2.1. Ist ein normiertes Polynom vom Grad 1 und mit rationalen Koeffizientenimmer irreduzibel?

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3.3. Irreduzibilität über den ganzen Zahlen

Aufgabe 3.2.2. Seien x und y zwei algebraische Zahlen mit x · y = 0. Zeige, daß dannx = 0 oder y = 0 (oder beides).Aufgabe 3.2.3. Zeige, daß normierte Polynome vom Grad 2 und 3 über den rationalenZahlen genau dann irreduzibel sind, wenn sie keine rationale Nullstelle besitzen.Aufgabe 3.2.4. Zeige, daß das Polynom

f(X) = X3 − 32X

2 +X − 65

keine rationale Nullstelle besitzt.Aufgabe 3.2.5. Seien f(X) und g(X) zwei normierte Polynome mit rationalen Koeffizi-enten. Gib ein Verfahren für die Berechnung des größten gemeinsamen Teilers von f(X)und g(X) über die Zerlegung von f(X) und g(X) in irreduzible Polynome an.Aufgabe 3.2.6. Sei f(X) 6= 1 ein normiertes Polynom über den rationalen Zahlen, welchesprim ist, das heißt: Teilt f(X) ein Produkt g(X) · h(X) von Polynomen g(X) und h(X)mit rationalen Koeffizienten, so teilt f(X) mindestens einen der Faktoren g(X) undh(X). Zeige, daß f(X) ein irreduzibles Polynom ist.Aufgabe 3.2.7. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom mit rationalen Koeffizien-ten. Seien g1(X), . . . , gn(X) weitere Polynome mit rationalen Koeffizienten. Sei f(X)ein Teiler des Produktes g1(X) · · · gn(X). Zeige, daß dann ein i ∈ 1, . . . , n existiert, sodaß f(X) ein Teiler von gi(X) ist.Aufgabe 3.2.8. Zeige, daß sich die Bewertung wie ein Logarithmus verhält. Damit istfolgendes gemeint: Sei p(X) ein irreduzibles normiertes Polynom über den rationalenZahlen. Dann gelten

ordp(X) 1 = 0und

ordp(X)(f(X) · g(X)) = ordp(X) f(X) + ordp(X) g(X)

für beliebige normierte Polynome f(X) und g(X).

3.3. Irreduzibilität über den ganzen ZahlenIn Abschnitt 3.2 auf Seite 76 haben wir ein konstruktives Verfahren kennengelernt, wel-ches entscheidet, ob ein gegebenes Polynom f(X) irreduzibel ist oder nicht. Dieses all-gemeine Verfahren ist jedoch im allgemeinen aufwendig durchzuführen, weil es Kenntnisder Nullstellen von f(X) verlangt und damit allgemein die numerische Approximationgemäß des Beweisverfahrens von Hauptsatz 1.14 auf Seite 35 nötig wird. In diesem Ab-schnitt wollen wir eine Reihe von Verfahren kennenlernen, welche einfachere Kriterienfür die Unzerlegbarkeit eines Polynoms darstellen (die umgekehrte Aufgabe, die Zerleg-barkeit eines Polynoms festzustellen, ist in der Regel einfacher, weil es schließlich reicht,irgendeinen echten Faktor anzugeben und nicht zu beweisen ist, daß kein solcher Faktorexistiert). Bei all diesen Kriterien ist festzuhalten, daß sie sich jeweils nicht bei jedem

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Polynom anwenden lassen, das heißt, es kann gut sein, daß ein Polynom irreduzibel istund dies trotzdem mit keinem der folgenden Kriterien möglich ist zu zeigen.Wir beginnen zunächst mit einem Kriterium von Carl-Friedrich Gauß. Dazu benötigen

wir als erstes einige Definitionen für von Null verschiedene Polynome f(X) = anXn +

an−1Xn−1 + · · · + a1X + a0 mit ganzzahligen Koeffizienten a0, . . . , an. Ist an 6= 0,

so nennen wir an den führenden Koeffizienten von f(X) und n den Grad von f(X),geschrieben deg f(X) = n. Der größte gemeinsame Teiler von a0, . . . , an heißt derInhalt von f(X). Beispielsweise ist der Inhalt von 2X2− 6X durch 2 und der Inhalt von5X3−X+35 durch 1 gegeben. Ist wie im letzten Beispiel der Inhalt gleich Eins, so heißtdas Polynom primitiv. Für ein beliebiges Polynom f(X) mit ganzzahligen Koeffizientenist der Inhalt c von f(X) offensichtlich genau diejenige positive ganze Zahl, für diec−1f(X) ein primitives Polynom ist.Diese Beobachtung erlaubt es uns, den Begriff des Inhaltes auch auf nicht verschwin-

dende Polynome f(X) mit rationalen Koeffizienten auszudehnen. Und zwar sei der Inhaltc von f(X) diejenige positive rationale Zahl, für die c−1f(X) ein primitives Polynommit ganzzahligen Koeffizienten ist. Dieses aus f(X) konstruierte Polynom werden wir indiesem Abschnitt durchweg mit f(X) bezeichnen. Zur Illustration betrachten wir etwaf(X) = X3 − 5

3X + 215 . Multiplizieren wir dieses Polynom mit 15 (dem Hauptnenner),

so erhalten wir das ganzzahlige Polynom 15X3 − 25X + 2, dessen Inhalt der größte ge-meinsame Teiler von 15, −25 und 2, also 1 ist. Damit ist der Inhalt von f(X) durch 1

15gegeben. Offensichtlich ist der Inhalt eines Polynoms genau dann eine ganze Zahl, wenndas Polynom nur ganzzahlige Koeffizienten hat und genau dann gleich Eins, wenn dasPolynom primitiv mit ganzzahligen Koeffizienten ist. Der Inhalt eines normierten Poly-nomes ist immer das Inverse einer ganzen Zahl, nämlich das Inverse des Hauptnennersaller gekürzten Koeffizientenbrüche.Das sogenannte Gaußsche Lemma (genau genommen ist dies eine Variante einer Rei-

he von Aussagen, welche mit diesem Namen belegt sind) besagt über den Inhalt desProduktes zweier Polynome:

Hilfssatz 3.15. Seien g(X) und h(X) zwei Polynome mit rationalen Koeffizienten.Dann ist der Inhalt des Produktes g(X) · h(X) der Polynome das Produkt der Inhal-te der Polynome g(X) und h(X).

Insbesondere ist also das Produkt primitiver Polynome wieder primitiv, und ist dasProdukt zweier Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten primitiv, so müssen auch dieFaktoren primitiv sein.

Beweis. Die Fälle g(X) = 0 oder h(X) = 0 sind trivial, so daß wir sie im folgendenausschließen dürfen. Indem wir nötigenfalls g(X) und h(X) durch ihre jeweiligen Inhaltedividieren, können wir davon ausgehen, daß g(X) und h(X) primitive ganzzahlige Po-lynome sind, insbesondere also Inhalt 1 haben. Wir müssen dann zeigen, daß der Inhaltvon g(X) · h(X) ebenfalls gleich eins ist.Seien dazu g(X) = anX

n+an−1Xn−1+· · ·+a1X+a0 und h(X) = bmX

m+bm−1Xm−1+

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3.3. Irreduzibilität über den ganzen Zahlen

· · ·+ b1X + b0, so daß wir

g(X) · h(X) =∑`≥0

∑i+j=`

aibj X`

haben. Wir führen den Beweis per Induktion über n+m. Sei c der Inhalt von g(X)·h(X),und sei d der größte gemeinsame Teiler von c und an. Dann teilt d alle Koeffizienten,also auch den Inhalt, des Polynoms (g(X)− anXn) ·h(X) = g(X) ·h(X)− anXn ·h(X).Nach Induktionsvoraussetzung ist der Inhalt dieses Polynoms das Produkt der Inhaltevon g(X)− anXn und h(X). Da der Inhalt von h(X) eins ist, muß d folglich den Inhaltvon g(X) − anXn teilen. Damit teilt d aber auch den Inhalt von g(X). Da g(X) aberprimitiv ist, folgt d = 1.Indem wir die Rollen von g(X) und h(X) vertauschen, zeigen wir daß der größte

gemeinsame Teiler von c und bm ebenfalls gleich eins ist. Kürzen wir den größten ge-meinsamen Teiler zweier Zahlen x und y für den Moment mit ggT(x, y) ab. Dann giltfolgende Rechnung:

ggT(c, anbm) = ggT(ggT(c, cbm), anbm) = ggT(c, ggT(cbm, anbm))= ggT(c, bm ggT(c, am)) = ggT(c, bm) = 1.

Da c nach Definition aber auch ein Teiler von anbm ist, ist c = 1.

Für die nachfolgende Folgerung, welche auch häufig als Gaußsches Lemma bezeich-net wird, benötigen wir noch eine Definition, welche den Begriff der Irreduzibilität auf(primitive) Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten ausweitet: Und zwar nennen wirein primitives Polynom f(X) mit ganzzahligen Koeffizienten irreduzibel, wenn jede Zer-legung f(X) = g(X) · h(X) in zwei ganzzahlige Polynome von der Form ist, daß g(X)oder h(X) eine Konstante ist.

Folgerung 3.16. Ein normiertes Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten ist ge-nau dann irreduzibel, wenn das primitive Polynom f(X) mit ganzzahligen Koeffizientenirreduzibel ist.

Ist das Polynom f(X) in Folgerung 3.16 selbst schon ganzzahlig, so ist es automatischprimitiv, da es normiert ist. Ein normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizientenist also genau dann als Polynom über den rationalen Zahlen irreduzibel, wenn es alsPolynom über den ganzen Zahlen irreduzibel ist.

Beweis. Ist f(X) = g(X) · h(X) eine Zerlegung von f(X) in normierte Polynome mitrationalen Koeffizienten, so liefert Division durch das Produkt der Inhalte von g(X) undh(X) nach Hilfssatz 3.15 auf der vorherigen Seite die Zerlegung f(X) = g(X) · h(X) vonf(X) in primitive Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten. Ist f(X) also irreduzibel,so muß auch f(X) irreduzibel sein.Sei umgekehrt f(X) = g(X)·h(X) eine Zerlegung von f(X) in primitive Polynome mit

ganzzahligen Koeffizienten. Wir bemerken, daß wir f(X) aus f(X) zurückerhalten, indemwir f(X) durch seinen führenden Koeffizienten dividieren. Dieser führende Koeffizient

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

von f(X) ist das Produkt der führenden Koeffizienten von g(X) und h(X). Dividieren wirdie Zerlegung durch dieses Produkt, erhalten wir damit eine Zerlegung der Form f(X) =g(X)·h(X), wobei g(X) und h(X) normierte Polynome mit rationalen Koeffizienten sind.Ist f(X) also irreduzibel, so muß auch f(X) irreduzibel sein.

Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, wie wir bei normierten Polynomen mitganzzahligen Koeffizienten mittels approximativer Berechnung der Nullstellen auf we-nige Stellen nach dem Komma feststellen können, ob das Polynom irreduzibel ist —dazu waren die elementarsymmetrischen Funktionen in Auswahlen der Nullstellen mitVielfachheit mit ganzen Zahlen zu vergleichen. Wir zeigen jetzt, daß wir mit Hilfe derBeweismethode von Folgerung 3.16 auf der vorherigen Seite ein leicht erweitertes, ganzähnliches Verfahren angeben können, welches für normierte Polynome mit beliebigen,nicht notwendigerweise ganzzahligen Koeffizienten funktioniert: Sei etwa f(X) ein sol-ches normiertes Polynom mit rationalen Koeffizienten. Der Inhalt von f(X) ist das In-verse einer positiven ganzen Zahl d. Nach unseren Überlegungen in Abschnitt 3.2 aufSeite 76 ist jeder normierte Faktor g(X) von f(X) mit rationalen Koeffizienten von derForm

g(X) = (X − xi1) · · · (X − xik),1 ≤ i1 < i2 · · · < ik ≤ n, wobei x1, . . . , xn die Nullstellen von f(X) mit Vielfachheitensind. Für ein solches g(X) existiert ein normiertes Polynom h(X) mit rationalen Ko-effizienten, so daß f(X) = g(X) · h(X). Die Inversen der Inhalte von g(X) und h(X)sind ganze Zahlen und nach Hilfssatz 3.15 auf Seite 86 insbesondere Teiler von d. Mul-tiplizieren wir g(X) also mit d, so erhalten wir ein ganzzahliges Vielfaches von g(X),also ein Polynom d · g(X) mit ganzzahligen Koeffizienten. Die Koeffizienten von d · g(X)sind durch die elementarsymmetrischen Funktionen in xi1 , . . . , xik multipliziert mit dgegeben. Um also festzustellen, ob f(X) nicht triviale Faktoren hat, reicht es folglich,alle echten Auswahlen xi1 , . . . , xik , 1 ≤ i1 < i2 · · · < ik ≤ n, der Nullstellen mit Viel-fachheiten von f(X) daraufhin zu überprüfen, ob die Ausdrücke

d · ej(xi1 , . . . , xik)

für j ∈ 1, . . . , k ganze Zahlen sind.Beispiel 3.17. Wir wollen untersuchen, ob das Polynom

f(X) = X3 − 32X

2 +X − 65

über den rationalen Zahlen irreduzibel ist. Seien x1, x2, x3 die drei Nullstellen mitVielfachheiten von f(X). Der Inhalt von f(X) ist 1

10 , das Inverse des Inhaltes alsod = 10. Da f(X) vom Grad 3 ist, reicht es, einelementige Auswahlen der Nullstellen vonf(X) zu untersuchen, das heißt, ob 10 · x1, 10 · x2 oder 10 · x3 eine ganze Zahl ist. Einenumerische Nullstellenbestimmung ergibt auf vier Stellen nach dem Komma

x1 = 1,3985 . . . , x2 = 0,0507 + 0,9249 i, x3 = 0,0507− 0,9249 i,

das heißt keine der Zahlen ist ein Zehntel einer ganzen Zahl. Damit ist f(X) über denrationalen Zahlen irreduzibel.

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3.3. Irreduzibilität über den ganzen Zahlen

Wie können wir Folgerung 3.16 auf Seite 87 direkt einsetzen, um festzustellen, ob einnormiertes Polynom über den rationalen Zahlen irreduzibel ist? Offensichtlich brauchenwir dazu Kriterien, wann ein primitives Polynom über den ganzen Zahlen irreduzibel ist.Ein solches Kriterium ist das sogenannte Eisensteinsche2 Kriterium, benannt nach einemSchüler Carl-Friedrich Gauß’, von dem dieser gesagt haben soll, er sei neben Archimedes3

und Isaac Newton4 der einzige Mathematiker gewesen, welcher Geschichte geschriebenhabe (nur für das folgende Ergebnis allein hätte Ferdinand Eisenstein allerdings nichtdie Bewunderung seines Lehrers erfahren):

Proposition 3.18. Sei f(X) = anXn + an−1X

n−1 + · · · + a1X + a0 ein primitivesPolynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Sei p eine Primzahl, so daß a0, . . . , an−1 durchp teilbar sind und a0 außerdem nicht durch p2 teilbar ist. Dann ist f(X) irreduzibel.

Bevor wir zum Beweis schreiten, wollen wir ein Beispiel für die Anwendung von Pro-position 3.18 geben:Beispiel 3.19. Betrachten wir das normierte Polynom

f(X) = X5 − 23X

4 + 83X

2 − 2.

Dieses ist nach Folgerung 3.16 auf Seite 87 genau dann über den rationalen Zahlenirreduzibel, wenn das primitive Polynom

f(X) = 3X5 − 2X4 + 8X2 − 6

über den ganzen Zahlen irreduzibel ist. Da dies nach dem Eisensteinschen Kriterium,Proposition 3.18, für die Primzahl p = 2 der Fall ist, ist folglich f(X) ein über denrationalen Zahlen irreduzibles Polynom.

Beweis von Proposition 3.18. Wir halten als erstes fest, daß an nicht durch p teilbar seinkann, denn sonst wäre p ein gemeinsamer Teiler aller Koeffizienten von f(X) und f(X)damit nicht primitiv.Betrachten wir als nächstes eine mögliche Zerlegung f(X) = g(X) · h(X) mit ganz-

zahligen Polynomen

g(X) =∑i≥0

biXi, h(X) =

∑j≥0

cjXj .

Da a0 = b0 · c0 durch p, aber nicht durch p2 teilbar ist und p eine Primzahl ist, mußentweder b0 oder c0 durch p teilbar sein. Ohne Einschränkung sei p ein Teiler von b0 abernicht von c0 (ansonsten vertauschen wir die Rollen von g(X) und h(X)). Wir zeigen,

2Ferdinand Gotthold Max Eisenstein, 1823–1852, deutscher Mathematiker3Archimedes von Syrakus, ca. 287–212 v. Chr, griechischer Mathematiker, Physiker, Ingenieur, Erfinderund Astronom

4Isaac Newton, 1643–1727, englischer Physiker, Mathematiker, Astronom, Naturphilosoph und Theo-loge

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

daß h(X) notwendigerweise konstant ist. Betrachten wir dazu den nächsten Koeffizientenvon f(X), nämlich a1 = b0c1 + b1c0, woraus wir

b1c0 = a1 − b0c1

ableiten können. Die rechte Seite ist (jedenfalls für n > 1) durch p teilbar, womit auchb1c0 durch p teilbar ist. Da p eine Primzahl und c0 nicht durch p teilbar ist, muß somitb1 durch p teilbar sein. Im nächsten Schritt betrachten wir dann

b2c0 = a2 − b0c2 − b1c1.

Die rechte Seite ist wieder (jedenfalls für n > 2) durch p teilbar, so daß wir daraus analogschließen können, daß auch b2 durch p teilbar ist, und so weiter. Gehen wir induktiv weitervor, erhalten wir, daß b0, . . . , bn−1 alle durch p teilbar sind. Jetzt betrachten wir denKoeffizienten an:

an = b0cn + b1cn−1 + · · ·+ bn−1c1 + bnc0.

Wie oben bemerkt, ist an nicht durch p teilbar. Damit darf die rechte Seite auch nichtdurch p teilbar sein. Da die ersten n Summanden der rechten Seite aber durch p teilbarsind, darf damit bn nicht durch p teilbar sein. Insbesondere ist bn 6= 0. Da aber deg f ≤ n,muß somit h(X) ein konstantes Polynom sein, was zu zeigen war.

Der Anwendungsbereich des Eisensteinschen Kriteriums ist größer, als es auf dem er-sten Blick den Anschein haben könnte: Wie sieht es zum Beispiel mit der Irreduzibilitätdes Polynoms f(X) = X4 +X3 +X2 +X + 1 aus? Es ist ein primitives Polynom überden ganzen Zahlen, allerdings ist der Koeffizient zum konstanten Glied 1, durch keineeinzige Primzahl teilbar, so daß wir für keine Primzahl Proposition 3.18 auf der vorhe-rigen Seite direkt anwenden können. Auf der anderen Seite würden wir durch Probierenallerdings auch keinen Linearfaktor oder keine Faktorisierung in zwei quadratische Poly-nome finden. Ein Trick hilft uns hier weiter: Und zwar betrachten wir anstelle von f(X)das Polynom

g(X) = f(X + 1) = (X + 1)4 + (X + 1)3 + (X + 1)2 + (X + 1) + 1= X4 + 4X3 + 6X2 + 4X + 1 +X3 + 3X2 + 3X + 1 +X2 + 2X + 1 +X + 1 + 1= X4 + 5X3 + 10X2 + 10X + 5.

Auf dieses können wir offensichtlich Proposition 3.18 auf der vorherigen Seite anwenden,nämlich mit der Primzahl p = 5, das heißt g(X) = f(X+1) ist ein irreduzibles primitivesPolynom für die ganzen Zahlen. Was bedeutet dies für f(X)? Wäre f(X) = f1(X)·f2(X)eine Zerlegung von f(X), so wäre g(X) = f(X+1) = f1(X+1)·f2(X+1) eine Zerlegungvon g(X). Das Polynom g(X) ist aber nicht irreduzibel. Damit haben wir gezeigt, daßf(X) irreduzibel sein muß. Diese Schlußweise können wir verallgemeinern: Seien f(X)und h(X) normierte Polynome über den rationalen Zahlen. Ist dann h(X) nicht konstantund f(h(X)) irreduzibel, so ist auch f(X) irreduzibel.

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3.4. Irreduzibilität modulo einer Primzahl

AufgabenAufgabe 3.3.1. Bestimme numerisch die Nullstellen von f(X) = X4 − 10X2 + 1 bis aufwenige Stellen nach dem Komma, und nutze diese Information um zu zeigen, daß f(X)über den rationalen Zahlen irreduzibel ist.Aufgabe 3.3.2. Sei f(X) ein nicht verschwindendes Polynom mit rationalen Koeffizien-ten. Zeige, daß der Inhalt von f(X) genau dann ganzzahlig ist, wenn f(X) ganzzahligeKoeffizienten besitzt.Aufgabe 3.3.3. Sei f(X) ein normiertes Polynom mit rationalen Koeffizienten. Zeige, daßder Inhalt von f(X) das Inverse des führenden Koeffizienten von f(X) ist.Aufgabe 3.3.4. Sei f(X) ein Polynom mit rationalen Koeffizienten. Zeige, daß der Inhaltvon f(X) das Inverse einer ganzen Zahl ist, wenn f(X) normiert ist. Gilt auch dieUmkehrung?Aufgabe 3.3.5. Sei f(X) = X6 + X5 + X4 + X3 + X2 + X + 1 = 0. Zeige, daß f(X)irreduzibel ist.Aufgabe 3.3.6. Sei f(X) = X5 +X4 +X3 +X2 +X+1. Zeige, daß f(X) nicht irreduzibelist.Aufgabe 3.3.7. Gib ein Beispiel dafür an, daß die Bedingung im Eisensteinschen Irredu-zibilitätskriterium Proposition 3.18 auf Seite 89, daß p2 kein Teiler von a0 ist, notwendigist.Aufgabe 3.3.8. Gib ein Beispiel dafür an, daß die Bedingung im Eisensteinschen Irredu-zibilitätskriterium Proposition 3.18 auf Seite 89, daß p ein Teiler von allen a0, . . . , an−1ist, notwendig ist.Aufgabe 3.3.9. Seien f(X) und g(X) zwei normierte Polynome positiven Grades und mitrationalen Koeffizienten, so daß f(g(X)) irreduzibel ist. Ist dann auch g(X) irreduzibel?

3.4. Irreduzibilität modulo einer PrimzahlAls weiteres Irreduzibilitätskriterium wollen wir noch die Reduktion modulo einer ganzenZahl n kennenlernen. Dazu erinnern wir an folgende Sprechweise: Zwei ganze Zahlen aund b heißen kongruent modulo n, geschrieben

a ≡ b (mod n),

falls die Differenz von a und b durch n teilbar ist, das heißt im Falle n 6= 0, falls a und bden gleichen Rest bei der Division durch n haben. Beispielsweise sind 5 und −7 kongruentmodulo 2, aber nicht modulo 5 oder modulo 8. Modulo 0 ist jede Zahl nur zu sich selbstkongruent, modulo 1 sind alle Zahlen untereinander kongruent. Offensichtlich gilt genaudann a ≡ 0 modulo n, wenn a ein Vielfaches von n ist, das heißt also, daß n ein Teilerder Zahl a ist. (Aufgrund dieser Tatsache wird klar, daß diese Sprechweise ein Hilfsmittelbei Beweisen wie von Proposition 3.18 auf Seite 89 sein kann, wo viele Argumente aufTeilbarkeitseigenschaften beruhen.) Die Kongruenz zweier Zahlen (modulo n) ist eine

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Äquivalenzrelation, das heißt im einzelnen: Jede Zahl a ist zu sich selbst kongruent(Reflexivität), ist a zu b kongruent, so ist auch b zu a kongruent (Symmetrie) und ist azu b und ist b zu einem c kongruent — natürlich jeweils modulo derselben ganzen Zahln —, so ist auch a zu c kongruent (Transitivität). Die Relation der Kongruenz ist mitden arithmetischen Operationen verträglich, das heißt ist a ≡ b modulo n und a′ ≡ b′

modulo n, so sind auch a+ a′ ≡ b+ b′ modulo n und a · a′ ≡ b · b′ modulo n äquivalent.Eine wichtige Regel beim Rechnen im Bereich der ganzen Zahlen gilt jedoch nicht, und

zwar die Kürzungsregel in folgender Form: Ist a · b = 0 im Bereich der ganzen Zahlen, sofolgt a = 0 oder b = 0. Dagegen folgt aus a · b ≡ 0 modulo n im allgemeinen nicht a ≡ 0oder b ≡ 0: So ist zum Beispiel 2 · 3 ≡ 0 modulo 6, aber weder 2 ≡ 0 noch 3 ≡ 0 modulo6. Der Grund liegt darin, daß 6 keine Primzahl ist. Wir können nämlich folgende Regelformulieren: Sei p eine Primzahl. Dann gilt

a · b ≡ 0 =⇒ (a ≡ 0) ∨ (b ≡ 0) (mod p).

Um das einzusehen, übersetzen wir diese Implikation einfach in die natürliche Sprache:Ist das Produkt zweier ganzer Zahlen durch eine Primzahl p teilbar, so ist (mindestens)einer der beiden Faktoren durch p teilbar.Schließlich benötigen wir noch folgende Aussage über die Existenz multiplikativer

Inversen modulo n:

Proposition 3.20. Sei n eine ganze Zahl. Für jede ganze Zahl a existiert genau danneine ganze Zahl b mit

a · b ≡ 1 (mod n),

falls a und n teilerfremd sind.

Im Falle, daß n ein Primzahl ist, existiert b also genau dann, wenn a kein Vielfachesvon n ist. Für den Fall, daß b bei gegebenem a existiert, nennen wir a modulo n inver-tierbar oder eine Einheit modulo n und b eine Inverse modulo n von a. (Wir haben denunbestimmten Artikel „eine“ nicht ohne Grund gewählt: Ist b eine Inverse modulo n,so ist zum Beispiel auch b + n eine Inverse modulo n. Inversen modulo n sind also imallgemeinen nicht eindeutig. Allerdings sind je zwei Wahlen von b kongruent modulo n.)

Beweis. Gelte a · b ≡ 1 (mod n), das heißt a · b − 1 ist ein Vielfaches von n. Sei d eingemeinsamer Teiler von a und n, also auch ein gemeinsamer Teiler von a und a · b − 1.Da d damit auch a · b teilt, folgt die Teilbarkeit von 1 durch d. Damit ist d ∈ 1,−1,folglich sind a und n unter der Prämisse a · b ≡ 1 (mod n) teilerfremd.Seien umgekehrt a und n teilerfremd, das heißt 1 ist ein größter gemeinsamer Teiler

von a und n. Nach dem euklidischen Algorithmus für ganze Zahlen, Proposition 3.3 aufSeite 73, existieren damit ganze Zahlen r und s mit 1 = r ·a+s ·n. Es folgt, daß a ·r ≡ 1(mod n), wir können also b = r wählen.

Wir weiten die Kongruenzarithmetik von den ganzen Zahlen auf die Polynome aus:Betrachten wir zwei Polynome f(X) und g(X) mit ganzzahligen Koeffizienten, so sagen

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3.4. Irreduzibilität modulo einer Primzahl

wir, f(X) und g(X) seien kongruent modulo einer ganzen Zahl n, wenn alle ihre ent-sprechenden Koeffizienten jeweils zueinander kongruent modulo n sind. Die Regeln derKongruenzarithmetik übertragen sich eins zu eins auf diesen Fall.Der Einfachheit halber betrachten wir im folgenden eine Primzahl n = p. (In diesem

Falle haben wir nicht das Problem, daß das Produkt zweier ganzen Zahlen modulo nverschwinden kann, auch wenn keiner der beiden Faktoren modulo n verschwindet.)Ein normiertes Polynom f(X) mit ganzzahligen Koeffizienten heiße irreduzibel modulo

p, falls für jedes Paar g(X) und h(X) normierter Polynomen mit ganzzahligen Koeffizi-enten und für das

f(X) ≡ g(X) · h(X) (mod p) (3.14)

gilt, mindestens eines der beiden Polynome g(X) oder h(X) modulo p kongruent zueiner Konstanten ist. Da die Kongruenzrelation mit den Grundrechenarten verträglichist, folgt aus der Irreduzibilität des Polynoms f(X) modulo p die Irreduzibilität jedesanderen normierten Polynoms mit ganzzahligen Koeffizienten modulo p, welches modulop kongruent zu f(X) ist.Sei f(X) ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten, welches zwar nicht notwendi-

gerweise normiert ist, dessen führender Koeffizient a aber nicht durch p teilbar ist. NachProposition 3.20 auf der vorherigen Seite existiert eine ganze Zahl b mit ab ≡ 1 modu-lo p. Das Produkt bf(X) ist damit kongruent modulo p zu einem normierten Polynomf(X). Da b bis auf Addition von Vielfachen von p eindeutig definiert ist, ist f(X) bis aufKongruenz modulo p wohldefiniert. Damit ergibt folgende Definition Sinn: Das Polynomf(X) heißt irreduzibel, falls das normierte Polynom f(X) irreduzibel ist.Beispiel 3.21. Sei p = 3. Sei f(X) = 2X4 +X3 +X + 2. Dann ist b = 2 eine Inverse vona = 2 modulo 3, denn 2 · 2 ≡ 1 modulo 3. Nach Definition heißt f(X) damit irreduzibelmodulo 3, falls das normierte Polynom

f(X) = X4 + 2X3 + 2X + 1 ≡ 2 · f(X) (mod 3)

modulo 3 irreduzibel ist.(Eine ähnliche Definition könnten wir auch bei Polynomen mit rationalen Zahlen ein-

führen: Sei f(X) = anXn + an−1X

n−1 + · · · + a1X + a0 ein Polynom mit rationalenKoeffizienten und an 6= 0. Dann heißt f(X) irreduzibel, falls das normierte Polynomf(X) = a−1

n f(X) irreduzibel ist.)Wir können effektiv feststellen, ob ein normiertes Polynom f(X) mit ganzzahligen

Koeffizienten irreduzibel modulo der Primzahl p ist: Ist deg f(X) = d, so ist f(X) genaudann irreduzibel, wenn für je zwei normierte Polynome g(X) und h(X) mit deg g(X),deg h(X) < d, welche modulo p nicht kongruent zu einem konstanten Polynom sind,die Gleichung (3.14) nicht erfüllt ist. A priori müssen wir unendlich viele Polynomeg(X) und h(X) betrachten. Mit einer kleinen Überlegung können wir unseren Suchraumallerdings einschränken: Jedes Polynom g(X) ist modulo p zu (genau) einem Polynomg(X) kongruent, dessen Koeffizienten alle aus der Menge 0, . . . , p− 1 stammen. Nachden Regeln der Kongruenzarithmetik ist

f(X) ≡ g(X) · h(X) (mod p) ⇐⇒ f(X) ≡ g(X) · h(X) (mod p),

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

das heißt, es reicht, die endlich vielen nicht konstanten Polynome g(X) mit deg g(X) < d,deren Koeffizienten alle aus der Menge 0, . . . , p − 1 sind, zu testen. Ebenso reicht esaus, endlich viele Polynome h(X) zu betrachten. Damit können wir also in endlich vielenSchritten feststellen, ob f(X) modulo p irreduzibel ist. Wir wollen dieses Verfahrenanhand eines Beispiels illustrieren:

Beispiel 3.22. Sei f(X) = X4 + 15X3 + 7. Wir wollen feststellen, ob f(X) modulo p = 5irreduzibel ist. Dazu reicht es, die Kongruenz

X4 + 15X3 + 7 ≡ g(X) · h(X) (mod 5) (3.15)

für die Fälle g(X) = X − a und g(X) = X2 + bX + c mit a, b, c ∈ 0, . . . , 4 zubetrachten. (Der Fall g(X) = X3 + aX2 + bX + c ist mit Vertauschung von g(X) undh(X) symmetrisch zum linearen Fall.)Im Falle g(X) = X − a ist a eine Nullstelle von g(X). Aus (3.15) würde damit

f(a) = a4 + 15a3 + 7 ≡ a4 + 2 ≡ 0 (mod 5)

für ein a ∈ 0, . . . , 4 gelten. Ein einfacher Test schließt dies allerdings aus. Damitkann (3.15) für lineares g(X) nicht erfüllt sein.Es bleibt, den Fall g(X) = X2 + bX + c zu betrachten. Dann ist h(X) von der Form

h(X) = X2+eX+f mit e, f ∈ 0, . . . , 4. Gilt (3.15), so ergibt ein Koeffizientenvergleichzwischen beiden Seiten folgendes:

e+ b ≡ 15 ≡ 0 (mod 5),f + be+ c ≡ 0 (mod 5),bf + ce ≡ 0 (mod 5),cf ≡ 7 ≡ 2 (mod 5).

Es folgt der Reihe nach, jeweils modulo 5: e ≡ −b, (c + f) ≡ b2, (f − c) · b ≡ 0 undcf ≡ 2. Da 5 eine Primzahl ist, liefert die vorletzte Beziehung f ≡ c oder b ≡ 0. Imersten Falle folgt aus der letzten Gleichung f2 ≡ 2. Die einzigen Quadrate modulo 5 sindaber 0 ≡ 02, 1 ≡ 12 ≡ 42 und 4 ≡ 22 ≡ 32. Damit kann dieser Fall nicht eintreten. Imzweiten Falle, b ≡ 0, folgt aus der dritten Gleichung, daß c ≡ −f , also f2 ≡ −2 ≡ 3 ausder letzten Gleichung. Dies ist wieder unmöglich. Damit kann (3.15) nie erfüllt sein, esist f(X) also irreduzibel modulo 5.

Da wir Irreduzibilität modulo einer Primzahl p effektiv testen können, gibt uns diefolgende Proposition in Zusammenhang mit Folgerung 3.16 auf Seite 87 ein wichtigesKriterium für Irreduzibilität von Polynomen mit rationalen Koeffizienten an die Hand:

Proposition 3.23. Sei f(X) ein primitives Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten.Es existiere eine Primzahl p so, daß der führende Koeffizient von f(X) nicht durch pteilbar ist und daß f(X) modulo p irreduzibel ist. Dann ist f(X) als primitives Polynomüber den ganzen Zahlen irreduzibel.

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3.4. Irreduzibilität modulo einer Primzahl

Beweis. Sei f(X) = g(X) · h(X) für zwei ganzzahlige Polynome g(X) und h(X). Wirmüssen zeigen, daß g(X) oder h(X) eine Konstante ist. Sei a eine Inverse des führendenKoeffizienten von g(X) modulo p, und sei b eine Inverse des führenden Koeffizientenvon h(X) modulo p. Dann ist ag(X) modulo p kongruent zu einem normierten Polynomg(X) und bh(X) modulo p kongruent zu einem normierten Polynom h(X).Sei f(X) ein normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten, welches kongruent

zu abf(X) modulo p ist. Nach Voraussetzung ist f(X) modulo p irreduzibel. Es gilt

f(X) ≡ g(X) · h(X) (mod p).

Damit ist g(X) oder h(X) kongruent zu einer Konstanten modulo p. Betrachten wirzunächst den Fall, daß g(X) kongruent zu einer Konstanten modulo p ist. Damit istauch g(X) kongruent zu einer Konstanten modulo p und wir können g(X) = pk(X) + cschreiben, wobei c eine ganze Zahl ist. Da der höchste Koeffizient von g(X) nicht durchp teilbar ist, muß k(X) ein konstantes Polynom sein, das heißt g(X) ist selbst konstant.Der zweite Fall, daß h(X) kongruent zu einer Konstanten ist, impliziert analog, daß

h(X) konstant ist.

Beispiel 3.24. Dem Beispiel 3.22 auf der vorherigen Seite entnehmen wir, daß f(X) =X4 + 15X3 + 7 irreduzibel modulo 5 ist. Da der führende Koeffizient von f(X), nämlich1, nicht durch 5 teilbar ist, folgt mit Proposition 3.23 auf der vorherigen Seite, daß f(X)über den ganzen Zahlen ein irreduzibles Polynom ist. Aufgrund von Folgerung 3.16 aufSeite 87 ist f(X) damit auch über den rationalen Zahlen irreduzibel.Die Anwendung von Proposition 3.23 auf der vorherigen Seite hängt davon ab, ein

geeignetes n zu wählen. Betrachten wir etwa wieder f(X) = X4+15X3+7 und reduzierenmodulo n = 3. Dann haben wir

X4 + 15X3 + 7 ≡ X4 + 1 ≡ (X2 +X − 1) · (X2 −X − 1) (mod 3),

wie sich durch Ausmultiplizieren schnell nachweisen läßt. Es ist X4 +15X3 +7 also nichtirreduzibel modulo 3 (und trotzdem als Polynom über den ganzen Zahlen irreduzibel).Wir haben in diesem Abschnitt definiert, wann ein Polynom mit ganzzahligen Koef-

fizienten irreduzibel modulo einer Primzahl p ist. Da wir für jedes normierte Polynommit ganzzahligen Koeffizienten feststellen können, ob es modulo p irreduzibel ist odernicht, folgt wie im Falle von Polynomen über den rationalen Zahlen sofort die Existenzeiner Primfaktorzerlegung, das heißt: Für jedes normierte Polynom f(X) mit ganzzah-ligen Koeffizienten existieren normierte Polynome f1(X), . . . , fn(X) mit ganzzahligenKoeffizienten, so daß

f(X) ≡ f1(X) · · · fn(X) (mod p)

und die f1, . . . , fn allesamt modulo p irreduzibel sind. Wir können uns fragen, ob diesePrimfaktorzerlegung eindeutig (bis auf Reihenfolge der Faktoren) ist. Dabei können wirsicherlich nur Eindeutigkeit modulo p erwarten (denn wir können jeden Faktor fi(X)durch einen dazu modulo p kongruenten ersetzen). Und dann folgt die Eindeutigkeit wieim Falle von Polynomen mit rationalen Koeffizienten, also Proposition 3.9 auf Seite 82.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Im Beweis von Proposition 3.9 auf Seite 82 geht nämlich im wesentlichen zwei Dingeein: Zum einen die Aussage von Folgerung 3.11 auf Seite 83 ein, welche wir am Endevon Abschnitt 3.2 auf Seite 76 mittels Proposition 3.1 auf Seite 71 bewiesen haben undzum anderen die Kürzungsregel (2.3). Gehen wir die Beweise von Proposition 3.1 aufSeite 71 und (2.3) noch einmal durch, stellen wir fest, daß sie auch noch innerhalb derKongruenzarithmetik modulo p funktionieren. Dabei brauchen wir für den Beweis vonProposition 3.1 auf Seite 71 (und die zugrunde liegende Proposition 2.4 auf Seite 48über die Polynomdivision) die Tatsache, daß eine ganze Zahl n, welche nicht kongruent0 modulo p ist, eine Inverse modulo p besitzt, das heißt, daß wir modulo p durch ndividieren können.An dieser Stelle läßt sich auch erahnen, daß keine Eindeutigkeit einer wie auch im-

mer gearteten Primfaktorzerlegung zu erwarten ist, wenn wir modulo einer ganzen Zahlrechnen, welche keine Primzahl ist. Zum Beispiel ist

(X + 2) · (X + 3) ≡ X2 + 5X + 6 ≡ X2 + 5X ≡ X · (X + 5) (mod 6).

AufgabenAufgabe 3.4.1. Seien a, a′, b und b′ vier ganze Zahlen, so daß die Kongruenzen a ≡ a′

und b ≡ b′ modulo einer weiteren ganzen Zahl n gelten. Rechne explizit nach, daßa+ b ≡ a′ + b′ modulo n.Aufgabe 3.4.2. Sei a eine ganze Zahl mit a ≡ 1 modulo 3. Für welche Exponenten n istdann an ≡ 2 modulo 3?Aufgabe 3.4.3. Berechne zwei Inverse von 6 modulo 35.Aufgabe 3.4.4. Seien n eine nicht negative ganze Zahl und a eine ganze Zahl, welcheteilerfremd zu n ist. Seien b und b′ zwei ganze Zahlen mit ab ≡ ab′ ≡ 1 (mod n). Zeige,daß b ≡ b′ (mod n).Aufgabe 3.4.5. Sei f(X) ein normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Sei peine Primzahl, so daß f(X) modulo p nicht irreduzibel ist. Ist dann auch f(X) nichtirreduzibel?Aufgabe 3.4.6. Seien b0, . . . , bm ganze, von Null verschiedene Zahlen. Zeige, daß es nurendlich viele Polynome g(X) mit ganzzahligen Koeffizienten und deg g(X) ≤ m gibt, sodaß für alle i ∈ 0, . . . ,m die ganze Zahl g(i) ein Teiler von bi ist.Aufgabe 3.4.7. Sei f(X) ein primitives Polynom vom Grade n mit ganzzahligen Koeffi-zienten. Sei f(i) 6= 0 für alle ganzen Zahlen i mit 0 ≤ i ≤ n

2 .Sei

f(X) = g(X) · h(X) (3.16)

eine Faktorisierung, wobei g(X) und h(X) Polynome mit ganzzahligen Koeffizientensind. Ohne Einschränkung nehmen wir an, daß deg g(X) ≤ n

2 (ansonsten vertauschenwir beide Faktoren).Überlege, daß für alle ganzen Zahlen i mit 0 ≤ i ≤ n

2 die ganze Zahl g(i) ein Teilervon f(i) ist. Folgere daraus, daß nur endlich viele ganzzahlige Polynome g(X) mit (3.16)

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3.5. Der Grad algebraischer Elemente

existieren können. Leite daraus ein Verfahren festzustellen ab, ob f(X) über den ganzenZahlen irreduzibel ist oder nicht.Wie läßt sich dieses Verfahren auf alle primitiven Polynome vom Grade n mit ganz-

zahligen Koeffizienten ausdehnen?(Dieses Verfahren ist zuerst von Leopold Kronecker5 angegeben worden, der zuerst

auf die Notwendigkeit eines Verfahrens hinwies, die Irreduzibilität eines Polynoms mitganzzahligen Koeffizienten festzustellen.)

3.5. Der Grad algebraischer ElementeIm folgenden wollen wir ein Maß für die „Kompliziertheit“ einer algebraischen Zahl ent-wickeln. Nach Definition ist eine algebraische Zahl Nullstelle eines normierten Polynomsmit rationalen Koeffizienten. Eine naheliegende Möglichkeit ist es, die Kompliziertheiteiner algebraischen Zahl durch den Grad dieses normierten Polynoms zu messen. Einerationale Zahl a ist etwa Nullstelle von X − a, also eines Polynoms vom Grad 1. Auf deranderen Seite ist

√2 Nullstelle von X2 − 2, ein Polynom zweiten Grades, und

√2 +√

2ist Nullstelle von X4 − 4X2 + 2 = 0, ein Polynom vierten Grades. Wir könnten alsosagen,

√2 ist komplizierter als jede rationale Zahl und

√2 +√

2 wiederum komplizierterals√

2. Doch diese naive Definition hat eine Schwäche. So ist√

2 auch Nullstelle vonX6 − 2X4. Ist das Maß für die Kompliziertheit von

√2 jetzt 2 (weil

√2 Nullstelle ei-

nes Polynomes zweiten Grades ist) oder 6 (weil√

2 Nullstelle eines Polynomes sechstenGrades ist)? Offensichtlich müssen wir unter allen möglichen Polynomen, welche eine al-gebraische Zahl als Nullstelle haben, ein bestimmtes auswählen, bevor wir dessen Gradals Maß nehmen können. Dazu hilft folgende wichtige Proposition:

Proposition 3.25. Sei a eine algebraische Zahl. Dann existiert genau ein irreduziblesnormiertes Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten, welches a als Nullstelle besitzt.

Das eindeutig bestimmte Polynom f(X) heißt das Minimalpolynom von a über denrationalen Zahlen. Der Grad von f(X) heißt der Grad von a über den rationalen Zah-len. (Damit übernimmt der Grad einer algebraischen Zahl die Bedeutung der in deneinführenden Sätzen erwähnten Komplexität von a.) Wir schreiben

[Q(a) : Q]

für den Grad von a über den rationalen Zahlen.

Beweis von Proposition 3.25. Da a eine algebraische Zahl ist, existiert nach Definitionein Polynom g(X) mit rationalen Koeffizienten und g(a) = 0. Dieses Polynom besitzteine Zerlegung g(X) = g1(X) · · · gn(X) in irreduzible Polynome. Aus g(a) = 0 folgtg1(a) · · · gn(a) = 0. Damit muß auch einer der Faktoren verschwinden. Ohne Einschrän-kungen haben wir also g1(a) = 0. Setzen wir f(X) = g1(X), haben wir damit die Existenzeines irreduziblen normierten Polynoms gezeigt, welches a als Nullstelle besitzt.

5Leopold Kronecker, 1823–1891, deutscher Mathematiker

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Die Eindeutigkeit folgt, weil zwei irreduzible normierte Polynome mit einer gemeinsa-men Nullstelle, in diesem Falle a, übereinstimmen müssen (dies ist sofort aus Satz 3.10auf Seite 82 gefolgert).

Nach dem Abelschen Irreduzibilitätssatz ist das Minimalpolynom einer algebraischenZahl a also der gemeinsame Teiler aller normierten Polynome, welche a als Nullstel-le besitzen. Insbesondere ist das Minimalpolynom das Polynom kleinsten Grades mitrationalen Koeffizienten, welches a als Nullstelle besitzt. Nach Proposition 3.12 auf Sei-te 84 folgt weiter, daß das Minimalpolynom einer algebraischen Zahl über den rationalenZahlen immer separabel ist. Wie wir im zweiten Teil dieses Buches sehen werden, läßtsich diese Eigenschaft an den rationalen Zahlen festmachen, und zwar als sogenannteVollkommenheit der rationalen Zahlen.Kommen wir zu unseren Polynomen aus den einleitenden Sätzen zu diesem Abschnitt

zurück: Das Polynom X2 − 2 ist nach dem Eisensteinschen Kriterium, Proposition 3.18auf Seite 89, irreduzibel (wir betrachten die Primzahl 2). Damit ist X2−2 das Minimal-polynom von

√2 über den rationalen Zahlen. Folglich gilt

[Q(√

2) : Q] = 2.

Das Polynom X4 − 4X2 + 2 ist nach dem Eisensteinschen Kriterium ebenfalls irredu-zibel (wieder mit der Primzahl 2). Es ist damit auch Minimalpolynom seiner Nullstelle√

2 +√

2. Folglich ist [Q(√

2 +√

2)

: Q]

= 4.

Wir erinnern daran, daß eine algebraische Zahl a eine ganze algebraische Zahl heißt,wenn a Nullstelle eines normierten Polynomes g(X) mit ganzzahligen Koeffizienten ist.Sei f(X) das Minimalpolynom von a über den rationalen Zahlen. Insbesondere habenwir g(X) = f(X) · h(X), wobei h(X) ein weiteres normiertes Polynom mit rationalenKoeffizienten ist. Die Inhalte von f(X) und h(X) sind Inversen von ganzen Zahlenund ihr Produkt ist der Inhalt von g(X), also gleich Eins, da g(X) normiert und mitganzzahligen Koeffizienten ist. Folglich ist der Inhalt von f(X) (und von h(X)) ebenfallsgleich Eins, f(X) also ein normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Damiterhalten wir: Eine algebraische Zahl ist genau dann eine ganze algebraische Zahl, wenn ihrMinimalpolynom nur ganzzahlige Koeffizienten hat. Wir können also effektiv feststellen,ob eine gegebene algebraische Zahl eine ganze algebraische Zahl ist. Insbesondere könnenwir jetzt die Existenz nicht ganzer algebraischer Zahlen beweisen:Beispiel 3.26. Sei die komplexe Zahl a = 1

2 +√

3 gegeben. Es gilt 3 = (a− 12)2 = a2−a+ 1

4 .Damit ist a Nullstelle des normierten Polynoms

f(X) = X2 −X − 114 .

Das primitive Polynom f(X) = 4X2 − 4X − 11 ist irreduzibel (es hat zum Beispielmodulo 5 keine Nullstelle und ist damit modulo 5 irreduzibel), und damit ist auchf(X) irreduzibel. Folglich ist f(X) Minimalpolynom von a. Die komplexe Zahl a ist

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3.5. Der Grad algebraischer Elemente

damit eine algebraische Zahl vom Grad 2 über den rationalen Zahlen, welche keineganze algebraische Zahl ist, da f(X) nicht nur ganzzahlige Koeffizienten besitzt.Für den Grad einer algebraischen Zahl wollen eine wichtige Interpretation geben. Dazu

wiederholen wir den Begriff der linearen Abhängigkeit: Und zwar nennen wir komplexeZahlen x1, . . . , xn linear abhängig über den rationalen Zahlen, falls rationale Zahlen a1,. . . , an mit

n∑i=1

aixi = 0

existieren, so daß nicht alle a1, . . . , an gleichzeitig Null sind.

Proposition 3.27. Sei x eine algebraische Zahl. Der Grad von x über den rationalenZahlen ist die kleinste natürliche Zahl d, so daß 1, x, x2, . . . , xd über den rationalenZahlen linear abhängig sind.

Beweis. Sei n der Grad des Minimalpolynoms f(X) = Xn + an−1Xb−1 + · · ·+ a1X + a0

von x über den rationalen Zahlen. Da f(x) = 0 haben wir damit die nicht triviale lineareBeziehung

a0 + a1x+ · · ·+ an−1xn−1 + xn = 0

zwischen den Zahlen 1, x, x2, . . . , xn. Damit sind 1, x, x2, . . . , xn über den rationalenZahlen linear abhängig.Ist

b0 + b1x+ · · ·+ bd−1xd−1 + bdx

d = 0

eine weitere nicht triviale lineare Beziehung mit rationalen Koeffizienten b0, . . . , bd, sowählen wir zunächst d′ ≤ d, so daß bd′ 6= 0 und bj = 0 für d′ < j ≤ d. Damit hat dasnormierte Polynom

g(X) = Xd′ + bd′−1bd′

Xd′−1 + · · ·+ b1bd′X + b0

bd′

vom Grade d′ die algebraische Zahl x als Nullstelle. Folglich ist das Minimalpolynomf(X) von x ein Teiler von g(X), wir haben also n ≤ d′ ≤ d. Damit ist n die kleinstenatürliche Zahl, so daß 1, x, x2, . . . , xn über den rationalen Zahlen linear abhängigsind.

Ist n der Grad der algebraischen Zahl x, so können wir xn als rationale Linearkombina-tion von 1, x, x2, . . . , xn−1 darstellen, insbesondere als Linearkombination von Potenzenmit kleineren Exponenten. Multiplizieren wir diese Linearkombination mit xd, d einenatürliche Zahl, so sehen wir, daß wir auch xn+d als rationale Linearkombination vonPotenzen von x mit kleinerem Exponenten (als n + d) darstellen können. Indem wirin der erhaltenen Linearkombination xn+d−1 wiederum durch eine Linearkombinationvon Potenzen von x mit kleineren Exponenten ersetzen usw., erhalten wir schließlich dieDarstellung von xn+d als rationale Linearkombination von 1, x, x2, . . . , xn−1.Für eine algebraische Zahl x haben wir mit Q(x) = Q[x] die Menge der in x polynomi-

ellen Ausdrücke über den rationalen Zahlen bezeichnet, also die Menge der algebraischen

99

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Zahlen der Form amxm + am−1x

m−1 + · · · + a1x + a0, wobei die a0, . . . , am rationaleZahlen sind. Unsere Überlegungen eben ergeben, daß alle diese Zahlen rationale Line-arkombinationen von 1, x, x2, . . . , xn−1 sind. Auf der anderen Seite sind 1, x, x2, . . . ,xn−1 linear unabhängig. Wir können damit sagen, daß diese Elemente eine Basis vonQ(x) über den rationalen Zahlen bilden. Unsere Kenntnis aus Proposition 3.27 auf dervorherigen Seite läßt sich damit kurz in der Form

dimQQ(x) = [Q(x) : Q]

schreiben.

AufgabenAufgabe 3.5.1. Sei x eine algebraische Zahl. Zeige, daß x genau dann Grad 1 über denrationalen Zahlen besitzt, wenn x rational ist.Aufgabe 3.5.2. Gib eine algebraische Zahl vom Grad 7 über den rationalen Zahlen an.Aufgabe 3.5.3. Zeige, daß für jede positive natürliche Zahl n eine algebraische Zahl vomGrad n über den rationalen Zahlen existiert.Aufgabe 3.5.4. Seien x und y algebraische Zahlen, deren Grade über den rationalenZahlen n beziehungsweise m seien. Zeige, daß die Grade von x + y und xy höchstensn ·m sind.Aufgabe 3.5.5. Zeige, daß der goldene Schnitt

φ = 1 +√

52 (3.17)

eine ganze algebraische Zahl ist, obwohl in der Darstellung (3.17) Nenner vorkommen,welche sich nicht offensichtlich wegkürzen lassen.Aufgabe 3.5.6. Gib eine algebraische Zahl an, welche keine ganze algebraische Zahl ist.Aufgabe 3.5.7. Seien a und d zwei ganze Zahlen. Sei d positiv. Zeige, daß a +

√d eine

ganze algebraische Zahl ist und berechne ihren Grad in Abhängigkeit von a und d.Aufgabe 3.5.8. Sei die algebraische Zahl x =

√2 + 3√2 gegeben. Gib eine natürliche Zahl

n und eine verschwindende nicht triviale Linearkombination von 1, x, x2, . . . , xn mitrationalen Koeffizienten an.Aufgabe 3.5.9. Sei z Lösung der Gleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0,

wobei die a0, . . . , an−1 algebraische Zahlen sind. Gib eine obere Schranke für den Gradvon z in Termen von n und den Graden von a0, . . . , an−1 über den rationalen Zahlenan.Aufgabe 3.5.10. Sei x eine Lösung der Gleichung

X4 − 2X3 + 12X − 10 = 0.

Drücke x6 durch eine Linearkombination von 1, x, x2 und x3 mit rationalen Koeffizientenaus.

100

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3.6. Der Satz vom primitiven Element

Aufgabe 3.5.11. Sei f(X) = Xn + an−1Xn−1 + a1X + a0 das Minimalpolynom der alge-

braischen Zahl x über den rationalen Zahlen. Multiplikation mit x induziert eine lineareAbbildung

φ : Q(x)→ Q(x), y 7→ x · y.

Gib die Darstellungsmatrix A dieses Endomorphismus’ bezüglich der Basis 1, x, x2, . . . ,xn−1 von Q(x) über Q an. Zeige, daß f(X) das Minimalpolynom von A ist.

3.6. Der Satz vom primitiven Element

In Abschnitt 3.5 auf Seite 97 haben wir gesehen, daß das Minimalpolynom der algebrai-schen Zahl x =

√2 +√

2 über den rationalen Zahlen durch

f(X) = X4 − 4X2 + 2

gegeben ist, das heißt, f(X) ist das normierte Polynom kleinsten Grades mit rationalenKoeffizienten, welches die algebraische Zahl x als Nullstelle besitzt. Wenn wir neben denrationalen Zahlen allerdings noch

√2 (und alle rationalen Ausdrücke in

√2) zulassen,

so gibt es ein normiertes Polynom kleineren Grades, welches x als Nullstelle besitzt,nämlich

g(X) = X2 − 2−√

2. (3.18)

Wir können damit sagen, daß der Begriff des Minimalpolynoms ein offensichtlich „re-lativer“ Begriff ist, welcher von dem zugrundegelegten Koeffizientenbereich (rationaleZahlen oder rationale Zahlen in

√2) abhängt. In Abschnitt 3.5 auf Seite 97 haben wir

den Begriff des Minimalpolynoms über den rationalen Zahlen untersucht. Im folgendenwollen wir dies für allgemeinere Koeffizientenbereiche tun.Dazu wählen wir uns zunächst eine algebraische Zahl y wie etwa

√2. Koeffizienten, die

wir erlauben wollen, sollen in y rationale Zahlen sein. Da y algebraisch ist, läßt sich einesolche Zahl immer als Polynom in y mit rationalen Koeffizienten, also als ein Ausdruckder Form any

n + an−1yn−1 + · · ·+ a1y + a0 mit rationalen Zahlen a0, . . . , an schreiben.

Der erlaubte Koeffizientenbereich ist also Q(y) = Q[y]. Im Falle von y = 0 (oder jederbeliebigen anderen rationalen Zahl) kommen wir wieder auf den bisher betrachtetenKoeffizientenbereich der rationalen Zahlen. Der Kürze wegen vereinbaren wir folgendeSprechweise: Ein Polynom über y ist ein Polynom, dessen Koeffizienten allesamt Elementevon Q(y), also in y rationale Zahlen sind. Die Menge der Polynome über y können wirmit Q(y)[X] bezeichnen. Das Polynom g(X) aus (3.18) ist etwa ein Polynom über

√2.

Um die Überlegungen, die zum Minimalpolynom über den rationalen Zahlen geführthaben, nachzuvollziehen und auf den allgemeineren Koeffizientenbereich Q(y) auszudeh-nen, wiederholen wir einige Dinge in diesem algemeineren Kontext: Da der Bereich derin y rationalen Zahlen innerhalb der algebraischen Zahlen unter den Grundrechenar-ten abgeschlossen ist, läßt sich der Beweis von Proposition 3.1 auf Seite 71 direkt vonPolynomen mit algebraischen Koeffizienten auf Polynome über y übertragen, und wirerhalten:

101

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Proposition 3.28. Seien f(X) und g(X) zwei Polynome über y. Dann existiert einnormiertes Polynom d(X) über y (wobei wir d(X) = 0 ausdrücklich zulassen), welchessowohl f(X) und g(X) teilt und für das Polynome p(X) und q(X) über y mit

d(X) = p(X) · f(X) + q(X) · g(X)

existieren.

Wie im Falle von Polynomen mit rationalen Koeffizienten lassen sich aus Propositi-on 3.28 die folgenden Aussagen folgern: Sei

f(X) = f1(X) · f2(X) · · · fn(X),

wobei f(X), f2(X), . . . , fn(X) Polynome über y sind und f1(X) ein Polynom mitalgebraischen Koeffizienten ist. Dann ist auch f1(X) ein Polynom über y.Ist f(X) ein Polynom über y, und bezeichnen wir mit f0(X) das separable Polynom

mit denselben Nullstellen (ohne Vielfachheiten) wie f(X), so ist auch f0(X) ein Polynomüber y.Wir fahren mit der Ausdehnung einiger Definitionen auf Polynome über y fort: Sei

g(X) ein normiertes Polynom über y. Eine Zerlegung von g(X) über y ist ein Produktder Form g(X) = g1(X) · · · gm(X), wobei g1(X), . . . , gm(X) nicht konstante normiertePolynome über y sind. Ein Polynom g(X) über y heißt irreduzibel über y, falls es nurdie triviale Zerlegung g(X) = g(X) über y zuläßt. Das über den rationalen Zahlenirreduzible Polynom f(X) = X4 − 4X2 + 2 ist etwa über

√2 nicht irreduzibel, da es die

Zerlegungf(X) = (X2 − 2−

√2) · (X2 − 2 +

√2)

über√

2 zuläßt. Wir haben in Abschnitt 3.2 auf Seite 76 festgestellt, daß ein Polynomf(X) mit rationalen Koeffizienten genau dann über den rationalen Zahlen irreduzibelist, wenn es keine echte Auswahl xi1 , . . . , xik , 1 ≤ i1 < i2 · · · < ik ≤ n der Nullstellen(mit Vielfachheiten) von f(X) gibt, so daß die elementarsymmetrischen Funktionen

ej(xi1 , . . . , xik), 1 ≤ j ≤ k

ausgewertet in den xj allesamt rationale Zahlen sind. Die Überlegungen, die dorthin ge-führt haben, sind genauso für Polynome über y machbar, so daß ein normiertes Polynomg(X) genau dann über y irreduzibel ist, wenn es keine echte Auswahl der Nullstellen mitVielfachheiten von g(X) gibt, deren elementarsymmetrische Funktionen allesamt ratio-nal in y sind. Um daraus eine effektive Entscheidungsprozedur über die Irreduzibilitätvon Polynomen über y ableiten zu können, benötigen wir analog zum Falle von Poly-nomen über den rationalen Zahlen ein Verfahren, um festzustellen, ob eine gegebenealgebraische Zahl x in y rational ist.Diese Aufgabe wird im wesentlichen mit dem folgenden Satz vom primitiven Element

gelöst:

Satz 3.29. Seien x und y zwei algebraische Zahlen. Dann existiert eine algebraischeZahl z so, daß z in x und y rational ist und jeweils x und y rational in z sind.

102

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3.6. Der Satz vom primitiven Element

Die Aussage des Satzes ist also, daß eine algebraische Zahl z mit

Q(z) = Q(x, y)

existiert. Das Element z heißt ein primitives Element zu x und y. Die Aussage des Satzesläßt sich leicht auf mehr als zwei Elemente ausdehnen.

Q(z) = Q(x, y)

Q(x) Q(y)

Q

Abbildung 3.3.: Der Satz vom primitiven Element.

Der Verhältnis zwischen x, y und z veranschaulichen wir durch ein Diagramm wie inAbbildung 3.3. Der Linien im Diagramm stehen dabei für Erweiterungen von Koeffizi-entenbereichen: So ist jede rationale Zahl in x und auch in y rational. Weiter ist jede inx rationale Zahl eine in z rationale Zahl und jede in y rationale Zahl ist ebenfalls einein z rationale Zahl.

Beweis. Sei λ zunächst eine beliebige rationale Zahl. Wir machen den Ansatz

z = x+ λy.

Offensichtlich ist dann z in x und y rational. Wir müssen uns dann überlegen, für welcheWahlen von λ sich umgekehrt x und y durch z ausdrücken lassen. Dabei reicht es zuzeigen, daß y in z rational ist, weil wegen x = z − λy dann folgen würde, daß auch x inz rational ist.Sei f(X) das Minimalpolynom von x über den rationalen Zahlen und g(X) das Mini-

malpolynom von y über den rationalen Zahlen. Mit S wollen wir die Menge der rationalenZahlen der Form

x′ − xy − y′

bezeichnen, wobei x′ eine beliebige Nullstelle von f(X) und y′ eine von y verschiedeneNullstelle von g(X) ist.Wir behaupten, daß für alle rationalen Zahlen λ außerhalb von S die Zahl z primitiv

für x und y ist. Dazu betrachten wir das Polynom

h(X) = f(z − λX)

über z. Da x = z − λy nach Konstruktion von z gilt, besitzt h(X) die Zahl y alsNullstelle. Sei d(X) der größte gemeinsame Teiler von g(X) und h(X), welcher sich

103

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

mit dem euklidischen Algorithmus berechnen läßt. Die Koeffzienten von d(X) sind in zrationale Zahlen. Als gemeinsame Nullstelle von g(X) und h(X) ist y auch Nullstelle vond(X). Da g(X) als Minimalpolynom über den rationalen Zahlen separabel ist, sind dieNullstellen von g(X) paarweise verschieden. Damit sind auch die Nullstellen des Teilersd(X) paarweise verschieden.Angenommen, deg d(X) ≥ 2. Dann existiert folglich eine algebraische Zahl y′ 6= y

mit d(y′) = 0. Diese Zahl y′ ist also simultane Nullstelle von g(X) und h(X). Setzex′ := z − λy′. Dann ist f(x′) = f(z − λy′) = h(y′) = 0. Es ist also

x′ − xy − y′

= z − λy′ − xy − y′

= x+ λy − λy′ − xy − y′

= λ ∈ S,

ein Widerspruch zur Wahl von λ.Damit muß d(X) ein normiertes Polynom über z vom Grade 1 sein, also d(X) = X−a

mit einer in z rationalen Zahl a. Wegen d(y) = 0, folgt y = a, also ist y eine in z rationaleZahl.

Beispiel 3.30. Wir wollen ein primitives Element zu x =√

2 und y =√

3 konstruieren.Das Minimalpolynom von x über den rationalen Zahlen ist f(X) = X2 − 2; das Mini-malpolynom von y über den rationalen Zahlen ist g(X) = X2 − 3. Die Nullstellen vonf(X) sind

√2 und −

√2; die Nullstellen von g(X) sind

√3 und −

√3. Die im Beweis von

Satz 3.29 auf Seite 102 definierte Menge besteht in diesem Beispiel nur aus der Zahl 0(alle anderen infrage kommenden Koeffizienten sind irrational). Damit können wir zumBeispiel λ = 1 wählen und erhalten, daß

√2 +√

3 primitiv zu√

2 und√

3 ist.

Wie können wir den Satz vom primitiven Element nutzen, um festzustellen, ob einealgebraische Zahl x in y rational ist? Dazu wählen wir zunächst ein primitives Elementz zu x und y. Sowohl die in y rationalen Zahlen Q(y) als auch die in z rationalenZahlen besitzen Basen über den rationalen Zahlen, deren Längen durch die Grade deralgebraischen Zahlen y und z gegeben sind. Außerdem ist nach Konstruktion von z jedein y rationale Zahl eine in z rationale Zahl. Aufgrund der aus der Linearen Algebrabekannten Aussagen über die Länge von Basen muß damit in jedem Falle [Q(y) : Q] ≤[Q(z) : Q] gelten.Im Falle [Q(y) : Q] = [Q(z) : Q] haben die Basen dieselbe Länge, es gilt damit

Q(z) = Q(y). Da x eine in z rationale Zahl ist, ist damit auch x eine in y rationale Zahl.Im Falle [Q(y) : Q] < [Q(z) : Q] muß es in z rationale Zahlen geben, welche nicht in yrational sind. Und damit kann z keine in y rationale Zahl sein. Wegen z ∈ Q(x, y) kanndamit auch x keine in y rationale Zahl sein, denn sonst wäre Q(x, y) = Q(y).Folglich liefert ein einfacher Vergleich der Grade von y und z über den rationalen

Zahlen, ob x eine in y rationale Zahl ist oder nicht. Insbesondere kennen wir damit einVerfahren, die Irreduzibilität eines Polynoms über y festzustellen oder zu widerlegen.

Beispiel 3.31. Wir wollen feststellen, ob x =√

2 eine in y =√

3 rationale Zahl ist. Dazuschreiben wir zunächst das Minimalpolynom von y hin: Es ist g(X) = X2 − 3. Damithat y den Grad 2 über den rationalen Zahlen.

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3.6. Der Satz vom primitiven Element

Wir haben schon gesehen, daß z =√

2 +√

3 ein primitives Element zu x und y ist.Wir behaupten, daß

h(X) = X4 − 10X2 + 1 = 0

das Minimalpolynom von z über den rationalen Zahlen ist: Zunächst zeigt eine kur-ze Rechnung, daß x1 = z Nullstelle von h(X) ist. Die weiteren Nullstellen sind x2 =√

2−√

3, x3 = −√

2 +√

3 und x4 = −√

2−√

3. Eine Rechnung auf wenige Stellen nachdem Komma ergibt, daß es keine echte Auswahl der Nullstellen gibt, deren elementar-symmetrischen Funktionen alle ganzzahlig sind. Damit ist das primitive Polynom h(X)über den ganzen Zahlen irreduzibel und damit auch als Polynom über den rationalenZahlen.Da deg h(X) = 4, folgt, daß

4 = [Q(√

2 +√

3) : Q] > [Q(√

3) : Q] = 2.

Damit ist Q(√

2 +√

3) = Q(√

2,√

3) echt größer als Q(√

3), es ist also√

2 keine in√3 rationale Zahl, läßt sich also insbesondere nicht als Polynom in

√3 mit rationalen

Koeffizienten ausdrücken.Im Falle, daß der Koeffizientenbereich aus den rationalen Zahlen besteht, haben wir

aus der Existenz des Irreduzibilitätstests gefolgert, daß jedes Polynom mit rationalenKoeffizienten eine Primfaktorzerlegung über den rationalen Zahlen besitzt. Dasselbe giltfür Polynome über y. Die Eindeutigkeit dieser Zerlegung haben wir im Falle rationalerKoeffizienten aus dem Abelschen Irreduzibilitätssatz Satz 3.10 auf Seite 82 gefolgert,dessen Beweis sich wortwörtlich auf Polynome über y übertragen läßt. Das heißt, wirhaben:

Satz 3.32. Seien f(X) und g(X) zwei normierte Polynome über einer algebraischenZahl y, welche eine algebraische Zahl x als gemeinsame Nullstelle besitzen. Ist f(X)irreduzibel, so teilt f(X) das Polynom g(X).

Daraus folgern wir die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung von Polynomen über y:

Proposition 3.33. Seien f1(X), . . . , fn(X) und g1(X), . . . , gm(X) irreduzible nor-mierte Polynome über y, so daß

f1(X) · · · fn(X) = g1(X) · · · gm(X).

Dann stimmen die Faktoren f1(X), . . . , fn(X) mit den Faktoren g1(X), . . . , gm(X) mitVielfachheiten und bis auf Reihenfolge überein, das heißt, es ist m = n und es existierteine n-stellige Permutation σ mit gi(X) = fσ(i)(X) für alle i ∈ 1, . . . , n.

Beispiel 3.34. Das Polynom

f(X) = X3 − 2X2 +X − 2

besitzt über den rationalen Zahlen die Primfaktorzerlegung

f(X) = (X2 + 1) · (X − 2)

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

(die Gleichheit beider Seiten bestätigt sich durch Ausrechnen, außerdem sind beide Fak-toren irreduzibel). Da über i der erste Faktor in X2 + 1 = (X − i) · (X + i) zerfällt, istdie Primfaktorzerlegung von f(X) über i durch

f(X) = (X − i) · (X + i) · (X − 2)

gegeben. An diesem Beispiel läßt sich also gut demonstrieren, daß die Primfaktorzerle-gung eines Polynoms davon abhängt, welchen Koeffizientenbereich wir zulassen.Aus den obigen Verallgemeinerungen folgt analog zur Vorgehensweise wie in Ab-

schnitt 3.5 auf Seite 97:

Proposition 3.35. Sei x eine algebraische Zahl. Dann existiert genau ein über y irre-duzibles normiertes Polynom f(X) über y, welches x als Nullstelle besitzt.

Dieses eindeutig bestimmte Polynom f(X) nennen wir das Minimalpolynom von xüber y. Der Grad von f(X) heißt der Grad von x über y. Wir schreiben

[Q(x, y) : Q(y)]

für den Grad von x über y. Im Falle, daß y rational in x ist, also Q(x, y) = Q(x),schreiben wir auch

[Q(x) : Q(y)]

für den Grad von x über y. Wie im Falle rationaler Koeffizienten können wir zeigen, daßdas Minimalpolynom über y immer separabel ist.Kehren wir zu unserem Beispiel vom Anfang des Abschnittes zurück. Dort haben wir

festgestellt, daßg(X) = X2 − 2−

√2

ein Polynom über y =√

2 ist, welches x =√

2 +√

2 als Nullstelle besitzt. Wir behaup-ten, daß g(X) über

√2 irreduzibel ist. Wäre g(X) nicht irreduzibel, würde g(X) in zwei

Linearfaktoren über√

2 zerfallen, insbesondere wäre√

2 +√

2 eine in√

2 rationale Zahl.

Da√

2 = (√

2 +√

2)2 − 2, ist auch√

2 eine in√

2 +√

2 rationale Zahl. Wir hätten also

Q(√

2) = Q(√

2 +√

2). Das kann aber nicht sein, da die Dimension des linken Vektor-

raumes über den rationalen Zahl der Grad von√

2 über den rationalen Zahlen ist, also2, während die entsprechende Dimension der linken Seite der Grad von

√2 +√

2 überden rationalen Zahlen ist, welchen wir am Anfang des Abschnittes zu 4 bestimmt haben.Folglich muß g(X) irreduzibel über

√2 sein und ist damit das Minimalpolynom von√

2 +√

2 über√

2. Der Grad von√

2 +√

2 über√

2 ist also 2. Wir verdeutlichen diesdurch ein Diagramm wie in Abbildung 3.4 auf der nächsten Seite, wo die Zahlen nebenden Linien die relativen Grade angeben.Am Ende von Abschnitt 3.5 auf Seite 97 haben wir eine Interpretation des Grades

einer algebraischen Zahl x über den rationalen Zahlen gegeben, und zwar als Dimensionvon Q(x) über den rationalen Zahlen: So haben wir gesehen, daß 1, x, x2, . . . , xn−1

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3.6. Der Satz vom primitiven Element

Q(√

2 +√

2)

Q(√

2)

Q

4

2

2

Abbildung 3.4.: Relative Grade algebraischer Elemente.

eine Basis von Q(x) über Q ist, wenn n der Grad des Minimalpolynoms von x über denrationalen Zahlen ist. Dieselben Überlegungen bleiben richtig, wenn wir zur relativenSituation übergehen: Sei

g(X) = Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0

das Minimalpolynom von x über einer algebraischen Zahl y. Insbesondere sind die a0,. . . , an−1 in y rationale Zahlen, und n ist der Grad von x über y. Aus der Tatsache, daßg(X) als Polynom über y und mit Nullstelle x minimalen Grad hat, folgt, daß 1, x, x2,. . . , xn−1 über y linear unabhängig sind. Das heißt, gilt

b0 + b1x+ b2x2 + · · ·+ bn−1x

n−1 = 0

für in y rationale Zahlen b0, . . . , bn−1, so gilt schon b0 = b1 = · · · = bn−1 = 0. Sei z einebeliebige in x und y rationale Zahl, also ein beliebiges Element von Q(x, y) = Q[x, y].Dieses können wir in der Form

z =∑i,j

cijxiyj (3.19)

mit rationalen Koeffizienten cij schreiben. Aufgrund der Relation xn = −a0 − a1x −· · · − an−1x

n−1, welche aus g(x) = 0 folgt, können wir in (3.19) Potenzen von x miteinem Exponenten, welcher größer gleich n ist, durch Linearkombinationen von 1, x,x2, . . . , xn−1 ersetzen, deren Koeffizienten in y rational sind. Damit läßt sich z alsLinearkombination von 1, x, x2, . . . , xn−1 über y schreiben. Damit ist 1, x, x2, . . . , xn−1

ein linear unabhängiges Erzeugendensystem aller in x und y rationalen Zahlen über y,also eine Basis, deren Länge durch den Grad von x über y gegeben ist. Wir können dieseErkenntnis in Formeln durch

[Q(x, y) : Q(y)] = dimQ(y) Q(x, y)

fassen.

AufgabenAufgabe 3.6.1. Gib zwei komplexe Zahlen an, welche über den reellen Zahlen linearunabhängig, über den komplexen Zahlen allerdings linear abhängig sind.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Aufgabe 3.6.2. Sei x eine in√

3 rationale Zahl. Ist im allgemeinen dann auch eine Qua-dratwurzel aus x eine in

√3 rationale Zahl?

Aufgabe 3.6.3. Finde ein primitives Element zu i und 3√2.Aufgabe 3.6.4. Drücke

√2 und

√3 als Polynome in

√2+√

3 mit rationalen Koeffizientenaus.Aufgabe 3.6.5. Zeige mit elementaren Methoden direkt über den Ansatz

√2 = a+ b

√3

mit rationalen Zahlen a und b, daß√

2 keine in√

3 rationale Zahl ist.Aufgabe 3.6.6. Seien x1, . . . , xn algebraische Zahlen. Zeige, daß eine algebraische Zahlz existiert, welche in x1, . . . , xn rational ist und so daß jeweils x1, . . . , xn in z rationalist, daß also

Q(z) = Q(x1, . . . , xn).

Aufgabe 3.6.7. Sei f(X) ein Polynom rationalen Koeffizienten. Zeige, daß eine algebrai-sche Zahl y existiert, so daß f(X) über y vollständig in Linearfaktoren zerfällt.Aufgabe 3.6.8. Berechne den jeweils Grad von

√2 + i über den rationalen Zahlen, über√

2 und über i.Aufgabe 3.6.9. Gib ein Polynom mit rationalen Koeffizienten an, welches über den ra-tionalen Zahlen irreduzibel ist, über

√2 in zwei irreduzible Polynome zerfällt und über√

2 + i in vier irreduzible Polynome zerfällt.Aufgabe 3.6.10. Sei ζ eine Lösung der Polynomgleichung X4 + X3 + X2 + X + 1 = 0.Zeige, daß ζ eine in α := e

πi5 rationale Zahl ist, und gib eine Basis von Q(α) über Q(ζ)

an.

3.7. Die Gradformel und die Unmöglichkeit derWürfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Im diesem Abschnitt wollen wir die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse nutzen,um zu zeigen, daß sowohl die Aufgabe der Würfelverdoppelung und die der Winkeldrei-teilung nur mit Lineal und Zirkel eine unlösbare ist.Das Problem der Würfelverdoppelung ist das folgende in Abbildung 3.5 auf der näch-

sten Seite illustrierte: Gegeben die Seitenlänge eines Würfels, konstruiere nur mit Zirkelund Lineal die Seitenlänge eines Würfels mit doppeltem Volumen. Ist die Seitenlänge desvorgegebenen Würfels durch a gegeben, so ist sein Volumen bekanntlich durch a3 gege-ben. Nennen wir die Seitenlänge des zu konstruierenden Würfels b, so soll also b3 = 2a3

gelten. Diese Gleichung können wir nach b auflösen und erhalten

b = a3√2.

Wir nehmen wie schon bei der Untersuchung der Quadratur des Kreises eine Identi-fikation der Zahlenebene mit der Gaußschen Zahlenebene vor, und zwar so, daß dievorgegebene Strecke der Länge a in der Zeichenebene mit der Strecke von 0 nach 1 inder Gaußschen Zahlenebene zusammenfällt, daß also a = 1. Aufgabe ist es dann, mit

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3.7. Die Gradformel

a

b

Abbildung 3.5.: Verdopplung des Würfels

Zirkel und Lineal einen Punkt mit Abstand 3√2 vom Ursprung zu konstruieren. Wennwir dies könnten, könnten wir insbesondere auch einen solchen Punkt auf dem positivenTeil der reellen Achse konstruieren; die reelle Zahl 3√2 wäre also konstruierbar. Um dieUnmöglichkeit der Würfelverdoppelung beweisen zu können, reicht es also zu zeigen,daß 3√2 keine konstruierbare Zahl ist. Wäre 3√2 transzendent, wäre dies sofort klar, dakonstruierbare Zahlen nach Satz 1.13 auf Seite 32 algebraisch sind. Allerdings ist 3√2 alsLösung der Gleichung

X3 − 2 = 0

selbst eine algebraische Zahl, so daß hier kein so einfacher Beweis wie im Falle vonSatz 2.16 auf Seite 63 existiert (einfach im relativen Sinne, daß die Transzendenz von πbekannt ist!). Um zu beweisen, daß gewisse algebraische Zahlen nicht konstruierbar sind,müssen wir genauer auf die Charakterisierung konstruierbarer Zahlen nach Satz 1.13 aufSeite 32 schauen. Nach diesem Satz ist eine algebraische Zahl x genau dann konstruierbar,wenn es eine Folge algebraischer Zahlen x1, . . . , xn−1, xn = x gibt, so daß für allei ∈ 1, . . . , n die algebraische Zahl xi oder x2

i rational in x1, . . . , xi−1 ist.Aus dieser Beschreibung wollen wir folgern:

Hilfssatz 3.36. Sei x eine konstruierbare Zahl. Dann ist x eine algebraische Zahl, derenGrad über den rationalen Zahlen eine Zweierpotenz ist, also von der Form 2n, n ∈ N0.

Sobald wie Hilfssatz 3.36 bewiesen haben, haben wir das Problem der Unmöglichkeitder Würfelverdoppelung gelöst:

Satz 3.37. Die Verdoppelung des Würfels mit Zirkel und Lineal ist unmöglich.

Beweis von Satz 3.37. Wäre die Würfelverdopplung möglich, wäre 3√2 eine konstruier-bare Zahl. Der Grad von 3√2 über den rationalen Zahlen ist 3, da f(X) = X3 − 2 alsirreduzibles Polynom (zum Beispiel nach dem Eisensteinschen Kriterium mit p = 2) dasMinimalpolynom von 3√2 über den rationalen Zahlen ist. Es wäre also eine algebraischeZahl konstruierbar, deren Grad über den rationalen Zahlen keine Zweierpotenz ist, einWiderspruch zu Hilfssatz 3.36.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Um Hilfssatz 3.36 auf der vorherigen Seite beweisen zu können, benötigen wir folgen-den wichtigen Zusammenhang zwischen den Graden algebraischer Elemente, welcher imallgemeinen unter dem Namen „Gradformel“ bekannt ist:Satz 3.38. Sei x eine algebraische Zahl. Sei y eine weitere algebraische Zahl, welchein x rational ist (d.h. Q(x, y) = Q(x)). Für die Grade von x und y über den rationalenZahlen und den Grad von x über y gilt dann der Zusammenhang

[Q(x) : Q] = [Q(x) : Q(y)] · [Q(y) : Q]. (3.20)

Genauer gilt: Bilden u1, . . . , um eine Basis von Q(y) über Q und bilden v1, . . . , vneine Basis von Q(x) über Q(y), so bildet u1v1, . . . , umvn eine Basis von Q(x) über Q.Beweis. Da die Grade in (3.20) durch die Längen von Basen gegeben werden, reicht es,den zweiten Teil von Satz 3.38 zu beweisen.Sei z eine in x rationale Zahl. Nach Voraussetzung existieren in y rationale Zahlen b1,

. . . , bn mit

z =n∑j=1

bjvj . (3.21)

Weiter existieren rationale Zahlen a1j , . . . , amj mit

bj =m∑i=1

aijui

für alle j ∈ 1, . . . , n. Setzen wir (3.22) in (3.21) ein, erhalten wir

z =m∑i=1

n∑j=1

aijuivj . (3.22)

Folglich bilden die Produkte u1v1, . . . , umvn ein Erzeugendensystem über den rationalenZahlen für alle in x rationalen Zahlen.Es bleibt zu zeigen, daß u1v1, . . . , umvn linear unabhängig über den rationalen Zahlen

sind. Dazu machen wir den Ansatzm∑i=1

n∑j=1

aijuivj = 0 (3.23)

für rationale Zahlen a11, . . . , amn und müssen zeigen, daß a11 = · · · = amn = 0. Dazuschreiben wir (3.23) in der Form

n∑j=1

(m∑i=1

aijui

)vj = 0.

Da die v1, . . . , vn über den in y rationalen Zahlen linear unabhängig sind, folgtm∑i=1

aijui = 0

für alle j ∈ 1, . . . , n. Aus der linearen Unabhängigkeit von u1, . . . , um über denrationalen Zahlen folgt daraus schließlich aij = 0 für alle i ∈ 1, . . . ,m.

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3.7. Die Gradformel

Beispiel 3.39. Eine Anwendung der Gradformel ist, die Irreduzibilität von Polynomenfestzustellen, wie am folgenden Beispiel verdeutlicht werden soll: Sei

x = 3√

1 + i√

3.

Dann erfüllt x die Gleichung f(X) = 0 mit

f(X) = X6 − 2X3 + 4,

wie sich durch Einsetzen und Ausmultiplizieren bestätigen läßt. Da f(X + 1) = X6 +6X5 + 15X4 + 18X3 + 9X2 + 3 nach dem Eisensteinschen Kriterium (für die Primzahlp = 3) irreduzibel ist, ist auch f(X) irreduzibel über den rationalen Zahlen und damitMinimalpolynom von x über den rationalen Zahlen. Folglich ist [Q(x) : Q] = 6.Wir wollen das Minimalpolynom von x über y = i

√3 berechnen. Die algebraische Zahl

y selbst hat Grad 2 über den rationalen Zahlen, denn ihr Minimalpolynom ist X2 + 3.Zunächst stellen wir fest, daß

g(X) = X3 − 1− i√

3

ein Polynom über y ist, welches x als Nullstelle besitzt. Wir wollen die Gradformel nut-zen, um zu zeigen, daß dieses Polynom über y irreduzibel ist, also das Minimalpolynomvon x über y ist: Wäre g(X) nicht das Minimalpolynom, so gäbe ein Polynom kleinerenGrades über y, welches x als Nullstelle hat, wir hätten also [Q(x) : Q(y)] < 2. Auf deranderen Seite ist nach der Gradformel aber

[Q(x) : Q(y)] = [Q(x) : Q]/[Q(y) : Q] = 6/2 = 3,

Widerspruch.Die Gradformel impliziert unmittelbar:

Folgerung 3.40. Sei x eine algebraische Zahl. Sei y eine algebraische Zahl, welche in xrational ist. Dann ist der Grad von y über den rationalen Zahlen ein Teiler des Gradesvon x über den rationalen Zahlen.

Damit können wir schließlich den noch ausstehenden Beweis von Hilfssatz 3.36 aufSeite 109 führen, das heißt wir müssen zeigen, daß der Grad eines jeden konstruierbarenElementes x über den rationalen Zahlen eine Zweierpotenz ist.

Beweis von Hilfssatz 3.36 auf Seite 109. Aufgrund von Satz 1.13 auf Seite 32 existierenalgebraische Zahlen x1, . . . , xn−1, xn = x, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n das Element xioder sein Quadrat in x1, . . . , xi−1 rational ist. Sei zi ein primitives Element zu x1, . . . ,xi. Wir wollen per Induktion über i zeigen, daß der Grad von zi über den rationalenZahlen eine Zweierpotenz ist. Denn dann folgt Hilfssatz 3.36 auf Seite 109, da der Graddes in zn rationalen Elementes xn wegen Folgerung 3.40 ein Teiler des Grades von znist, also ebenfalls eine Zweierpotenz.

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

Der Induktionsanfang i = 0 ist trivial, denn z0 ist irgendeine rationale Zahl und hatdamit Grad 1, also eine Zweierpotenz, über den rationalen Zahlen. Für den Induktions-schritt auf ein i > 0 überlegen wir uns, daß zi ein in zi−1 und xi rationaler Ausdruckist. Da x2

i in jedem Falle ein in zi−1 rationaler Ausdruck ist, ist 1 und xi ein Erzeugen-densystem der in zi rationalen Zahlen über zi−1. Damit ist der Grad d von zi über zi−1entweder 1 oder 2. Nach Satz 3.38 auf Seite 110 ist

[Q(zi) : Q] = [Q(zi) : Q(zi−1)] · [Q(zi−1) : Q] = d · [Q(zi−1) : Q].

Nach Induktionsvoraussetzung ist der letzte Faktor eine Zweierpotenz. Damit ist auchder Grad von zi über den rationalen Zahlen eine Zweierpotenz.

Wir können die Konstruierbarkeit algebraischer Zahlen sofort ausschließen, wenn de-ren Grad keine Zweierpotenz ist. Der Umkehrschluß, daß jede algebraische Zahl, derenGrad eine Zweierpotenz ist, konstruierbar ist, ist allerdings falsch. Als Gegenbeispielbetrachten das Polynom

f(X) = X4 + 8X + 12.

Dieses normierte Polynom ist irreduzibel über den rationalen Zahlen, denn es ist irre-duzibel über den ganzen Zahlen, wie wir wie folgt sehen: Zunächst besitzt f(X) keineNullstelle, denn keiner der infrage kommenden Teiler von 12 ist Nullstelle, wie sich durchEinsetzen bestätigen läßt. Damit bleibt als mögliche Zerlegung nur noch eine der Form

f(X) = (X2 + aX + b) · (X2 + cX + d)

mit ganzen Zahlen a, b, c, d. Koeffizientenvergleich ergibt unter anderem a + c = 0,ac + b + d = 0 und bd = 12. Damit hätten wir c = −a, also wäre b + d = −ac = a2

eine Quadratzahl in den ganzen Zahlen. Für alle möglichen Wahlen von b und d, welchebd = 12 erfüllen, ist b+ d aber keine Quadratzahl.Sei x eine algebraische Zahl, welche Nullstelle von f(X) ist. Dann ist f(X) das Mi-

nimalpolynom von x über den rationalen Zahlen, also ist der Grad von x über denrationalen Zahlen durch 4, eine Zweierpotenz, gegeben. Wir behaupten dennoch, daß xkeine konstruierbare Zahl ist. Dazu nehmen wir an, x sei konstruierbar und wollen dieszu einem Widerspruch führen. Aus dem Beweis von Hilfssatz 3.36 auf Seite 109 folgt zu-nächst, daß eine algebraische Zahl y vom Grad 2 über den rationalen Zahlen existiert, sodaß das Minimalpolynom g(X) von x über y Grad 2 hat. Da y Nullstelle eines normier-ten Polynoms vom Grad 2 ist, ist nach der bekannten Lösungsformel für quadratischeGleichungen y ein rationaler Ausdruck in einer Quadratwurzel einer rationalen Zahl.Wir können ohne Einschränkung davon ausgehen, daß y selbst eine Quadratwurzel einerrationalen Zahl ist, etwa y2 = e mit e rational ist. Die Koeffizienten von g(X) und all-gemeiner die in y rationalen Zahlen sind alle von der Form a+ by mit rationalen Zahlena und b, da y Nullstelle einer normierten Polynoms vom Grade 2 über den rationalenZahlen ist. Das Minimalpolynom von x über y können wir daher als

g(X) = X2 + (a+ by)X + c+ dy

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3.7. Die Gradformel

ansetzen, wobei die a, b, c und d jeweils rationale Zahlen sind. Wir haben g(x) = 0.Bringen wir die in y linearen Terme auf eine Seite und quadrieren dann, so erhalten wirx4 + 2ax3 + (a2 + 2c)x2 + 2acx+ c2 = b2ex2 + 2bdex+ d2e, also

x4 + 2ax3 + (a2 + 2c− b2e)x2 + (2ac− 2bde)x+ c2 − d2e = 0.

Das Minimalpolynom von x über den rationalen Zahlen, also f(X), ist eindeutig, so daßwir durch Koeffizientenvergleich auf a = 0 und damit auf

2c− b2e = 0,−2bde = 8

undc2 − d2e = 12

schließen können. Da aufgrund der zweiten Beziehung sowohl b als auch d nicht ver-schwinden, ist z = −4 bd eine wohldefinierte invertierbare rationale Zahl. Es folgt e = z

b2 ,womit aus der ersten Beziehung 2c = z und aus der dritten c2 = 12 + d2e = 12 + 16z−1

folgen. Setzen wir 2c = z in die letzte Gleichheit ein, erhalten wir z2 = 4c2 = 48+64z−1,also

z3 − 48z − 64 = 0. (3.24)

Keiner der ganzzahligen Teiler von 64 ist Nullstelle von X3 − 48X − 64, damit kannaber kein rationales z existieren, welches (3.24) erfüllt, Widerspruch. Damit ist x keinekonstruierbare Zahl.

x

y

60

20

x 1

1

Abbildung 3.6.: Dreiteilung eines Winkels von 60.

Zum Schluß dieses Kapitels wollen wir noch kurz das Problem der Dreiteilung einesWinkels beschreiben und auch hierfür den Unmöglichkeitsbeweis geben, welcher ganzähnlich wie bei der Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung geführt wird. Das Problemder Winkeldreiteilung ist das folgende: Gegeben einen beliebigen Winkel α, konstruierenur mit Zirkel und Lineal einen Winkel β mit 3β = α. Die Unmöglichkeit der Win-keldreiteilung soll nicht heißen, daß kein einziger Winkel dreigeteilt werden kann — da

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3. Unmöglichkeit der Würfelverdoppelung und der Winkeldreiteilung

sich ein Winkel von 30 bekanntlich konstruieren läßt, läßt sich der Winkel von 90 of-fensichtlich dreiteilen — sondern daß es kein Verfahren gibt, welches für jeden Winkeleine Dreiteilung liefert. Um die Unmöglichkeit der Winkeldreiteilung zu beweisen, reichtes also, einen Winkel anzugeben, dessen Dreiteilung unmöglich ist. Wir wollen dies fürden Winkel α = 60 tun, welcher selbst nur mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist.Angenommen wir könnten β = α

3 = 20 wie in Abbildung 3.6 auf der vorherigen Seitekonstruieren. Dann wäre die Strecke x = cosβ durch das Fällen eines Lotes auch kon-struierbar und damit wäre y = 2x ebenfalls konstruierbar. Aus den Additionstheoremendes Kosinus folgt

cos 3β = 4 cos3 β − 3 cosβ.

Da cos 3β = cos 60 = 12 , erfüllt y also die kubische Gleichung

y3 − 3y − 1 = 0.

Das Polynom f(X) = X3 − 3X − 1 ist über den rationalen Zahlen irreduzibel, daf(X + 1) = X3 + 3X2− 3 nach dem Eisensteinschen Kriterium (für die Primzahl p = 3)irreduzibel ist. Damit ist f(X) das Minimalpolynom von y über den rationalen Zahlen,y hat also Grad 3 über den rationalen Zahlen. Folglich ist y keine konstruierbare Zahl.Wir haben also bewiesen:

Satz 3.41. Die Winkeldreiteilung ist mit Zirkel und Lineal unmöglich.

AufgabenAufgabe 3.7.1. Sei x eine algebraische Zahl, sei y eine algebraische Zahl, welche in xrational ist, und sei z eine algebraische Zahl, welche in y rational ist. Wie läßt sich derGrad von x über z aus dem Grad von x über y und dem Grad von y über z berechnen?Aufgabe 3.7.2. Sei x eine algebraische Zahl, sei y eine algebraische Zahl, welche in xrational ist, und sei z eine algebraische Zahl, welche in y rational ist. Zeige, daß derGrad von y über z ein Teiler des Grades von x über z ist.Aufgabe 3.7.3. Seien x, y und z drei algebraische Zahlen, so daß sowohl x als auch y inz rational sind und so daß y in z rational ist. Zeige, daß

[Q(z) : Q(x)] · [Q(x) : Q] = [Q(z) : Q(y)] · [Q(y) : Q],

und gib ein Diagramm zur Veranschaulichung an.Aufgabe 3.7.4. Sei x eine algebraische Zahl. Sei f(X) ein normiertes, nicht lineares Po-lynom mit rationalen Koeffizienten, welches irreduzibel über den rationalen Zahlen ist.Zeige unter der Annahme, daß der Grad von f(X) teilerfremd zum Grad von x über denrationalen Zahlen ist, daß keine in x rationale Zahl Nullstelle von f(X) ist.Aufgabe 3.7.5. Sei x eine algebraische Zahl. Sei y eine algebraische Zahl, welche in xrational ist. Sei f(X) ein normiertes, nicht lineares Polynom über y, welches über yirreduzibel ist. Zeige unter der Annahme, daß der Grad von f(X) teilerfremd zum Gradvon x über y ist, daß keine in x rationale Zahl Nullstelle von f(X) ist.

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3.7. Die Gradformel

Aufgabe 3.7.6. Ist die folgende Aussage richtig oder falsch?Seien x und y algebraische Zahlen, und sei z ein primitives Element zu x und y. Dann

ist der Grad von z über den rationalen Zahlen ein Teiler des Produktes der Grade vonx und y über den rationalen Zahlen.Aufgabe 3.7.7. Zeige, daß das Problem der Winkelvierteilung mit Zirkel und Lineal lösbarist.Aufgabe 3.7.8. Zeige, daß das Problem der Winkelfünfteilung mit Zirkel und Lineal nichtlösbar ist.Aufgabe 3.7.9. Zeige, daß die Konstruktion eines regelmäßigen Neunecks mit Zirkel undLineal unmöglich ist.Aufgabe 3.7.10. Sei α ein Winkel, so daß cosα eine konstruierbare Zahl ist. Zeige, daßα genau dann mit Zirkel und Lineal dreigeteilt werden kann, wenn das Polynom

f(X) = 4X3 − 3X + cosα

über cosα nicht irreduzibel ist.Aufgabe 3.7.11. Zeige, daß ein algebraische Zahl z genau dann konstruierbar ist, wenneine Folge 1 = z0, z1, . . . , zn−1, zn = z algebraischer Zahlen existiert, so daß für allei ∈ 1, . . . , n die Zahl zi−1 in zi rational ist und zi den Grad 2 über zi−1 hat.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßigern-Ecke

4.1. Galoissch KonjugierteSei x1 eine algebraische Zahl. Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, existiert genauein normiertes irreduzibles Polynom f(X) mit rationalen Koeffizienten, welches x1 alsNullstelle hat, nämlich das Minimalpolynom von x1. Dieses Polynom hat neben x1 inder Regel weitere Nullstellen, welche im übrigen alle paarweise verschieden sind, daMinimalpolynome über den rationalen Zahlen separabel sind. Nennen wir diese weiterenNullstellen x2, . . . , xn, das heißt, wir haben die Zerlegung

f(X) = (X − x1) · · · (X − xn)

über den algebraischen Zahlen. Da x1 sein Minimalpolynom eindeutig festlegt, sind diealgebraischen Zahlen x2, . . . , xn ebenfalls durch x1 determiniert, was es gerechtfertigterscheinen lassen sollte, ihnen einen eigenen Namen zu geben: Und zwar nennen wirx2, . . . , xn die galoissch Konjugierten von x1. Offensichtlich gibt es n − 1 Konjugierte,wenn x1 vom Grade n über den rationalen Zahlen ist. (Häufig zählen wir x1 selbstals galoissch Konjugiertes von x1, so daß wir in dieser Zählung auf genau n galoisschKonjugierte kommen.)Im Falle, daß x1 eine rationale Zahl ist, gibt es also keine galoissch Konjugierten. Im

Falle, daß x1 vom Grade 2 über den rationalen Zahlen ist, erfüllt x1 eine Gleichung derForm

X2 + pX + q = 0, (4.1)das heißt, wir haben x1 = 1

2(−p+ δ), wobei δ eine der Quadratwurzeln aus ∆ := p2− 4qist. Die algebraische Zahl x1 besitzt genau ein galoissch Konjugiertes, nämlich x2 =12(−p − δ), die andere Lösung von (4.1). Der Übergang zur galoissch Konjugierten ent-spricht hier also der Wahl der anderen Quadratwurzel in der bekannten Lösungsformelfür quadratische Gleichungen.Ist z = a+ b i eine komplexe Zahl mit Realteil a und Imaginärteil b, so ist ihr komplex

Konjuiertes bekanntlich durch z = a−b i gegeben. Wir können die komplexe Konjugationauch als galoissche Konjugation auffassen, jedenfalls für den Fall, daß a und b beidesrationale Zahlen sind: Und zwar sind z = a + b i und z = a − b i beides Nullstellen desnormierten Polynoms

f(X) = (X − z) · (X − z) = (X − a− b i) · (X − a+ b i) = X2 − 2aX + a2 + b2

mit rationalen Koeffizienten. Ist z keine rationale Zahl, also b 6= 0, so besitzt f(X) in denrationalen Zahlen keine Nullstelle, ist als Polynom zweiten Grades also damit irreduzibel.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Folglich ist f(X) das Minimalpolynom von z und die komplex Konjugierte z ist auchgaloissch Konjugierte von z.Beispiel 4.1. Betrachten wir schließlich ein etwas komplizierteres Beispiel für galoisschKonjugierte. Die komplexe Zahl x1 =

√2 +√

3 ist algebraisch, da sie Nullstelle desPolynoms

f(X) = X4 − 10X2 + 1

ist. Wie wir in Beispiel 3.31 auf Seite 105 gesehen haben, ist f(X) irreduzibel, alsodas Minimalpolynom vom x1 über den rationalen Zahlen. Damit besitzt x1 drei weiteregaloissch Konjugierte, die übrigen Nullstellen von f(X). Diese ergeben sich zu

x2 =√

2−√

3, x3 = −√

2 +√

3, x4 = −√

2−√

3, (4.2)

wovon sich ein jeder leicht durch Einsetzen in f(X) überzeugen lassen kann.Die Reihenfolge der übrigen Nullstellen, die wir in (4.2) gewählt haben, ist zunächst

eine willkürliche Reihenfolge gewesen. Wir hätten zum Beispiel auch −√

2 +√

3 alsx2 und

√2 −√

3 als x3 nehmen können. Diese Beobachtung, so banal sie im Momentauch erscheinen mag, ist eine ungemein wichtige, lenkt sie doch die Aufmerksamkeitauf die Frage, ob irgendwelche Beziehungen zwischen den Nullstellen eines Polynomsexistieren (und welche dann zum Beispiel doch eine bestimmte Reihenfolge nahelegenkönnen). Dieser Frage, also der Frage nach Symmetrien unter den Nullstellen, gehen wirim nächsten Abschnitt nach. Wir präsentieren dort den entscheidenden Fortschritt derTheorie Galois’ gegenüber denen seiner Vorgänger oder Zeitgenossen.Im folgenden wollen wir einige wichtige Aussagen über galoissch Konjugierte formu-

lieren, welche wir später gebrauchen werden. Sei dazu t eine algebraische Zahl.

Proposition 4.2. Ist t′ ein galoissch Konjugiertes zu t und ist f(X) ein Polynom mitrationalen Koeffizienten, welches t als Nullstelle hat, so hat es auch t′ als Nullstelle.

Diese Proposition können wir auch so interpretieren, daß wir galoissch Konjugiertevermöge Polynomgleichungen mit rationalen Koeffizienten nicht auseinanderhalten kön-nen.

Beweis. Sei g(X) das Minimalpolynom von t über den rationalen Zahlen, das heißt g(X)ist irreduzibel und g(t) = 0. Nach Satz 3.10 auf Seite 82 ist f(X) ein Vielfaches von g(X),also f(X) = g(X)h(X) für ein weiteres Polynom h(X). Als galoissch Konjugiertes t′ vont erfüllt t′ die Gleichung g(t′) = 0, also f(t′) = g(t′) · h(t′) = 0 · h(t′) = 0.

Hilfssatz 4.3. Seien x1, . . . , xn die Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynomglei-chung mit rationalen Koeffizienten. Ist dann V (X1, . . . , Xn) ein Polynom mit rationalenKoeffizienten, so sind die galoissch Konjugierten von t = V (x1, . . . , xn) alle von derForm t′ = V (xσ(1), . . . , xσ(n)), wobei σ eine n-stellige Permutation ist.

Beweis. Seih(X) :=

∏σ∈Sn

(X − V (xσ(1), . . . , xσ(n))),

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4.1. Galoissch Konjugierte

wobei das Produkt über alle n-stelligen Permutationen läuft. Die Koeffizienten diesesPolynoms sind symmetrische Funktionen in den Lösungen x1, . . . , xn einer Polynom-gleichung mit rationalen Koeffizienten, nach Satz 2.11 auf Seite 55 also Polynome in denKoeffizienten dieser Gleichung, also rationale Zahlen.Der Faktor von h(X), der zur identischen Permutation ( 1 2 ... n

1 2 ... n ) gehört, ist der FaktorX − V (x1, . . . , xn) = X − t. Damit ist t Nullstelle von h(X). Da h(X) ein Polynommit rationalen Koeffizienten ist, können wir Proposition 4.2 auf der vorherigen Seiteanwenden und erhalten, daß damit auch ein galoissch Konjugiertes t′ von t Nullstellevon h(X) ist. Damit muß t′ Nullstelle eines Faktors von h(X) sein, also eines Faktorsder Form X − V (xσ(1), . . . , xσ(n)). Folglich ist t′ = V (xσ(1), . . . , xσ(n)).

Mit Hilfe dieses Hilfssatzes können wir schließen, daß galoissch Konjugierte primitiverElemente wieder primitive Elemente sind. Genauer:

Proposition 4.4. Seien x1, . . . , xn die Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynom-gleichung mit rationalen Koeffizienten. Ist dann t ein primitives Element zu x1, . . . , xn,so ist auch jedes galoissch Konjugierte t′ von t ein primitives Element von x1, . . . , xn.

Beweis. Als primitives Element zu x1, . . . , xn ist t von der Form t = V (x1, . . . , xn),wobei V (X1, . . . , Xn) ein Polynom mit rationalen Koeffizienten ist. Nach Hilfssatz 4.3auf der vorherigen Seite ist t′ = V (xσ(1), . . . , xσ(n)) für eine n-stellige Permutation σ.Da x1, . . . , xn in t rational sind, ist insbesondere t′ ein Polynom in t mit rationalenKoeffizienten, also auch in t rational. Es folgt, daß jede in t′ rationale Zahl auch eine int rationale Zahl ist. Da aber der Grad von t und t′ über den rationalen Zahl der Gradein- und desselben Minimalpolynoms ist, kann es nicht mehr in t rationale Zahlen als int′ rationale Zahlen geben. Folglich ist jede in t rationale Zahl auch in t′ rational. Damitist t′ ebenfalls primitives Element zu x1, . . . , xn.

AufgabenAufgabe 4.1.1. Gib zwei algebraische Zahlen an, die nicht zueinander galoissch konjugiertsind.

Aufgabe 4.1.2. Sei t eine algebraische Zahl. Begründe warum das Produkt von t mit allenseinen galoissch Konjugierten eine rationale Zahl ist. Wie ist es mit der Summe?

Aufgabe 4.1.3. Seien f(X) und g(X) die Minimalpolynome zweier algebraischer Zahlenx und y. Zeige, daß x und y genau dann konjugiert sind, wenn der größte gemeinsameTeiler von f(X) und g(X) ein nicht konstantes Polynom ist.

Aufgabe 4.1.4. Seien x, y und z drei algebraische Zahlen. Seien x galoissch konjugiert zuy und y galoissch konjugiert zu z. Zeige, daß x galoissch konjugiert zu z ist.

Aufgabe 4.1.5. Wieviele galoissch Konjugierte hat x1 = 3√

1 +√

2?

Aufgabe 4.1.6. Seien p und q zwei verschiedene Primzahlen. Berechnen Sie die galoisschKonjugierten von √p+√q.

119

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Aufgabe 4.1.7. Zeige, daß Proposition 4.2 auf Seite 118 die galoissch Konjugierten eineralgebraischen Zahl t charakterisiert, das heißt, eine algebraische Zahl t′ ist genau eingaloissch Konjugiertes zu t (der Fall t′ = t ist hier eingeschlossen), wenn jedes Polynomf(X) mit rationalen Koeffizienten, welches t als Nullstelle hat, auch t′ als Nullstelle hat.

Aufgabe 4.1.8. Sei f(X) ein Polynom mit rationalen Koeffizienten. Sei x := f(t), wobei teine algebraische Zahl ist. Seien t′ eine weitere algebraische Zahl und x′ := f(t′). ZeigenSie, daß x und x′ galoissch konjugiert sind, wenn t und t′ galoissch konjugiert sind.

Aufgabe 4.1.9. Zeige an einem Beispiel, daß Hilfssatz 4.3 auf Seite 118 falsch wird, wennx1, . . . , xn nicht als Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynomgleichung mit ratio-nalen Koeffizienten vorausgesetzt werden, sondern beliebige algebraische Zahlen seinkönnen.

Aufgabe 4.1.10. Zeige an einem Beispiel, daß Proposition 4.4 auf der vorherigen Seitefalsch wird, wenn x1, . . . , xn nicht als Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynomglei-chung mit rationalen Koeffizienten vorausgesetzt werden, sondern beliebige algebraischeZahlen sein können.

4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

Im letzten Abschnitt haben wir die galoissch Konjugierten x2, . . . , xn einer anfangs ge-wählten algebraischen Zahl x1 betrachtet. Im folgenden wollen wir die spezielle Rolleder algebraischen Zahl x1 beseitigen und betrachten einfach irgendein Polynom f(X)über den rationalen Zahlen und fragen nach Symmetrien zwischen den Nullstellen. (Aufdie obigen Überlegungen kommen wir zurück, indem wir als f(X) das Minimalpolynomeiner vorher gegebenen algebraischen Zahl wählen.) Damit wir die einzelnen Nullstellenaber voneinander unterscheiden können, das heißt also, daß wir die Möglichkeit mehr-facher Nullstellen nicht beachten müssen, schränken wir uns im folgenden aber auf denFall ein, daß f(X) ein separables Polynom ist. (Viele der folgenden Aussagen sind fürnicht separable Polynom auch einfach schlicht falsch.)

x1 x2

Abbildung 4.1.: Eine Linie in der Ebene.

Bevor wir die Nullstellen eines separables Polynoms auf Symmetrien genauer unter-suchen, wollen wir zunächst eine Anschauung für Symmetrien anhand der ebenen undräumlichen euklidischen Geometrie entwickeln. Betrachten wir etwa die ebene Linie inAbbildung 4.1. Unter einer Symmetrie dieser Linie wollen wir eine Bewegung der Ebe-ne (Drehung, Verschiebung) verstehen, welche die Linie wieder in sich überführt. Einesolche Bewegung ist schon durch die Bewegung der beiden Endpunkte x1 und x2 der Li-nie in Abbildung 4.1 festgelegt. Eine Symmetrie der Linie fällt sofort ins Auge, nämlichdiejenige, welche die Linie um 180 dreht, so daß die beiden Endpunkte ihre Position

120

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4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

vertauschen. Diese Symmetrie läßt sich als

x1 7→ x2,

x2 7→ x1

notieren. Mithilfe von Permutationen können wir dies noch kürzer schreiben. Ist nämlich

σ =(

1 22 1

),

so ist die Symmetrie der Linie, welche die beiden Endpunkte vertauscht, durch

xi 7→ xσ(i), i ∈ 1, 2

gegeben. Die Bewegung der Linie, welche so durch σ definiert wird, nennen wir die Ope-ration von σ auf der Linie. Etwas prägnanter werden wir einfach sagen, die Permutationσ sei eine Symmetrie der Linie. Da jede Symmetrie der Linie durch eine Permutation derEndpunkte x1 und x2 gegeben ist, können wir jede Symmetrie der Linie mit einer ge-wissen 2-stelligen Permutation identifizieren. Welche weiteren 2-stelligen Permutationenneben σ gibt es noch? Nur noch eine, nämlich die sogenannte identische Permutation

id =(

1 21 2

).

Diese entspricht der trivialen Permutation der Endpunkte der Linie, nämlich derjenigen,welche x1 und x2 festhält. Die dazu gehörende Bewegung ist die triviale, welche garnichts bewegt und damit insbesondere auch eine Symmetrie der Linie ist. Wir erhaltenalso, daß alle (d.h. beide) 2-stelligen Permutationen Symmetrien der Linie in Abbil-dung 4.1 auf der vorherigen Seite sind. Diese Gesamtheit der Permutationen nennen wirdie Symmetriegruppe G der Linie und schreiben dafür

G =(1 2

1 2

),

(1 22 1

).

Wir sagen auch, die Symmetriegruppe der Linie sei die volle symmetrische Gruppe S2.

x1 x2

x3

Abbildung 4.2.: Ein gleichseitiges Dreiecks in der Ebene.

121

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Als nächstes wollen wir die Symmetrien eines ebenen gleichseitigen Dreiecks wie inAbbildung 4.2 auf der vorherigen Seite studieren. Eine Bewegung des Dreiecks, welchedas Dreieck wieder auf sich abbildet, ist wieder durch die induzierte Permutation seinerEcken gegeben, das heißt wir müssen alle 3-stelligen Permutationen daraufhin untersu-chen, ob sie Symmetrien des gleichseitigen Dreiecks sind. Die 3-stellige symmetrischeGruppe S3 besitzt genau 6 Elemente, das heißt es gibt genau sechs 3-stellige Permuta-tionen, und zwar:(

1 2 31 2 3

),

(1 2 32 3 1

),

(1 2 33 1 2

),

(1 2 32 1 3

),

(1 2 31 3 2,

)(1 2 33 2 1

). (4.3)

Durch Bewegungen in der Ebene, nämlich Drehung um 0, 120 und 240 um den Mit-telpunkt des Dreiecks können die ersten drei Permutationen in der Aufstellung (4.3)realisiert werden. Die übrigen drei Permutationen entsprechen Vertauschungen zweierEckpunkte des Dreicks bei Festhalten des dritten. Da dies mit einem Orientierungswech-sel einherginge, können solche Permutationen nicht von Drehungen oder Verschiebungen,also von Bewegungen der euklidischen Ebene stammen. Damit sind die letzten drei Per-mutationen in (4.3) keine Symmetrien des Dreiecks in Abbildung 4.2 auf der vorherigenSeite. Wir haben seine Symmetriegruppe G damit zu

G =(1 2 3

1 2 3

),

(1 2 32 3 1

),

(1 2 33 1 2

)(4.4)

bestimmt, welche nicht die volle symmetrische Gruppe S3 ist. Die Symmetriegruppe Ghat zwei spezielle Namen, die wir noch kurz beschreiben wollen. Zunächst rufen wir unsden Begriff des Signums sgn σ einer Permutation σ ins Gedächtnis zurück: Und zwar istein Fehlstand einer Permutation σ ein Paar (i, j) natürlicher Zahlen mit 1 ≤ i < j ≤ nund σ(i) > σ(j) (das heißt also, σ vertauscht die relative Reihenfolge von i und j). Dannsetzen wir

sgn σ :=

1, falls σ eine gerade Anzahl an Fehlständen, und−1, falls σ eine ungerade Anzahl an Fehlständen hat.

Eine Permutation mit sgn σ = 1 heißt eine gerade Permutation, eine Permutation mitsgn σ = −1 heißt eine ungerade Permutation. Wenden wir diese Begriffe auf die Sym-metriegruppe G des gleichseitigen Dreiecks an, so sehen wir, daß die Symmetrien genauaus den geraden Permutationen in S3 bestehen. Die Gesamtheit aller geraden Permu-tationen innerhalb der symmetrischen Gruppe Sn der n-stelligen Permutationen wirdmit dem Symbol An bezeichnet und alternierende Gruppe genannt. Wir können damitsagen, daß die Symmetriegruppe des gleichseitigen Dreiecks in Abbildung 4.2 auf dervorherigen Seite durch die alternierende Gruppe A3 gegeben wird.An die Symmetriegruppe des gleichseitigen Dreiecks können wir noch von einer an-

deren Seite herangehen: Für jede Zahl k ∈ 0, . . . , n − 1 definieren wir eine n-stelligePermutation σk durch

σ : i 7→i+ k, falls i+ k ≤ n undi+ k − n, falls i+ k > n.

122

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4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

1

2

3

45

6

7

Abbildung 4.3.: Die zyklische Permutation σ2 ∈ S7

Diese n Permutationen σ0, . . . , σn−1 fassen wir zur sogenannten zyklischen Gruppe Cn

zusammen. (In Abbildung 4.3 haben wir σ2 im Falle n = 7 veranschaulicht.) Im Fallevon n = 3 besteht C3 genau aus den drei Elementen, die in (4.4) die Symmetriegruppedes Dreieckes bilden, wir haben also insbesondere C3 = A3.An dieser Stelle bietet es sich an, auf eine weitere Notation für Permutationen einzu-

gehen. Und zwar schreiben wir die Permutation σ2 ∈ S7 aus Abbildung 4.3 auch in derForm

σ2 = (1, 3, 5, 7, 2, 4, 6).Die Notation auf der rechten Seite bedeutet, daß 1 auf 3, daß 3 auf 5, usw. und schließlich4 auf 6 und 6 auf 1 abgebildet wird. Diese sogenannte Zykelnotation ist auch für weiterePermutationen nützlich: So ist zum Beispiel (1, 2, 3) ∈ S4 diejenige 4-stellige Permutati-on, welche 1 auf 2, 2 auf 3, 3 auf 1 und schließlich 4 auf sich selbst abbildet. Ein anderesBeispiel ist (3, 6) ∈ Sn. Dies ist eine Permutation, welche 3 auf 6, 6 auf 3 und die übrigenElemente auf sich selbst abbildet.Zur weiteren Veranschaulichung betrachten wir noch zwei weitere Beispiele:

x1 x2

x3x4

Abbildung 4.4.: Ein Quadrat in der Ebene.

123

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Beispiel 4.5. Betrachten wir das ebene Quadrat in Abbildung 4.4 auf der vorherigenSeite, so erkennen wir nach einigem Nachdenken, daß die einzigen Symmetrien des Qua-drates die Drehungen um 0, 90, 180 und 270 um den Mittelpunkt sind. Damit bildengenau die Permutationen

G =(

1 2 3 41 2 3 4

),

(1 2 3 42 3 4 1

),

(1 2 3 43 4 1 2

),

(1 2 3 44 1 2 3

)

die Symmetriegruppe des ebenen Quadrates. Da offensichtlich G = C4 ist, ist die Sym-metriegruppe des Quadrates eine zyklische Gruppe.

x1

x2

x3

x4

Abbildung 4.5.: Ein Tetraeder.

Beispiel 4.6. Das letzte Beispiel ist ein räumliches, der Tetraeder in Abbildung 4.5.Symmetrien des Tetraeders sind Bewegungen des euklidischen Raumes, welche den Te-traeder wieder auf den Tetraeder abbilden. Eine solche Bewegung ist durch die indu-zierte Permutation der vier Eckpunkte x1, . . . , x4 eindeutig bestimmt, so daß wir dieSymmetriegruppe des Tetraeders wieder durch Permutationen angeben können. Alle 4-stelligen Permutationen kommen sicherlich nicht infrage. Jede ungerade Permutation,etwa, welche zwei Ecken vertauscht und die anderen beiden fixiert entspräche einer Ori-entierungsumkehr des Tetraeders, kann also nicht durch eine Bewegung induziert werden.Dasselbe gilt für alle weiteren ungeraden Permutationen. Im Gegensatz dazu läßt sichexplizit zeigen, daß sich jede der zwölf geraden 4-stelligen Permutationen als Symmetriedes Tetraeders realisieren läßt — wir überlassen das Durchgehen der ganzen Permu-tationen an dieser Stelle allerdings dem Leser. Es folgt, daß die Symmetriegruppe desTetraeders in Abbildung 4.5 die alternierende Gruppe A4 ist.Die Symmetriegruppen aller obigen Beispiele aus der ebenen und räumlichen Geome-

trie haben folgende gemeinsame Eigenschaften: Die identische Symmetrie (die, die deridentischen Permutation entspricht) ist jeweils Element der Symmetriegruppen. Sind σund τ Symmetrien, so ist auch die Hintereinanderausführung von σ und τ wieder eineSymmetrie. Jede Symmetrie ist eine umkehrbare Operation, und die Umkehrung einerSymmetrie ist wieder eine Symmetrie.Im Formalismus der n-stelligen Permutationen definieren wir: Sind σ und τ zwei n-

stellige Permutationen, so sei τ σ die Komposition von σ und τ , das heißt diejenigen-stellige Permutation, welche i ∈ 1, . . . , n auf τ(σ(i)) abbildet. Weiter sei σ−1 die

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4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

inverse Permutation zu σ, das heißt die eindeutige Permutation mit σ−1 σ = id, wobeiid die identische n-stellige Permutation bezeichnet. Dann können wir formulieren:

Definition 4.7. Sei n eine natürliche Zahl. Seien σ1, . . . , σm paarweise verschiedenen-stelligen Permutationen. Dann heißt G := σ1, . . . , σm eine endliche Untergruppe dersymmetrischen Gruppe Sn, wenn id ∈ G und wenn τ σ ∈ G und σ−1 ∈ G für alleσ, τ ∈ G.

In diesem Sinne sind die Symmetriegruppen der betrachteten ebenen und räumlichenFiguren allesamt Untergruppen entsprechender symmetrischer Gruppen.Was haben die Symmetrien von Linie, Dreieck, Quadrat und Tetraeder mit den Null-

stellen eines separablen Polynoms f(X) mit rationalen Koeffizienten zu tun? Wie dieBenennung der Ecken in den geometrischen Beispielen nahelegt, sollen diese Ecken denNullstellen entsprechen. Im Falle der geometrischen Figuren haben wir Permutationender Ecken betrachtet. Jetzt wollen wir Permutationen der Nullstellen betrachten. Imgeometrischen Falle haben wir eine Permutation eine Symmetrie genannt, wenn sie dieGeometrie der Figur erhält (das heißt von einer Bewegung stammt). Was muß einePermutation von Nullstellen eines separablen Polynoms f(X) erhalten, damit wir siesinnvoll eine Symmetrie der Nullstellen nennen können?Dazu führen wir folgende Bezeichnung ein: Seien x1, . . . , xn algebraische Zahlen.

Eine algebraische Relation zwischen x1, . . . , xn (über den rationalen Zahlen) ist eineGleichheit der Form

H(x1, . . . , xn) = 0,

wobei H(X1, . . . , Xn) ein Polynom mit rationalen Koeffizienten ist. So ist zum BeispielH(x1, x2, x3) = 0 für H(X1, X2, X3) = X1X2 −X3 eine algebraische Relation zwischen√

2,√

3 und√

6. Vertauschen wir die gegebenen algebraischen Zahlen untereinander, sobleiben algebraische Relationen in der Regel nicht erhalten. Im unserem Beispiel mit

√2,√

3 und√

6 ist zwar H(√

3,√

2,√

6) = 0 noch eine weitere algebraische Relation, nichtaber H(

√6,√

2,√

3) = 0 (dies ist nämlich eine falsche Aussage).Mit Hilfe des Begriffs der algebraischen Relation zwischen den Nullstellen x1, . . . , xn

eines normierten separablen Polynoms f(X) (mit rationalen Koeffizienten) können wirdefinieren: Eine Symmetrie der Nullstellen von f(X) ist eine n-stellige Permutation σ,so daß für jede algebraische Relation H(x1, . . . , xn) = 0 zwischen den Nullstellen auchH(xσ(1), . . . , xσ(n)) = 0 wieder eine algebraische Relation ist. Eine Permutation ist alsogenau dann eine Symmetrie der Nullstellen von f(X), wenn sie jede algebraische Re-lation erhält, welche zwischen den Nullstellen besteht. Anschaulich können wir uns diealgebraischen Relationen zwischen den x1, . . . , xn zum Beispiel wie die Kanten zwischenden Ecken in unseren geometrischen Beispielen vorstellen: Sind zwei Ecken durch eineKante verbunden, so muß jede Symmetrieoperation diese Kante erhalten. Im Falle desQuadrates wie in Abbildung 4.4 auf Seite 123 ist beispielsweise jede Permutation, wel-che x1 und x2 auf x1 und x3 abbildet, keine Symmetrieoperation, da zwar eine Kantezwischen x1 und x2, nicht aber zwischen x1 und x3 besteht. Als abkürzende Sprechweisenennen wir auch einfach H eine algebraische Relation zwischen den x1, . . . , xn, fallsH(x1, . . . , xn) = 0 und schreiben σ · H für H(Xσ(1), . . . , Xσ(n)). Weiter schreiben wir

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

σ · xi = xσ(i) für eine Symmetrie σ und i ∈ 1, . . . , n. Wir sagen σ · xi sei das Ergebnisder Wirkung von σ auf der Nullstelle xi.Veranschaulichen wir uns die Definition an dem Beispiel des Polynoms

f(X) = X4 − 10X2 + 1 = 0

mit den Nullstellen

x1 =√

2 +√

3, x2 =√

2−√

3, x3 = −√

2 +√

3, x4 = −√

2−√

3. (4.5)

Eine Symmetrie dieser Nullstellen ist eine 4-stellige Permutation (von denen es insgesamt4! = 24 Stück gibt), welche alle algebraischen Beziehungen H(x1, . . . , x4) = 0 zwischenden Nullstellen erhält. Wir können leicht Permutationen als Symmetrien ausschließen.Betrachten wir etwa die Permutation

σ =(

1 2 3 42 3 4 1,

)

welche x1 auf x2, x2 auf x3, x3 auf x4 und x4 auf x1 abbildet. Durch H(x1, x2, x3, x4) = 0mit H(X1, . . . , X4) := (X1 +X2)2− 8 ist eine algebraische Relation zwischen x1, . . . , x4gegeben. Auf der anderen Seite ist

H(xσ(1), . . . , xσ(4)) = H(x2, x3, x4, x1) = (x2 + x3)2 − 8 = −8,

das heißt σ · H ist keine algebraische Relation zwischen x1, . . . , x4. Nach Definitionist σ also keine Symmetrie der Nullstellen, da sich nicht alle algebraischen Relationenzwischen den Nullstellen erhält.Wollen wir umgekehrt nachweisen, daß eine gewisse Permutation σ eine Symmetrie der

Nullstellen ist, so erscheint die Aufgabe ungleich schwieriger, müssen wir doch für jedealgebraische Relation H(x1, . . . , x4) = 0 zeigen, daß auch σ ·H wieder eine algebraischeRelation ist. Da wir a priori unendlich viele Relationen daraufhin überprüfen müssen,ob sie erhalten bleiben, können wir ohne weitere Überlegung nur schließen, daß dieidentische Permutation eine Symmetrie ist. Im Falle der Permutation σ, welche x1 undx2 vertauscht und x3 und x4 einzeln festhält, werden wir beispielsweise keine algebraischeRelation finden, welche nicht erhalten bleibt. Trotzdem würde es nicht reichen, zehnoder zwanzig dieser Relationen zu testen, sondern wir müßten sicher sein, daß auch alleanderen erhalten bleiben.Um also genau die Symmetrien der Nullstellen unter allen Permutationen bestimmen

zu können, benötigen wir offensichtlich eine weitere entscheidende Idee. Galois hatte einesolche Idee, und die folgende zentrale Proposition geht auf seine Arbeiten zurück:

Proposition 4.8. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom über den rationalenZahlen, dessen verschiedene Nullstellen durch x1, . . . , xn gegeben seien. Sei weitert = V (x1, . . . , xn) ein primitives Element zu x1, . . . , xn, wobei V (X1, . . . , Xn) ein Poly-nom mit rationalen Koeffizienten ist. Seien h1(X), . . . , hn(X) Polynome mit rationalenKoeffizienten mit xi = hi(t) für i ∈ 1, . . . , n.

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4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

Dann gibt es zu jeder n-stelligen Permutation σ, welche Symmetrie der Nullstellenvon f(X) ist, genau ein galoissch Konjugiertes t′ von t (wobei der Fall t′ = t hierausdrücklich zugelassen ist), so daß

σ · x1 = h1(t′), . . . , σ · xn = hn(t′). (4.6)

Umgekehrt gibt es zu jedem galoissch Konjugierten t′ von t (t′ = t wieder möglich) genaueine Symmetrie σ, so daß (4.6) erfüllt ist.Zusätzlich gilt unter der induzierten Bijektion zwischen den Symmetrien σ und den

galoissch Konjugierten t′, daß

t′ = V (σ · x1, . . . , σ · xn).

(Die Existenz der Polynome h1, . . . , hn in der Proposition folgt aus der Tatsache, daßx1, . . . , xn in t rational sind.)Die durch die Proposition bestimmbare Menge derjenigen n-stelligen Permutationen,

welche Symmetrien der Nullstellen von f(X) sind, heißt die Galoissche Gruppe der Null-stellen x1, . . . , xn von f(X). Wir schreiben

σ ∈ GalQ(x1, . . . , xn),

falls σ eine Symmetrie der Nullstellen x1, . . . , xn des normierten separablen Polynomsf(X) mit rationalen Koeffizienten ist. Der Proposition 4.8 entnehmen wir, daß die Anzahlder Symmetrien zwischen den Nullstellen eines separablen Polynoms durch den Gradeines zu den Nullstellen primitiven Elementes über den rationalen Zahlen gegeben ist.Sind σ und τ Symmetrien der Nullstellen von f(X), so erhält τ σ ebenso alle

algebraischen Relationen zwischen diesen Nullstellen, denn ist H(x1, . . . , xn) = 0 ei-ne solche Relation, so ist auch H(σ · x1, . . . , σ · xn) = 0 eine solche und damit auchH(τ ·σ ·x1, . . . , τ ·σ ·xn) = (τ σ) ·H(x1, . . . , xn) = 0. Trivialerweise ist auch die identi-sche Permutation eine Symmetrie. Wir können auch zeigen, daß σ−1 eine Symmetrie derNullstellen von f(X) ist: Sei dazu H(x1, . . . , xn) = 0 eine algebraische Relation. Ange-nommen h := σ−1H(x1, . . . , xn) = H(σ−1 ·x1, . . . , σ

−1 ·xn) 6= 0. Dann besitzt h ein multi-plikatives Inverses, und wir können h−1 in der Form h−1 = U(x1, . . . , xn) für ein PolynomU(X1, . . . , Xn) mit rationalen Koeffizienten schreiben. Folglich ist H(σ−1x1, . . . , σ

−1xn)·U(x1, . . . , xn) − 1 = 0 eine algebraische Relation, welche damit von σ erhalten bleibt,das heißt H(x1, . . . , xn) · U(σ · x1, . . . , σ · xn) − 1 = 0. Dies ist aber ein Widerspruchzu H(x1, . . . , xn) = 0. Folglich muß h = 0 sein, also ist σ−1 auch eine Symmetrie. Wirhaben damit bewiesen, daß die Galoissche Gruppe eine Untergruppe der symmetrischenGruppe Sn ist.Bevor wir die Proposition beweisen, wollen wir sie kurz auf unser Beispiel mit (4.5)

anwenden. Es ist t =√

2 +√

3 ein primitives Element zu√

2 +√

3,√

2−√

3, −√

2 +√

3

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

und −√

2−√

3. Wegen√

2 = 12(t3 − 9t) und

√3 = 1

2(11t− t3) gilt√

2 +√

3 = t,√

2−√

3 = t3 − 10t,−√

2 +√

3 = −t3 + 10t,−√

2−√

3 = −t.

In den Bezeichnungen von Proposition 4.8 auf der vorherigen Seite und (4.5) haben wiralso V (X1, X2, X3, X4) = X1 und h1(X) = X, h2(X) = X3−10X, h3(X) = −X3 +10X,h4(X) = −X. Die galoissch Konjugierten zu t sind (einschließlich t) durch t1 =

√2+√

3,t2 =

√2 −√

3, t3 = −√

2 +√

3 und t4 = −√

2 −√

3 gegeben, da sie alle Nullstellendes Minimalpolynoms von t sind, nämlich f(X). (Daß sie zufällig mit den Nullstellenübereinstimmen, deren Symmetrie wir berechnen wollen, ist ein Zufall, der unseremspeziellen Beispiel geschuldet ist.) Wir berechnen

h1(t1) = x1, h2(t1) = x2, h3(t1) = x3, h4(t1) = x4,

h1(t2) = x2, h2(t2) = x1, h3(t2) = x4, h4(t2) = x3,

h1(t3) = x3, h2(t3) = x4, h3(t3) = x1, h4(t3) = x2,

h1(t4) = x4, h2(t4) = x3, h3(t4) = x2, h4(t4) = x1.

Daraus können wir gemäß Proposition 4.8 auf der vorherigen Seite ablesen, daß genaudie folgenden vier Permutationen Symmetrien der Nullstellen von f(X) = X4−10X2 +1sind. Wir erhalten damit

GalQ(√

2 +√

3,√

2−√

3,−√

2 +√

3,−√

2−√

3)

=(

1 2 3 41 2 3 4

),

(1 2 3 42 1 4 3

),

(1 2 3 43 4 1 2

),

(1 2 3 44 3 2 1

).

Diese Permutationen erhalten also nach Proposition 4.8 auf der vorherigen Seite, derenBeweis wir noch zu führen haben, gerade alle algebraischen Relationen zwischen den vierNullstellen in (4.5).Um den Beweis von Proposition 4.8 auf der vorherigen Seite nicht zu länglich werden

zu lassen, lagern wir eine wichtige Tatsache in einen Hilfssatz aus:

Hilfssatz 4.9. Seien x1, . . . , xn Nullstellen eines Polynoms mit rationalen Koeffizien-ten. Sei t = V (x1, . . . , xn) ein primitives Element zu x1, . . . , xn, wobei V (X1, . . . , Xn)ein Polynom mit rationalen Koeffizienten ist. Seien h1(X), . . . , hn(X) Polynome mitrationalen Koeffizienten mit xi = hi(t) für i ∈ 1, . . . , n. Für jedes galoissch Konjugiertet′ von t gilt dann

t′ = V (h1(t′), . . . , hn(t′)),

das heißt t′ ist insbesondere durch seine Werte für die Polynome h1(X), . . . , hn(X)festgelegt.

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4.2. Die Galoissche Gruppe einer Gleichung

Beweis von Hilfssatz 4.9 auf der vorherigen Seite. Das Polynom

g(X) = V (h1(X), . . . , hn(X))−X

hat rationale Koeffizienten und t als Nullstelle. Damit hat es nach Proposition 4.2 aufSeite 118 auch jedes galoissch Konjugierte t′ von t als Nullstelle.

Beweis von Proposition 4.8 auf Seite 127. Sei zunächst σ eine n-stellige Permutation,welche jede algebraische Relation zwischen x1, . . . , xn erhält. Wir müssen zeigen, daß esein galoissch Konjugiertes t′ von t gibt, so daß xσ(i) = hi(t′) für alle i ∈ 1, . . . , n. Da-zu betrachten wir das Minimalpolynom g(X) von t über den rationalen Zahlen, dasheißt g(X) =

∏mj=1(X − tj), wobei t1, . . . , tm alle galoissch Konjugierten (t selbst

eingeschlossen) von t sind. Wir numerieren die tj dabei so, daß t1 = t. Nach Hilfs-satz 4.3 auf Seite 118 existiert für jedes j ∈ 1, . . . ,m eine n-stellige Permutation τjmit tj = V (xτj(1), . . . , xτj(n)), das heißt wir haben die Gleichheit

g(X) =m∏j=1

(X − V (xτj(1), . . . , xτj(n))) (4.7)

von Polynomen mit rationalen Koeffizienten. Dabei können wir für den Faktor j = 1wegen t = V (x1, . . . , xn) annehmen, daß τ1 die identische Permutation ist. Da zweiPolynome gleich sind, wenn sie in allen Koeffizienten übereinstimmen, ist die Gleich-heit (4.7) nichts anderes als eine Folge algebraischer Relationen zwischen x1, . . . , xn,für jedes Koeffizientenpaar zu beiden Seiten eine. Diese algebraischen Relationen werdenvon der Permutation σ erhalten, da wir sie als Symmetrie von x1, . . . , xn angenommenhaben. Daher folgt

g(X) =m∏j=1

(X − V (σ · xτj(1), . . . , σ · xτj(n))). (4.8)

Der erste Faktor (der zu j = 1) lautet (da wir τ1 als identische Permutation annehmenkonnten) X − V (σ · x1, . . . , σ · xn). Damit ist V (σ · x1, . . . , σ · xn) Nullstelle der rechtenSeite von (4.8), folglich auch Nullstelle der linken Seite. Die Nullstellen der linken Seitesind aber gerade die galoissch Konjugierten zu t, also existiert genau eine galoisschKonjugierte t′ von t mit

t′ = V (σ · x1, . . . , σ · xn). (4.9)

Durch xi = hi(t) = hi(V (x1, . . . , xn)) wird eine algebraische Relation zwischen den xigegeben. Diese wird durch σ erhalten, also haben wir schließlich

σ · xi = hi(V (σ · x1, . . . , σ · xn)) = hi(t′), i ∈ 1, . . . , n.

Als nächstes müssen wir die Eindeutigkeit von t′ bei gegebenem σ nachweisen. Dazusei t′′ eine weitere galoissch Konjugierte mit σ · xi = hi(t′′) für alle i ∈ 1, . . . , n,insbesondere also hi(t′) = hi(t′′) für alle i ∈ 1, . . . , n. Damit folgt t′ = t′′ aus obigemHilfssatz 4.9 auf der vorherigen Seite.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Sei jetzt t′ eine galoissch Konjugierte zu t (wobei die Möglichkeit t′ = t eingeschlossenist). Wir müssen zeigen, daß es (genau) eine Symmetrie σ der Nullstellen von f(X) mitxσ(i) = hi(t′) für i ∈ 1, . . . , n existiert. Dazu zeigen wir zunächst, daß h1(t′), . . . , hn(t′)eine Permutation von x1, . . . , xn ist. Für jedes i ∈ 1, . . . , n ist f(hi(X)) ein Polynommit rationalen Koeffizienten, welches t wegen xi = hi(t) als Nullstelle besitzt. Folglichist damit auch t′ nach Proposition 4.2 auf Seite 118 eine Nullstelle von f(hi(X)), dasheißt hi(t′) ist eine Nullstelle von f(X) und damit gleich einem der n algebraischenZahlen x1, . . . , xn. Nehmen wir weiter an, daß hi(t′) = hj(t′) für i, j ∈ 1, . . . , n. Dannist t′ eine Nullstelle von hi(X) − hj(X), eines Polynoms mit rationalen Koeffizienten.Damit ist auch t nach Proposition 4.2 auf Seite 118 Nullstelle von hi(X) − hj(X), wirhaben also xi = hi(t) = hj(t) = xj . Da x1, . . . , xn paarweise verschieden sind, folgti = j unter unserer Annahme hi(t′) = hj(t′). Wir erhalten also, daß h1(t′), . . . , hn(t′)eine Permutation von x1, . . . , xn ist, daß also (genau) eine n-stellige Permutation σ mithi(t′) = xσ(i) für i ∈ 1, . . . , n existiert.Es bleibt zu zeigen, daß σ eine Symmetrie der Nullstellen von h(X) ist. Dazu betrach-

ten wir eine algebraische Relation H(X1, . . . , Xn) über den rationalen Zahlen zwischenden Nullstellen x1, . . . , xn von f(X). Wir haben also

H(x1, . . . , xn) = H(h1(t), . . . , hn(t)) = 0.

Damit ist t eine Nullstelle des Polynoms H(h1(X), . . . , hn(X)) mit rationalen Koeffizien-ten. Nach Proposition 4.2 auf Seite 118 ist dann auch t′ eine Nullstelle dieses Polynoms.Wir haben also

H(xσ(1), . . . , xσ(n)) = H(h1(t′), . . . , hn(t′)) = 0,

das heißt die Permutation σ erhält die algebraische Relation H(X1, . . . , Xn).Den Zusatz in Proposition 4.8 auf Seite 127 haben wir zwischendurch bewiesen, näm-

lich durch (4.9).

AufgabenAufgabe 4.2.1. Sei n eine natürliche Zahl. Gib ein Verfahren an, alle n-stelligen Permu-tationen aufzulisten und zeige, daß es davon insgesamt n! Stück gibt.Aufgabe 4.2.2. Sei n eine natürliche Zahl. Sei σ diejenige n-stellige Permutation, welche1 auf 2, 2 auf 3, . . . und schließlich n−1 auf n und n auf 1 abbildet. Berechne ihr Signumin Abhängigkeit von n.Aufgabe 4.2.3. Berechne die Symmetriegruppe eines regelmäßigen Fünfecks in der Ebene.Aufgabe 4.2.4. Berechne die Symmetriegruppe eines regelmäßigen n-Ecks in der Ebene.Aufgabe 4.2.5. Berechne die Symmetriegruppe des Oktaeders.Aufgabe 4.2.6. Gib alle möglichen Untergruppen der symmetrischen Gruppe S3 an.Aufgabe 4.2.7. Zeige, daß die alternierende Gruppe An eine Untergruppe der symmetri-schen Gruppe Sn ist.Aufgabe 4.2.8. Zeige, daß die zyklische Gruppe Cn eine Untergruppe der symmetrischenGruppe Sn ist.

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4.3. Über Invarianten der Galoisschen Wirkung

Aufgabe 4.2.9. Seien σ und τ Symmetrien der Nullstellen x1, . . . , xn eines normiertenseparablen Polynoms. Zeige, daß τ · (σ · x) = (τ σ) · x.Aufgabe 4.2.10. Seien σ und τ zwei n-stellige Permutationen. Sei H(X1, . . . , Xn) einealgebraische Relation zwischen den Nullstellen x1, . . . , xn eines normierten separablenPolynoms. Zeige, daß τ · (σ ·H) = (τ σ) ·H.Aufgabe 4.2.11. Seien x1, . . . , xn Nullstellen eines normierten separablen Polynoms f(X)über den rationalen Zahlen. Seien x1 und x2 nicht galoissch konjugiert. Zeige, daß keineSymmetrie σ der Nullstellen x1, . . . , xn von f(X) existiert, so daß x2 = σ · x1.Aufgabe 4.2.12. Sei f(X) = g1(X) · · · gm(X), wobei f(X) und g1(X), . . . , gm(X) nor-mierte Polynome mit rationalen Koeffizienten sind. Sei f(X) separabel. Zeige, daß jedeSymmetrie der Nullstellen von f(X) die Nullstellen der gi(X) jeweils nur untereinanderpermutiert.Aufgabe 4.2.13. Sei f(X) ein quadratisches Polynom über den rationalen Zahlen mitNullstellen x1 und x2, welche wir als verschieden annehmen. Berechne GalQ(x1, x2) inAbhängigkeit der Diskriminanten von f(X).Aufgabe 4.2.14. Sei f(X) ein irreduzibles normiertes Polynom dritten Grades über denrationalen Zahlen mit Nullstellen x1, x2 und x3. Sei x1 ein primitives Element zu x1, x2und x3. Zeige, daß die Galoissche Gruppe zu den Nullstellen x1, x2 und x3 von f(X)genau drei Elemente hat. Gib diese Elemente an.Aufgabe 4.2.15. Sei f(X) ein irreduzibles normiertes Polynom dritten Grades über denrationalen Zahlen mit Nullstellen x1, x2 und x3. Sei x1 kein primitives Element zu x1,x2 und x3. Zeige, daß die Galoissche Gruppe zu den Nullstellen x1, x2 und x3 von f(X)genau sechs Elemente hat.Aufgabe 4.2.16. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom vom Grade n. Sei t einprimitives Element über den rationalen Zahlen zu allen Nullstellen von f(X). Zeige, daßder Grad von t höchstens n! beträgt.Aufgabe 4.2.17. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms f(X) mit rationalen Koeffizienten. Seien y1, . . . , yn die Nullstellen desselben Po-lynoms in (möglicherweise) anderer Anordnung. Wie läßt sich GalQ(y1, . . . , yn) durchGalQ(x1, . . . , xn) beschreiben?

4.3. Über Invarianten der Galoisschen WirkungSeien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynoms über den ratio-nalen Zahlen. Sei z ein in x1, . . . , xn rationaler Ausdruck, das heißt also, wir können

z = F (x1, . . . , xn) (4.10)

für ein Polynom F (X1, . . . , Xn) mit rationalen Koeffizienten schreiben. Sei σ ein Elementder Galoisschen Gruppe G von x1, . . . , xn, das heißt eine Permutation der Nullstellen,welche alle algebraischen Relationen der Nullstellen über den rationalen Zahlen erhält.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Genauso wie σ durch σ · xi = xσ(i) auf den Nullstellen wirkt, wollen wir σ auf z wirkenlassen, indem wir

σ · z := F (σ · x1, . . . , σ · xn) (4.11)

setzen. An dieser Stelle müssen wir jedoch vorsichtig sein. Denn es gibt in der Regel mehrals ein Polynom F (X1, . . . , Xn) mit der Eigenschaft (4.10). Sei etwa z = G(x1, . . . , xn)für ein weiteres Polynom G(X1, . . . , Xn) mit rationalen Koeffizienten. Um also zu zeigen,daß die Wirkung in (4.11) wohldefiniert ist, müssen wir zeigen, daß

F (σ · x1, . . . , σ · xn) = G(σ · x1, . . . , σ · xn). (4.12)

Dies folgt aber gerade aus der Definition einer Symmetrie von x1, . . . , xn: So hatH(X1, . . . , Xn) := F (X1, . . . , Xn) − G(X1, . . . , Xn) nur rationale Koeffizienten, und esgilt

H(x1, . . . , xn) = F (x1, . . . , xn)−G(x1, . . . , xn) = z − z = 0,

das heißt H(X1, . . . , Xn) = 0 ist eine algebraische Relation von x1, . . . , xn. Für jedesElement σ von G ist also auch

H(σ · x1, . . . , σ · xn) = 0,

das heißt wir haben (4.12) gezeigt. Wir sagen, die Galoissche Gruppe in x1, . . . , xn wirkt(oder operiert) vermöge (4.11) auf den in x1, . . . , xn rationalen Zahlen. Ist τ neben σeine weitere Symmetrie von x1, . . . , xn, so gilt offensichtlich

τ · (σ · z) = (τ σ) · z.

Außerdem haben wir id ·z = z.Ist σ keine Symmetrie der Wurzeln, sondern nur eine allgemeine Permutation von x1,

. . . , xn, so können wir σ nur auf formale Polynome in den x1, . . . , xn wirken lassen,nicht aber auf den Werten dieser Polynome, das heißt wir müssen σ · H(x1, . . . , xn)für ein Polynom H(X1, . . . , Xn) im allgemeinen Fall als (σ · H)(x1, . . . , xn) und nichtals H(σ · x1, . . . , σ · xn) lesen. Im Falle, daß σ eine Symmetrie ist, gilt dagegen gerade(σ ·H)(x1, . . . , xn) = H(σ · x1, . . . , σ · xn).Der Hauptsatz über die elementarsymmetrischen Funktionen sagt uns in Verbindung

mit dem Vietaschen Satz, daß jedes in x1, . . . , xn formal symmetrische Polynom mitrationalen Koeffizienten auf den x1, . . . , xn einen rationalen Wert annimmt, das heißtgilt σ · H = H für ein Polynom H(X1, . . . , Xn) und für alle n-stelligen Permutationenσ, so ist H(x1, . . . , xn) eine rationale Zahl.Im Falle, daß wir nur solche Permutationen σ betrachten, welche Symmetrien der

Nullstellen x1, . . . , xn sind, können wir die Bedingung σ ·H(x1, . . . , xn) = H(x1, . . . , xn)für alle Symmetrien σ an den Wert H(x1, . . . , xn) betrachten, das heißt die Bedingung,daß der WertH(x1, . . . , xn) invariant unter der Wirkung der Galoisschen Gruppe von x1,. . . , xn ist. Obwohl diese Bedingung offensichtlich wesentlich schwächer als die Bedingungist, daß das Polynom H formal symmetrisch in x1, . . . , xn ist, folgt auch schon unterder schwächeren Bedingung, daß der Wert H(x1, . . . , xn) eine rationale Zahl ist:

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4.3. Über Invarianten der Galoisschen Wirkung

Proposition 4.10. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms f(X) mit rationalen Koeffizienten. Sei z eine in x1, . . . , xn rationale Zahl, welcheunter der Galoisschen Gruppe G von x1, . . . , xn invariant ist, das heißt σ · z = z füralle Symmetrien in G. Dann ist z schon eine rationale Zahl.

Die umgekehrte Richtung, daß eine rationale Zahl invariant unter allen Elementen vonG ist, ist trivial, denn eine rationale Zahl können wir einfach als konstantes Polynom inx1, . . . , xn auffassen, welches aus offensichtlichen Gründen unter Vertauschung von x1,. . . , xn invariant ist.

Beweis. Es sei z = H(x1, . . . , xn), wobei H(X1, . . . , Xn) ein Polynom mit rationalenKoeffizienten ist. Sei t ein zu x1, . . . , xn primitives Element. Seien h1(X), . . . , hn(X)Polynome mit rationalen Koeffizienten mit xi = hi(t) für i ∈ 1, . . . , n. Wir setzen

h(T ) := H(h1(T ), . . . , hn(T )).

Wir müssen dann zeigen, daß z = h(t) eine rationale Zahl ist, das heißt, daß der Gradvon z über Q gleich Eins ist. Nach der Gradformel können wir dazu genauso gut

[Q(t) : Q(z)] = [Q(t) : Q] =: m

zeigen, was wir im folgenden tun werden. Dazu seien t1 = t, t2, . . . , tm die galoisschKonjugierten von t. Nach Proposition 4.8 auf Seite 127 existiert zu jedem j ∈ 1, . . . ,meine Symmetrie σ von x1, . . . , xn, so daß hi(tj) = σ · xi. Nach Voraussetzung ist damitinsbesondere h(tj) = h(t) = z für alle j ∈ 1, . . . ,m.Sei g(X) das Minimalpolynom von t über z. Die Koeffizienten von g(X) sind polyno-

mielle Ausdrücke in z über den rationalen Zahlen, das heißt, wir können g(X) = G(X, z)schreiben, wobei G(X,Y ) ein Polynom mit rationalen Zahlen ist. Da t eine Nullstellevon g(X) ist, ist t auch Nullstelle von G(X,h(X)), einem Polynom mit rationalen Ko-effizienten. Folglich sind alle tj Nullstellen von G(X,h(X)). Es gilt also

g(tj) = G(tj , z) = G(tj , h(tj)) = 0.

Damit besitzt g(X) diem verschiedenen Nullstellen t1, . . . , tm. Folglich ist deg g(X) = m,also [Q(t) : Q(z)] = m.

Folgerung 4.11. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Po-lynoms f(X) mit rationalen Koeffizienten. Ist dann f(X) über den rationalen Zahlenirreduzibel, so operiert die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn transitiv auf x1, . . . , xn,das heißt für i, j ∈ 1, . . . , n existiert (mindestens) eine Symmetrie σ von x1, . . . , xnmit σ · xi = xj.

Beweis. Seig(X) :=

∏σ

(X − σ · xi),

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

wobei das Produkt über alle Symmetrien von x1, . . . , xn läuft. Wenden wir eine Sym-metrie τ von x1, . . . , xn auf g(X) (d.h. auf die Koeffizienten von g(X)) an, so erhaltenwir

τ · g(X) =∏σ

(X − τ · σ · xi) =∏σ

(X − (τ σ) · xi).

Durchläuft σ alle Symmetrien, so durchläuft σ′ = τ σ ebenfalls alle Symmetrien (dieUmkehrung ist durch σ = τ−1 σ′ gegeben). Damit ist also τ · g(X) = g(X).Die Koeffizienten von g(X) sind also invariant unter den Symmetrien, nach Proposi-

tion 4.10 auf der vorherigen Seite ist g(X) also ein normiertes Polynom mit rationalenKoeffizienten. Da f(X) irreduzibel ist, sind x1, . . . , xn über den rationalen Zahlen kon-jugiert. Es ist xi eine Nullstelle von g(X) nach Konstruktion (da id eine Symmetrieist). Folglich ist auch xj eine Nullstelle von g(X). Damit existiert eine Symmetrie σ mitσ · xi = xj .

Mit diesem Wissen können wir leicht die Galoissche Gruppe G der Nullstellen x1, x2,x3 eines irreduziblen, normierten, separablen Polynoms f(X) über den rationalen Zahlenausrechnen. Wir erinnern an die Diskriminante

∆ = (x1 − x2)2 · (x1 − x3)2 · (x2 − x3)2

von f(X), welche ein (bekanntes) Polynom in den Koeffizienten von f(X) ist (im Falle,daß f(X) = X3 + pX + q haben wir ∆ = −4p3 − 27q2). Wir machen jetzt eine Fallun-terscheidung. Im ersten Falle nehmen wir an, daß ∆ ein Quadrat in Q ist, das heißt esexistiert eine rationale Zahl δ mit

δ = (x1 − x2) · (x1 − x3) · (x2 − x3). (4.13)

Aufgrund der Separabilität von f(X) ist δ 6= 0. Die Gleichung (4.13) ist eine algebraischeRelation von x1, x2 und x3 über den rationalen Zahlen, muß also von jedem Element derGaloisschen Gruppe G erhalten bleiben. Damit darf G keine ungeraden Permutationenenthalten, denn diese wechseln das Vorzeichen der rechten Seite von (4.13). Wir habenalso G ⊂ A3. Keine echte Teilmenge von A3 operiert transitiv auf den Wurzeln (undenthält id), so daß wir folglich G = A3 nach Folgerung 4.11 auf der vorherigen Seitehaben.Nehmen wir jetzt an, daß ∆ kein Quadrat in den rationalen Zahlen ist, daß also

δ := (x1 − x2) · (x1 − x3) · (x2 − x3)

keine rationale Zahl ist. Nach Proposition 4.10 auf der vorherigen Seite muß es damiteine Symmetrie geben, welche δ nicht invariant läßt. Das bedeutet, daß mindestens eineungerade Permutation in G liegt. Da nach Folgerung 4.11 auf der vorherigen Seite dieElemente in G außerdem transitiv auf x1, x2 und x3 operieren, muß G zudem mindestensein weiteres Element enthalten. Einfache Überlegungen (S3 hat ja nur sechs Elemente,so viele Möglichkeiten gibt es also gar nicht) zeigen aufgrund der Abgeschlossenheit

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4.4. Galoissche Resolventen

von G unter Kompositionen, daß G dann schon die volle symmetrische Gruppe S3 ist.Zusammengefaßt haben wir also

GalQ(x1, x2, x3) =

A3 für√∆ ∈ Q und

S3 für√∆ /∈ Q.

AufgabenAufgabe 4.3.1. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsmit rationalen Koeffizienten. Seien z und w zwei in x1, . . . , xn rationale Zahlen. Zeigefür jede Symmetrie σ von x1, . . . , xn, daß

σ · (z + w) = σ · z + σ · wund

σ · (zw) = (σ · z) (σ · w)

gelten.Aufgabe 4.3.2. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsf(X) mit rationalen Koeffizienten. Zeige, daß f(X) genau dann irreduzibel ist, wenn dieGaloissche Gruppe zu x1, . . . , xn transitiv auf x1, . . . , xn operiert.Aufgabe 4.3.3. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsf(X) mit rationalen Koeffizienten. Zeige, daß die Galoissche Gruppe zu x1, . . . , xngenau dann in der alternierenden Gruppe An liegt, wenn die Diskriminante von f(X)eine Quadratwurzel in den rationalen Zahlen besitzt.Aufgabe 4.3.4. Zeige, daß das Polynom f(X) = X3− 3X+ 1 über den rationalen Zahlenirreduzibel und separabel ist. Berechne die Galoissche Gruppe der Nullstellen von f(X).Aufgabe 4.3.5. Zeige, daß das Polynom f(X) = X3 + 3X+ 1 über den rationalen Zahlenirreduzibel und separabel ist. Berechne die Galoissche Gruppe der Nullstellen von f(X).

4.4. Galoissche ResolventenUm Proposition 4.8 auf Seite 127 effektiv einsetzen zu können, benötigen wir ein gutesVerfahren, ein primitives Element zu den Nullstellen einer Gleichung zu finden. Wirkönnen dazu das Beweisverfahren von Satz 3.29 auf Seite 102 verwenden. Eine alternativeMethode geht über die folgende Proposition, welche auf Lagrange zurückgeht:

Proposition 4.12. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Po-lynoms f(X). Ist dann V (X1, . . . , Xn) ein derartiges Polynom, daß die Werte tσ =V (xσ(1), . . . , xσ(n)) für jede n-stellige Permutation σ unterschiedlich sind, so ist t =V (x1, . . . , xn) ein primitives Element zu x1, . . . , xn.

Ein solches Polynom V (X1, . . . , Xn) heißt Galoissche Resolvente von f(X).Die Anwendbarkeit von Proposition 4.12 steht und fällt natürlich mit der Antwort auf

die Frage, ob wir eine Galoissche Resolvente effektiv finden können. Die glücklicherweisepositive Antwort gibt der folgende Hilfssatz:

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Hilfssatz 4.13. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom mit Nullstellen x1, . . . ,xn. Dann gibt es ganze Zahlen m1, . . . , mn, so daß

V (X1, . . . , Xn) = m1X1 + · · ·+mnXn

eine Galoissche Resolvente zu x1, . . . , xn ist.

Insbesondere finden wir eine Galoissche Resolvente immer dergestalt, daß sie linear(über den ganzen Zahlen) in den Nullstellen ist.

Beweis von Hilfssatz 4.13. Sei V (X1, . . . , Xn) = m1X1 + · · ·+mnXn, wobei m1, . . . , mn

zunächst beliebige ganze Zahlen sind. Wir betrachten das Polynom

g(X) =∏σ∈Sn

(X − V (xσ(1), . . . , xσ(n))),

wobei das Produkt über alle n-stelligen Permutationen läuft. Die Koeffizienten von g(X)sind symmetrische Ausdrücke in den Nullstellen von f(X), also Polynome in den Ko-effizienten von f(X). Damit ist g(X) ein Polynom mit rationalen Koeffizienten. Of-fensichtlich ist V (X1, . . . , Xn) genau dann eine Galoissche Resolvente von f(X), wenng(X) keine doppelten Nullstellen besitzt, wenn also die Diskriminante ∆ von g(X) nichtverschwindet. Diese Diskriminante hängt polynomiell von den mi ab. Genauer existiertein Polynom ∆(Y1, . . . , Yn) mit rationalen Koeffizienten und mit ∆ = ∆(m1, . . . ,mn),nämlich

∆(Y1, . . . , Yn) =∏σ,τ

((Y1xσ(1) + · · ·+ Ynxσ(n))− (Y1xτ(1) + · · ·+ Ynxτ(n)))2, (4.14)

wobei das Produkt über alle ungeordneten Paare σ, τ n-stelliger Permutationen mitσ 6= τ läuft. Da x1, . . . , xn paarweise verschieden sind existiert für σ 6= τ immer eini ∈ 1, . . . , n mit σ(i) 6= τ(i) und damit xσ(i) − xτ(i) 6= 0. Folglich ist jeder einzelneFaktor der Darstellung (4.14) von Null verschieden, und damit ist auch ∆(Y1, . . . , Yn)ein nicht verschwindendes Polynom. Insbesondere können wir m1, . . . , mn so wählen,daß ∆(m1, . . . ,mn) 6= 0 ist.

Damit bleibt:

Beweis von Proposition 4.12 auf der vorherigen Seite. Wir wählen zunächst eine Auf-zählung σ1, . . . , σN aller verschiedenen n-stelligen Permutationen, wobei wir ohne Ein-schränkung annehmen können, daß σ1 die identische Permuation ist. Für j ∈ 1, . . . , Nsei tj = V (xσj(1), . . . , xσj(n)), das heißt nach Voraussetzung sind die algebraischen Zahlent1, . . . , tN alle paarweise verschieden. Weiter kürzen wir yj := xσj(1) ab. Wir betrachten

y1 + · · · + yN =: b0,t1y1 + · · · + tNyN =: b1,t21y1 + · · · + t2NyN =: b2,

...tN−11 y1 + · · · + tN−1

N yN =: bN−1.

(4.15)

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4.4. Galoissche Resolventen

Die Zahlen b0, . . . , bN−1 sind jeweils symmetrische Ausdrücke in den x1, . . . , xn unddamit Polynome in den Koeffizienten von f(X), also rationale Zahlen. Wir können (4.15)als inhomogenes lineares Gleichungssystem lesen, wenn wir y1, . . . , yN als unbestimmteansehen. Die Determinante der Koeffizientenmatrix

1 . . . 1t1 . . . tNt21 . . . t2N...

...tN−11 . . . tN−1

N

ist bekanntlich die durch die Vandermondesche Determinante

D =∏

1≤i<j≤N(ti − tj)

gegeben. Es ist D 6= 0, da nach Voraussetzung t1, . . . , tN paarweise verschieden sind.Sei weiter

D1 = det

b0 1 . . . 1b1 t2 . . . tNb2 t22 . . . t2N...

...bN−1 tN−1

2 . . . tN−1N

.

Nach der Cramerschen Regel für die Lösung eines inhomogenen Gleichungssystems ist

x1 = y1 = D1D

= D1 ·DD2 .

Der Nenner D2 der rechten Seite ist symmetrisch in t1, . . . , tN und damit auch in x1,. . . , xn, also eine rationale Zahl. Die Vorzeichen von D1 und D wechseln jeweils beiVertauschung zweier Elemente aus t2, . . . , tn, das heißt D1D bleibt invariant unter Ver-tauschung zweier Elemente aus t2, . . . , tN , ist also symmetrisch in t2, . . . , tN . Damitläßt sich D1D als Polynom mit rationalen Koeffizienten in t1 und den elementarsymme-trischen Funktionen in t2, . . . , tN schreiben.Wir werden im folgenden zeigen, und zwar in Form von Hilfssatz 4.14 auf der nächsten

Seite, daß jede elementarsymmetrische Funktion in t2, . . . , tN ein Polynom mit ganz-zahligen Koeffizienten in den elementarsymmetrischen Funktionen in t1, . . . , tN und int1 ist. Folglich ist D1D ein Polynom mit rationalen Koeffizienten in den elementarsym-metrischen Funktionen in t1, . . . , tN und in t1. Die elementarsymmetrischen Funktionenin t1, . . . , tN sind symmetrisch in x1, . . . , xn, also rationale Zahlen. Damit ist D1D unddamit auch x1 = D1·D

D2 ein Polynom in t1 = V (x1, . . . , xn) mit rationalen Koeffizienten.Ganz analog folgt, daß ebenfalls x2, . . . , xn Polynome in V (x1, . . . , xn) mit rationalenKoeffizienten sind. Also ist V (x1, . . . , xn) ein primitives Element zu x1, . . . , xn, da esselbst rational in x1, . . . , xn ist.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Hilfssatz 4.14. Sei n ≥ 1. Die elementarsymmetrischen Funktionen e1(X2, . . . , Xn),. . . , en−1(X2, . . . , Xn) sind ganzzahlige Polynome in den elementarsymmetrischen Funk-tionen e1(X1, . . . , Xn), . . . , en(X1, . . . , Xn) und X1.

Beweis. Nach Definition der elementarsymmetrischen Funktionen gelten folgende Rela-tionen:

e1(X1, . . . , Xn) = e1(X2, . . . , Xn) +X1,

e2(X1, . . . , Xn) = e2(X2, . . . , Xn) +X1 · e1(X2, . . . , Xn),...

en−1(X1, . . . , Xn) = en−1(X2, . . . , Xn) +X1 · en−2(X2, . . . , Xn).

Umstellen dieser Gleichungen liefert

e1(X2, . . . , Xn) = e1(X1, . . . , Xn)−X1,

e2(X2, . . . , Xn) = e2(X1, . . . , Xn)−X1 · e1(X2, . . . , Xn),...

en−1(X2, . . . , Xn) = en−1(X1, . . . , Xn)−X1 · en−2(X2, . . . , Xn).

Daraus lassen sich rekursiv Formeln für die Darstellung der ej(X2, . . . , Xn) als Polynomein den ei(X1, . . . , Xn) und X1 ableiten.

Wir wollen die Erkenntnisse dieses Abschnittes ausnutzen, ein weiteres Beispiel für dieBerechnung der Galoisschen Gruppe der Nullstellen eines separablen Polynoms durch-zurechnen:

Beispiel 4.15. Betrachten wir das Polynom f(X) = X4 − 4X3 − 4X2 + 8X − 2. DiesesPolynom besitzt als Nullstellen näherungsweise die vier Zahlen

x1 = 4,51 . . . , x2 = 0,85 . . . , x3 = 0,31 . . . , x4 = −1,67 . . . ,

ist also inbesondere separabel.Als nächstes benötigen wir ein primitives Element t zu x1, . . . , x4. Nach Propositi-

on 4.12 auf Seite 135 reicht es, eine Galoissche Resolvente zu finden. Im Beweis vonHilfssatz 4.13 auf Seite 136 steckt ein Verfahren, eine solche zu finden. Häufig ist esjedoch schneller, eine Galoissche Resolvente einfach zu raten: Dazu machen wir denlinearen Ansatz t = V (x1, x2, x3, x4) mit

V (X1, X2, X3, X4) = −X2 +X3 − 2X4.

Um zu beweisen, daß in der Tat eine Galoissche Resolvente vorliegt, müssen wir dieWerte von V (xσ(1), xσ(2), xσ(3), xσ(4)) auf allen Permutationen nachrechnen. Dies sindinsgesamt 24 Werte, die auszurechnen sind.

138

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4.4. Galoissche Resolventen

Die kleine numerische Rechnung ergibt:

V (x1, x2, x3, x4) = 2,82 . . . , V (x1, x2, x4, x3) = −3,14 . . . ,V (x1, x3, x2, x4) = 3,88 . . . , V (x1, x3, x4, x2) = −3,68 . . . ,V (x1, x4, x2, x3) = 1,89 . . . , V (x1, x4, x3, x2) = 0,30 . . . ,V (x2, x1, x3, x4) = −0,86 . . . , V (x2, x1, x4, x3) = −6,82 . . . ,V (x2, x3, x1, x4) = 7,55 . . . , V (x2, x3, x4, x1) = −11,02 . . . ,V (x2, x4, x1, x3) = 5,56 . . . , V (x2, x4, x3, x1) = −7,04 . . . ,V (x3, x1, x2, x4) = −0,32 . . . , V (x3, x1, x4, x2) = −7,88 . . . ,V (x3, x2, x1, x4) = 7,02 . . . , V (x3, x2, x4, x1) = −11,55 . . . ,V (x3, x4, x1, x2) = 4,50 . . . , V (x3, x4, x2, x1) = −6,51 . . . ,V (x4, x1, x2, x3) = −4,30 . . . , V (x4, x1, x3, x2) = −5,89 . . . ,V (x4, x2, x1, x3) = 3,04 . . . , V (x4, x2, x3, x1) = −9,56 . . . ,V (x4, x3, x1, x2) = 2,51 . . . , V (x4, x3, x2, x1) = −8,50 . . . ,

(4.16)

und diese Zahlen sind paarweise verschieden, das heißt t = −x2 + x3 − 2x4 ist eineGaloissche Resolvente. Als nächstes benötigen wir das Minimalpolynom g(X) zu t. Dat als ganzzahlige Linearkombination von ganzen algebraischen Zahlen wieder ganz ist,hat g(X) ganzzahlige Koeffizienten.Es ist g(X) = (X − t1) · · · (X − tm), wobei t1, . . . , tm die galoissch Konjugierten von

t sind, wobei wir t1 = t setzen. Nach Hilfssatz 4.3 auf Seite 118 ist jedes ti von derForm V (xσ(1), . . . , xσ(n)), also eine der Zahlen aus (4.16). Um das Minimalpolynom vont zu bestimmen, müssen wir nur eine minimale Anzahl von Faktoren der Form X −V (xσ(1), xσ(2), xσ(3), xσ(4)) finden, unter denen der Faktor X − t = X − V (x1, x2, x3, x4)vorkommt, so daß das Produkt ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten wird. Daslassen wir am besten von einem Computer machen, der uns folgendes Minimalpolynomliefert:

g(X) =8∏j=1

(X − V (xτj(1), xτj(2), xτj(3), xτj(4)))

= X8 + 16X7 − 40X6 − 1376X5 − 928X4

+ 34048X3 + 22208X2 − 253184X + 72256.

Die beteiligten Permutationen sind dabei durch

τ1 =(

1 2 3 41 2 3 4

), τ2 =

(1 2 3 43 2 1 4

), τ3 =

(1 2 3 41 4 3 2

), τ4 =

(1 2 3 43 4 1 2

),

τ5 =(

1 2 3 42 1 4 3

), τ6 =

(1 2 3 44 1 2 3

), τ7 =

(1 2 3 42 3 4 1

), τ8 =

(1 2 3 44 3 2 1

)

139

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

gegeben. Insbesondere ist m = 8, und wir haben acht galoissch Konjugierte. Gemäß Pro-position 4.8 auf Seite 127 gehört zu jeder galoissch Konjugierten t′ genau eine Symmetrieder Nullstellen σ. Für diese Symmetrie gilt dann

t′ = V (xσ(1), xσ(2), xσ(3), xσ(4)). (4.17)

Da V (X1, X2, X3, X4) eine Galoissche Resolvente ist, gibt es in unserem Falle zu jedergaloissch Konjugierten t′ = ti überhaupt nur eine Permutation, welche (4.17) erfüllt,nämlich σ = τi. Damit muß τi eine der acht Symmetrien der Nullstellen x1, . . . , x4 sein.Wir haben also

GalQ(x1, x2, x3, x4) = τ1, τ2, τ3, τ4, τ5, τ6, τ7, τ8.

Wie sich diese Beispielsrechnung auf andere separable Polynome verallgemeinert, sollteklar sein. Die wichtigste Erkenntnis des obigen Beispiels formulieren wir aber noch einmalin allgemeiner Form:

Proposition 4.16. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms f(X) mit rationalen Koeffizienten. Sei V (X1, . . . , Xn) eine Galoissche Resolventezu x1, . . . , xn. Die Symmetrien der Nullstellen von x1, . . . , xn sind dann genau dieje-nigen n-stelligen Permutationen τ1, . . . , τm, so daß

g(X) = (X − V (xτ1(1), . . . , xτ1(n))) · · · (X − V (xτm(1), . . . , xτm(n)))

das Minimalpolynom zu t = V (x1, . . . , xn) ist.

(Da t Nullstelle von g(X) sein muß, können wir ohne Einschränkung annehmen, daßτ1 = id.)Wir schließen diesen Abschnitt mit einem etwas allgemeineren Beispiel, welches sich

auf jedes irreduzible kubische Polynom über den rationalen Zahlen anwenden läßt:Beispiel 4.17. Seien x1, x2 und x3 die Nullstellen eines normierten irreduziblen Polynomsf(X) mit rationalen Koeffizienten. Wir behaupten, daß V (X1, X2, X3) = X1 −X2 eineGaloissche Resolvente zu x1, x2 und x3 ist, daß also insbesondere t = x1−x2 primitiv zux1, x2 und x3 ist. Dazu müssen wir zeigen, daß xσ(1)−xσ(2) für die sechs Permutationenσ aus S3 insgesamt sechs verschiedene Werte annimmt: Seien dazu zwei Permutationenσ und τ mit

xσ(1) − xσ(2) = xτ(1) − xτ(2) (4.18)

gegeben. Wir müssen zeigen, daß dann σ = τ gilt.Da σ(1), σ(2), τ(1), τ(2) ∈ 1, 2, 3 und σ(1) 6= σ(2) und τ(1) 6= τ(2) gilt τ(1) = σ(1)

oder τ(1) = σ(2) oder τ(2) = σ(1) oder τ(2) = σ(2).Im Falle τ(1) = σ(1) erhalten wir aus (4.18), daß xσ(2) = xτ(2). Da x1, x2 und x3

aufgrund der Separabilität des irreduziblen Polynoms f(X) paarweise verschieden sind,folgt damit τ(2) = σ(2) und damit σ = τ .Im Falle τ(1) = σ(2) folgt aus (4.18), daß 2xτ(1) = xσ(1) + xτ(2). Wäre weiter σ(1) =

τ(2), so hätten wir 2xτ(1) = 2xτ(2), also xτ(1) = xτ(2) im Widerspruch dazu, daß x1,

140

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4.4. Galoissche Resolventen

x2 und x3 paarweise verschieden sind. Damit ist σ(1) 6= τ(2), das heißt wir habeneine Gleichung der Form 2xi = xj + xk, wobei i, j, k ∈ 1, 2, 3 paarweise verschiedensind. Daraus folgt xi = 1

3(x1 + x2 + x3). Die rechte Seite ist nach dem Vietaschen Satzrational, also ist auch xi rational. Damit hätte f(X) eine rationale Nullstelle. Dies istein Widerspruch zur Irreduzibilität von f(X). Folglich kann der Fall τ(1) = σ(2) garnicht eintreten.Die übrigen Fälle τ(2) = σ(1) oder τ(2) = σ(2) lassen sich analog abhandeln.

AufgabenAufgabe 4.4.1. Sei f(X1, . . . , Xn) ein nicht verschwindendes Polynom mit rationalen Ko-effizienten. Zeige, daß ganze Zahlen m1, . . . , mn mit f(m1, . . . ,mn) 6= 0 existieren.Aufgabe 4.4.2. Gib eine Galoissche Resolvente für das Polynom f(X) = X2 +X + 1 an.Aufgabe 4.4.3. Warum ist die Galoissche Resolvente nur für separable Polynome definiertworden?Aufgabe 4.4.4. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsf(X) mit rationalen Koeffizienten. Sei C eine natürliche Zahl mit

n ·∣∣∣∣∣xi − xjxk − x`

∣∣∣∣∣ ≤ Cfür alle i, j, k, ` ∈ 1, . . . , n mit k 6= `. Zeige, daß

V (X1, . . . , Xn) = X1 + C ·X2 + C2 ·X3 + . . .+ Cn−1Xn

eine Galoissche Resolvente zu f(X) ist.Aufgabe 4.4.5. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom mit n Nullstellen. Zeige, daßes immer gelingt, eine Galoissche Resolvente V (X1, . . . , Xn) von f(X) zu finden, die vonX1 nicht abhängt, also schon ein Polynom in X2, . . . , Xn ist.Aufgabe 4.4.6. Schreibe das Polynom X1X2X3 −X2X3 + X3

1X22X

23 als Polynom in X1

und in den elementarsymmetrischen Funktionen von X1, X2 und X3.Aufgabe 4.4.7. Sei H(X1, . . . , Xn) ein Polynom, welches symmetrisch in X3, . . . , Xn ist.Zeige, daß sich H(X1, . . . , Xn) als Polynom in X1, in X2 und in den elementarsymme-trischen Funktionen von X1, . . . , Xn schreiben läßt. Ist diese Darstellung eindeutig?Aufgabe 4.4.8. Berechne eine Galoissche Gruppe des Polynoms f(X) = X3 − 3X − 4über den rationalen Zahlen mit Hilfe der Methode der Galoisschen Resolvente.Aufgabe 4.4.9. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom mit Nullstellen x1, . . . ,xn. Konstruiere eine endliche Folge von algebraischen Relationen H1(X1, . . . , Xn), . . . ,Hm(X1, . . . , Xn) zwischen x1, . . . , xn über den rationalen Zahlen, so daß eine n-stelligePermutation genau dann Symmetrie der Nullstellen x1, . . . , xn ist, wenn σ die algebrai-schen Relationen H1(X1, . . . , Xn), . . . , Hm(X1, . . . , Xn) erhält.Aufgabe 4.4.10. Gib ein primitives Element zu den drei Nullstellen der Gleichung X3 −7 = 0 an.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Aufgabe 4.4.11. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsüber den rationalen Zahlen. Sei V (X1, . . . , Xn) ein Polynom mit rationalen Koeffizien-ten, so daß V (xσ(1), . . . , xσ(n)) auf allen Permutationen σ, welche in der GaloisschenGruppe von x1, . . . , xn über den rationalen Zahlen liegen, paarweise verschiedene Werteannimmt. Zeige, daß dann t = V (x1, . . . , xn) ein primitives Element zu x1, . . . , xn ist,im allgemeinen aber keine Galoissche Resolvente.

4.5. Der Lagrangesche Satz und die KlassengleichungDie Anwendungsmöglichkeiten der Galoisschen Theorie bestehen darin, daß wir Aussa-gen über die Lösungen einer Polynomgleichung auf Aussagen der Galoisschen Gruppedieser Lösungen zurückführen können. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir überGaloissche Gruppen oder allgemeiner über Untergruppen G der symmetrischen GruppenSn einiges wissen. Aussagen über diese wollen wir in diesem Abschnitt zusammentragen.Da es für uns im allgemeinen nicht wichtig sein wird, von welcher Permutationsgruppe Geine Untergruppe ist, wollen wir im folgenden einfach Gruppe für eine solche Untergruppeeiner Permutationsgruppe sagen.Sei im folgenden G eine Gruppe, also eine Untergruppe der Sn für eine natürliche

Zahl n, das heißt G = σ1, . . . , σm, wobei σ1, . . . , σm paarweise verschiedene n-stelligePermutationen sind und G die identische Permutation enthält und bezüglich der Kom-position und der Inversenbildung abgeschlossen ist. Da die Komposition offensichtlichassoziativ ist, also

(σ τ) ρ = σ (τ ρ) (4.19)

für drei n-stellige Permutationen σ, τ und ρ gilt, können wir für den Ausdruck in (4.19)einfach στ ρ schreiben. Mit id haben wir die identische Permutation bezeichnet. Dieseerfüllt die Eigenschaft id σ = σ für jede Permutation σ.Wir haben σ−1 als inverse Permutation zu σ definiert, das heißt σ−1 erfüllt die Glei-

chung σ−1 σ = id. Aufgrund der Existenz dieser inversen Permutationen können wirfolgendermaßen kürzen: Gilt τ σ = τ σ′ für Permutationen σ, σ′ und τ , so können wirdiese Gleichung von links mit τ−1 verknüpfen. Wegen τ−1 τ = id folgt also σ = σ′.Es läßt sich leicht überlegen, daß die inverse Permutation auch σ σ−1 = id erfüllt.

Dies läßt sich aber auch systematisch ableiten. Und zwar haben wir

σ−1 σ σ−1 = id σ−1 = σ−1.

Multiplizieren mit (σ−1)−1 von links liefert daraus σ σ−1 = id. Daraus können wirübrigens formal schließen, daß auch σ id = σ (bisher haben wir nur id σ = σ benutzt),denn

σ id = σ σ−1 σ = id σ = σ.

Schließlich wollen wir noch systematisch zwei weitere Gleichheiten ableiten. Wir be-haupten, daß (σ−1)−1 = σ. Dies ist aber nach Definition der inversen Permutationgleichbedeutend damit, daß σ σ−1 = id, was wir soeben nachgerechnet haben. Für zweiPermutationen σ und τ gilt außerdem (τ σ)−1 = σ−1τ−1, denn (σ−1τ−1)(τ σ) = id

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4.5. Der Lagrangesche Satz und die Klassengleichung

aufgrund der Assoziativität der Komposition. So viel zunächst zur elementaren „Arith-metik“ der Komposition von Permutationen.Wir nennen zwei Elemente σ und σ′ von G konjugiert, falls es ein weiteres Element τ

von G gibt, so daßσ′ = τ σ τ−1. (4.20)

Stellen wir uns τ als Umnumerierung der Zahlen 1, . . . , n vor, so entspricht σ′ derPermutation σ nach Umnumerierung. Dies ist also ganz analog zur Gleichung A′ =SAS−1 der Linearen Algebra für die Darstellungsmatrix einer linearen Abbildung nachBasiswechsel. Konjugiertheit ist eine Äquivalenzrelation: Im einzelnen heißt dies: JedesElement σ ist zu sich selbst konjugiert (wähle τ = id in (4.20)). Ist σ zu σ′ konjugiert,so ist auch σ′ zu σ konjugiert, denn Komposition mit τ−1 von links und τ von rechtsin (4.20) liefert τ−1σ′τ = σ. Dies entspricht wegen (τ−1)−1 = τ wieder einer Gleichungder Form (4.20) (mit τ−1 anstelle von τ). Schließlich gilt: Ist σ zu σ′ konjugiert und istσ′ zu σ′′ konjugiert, so ist auch σ zu σ′′ konjugiert. Denn gelten σ′ = τ σ τ−1 undσ′′ = τ ′ σ′ τ ′−1, so folgt

σ′′ = τ ′ σ′ τ ′−1 = τ ′ τ σ τ−1 τ ′−1 = (τ ′ τ) σ (τ ′ τ)−1.

Eine Permutation σ, welche nur zu sich selbst konjugiert ist, ist eine Permutation mit

τ σ τ−1 = σ

für alle Elemente τ von G, das heißt σ vertauscht mit allen Permutationen aus G. Wirsagen dann, daß σ im Zentrum von G liegt, geschrieben

σ ∈ Z(G).

In jedem Falle ist id ein Element im Zentrum. Gibt es weitere Elemente von G imZentrum, so sagen wir, G habe ein nicht triviales Zentrum.Beispiel 4.18. Sei n ≥ 3. Wir behaupten, daß die volle symmetrische Gruppe Sn eintriviales Zentrum besitzt. Sei etwa σ ein Element im Zentrum von Sn. Wir wollen zei-gen, daß σ die Identität ist. Angenommen, σ ist nicht die Identität. Dann gibt es eini ∈ 1, . . . , n mit j := σ(i) 6= i. Jetzt machen wir eine Fallunterscheidung. Zunächstbetrachten wir den Fall, daß σ(j) = i. In diesem Falle sei τ diejenige n-stellige Permuta-tion, welche i und ein Element k ∈ 1, . . . , n \ i, j vertauscht und die übrigen Zahlenaus 1, . . . , n festhält. Dann gilt

(τ σ τ−1)(k) = τ(σ(τ−1(k))) = τ(σ(i)) = τ(j) = j,

aber es gilt σ(k) 6= j (denn σ(i) = j). Damit ist τ σ τ−1 6= σ, also vertauscht σ nichtmit τ , Widerspruch.Betrachten wir schließlich den Fall, daß k := σ(j) 6= i. Dann wählen wir τ als diejenige

n-stellige Permutation, welche i und j vertaucht und die übrigen Zahlen aus 1, . . . , nfesthält. Dann gilt

(τ σ τ−1)(i) = τ(σ(τ−1(i))) = τ(σ(j)) = τ(k) = k,

aber es gilt σ(i) = j 6= k. Damit ist τ σ τ−1 6= σ, wieder ein Widerspruch.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Die Elemente im Zentrum von G bilden wieder eine Untergruppe der Sn: Sind etwa σ,σ′ ∈ Z(G) und ist τ ∈ G beliebig, so gelten τ (σσ′)τ−1 = τ στ−1τ σ′τ−1 = σσ′und τσ−1τ−1 = (τστ−1)−1 = σ−1. Komposition und Inversenbildung von Elementenaus dem Zentrum führen also nicht aus dem Zentrum heraus.Wir wollen im folgenden eine Aussage ableiten, die uns ein nicht triviales Zentrum

garantiert, sobald wir nur etwas über die Anzahl der Elemente in G wissen. Die Anzahlder in G enthaltenen Permutationen heißt die Ordnung von G, geschrieben

[G : 1].

Beispiel 4.19. Da es genau n! verschiedene n-stellige Permutationen gibt, haben wir etwa[Sn : 1] = n!.Ist σ eine n-stellige Permutation, so bezeichnen wir mit

[G : Gσ]

die Anzahl der Elemente aus G (einschließlich σ), welche zu σ konjugiert sind. Durchläuftσ1, . . . , σr ein Repräsentantensystem der Konjugationsklassen von G, das heißt, ist jedePermutation aus G zu genau einer Permutation σj mit j ∈ 1, . . . , r konjugiert, sohaben wir offensichtlich

[G : 1] =r∑j=1

[G : Gσj ]. (4.21)

Da jedes Element aus dem Zentrum nur zu sich selbst konjugiert ist, kommt jedes Ele-ment aus dem Zentrum genau einmal unter σ1, . . . , σr vor. Für ein Element σ aus demZentrum gilt damit außerdem [G : Gσ] = 1. Konjugationsklassen von Elementen, dienicht im Zentrum liegen, bestehen aus mindestens zwei Permutationen und heißen nichtzentral.Wir können damit (4.21) in folgende Form bringen, welche unter dem Namen Klas-

sengleichung bekannt ist:

Proposition 4.20. Sei G eine Gruppe. Die Ordnung von G berechnet sich zu

[G : 1] = [Z(G) : 1] +∑σ

[G : Gσ], (4.22)

wobei die Summe über ein Repräsentantensystem der nicht zentralen Konjugationsklassenvon G läuft.

Wir haben die Klassengleichung in Abbildung 4.6 auf der nächsten Seite illustriert.Die Punkte in Abbildung 4.6 auf der nächsten Seite entsprechen den Elementen vonG, die Zellen den Konjugationsklassen von Gruppenelementen. Die Punkte, die in einerZelle mit genau einem Punkt sind, entsprechend dabei gerade den zentralen Gruppen-elementen. Die Klassengleichung sagt einfach aus, daß die Gesamtanzahl der Punktedie Summe aus der Anzahl der Punkte in Zellen mit einem Punkt und der Summe derAnzahlen der Punkte in Zellen mit mindestens zwei Punkten ist.

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4.5. Der Lagrangesche Satz und die Klassengleichung

Abbildung 4.6.: Illustration der Klassengleichung.

Die Gleichung (4.22) ist deswegen interessant, weil wir Aussagen über die Anzahl derzu einem Element σ ∈ G konjugierten Elemente machen können. Es ist nämlich [G : Gσ]ein Teiler der Ordnung von G. Dies können wir folgendermaßen einsehen: Wir sagen, einElement τ sei im Zentralisator von σ, geschrieben

τ ∈ Gσ,

falls τ σ τ−1 = σ. Mit Gσ bezeichnen wir also die Menge aller Elemente τ , welchemit σ vertauschen. Es läßt sich wieder leicht überprüfen, daß Gσ selbst eine Gruppe ist.Dann gilt

[G : 1] = [G : Gσ] · [Gσ : 1]. (4.23)Diese Formel beweisen wir direkt in größerer Allgemeinheit. Und zwar wollen wir Gσdurch eine beliebige Untergruppe von G ersetzen (das heißt durch eine Untergruppevon Sn, deren Elemente allesamt schon in G liegen). Was soll dann [G : H] sein? Dazudefinieren wir, daß zwei Elemente τ und τ ′ kongruent modulo H sind, geschrieben

τ ≡ τ ′ (mod H),

falls τ ′−1 τ ∈ H, was gleichbedeutend damit ist, daß ein ρ aus H mit τ = τ ′ ρ existiert.Es läßt sich wieder leicht überprüfen, daß Kongruenz modulo einer Untergruppe H eineÄquivalenzrelation ist. Mit [G : H] bezeichnen wir dann die Anzahl der Kongruenzklassenmodulo H, also die Größe eines Repräsentantensystems für die Kongruenzklassen. DieseZahl heißt der Index von H in G. Warum stimmt diese Definition im Falle von H =Gσ mit der ursprünglichen Definition von [G : Gσ] als Anzahl der zu σ konjugiertenElemente (einschließlich σ) überein? Um dies einzusehen, betrachten wir die Zuordnung,die jedem τ ∈ G das zu σ konjugierte Element τ στ−1 zuordnet. Offensichtlich ist dieseZuordnung auf die zu σ konjugierten Elemente surjektiv. Da τ σ τ−1 = τ ′ σ τ ′−1

gleichbedeutend zu τ ′−1 τ σ τ−1 τ ′ = σ, also zu τ ′−1 τ ∈ Gσ ist, also dazu, daß τund τ ′ kongruent modulo Gσ sind, induziert die Zuordnung τ 7→ τ στ−1 eine Bijektionzwischen einem Repräsentantensystem für die Kongruenzklassen auf das System der zuσ konjugierten Elemente. Die Formel (4.23) folgt dann aus folgendem Satz von Lagrange:

Proposition 4.21. Sei G eine Gruppe. Für jede Untergruppe H von G gilt dann

[G : 1] = [G : H] · [H : 1]. (4.24)

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Die Gleichung (4.24) erklärt die am Anfang vielleicht ungewöhnliche Schreibweisewirkende Schreibweise [G : 1] für die Ordnung einer Gruppe. Außerdem erinnert sie einwenig an die Gradformel für algebraische Elemente. Mit Hilfe der Galoisschen Theoriewerden wir sehen, daß dies kein Zufall ist.

Beweis. Wir wählen ein Repräsentantensystem R = τ1, . . . , τr für die Kongruenzklas-sen modulo H, das heißt zu jedem τ ∈ G existiert genau ein j ∈ 1, . . . , r, so daß τkongruent zu τj modulo R ist. Wir behaupten dann, daß

R×H → G, (τj , ρ) 7→ τj ρ (4.25)

eine Bijektion ist: Gilt τi ρ = τj ρ′ für i, j ∈ 1, . . . , r und ρ, ρ′ ∈ H, so folgtτ−1j τi = ρ′ ρ−1. Die rechte Seite ist ein Element aus H. Damit sind τi und τjkongruent modulo H, nach Definition gilt also τi = τj . Damit folgt id = ρ′ ρ−1, alsoρ′ = ρ. Folglich ist (4.25) injektiv. Für die Surjektivität betrachten wir irgendein Elementτ in G. Dann existiert ein j ∈ 1, . . . , r mit τ−1

j τ =: ρ ∈ H. Folglich ist τ = τj ρ imBilde von (4.25).

Mittels (4.23) können wir zeigen:

Hilfssatz 4.22. Sei G eine Gruppe, deren Ordnung eine Primpotenz größer als Einsist. Dann hat G ein nicht triviales Zentrum.

Eine Gruppe, deren Ordnung eine Primpotenz ist, nennen wir eine p-Gruppe. (Hierist die triviale Potenz 1 also auch zugelassen).

Beweis. Sei [G : 1] = pr für eine Primzahl p und eine natürliche Zahl r > 1. Nach derKlassengleichung haben wir damit

pr = [G : 1] = [Z(G) : 1] +∑σ

[G : Gσ].

Da die Summanden [G : Gσ] > 1 allesamt Teiler von [G : 1] sind und damit Vielfachevon p, ist auch [Z(G) : 1] = pr −

∑σ

[G : Gσ] ein Vielfaches von p. Damit muß Z(G) ausmehr als einem Element bestehen.

Insbesondere ist Z(G) selbst wieder eine p-Gruppe.In der Situation von Hilfssatz 4.22 können wir sogar mehr über das Zentrum von G

sagen. Dazu definieren wir kurz die Ordnung eines Elementes σ in G. Und zwar ist dieOrdnung von σ die kleinste positive natürliche Zahl d mit σd = id. Diese Zahl d istwohldefiniert: Wir müssen zeigen, daß es überhaupt eine positive natürliche Zahl e mitσe = id gibt. Dazu betrachten wir die Folge

σ, σ2, σ3, . . .

von Permutationen. Da es nur endlich viele n-stellige Permutationen gibt, muß es positivenatürliche Zahlen i < j mit σi = σj geben. Komposition mit σ−i = (σ−1)i von linksliefert id = σj−i. Für die Ordnung von σ schreiben wir auch

ordσ.

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4.5. Der Lagrangesche Satz und die Klassengleichung

Wir schreiben weiter 〈σ〉 für die von σ erzeugte Untergruppe, das heißt für das Systembestehend aus den paarweise verschiedenen Elementen id, σ, σ2, . . . , σordσ−1. Da σordσ =id und damit σ−1 = σordσ−1 gilt, können wir also

〈σ〉 = . . . , σ−2, σ−1, id, σ, σ2, . . .

schreiben. Insbesondere erkennen wir, daß 〈σ〉 in der Tat eine Untergruppe ist, und zwarmit ordσ vielen Elementen, das heißt

ordσ = [〈σ〉 : 1].

Aus dem Lagrangeschen Satz, Proposition 4.21 auf Seite 145, folgt dann:

Proposition 4.23. Die Ordnung eines Elementes σ von G ist einer Teiler der Ordnungvon G.

Damit können wir folgende Verschärfung von (4.22) beweisen:

Proposition 4.24. Seien p eine Primzahl und G eine p-Gruppe von Ordnung [G : 1] >1. Dann gibt es ein Element der Ordnung p im Zentrum von G.

Beweis. Sei [G : 1] = pr für eine positive natürliche Zahl r. Sei σ ein nicht trivialesElement im Zentrum von G. Da die Ordnung von σ die Gruppenordnung pr teilt, habenwir ordσ = ps für eine positive natürliche Zahl s ≤ r. Damit ist σps−1 ein Element imZentrum von G, welches Ordnung p hat.

AufgabenAufgabe 4.5.1. Sei G eine Gruppe. Sei σ ∈ G. Zeige, daß der Zentralisator Gσ von σ eineUntergruppe von G ist.Aufgabe 4.5.2. Sei G eine Gruppe. Ist i eine negative ganze Zahl, so setzen wir σi =(σ−1)−i. Außerdem ist σ0 = id. Zeige, daß σi σj = σi+j für zwei beliebige ganze Zahleni und j.Warum reicht es, diese Aussage für den Fall zu beweisen, daß G eine volle Permutati-

onsgruppe ist?Aufgabe 4.5.3. Sei G eine Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G. Zeige, daß Kongruenzmodulo H eine Äquivalenzrelation auf den Elementen von G ist.Aufgabe 4.5.4. Sei G eine Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G, und sei K eineUntergruppe von H. Warum ist K auch eine Untergruppe von G?Aufgabe 4.5.5. Sei G eine Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G, und sei K eineUntergruppe von H. Zeige, daß dann

[G : K] = [G : H] · [H : K]

gilt.

147

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Aufgabe 4.5.6. Gibt es in der Permutationsgruppe S5 eine Untergruppe mit 80 Elemen-ten?Aufgabe 4.5.7. Sei f(X) eine normiertes separables Polynom über den rationalen Zahlen.Sei t ein primitives Element zu den Nullstellen (mit Vielfachheit) x1, . . . , xn von f(X).Zeige, daß der Grad von t über den rationalen Zahlen ein Teiler von n! ist.Aufgabe 4.5.8. Sei G eine Gruppe. Sei σ ∈ G von Ordnung n. Sei m eine ganze Zahl.Zeige, daß die Ordnung von σm durch n

d gegeben ist, wobei d der größte gemeinsameTeiler von n und m ist.Aufgabe 4.5.9. Sei n eine natürliche Zahl. Berechne die Ordnungen der Elemente derzyklischen Gruppe Cn.

4.6. KreisteilungspolynomeDie Gleichung

Xn − 1 = 0 (4.26)haben wir die n-te Kreisteilungsgleichung genannt, weil ihre n Lösungen die n-ten Ein-heitswurzeln ζkn, k = 0, . . . , n, sind, welche den Einheitskreis in n gleiche Abschnitte tei-len. (Wir erinnern an Abbildung 1.5 auf Seite 24.) Ein besseres Verständnis von (4.26)wird uns schließlich ein Kriterium dafür liefern, wann ein regelmäßiges n-Eck (dessenEckpunkte wir mit den n-ten Einheitswurzeln identifizieren können) mit Zirkel und Li-neal konstruierbar ist.Zu einem besseren Verständnis von (4.26) wird zum Beispiel die Galoisschen Gruppe

des PolynomsXn−1 führen — diese Rechnung wird übrigens unser erstes Beispiel für dieBerechnung der Galoisschen Gruppe einer ganzen Serie von Polynomen sein (und nichtnur speziell gegebener Polynome). Dazu stellen wir zunächst fest, daß das normiertePolynom f(X) = Xn − 1 ein separables Polynom ist: Die Nullstellen, die wir in derReihenfolge

x1 = ζn, x2 = ζ2n, . . . , xn−1 = ζn−1

n , xn = ζnn = 1 (4.27)

betrachten wollen, sind paarweise verschieden. (Ein Alternativbeweis für die Separabili-tät geht über die Ableitung f ′(X) = nXn−1, denn wir haben 1 = 1

nf′(X) ·X − f(X),

die Polynome f(X) und f ′(X) sind also teilerfremd.) Was allerdings (jedenfalls im Fallen 6= 1) nicht gilt, ist, daß f(X) irreduzibel ist. So haben wir

f(X) = Xn − 1 = (X − 1) · (Xn−1 +Xn−2 + · · ·+X + 1).

Aber auch der rechte Faktor ist im allgemeinen nicht irreduzibel, so daß wir im allge-meinen immer noch keine Zerlegung von f(X) in irreduzible Faktoren gefunden haben.Um dorthin zu kommen, definieren wir zunächst für jede natürliche Zahl d ein weiteresnormiertes Polynom, nämlich

Φd(X) =∏

i∈1,...,d(d,i)=1

(X − ζid),

148

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4.6. Kreisteilungspolynome

das sogenannte d-te Kreisteilungspolynom. Dabei schreiben wir (d, i) = 1 für zwei ganzeZahlen d und i, wenn d und i teilerfremd sind. Das Polynom Φd(X) ist also aus sovielenFaktoren zusammengesetzt, wie zu d teilerfremde positive natürliche Zahlen kleiner gleichd existieren. Diese Anzahl schreiben wir ϕ(d). (Die Funktion, welche jeder natürlichenZahl n die Zahl ϕ(n) zuordnet, heißt die Eulersche ϕ-Funktion.) Damit haben wir also

deg Φd(X) = ϕ(d).

Das erste Resultat dieses Abschnittes ist das folgende:

Proposition 4.25. Für jede natürliche Zahl n gilt folgende Gleichheit von Polynomen:

Xn − 1 =∏d|n

Φd(X). (4.28)

Hierbei durchläuft das Produkt alle Teiler (1 und n eingeschlossen) von n.

Beweis. Das Polynom auf der linken Seite ist ein normiertes Polynom vom Grade n. DasPolynom auf der rechten Seite der zu beweisenden Gleichheit ist ebenfalls normiert undhat den Grad

∑d|nϕ(d). Nach Definition der Eulerschen ϕ-Funktion ist dies die Anzahl

der Paare (d, k′), wobei d ein Teiler von n und k′ ∈ 1, . . . , n eine zu d teilerfremdenatürliche Zahl ist. Wir behaupten, daß diese Paare in Bijektion zu der Menge 1, . . . , nstehen:Sei k ∈ 1, . . . , n. Sei ` ihr größter gemeinsamer Teiler mit n. Dann ist k′ = k

`teilerfremd zu d = n

` und außerdem ist k′ ∈ 1, . . . , d. Ist umgekehrt d ein Teiler von n,etwa n = ` · d für ein ` ∈ 1, . . . , n und k′ ∈ 1, . . . , d eine zu d teilerfremde Zahl, soist k = ` · k′ eine natürliche Zahl aus 1, . . . , n.Damit ist

∑d|nϕ(d) = n. Folglich sind die Polynome beider Seiten von (4.28) vom glei-

chen Grade. Da das PolynomXn−1 die n verschiedenen Nullstellen ζkn mit k ∈ 1, . . . , nbesitzt, reicht es für den Beweis der Gleichheit, daß das Polynom auf der rechten Seitedie ζkn ebenfalls als Nullstellen besitzt. Dazu sei wieder ` der größte gemeinsame Teilervon n und k. Setzen wir dann d = n

` und k′ = k` , so ist

ζkn = ζ`·k′

n = (ζ`n)k′ = ζk′d ,

wegen (d, k′) = 1 also eine Nullstelle von Φd(X) und damit auch von der rechten Seite∏d|n

Φd(X).

Wir können Proposition 4.25 nutzen, um alle Kreisteilungspolynome rekursiv zu be-rechnen. Dazu stellen wir (4.28) einfach in die Form

Φn(X) = Xn − 1∏d|nd<n

Φd(X)

149

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

um. Ausführen der Polynomdivision führt also zur Berechnung von Φn(X), wenn dieΦd(X) mit d < n schon bekannt sind. Wegen Φ1(X) = X − 1 ist zum Beispiel

Φ2(X) = X2 − 1Φ1(X) = X2 − 1

X − 1 = X + 1.

Daraus folgt zum Beispiel wiederum

Φ4(X) = X4 − 1Φ1(X) · Φ2(X) = X4 − 1

(X − 1) · (X + 1) = X2 + 1.

Wir werden sehen, daß (4.28) die Zerlegung von Xn − 1 in irreduzible Polynomeüber den rationalen Zahlen darstellt. Dazu müssen wir zunächst zeigen, daß die Φd(X)überhaupt Polynome über den rationalen Zahlen sind. Wir zeigen sogar:

Hilfssatz 4.26. Für jede natürliche Zahl d ist Φd(X) ein primitives Polynom mit ganz-zahligen Koeffizienten.

Beweis. Den Beweis können wir per Induktion über d führen: Der Induktionsanfang istd = 0. In diesem Falle ist Φd(X) = 1, das konstante Polynom 1. Für den Induktionsschrittwenden wir Proposition 4.25 auf der vorherigen Seite auf Xd − 1 an und erhalten:

Xd − 1 =∏d′|d

Φd′(X) = Φd(X) ·∏d′|dd′<d

Φd′(X).

Auf der linken Seite steht ein primitives Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Auf derrechten Seite sind nach Induktionsvoraussetzung alle Faktoren (bis auf höchstens einen)primitive Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten. Damit muß nach Hilfssatz 3.15 aufSeite 86 auch der übrige Faktor Φd(X) ein primitives Polynom mit ganzzahligen Koeffi-zienten sein.

Schließlich kommen wir zum Hauptresultat dieses Abschnittes:

Satz 4.27. Sei d eine natürliche Zahl. Das Kreisteilungspolynom Φd(X) ist über denrationalen Zahlen irreduzibel.

Damit ist also (4.28) die Zerlegung von Xn − 1 in irreduzible Polynome über denrationalen Zahlen. Wir werden Satz 4.27 unter Zuhilfenahme des folgenden Hilfssatzesbeweisen:

Hilfssatz 4.28. Sei p eine zu d teilerfremde Primzahl. Ist dann ζ galoissch konjugiertzu ζd, so ist auch ζp galoissch konjugiert zu ζd.

Beweis von Satz 4.27. Sei f(X) das Minimalpolynom von ζd über den rationalen Zahlen.Wir wollen zeigen, daß Φd(X) = f(X). Dazu zeigen wir, daß jede Nullstelle von Φd(X)auch eine Nullstelle von f(X) ist. Die Nullstellen von Φd(X) sind alle von der Formζkd, wobei k ∈ 1, . . . , d und k teilerfremd zu d ist. Wir schreiben dann k = p1 · · · pm,wobei p1, . . . , pm Primzahlen sind, welche (zwangsläufig) teilerfremd zu n sind. Nach

150

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4.6. Kreisteilungspolynome

Hilfssatz 4.28 auf der vorherigen Seite ist ζp1d galoissch konjugiert zu ζd. Wieder nach

Hilfssatz 4.28 auf der vorherigen Seite ist dann auch ζp1p2d = (ζp1

d )p2 galoissch konjugiertzu ζd, usw. Schließlich erhalten wir, daß ζp1···pm

d = ζkd galoissch konjugiert zu ζd ist. NachProposition 4.2 auf Seite 118 ist damit auch ζkd eine Nullstelle von f(X).

Bevor wir an den Beweis von Hilfssatz 4.28 auf der vorherigen Seite herangehen,machen wir einige Vorüberlegungen: Sei p eine Primzahl. Ist dann k ∈ 1, . . . , p−1 einenatürliche Zahl, so ist der Binomialkoeffizient(

p

k

)= p · (p− 1) · · · (p− k + 1)

k!

durch p teilbar, da in der Primfaktorzerlegung des Nenners der Faktor p nicht auftaucht.Dieses Resultat können wir auch als(

p

k

)≡ 0 (mod p), k ∈ 1, . . . , p− 1

schreiben. Daraus können wir unmittelbar folgern, daß der binomische Lehrsatz modulop eine besonders einfache Form hat, nämlich

(X + Y )p ≡p∑

k=0

(p

k

)Xp−kY k ≡

(p

0

)Xp +

(p

p

)Y p ≡ Xp + Y p (mod p) (4.29)

als Kongruenz zweier Polynome in X und Y . Die Ausweitung auf mehr als einen Sum-manden geht analog. Ist etwa g(X) = anX

n + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 ein Polynom

mit ganzzahligen Koeffizienten, so erhalten wir

g(X)p ≡ (anXn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0)p

≡ (anXn)p + (an−1Xn−1)p + · · ·+ (a1X)p + ap0

≡ apn(Xp)n + apn−1(Xp)n−1 + · · ·+ ap1Xp + ap0 (mod p).

(4.30)

Diesen Ausdruck können wir noch weiter vereinfachen. Für jede ganze Zahl a gilt nämlich

ap ≡ a (mod p).

Diese Aussage ist der sogenannte kleine Fermatsche Satz, welcher sich ebenfalls wie (4.29)herleiten läßt:

ap ≡ (1 + · · ·+ 1︸ ︷︷ ︸a

)p ≡ 1p + · · ·+ 1p︸ ︷︷ ︸a

≡ a (mod p).

Damit vereinfacht sich (4.30) zu

g(X)p ≡ g(Xp) (mod p).

151

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Beweis von Hilfssatz 4.28 auf Seite 150. Sei f(X) das Minimalpolynom von ζd über denrationalen Zahlen. Dieses besitzt ζ als Nullstelle. Wir müssen zeigen, daß es auch ζp alsNullstelle besitzt. Da Φd(X) ein Polynom mit Nullstelle ζd ist, muß f(X) ein Teiler vonΦd(X) sein. Da Φd normiert und primitiv mit ganzzahligen Koeffizienten ist, folgt ausHilfssatz 3.15 auf Seite 86, daß f(X) ebenfalls normiert und primitiv mit ganzzahligenKoeffizienten ist.Es ist f(X) aus denselben Gründen ein Teiler von Xd − 1, wir können also

Xd − 1 = f(X) · g(X)

für ein weiteres normiertes und primitives Polynom g(X) mit ganzzahligen Koeffizientenschreiben. Da ζ eine Nullstelle von Xd − 1 ist, ist ζ eine d-te Einheitswurzel. Damitist auch ζp eine d-te Einheitswurzel, also Nullstelle von Xd − 1. Damit ist ζp Nullstellevon f(X) oder von g(X). Wir nehmen an, daß g(ζp) = 0 und wollen dies zu einemWiderspruch führen:Da unter der Annahme das Polynom g(Xp) die algebraische Zahl ζ als Nullstelle hat,

muß das Minimalpolynom von ζ ein Teiler dieses Polynoms sein, also

g(Xp) = f(X) · h(X)

für ein weiteres normiertes primitives Polynom h(X) mit ganzzahligen Koeffizienten. Ausunseren Vorüberlegungen zur Arithmetik modulo p folgt g(X)p ≡ f(X) · h(X) modulop, das heißt f(X) ist ein Teiler von g(X)p modulo p. Sei q(X) ein modulo p irreduziblerFaktor von f(X), welcher dann auch g(X)p teilt. Aufgrund der Eindeutigkeitkeit derPrimfaktorzerlegung von Polynomen modulo p folgt, daß q(X) dann auch g(X) modulop teilt. Damit ist q(X)2 ein Teiler von Xd − 1 = f(X) · g(X) modulo p, das heißt

Xd − 1 ≡ q(X)2 · r(X) (mod p) (4.31)

für ein weiteres normiertes Polynom r(X) mit ganzzahligen Koeffizienten. Leiten wirbeide Seiten von (4.31) ab, erhalten wir

dXd−1 ≡ q(X) · (2q′(X) · r(X) + q(X) · r′(X)) (mod p).

Da d teilerfremd zu p ist, ist d modulo p invertierbar, wir erhalten also, daß q(X)modulo p ein Teiler von Xd−1 ist. Aufgrund der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegungmuß damit q(X) ≡ X modulo p gelten. Aus (4.31) würde dann

0 ≡ 0d − 1 ≡ −1 (mod p)

folgen, ein offensichtlicher Widerspruch.

Mit dem Wissen über die Zerlegung von Xn − 1 in irreduzible Polynome können wirrecht zügig die Galoissche Gruppe der Nullstellen von Xn−1 über den rationalen Zahlenbestimmen. Die Nullstellen sind in (4.27) gegeben. Da x2, . . . , xn Potenzen von x1 sind,ist x1 = ζn ein primitives Element zu den Nullstellen vonXn−1, also den n-ten Einheits-wurzeln. Das Minimalpolynom von ζn ist Φn(X), denn Φn(X) besitzt x1 als Nullstelle

152

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4.6. Kreisteilungspolynome

und ist normiert und irreduzibel über den rationalen Zahlen. Die galoissch Konjugiertenvon ζn sind damit alle ϕ(n) Einheitswurzeln der Form ζdn, wobei d ∈ 1, . . . , n tei-lerfremd zu n ist. (Diese n-ten Einheitswurzeln heißen primitive n-te Einheitswurzeln.)Damit besitzt die Galoissche Gruppe von Xn − 1 nach Proposition 4.8 auf Seite 127genau ϕ(n) verschiedene Elemente, für jedes galoissch Konjugierte ζdn genau eine Sym-metrie σd der Nullstellen x1, . . . , xn. Definieren wir hi(X) := Xi für i ∈ 1, . . . , n,so ist ζin = xi = hi(t) für alle i ∈ 1, . . . , n. Damit wirkt für jedes zu n teilerfremded ∈ 1, . . . , n die Symmetrie d durch

σd · ζin = hi(ζdn) = (ζdn)i = ζdin .

Wir können die Galoissche Gruppe der Nullstellen von Xn − 1 also durch

GalQ(ζn, ζ2n, . . . , ζ

n−1n , ζnn) =

ζin 7→ ζdin | d ∈ 1, . . . , n, (d, n) = 1

beschreiben.Im Falle, daß n = p eine Primzahl ist, läßt sich die Struktur der Galoisschen Gruppe

der Nullstellen von Xn − 1, noch etwas genauer analysieren. Dazu brauchen wir eineDefinition aus der Zahlentheorie. Und zwar nennen wir eine ganze Zahl g eine primitiveWurzel modulo p, falls jede ganze Zahl d, welche nicht 0 modulo p ist (falls also d eineEinheit modulo p ist), modulo p eine Potenz von g ist, wenn also modulo p alle Einheitenmodulo p in der Folge

g, g2, g3, g4, . . .

vorkommen. Da gp ≡ g modulo p nach dem kleinen Fermatschen Satz, müssen alleEinheiten modulo p offensichtlich schon kongruent modulo p zu einem Element aus g,g2, . . . , gp−1 sein. Und da es genau p− 1 verschiedene Einheiten modulo p gibt, ist diesgenau dann der Fall, wenn g, g2, . . . , gp−1 modulo p paarweise verschieden sind. MitHilfe der Polynomarithmetik, die wir entwickelt haben, fällt es nicht schwer, die Existenzprimitiver Wurzeln modulo p zu zeigen:

Hilfssatz 4.29. Für jede Primzahl p existiert eine primitive Wurzel g modulo p.

Beweis. Nach dem kleinschen Fermatschen Satz gilt für alle Einheiten d modulo p, daßdp ≡ d modulo p, daß also dp−1 ≡ 1 modulo p, da d modulo p invertierbar ist. Wirnennen die kleinste positive natürliche Zahl a mit da ≡ 1 modulo p die Ordnung von dmodulo p. (Es gilt also a ≤ p− 1.)Sei e das kleinste gemeinsame Vielfache aller Ordnungen modulo p der Einheiten

modulo p. Wir betrachten die Primfaktorzerlegung e = pf11 · p

f22 · · · pfss mit paarweise

verschiedenen Primzahlen. Nach Definition von e als kleinstes gemeinsames Vielfachesmuß es für jedes 1 ≤ i ≤ s eine Einheit gi modulo p geben, deren Ordnung modulo p einVielfaches von pfii ist. Eine geeignete Potenz von gi ist dann eine Einheit modulo p derOrdnung pfii modulo p. Ohne Einschränkung können wir davon ausgehen, daß schon gieine solche Einheit modulo p ist.Es folgt, daß g := g1 · g2 · · · gs eine Einheit modulo p ist, deren Ordnung e ein Teiler

von e ist. Angenommen, e ·pi ist Teiler von e. Dann wäre insbesondere gp−1i e ≡ 1 modulo

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

p; es ist aber gp−1i e ≡ g

pfi−1ii modulo p, und die rechte Seite kann nach Definition der

Ordnung von gi nicht kongruent 1 modulo p sein. Es folgt, daß e kein echter Teiler vone sein kann, daß also e = e.Es bleibt zu zeigen, daß e = p−1, denn dann sind g, g2, . . . , gp−2 alle unterschiedliche

Elemente, durchlaufen also zwangsläufig alle Einheiten modulo p. Da e ein Teiler vonp− 1 sein muß, wissen wir schon, daß e ≤ p− 1. Es bleibt, e ≥ p− 1 zu zeigen: Modulop besitzt das Polynom Xe − 1 die Zahlen 1, . . . , p − 1 als Nullstellen. Da diese Zahlenauch modulo p paarweise verschieden sind, gibt es die modulo p paarweise verschiedenenLinearfaktoren X − 1, . . . , X − (p− 1) in der Primfaktorzerlegung von Xe − 1 modulop. Folglich muß e ≥ p− 1 sein.

Durch den Beweis wird offensichtlich, warum primitive Wurzeln modulo p so heißen:Sie sind (p− 1)-te Einheitswurzeln modulo p, und jede andere (p− 1)-te Einheitswurzelmodulo p ist eine Potenz einer solchen primitiven Wurzel modulo p.Interessanterweise helfen uns diese (p − 1)-ten Einheitswurzeln modulo p die Galois-

sche Gruppe der p-ten Einheitswurzeln über den rationalen Zahlen zu verstehen. Dazuerinnern wir an die Definition der zyklischen Gruppe Cn. Die Permutation

σ1 =(

1 2 . . . n− 1 n2 3 . . . n 1

)∈ Cn

hat die Eigenschaft, daß jede andere Permutation in Cn von der Form

σk1 = σ1 · · · σ1︸ ︷︷ ︸k

für k ∈ 0, . . . , n− 1 ist. (Hierbei setzen wir σ01 := id in Analogie zu x0 = 1 für Zahlen

x.) Wir nennen daher σ1 einen Erzeuger von Cn.In Verallgemeinerung nennen wir eine Galoissche Gruppe zyklisch, wenn sie eine Sym-

metrie σ erhält, so daß jede andere Symmetrie eine ganzzahlige Potenz von σ ist. (Dabeidefinieren wir eine negative Potenz durch σ−n = (σ−1)n.) Wir wollen zeigen, daß dieGaloissche Gruppe der p-ten Einheitswurzeln zyklisch ist. Dazu wählen wir eine primi-tive Wurzel g modulo p. Wir betrachten das Element σ der Galoisschen Gruppe von ζp,ζ2p, . . . , ζpp, welches durch

σ : ζip 7→ ζigp

gegeben ist. Für eine ganze Zahl k ist dann

σk : ζip 7→ ζigk

p .

Da g als primitive Wurzel modulo p gewählt worden ist, durchläuft g, g2, . . . , gp−1

alle Einheiten von d modulo n. Damit existieren für jedes d ∈ 1, . . . , p − 1 ein k ∈1, . . . , p− 1 mit gk ≡ d modulo p. Da ζpp = 1 haben wir ζgkip = ζdip . Folglich durchläuftσ, σ2, . . . , σp−1 alle Elemente der Galoisschen Gruppe der p-ten Einheitswurzeln, dasheißt diese Galoissche Gruppe ist in der Tat eine zyklische.

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4.6. Kreisteilungspolynome

AufgabenAufgabe 4.6.1. Gib die Faktorisierung von X3 + X2 + X + 1 in irreduzible Polynomeüber den rationalen Zahlen an.Aufgabe 4.6.2. Berechne das Kreisteilungspolynom Φ3(X).Aufgabe 4.6.3. Berechne das Kreisteilungspolynom Φ6(X).Aufgabe 4.6.4. Berechne das Kreisteilungspolynom Φ9(X).Aufgabe 4.6.5. Sei A eine quadratische Matrix über den rationalen Zahlen, so daß Andie Einheitsmatrix ist. Zeige, daß das charakteristische Polynom von A ein Produkt vonKreisteilungspolynomen der Form Φd(X) ist, wobei d ein Teiler von n ist.Aufgabe 4.6.6. Sei A eine quadratische Matrix mit 4 Zeilen und Spalten über den ratio-nalen Zahlen, welche nicht die Einheitsmatrix ist. Zeige, daß die einzigen Primzahlen pfür die Ap die Einheitsmatrix sein kann, nur 2, 3 und 5 sind.Aufgabe 4.6.7. Sei p eine Primzahl. Zeige, daß

Φp(X) = Xp − 1X − 1 = Xp−1 +Xp−2 + · · ·+X + 1.

Aufgabe 4.6.8. Sei p eine Primzahl. Zeige, daß

Φp(X + 1) = Xp−1 +(p

1

)Xp−2 + · · ·+

(p

p− 2

)X +

(p

p− 1

).

Aufgabe 4.6.9. Zeige mit Hilfe des Eisensteinschen Kriteriums und unabhängig von denAussagen dieses Abschnittes, daß Xp−1 +Xp−2 + · · ·+X+ 1 über den rationalen Zahlenirreduzibel ist.Aufgabe 4.6.10. Sei m eine natürliche Zahl. Zeige, daß

X2m +Xm + 1 = X3m − 1Xm − 1 =

∏d|3md-m

Φd(X).

Aufgabe 4.6.11. Sei m eine natürliche Zahl. Zeige, daß das Polynom X2m+Xm+1 genaudann über den rationalen Zahlen irreduzibel ist, wenn m = 3k für eine natürliche Zahlk.Aufgabe 4.6.12. Sei p eine Primzahl. Sei r eine positive natürliche Zahl. Zeige, daß

Φpr(X) = Φp(Xpr−1).

Aufgabe 4.6.13. Sei n = pr11 · · · prss die Primfaktorzerlegung einer natürlichen Zahl, wobei

wir r1, . . . , rs > 0 annehmen. Zeige, daß

Φn(X) = Φp1···ps

(Xp

r1−11 ···prs−1

s

).

Aufgabe 4.6.14. Sei n > 1 eine ungerade natürliche Zahl. Zeige, daß Φ2n(X) = Φn(−X).

155

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Aufgabe 4.6.15. Sei p eine Primzahl und n eine zu p teilerfremde natürliche Zahl. Zeige,daß

Φpn(X) = Φn(Xp)Φn(X) .

Aufgabe 4.6.16. Sei p eine Primzahl und n ein positives ganzzahliges Vielfaches von p.Zeige, daß Φpn(X) = Φn(Xp).

Aufgabe 4.6.17. Sei p eine Primzahl. Zeige, daß der Binomialkoeffizient(p2

p

)durch p, aber

nicht durch p2 teilbar ist.Aufgabe 4.6.18. Seien d und n natürliche Zahlen. Sei X = ζn, ζ2

n, . . . , ζn−1n , ζnn die

Menge der n-ten Einheitswurzeln. Zeige, daß

σd : X → X, ζ 7→ ζd

genau dann eine Bijektion von X ist, wenn d teilerfremd zu n ist.Aufgabe 4.6.19. Gib alle primitiven Wurzeln modulo 11 an.Aufgabe 4.6.20. Sei p eine Primzahl. Gib die Primfaktorzerlegung von Xp−1− 1 modulop an.Aufgabe 4.6.21. Sei n eine natürliche Zahl. Gib alle Erzeuger von Cn an.

4.7. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-EckeZiel dieses Abschnittes ist es, mit unserem Wissen über Kreisteilungspolynome das fol-gende Resultat von Carl-Friedrich Gauß zu beweisen:

Satz 4.30. Sei n eine positive natürliche Zahl. Das regelmäßige n-Eck ist genau dannmit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn n von der Form

n = 2rp1 · · · ps

ist, wobei r eine natürliche Zahl und p1, . . . , ps paarweise verschiedene FermatschePrimzahlen sind. Dabei heißt eine Primzahl p eine Fermatsche Primzahl, wenn p vonder Form

p = Fk = 22k + 1, k ∈ N0

ist.

Bemerkung 4.31. Die Folge der Zahlen Fk beginnt mit

F0 = 3, F1 = 5, F2 = 17, F3 = 257, F4 = 65537, F5 = 4294967297.

Pierre de Fermat hat erkannt, daß F0, . . . , F4 Primzahlen sind und vermutete, daß auchalle weiteren Fk, k ≥ 5 Primzahlen sind. Leonhard Euler fand jedoch 1732 den Teiler 631der Zahl F5 und widerlegte damit Pierre de Fermats Vermutung. Bis heute sind nebenF0, . . . , F4 keine weiteren Fermatschen Primzahlen gefunden worden. Es ist jedoch auchnicht bewiesen, daß es keine weiteren gibt.

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4.7. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Insbesondere ist also das regelmäßige 17-Eck konstruierbar.Wieso haben Pierre de Fermat Primzahlen dieser speziellen Form interessiert, also

Primzahlen, welche um eins vermindert eine Zweierpotenz sind, deren Exponent wieder-um eine Zweierpotenz ist? Es scheint naheliegender zu sein, zunächst Zahlen der Form2n + 1, wobei n eine beliebige natürliche Zahl ist, daraufhin zu untersuchen, ob sie einePrimzahl sind.Angenommen, n enthält einen ungeraden Teiler q > 2, also n = p · q für eine weitere

positive natürliche Zahl q. Nach der bekannten Summationsformel für die geometrischeSumme gilt dann

2n + 1 = (2p)q + 1 = 1− (−2p)q = (1 + 2p) · (1− 2p + (2p)2 − · · ·+ (2p)q−1). (4.32)

Für den ersten Faktor gilt 1 + 2p ≥ 3. Für den zweiten Faktor, der auch positiv seinmuß, gilt 1− 2p + (2p)2 − · · ·+ (2p)q−1 ≡ 1− 2p 6≡ 1 (mod (2p)2). Damit ist (4.32) einenicht triviale Faktorisierung von 2n + 1. Folglich kann 2n + 1 überhaupt nur dann einePrimzahl sein, wenn n selbst schon eine Zweierpotenz ist. Dies ist der Grund, warum dieFermatschen Primzahlen von dieser speziellen Form sind.Um einen Beweis für Satz 4.30 auf der vorherigen Seite angeben zu können, identifi-

zieren unsere Zeichenebene mit der Gaußschen Zahlenebene so, daß der Mittelpunkt deszu konstruierenden n-Ecks mit der komplexen Zahl 0 und ein Eckpunkt mit der kom-plexen Zahl 1 zusammenfällt. Wir erkennen, daß ein regelmäßiges n-Eck genau dannkonstruierbar ist, wenn eine primitive n-te Einheitswurzel konstruierbar ist (damit sindauch alle anderen n-ten Einheitswurzeln als Potenzen der primitiven konstruierbar). Da-mit müssen wir für den Beweis von Satz 4.30 auf der vorherigen Seite entscheiden, fürwelche n eine primitive n-te Einheitswurzel konstruierbar ist. Für den Rest dieses Ab-schnittes wollen wir eine natürliche Zahl n konstruierbar nennen, wenn eine primitiven-te Einheitswurzel konstruierbar ist.Um Satz 4.30 auf der vorherigen Seite zu beweisen, beginnen wir mit einigen einfachen

Hilfssätzen:

Hilfssatz 4.32. Ist n eine konstruierbare natürliche Zahl, und ist m ein nicht negativerTeiler von n, so ist auch m konstruierbar.

Beweis von Hilfssatz 4.32. Sei n = d ·m für eine natürliche Zahl d. Nach Voraussetzungist ζn = e

2πin konstruierbar. Damit ist auch

ζm = ζdn = e2πim

konstruierbar.

Hilfssatz 4.33. Sind n und m zwei teilerfremde natürliche Zahlen, so ist auch ihrProdukt n ·m konstruierbar.

Beweis von Hilfssatz 4.33. Seien r und s zwei ganze Zahlen mit 1 = rn + sm. NachVoraussetzung sind ζn = e

2πin und ζm = e

2πim konstruierbar. Damit ist auch

ζnm = ζsn · ζrm = e2πinm

konstruierbar.

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Beweis von Satz 4.30 auf Seite 156. Aufgrund von Hilfssatz 4.32 auf der vorherigen Sei-te und Hilfssatz 4.33 auf der vorherigen Seite reicht es, Satz 4.30 auf Seite 156 für denFall zu beweisen, daß n eine Primpotenz ist. Betrachten wir den Fall der Primzahl 2.Wir müssen zeigen, daß für jede natürliche Zahl r die natürliche Zahl 2r konstruierbarist. Dies folgt aus der Tatsache, daß wir ζ2r die (r−1)-fache iterierte Quadratwurzel aus−1 ist, und wir Quadratwurzeln mit Zirkel und Lineal konstruieren können (genau ge-nommen müssen wir hier nur Quadratwurzeln aus Zahlen auf dem Einheitskreis ziehen,wozu Winkelhalbierung reicht).Betrachten wir als nächsten Fall einer ungeraden Primzahl p, welche keine Fermatsche

Primzahl ist. Wir müssen zeigen, daß für jede positive natürliche Zahl r die Zahl pr nichtkonstruierbar ist. Dazu berechnen wir den Grad von ζpr über den algebraischen Zahlen.Dieser ist durch den Grad des Kreisteilungspolynoms Φpr(X) gegeben, und dieser istwiederum ϕ(pr). Da die positiven natürlichen Zahlen d mit 1 ≤ d ≤ pr, welche einengemeinsamen Teiler mit pr haben, gerade durch die pr−1 Vielfachen von p in diesemIntervall gegeben sind, ist

ϕ(pr) = pr − pr−1 = pr−1 · (p− 1).

Es ist p− 1 keine Zweierpotenz der Form 2m, denn sonst müßte aufgrund der Primzah-leigenschaft von p nach unseren obigen Überlegungen m selbst wieder eine Zweierpotenzsein, p wäre also eine Fermatsche Primzahl. Damit ist auch der Grad von ζpr über denrationalen Zahlen keine Zweierpotenz, und ζpr nach Hilfssatz 3.36 auf Seite 109 ist damitnicht konstruierbar.Es bleibt der Fall, daß p eine Fermatsche Primzahl ist, also eine Primzahl der Form

p = 22k + 1 für eine natürliche Zahl k. Wir müssen zeigen, daß die natürliche Zahl pkonstruierbar ist, daß aber für alle r > 1 die Zahl pr nicht konstruierbar ist. (Aufgrundvon Hilfssatz 4.33 auf der vorherigen Seite reicht es hierbei, r = 2 anzunehmen.) Nachden vorhergehenden Überlegungen zur Eulerschen ϕ-Funktion ist

ϕ(pr) = pr−1 · (p− 1).

Im Falle von r > 1 ist dies keine Zweierpotenz, nach Hilfssatz 3.36 auf Seite 109 alsonicht konstruierbar. Im Falle r = 1 haben wir ϕ(p) = p−1 = 22k , also eine Zweierpotenz.Dann folgt die Konstruierbarkeit von ζp aus der folgenden Proposition 4.34.

Proposition 4.34. Sei x eine algebraische Zahl, so daß alle galoissch Konjugierten inx rational sind. Dann ist x genau dann konstruierbar, wenn der Grad von x über denrationalen Zahlen eine Zweierpotenz ist.

Beweis von Proposition 4.34. Die eine Richtung ist eine Folgerung aus Hilfssatz 3.36 aufSeite 109: Ist der Grad von x keine Zweierpotenz, so ist x erst recht nicht konstruierbar.Sei also x eine algebraische Zahl, so daß alle galoissch Konjugierten in x rational sindund für die [Q(x) : Q] = 2n für eine natürliche Zahl n gilt. Wir wollen per Induktionüber n zeigen, daß x konstruierbar ist. Der Induktionsanfang n = 0 ist trivial. Sei alson > 0. Seien x1, x2, . . . , x2n die galoissch Konjugierten (x eingeschlossen) von x. Da x

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4.7. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

primitiv zu x1, . . . , x2n ist, besitzt die galoissche Gruppe G zu x1, . . . , x2n genau 2nElemente. Nach Proposition 4.24 auf Seite 147 gibt es eine Symmetrie σ im Zentrumvon G, welche von Ordnung 2 ist, das heißt σ 6= id, aber σ2 = id. Da σ 6= id existiert eini ∈ 1, . . . , 2n mit σ(xi) 6= xi. Wir können ohne Einschränkung annehmen, daß x1, . . . ,x2n so numeriert sind, daß σ · x1 = x2. Sei jetzt i ∈ 1, . . . , 2n beliebig. Dann existiert(genau) eine Symmetrie τ in G mit xi = τ · x1. Da σ als Element im Zentrum mit allenSymmetrien vertauscht, haben wir

σ · xi = σ · (τ · x1) = τ · (σ · x1) = τ · x2.

Da τ eine Permutation der Nullstellen ist, ist xi = τ · x1 6= τ · x2. Folglich ist xj =σ · xi 6= xi. Wegen σ · xj = σ2 · xi = xi können wir die x1, . . . , x2n damit zu Paarenxi, xj zusammenfassen, so daß σ jeweils xi und xj vertauscht. Wir können damit ohneEinschränkung annehmen, daß die x1, . . . , x2n so numeriert sind, daß

σ · xi =xi+1 für i ungerade undxi−1 für i gerade

und x1 = x.Wir wählen y1 als primitives Element zu x1 + x2 und x1x2. Insbesondere können

wir y1 = r(x1 + x2, x1x2) = s(x1, x2) für Polynome r(Y1, Y2) und s(X1, X2) mit ra-tionalen Koeffizienten schreiben. Hierbei ist s(X1, X2) symmetrisch in X1 und X2. Fürj ∈ 2, . . . , 2n−1 sei yj := s(x2j−1, x2j). Dann setzen wir

g(X) := (X − y1) · · · (X − y2n−1).

Ist τ eine Symmetrie in G, so ist τ · g(X) (wir lassen hier τ auf die Koeffizienten vong(X) wirken) durch

τ · g(X) = τ · ((X − s(x1, x2)) · · · (X − s(x2n−1, x2n)))= (X − s(τ · x1, τ · x2)) · · · (X − s(τ · x2n−1, τ · x2n))

= (X − s(x1, x2)) · · · (X − s(x2n−1, x2n)) = g(X)

gegeben, wobei der Schritt auf die letzte Zeile der Tatsache geschuldet ist, daß τ mitσ kommutiert, die Paare aus x2j−1 und x2j zwar vertauscht, aber erhält. Nach Propo-sition 4.10 auf Seite 133 sind die Koeffizienten von g(X) damit rationale Zahlen. Dadeg g(X) = 2n−1 und y1 Nullstelle von g(X) ist, ist der Grad von y1 über den rationalenZahlen folglich kleiner oder gleich 2n−1 — aufgrund der Gradformel (y1 = x1 + x2 ist inx rational) aber in jedem Falle eine Zweierpotenz.Wir behaupten, daß yj für j ∈ 1, . . . , 2n−1 in y1 rational ist. Um das einzusehen,

schreiben wir x2j−1 = hj(x1) für ein Polynom hj(X) mit rationalen Koeffizienten. Damitist

yj = s(x2j−1, x2j) = s(hj(x1), σ · hj(x1)) = s(hj(x1), hj(σ · x1)) = s(hj(x1), hj(x2)).(4.33)

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4. Über die Konstruierbarkeit regelmäßiger n-Ecke

Die rechte Seite von (4.33) ist symmetrisch in x1 und x2 und damit ein Polynom in denelementarsymmetrischen Funktionen x1 + x2 und x1x2. Da y1 primitiv zu x1 + x2 undx1x2 ist, folgt, daß yj ein Polynom in y1 mit rationalen Koeffizienten ist.Damit können wir die Induktionsvoraussetzung anwenden und erhalten, daß y1 kon-

struierbar ist. Schließlich betrachten wir das Polynom

f(X) = (X − x1) · (X − x2) = X2 − (x1 + x2)X + x1x2.

Die Koeffizienten dieses Polynoms sind symmetrische Ausdrücke in x1 und x2 und damitin y1 rational. Da x = x1 eine Nullstelle dieses quadratischen Polynoms ist, ist der Gradvon x1 über y1 kleiner gleich zwei. Aus der Konstruierbarkeit von y1 folgt damit dieKonstruierbarkeit von x1.

AufgabenAufgabe 4.7.1. Gib alle n ∈ 1, . . . , 100 an, für die ein regelmäßiges n-Eck mit Zirkelund Lineal konstruierbar ist.Aufgabe 4.7.2. Gib eine Konstruktionsvorschrift für das regelmäßige 15-Eck an.Aufgabe 4.7.3. Sei n eine natürliche Zahl. Zeige, daß

Fn+1 = 2 + FnFn−1 · · ·F0.

Aufgabe 4.7.4. Zeige, daß Fm und Fn für m 6= n teilerfremd sind. Folgere, daß es unend-lich viele Primzahlen gibt.Aufgabe 4.7.5. Eine Mersennesche1 Primzahl ist eine Primzahl der Form Mn = 2n −1, wobei n eine natürliche Zahl ist. Zeige, daß Mn höchstens dann eine MersenneschePrimzahl ist, wenn n selbst eine Primzahl ist. Zeige allgemeiner, daß Mn von Md geteiltwird, wenn d ein positiver Teiler von n ist.Aufgabe 4.7.6. Sei p eine Primzahl. Sei x eine algebraische Zahl vom Grad pn, so daßderen galoissch Konjugierte x1 = x, x2, . . . , xpn alle in x rational sind. Zeige, daß dieGaloissche Gruppe zu x1, . . . , xpn im Zentrum ein Element σ der Ordnung p besitzt. Seiy ein primitives Element zu e1(x1, σ · x1, . . . , σ

p−1 · x1), . . . , ep(x1, σ · x1, . . . , σp−1 · x1).

Zeige, daß y den Grad pn−1 über den rationalen Zahlen besitzt.Aufgabe 4.7.7. Sei n eine natürliche Zahl, und sei f(X) ein irreduzibles, normiertes,separables Polynom vom Grad 2n. Seien x1, . . . , x2n die Lösungen von f(X), derenGaloissche Gruppe die Ordnung 2n habe. Folgt dann, daß x1 eine konstruierbare Zahlist?

1Martin Mersenne, 1588–1648, französischer Theologie, Mathematiker und Musiktheoretiker

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5. Über die Auflösbarkeit vonPolynomgleichungen

5.1. Relative Galoissche GruppenWir wollen eine neue Sprechweise einführen, die uns im folgenden viel Schreibarbeitersparen wird. Seien etwa y1, . . . , yn algebraische Zahlen. Wir erinnern daran, daß wirfür eine in y1, . . . , yn rationale Zahl x auch x ∈ Q(y1, . . . , yn) geschrieben haben. Sei z1,. . . , zm eine weitere Folge algebraischer Zahlen. Ist dann jede in y1, . . . , yn rationale Zahleine in z1, . . . , zm rationale Zahl, so können wir diese Tatsache durch Q(y1, . . . , yn) ⊆Q(z1, . . . , zm) beschreiben. Gilt weiter, daß jede in z1, . . . , zm rationale Zahl auch iny1, . . . , yn rational ist, so schreiben wir entsprechend Q(y1, . . . , yn) = Q(z1, . . . , zm).In diesem Falle nennen wir die Folgen y1, . . . , yn und z1, . . . , zm (über den rationalenZahlen) äquivalent. Wir können Q(y1, . . . , yn) als Symbol für die Äquivalenzklasse derFolge y1, . . . , yn ansehen.Beispiel 5.1. Daß eine algebraische Zahl t primitiv zu y1, . . . , yn ist, können wir auchso ausdrücken, daß t (über den rationalen Zahlen) äquivalent zu y1, . . . , yn ist.Da eine solche Äquivalenzklasse Q(y1, . . . , yn) für die Gesamtheit der in y1, . . . , yn

rationalen Zahlen steht, nennen wir Q(y1, . . . , yn) auch eine (endlich erzeugte) Erwei-terung (des Koeffizientenbereiches) der rationalen Zahlen oder einfach einen Koeffizien-tenbereich. Solche Erweiterungen bezeichnen wir in der Regel mit großen lateinischenBuchstaben K, L, . . . , E, F , . . . . Den Satz vom primitiven Element, Satz 3.29 auf Sei-te 102, können wir auch so formulieren, daß jede Erweiterung K von der Form Q(t) füreine algebraische Zahl t ist.Sei K eine Erweiterung der rationalen Zahlen, also K = Q(t1, . . . , tk) für algebraische

Elemente t1, . . . , tk. Wir nennen t1, . . . , tn Erzeuger von K. Seien y1, . . . , yn weiterealgebraische Elemente. Ist x eine in y1, . . . , yn und t1, . . . , tk rationale Zahl, so schreibenwir auch

x ∈ K(y1, . . . , yn).

Sind z1, . . . , zm weitere algebraische Zahlen und ist jede in y1, . . . , yn und t1, . . . , tkauch in z1, . . . , zm und t1, . . . , tk rational und umgekehrt, so schreiben wir

K(y1, . . . , yn) = K(z1, . . . , zm)

und nennen die Folgen y1, . . . , yn und z1, . . . , zm über K äquivalent. Mit dem SymbolE := K(y1, . . . , yn) bezeichnen wir dann auch die Äquivalenzklasse von y1, . . . , yn überK. Wir nennen E eine (endlich erzeugte) Erweiterung von K. Es heißen y1, . . . , yn

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Erzeuger von E über K. Weiter heißt K eine Zwischenerweiterung von E über denrationalen Zahlen Q, da jede algebraische Zahl in K (also jede in t1, . . . , tm rationaleZahl) auch schon in E liegt.Nach dem Satz über das primitive Element ist E = K(t) für eine algebraische Zahl

t. Der Grad von t über K ist die Dimension des K-Vektorraumes E, welche wir einfachden Grad von E über K nennen und in Formeln durch [E : K] ausdrücken. Ist L eineZwischenerweiterung von E über K (das heißt L ist ein Koeffizientenbereich mit K ⊆L ⊆ E), so gilt nach der Gradformel bekanntlich

[E : K] = [E : L] · [L : K].

Den Grad eines algebraischen Elementes x hatten wir zunächst als Grad des Minimal-polynoms von x über den rationalen Zahlen definiert. Später haben wir diesen Begriffdann relativiert, indem wir den Grad von x über einem Koeffizientenbereich K als denGrad des Polynomes minimalen Grades definiert haben, als desses Koeffizienten wirZahlen aus K erlauben.Für die Galoissche Grupppe, welche wir bisher für die Nullstellen von separablen

Polynomen mit rationalen Koeffizienten definiert haben, wollen wir jetzt etwas ganzÄhnliches machen. Sei dazu K ein Koeffizientenbereich. Ist x eine algebraische Zahl,so definieren wir zunächst die galoissch Konjugierten von x über K als die weiterenNullstellen des Minimalpolynoms von x über K. Ist x′ über K galoissch konjugiertzu x, so ist x′ auch über den rationalen Zahlen galoissch konjugiert zu x, denn dasMinimalpolynom von x über K ist nach dem abelschen Irreduzibilitätssatz für Polynomeüber K ein Teiler des Minimalpolynoms von x über den rationalen Zahlen. Die Anzahlder galoissch Konjugierten von x kann also insbesondere nicht größer werden, wenn wirden Koeffizientenbereich von den rationalen Zahl zu K ausweiten.Beispiel 5.2. Die galoissch Konjugierten von x =

√2 +√

3 über den rationalen Zahlensind bekanntlich durch ±

√2 ±√

3 gegeben. Wir wollen bestimmen, welche dieser alge-braischen Zahlen über K = Q(

√2) zu x galoissch Konjugiert sind. Dazu überlegen wir

uns, daßg(X) := (X −

√2)2 − 3 = X2 − 2

√2− 1

das Minimalpolynom von x über K ist (dieses hat x als Nullstelle und besitzt denrichtigen Grad, denn [Q(

√2 +√

3) : K] = 2. Neben x ist die weitere Nullstelle von g(X)durch

√2 −√

3 gegeben, das heißt√

2 −√

3 ist (abgesehen von x selbst) das einzigegaloissch Konjugierte von

√2 +√

3 über K.Für diesen relativen Begriff von galoissch Konjugierten können wir ganz ähnliche Aus-

sagen wie in der absoluten Situation über den rationalen Zahlen ableiten: Ist t einealgebraische Zahl, so läßt sich die folgende Proposition beispielsweise genauso wie Pro-position 4.2 auf Seite 118 beweisen:

Proposition 5.3. Ist t′ ein galoissch Konjugiertes zu t über K und ist f(X) ein Polynomüber K, welches t als Nullstelle hat, so hat es auch t′ als Nullstelle.

Auch Hilfssatz 4.3 auf Seite 118 und Proposition 4.4 auf Seite 119 lassen sich entspre-chend verallgemeinern:

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5.1. Relative Galoissche Gruppen

Hilfssatz 5.4. Seien x1, . . . , xn die Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynom-gleichung über K. Ist dann V (X1, . . . , Xn) ein Polynom über K, so sind die galoisschKonjugierten von t = V (x1, . . . , xn) alle von der Form t′ = V (xσ(1), . . . , xσ(n)), wobei σeine n-stellige Permutation ist.

Proposition 5.5. Seien x1, . . . , xn die Lösungen (mit Vielfachheiten) einer Polynom-gleichung über K. Ist dann t ein primitives Element zu x1, . . . , xn über K, so ist auchjedes galoissch Konjugierte t′ von t ein primitives Element von x1, . . . , xn über K.

Dabei heißt t ein primitives Element von x1, . . . , xn über K, falls wir K(t) =K(x1, . . . , xn) haben, falls also t und x1, . . . , xn über K äquivalent sind. Ein primi-tives Element von x1, . . . , xn über K ist zum Beispiel durch ein primitives Element vonx1, . . . , xn, y1, . . . , ym (über den rationalen Zahlen) gegeben, wenn K = Q(y1, . . . , ym).Kommen wir als nächstes zum Begriff einer Galoisschen Gruppe überK. Dazu betrach-

ten wir ein normiertes separables Polynom f(X) über K mit Nullstellen x1, . . . , xn. Einealgebraische Relation zwischen x1, . . . , xn über K ist dann ein Polynom H(X1, . . . , Xn)über K, so daß H(x1, . . . , xn) = 0. Eine Symmetrie von x1, . . . , xn über K ist einen-stellige Permutation σ, so daß für jede algebraische Relation H(x1, . . . , xn) = 0 zwi-schen x1, . . . , xn über K auch σ ·H eine algebraische Relation ist. Alle Symmetrien vonx1, . . . , xn über K bilden die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über K. Wie bei derGaloisschen Gruppe über den rationalen Zahlen ist auch die Galoissche Gruppe über Keine Untergruppe der symmetrischen Gruppe Sn. Wir schreiben

GalK(x1, . . . , xn)

für die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über K. Im folgenden geht es unter anderemum das Verhältnis der verschiedenen Galoisschen Gruppen zueinander, wenn wir zumBeispiel K variieren. So ist zum Beispiel klar, daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xnüber K eine Untergruppe der Galoisschen Gruppe von x1, . . . , xn über den rationalenZahlen ist, denn jede Symmetrie über K ist auch eine Symmetrie über den rationalenZahlen, da jede algebraische Relation über den rationalen Zahlen insbesondere auch einealgebraische Relation über K ist. Diesen Sachverhaltung können wir allerdings nochverallgemeinern: Ist K eine Zwischenerweiterung eines Koeffizientenbereiches L, so ist

GalL(x1, . . . , xn) ⊂ GalK(x1, . . . , xn),

das heißt jede Symmetrie über L ist insbesondere auch eine Symmetrie über K.Die kleinstmögliche Symmetriegruppe erhalten wir, wenn wir L = K(x1, . . . , xn) wäh-

len. Dann sind nämlich H1(X1, . . . , Xn) = X1 − x1, . . . , Hn(X1, . . . , Xn) = Xn − xnjeweils algebraische Relationen über L, welche wegen xi 6= xj für i 6= j von keiner außerder identischen Permutation erhalten werden. Wir haben also

GalK(x1,...,xn)(x1, . . . , xn) = id.

Wie im Falle der Galoisschen Gruppe über den rationalen Zahlen stellt sich auch imFalle der relativen Situation über K die Frage, wie wir bestimmen können, ob eine n-stellige Permutation von x1, . . . , xn eine Symmetrie über K ist oder nicht. Die positive

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Antwort darauf ist, daß wir mit Hilfe von Hilfssatz 5.4 auf der vorherigen Seite die relativeVersion von Proposition 4.8 auf Seite 127 genauso wie Proposition 4.8 auf Seite 127beweisen können:

Proposition 5.6. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom über K, dessen ver-schiedene Nullstellen durch x1, . . . , xn gegeben seien. Sei weiter t = V (x1, . . . , xn) einprimitives Element zu x1, . . . , xn über K, wobei V (X1, . . . , Xn) ein Polynom über Kist. Seien h1(X), . . . , hn(X) Polynome über K mit xi = hi(t) für i ∈ 1, . . . , n.Dann gibt es zu jeder n-stelligen Permutationen σ, welche Symmetrie der Nullstellen

von f(X) über K ist, genau eine über K galoissche Konjugierte t′ von t (wobei der Fallt′ = t hier ausdrücklich zugelassen ist), so daß

σ · x1 = h1(t′), . . . , σ · xn = hn(t′),

und umgekehrt gibt es zu jedem über K galoissch Konjugierten t′ von t (t′ = t wiedermöglich) genau eine Symmetrie σ über K, so daß (4.6) erfüllt ist.Zusätzlich gilt unter der induzierten Bijektion zwischen den Symmetrien σ über K und

den galoissch Konjugierten t′, daß

t′ = V (σ · x1, . . . , σ · xn).

(Die Existenz der Polynome h1, . . . , hn in der Proposition folgt aus der Tatsache, daßx1, . . . , xn in K(t) liegen.)Ist σ eine Symmetrie von x1, . . . , xn über K und z = F (x1, . . . , xn) ein in x1, . . . , xn

über K rationaler Ausdruck (das heißt F ∈ K[X1, . . . , Xn]), so ist

σ · z := F (σ · x1, . . . , σ · xn)

wohldefiniert, da alle algebraischen Relationen zwischen x1, . . . , xn über K von σ er-halten werden. Damit haben wir eine Wirkung der Galoisschen Gruppe von x1, . . . , xnüber K auf den Zahlen aus K(x1, . . . , xn) definiert. Die Invarianten dieser Wirkung sindgenau die Zahlen aus K: Das ist eine direkte Verallgemeinerung von Proposition 4.10auf Seite 133, die zusammen mit ihrer Folgerung 4.11 auf Seite 133 auch ganz analogbewiesen werden kann:

Proposition 5.7. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms f(X) über K. Sei z eine algebraische Zahl aus K(x1, . . . , xn), welche unter derGaloisschen Gruppe G von x1, . . . , xn über K invariant ist, das heißt für die σ · z = zfür alle Symmetrien in G gilt. Dann ist z schon aus K.

Folgerung 5.8. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsf(X) über K. Ist dann f(X) über K irreduzibel, so operiert die Galoissche Gruppe vonx1, . . . , xn über K transitiv auf x1, . . . , xn, das heißt für i, j ∈ 1, . . . , n existiert(mindestens) eine Symmetrie σ von x1, . . . , xn über K mit σ · xi = xj.

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5.1. Relative Galoissche Gruppen

Schließlich wollen wir noch der Frage nachgehen, wann eine Symmetrie σ der Nullstel-len x1, . . . , xn eines normierten separablen Polynoms über K auch eine Symmetrie überL ist, wobei L eine Zwischenerweiterung von K(x1, . . . , xn) über K ist. Nach Definitioneiner Zwischenerweiterung steht L für eine Äquivalenzklasse in x1, . . . , xn rationalerZahlen z1, . . . , zk über K, also L = K(z1, . . . , zm) ⊆ K(x1, . . . , xn). Schreiben wirzi = gi(x1, . . . , xn), wobei g1(X1, . . . , Xn), . . . , gk(X1, . . . , Xn) Polynome über K sind,so ist zi− gi(x1, . . . , xn) = 0 sicherlich eine algebraische Relation von x1, . . . , xn über L.Ist σ also ein Element der Galoisschen Gruppe von x1, . . . , xn über L, so muß σ dieseRelationen erhalten, das heißt wir haben dann

0 = zi − gi(σ · x1, . . . , σ · xn) = zi − σ · gi(x1, . . . , xn),

woraus wegen zi = gi(x1, . . . , xn) folgt, daß σ · zi = zi. Ist also σ ∈ GalK(x1, . . . , xn) einElement aus GalL(x1, . . . , xn), so müssen die Erzeuger z1, . . . , zk von L über K invariantunter der Wirkung von σ sein. Die umgekehrte Aussage gilt aber auch:Sei dazu σ ein Element der Galoisschen Gruppe GalK(x1, . . . , xn) von x1, . . . , xn

über K, unter welchem alle Erzeuger z1, . . . , zk von L über K invariant sind, das heißt,für das σ · zi = zi für i ∈ 1, . . . , k gilt. Da jedes Element aus L ein Polynom in z1,. . . , zk über K ist und die Wirkung der Galoisschen Gruppe mit den Grundrechenartenverträglich ist, folgt direkt, daß dann auch jedes Element z aus L invariant unter einersolchen Symmetrie σ ist. Ist dann F (x1, . . . , xn) = 0 irgendeine algebraische Relationvon x1, . . . , xn über L, so gilt damit σ · F (x1, . . . , xn) = F (σ · x1, . . . , σ · xn), da dieKoeffizienten von F (X1, . . . , Xn) invariant unter σ sind. Wegen σ · 0 = 0, haben wir alsoF (σ · x1, . . . , σ · xn) = 0. Die Permutation σ erhält damit alle algebraischen Relationenvon x1, . . . , xn über L und ist damit ein Element der Galoisschen Gruppe von x1, . . . ,xn über L. In einer Formel zusammengefaßt können wir also schreiben:

GalK(z1,...,zk)(x1, . . . , xn) = σ ∈ GalK(x1, . . . , xn) | σ · z1 = z1, . . . , σ · zk = zk.

AufgabenAufgabe 5.1.1. Zeige, daß

√2 +√

7 und −√

2−√

7 über den rationalen Zahlen galoisschkonjugiert sind, aber nicht über

√7.

Aufgabe 5.1.2. Sei K ein Koeffizientenbereich. Zeige, daß die Äquivalenz von Folgenalgebraischer Zahlen y1, . . . , yn und z1, . . . , zm überK in der Tat eine Äquivalenzrelationist.Aufgabe 5.1.3. Sei t ∈ Q(

√2). Zeige, daß t entweder eine rationale Zahl ist oder daß

Q(t) = Q(√

2). Folgere, daß Q(√

2) über den rationalen Zahlen keine echte Zwischener-weiterung besitzt.Aufgabe 5.1.4. Seien K und L zwei Koeffizientenbereiche, so daß K eine Zwischenerwei-terung von L ist. Sei x eine algebraische Zahl. Zeige, daß ein galoissch Konjugiertes vonx über L auch ein galoissch Konjugiertes von x über K ist.Aufgabe 5.1.5. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom über einem Koeffizientenbe-reich K, und seien x1, . . . , xn seine Nullstellen. Sei y eine Zahl aus K(x1, . . . , xn). Zeige,

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

daß die Galoissche Gruppe H von x1, . . . , xn über K(y) aus denjenigen Permutationenσ der Galoisschen Gruppe G von x1, . . . , xn über K besteht, unter welchen y invariantbleibt, das heißt, für die σ · y = y gilt.

Aufgabe 5.1.6. Seien f(X) und g(X) zwei verschiedene normierte irreduzible Polynomeüber einem Koeffizientenbereich K. Sei y eine Nullstelle von g(X). Seien x1 und x2 zweiNullstellen von f(X). Zeige, daß x1 und x2 genau dann über K(y) galoissch konjugiertsind, wenn eine Permutation σ der Galoisschen Gruppe der Nullstellen von f(X) · g(X)über K existiert, so daß σ · x1 = x2 und σ · y = y.

Aufgabe 5.1.7. Seien f(X) und g(X) zwei verschiedene normierte irreduzible Polynomeüber einem Koeffizientenbereich K. Sei x eine Nullstelle von f(X) und y eine Nullstellevon g(X). Sei weiter σ eine Permutation der Galoisschen Gruppe G der Nullstellen vonf(X)·g(X) über K. Sei f(X) das Minimalpolynom von σ ·x über K(y), und sei g(X) dasMinimalpolynom von σ−1 ·y über K(x). Seien N der Anteil derjenigen Permutationen τausG, so daß τ ·x eine Nullstelle von f(X) ist undM der Anteil derjenigen Permutationenτ aus G, so daß τ · y eine Nullstelle von g(X) ist.Zeige, daß

deg fdeg f = N = M = deg g

deg g .

Aufgabe 5.1.8. Seien f(X) und g(X) zwei verschiedene normierte irreduzible Polynomeüber einem Koeffizientenbereich K. Sei x eine Nullstelle von f(X) und y eine Nullstellevon g(X). Sei f(X) = f1(X) · · · fn(X) die Zerlegung von f(X) in irreduzible Faktorenüber K(y), und sei g(X) = g1(X) · · · gm(X) die Zerlegung von g(X) in irreduzible Fak-toren über K(x). Zeige, daß dann m = n gilt und daß wir die Faktoren so anordnenkönnen, daß das Verhältnis deg fk(X)

deg gk(X) für alle k ∈ 1, . . . , n konstant ist.(Diese Aussage ist der sogenannte Dedekindsche1 Reziprozitätssatz der Galoisschen

Theorie.)

5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

Im letzten Abschnitt haben wir die Galoissche Theorie aus Kapitel 4 auf Seite 117vollständig in einer relativen Version über einem Koeffizientenbereich K nachvollzogen(und für die Wahl K = Q kommen wir wieder auf die absolute Situation zurück, in derdie Koeffizienten nur rationale Zahlen sind). Diese Verallgemeinerung wird unheimlichwichtig sein, auch wenn wir nur die Galoissche Gruppe G der Nullstellen x1, . . . , xn einesseparablen Polynoms f(X) über den rationalen Zahlen untersuchen wollen. Sei etwa Kein der Situation des jeweiligen Problemes angepaßter Koeffizentenbereich (zum BeispielK = Q(x1)). Die Galoissche Gruppe H von x1, . . . , xn über K ist eine Untergruppevon G (in der Regel also kleiner als G), da es im allgemeinen weniger Symmetrien überK gibt (im Falle K = Q(x1) müssen solche Symmetrien zum Beispiel x1 auf sich selbstabbilden). Die Idee dabei ist, daß H als kleinere Gruppe einfacher sein sollte als G. Um

1Julius Wilhelm Richard Dedekind, 1831–1916, deutscher Mathematiker

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5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

G zu untersuchen, können wir also H untersuchen und danach Überlegungen darüberanstellen, wieviel mehr Symmetrien dazu kommen, wenn wir von H auf G übergehen.Wir können uns umgekehrt fragen, ob auf diese Weise jede Untergruppe H von G als

Galoissche Gruppe auftaucht. Und in der Tat ist die Antwort auf diese Frage positiv,wie die folgende Proposition zeigt. Für diese Proposition und das folgende fixieren wireinen Koeffizientenbereich K.

Proposition 5.9. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines separablen Polynoms f(X) überK, und sei t ein primitives Element zu x1, . . . , xn über K. Sei weiter H = σ1, . . . , σmeine m-elementige Untergruppe der Galoisschen Gruppe von x1, . . . , xn über K. Sei

L = K(e1(σ1(t), . . . , σm(t)), . . . , em(σ1(t), . . . , σm(t))).

Dann ist die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über L gerade durch H gegeben.Die Zahlen in L sind gerade die Zahlen aus K(x1, . . . , xn), welche invariant unter der

Wirkung aller Symmetrien σ aus H sind, das heißt für die σ · x = x gilt.

Bevor wir Proposition 5.9 beweisen, machen wir noch einige Vorüberlegungen: Sei σein Element in H. Da H unter Kompositionen abgeschlossen ist, sind σ σ1, . . . , σ σmwieder Elemente in H. Gilt außerdem σ σi = σ σj , so folgt durch Komponierenmit σ−1 von links, daß σi = σj . Damit existiert also eine m-stellige Permutation τ mitσ σi = στ(i) für i ∈ 1, . . . ,m. Sei jetzt t ein beliebiges Element, welches in x1, . . . , xnrational ist. Setzen wir dann

t1 := σ1 · t, . . . , tm := σm · t,

so gilt σ · ti = (σ σi) · t = tτ(i). Insbesondere ist die Reihe σ · t1, . . . , σ · tm nureine Permutation von t1, . . . , tm. Folglich sind e1(t1, . . . , tm), . . . , em(t1, . . . , tm) unter σinvariant, also σ · ej(t1, . . . , tm) = ej(t1, . . . , tm).

Beweis. Seig(X) :=

m∏i=1

(X − σi · t). (5.1)

Da die Nullstellen von g(X) durch σ1 · t, . . . , σm · t gegeben sind, ist g(X) nach demVietaschen Satz und dem Hauptsatz über die elementarsymmetrischen Funktionen einPolynom über L. Da ein σi die identische Permutation ist, ist t Nullstelle von g(X). DasMinimalpolynom von t über L ist also ein Teiler von g(X). Damit ist der Grad von tüber L kleiner oder gleich dem Grad von g(X), also [L(t) : L] ≤ m.Da t primitiv zu x1, . . . , xn über L ist, ist die Anzahl der Elemente der Galoisschen

Gruppe H von x1, . . . , xn über L gerade durch den Grad von t über L gegeben, dasheißt H besitzt höchstens m Elemente. Um also H = H zu zeigen, reicht es folglich zuzeigen, daß jedes Element σ von H eine Symmetrie von x1, . . . , xn über L ist. Nachunseren Überlegungen am Ende des Abschnittes Abschnitt 5.1 auf Seite 161 reicht eszu zeigen, daß σ die Erzeuger e1(t1, . . . , tm), . . . , em(t1, . . . , em) von L über K invariantläßt. Dies haben wir uns aber schon überlegt.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Es bleibt, den Zusatz zu beweisen. Dies ist aber Proposition 5.7 auf Seite 164: Essind die Erzeuger von L unter jeder Symmetrie aus H invariant und jede Zahl ausK(x1, . . . , xn), welche invariant unter jeder Symmetrie aus H ist, ist aus L.

Aus dem Beweis von Proposition 5.9 auf der vorherigen Seite lernen wir insbesondere,daß (5.1) als Polynom vom Grade m das Minimalpolynom von t über L sein muß.Eine wichtige Folgerung von Proposition 5.9 auf der vorherigen Seite ist die Existenz

einer Zwischenerweiterung aus unter einer endlichen Menge invarianter Zahlen:

Folgerung 5.10. Seien x1, . . . , xn Nullstellen eines normierten separablen Polynomsüber K. Sind dann σ1, . . . , σm Symmetrien von x1, . . . , xn über K, so existiert eineZwischenerweiterung L von K(x1, . . . , xn) über K, welche unter σ1, . . . , σm invariantist (das heißt σ1 · z = · · · = σm · z = z für alle z ∈ L) und so daß alle Zahlen ausK(x1, . . . , xn), welche unter σ1, . . . , σm invariant sind, in L liegen.

Ist t eine Zahl in K(x1, . . . , xn) und gilt σ1 · t = · · · = σm · t = t, so schreiben wir

t ∈ K(x1, . . . , xn)σ1,...,σm .

Die Aussage von Proposition 5.9 auf der vorherigen Seite können wir damit als

L = Q(x1, . . . , xn)σ1,...,σm

schreiben.Bevor wir zum Beweis von Folgerung 5.10 schreiten, benötigen wir noch eine Bezeich-

nung, und zwar: Sind σ1, . . . , σm n-stellige Permutationen, so bezeichnen wir mit

〈σ1, . . . , σm〉

die kleinste Untergruppe von Sn, welche σ1, . . . , σm enthält. Diese ist offensichtlich dieMenge aller derjenigen Permutationen, welche sich aus σ1, . . . , σm durch wiederholtesKomponieren und Invertieren bilden lassen. Wir nennen σ1, . . . , σm daher auch Er-zeuger von 〈σ1, . . . , σm〉. (Um 〈σ1, . . . , σm〉 zu bestimmen, gehen wir schrittweise vor:Zunächst betrachten wir X0 = σ1, . . . , σm. Ist X0 schon eine Untergruppe, so istX = 〈σ1, . . . , σm〉, und wir sind fertig. Ansonsten gibt es ein Gruppenelement σ, welchessich durch σ1, . . . , σm mittels Komposition und Inversion darstellen läßt. Im nächstenSchritt betrachten wir dann X1 = X0 ∪ σ. Entweder ist X1 eine Untergruppe und da-mit gleich 〈σ1, . . . , σm〉, oder wir können daraus ein X2 konstruieren, usw. Dieser Prozeßendet irgendwann, da es nur endlich viele n-stellige Permutationen gibt.)

Beweis. Eine Zahl x ist genau dann unter σ1, . . . , σm invariant, wenn x unter jederPermutation aus 〈σ1, . . . , σm〉 invariant ist, denn ist x unter Permutationen σ und τinvariant, so auch unter den Permutationen id, τ σ und σ−1. Damit können wir ohneEinschränkung davon ausgehen, daß σ1, . . . , σm selbst schon eine Untergruppe H derGaloisschen Gruppe von x1, . . . , xn über K bilden. Nach Proposition 5.9 auf der vorhe-rigen Seite existiert eine Zwischenerweiterung L von K(x1, . . . , xn) über K, so daß dieGaloissche Gruppe von x1, . . . , xn über L gerade durch H gegeben ist. Wieder nach Pro-position 5.9 auf der vorherigen Seite sind die Zahlen in K(x1, . . . , xn), welche invariantunter H sind, gerade die Elemente aus L.

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5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

Sei L eine Zwischenerweiterung von K(x1, . . . , xn) über K, so daß jede Symmetriein der Untergruppe H auch eine Symmetrie von x1, . . . , xn über L ist. Es folgt, daßinsbesondere jede Zahl aus L unter allen Symmetrien aus H invariant ist, daß alsoL ⊆ K(x1, . . . , xn)H .Sei umgekehrt L eine beliebige Zwischenerweiterung von K(x1, . . . , xn) über K, so

daß L ⊆ K(x1, . . . , xn)H . Dann sind insbesondere die Erzeuger von L über K invariantunter den Wirkungen der Elemente aus H. Nach unseren Überlegungen am Ende vonAbschnitt 5.1 auf Seite 161 folgt damit, daß jedes Element in der Untergruppe H aucheine Symmetrie von x1, . . . , xn über L ist.Für diese beiden Überlegungen ist es offensichtlich nicht wesentlich gewesen, daß H

eine Untergruppe ist. Damit haben wir also bewiesen:

Proposition 5.11. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Po-lynoms über K. Für jede Zwischenerweiterung L von K(x1, . . . , xn) über K und jedeendliche Teilmenge H von Symmetrien von x1, . . . , xn über K gilt: Es ist jede Zahl inL genau dann invariant unter allen Symmetrien aus H, wenn jede Symmetrie aus Heine Symmetrie von x1, . . . , xn über L ist.

In Formeln ausgedrückt gilt also

L ⊆ K(x1, . . . , xn)H ⇐⇒ H ⊆ GalL(x1, . . . , xn).

Diesen Zusammenhang zwischen Zwischenerweiterungen und Symmetrien können wirnoch ein wenig verschärfen und kommen zum sogenannten Hauptsatz der GaloisschenTheorie, welcher im wesentlich nur eine Umformulierung der schon bewiesenen Dingedarstellt:

Hauptsatz 5.12. Sei K ein Koeffizientenbereich. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen ei-nes normierten separablen Polynoms über K. Sei G = GalK(x1, . . . , xn) die GaloisscheGruppe von x1, . . . , xn über K. Dann existiert zu jeder Untergruppe H von G genaueine Zwischenerweiterung L von K(x1, . . . , xn) über K, so daß die Galoissche Gruppevon x1, . . . , xn über L gerade H ist.

Es definiert Hauptsatz 5.12 offensichtlich eine Bijektion zwischen den Zwischenerwei-terungen L von K(x1, . . . , xn) über K und den Untergruppen der Galoisschen Gruppevon x1, . . . , xn über K.Ist L diejenige Zwischenerweiterung, welche der Untergruppe H zugeordnet wird, so

können wir L gemäß Proposition 5.9 auf Seite 167 dadurch charakterisieren, daß dieZahlen in L genau diejenigen Zahlen in K(x1, . . . , xn) sind, welche invariant unter allenSymmetrien unter H sind.

Beweis. Die Existenz von L, wie in Hauptsatz 5.12 behauptet, haben wir schon mitProposition 5.9 auf Seite 167 bewiesen. Sei L′ eine weitere Zwischenerweiterung vonK(x1, . . . , xn) über K, so daß GalL′(x1, . . . , xn) = GalL(x1, . . . , xn). Insbesondere folgt,daß die Zahlen aus L′ unter allen Symmetrien von x1, . . . , xn über L invariant sind.Nach Proposition 5.7 auf Seite 164 ist damit L′ ⊆ L.Aus denselben Gründen (mit vertauschten Rollen) folgt, daß L ⊆ L′.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Sowohl den Zwischenerweiterungen L von K(x1, . . . , xn) über K und den Untergrup-pen H von G können wir ein Maß zuordnen: dem Koeffizientenbereich L seinen Gradüber K und der Untergruppe H ihren Index in G. Der Zusammenhang zwischen beidenist der einfachst möglichste, wenn H = GalL(x1, . . . , xn) wie in Hauptsatz 5.12 auf dervorherigen Seite gilt:

Proposition 5.13. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms über K. Sei G = GalK(x1, . . . , xn) die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über K.Dann ist der Grad einer Zwischenerweiterung L von K(x1, . . . , xn) über K gleich demIndex der Galoisschen Gruppe H = GalL(x1, . . . , xn) von x1, . . . , xn über L in G, dasheißt

[L : K] = [GalK(x1, . . . , xn) : GalL(x1, . . . , xn)]. (5.2)

Die Gleichung (5.2) erklärt auch die analoge Schreibweise für Grad und Index.

Beweis. Nach Satz 3.29 auf Seite 102 können wir L = K(z) für eine algebraische Zahlz ∈ K(x1, . . . , xn) schreiben. Seien z1, . . . , zk die paarweise verschiedenen galoisschKonjugierten von z über K, wobei wir z1 = z wählen. Dann ist k der Grad von züber K, das heißt wir müssen [G : H] = k zeigen. Ist σ ein Element aus G, also eineSymmetrie über K, so erfüllt σ · z dasselbe Minimalpolynom wie z über K, das heißt esgilt σ · z = zi für ein i ∈ 1, . . . , k. Wir haben damit eine Abbildung φ : G→ 1, . . . , kmit σ · z = zφ(i) definiert.Wir behaupten als nächstes, daß die Abbildung φ surjektiv ist. Dazu betrachten wir

das Polynomg(X) =

∏σ∈G

(X − σ · z).

Die Koeffizienten des Polynoms sind unterG invariant. Nach Proposition 5.7 auf Seite 164ist g(X) damit ein Polynom über K. Da wegen id ∈ G insbesondere z eine Nullstellevon g(X) ist, sind alle galoissch Konjugierten von z ebenfalls Nullstelle von g(X). Esfolgt, daß jedes zi von der Form σ · z für eine Symmetrie σ aus G ist. Damit haben wirgezeigt, daß φ surjektiv ist.Die Abbildung φ ist in der Regel sicherlich nicht injektiv. Sind nämlich σ und τ modulo

H kongruent, also τ−1 σ ∈ H, so folgt aus der Invarianz von z unter den Symmetrienaus H, daß τ−1 · σ · z = z. Anwenden von τ liefert also σ · z = τ · z, also φ(σ) = φ(τ).Das ist aber auch der einzige Grund, warum φ nicht injektiv sein kann:Sei etwa φ(σ) = φ(τ) für zwei Symmetrien σ und τ . Dann gilt (τ−1 σ) · z = z. Nach

Proposition 5.11 auf der vorherigen Seite ist τ−1 σ damit ein Element der GaloisschenGruppe von x1, . . . , xn über L, also H. Es folgt, daß genau dann φ(σ) = φ(τ) gilt, wennσ und τ modulo H kongruent zu H sind. Aufgrund der schon bewiesenen Surjektivitätvon φ haben wir damit gezeigt, daß φ eine Bijektion zwischen den Kongruenzklassenvon Elementen in G modulo H (von denen es genau [G : H] gibt) und den galoisschKonjugierten von z über K vermittelt.

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5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

Folgerung 5.14. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Poly-noms über K. Sei H eine Untergruppe der Galoisschen Gruppe G von x1, . . . , xn überK. Ist dann L eine Zwischenerweiterung von K(x1, . . . , xn) über K, welche unter allenSymmetrien aus H invariant ist, und ist der Grad von L über K gleich dem Index vonH in G, so ist die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über L gerade durch H gegeben.

Beweis. Sei L′ gemäß Proposition 5.9 auf Seite 167 diejenige Zwischenerweiterung vonK(x1, . . . , xn) über K, so daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über L′ geradedurch H gegeben ist. Da L nach Voraussetzung unter H invariant ist, ist L ⊂ L′.Nach Proposition 5.13 auf der vorherigen Seite ist der Grad von L′ über K gleich demIndex von H in G, das heißt L und L′ haben denselben Grad über K. Damit muß dieErweiterung L ⊆ L′ von Koeffizientenbereichen trivial sein, das heißt wir haben L′ = L.Folglich ist die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über L ebenfalls H.

Wir wollen anhand zweier längerer Beispiele die Ergebnisse dieses Kapitels und denHauptsatz der Galoisschen Theorie nachvollziehen.Beispiel 5.15. Sei

f(X) = X3 − 2.

Dann ist f(X) ein über den rationalen Zahlen irreduzibles Polynom. Setzen wir ω := ζ3,so sind seine Nullstellen durch x1 = 3√2, x2 = ω 3√2 und x3 = ω2 3√2 gegeben. Da dieDiskriminante ∆ = −27 · 22 = −108 kein Quadrat in Q ist, ist die Galoissche Gruppe Gvon x1, x2 und x3 die volle symmetrische Gruppe S3. Ihre Elemente sind

S3 = id, (2, 3), (1, 3), (1, 2), (1, 2, 3), (1, 3, 2).

Wie sich auch zum Beispiel durch einfaches Probieren feststellen läßt, besitzt die sym-metrische Gruppe genau folgende sechs Untergruppen:

id, 〈(2, 3)〉, 〈(1, 3)〉, 〈(1, 2)〉, 〈(1, 2, 3)〉,S3.

In Abbildung 5.1 auf der nächsten Seite sind diese Untergruppen und ihre Inklusions-beziehungen in dem oberen Diagramm dargestellt: Eine vertikale Linie bedeutet dabei,daß die jeweils oben stehende Untergruppe in der unter stehenden enthalten ist. DieZahlen an den vertikalen Linien sind die jeweiligen Indizes der oben stehenden in derunten stehenden Gruppe.Nach dem Hauptsatz der Galoisschen Theorie, Hauptsatz 5.12 auf Seite 169, existiert

zu jeder dieser Untergruppen H eine Zwischenerweiterung L von Q(x1, x2, x3) über K,so daß H die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über L ist. Gemäß Folgerung 5.14können wir L dadurch charakterisieren, daß L invariant unter allen Symmetrien von Hist und daß der Grad von L (über den rationalen Zahlen) gerade der Index von H in Gist.Gehen wir die Reihe der Untergruppen durch: Die Untergruppe id hat Index 6 in

S3. Nach Beispiel 4.17 auf Seite 141 ist t = x1−x2 = (1−ω) · 3√2 ein primitives Elementzu x1, x2 und x3. Dessen Grad ist nach Proposition 4.8 auf Seite 127 gleich der Ordnung

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

id

〈(2, 3)〉 〈(1, 3)〉 〈(1, 2)〉

〈(1, 2, 3)〉

S3

Q((1− ω) · 3√2)

Q( 3√2) Q(ω 3√2) Q(ω2 3√2)

Q(ω)

Q

6

2 2 2

3

3 3 3

2

6

2 2 2

3

3 3 3

2

Abbildung 5.1.: Die Hauptsatz der Galoisschen Theorie illustriert an der kubischen Glei-chung X3 − 2 = 0.

der Galoisschen Gruppe von x1, x2 und x3. Damit ist die Untergruppe id gerade dieGaloissche Gruppe von x1, x2 und x3 über t.Als nächste Untergruppe betrachten wir 〈(2, 3)〉 = id, (2, 3), welche zwei Elemente

und damit Index 3 in S3 hat. Das Element x1 = 3√2 ist offensichtlich invariant unter(2, 3) und damit auch unter 〈(2, 3)〉. Da x1 mit dem Minimalpolynom X3 − 2 Grad 3über den rationalen Zahlen besitzt, ist 〈(2, 3)〉 damit die Galoissche Gruppe von x1, x2und x3 über Q(x1) = Q( 3√2).Ganz analog erhalten wir, daß 〈(1, 3)〉 die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über

Q(x2) = Q(ω 3√2) und daß 〈(1, 2)〉 die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über Q(x3) =Q(ω2 3√2) ist.Die nächste Untergruppe ist 〈(1, 2, 3)〉 = id, (1, 2, 3), (1, 3, 2), welche drei Elemente

und damit Index 2 in S3 besitzt. Das Element δ = (x1 − x2) · (x2 − x3) · (x3 − x1) =−6 · (2ω + 1), eine Wurzel der Diskriminanten, ist invariant unter (1, 2, 3) und damit

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5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

auch unter 〈(1, 2, 3)〉. Es folgt, daß auch ω invariant unter 〈(1, 2, 3)〉 ist. Da es weiterhinGrad zwei über den rationalen Zahlen besitzt (X2 + X + 1 ist sein Minimalpolynom),ist folglich 〈(1, 2, 3)〉 die Galoissche Gruppe von x1, x2, x3 über Q(ω) = Q(δ).Es bleibt die Untergruppe S3, welche Index 1 hat. Die rationale Zahl 0 ist invariant

unter der Wirkung der ganzen Galoisschen Gruppe S3 und hat Grad eins über denrationalen Zahlen. Wir erhalten wieder, daß S3 die Galoissche Gruppe von x1, x2 undx3 über Q ist.Diese Erkenntnisse haben wir im unteren Diagramm von Abbildung 5.1 auf der vorhe-

rigen Seite eingetragen. Der Wechsel von der oberen zur unteren Hälfte der Abbildungentspricht dabei der in Hauptsatz 5.12 auf Seite 169 ausgesprochenen Bijektion.

id

〈τ〉 〈τ ρ2〉 〈ρ2〉 〈τ ρ〉 〈τ ρ3〉

〈ρ2, τ〉 〈ρ〉 〈ρ2, τ ρ〉

D4

Q( 4√2, i)

Q( 4√2) Q(i 4√2) Q(√

2, i) Q((1 + i) 4√2) Q((1− i) 4√2)

Q(√

2) Q(i) Q(i√

2)

Q

Abbildung 5.2.: Die Hauptsatz der Galoisschen Theorie illustriert an der quartischenGleichung X4 − 2 = 0.

Beispiel 5.16. Wir wollen den Hauptsatz der Galoisschen Theorie auch noch am Beispielder Nullstellen des Polynoms

f(X) = X4 − 2

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

über den rationalen Zahlen illustrieren. Dazu zählen wir zunächst die vier verschiedenenNullstellen von f(X) auf, nämlich:

x1 = 4√2, x2 = i 4√2, x3 = − 4√2, x4 = −i 4√2.

Wir wollen als nächstes die Galoissche Gruppe zu x1, . . . , x4 bestimmen. Dazu überlegenwir uns kurz, daß 4√2 und i rational in x1, . . . , x4 sind und umgekehrt x1, . . . , x4 rationalin 4√2 und i sind, das heißt wir haben Q(x1, . . . , x4) = Q( 4√2, i). Wir behaupten, daßder Grad von Q( 4√2, i) über Q — das heißt, der Grad eines zu 4√2 und i primitivenElementes über Q — gleich 8 ist. Um dies einzusehen, verwenden wir die Gradformel:

[Q( 4√2, i) : Q] = [Q( 4√2, i) : Q( 4√2)] · [Q( 4√2) : Q].

Da X4 − 2 das Minimalpolynom von 4√2 über Q ist, gilt für den zweiten Faktor aufder rechten Seite, daß [Q( 4√2) : Q] = 4. Da Q( 4√2) reell ist (das heißt, jede in 4√2rationale Zahl ist reell), ist Q( 4√2, i) über Q( 4√2) eine nicht triviale Erweiterung vonKoeffizientenbereichen, das heißt wir haben [Q( 4√2, i) : Q( 4√2)] > 1. Auf der anderenSeite ist X2 + 1 ein Polynom über 4√2, welches i als Nullstelle hat, das heißt wir habenauch [Q( 4√2, i) : Q( 4√2)] ≤ 2. Zusammen haben wir also [Q( 4√2, i) : Q( 4√2)] = 2 unddamit

[Q( 4√2, i) : Q] = 2 · 4 = 8.

Insbesondere hat die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4 ingesamt 8 Elemente, die wir imfolgenden bestimmen werden.Jedes Element der Galoisschen Gruppe σ wirkt insbesondere auf 4√2 und i. Und kennen

wir die Wirkung von σ auf 4√2 und i, so kennen wir auch die Wirkung von σ auf x1, . . . ,x4, das heißt wir wissen, welches Element der Permutationsgruppe S4 von σ dargestelltwird. Da 4√2 die algebraische Relation X4 − 2 = 0 erfüllt, kann σ das Element 4√2höchstens auf die vier Nullstellen vonX4−2, nämlich 4√2, i 4√2,− 4√2 und−i 4√2, abbilden.Da außerdem i die algebraische Relation X2 + 1 erfüllt, kann σ das Element i höchstensauf die zwei Nullstellen von X2 + 1, nämlich i und −i abbilden. Damit kann σ nureins von höchstens 8 = 4 · 2 Elementen sein. Da wir aber schon wissen, daß es genau8 Elemente geben muß, müssen alle diese Möglichkeiten realisiert werden. Wir habendamit die Galoissche Gruppe GalQ(x1, . . . , x4) = σ0, . . . , σ7 zu x1, . . . , x4 gemäß derfolgenden Tabelle realisiert:

σ ∈ GalQ(x1, . . . , x4) σ · 4√2 σ · i σ · x1 σ · x2 σ · x3 σ · x4id = σ0

4√2 i x1 x2 x3 x4ρ := σ1 i 4√2 i x2 x3 x4 x1ρ2 = σ2 − 4√2 i x3 x4 x1 x2ρ3 = σ2 −i 4√2 i x4 x1 x2 x3τ := σ4

4√2 −i x1 x4 x3 x2ρ τ = σ5 i 4√2 −i x4 x3 x2 x1ρ τ2 = σ6 − 4√2 −i x3 x2 x1 x4ρ τ3 = σ7 −i 4√2 −i x2 x1 x4 x3.

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5.2. Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie

Wie in der ersten Spalte angedeutet, wird die Galoissche Gruppe durch ρ = ( 1 2 3 42 3 4 1 )

und τ = ( 1 2 3 41 4 3 2 ) erzeugt. Es gelten die Relationen ρ τ = τ ρ, ρ4 = id und τ2 = id.

Wir können uns diese Galoissche Gruppe auch als geometrische Symmetriegruppeeines Quadrates vorstellen. Betrachten wir noch einmal das Quadrat in Abbildung 4.4auf Seite 123, diesmal allerdings als Quadrat im Raume. Welche Bewegungen des Raumesführen das Quadrat wieder in das Quadrat über? Wie schon im Falle des Quadrates inder Ebene haben wir die vier Drehungen um 0, 90, 180 und 270 der Ebene desQuadrates um dessen Mittelpunkt. Dies sind genau die vier Permutationen id, ρ, ρ2 undρ3. Hinzukommen die Drehspiegelungen: Im Raum können wir das Quadrat zunächstum 180 um eine durch zwei gegenüberliegende Ecken laufende Achse drehen (das heißt,effektiv spiegeln) und dann eine Drehung wie bisher um ein Vielfaches von 90 um seinenMittelpunkt in seiner Ebene durchführen. Dies entspricht genau den vier Permutationenτ , τ ρ, τ ρ2 und τ ρ3. Mehr Symmetrien besitzt das Quadrat, aufgefaßt als Quadratim Raume, nicht. Seine Symmetriegruppe ist also gerade die Galoissche Gruppe von x1,. . . , x4. In diesem Zusammenhang wird die Galoissche Gruppe auch die Dieder-GruppeD4 genannt. („Dieder“ ist das griechische Wort für Zweiflächner und bezeichnet einregelmäßiges Vieleck mit Vorder- und Rückseite.)Wie in Beispiel Beispiel 5.15 auf Seite 173 geben wir als nächstes alle Untergruppen der

D4 an. Dies ist im wesentlichen eine kombinatorische Aufgabe, denn jede Untergruppe derD4 wird durch endlich viele Elemente der Form τ i σj mit i ∈ 0, 1 und j ∈ 0, 1, 2, 3erzeugt. Wir erhalten schließlich das obere Diagramm in Abbildung 5.2 auf Seite 173.Die vertikalen Linien sind dabei zwischen je zwei Untergruppen, so daß die obere vomIndex zwei in der unteren liegt.Gemäß der Galoisschen Korrespondenz aus Hauptsatz 5.12 auf Seite 169 und der

Folgerung 5.14 auf Seite 171 gehört zu jeder dieser Untergruppen H eine Zwischener-weiterung L von K(x1, . . . , xn) über K, so daß L unter H invariant ist und so daß derGrad von L über den rationalen Zahlen gerade der Index von H in D4 ist. Unter dieserKorrespondenz ergibt sich aus dem oberen Diagramm von Abbildung 5.2 auf Seite 173das untere. Das Nachrechnen dieser Tatsache kann für jede einzelne Untergruppe undjede einzelne Zwischenerweiterung separat geschehen und ist elementar.

AufgabenAufgabe 5.2.1. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines separablen Polynoms mit rationalenKoeffizienten und G ihre Galoissche Gruppe. Seien σ und τ zwei Symmetrien in G. Seiweiter t eine in x1, . . . , xn rationale Zahl, welche unter σ und τ invariant ist. Zeige, daßt auch unter id, τ σ und σ−1 invariant ist.Aufgabe 5.2.2. Im folgenden kürzen wir einen Variablensatz der Form X1, . . . , Xn mitX ab. Entsprechend steht zum Beispiel Y für Y1, . . . , Yn oder Xi für X1i, . . . , Xni. Wirnennen ein Polynom

f(X1, . . . , Xm)mit ganzzahligen Koeffizienten symmetrisch in X1, . . . , Xm, falls für jede m-stelligePermutation σ gilt, daß

σ · f(X1, . . . , Xm) := f(Xσ(1), . . . , Xσ(m)) = f(X1, . . . , Xm).

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Seien die Polynomeeλ(X1, . . . , Xm) ∈ Z[X1, . . . , Xm]

diejenigen Polynome, so daß die Gleichheit

∑k1+···+kn≤m

e(k1,...,kn)(X1, . . . , Xm) · T k11 · · ·T

knn =

m∏j=1

(1 +X1jT1 + · · ·+XnjTn)

in Z[X1, . . . , Xm, T ] gilt, wobei die Summe über alle Tupel λ = (k1, . . . , kn) natürlicherZahlen mit k1 + . . .+ kn ≤ m geht. Zeige, daß die eλ(X1, . . . , Xm) jeweils symmetrischin X1, . . . , Xm sind. Diese Polynome heißen die Mac Mahonschen2 verallgemeinertensymmetrischen Funktionen.

Aufgabe 5.2.3. Sei g(X1, . . . , Xm) ein in X1, . . . , Xm symmetrisches Polynom mit ganz-zahligen (oder rationalen oder algebraischen) Koeffizienten. Zeige analog zum Hauptsatzüber die elementarsymmetrischen Funktionen, daß g(X1, . . . , Xm) dann als Polynomin den Mac Mahonschen verallgemeinerten symmetrischen Funktionen eλ(X1, . . . , Xm)mit ganzzahligen (oder rationalen oder algebraischen) Koeffizienten geschrieben werdenkann.

Aufgabe 5.2.4. SeiK ein Koeffizientenbereich. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines sepa-rablen Polynoms f(X) über K. Sei H = σ1, . . . , σm eine Untergruppe der GaloisschenGruppe G von x1, . . . , xn über K. Zeige, daß dann

K(x1, . . . , xn)H = K(eλ(σ1 · x, . . . , σm · x)),

wobei λ über alle Tupel (k1, . . . , kn) natürlicher Zahlen mit k1 + · · ·+ kn ≤ m läuft.

Aufgabe 5.2.5. Bestimme die Galoissche Gruppe der Nullstellen x1, . . . , x4 des Poly-noms X4 + 1 über den rationalen Zahlen, ihre Untergruppen und die diesen Untergrup-pen gemäß Hauptsatz 5.12 auf Seite 169 entsprechenden Zwischenerweiterungen vonQ(x1, . . . , x4) über Q.

Aufgabe 5.2.6. Bestimme die Galoissche Gruppe über den rationalen Zahlen der Nullstel-len x1, . . . , x6 des Polynoms X6−2X3−1 über den rationalen Zahlen, ihre Untergruppenund die diesen Untergruppen gemäß Hauptsatz 5.12 auf Seite 169 entsprechenden Zwi-schenerweiterungen von Q(x1, . . . , x6) über Q.

Aufgabe 5.2.7. Bestimme explizit alle Untergruppen der Diedergruppe D4 und veran-schauliche sie nach Möglichkeit am Quadrat im Raume.

Aufgabe 5.2.8. Bestimme explizit die Symmetriegruppe eines ebenen regelmäßigen n-Ecks im Raume, die sogenannte Dieder-Gruppe Dn. Zeige, daß diese von zwei Elementenerzeugt werden kann und insgesamt 2n Elemente besitzt.

2Percy Alexander Mac Mahon, 1854–1929, britischer Mathematiker

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5.3. Algebraisch eindeutige Wurzeln

5.3. Algebraisch eindeutige WurzelnSei a eine algebraische Zahl. Eine n-te Wurzel von a ist eine algebraische Zahl x mitxn = a. In Abschnitt 1.4 auf Seite 19 haben wir gesehen, daß für a 6= 0 genau nverschiedene existieren und eine davon ausgewählt, nämlich diejenige Wurzel, welchesdas kleinste Argument im Intervall von 0 bis (ausschließlich) 2π hat. Diese haben wir mitn√a bezeichnet. Vom Standpunkt der Algebra her ist diese Definition unbefriedigend: Die

Definition des Argumentes hängt an der Existenz der komplexen Exponentialfunktion,welche wiederum analytisch mit Hilfe einer Reihe definiert sind. IstXn−a ein irreduziblesPolynom über a, so kann die Algebra prinzipiell die verschiedenen n-ten Wurzeln von anicht auseinanderhalten, da unter der Voraussetzung der Irreduzibilität alle zueinanderüber a galoissch konjugiert sind. Erfüllt eine n-te Wurzel von a also eine bestimmtepolynomielle Beziehung über a, so erfüllt jede dazu über a galoissch konjugierte n-teWurzel dieselbe polynomielle Beziehung.Aus diesem Grund wollen wir ab jetzt mit n

√a keine bestimmte n-te Wurzel von a

mehr auszeichnen. Zu sagen, das Symbol n√a stehe für irgendeine n-te Wurzel von a ist

im allgemeinen aber auch keine gute Idee. Was soll etwa11√1

bedeuten? Zu sagen, das sei eine beliebige der elf verschiedenen elften Einheitswur-zeln, würde bedeuten, alle elften Einheitswurzeln über einen Kamm zu scheren. Daswiderspricht aber der Tatsache, daß die Algebra sehr wohl gewisse elfte Einheitswur-zeln unterscheiden kann: So ist 1 die einzige elfte Einheitswurzel, die die algebraischeRelation X − 1 = 0 erfüllt. Die anderen zehn sind dagegen primitive elfte Einheits-wurzeln, welche alle zueinander galoissch konjugiert sind und die algebraische RelationX10 +X9 + · · ·+X + 1 = 0 erfüllen. Aus diesem Grunde geben wir n

√a für den Moment

nur dann einen Sinn, wenn Xn − a über a ein irreduzibles Polynom ist, wenn also allen-ten Wurzeln von a über a galoissch konjugiert sind. In diesem Falle steht n

√a für eine

der (algebraisch ununterscheidbaren) n-ten Wurzeln von a. Wir sagen dann, n√a sei eine

algebraisch eindeutige n-te Wurzel von a. Taucht das Symbol n√a dann mehrfach in einer

Formel oder in einem Zusammenhang auf, vereinbaren wir, daß n√a jedesmal dieselbe

n-te Wurzel von a bezeichnet. Ist also Xn−a über a irreduzibel, dürfen wir zum Beispieln√a− n√a = 0

schreiben, was im allgemeinen nicht möglich wäre, wenn n√a an jeder Stelle für eine

andere n-te Wurzel von a stehen würde. Fixieren wir so eine n-te Wurzel von a durchdas Symbol n

√a, so sind die anderen n-ten Wurzeln durch

ζ n√a, ζ2 n

√a, . . . , ζn−1 n

√a

gegeben, wobei ζ eine primitive n-te Einheitswurzel ist.Sei a eine algebraische Zahl, welche eine algebraisch eindeutige n-te Wurzel besitzt.

Sei weiter z eine algebraische Zahl mit zn = a. Wir sind verleitet,

z = n√a (5.3)

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

zu notieren. Doch was soll diese Gleichheit bedeuten? Auf der linken Seiten steht einespezifische komplexe Zahl, auf der rechten Seite eine Zahl, welche nur bis auf galois-sche Konjugation definiert ist. Damit müssen wir eine Gleichung wie (5.3) einfach sointerpretieren, daß beide Seiten galoissch konjugiert (über a) zueinander sind.Da die Definition von n

√a von der Irreduzibilität von Xn − a über a abhängt, wollen

wir diese zunächst untersuchen. Dazu gehen wir einen Schritt weiter und untersuchen dieIrreduzibilität von Xn−a über K, wenn K ein beliebiger Koeffizientenbereich ist, in dema liegt. Im Falle der Irreduziblität von Xn − a sagen wir, daß eine über K algebraischeindeutige n-te Wurzel von a existiert.Wir betrachten den Fall, daß n = p eine Primzahl ist. Dann istXp−a = 0 offensichtlich

nicht über K irreduzibel, wenn Xp − a eine Nullstelle in K besitzt, wenn also die Zahla eine p-te Potenz einer Zahl in K ist. Dies ist aber auch die einzige Bedingung:

Hilfssatz 5.17. Sei p eine Primzahl. Eine p-te Wurzel von a ist genau dann über Kalgebraisch eindeutig, wenn a keine p-te Potenz über K ist.

Beweis. Die eine Richtung der behaupteten Äquivalenz haben wir schon gesehen, dasheißt ist Xp − a über K irreduzibel, so ist a keine p-te Potenz über K. Da Xp − a überK entweder irreduzibel ist oder nicht, können wir für die andere Richtung annehmen,daß Xp−a nicht irreduzibel ist. Wir wollen daraus ableiten, daß a eine p-te Potenz überK ist:Sei x eine Nullstelle von Xp− a = 0 in den komplexen Zahlen. Dann ist unter unserer

Annahme der Zerlegbarkeit von Xp − a das Minimalpolynom von x über K von einemGrade d mit d < p. Es gilt xp = a. Seien x1 = x, x2, . . . , xd die galoissch Konjugiertenvon x über K. Diese erfüllen ebenfalls die algebraische Relation Xp = a, das heißt xpi = afür i ∈ 1, . . . , d. Wir folgern

(x1 · · ·xd)p = ad.

Nach Satz 2.11 auf Seite 55 ist z := x1 · · ·xd bis auf ein Vorzeichen von (−1)d derkonstante Koeffizient des Minimalpolynoms von x über K, also selbst aus K. Da dteilerfremd zu p ist, können wir 1 = rd+ sp für ganze Zahlen r und s schreiben. Damithaben wir

a = ard+sp = (ad)r · (ap)s = (zp)r · (as)p = (zras)p,

das heißt a ist eine p-te Wurzel über K.

Wir können den Hilfssatz in seiner Aussage noch etwas verstärken, wenn wir eineentsprechende Annahme über K machen:

Folgerung 5.18. Sei p eine Primzahl. Liege eine primitive p-te Einheitswurzel in KDann ist entweder eine p-te Wurzel einer Zahl a in K über K algebraisch eindeutig oderalle Lösungen von Xp − a = 0 liegen schon in K.

Beweis. Sei ζ eine primitive p-te Einheitswurzel, welche in K liegt.Im Falle, daß eine p-te Wurzel von a über K algebraisch eindeutig ist, ist Xp−a nach

Definition über K irreduzibel, so daß die Nullstellen von Xp − a sicherlich nicht in Kliegen.

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5.3. Algebraisch eindeutige Wurzeln

Anderfalls besitzt Xp − a nach Hilfssatz 5.17 auf der vorherigen Seite eine Nullstellex in K. Alle weiteren Nullstellen von Xp−a (in den algebraischen Zahlen) sind ζx, ζ2x,. . . , ζp−1x. Diese liegen damit auch in K.

Wie sieht es im Falle aus, daß n keine Primzahl ist? Dann gilt immer noch:

Hilfssatz 5.19. Seien p und q zwei natürliche Zahlen. Sei weiter n = p · q. Sei a eineZahl aus K. Ist eine n-te Wurzel c von a über K algebraisch eindeutig, so gibt es aucheine über K algebraisch eindeutige q-te Wurzel b von a, welche wir so wählen können,daß c eine über K(b) algebraisch eindeutige p-te Wurzel von b ist.

Besitzt a also eine über K algebraisch eindeutige n-te Wurzel, können wir

n√a = p

√q√a

schreiben. Indem wir von n sukzessive Primteiler abspalten, können wir also jede alge-braisch eindeutige n-te Wurzel durch algebraisch eindeutige Wurzeln ausdrücken, derenExponenten Primzahlen sind.

Beweis. Aus Xq−a = f(X) ·g(X) folgt Xn−a = f(Xp) ·g(Xp). Damit muß Xq−a überK irreduzibel sein, daXn−a nach Voraussetzung überK irreduzibel ist. Folglich existierteine über K algebraisch eindeutige q-te Wurzel b von a. Es ist (cp)q = cpq = cn = a, alsokönnen wir b = cp wählen. Wir halten fest, daß Xq − a das Minimalpolynom von b überK ist, daß also b vom Grade q über K ist.Es bleibt zu zeigen, daß Xp − b irreduzibel über K(b) ist. Dazu reicht es zu zeigen,

daß Xp− b das Minimalpolynom von c über K(b) ist. Da Xp− b die Zahl c als Nullstellehat, müssen wir damit zeigen, daß p der Grad von c über K(b) ist. Das gelingt mit derGradformel:

n = [K(c) : K] = [K(c) : K(b)] · [K(b) : K] = q · [K(c) : K(b)].

Division der Gleichung durch q liefert das gewünschte Ergebnis.

AufgabenAufgabe 5.3.1. Gib einen Koeffizientenbereich an, in dem 7 keine algebraisch eindeutige5-te Wurzel besitzt und in dem X5 − 7 nicht in Linearfaktoren zerfällt.Aufgabe 5.3.2. Gib einen Koeffizientenbereich an, in dem 7 keine algebraisch eindeutige5-te Wurzel besitzt und in dem X5 − 7 in Linearfaktoren zerfällt.Aufgabe 5.3.3. Sei p eine Primzahl. Sei weiter a eine Zahl aus einem KoeffizientenbereichK. Zeige, daßXp−a entweder überK irreduzibel ist oder daß in der Primfaktorzerlegungvon Xp − a über K mindestens ein Linearfaktor vorkommt.Aufgabe 5.3.4. Gib ein Beispiel dafür an, daß Hilfssatz 5.17 auf der vorherigen Seitefalsch wird, wenn wir nicht annehmen, daß p eine Primzahl ist.Aufgabe 5.3.5. Sei p eine Primzahl. Sei b eine Zahl aus einem Koeffizientenbereich K.Zeige, daß in K genau dann eine primitive p-te Einheitswurzel liegt, wenn das PolynomXp − bp über K in Linearfaktoren zerfällt.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

5.4. Wurzeldarstellungen der primitiven EinheitswurzelnDas Symbol 11√1 ergibt aufgrund der Zerlegbarkeit von X11− 1 nach der Diskussion desletzten Abschnittes im algebraischen Kontext keinen Sinn. Wir können entweder von derZahl 1 oder von einer primitiven elften Einheitswurzel ζ, also einer Lösung von

X10 +X9 +X8 +X7 +X6 +X5 +X4 +X3 +X2 +X + 1 = 0 (5.4)

sprechen. Damit ist ζ aber in offensichtlicher Weise kein Wurzelausdruck mehr. Könnenwir eine Lösung der Gleichung (5.4) trotzdem mittels wohldefinierter Wurzelausdrückedarstellen?Wir wollen dafür einige Beispiele geben. Dazu beginnen wir jedoch zunächst nicht mit

elften, sondern mit zweiten Einheitswurzeln. In diesem Falle gibt es genau eine primitivezweite Einheitswurzel, nämlich

ζ2 = −1.

Im Falle dritter Einheitswurzeln suchen wir nach einer Lösung von X2 + X + 1 = 0.Algebraisches Lösen dieser Gleichung ergibt:

ζ3 = −1−√−3

2 .

(Wir dürfen√−1 schreiben, da X2 + 1 über den rationalen Zahlen irreduzibel ist. Die

beiden Lösungen von X2 +1 = 0 entsprechen den beiden primitiven dritten Einheitswur-zeln.) Gehen wir weiter zum Falle vierter Einheitswurzeln. Diese sind Quadratwurzelnprimitiver zweiter Einheitswurzeln, also haben wir

ζ4 =√−1.

Der Fall fünfter Einheitswurzeln, also Lösungen von X4 +X3 +X2 +X+1 = 0 ist wiederinteressanter. Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es eine Lösungsformel für Gleichungenvierten Grades, welche wir hier anwenden könnten. Weiterführend ist jedoch ein andererTrick. Sei ζ eine Lösung. Sei weiter θ eine primitive vierte Einheitswurzel, also θ =

√−1.

Wir betrachten dann

x1 = ζ + θζ2 + θ2ζ4 + θ3ζ8 = ζ +√−1 · ζ2 − ζ4 −

√−1 · ζ3,

x2 = ζ + θ2ζ2 + θ4ζ4 + θ6ζ8 = ζ − ζ2 + ζ4 − ζ3,

x3 = ζ + θ3ζ2 + θ6ζ4 + θ9ζ8 = ζ −√−1 · ζ2 − ζ4 +

√−1 · ζ3,

x4 = ζ + θ4ζ2 + θ8ζ4 + θ12ζ8 = ζ + ζ2 + ζ4 + ζ3.

(5.5)

Offensichtlich ist x4 = −1, da ζ die Gleichung X4 + X3 + X2 + X + 1 = 0 erfüllt. Umden Wert von x1 zu bestimmen, quadrieren wir diesen Ausdruck zunächst. Wir erhalten

x21 = (ζ +

√−1 · ζ2 − ζ4 −

√−1 · ζ3)2

= ζ2 − ζ4 + ζ8 − ζ6

+ 2√−1 · ζ3 − 2− 2

√−1 · ζ4 − 2

√−1 · ζ6 + 2 + 2

√−1 · ζ7

= (−1− 2√−1)x2.

(5.6)

180

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5.4. Wurzeldarstellungen der primitiven Einheitswurzeln

Dann quadrieren wir x2 und erhalten

x22 = (ζ − ζ2 + ζ4 − ζ3)2 = ζ2 + ζ4 + ζ8 + ζ6 − 2ζ3 + 2ζ5 − 2ζ4 − 2ζ6 + 2ζ5 − 2ζ7

= 4− ζ − ζ2 − ζ3 − ζ4 = 5.

Folglich ist x41 = ((−1− 2

√−1)x2)2 = 20

√−1− 15, also

x1 = 4√

20√−1− 15.

(Die vier Wahlen der vierten Wurzel entsprechen den vier Wahlen einer primitiven fünf-ten Einheitswurzel.) Wegen (5.6) erhalten wir

x2 = x21

−1− 2√−1

=(2√−1− 1) 4

√20√−1− 15

2

5 .

Um x3 zu bestimmen, berechnen wir

x1x3 = (ζ +√−1 · ζ2 − ζ4 −

√−1 · ζ3) · (ζ −

√−1 · ζ2 − ζ4 +

√−1 · ζ3)

= (ζ − ζ4)2 + (ζ2 − ζ3)2

= −5,

also

x3 = − 5x1

= − 5x31

20√−1− 15

=(4√−1 + 3) 4

√20√−1− 15

3

25 .

Damit kennen wir x1, . . . , x4 und können (5.5) als inhomogenes Gleichungssystem in ζ,ζ2, ζ4 und ζ3 über den rationalen Zahlen auffassen. Die Summe aller vier Gleichungenergibt

x1 + x2 + x3 + x4 = 4ζ.

Folglich erhalten wir folgenden Wurzelausdruck für eine primitive fünfte Einheitswurzel:

ζ5 = −14 +

4√

20√−1− 154 +

(2√−1− 1) 4

√20√−1− 15

2

20 +(4√−1 + 3) 4

√20√−1− 15

3

100 .

(5.7)Eine primitive sechste Einheitswurzel ist das negative einer dritten Einheitswurzel, also

ζ6 = 1 +√−3

2 .

Für primitive siebente Einheitswurzeln ergibt eine ähnliche Rechnung wie für ζ5, daß ζ7durch Wurzeln ausdrückbar ist. Damit haben wir ζ2, . . . , ζ7, also primitive Lösungen vonKreisteilungsgleichungen, nur durch die Grundrechenarten und Wurzelziehen dargestellt.Wir wollen zeigen, daß beliebige primitive n-te Einheitswurzeln durch Wurzelausdrückedarstellbar sind, daß sich also die Nullstellen von Φn(X) = 0 nur mittels den Grundre-chenarten und Wurzelziehen ausdrücken lassen. Insbesondere werden wir für ζ11 einen

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Wurzelausdruck finden, ein Ergebnis welches zuerst 1771 von Vandermonde gefundenworden ist und welches zur damaligen Zeit eine Überraschung war.Dazu definieren wir zunächst präzise, was „durch Wurzelausdrücke darstellbar“ ei-

gentlich heißen soll:

Definition 5.20. Sei K ein Koeffizientenbereich. Eine Folge x1, . . . , xk algebraischerZahlen heißt über K simultan durch Wurzeln ausdrückbar, wenn es eine Folge z1, . . . ,zn algebraischer Zahlen und eine Folge p1, . . . , pn von Primzahlen gibt, so daß für allei ∈ 1, . . . , n die Zahl zi eine über K(z1, . . . , zi−1) algebraisch eindeutige pi-te Wurzeleiner Zahl aus K(z1, . . . , zi−1) ist und schließlich x1, . . . , xk Zahlen aus K(z1, . . . , zn)sind.

(In der Situation der Definition sagen wir, daß zi eine algebraisch eindeutige Wur-zel über K(z1, . . . , zi−1) ist. Die vorkommenden pi heißen Wurzelexponenten.) Mit denBezeichnungen dieser Definition existiert also für jedes i ∈ 1, . . . , n ein Polynomfi(Z1, . . . , Zi−1) über K, so daß fi(z1, . . . , zi−1) keine pi-te Potenz über z1, . . . , zi−1 istund so daß zi = pi

√f(z1, . . . , zi−1) gilt. Außerdem existieren Polynome g1(Z1, . . . , Zn),

. . . , gk(Z1, . . . , Zn) über K, so daß xj = gj(z1, . . . , zn) für alle j ∈ 1, . . . , k.Wir wollen uns kurz überlegen, daß xj bis auf galoissch Konjugierte nur von den

Polynomen f1, . . . , fn, den Primzahlen p1, . . . , pn und vom Polynom gj(Z1, . . . , Zn)abhängt. Wenn dies nämlich der Fall ist, können wir

xj = gj

(p1√f1,

p2

√f2(p1√f1), . . . , pn

√fn

(p1√f1, . . . ,

pn−1√fn−1(. . . )

))(5.8)

schreiben. Beispiele für solche Wurzelausdrücke für algebraische Zahlen sind zum Beispiel1 + 3√2 oder 5

√1 +√

2. Dabei sei beachtet, daß das erste Beispiel für drei galoisschKonjugierte steht, das zweite sogar für zehn galoissch Konjugierte.Um die Unabhängigkeit von xj bis auf galoissch Konjugierte von den zi zu zeigen,

bietet sich zunächst folgende Definition an, welche den Begriff der galoisschen Konju-giertheit verallgemeinert:

Definition 5.21. Seien z1, . . . , zn und z′1, . . . , z′n algebraische Zahlen. Dann heißen z1,. . . , zn zu z′1, . . . , z′n (simultan) galoissch konjugiert über einem Koeffizientenbereich K,falls für jedes Polynom V (Z1, . . . , Zn) über K gilt, daß

V (z1, . . . , zn) = 0 ⇐⇒ V (z′1, . . . , z′n) = 0.

Zwei algebraische Zahlen z und z′ sind über K genau dann im alten Sinne zueinandergaloissch konjugiert, wenn sie im Sinne der neuen Definition 5.21 simultan galoisschkonjugiert sind.Beispiel 5.22. Sind x1, . . . , xn Nullstellen eines normiertes separablen Polynoms übereinem Koeffizientenbereich K. Eine n-stellige Permutation σ ist genau dann eine Sym-metrie von x1, . . . , xn über K, wenn x1, . . . , xn zu xσ(1), . . . , xσ(n) galoissch konjugiertsind.

182

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5.4. Wurzeldarstellungen der primitiven Einheitswurzeln

Wir benötigen noch folgenden Hilfssatz:

Hilfssatz 5.23. Seien die algebraischen Zahlen z1, . . . , zn und z′1, . . . , z′n über einemKoeffizientenbereich K simultan galoissch konjugiert. Sei f(X,Z1, . . . , Zn) ein Polynom,so daß f(X, z1, . . . , zn) über K(z1, . . . , zn) irreduzibel ist. Dann ist f(X, z′1, . . . , z′n) überK(z′1, . . . , z′n) irreduzibel.

Beweis. Sei f(X, z′1, . . . , z′n) = g(X) · h(X) eine Faktorisierung in normierte Polyno-me über K(z′1, . . . , z′n). Wir müssen zeigen, daß g(X) = 1 oder daß h(X) = 1. Dadie Koeffizienten von g(X) und h(X) über K in z′1, . . . , z′n rational sind, können wirg(X) = g(X, z′1, . . . , z′n) und h(X) = h(X, z′1, . . . , z′n) schreiben, wobei g(X,Z1, . . . , Zn)und h(X,Z1, . . . , Zn) in X normierte Polynome über K sind. Es gilt also die Gleichheit

f(X, z′1, . . . , z′n)− g(X, z′1, . . . , z′n) · h(X, z′1, . . . , z′n) = 0.

Koeffizientenweise liefert dies algebraische Relationen von z′1, . . . , z′n über K, so daß wirnach der Voraussetzung, nach der z1, . . . , zn zu z′1, . . . , z′n über K galoissch konjugiertsind, dann auch

f(X, z1, . . . , zn)− g(X, z1, . . . , zn) · h(X, z1, . . . , zn) = 0

haben. Da f(X, z1, . . . , zn) nach Voraussetzung irreduzibel ist, können wir ohne Ein-schränkung annehmen, daß g(X, z1, . . . , zn) = 1. Dies können wir wiederum koeffizien-tenweise als eine Reihe algebraischer Relationen zwischen z1, . . . , zn ansehen, das heißtwir haben auch g(X, z′1, . . . , z′n) = 1, wieder weil z′1, . . . , z′n zu z1, . . . , zn galoisschkonjugiert sind.

Kommen wir zur Unabhängigkeit der xj bis auf galoissch Konjugierte von den spezi-ellen Wahlen der zi zurück. Dazu sei eine weitere Reihe z′1, . . . , z′n algebraischer Zahlengegeben, so daß z′pii = fi(z′1, . . . , z′i−1) für alle i ∈ 1, . . . , n gilt. Wir behaupten, daßfür alle i ∈ 1, . . . , n die Zahl z′i eine über K(z′1, . . . , z′i−1) algebraisch eindeutige pi-teWurzel ist und daß z′1, . . . , z′i über K galoissch konjugiert zu z1, . . . , zi sind. Diese Be-hauptung wollen wir per Induktion über i beweisen. Im Falle i = 0 ist nichts zu zeigen.Nehmen wir als nächstes an, daß die Behauptung für ein beliebiges i schon bewiesenist. Wir wollen sie für i + 1 beweisen. Es ist Xp − fi+1(z1, . . . , zi) über K(z1, . . . , zi)irreduzibel, wobei wir p := pi+1 abgekürzt haben. Aufgrund von Hilfssatz 5.23 und derInduktionsvoraussetzung ist dann Xp − fi+1(z′1, . . . , z′i) über K(z′1, . . . , z′i) irreduzibel,das heißt zi+1 ist eine über K(z′1, . . . , z′i) algebraisch eindeutige p-te Wurzel.Als nächstes betrachten wir ein Polynom V (Z1, . . . , Zi+1) über K, für das eine al-

gebraische Relation V (z1, . . . , zi+1) = 0 gilt. Wir müssen zeigen, daß wir dann auchV (z′1, . . . , z′i+1) = 0 haben (die umgekehrte Implikation geht aus Symmetriegründen ge-nauso). Nach dem Hauptsatz über die elementarsymmetrischen Funktionen existiert einPolynom H(Z1, . . . , Zn, Y1, . . . , Yp) über K mit

H(Z1, . . . , Zi, e1(W1, . . . ,Wp), . . . , ep(W1, . . . ,Wp))= V (Z1, . . . , Zi,W1) · · ·V (Z1, . . . , Zi,Wp).

183

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Wir setzen dann

V (Z1, . . . , Zi) := H(Z1, . . . , Zi, 0, . . . , 0︸ ︷︷ ︸p−1

, (−1)p fi+1(Z1, . . . , Zi)).

Nach dem Vietaschen Satz gilt dann

V (z1, . . . , zi, w1) · · ·V (z1, . . . , zi, wp) = V (z1, . . . , zi),

wobei w1, . . . , wp die p verschiedenen Lösungen von Xp− fi+1(z1, . . . , zi) = 0 sind (undunter denen sich auch zi+1 befindet). Aus V (z1, . . . , zi+1) = 0 folgt also V (z1, . . . , zi) = 0.Da z1, . . . , zi nach Induktionsvoraussetzung über K zu z′1, . . . , z′i galoissch konjugiertsind, folgt weiter V (z′1, . . . , z′i) = 0. Sind w′1, . . . , w′p die verschiedenen Lösungen vonXp − fi+1(z′1, . . . , z′i) = 0, so gilt wieder nach dem Vietaschen Satz, daß

V (z′1, . . . , z′i, w′1) · · ·V (z′1, . . . , z′i, w′p) = V (z′1, . . . , z′i) = 0.

Insbesondere muß also ein Faktor V (z′1, . . . , z′i, w`) für ein ` ∈ 1, . . . , p verschwinden.Da das Polynom Xp − fi+1(z′1, . . . , z′i) über K(z′1, . . . , z′i) irreduzibel ist, ist z′i+1 zu w`über K(z′1, . . . , z′i) galoissch konjugiert. Wegen V (z′1, . . . , z′i, w`) = 0 haben wir also auchV (z′1, . . . , z′i, z′i+1) = 0, womit der Induktionsschritt vollständig ist.Bis auf simultane galoissche Konjugiertheit hängen also z1, . . . , zn nur von den Poly-

nomen f1, . . . , fn und den Primzahlen p1, . . . , pn ab. Sind z′1, . . . , z′n über K zu z1, . . . ,zn galoissch konjugiert und setzen wir x′j := gj(z′1, . . . , z′n) für j ∈ 1, . . . , k, so sind x′1,. . . , x′k über K zu x1, . . . , xk galoissch konjugiert, das heißt insgesamt, daß x1, . . . , xkbis auf simultane galoissche Konjugation nur von f1, . . . , fn und p1, . . . , pn abhängen:Ist nämlich V (x1, . . . , xk) = 0 eine algebraische Relation über K, so ist

V (g1(z1, . . . , zn), . . . , gk(z1, . . . , zn)) = 0.

Dies ist wiederum eine algebraische Relation von z1, . . . , zn über K, das heißt wir habenV (g1(z′1, . . . , z′n), . . . , gk(z′1, . . . , z′n)) = 0, also V (x′1, . . . , x′k) = 0.Für spätere Verwendung formulieren wir noch kurz einen Hilfssatz:

Hilfssatz 5.24. Sei p eine positive natürliche Zahl. Sei θ eine (p−1)-te Einheitswurzel.Dann gilt

1 + θj + θ2j + · · ·+ θ(p−2)j =p− 1 für j = 00 für j ∈ 1, . . . , p− 2.

Beweis. Der Fall j = 0 ist klar. Betrachten wir jetzt also den Fall j ∈ 1, . . . , p − 2.Dann ist ω := θj eine primitive Einheitswurzel zu einem Teiler k von p− 1. Ist d = p−1

k ,so haben wir wegen ωk = 1 damit

1 + θj + θ2j + · · ·+ θ(p−2)j = d · (1 + ω + ω2 + · · ·+ ωk−1).

Da Φk(X) ein Teiler von Xk−1 + · · ·+1 ist und Φk(ω) = 0, folgt damit das Ergebnis.

184

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5.4. Wurzeldarstellungen der primitiven Einheitswurzeln

Nach diesem kurzen Einschub zum Thema Wurzelausdrücke, können wir das Haupt-ergebnis dieses Abschnittes angeben:

Satz 5.25. Seien n eine natürliche Zahl und ζ eine n-te Einheitswurzel. Dann ist ζ(über den rationalen Zahlen) durch Wurzeln ausdrückbar.

Beweis. Der Satz folgt aus dem folgenden allgemeineren Hilfssatz 5.26.

Hilfssatz 5.26. Sei k eine natürliche Zahl. Dann lassen sich alle j-ten Einheitswurzelnfür alle j ∈ 1, . . . , k simultan durch Wurzeln über K ausdrücken, das heißt, es existierteine Folge z1, . . . , zm algebraischer Zahlen und eine Folge von Primzahlen p1, . . . , pm,so daß für alle i ∈ 1, . . . ,m die Zahl zi eine algebraisch eindeutige pi-te Wurzel überK(z1, . . . , zi−1) ist und alle j-ten Einheitswurzeln mit j ∈ 1, . . . , k in K(z1, . . . , zm)liegen.Wir können die z1, . . . , zm und p1, . . . , pm sogar so wählen, daß für jedes i ∈1, . . . , n eine primitive pi-te Einheitswurzel in K(z1, . . . , zi) liegt.

Beweis. Da alle j-ten Einheitswurzeln Potenzen jeder primitiven j-ten Einheitswurzelsind, reicht es, die z1, . . . , zm so zu finden, daß für alle j ∈ 1, . . . , k eine primitive j-teEinheitswurzel in K(z1, . . . , zm) liegt.Den Beweis wollen wir per Induktion über k durchführen. Für k = 0, 1 ist nichts zu

zeigen. Sei also k > 1. Nach Induktionsvoraussetzung existieren algebraische Zahlen z1,. . . , z`, so daß für alle i ∈ 1, . . . , ` die Zahl zi eine algebraisch eindeutige Wurzel überK(z1, . . . , zi−1) ist und alle j-ten Einheitswurzeln mit j < k in K(z1, . . . , z`) liegen.Sei ζ eine primitive Einheitswurzel. Wir reduzieren jetzt auf den Fall, daß k eine

Primzahl ist: Andernfalls ist k eine zusammengesetzte Zahl, etwa k = p · q, wobei peine Primzahl und q > 1 eine natürliche Zahl ist. Es ist ζp eine q-te Einheitswurzel undliegt wegen q < k damit in K(z1, . . . , z`). Wir betrachten dann das Polynom Xp − ζp.Da eine primitive p-te Einheitswurzel wegen p < k in K(z1, . . . , z`) liegt, können nachFolgerung 5.18 auf Seite 178 genau zwei Fälle auftreten: Entweder ist eine p-te Wurzelvon ζp über K(z1, . . . , z`) algebraisch eindeutig oder ζ liegt in K(z1, . . . , z`). Im erstenFalle setzen wir m := `+ 1 und zm := ζ. Im zweiten Fall setzen wir einfach m := `.Wir können also davon ausgehen, daß k = p eine Primzahl ist. Wir wählen eine

primitive (p − 1)-te Einheitswurzel θ. (Diese Idee stammt aus der Herleitung der Dar-stellung (5.7) einer primitiven fünften Einheitswurzel als Wurzelausdruck. Die imaginäreEinheit i ist nämlich eine primitive vierte Einheitswurzel.) Weiter wählen wir eine pri-mitive Wurzel g modulo p. Dann setzen wir

xi := ζ + θiζg + θ2iζg2 + · · ·+ θ(p−2)iζg

p−2

=p−2∑j=0

θjiζgj

für alle i ∈ 0, . . . , p− 2. Diese Ausdrücke liegen in Q(ζ, θ). Wir wollen zeigen, daß ihre(p− 1)-ten Potenzen schon in Q(θ) liegen:

185

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Es ist ζθ eine primitive (p(p− 1))-te Einheitswurzel, da p und p− 1 teilerfremd sind.Insbesondere liegen ζ und θ in Q(ζθ). Ebenfalls weil p und p − 1 teilerfremd sind, giltϕ(p (p− 1)) = ϕ(p)ϕ(p− 1) = (p− 1)ϕ(p− 1). Nach der Gradformel haben wir damit

(p− 1)ϕ(p− 1) = ϕ(p(p− 1)) = [Q(ζθ) : Q(θ)] · [Q(θ) : Q] = ϕ(p− 1)[Q(ζ, θ) : Q(θ)],

also ist der Grad von ζ über Q(θ) gerade p− 1. Es folgt, daß Φp(X) = Xp−1 +Xp−2 +· · ·+X + 1 auch das Minimalpolynom von ζ über Q(θ) sein muß. Die Überlegungen zurGaloisschen Gruppe von ζ, ζ2, . . . , ζp−1 über den rationalen Zahlen bleiben damit auchüber Q(θ) richtig: Es gibt ein Element σ in G = GalQ(θ)(ζ, ζ2, . . . , ζp−1) mit σ · ζi = ζig

für jede ganze Zahl i, und σ ist ein Erzeuger von G. Sei i ∈ 0, . . . , p− 2. Dann gilt

σ · xi =p−2∑j=0

θji σ · ζgj =p−2∑j=0

θjiζgj+1 = θ−i

p−1∑j=1

θjiζgj = θ−i

p−2∑j=0

θjiζgj.

(Die letzte Gleichheit gilt, da θp−1 = 1 = θ0 und gp−1 ≡ g0 ≡ 1 modulo p.) Wegenθp−1 = 1 folgt, daß xp−1

i unter σ invariant ist. Da σ die ganze Gruppe G erzeugt, xp−1i

also unter allen Elementen der Galoisschen Gruppe von ζ, . . . , ζp−1 über Q(θ) invariantist, liegt folglich xp−1

i in Q(θ). Da θ in K(z1, . . . , z`) nach Induktionsvoraussetzung liegt,liegt damit xi entweder schon inK(z1, . . . , z`) oder ist eine überK(z1, . . . , z`) algebraischeindeutige (p − 1)-te Wurzel. Daher können wir die Folge z1, . . . , z` zu einer Folge z1,. . . , zm verlängern, so daß insbesondere für j ∈ 1, . . . ,m die Zahl zj eine algebraischeindeutige Wurzel über K(z1, . . . , zj−1) ist und so daß x0, . . . , xp−2 in K(z1, . . . , zm)liegen.Betrachten wir jetzt die Summe

x0 + x1 + · · ·+ xp−2 =∑j=0

ζgjp−2∑i=0

θji = (p− 1) ζg0 = (p− 1) ζ,

wobei wir den vorher formulierten Hilfssatz 5.24 auf Seite 184 benutzt haben, so erkennenwir, daß auch ζ in K(z1, . . . , zm) liegt.

Wenden wir die im Beweis von Satz 5.25 auf der vorherigen Seite auf den Fall der elftenEinheitswurzeln an, so erhalten wir, daß die primitiven elften Einheitswurzeln nur durchQuadrat- und fünfte Wurzeln ausdrückbar sind. Das Ergebnis der längeren Rechnung istauf der Illustration auf dem Deckblatt dieses Buches zu sehen.

AufgabenAufgabe 5.4.1. Seien x1, . . . , x4 wie bei der Herleitung der Formel (5.7). Zeige, daßx2

2 = 5 und x43 = −20

√−1 − 15 gilt. Warum ist es problematisch, eine fünfte primitive

Einheitswurzel durch den Wurzelausdruck

14

(−1 + 4

√20√−1− 15 +

√5 + 4

√−20√−1− 15

)anzugeben?

186

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5.5. Nicht auflösbare Galoissche Gruppen

Aufgabe 5.4.2. Erfülle die Folge der algebraischen Zahlen z1, . . . , zn die Gleichungen

z51 = 2, z3

2 = z21 − 2z1 + 4, z2

3 = z22 − z2

1z2 + 7.

Gib einen Wurzelausdruck in der Form von (5.8) für x an.Aufgabe 5.4.3. Sei K ein Koeffizientenbereich. Seien z1, . . . , zn algebraische Zahlen undf1(X), f2(X,Z1), f3(X,Z1, Z2), . . . , fn(X,Z1, . . . , Zn−1) Polynome über K, so daß füralle i ∈ 1, . . . , n das Polynom fi(X, z1, . . . , zi−1) das Minimalpolynom von zi überK(z1, . . . , zi−1) ist. Sei schließlich x := g(z1, . . . , zn), wobei g(Z1, . . . , Zn) ein Polynomüber K ist. Zeige, daß x bis auf galoissche Konjugation über K nur von den Polynomenf1, . . . , fn und g(Z1, . . . , Zn) abhängt.Aufgabe 5.4.4. Sei x durch Wurzeln ausdrückbar. Sei x′ galoissch konjugiert zu x. Zeige,daß x′ ebenfalls durch Wurzeln ausdrückbar ist, und zwar durch denselben Wurzelaus-druck wie x.Aufgabe 5.4.5. Sei x eine algebraische Zahl, deren galoissch Konjugierte durch x1 = x,x2, . . . , xn gegeben sind. Zeige, daß x genau dann konstruierbar ist, wenn der Grad eineszu x1, . . . , xn primitiven Elementes über den rationalen Zahlen durch eine Zweierpotenzgegeben ist.Aufgabe 5.4.6. Sei n eine positive natürliche Zahl. Zeige, daß eine primitive n-te Ein-heitswurzel durch Wurzeln ausgedrückt werden kann, deren Exponenten höchstens dasMaximum von 2 und n−1

2 sind.Aufgabe 5.4.7. Sei p eine Primzahl. Sei ζ eine primitive p-te Einheitswurzel, und seiθ eine primitive (p − 1)-te Einheitswurzel. Zeige, daß ζθ eine primitive (p (p − 1))-teEinheitswurzel ist.Aufgabe 5.4.8. Sei p eine Primzahl. Sei ζ eine primitive p-te Einheitswurzel, und sei θeine primitive (p − 1)-te Einheitswurzel. Sei g eine primitive Wurzel modulo g. Dannsetzen wir

xi := ζ + θiζg + · · ·+ θ(p−2)iζgp−2

für alle i ∈ 0, . . . , p− 2. Sei d ∈ 1, . . . , p− 2. Zeige, daß

ζd = 1p− 1

p−2∑i=0

θ−jixi

,wenn j eine ganze Zahl mit gj ≡ d modulo p ist.Aufgabe 5.4.9. Gib einen Wurzelausdruck für eine primitive siebente Einheitswurzel an.

5.5. Nicht auflösbare Galoissche GruppenNachdem wir definiert haben, was „in Wurzeln ausdrückbar“ heißt, stellen wir uns dieAusgangsfrage Galois’, nämlich welche Polynomgleichungen durch Wurzeln auflösbarsind, das heißt, die Lösungen welcher Polynomgleichungen durch Wurzeln ausdrückbarsind. Hierbei wollen wir, daß alle Lösungen simultan durch Wurzeln ausdrückbar sind:

187

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Definition 5.27. Seien K ein Koeffizientenbereich und f(X) ein normiertes separablesPolynom über K. Wir sagen, daß die Polynomgleichung f(X) = 0 auflösbar ist (oderkürzer daß f(X) auflösbar ist), falls die Nullstellen x1, . . . , xn über K simultan durchWurzeln ausdrückbar sind.

Sind x1, . . . , xn über K simultan durch Wurzeln ausdrückbar, so legen die zugehörigenWurzelausdrücke die Zahlen x1, . . . , xn nur bis aus Konjugation fest. Dies muß aber auchso sein, weil wir algebraisch keine Reihenfolge der x1, . . . , xn auszeichnen können.Wir haben definiert, daß x1, . . . , xn über K simultan durch Wurzeln ausdrückbar

sind, wenn eine Folge z1, . . . , zm algebraischer Zahlen und eine Folge p1, . . . , pm vonPrimzahlen existiert, so daß für alle i ∈ 1, . . . ,m die Zahl zi eine über K(z1, . . . , zi−1)algebraisch eindeutige pi-te Wurzel einer Zahl aus K(z1, . . . , zi−1) ist und x1, . . . , xnin K(z1, . . . , zm) liegen. Dies können wir auch ein wenig anders formulieren: Und zwarnennen wir eine Erweiterung F eines Koeffizientenbereiches E eine Radikalerweiterung(mit Exponenten p), wenn p eine Primzahl ist und F von der Form E(z) ist, wobei zeine über E algebraisch eindeutige p-te Wurzel besitzt. Mit dieser Bezeichnung sind x1,. . . , xn also genau dann über K simultan durch Wurzeln ausdrückbar, wenn eine Folge

K =: K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Km (5.9)

von Erweiterungen von K existiert, so daß für alle i ∈ 1, . . . ,m die Erweiterung Ki

eine Radikalerweiterung von Ki−1 ist und x1, . . . , xn Elemente aus Km sind. Wir nennendie Kette K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Km in (5.9) einen Turm aus Radikalerweiterungen.Im letzten Abschnitt haben wir gesehen, daß immerhin die Kreisteilungspolynome

auflösbar sind. In diesem Abschnitt wollen wir ein allgemeines notwendiges Kriteriumdafür angeben, daß eine Polynomgleichung auflösbar ist: Dazu betrachten wir zunächsteine Primzahl p und einen Koeffizientenbereich K, in welchem eine p-te primitive Ein-heitswurzel liegt. Sei weiter a eine Zahl aus K, welche keine p-te Potenz in K ist. Dannexistiert bekanntlich eine über K algebraisch eindeutige p-te Wurzel p

√a. Insbesondere

ist Xp − a über K irreduzibel und [K( p√a) : K] = p.

Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynoms f(X) über K.Wir wollen die Galoissche Gruppe H von x1, . . . , xn über K( p

√a) mit der Galoisschen

Gruppe G von x1, . . . , xn über K vergleichen. Dazu betrachten wir das Diagramm

K( p√a, x1, . . . , xn)

K(x1, . . . , xn) K( p√a)

K

p

d [H:1]

[G:1]

von Koeffizientenbereichen, wobei wir die jeweiligen Grade der Erweiterungen an denvertikalen Linien notiert haben. Hierbei ist d := [K( p

√a, x1, . . . , xn) : K(x1, . . . , xn)].

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5.5. Nicht auflösbare Galoissche Gruppen

Nach der Gradformel giltd · [G : 1] = [H : 1] · p.

Erinnern wir uns an den Index einer Untergruppe, können wir diese Formel nach

d · [G : H] = p

umstellen. Da p eine Primzahl ist, können damit genau zwei Fälle auftreten: Entweder ist[G : H] = 1 (und damit d = p, das heißt a ist keine p-te Potenz in K(x1, . . . , xn)), oderes ist [G : H] = p (und damit d = 1, das heißt a ist eine p-te Potenz in K(x1, . . . , xn)).In ersten Falle ist G = H, das heißt die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn reduziert sichnicht, wenn wir eine p-te Wurzel aus a zum Koeffizientenbereich K hinzufügen.Der interessantere Fall ist der zweite, in welchem H eine Untergruppe vom Index p

in G ist. In diesem Falle können wir sogar noch mehr sagen. Und zwar behaupten wir,daß die Konjugierten aller Symmetrien τ von H wieder in H liegen: Sei σ ein Symmetrieaus G. Wir müssen zeigen, daß σ τ σ−1 wieder in H liegt. Da im zweiten Falle p

√a in

K(x1, . . . , xn) liegt, wirkt σ zunächst auf p√a. Das Element p

√a erfüllt die algebraische

Beziehung Xp − a über K, das heißt σ · p√a muß wieder eine p-te Wurzel von a sein.

Folglich ist σ · p√a = ζ · p

√a für eine (von σ abhängende) p-te Einheitswurzel ζ. Da

σ−1 σ = id, folgt σ−1 · p√a = ζ−1 p

√a. Wir rechnen dann

(σ τ σ−1) · p√a = σ · τ · σ−1 · p

√a = σ · τ · (ζ−1 p

√a) = ζ−1 · σ · τ · p

√a.

In der letzten Gleichheit haben wir ausgenutzt, daß ζ in K liegt und die Symmetriendamit trivial auf ζ wirken. Jetzt nutzen wir aus, daß H die Galoissche Gruppe von x1,. . . , xn überK( p

√a) ist, daß also τ ∈ H insbesondere trivial auf p

√a wirkt. Damit rechnen

wir weiterζ−1 · σ · τ · p

√a = ζ−1 · σ · p

√a = ζ−1 · ζ p

√a = p√a.

Wir haben damit nachgerechnet, daß σ τ σ−1 trivial auf p√a wirkt. Da weiter σ als

Symmetrie über K auch trivial auf K wirkt, haben wir

K(x1, . . . , xn)H = K( p√a) ⊆ K(x1, . . . , xn)στσ−1

,

nach Proposition 5.11 auf Seite 169, also σ τ σ−1 ∈ H, was wir zeigen wollten. DieKonjugierten von Elementen in H liegen also wieder in H. Eine Untergruppe H miteiner solchen Eigenschaft bekommt einen eigenen Namen:

Definition 5.28. Sei H eine Untergruppe einer Gruppe G. Dann heißt H ein Nor-malteiler von G, falls die Konjugierten aller Elemente aus H wieder in H liegen, fallsalso

σ τ σ−1 ∈ H

für alle σ ∈ G und τ ∈ H gilt.

In diesem Abschnitt haben wir also bisher bewiesen:

189

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Proposition 5.29. Sei p eine Primzahl. Enthalte der Koeffizientenbereich K eine pri-mitive p-te Einheitswurzel. Sei a eine Zahl aus K, welche keine p-te Potenz in K ist.Sind dann x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynoms f(X)

über K, G die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über K und H die Galoissche Gruppevon x1, . . . , xn über K( p

√a), so tritt genau einer der beiden folgenden Fälle ein:

Entweder ist H die volle Galoissche Gruppe G oder H ist ein Normalteiler vom Indexp in G.

Für das folgende brauchen wir außerdem noch einen kleinen Hilfssatz:

Hilfssatz 5.30. Seien x1, . . . , xk simultan über K durch Wurzeln mit Wurzelexponentenp1, . . . , pn ausdrückbar. Sei L eine Erweiterung von K, welche alle pi-ten Einheitswur-zeln für alle i ∈ 1, · · · , n enthält. Dann sind x1, . . . , xk auch simultan über L durchWurzeln mit Wurzelexponenten aus der Menge p1, . . . , pn ausdrückbar.

Beweis. Nach Voraussetzung existiert ein Turm K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Kn von Radika-lerweiterungen mit Exponenten p1, . . . , pn, so daß x1, . . . , xk in Kn liegen.Gilt L = Q(t1, . . . , tr) und Ki = Q(u1, . . . , us), so schreiben wir

L ·Ki = Q(t1, . . . , tr, u1, . . . , us).

(Diese Bezeichnung hängt nicht von der Wahl der Erzeuger von L und Ki ab. Einealgebraische Zahl ist genau dann aus L·Ki, wenn es ein rationaler Ausdruck in Elementenaus L und Ki ist.) Dann ist

L = L ·K0 ⊆ L ·K1 ⊆ · · · ⊆ L ·Kn (5.10)

eine Erweiterung von Koeffizientenbereichen. Für jedes i ∈ 1, . . . , n gilt L · Ki =L ·Ki−1(zi), wobei zi eine pi-te Wurzel eines Elementes a aus L ·Ki−1 (sogar schon ausKi−1) ist. Wir unterscheiden jetzt zwei Fälle. Im ersten Fall ist zi schon ein Elementaus L ·Ki−1. In diesem Falle haben wir L ·Ki = L ·Ki−1. Im anderen Falle sind nichtalle Lösungen von Xpi − a = 0 in L · Ki−1 enthalten. Da L · Ki−1 eine primitive pi-te Einheitswurzel enthält, folgt nach Folgerung 5.18 auf Seite 178, daß Xpi − a dannirreduzibel über L ·Ki−1 ist, daß also zi eine über L ·Ki−1 algebraisch eindeutige pi-teWurzel aus a ist. Das heißt, im zweiten Falle ist L · Ki eine Radikalerweiterung (zumExponenten pi) von L ·Ki−1.Wir erhalten also, daß je zwei aufeinanderfolgende Erweiterungen des Turms (5.10)

entweder zusammenfallen oder eine Radikalerweiterung bilden. Streichen wir also diezusammenfallenden Erweiterungen heraus, erhalten wir einen Turm

L = L0 ⊆ L1 ⊆ · · · ⊆ Lm = L ·Kn

von Radikalerweiterungen mit Exponenten aus p1, · · · , pn, und es liegen x1, . . . , xk inL ·Kn (da diese Zahlen schon in Kn liegen).

Wie können wir Proposition 5.29 nutzen, um auflösbare Polynomgleichungen zu stu-dieren? Dazu betrachten wir eine Gleichung f(X) = 0 für ein normiertes separables

190

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5.5. Nicht auflösbare Galoissche Gruppen

Polynom f(X) über einem Koeffizientenbereich K mit Lösungen x1, . . . , xn. Sei f(X)über K auflösbar, wobei der größte vorkommende Wurzelexponent p sei. Für den Mo-ment nehmen wir an, daßK alle j-ten Einheitswurzeln mit j ≤ p enthält. Nach Definitionexistiert ein Turm von Radikalerweiterungen

K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Kn (5.11)

mit Wurzelexponenten höchstens p, so daß x1, . . . , xn in Kn liegen. Sei Gi die GaloisscheGruppe von x1, . . . , xn über Ki für alle i ∈ 0, . . . , n. Erweiterung des Koeffizienten-bereichs reduziert die Galoissche Gruppe, das heißt wir haben eine absteigende Folge

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gn = id

von Untergruppen, welche zu (5.11) korrespondiert. Da die Ki nach Annahme genügendviele Einheitswurzeln enthalten, gilt nach Proposition 5.29 auf der vorherigen Seite füralle i ∈ 1, . . . , n, daß entweder Gi = Gi−1 oder daß Gi ein Normalteiler in Gi−1 vom In-dex einer Primzahl ist. Indem wir aufeinanderfolgende zusammenfallende Untergruppenstreichen, folgt, daß G eine sogenannte Normalreihe besitzt, daß also eine Folge

G = H0 ⊇ H1 ⊇ · · · ⊇ Hm = id

von Untergruppen von G existiert, so daß für alle i ∈ 1, . . . ,m die Untergruppe Hi einNormalteiler in Hi−1 vom Index einer Primzahl ist. Dies machen wir zu einer allgemeinenDefinition:

Definition 5.31. Eine Gruppe G heißt auflösbar, wenn sie eine Normalreihe besitzt,wenn also eine absteigende Folge

G = G0 ⊇ G1 · · · ⊇ Gn = id

von Untergruppen von G existiert, so daß für jedes i ∈ 1, . . . , n die Untergruppe Giein Normalteiler vom Index einer Primzahl in Gi−1 ist.

Wir haben damit gezeigt: Ist f(X) über K auflösbar und enthält K genügend vieleEinheitswurzeln, so ist die Galoissche Gruppe von f(X) über K auflösbar. Dies ist auchder Grund, warum auflösbare Gruppen auflösbar genannt werden.Wir können die Voraussetzungen an K fallen lassen. Wir werden nämlich folgenden

Satz beweisen:

Satz 5.32. Sei K ein Koeffizientenbereich. Sei f(X) ein normiertes separables Polynomüber K, welches über K auflösbar ist. Dann ist die Galoissche Gruppe der Nullstellenx1, . . . , xn von f(X) über K auflösbar.

Dies ist das versprochende notwendige Kriterium (anhand der Galoisschen Gruppe)dafür, daß eine Polynomgleichung auflösbar ist. Und dieser Satz wird der Schlüssel zueinem Beispiel einer nicht auflösbaren Polynomgleichung sein. Dazu werden wir ein Po-lynom angeben, von dem wir nachweisen können, daß seine Galoissche Gruppe nichtauflösbar ist. Doch zunächst sollten wir Satz 5.32 beweisen:

191

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Beweis. Sei p der größte auftauchende Exponent in den Wurzeldarstellungen von x1,. . . , xn. Wir wählen dann gemäß Satz 5.25 auf Seite 185 eine Erweiterung L von K,welche alle j-ten Einheitswurzeln mit j ≤ p enthält. Nach Hilfssatz 5.30 auf Seite 190ist f(X) dann auch über L auflösbar, das heißt, es existiert ein Turm

L = L0 ⊆ L1 ⊆ · · · ⊆ Ln

von Radikalerweiterungen, deren Exponenten höchstens p sind, und so daß die Nullstellenx1, . . . , xn allesamt in Ln liegen. Nach Wahl von L existiert weiter ein Turm

K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Km = L

von Radikalerweiterungen mit Exponenten p1, . . . , pm, welche wir gemäß dem Zusatzin Satz 5.25 auf Seite 185 sogar so wählen können, daß für jedes j ∈ 1, . . . ,m eineprimitive pj-te Einheitswurzel in Kj−1 liegt. Wir können die beiden Türme zu einemTurm von Radikalerweiterungen

K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Km = L0 ⊆ L1 ⊆ · · · ⊆ Ln

zusammenfassen, welcher die zusätzliche Eigenschaft hat, daß für jede vorkommende Ra-dikalerweiterung F über E von einem Exponenten q in diesem Turm schon eine primitiveq-te Einheitswurzel in E liegt. Damit können wir wie vorher schließen und folgern, daßzu diesem Turm eine absteigende Normalreihe der Galoisschen Gruppe G von x1, . . . ,xn über K existiert, daß also G auflösbar ist.

AufgabenAufgabe 5.5.1. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom mit rationalen Koeffizien-ten. Sei eine der Nullstellen x von f(X) durch Wurzeln ausdrückbar. Zeige, daß f(X)dann schon auflösbar ist.Aufgabe 5.5.2. Sei K ein Koeffizientenbereich vom Grad 2 über den rationalen Zahlen.Zeige, daß K eine Radikalerweiterung mit Exponenten 2 ist.Aufgabe 5.5.3. Gib ein Beispiel für ein normiertes separables Polynom f(X) über denrationalen Zahlen an, so daß die Galoissche Gruppe der Nullstellen von f(X) über Q( 3√2)gleich der Galoisschen Gruppe der Nullstellen von f(X) über den rationalen Zahlen ist.Aufgabe 5.5.4. Gib ein Beispiel für ein normiertes separables Polynom f(X) über denrationalen Zahlen an, so daß die Galoissche Gruppe der Nullstellen von f(X) über Q( 3√2)eine Untergruppe vom Index 3 in der Galoisschen Gruppe der Nullstellen von f(X) überden rationalen Zahlen ist. (Ist diese Untergruppe ein Normalteiler?)Aufgabe 5.5.5. Zeige, daß jede nicht triviale Gruppe mindestens zwei Normalteiler be-sitzt.Aufgabe 5.5.6. Zeige, daß das Zentrum einer Gruppe G ein Normalteiler in derselben ist.Aufgabe 5.5.7. Zeige, daß die Dieder-Gruppe D4 eine Untergruppe, aber kein Normaltei-ler vom Index 3 in der symmetrischen Gruppe S4 ist.

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5.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften Grades

Aufgabe 5.5.8. Sei N ein Normalteiler der Ordnung zwei in einer Gruppe G. Zeige, daßN im Zentrum von G liegt.Aufgabe 5.5.9. Sei N ein Normalteiler in einer Gruppe G. SeiH eine weitere Untergruppevon G. Sei die Ordnung von H teilerfremd zum Index von N in G. Zeige, daß dann Hin N enthalten ist.Aufgabe 5.5.10. Seien x1, . . . , xn die Nullstellen eines normierten separablen Polynomsüber einem Koeffizientenbereich K. Sei g(X) ein weiteres normiertes separables Polynomüber K, dessen gesamte Nullstellen y1, . . . , ym schon in K(x1, . . . , xn) liegen. Zeige, daßdie Galoissche Gruppe N von x1, . . . , xn über K(y1, . . . , ym) ein Normalteiler in derGaloisschen Gruppe G von x1, . . . , xn über K ist.Aufgabe 5.5.11. Sei p eine Primzahl. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom übereinem Koeffizientenbereiche K, welcher eine primitive p-te Einheitswurzel enthalte. SeiL über K eine Radikalerweiterung vom Exponenten p. Habe die Galoissche Gruppe derNullstellen von f(X) überK die Ordnung p. Zeige, daß entweder f(X) über L irreduzibelist oder daß f(X) über L in Linearfaktoren zerfällt.

5.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften GradesSchließlich können wir ein Beispiel für eine nicht auflösbare Polynomgleichung fünftenGrades angeben, das zentrale Resultat der Arbeiten Galois’, nachdem die Mathema-tiker vor ihm jahrhundertelang nach Auflösungsformeln (in Termen von Wurzeln) fürGleichungen fünften oder höheren Grades gesucht hatten.Um das Kriterium aus Satz 5.32 auf Seite 191 anwenden zu können, benötigen wir

zunächst eine nicht auflösbare Gruppe, welche wir dann als Galoissche Gruppe einer Po-lynomgleichung realisieren müssen. Dazu definieren wir zunächst einen zur Auflösbarkeitdiametral gegenüberstehenden Begriff:

Definition 5.33. Eine Gruppe G heißt einfach, falls G genau zwei Normalteiler hat,nämlich die Untergruppen id und G.

(Es folgt, daß die triviale Gruppe G = id nach Definition nicht einfach ist.)Einfache Gruppen sind also offensichtlich genau dann auflösbar, wenn sie von Prim-

ordnung sind. Beispiele für einfache Gruppen, welche nicht von Primordnung sind, liefertdie folgende Proposition:

Proposition 5.34. Für jede natürliche Zahl n ≥ 5 ist die alternierende Gruppe An

einfach.

Da die Ordnung von An für n ≥ 2 durch 12n! gegeben ist (jede zweite Permutation

ist gerade, denn Komposition mit (1, 2) von links vermittelt eine Bijektion zwischenden geraden und den ungeraden Permutationen in Sn), ist An für n ≥ 5 damit keineauflösbare Gruppe.

Beweis. Sei N ein Normalteiler von An. Wir nehmen an, daß N aus mehr als demElement id besteht. Wir müssen zeigen, daß N dann schon jedes Element aus An enthält.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Gehen wir zunächst davon aus, daß N einen Dreierzykel enthält, ohne Einschränkung(1, 2, 3) ∈ N . Sei k > 3. Dann ist (2, 3, k) eine gerade Permutation, also in An. Da N einNormalteiler ist, ist folglich auch

(2, 3, k)−1 (1, 2, 3) (2, 3, k) = (1, k, 2)

ein Element in N . Da N eine Untergruppe ist, ist auch (1, k, 2)2 = (1, 2, k) in N . Seienweiter a, b ∈ 1, . . . , n, so daß a, b, 1 und k paarweise verschieden sind. Es ist (1, a)(1, b)eine gerade Permutation und damit in An. Folglich ist

((1, a) (2, b))−1 (1, 2, k) (1, a) (2, b) = (a, b, k)

ein Element von N . Wir haben damit gezeigt, daß alle Dreierzykel schon in N liegen.Wir behaupten, daß damit schon N die gesamte alternierende Gruppe An sein muß. Seidazu σ ein Element aus der An. Da sich jede Permutation als Hintereinanderausführungvon Vertauschungen jeweils zweier Elemente erreichen läßt, können wir σ in der Form

σ = τ1 · · · τm

schreiben, wobei die τi jeweils Transpositionen, also Permutationen der Form (a, b) sind.Da σ in der alternierenden Gruppe liegt, hat σ eine gerade Anzahl von Fehlständen.Damit muß m = 2k gerade sein. Wir können damit

σ = (τ1 τ2) · · · (τ2k−1 τ2k)

schreiben. Da sich die Komposition zweier Transpositionen nach folgendem Hilfssatz 5.35immer als Komposition zweier Dreierzykel schreiben läßt, läßt sich σ insgesamt als Kom-position von Dreierzykeln schreiben (welche nach dem schon bewiesenen allesamt in Nliegen), das heißt σ liegt auch in N , womit N = An bewiesen ist.Es bleibt, unsere Annahme zu rechtfertigen, daß nämlich N einen Dreierzykel enthält.

Diese Tatsache haben wir der Übersicht halber ausgelagert, und zwar in Hilfssatz 5.36.

Hilfssatz 5.35. Seien σ und τ zwei Transpositionen in einer Permutationsgruppe Sn.Dann läßt sich σ τ als Komposition (von höchstens zwei) Dreierzykeln schreiben.

Beweis. Ohne Einschränkung tauchen die folgenden Fälle auf: σ = (1, 2) und τ = (1, 2),σ = (1, 2) und τ = (1, 3) und σ = (1, 2) und τ = (3, 4) auf.Im ersten Falle ist σ τ = id und damit die Komposition einer leeren Anzahl von

Dreierzykeln. Im zweiten Falle ist σ τ = (1, 3, 2), also ein Dreierzykel. Im letzten Falleist

σ τ = (1, 2) (3, 4) = (1, 2, 3) (3, 4, 2).

Hilfssatz 5.36. Sei N ein Normalteiler von An mit n ≥ 5 und enthalte N eine Permu-tation τ 6= id. Dann enthält N auch einen Dreierzykel, also eine Permutation der Form(i, j, k).

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5.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften Grades

Bevor wir den Hilfssatz beweisen, benötigen wir noch eine weitere Bezeichnung. Undzwar nennen wir zwei Zykel (p1, . . . , pr) und (q1, . . . , qs) aus einer PermutationsgruppeSn disjunkt, falls die Mengen p1, . . . , pr und q1, . . . , qs kein Element gemeinsam ha-ben. Zwei disjunkte Zykel σ und τ kommutieren offensichtlich, das heißt σ τ = τ σ.Eine beliebige Permutation σ aus Sn ist im allgemeinen kein Zykel, läßt sich aber immerals Komposition disjunkter Zykel schreiben: Ist σ = id, so können wir σ als leere Kom-position disjunkter Zykel ansehen. Ansonsten existiert ein i ∈ 1, . . . , n mit σ(i) 6= i.Sei k diejenige natürliche Zahl, so daß i, σ(i), . . . , σk−1(i) paarweise verschieden sindund σk(i) = i. Dann läßt sich σ offensichtlich in der Form σ = (i, σ(i), . . . , σk−1(i)) ρschreiben, wobei ρ trivial auf i, σ(i), . . . , σk−1(i) wirkt. Ist ρ die Identität, so sind wirfertig. Ansonsten wenden wir das Verfahren auf ein j mit ρ(j) 6= j an. Dieses Verfahrenmuß irgendwann aufhören. Es läßt sich leicht überlegen, daß die resultierende Zerlegungvon σ in Zykel bis auf Reihenfolge eindeutig ist.Kommen wir jetzt aber zum Beweis von Hilfssatz 5.36 auf der vorherigen Seite:

Beweis. Wir machen eine Fallunterscheidung. Im ersten Falle nehmen wir an, daß inder Zerlegung von τ in Zykel ein k-Zykel mit k ≥ 4 vorkommt. Wir können dann ohneEinschränkung davon ausgehen, daß τ von der Form τ = (1, 2, 3, 4, . . . , k) ρ ist, wobeiρ eine Permutation ist, welche nur die Elemente größer als k permutiert. Wir setzenσ = (1, 3, 2). Dann gilt

τ ′ := σ τ σ−1 = ρ (1, 3, 2) (1, 2, 3, 4, . . . , k) (1, 2, 3) = ρ (1, 2, 4, 5, . . . , k, 3)

und τ ′ ist, weil N ein Normalteiler ist, ein Element von N . Damit ist auch τ ′ τ−1 =(1, 3, 4) ein Element von N , also enthält N einen Dreierzyklus.Im zweiten Falle nehmen wir an, daß in der Zykelzerlegung von τ mindestens zwei

Dreierzykel auftauchen. Wir können dann ohne Einschränkung davon ausgehen, daß τvon der Form τ = (1, 2, 3) (4, 5, 6) ρ ist, wobei ρ eine Permutation ist, welche nur dieElemente größer als 6 permutiert. Sei σ = (2, 4, 3). Dann enthält N auch das Element

σ τ σ−1 τ−1 = (1, 5, 2, 4, 3),

also einen Fünferzykel. Wir können annehmen, daß τ schon dieses Element ist und denersten Fall anwenden.Im dritten Falle nehmen wir an, daß in der Zykelzerlegung von τ nur ein Dreierzykel

und ansonsten nur Transpositionen (das heißt Zweierzykel) auftreten. Dann können wirohne Einschränkung davon ausgehen, daß τ von der Form τ = (1, 2, 3) ρ ist, wobei ρein Produkt von untereinander paarweise und zu (1, 2, 3) disjunkten Zweierzykeln ist.Folglich ist auch τ2 = (1, 3, 2) in N , womit auch in diesem Falle die Existenz einesDreierzykels in N gesichert ist.Es bleibt der Fall, daß in der Zykelzerlegung von τ nur Transpositionen auftreten. Dann

können wir ohne Einschränkung davon ausgehen, daß τ von der Form τ = (1, 2)(3, 4)ρist, wobei ρ eine Permutation ist, welche nur die Elemente größer als 4 permutiert. Seiσ = (2, 4, 3). Dann ist auch

σ τ σ−1 τ−1 = (1, 4) (2, 3)

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

ein Element von N . Sei υ = (1, 5, 4). Wieder weil N ein Normalteiler ist, ist

υ (1, 4) (2, 3) υ−1 = (1, 5) (2, 3)

ebenso ein Element von N . Damit ist auch

(1, 5) (2, 3) (1, 4) (2, 3) = (1, 4, 5)

ein Element von N , womit wieder die Existenz eines Dreierzyklus’ in N bewiesen ist.

Wir haben gesehen, daß An für n ≥ 5 nicht auflösbar ist. Wir wollen daraus folgern,daß auch die volle symmetrische Gruppe Sn für n ≥ 5 nicht auflösbar ist. Dies folgtsofort aus:

Proposition 5.37. Sei H eine Untergruppe einer auflösbaren Gruppe G. Dann ist auchH auflösbar.

Beweis. Da G auflösbar ist, besitzt G eine Normalreihe der Form

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gn = id

Schneiden wir diese Normalreihe mit den Elementen aus H, so erhalten wir eine abstei-gende Folge von Untergruppen der Form

H = H ∩G0 ⊇ H ∩G1 ⊇ · · · ⊇ H ∩Gn = id.

Es reicht zu zeigen, daß für jedes i ∈ 1, . . . , n die Untergruppe H ∩Gi entweder gleichH∩Gi−1 ist (dann können wir sie nämlich aus der Folge entfernen) oder ein Normalteilerin H ∩Gi−1 vom Index einer Primzahl p ist.Dies folgt aus folgendem allgemeiner formulierten Hilfssatz 5.38.

Hilfssatz 5.38. Sei G eine Gruppe. Seien N ein Normalteiler vom Index einer Primzahlp in G und H eine Untergruppe. Dann ist H ∩N = H oder H ∩N ist ein Normalteilervom Index p in H.

Bevor wir den Hilfssatz beweisen, stellen wir einige Vorüberlegungen an: Zunächstdefinieren wir H ·N als die Menge derjenigen Gruppenelemente, welche wir in der Formστ schreiben könnnen, wobei σ in H und τ in N liegt. Es ist στ = στ σ−1σ. Da Nein Normalteiler in G ist, ist ρ = σ τ σ−1 wieder ein Element in N . Damit können wirjedes Element von H ·N auch in der Form ρσ schreiben, wobei ρ in N und σ in H liegt.Daraus folgt, daß H ·N eine Untergruppe von G ist: Zunächst ist die Identität id = id idein Element von H · N . Dann müssen wir zeigen, daß das Inverse eines Elementes vonH ·N , etwa ρ σ, wieder in H ·N liegt. Dazu rechnen wir (ρ σ)−1 = σ−1 ρ−1. Da Hund N jeweils unter Inversenbildung abgeschlossen sind, folgt, daß (ρ σ)−1 wieder inH ·N liegt. Es bleibt zu zeigen, daß die Komposition zweier Elemente von H ·N wiederin H · N liegt. Dazu betrachten wir ein Element der Form σ τ und ein Element derForm ρ σ′, wobei σ und σ′ in H liegen und ρ und τ in N liegen. Dann haben wir

(σ τ) (ρ σ′) = σ (τ ρ) σ′ = (σ σ′) (σ′−1 τ ρ σ′).

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5.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften Grades

Wieder weil N ein Normalteiler in G ist, liegt der hintere Klammerausdruck der rechtenSeite in N , so daß die gesamte rechte Seite in H ·N liegt.Wir behaupten jetzt, daß der Index von H ∩N in H gleich dem Index von H in H ·N

ist, denn wählen wir ein Repräsentantensystem R = ρ1, . . . , ρr der Kongruenzklassenmodulo H ∩ N in H, so ist dies auch ein Repräsentantensystem der Kongruenzklassenmodulo N in H ·N . Dazu müssen wir zweierlei zeigen: Jedes Element in H ·N ist moduloN kongruent zu einem ρi. Zwei Elemente in R sind genau dann modulo N kongruent,wenn sie gleich sind.Dazu betrachten wir zunächst ein Element στ inH ·N , wobei σ inH und τ in N liegt.

Nach Definition der Kongruenzrelation ist dies modulo N kongruent zu σ (wir dürfenvon rechts durch Elemente aus N kürzen). Nach Definition von R ist σ wiederum moduloH∩N und damit auch modulo N kongruent zu einem ρi aus R. Jedes Element aus H ·Nist also modulo N zu einem ρi kongruent. Schließlich betrachten wir zwei Elemente ρiund ρj aus R, welche modulo N kongruent sind, das heißt ρ−1

j ρi liegt in N . Da ρj undρi aber beide auch in H liegen, ist ρ−1

j ρi aufgrund der Untergruppeneigenschaft vonH auch in H, ingesamt also in H ∩N . Damit sind ρi und ρj modulo H ∩N kongruent,nach Definition von R haben wir also ρi = ρj .In Formeln haben wir damit gezeigt:

[H : H ∩N ] = [H ·N : N ]. (5.12)

Damit kommen wir zum noch ausstehenden Beweis von Hilfssatz 5.38 auf der vorhe-rigen Seite, der nach den ganzen Vorbereitungen ausgesprochen kurz ist:

Beweis. Nach dem Lagrangeschen Satz, Proposition 4.12 auf Seite 135, gilt [G : N ] =[G : H ·N ] · [H ·N : N ]. Nach unseren Vorüberlegungen können wir den hinteren Faktorauf der rechten Seite umschreiben und erhalten

[G : N ] = [G : H ·N ] · [H : H ∩N ].

Da die linke Seite nach Voraussetzung eine Primzahl p ist, muß der Teiler [H : H ∩N ]auf der rechten Seite entweder 1 oder selbst wieder p sein.Sobald wir dann noch gezeigt haben, daß H ∩N in H ein Normalteiler ist, haben wir

alles bewiesen. Sei dazu σ in H und τ in H ∩N . Wir müssen zeigen, daß σ τ σ−1 inH ∩ N liegt. Das ist aber leicht: Der Ausdruck liegt in H, da H eine Untergruppe ist,und er liegt in N , da N in G ein Normalteiler ist.

Nachdem wir gezeigt haben, daß die symmetrische Gruppe Sn für n ≥ 5 nicht auflösbarist, wollen jetzt zeigen, daß es Polynomgleichungen über den rationalen Zahlen gibt, dieeine dieser Gruppen als Galoissche Gruppen haben:

Hilfssatz 5.39. Sei p eine Primzahl. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynomvom Grade p mit rationalen Koeffizienten, welches genau zwei nicht reelle Nullstellenhat. Dann ist die Galoissche Gruppe der Nullstellen x1, . . . , xp von f(X) über denrationalen Zahlen die volle symmetrische Gruppe Sp.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

x

f(x)

−3 −2 −1 1 2 3

−20

−10

10

20

Abbildung 5.3.: Die reellen Werte des Polynoms f(X) = X5 − 6X + 3.

Wir geben zunächst ein Beispiel eines Polynoms, auf das wir den Hilfssatz 5.39 aufder vorherigen Seite anwenden können:

Beispiel 5.40. Seif(X) = X5 − 6X + 3.

Nach dem Eisensteinschen Kriterium, Proposition 3.18 auf Seite 89, ist f(X) über denrationalen Zahlen irreduzibel. Betrachten wir die Darstellung der reellen Werte diesesPolynoms aus Abbildung 5.3, so sieht es aus, daß f(X) genau drei reelle Nullstellen hat.Dies wollen wir exakt beweisen. Das Bild des Graphen legt nahe, folgende Werte zubetrachten:

x −2 −1 1 2f(x) −17 8 −2 23.

Nach dem für Polynomfunktionen gültigen Zwischenwertsatz aus der eindimensionalenreellen Analysis besitzt f(X) damit mindestens eine reelle Nullstelle zwischen−2 und−1,eine zwischen −1 und 1 und eine zwischen 1 und 2. Um zu zeigen, daß es keine weiterenNullstellen von f(X) gibt, erinnern wir uns an den Rolleschen3 Satz, welcher aussagt,daß zwischen je zwei reellen Nullstellen von f(X) eine reelle Nullstelle der Ableitungvon f(X) liegen muß. Dazu berechnen wir f ′(X) = 5X4 − 6. Diese Ableitung besitzt

3Michel Rolle, 1652–1719, französischer Mathematiker

198

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5.6. Eine nicht auflösbare Gleichung fünften Grades

nur zwei reelle Nullstellen, nämlich 4√

65 und − 4

√65 (gemäß der zwei lokalen Extrema

in Abbildung 5.3 auf der vorherigen Seite), so daß f(X) auch nicht mehr als drei reelleNullstellen haben kann. Aus Hilfssatz 5.39 auf Seite 197 folgt, daß die Galoissche Gruppeder (komplexen) Nullstellen x1, . . . , x5 von f(X) die gesamte S5 ist, eine nicht auflösbareGruppe. Nach Satz 5.32 auf Seite 191 ist die GleichungX5−6X+3 damit nicht auflösbar.Wir haben damit folgende zentrale Folgerung aus der Galoisschen Theorie reprodu-

ziert:

Satz 5.41. Es gibt nicht (durch Wurzeln) auflösbare Polynomgleichungen (fünften oderhöheren) Grades über den rationalen Zahlen.

Allerdings steht noch ein Beweis aus, nämlich der von Hilfssatz 5.39 auf Seite 197.Dazu brauchen wir noch ein Ergebnis aus der Gruppentheorie:

Hilfssatz 5.42. Sei p eine Primzahl. Sei G eine transitive Untergruppe der symmetri-schen Gruppe Sp, das heißt, für jedes Paar i, j ∈ 1, . . . , p existiert eine Permutationσ in G, so daß σ(i) = j. Enthält G mindestens eine Transposition, so ist G schon dievolle symmetrische Gruppe Sp.

Beweis von Hilfssatz 5.42. Für den Beweis wollen wir zwei Zahlen i, j ∈ 1, . . . , päquivalent nennen, wenn die Transposition (i, j) in G enthalten ist (hierbei setzen wir(i, i) := id). Die so definierte Relation ist offensichtlich reflexiv und symmetrisch. Sie istauch transitiv, denn ist i äquivalent zu j und j äquivalent zu k, so ist auch

(i, k) = (j, k) (i, j) (j, k)

ein Element aus G, das heißt i und k sind ebenfalls zueinander äquivalent.Sei σ ein beliebiges Element aus G. Seien weiter i, j ∈ 1, . . . , p Zahlen. Wir behaup-

ten, daß i genau dann zu j äquivalent ist, wenn σ(i) zu σ(j) äquivalent ist: Ist nämlichi zu j äquivalent, so ist auch

(σ(i), σ(j)) = σ (i, j) σ−1

ein Element aus G, das heißt σ(i) und σ(j) sind äquivalent. Wenden wir dieselben Über-legungen auf σ−1 anstelle von σ an, erhalten wir umgekehrt, daß aus der Äquivalenz vonσ(i) und σ(j) die Äquivalenz von i und j folgt. Wir können folgern, daß die Zahl i zugleich vielen Zahlen wie die Zahl σ(i) äquivalent ist.Aufgrund der Transitivität von G folgt aus dem letzten Abschnitt für jedes Paar von

Zahlen i, i′ ∈ 1, . . . , p, daß i und i′ jeweils zu gleich vielen Zahlen äquivalent sind(wir finden ein σ in G mit σ(i) = i′). Nennen wir diese Anzahl m. Da die Elemente derMenge 1, . . . , p vollständig in Äquivalenzklassen zerfallen und diese Äquivalenzklassealle dieselbe Mächtigkeit m haben, folgt, daß m ein Teiler von p ist.Schließlich nutzen wir aus, daß G nach Voraussetzung eine Transposition τ = (i, j)

enthält. (Da τ eine Transposition ist, haben wir i 6= j.) Folglich sind i und j äquivalent,das heißt die Äquivalenzklasse von i enthält mindestens zwei Elemente, wir haben alsom ≥ 2. Als Teiler der Primzahl p muß für m daher m = p gelten. Es gibt damit nur eine

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

einzige Äquivalenzklasse, das heißt jede Zahl i ∈ 1, . . . , p ist zu jeder Zahl j ∈ 1, . . . , päquivalent. Übersetzt in Eigenschaften von G bedeutet dies, daß G alle Transpositionenenthält. Da sich jede Permutation aus Sp als Produkt von Transpositionen schreibenläßt, enthält G damit alle Permutationen, ist also die volle symmetrische Gruppe.

Beweis von Hilfssatz 5.39 auf Seite 197. Seien x3, . . . , xp die p−2 reellen Nullstellen vonf(X) und x1 und x2 die beiden echt komplexen. Sei G die Galoissche Gruppe von x1, . . . ,xp über den rationalen Zahlen. Wir wollen zeigen, daß G die volle symmetrische GruppeSp ist. Da f(X) irreduzibel ist, operiert die Galoissche Gruppe G nach Folgerung 4.11 aufSeite 133 transitiv auf den Nullstellen von f(X), in der Bezeichnung von Hilfssatz 5.42auf der vorherigen Seite istG also eine transitive Untergruppe der symmetrischen GruppeSp. Es bleibt damit nur noch zeigen, daß G eine Transposition enthält.Wir behaupten, daß τ := (1, 2) in G liegt: Da f(X) ein Polynom mit rationalen

Koeffizienten ist, gilt 0 = f(x1) = f(x1), das heißt das komplex Konjugierte von x1 istwieder eine Nullstelle von f(X). Da x1 nicht reell ist, ist x1 ungleich x1 und wieder nichtreell, so daß x1 = x2 gelten muß. Für die übrigen Nullstellen gilt xi = xi, i ≥ 3, da sieallesamt reell sind. Ist dann H(x1, . . . , xn) = 0 eine algebraische Relation zwischen x1,. . . , xn über den rationalen Zahlen, so folgt

0 = H(x1, . . . , xn) = H(x1, . . . , xn) = H(x2, x1, x3, . . . , xp) = τ ·H(x1, . . . , xp).

Das heißt also, τ erhält jede algebraische Relation zwischen x1, . . . , xp.

AufgabenAufgabe 5.6.1. Wo haben wir im Beweis von Hilfssatz 5.36 auf Seite 194 benutzt, daßn ≥ 5?

Aufgabe 5.6.2. Ist die symmetrische Gruppe S5 in fünf Ziffern einfach?

Aufgabe 5.6.3. Zeige, daß die Gleichung X5 − 23X + 1 = 0 über den rationalen Zahlennicht auflösbar ist.

Aufgabe 5.6.4. Sei p eine Primzahl. Zeige, daß für alle positiven natürlichen Zahlen k dieGleichung X5 − kpX + p = 0 nicht auflösbar ist.

Aufgabe 5.6.5. Zeige, daß es für jede natürliche Zahl n mit n ≥ 5 ein normiertes sepa-rables Polynom vom Grade n über den rationalen Zahlen gibt, welches nicht auflösbarist.

Aufgabe 5.6.6. Gib ein Beispiel für ein normiertes irreduzibles Polynom f(X) fünftenGrades über den rationalen Zahlen an, so daß die Gleichung f(X) = 0 auflösbar ist.

Aufgabe 5.6.7. Gib ein Beispiel dafür an, warum Hilfssatz 5.42 auf der vorherigen Seitefalsch wird, wenn p nicht als Primzahl vorausgesetzt wird.

Aufgabe 5.6.8. Sei p eine Primzahl. Sei G eine Untergruppe der symmetrischen GruppeSp in p-Ziffern. Enthalte G einen p-Zykel und eine Transposition. Zeige, daß G schon dievolle symmetrische Gruppe Sp ist.

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5.7. Über auflösbare Gleichungen

Aufgabe 5.6.9. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom mit rationalen Koeffizienten,welches mindestens eine nicht reelle Nullstelle besitzt. Zeige, daß die Galoissche Gruppeder Nullstellen x1, . . . , xn von f(X) mindestens ein Element der Ordnung 2 besitzt.Aufgabe 5.6.10. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom vom Grade einer Primzahlp über einem Koeffizientenbereiche K. Sei f(X) über K auflösbar. Zeige, daß dann dieNullstellen x1, . . . , xn von f(X) derart angeordnet werden können, so daß für jedes Ele-ment σ der Galoisschen Gruppe von x1, . . . , xn über K ganze Zahlen r und s existieren,so daß σ(i) ≡ r · i+ s modulo p für alle i ∈ 1, . . . , p gilt.

5.7. Über auflösbare GleichungenNachdem wir eine Gleichung kennengelernt haben, welche nicht auflösbar ist, stellt sichnatürlich die Frage, welche Gleichungen auf der anderen Seite auflösbar sind. Interessan-terweise gilt die Umkehrung von Satz 5.32 auf Seite 191, das heißt wir haben insgesamt:

Satz 5.43. Sei K ein Koeffizientenbereich. Sei f(X) ein normiertes separables Poly-nom über K. Dann ist f(X) genau dann auflösbar, wenn die Galoissche Gruppe derNullstellen x1, . . . , xn von f(X) über K auflösbar ist.

Ob eine Galoissche Gruppe auflösbar ist, läßt sich, zumindest prinzipiell, in endlicherZeit feststellen. Damit können wir für jedes normierte separable Polynom über K mitHilfe von Satz 5.43 entscheiden, ob es auflösbar ist oder nicht. Ziel dieses Abschnittesist der Beweis von Satz 5.43, dessen eine Richtung wir in Satz 5.32 auf Seite 191 geführthaben.Dazu benötigen wir zunächst folgende wichtige Aussage, die wir als Umkehrung von

Proposition 5.29 auf Seite 190 ansehen können. Dabei sei K ein Koeffizientenbereich.

Hilfssatz 5.44. Sei f(X) ein normiertes separables Polynom über K mit Nullstellenx1, . . . , xn. Sei G die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über K. Enthalte G einenNormalteiler H vom Index p, wobei p eine Primzahl sei. Ist in K dann eine primitivep-te Einheitswurzel enthalten, so existiert ein Element a aus K, so daß die GaloisscheGruppe von x1, . . . , xn über K( p

√a) durch H gegeben ist.

Beweis. Sei σ ein Element aus G, welches nicht in H enthalten ist, das heißt ein Elementaus G, welches nicht kongruent modulo H zur Identität ist. (Ein solches gibt es, da derIndex von H größer als Eins ist.) Sei G die Menge derjenigen Gruppenelemente, welchein der Form σk τ geschrieben werden können, wobei τ aus H und k eine ganze Zahlist. Da H ein Normalteiler ist, läßt sich zeigen, daß G eine Untergruppe von G ist (esist nämlich G = 〈σ〉 ·H). Wegen

[G : H] = [G : G] · [G : H]

ist [G : G] ein Teiler von p, dem Index von H in G. Da aber σ nicht in H liegt, ist Gecht größer als H, also [G : H] echt größer als 1. Damit ist [G : G] ein echter Teilervon p, also [G : G] = 1. Daraus folgt, daß es kein Element in G gibt, welches modulo

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

G nicht zur Identität kongruent ist, das heißt G = G. Wir haben also bisher gezeigt,daß sich jedes Element von G in der Form σk τ schreiben läßt. Zwei Elemente σk τund σ` τ ′ sind genau dann modulo H kongruent, wenn σk und σ` modulo H kongruentsind. Insbesondere ist jedes Element aus G modulo H kongruent zu einem Element derForm σk.Da es nur p verschiedene Kongruenzklassen moduloH gibt, existieren i, j ∈ 0, . . . , p−

1 mit i < j, so daß σi und σj modulo H kongruent sind, das heißt σ−i σj ist ausH. Setzen wir k := j − i, so erhalten wir ein k ∈ 1, . . . , p, so daß σk kongruent zurIdentität modulo H ist (das heißt in H selbst liegt). Es folgt, daß für jede ganze Zahli das Element σi modulo H zu σi+k kongruent ist. Folglich durchläuft id, σ, . . . , σk−1

alle Kongruenzklassen von G modulo H. Da es insgesamt p Stück gibt, muß k = p sein,wir haben also, daß σp ein Element aus H ist.Nach diesen Vorüberlegungen sei L gemäß Hauptsatz 5.12 auf Seite 169 diejenige

Zwischenerweiterung von K(x1, . . . , xn) über K, so daß die Galoissche Gruppe von x1,. . . , xn über L gerade H ist. Nach dem Satz über das primitive Element existiert eineZahl z aus L mit L = K(z). Da z invariant unter H ist, folgt insbesondere σp · z = 1.Da H Index p in G hat, ist der Grad von z über K gerade p.Wir folgen nun der Beweisidee von Satz 5.25 auf Seite 185, wählen eine primitive p-te

Einheitswurzel ζ in K und setzen dann

y1 := z + ζ σ · z + ζ2 σ2 · z + · · ·+ ζp−1 σp−1 · z,y2 := z + ζ2 σ · z + ζ4 σ2 · z + · · ·+ ζ2(p−1) σp−1 · z,

...yp := z + ζp σ · z + ζ2p σ2 · z + · · ·+ ζ(p−1)p σp−1 · z,

das heißt yi =p−1∑j=0

ζij σj · z für i ∈ 1, . . . , p. A priori ist jedes yi eine über K in x1,

. . . , xn rationale Zahl. Es ist aber sogar yi ∈ K(z) = K(x1, . . . , xn)H . Dazu reicht es zuzeigen, daß yi invariant unter jeder Symmetrie τ aus H ist: Es ist τ σj = σj ρj , wobeiρj := σ−j τ σj wieder ein Element aus dem Normalteiler H ist. Insbesondere ist alsoρj · z = z. Es folgt

τ · yi =p−1∑j=0

ζij τ · σj · z =p−1∑j=0

ζij σj · ρj · z =p−1∑j=0

ζij σj · z = yi.

Wegen σp · z = z und ζip = 1 können wir die Summe yi auch als yi =p∑j=1

ζij σj · z

schreiben. Wir haben damit

σ · yi =p−1∑j=0

ζij σj+1 · z =p∑j=1

ζi (j−1) σj · z = ζ−ip∑j=1

ζij σj · z = ζ−iyi.

Für alle i ∈ 1, . . . , p folgt damit

σ · ypi = (σ · yi)p = ζ−pypi = ypi ,

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5.7. Über auflösbare Gleichungen

das heißt ai := ypi ist invariant unter der Wirkung von σ. Da ai als Polynom in yiinvariant unter der Wirkung von H ist und jedes Element aus G von der Form σk τmit τ aus H ist, ist folglich ai invariant unter der Wirkung der gesamten GaloisschenGruppe und nach Proposition 5.7 auf Seite 164 damit ein Element aus K.Wegen Hilfssatz 5.24 auf Seite 184 (angewandt auf p+ 1 anstelle p) gilt

y1 + · · ·+ yp =p−1∑j=0

(σj · z ·

p∑i=1

ζij)

= p · z.

Da z nicht Null sein kann (ansonsten wäre ja L = K, was wegen H ( G nicht seinkann), existiert damit mindestens ein i ∈ 1, . . . , p, so daß y := yi nicht verschwindet.Insbesondere ist σ · y = ζ−1y ungleich y, das heißt y ist nicht invariant unter G, womitder zweite Faktor auf der rechten Seite der Gradformel

p = [K(z) : K] = [K(z) : K(y)] · [K(y) : K]

nicht trivial ist. Da p eine Primzahl ist, haben wir damit [K(z) : K(y)] = 1, alsoL = K(z) = K(y). Wegen yp = a := ai ist y eine p-te Wurzel einer Zahl a aus K. Damithaben wir die Existenz eines a aus K nachgewiesen, so daß die Galoissche Gruppe vonx1, . . . , xn über K( p

√a) gerade H ist. (Verschiedene Wahlen einer p-ten Wurzel von a

erhaltenK( p√a), da sie sich nur um eine Potenz einer p-ten Einheitswurzel unterscheiden,

und diese liegt in K.)

Beweis von Satz 5.43 auf Seite 201. Wir müssen zeigen, daß ein Turm

K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Kn

von Radikalerweiterungen existiert, so daß x1, . . . , xn allesamt in Kn liegen. Wir wählenals erstes gemäß Zusatz von Satz 5.25 auf Seite 185 einen Turm

K = K0 ⊆ K1 ⊆ · · · ⊆ Km

von Radikalerweiterungen, so daß Km alle primitiven p-ten Einheitswurzeln enthält, wo-bei p alle Primteiler der Ordnung g der Galoisschen Gruppe G von x1, . . . , xn durchläuft.Als nächstes betrachten wir die Galoissche Gruppe Gm von x1, . . . , xn über Km. Da jedealgebraische Relation über K auch eine über Km ist, ist Gm sicherlich eine Untergruppevon G. Nach dem Lagrangeschen Satz, Proposition 4.12 auf Seite 135, ist ihre Ordnungein Teiler von g, der Ordnung von G. Weiter ist Gm nach Proposition 5.37 auf Seite 196auflösbar. Ist Gm die triviale Gruppe id, so müssen x1, . . . , xn schon in Km liegen,womit wir einen Turm von Radikalerweiterungen gefunden haben, in dem die Nullstellenvon f(X) liegen.Andernfalls ist Gm nicht trivial. Dann enthält Gm nach Definition der Auflösbarkeit

einen Normalteiler Gm+1 vom Index einer Primzahl p in Gm. Es ist p ein Teiler von g, sodaß wir Hilfssatz 5.44 auf Seite 201 anwenden können und damit eine RadikalerweiterungKm+1 von Km existiert, so daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , xn über Km+1 geradedurch Gm+1 gegeben ist.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

An dieser Stelle fahren wir mit Gm+1 fort, wie wir bei Gm argumentiert haben: IstGm+1 trivial, so sind x1, . . . , xn schon inKm+1 enthalten, und wir sind fertig. Andernfallsbesitzt Gm+1 einen Normalteiler Gm+2 vom Index einer Primzahl und so weiter. DieserProzeß muß irgendwann zum Abbruch kommen, da die Ordnungen von Gm, Gm+1, Gm+2und so weiter streng monoton fallend sind.

AufgabenAufgabe 5.7.1. Sei G eine zyklische Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G. Zeige, daßH ein Normalteiler von G ist.Aufgabe 5.7.2. Zeige, daß jede zyklische Gruppe auflösbar ist.Aufgabe 5.7.3. Sei die Galoissche Gruppe der Nullstellen x1, . . . , xn eines Polynomsf(X) über einem Koeffizientenbereich K eine zyklische Gruppe. Zeige, daß die Gleichungf(X) = 0 auflösbar ist.Aufgabe 5.7.4. Sei f(X) ein normiertes irreduzibles Polynom vom Grade einer Prim-zahl p über einem Koeffizientenbereiche K. Seien alle Nullstellen von f(X) rational ineiner der Nullstellen von f(X) über K ausdrückbar. Zeige, daß die Galoissche Gruppeder Nullstellen von f(X) zyklisch ist, und folgere, daß die Gleichung f(X) = 0 damitauflösbar ist.

5.8. Die Cardanischen FormelnNach Satz 5.43 auf Seite 201 ist eine Gleichung genau dann auflösbar, wenn ihre Ga-loissche Gruppe auflösbar ist. Wir haben schon gezeigt, daß die symmetrische GruppeSn, wobei n größer oder gleich 5 ist, nicht auflösbar ist und haben so ein Beispiel fürein Polynom fünften Grades gefunden, dessen Nullstellen nicht durch Wurzelausdrückegegeben sind. Um umgekehrt Beispiele oder Beispielsklassen für auflösbare Polynome zufinden, müssen wir nach auflösbaren Galoisschen Gruppen suchen. Dazu zeigen wir alserstes:

Proposition 5.45. Die symmetrische Gruppe S4 in vier Ziffern ist auflösbar. Genauerbesitzt S4 die Normalreihe

S4 ⊇ A4 ⊇ V4 ⊇ C2 ⊇ id.

Dabei istV4 := id, (1, 2) (3, 4), (1, 3) (2, 4), (1, 4) (2, 3)

die sogenannte Kleinsche Vierergruppe, und C2 := id, (1, 2)(3, 4) eine zyklische Grup-pe mit zwei Elementen.

Die Kleinsche Vierergruppe ist in der Tat eine Untergruppe von S4, da Kompositionund Inversenbildung offensichtlich nicht aus V4 herausführen und zudem die Identitätin V4 liegt.Da wir für den Beweis nachweisen müssen, daß gewisse Untergruppen Normalteiler

sind, dazu noch einen Hilfssatz:

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5.8. Die Cardanischen Formeln

Hilfssatz 5.46. Sei H eine Untergruppe vom Index 2 in einer Gruppe G. Dann ist Hein Normalteiler von G.

Beweis von Hilfssatz 5.46. Wir machen eine Vorüberlegung: Wir behaupten, daß für einebeliebige Permutation σ aus G gilt, daß σ2 inH liegt. Ist σ inH, ist dies sicherlich richtig.Andernfalls liegen sowohl σ als auch σ−1 nicht in H. Da es aber modulo H nur zweiKongruenzklassen gibt, müssen σ und σ−1 modulo H zueinander kongruent sein. Diesist aber gleichbedeutend damit, daß (σ−1)−1 σ = σ2 in H liegt.Beweisen wir jetzt den Hilfssatz: Seien σ aus G und τ aus H. Wir müssen zeigen, daß

dann auch σ τ σ−1 wieder aus H ist. Dazu schreiben wir

σ τ σ−1 = σ τ σ τ τ−1 σ−2 = (σ τ)2 τ−1 σ−2.

Die einzelnen Terme sind nach unserer Vorüberlegung aus H, damit auch die Komposi-tion aller.

Beispiel 5.47. Als Beispiel erhalten wir etwa, daß die alternierende Gruppe An für jedenatürliche Zahl n ≥ 2 ein Normalteiler in Sn ist, denn An hat Index 2 in Sn: DieTransposition (1, 2) ist nicht in An, da sie eine ungerade Permutation ist. Damit gibt esmindestens zwei Konguenzklassen modulo An in Sn. Ist σ eine beliebige Permutation,so ist σ modulo An kongruent zur identischen Permutation id, wenn σ gerade ist. Ist σandernfalls eine ungerade Permutation, so ist (1, 2) σ eine gerade Permutation, also inAn, das heißt σ = (1, 2) ((1, 2) σ) ist modulo An kongruent zu (1, 2). Damit gibt esgenau zwei Kongruenzklassen modulo An, das heißt der Index von An in Sn ist zwei.

Beweis von Proposition 5.45 auf der vorherigen Seite. Der Beweis des Satzes gliedertsich darin zu zeigen, daß A4 ein Normalteiler vom Index einer Primzahl in S4, daßV4 ein Normalteiler vom Index einer Primzahl in A4, daß C2 ein Normalteiler von Indexeiner Primzahl in V4 und daß id ein Normalteiler vom Index einer Primzahl in C2 ist.Für A4 haben wir in Beispiel 5.47 schon gesehen, daß diese Untergruppe ein Normalteilervom Index 2 in S4. Insbesondere hat A4 zwölf Elemente. Weiter hat V4 vier, C2 zweiund id ein Element. Nach dem Lagrangeschen Satz, Proposition 4.12 auf Seite 135,folgt für die Indizes, daß

[A4 : V4] = 3, [V4 : C2] = 2, [C2 : id] = 2.

In Hinblick auf Hilfssatz 5.46 müssen wir also nur noch zeigen, daß V4 in A4 ein Nor-malteiler ist. Dies folgt aus dem folgenden allgemeineren Hilfssatz 5.48, denn ist eineUntergruppe von A4 ein Normalteiler in der größeren Gruppe S4, dann erst recht inA4.

Hilfssatz 5.48. Die Kleinsche Vierergruppe V4 ist ein Normalteiler in der symmetri-schen Gruppe S4 in vier Ziffern.

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

Beweis. Die Kleinsche Vierergruppe enthält genau alle 4-stelligen Permutationen derForm (i, j) (k, `), wobei i, j, k, l ∈ 1, 2, 3, 4 paarweise verschieden sind. Ist σ einebeliebige Permutation in S4, so folgt, daß

σ (i, j) (k, `) σ−1 = (σ(i), σ(j)) (σ(k), σ(`))

wieder ein Element der Kleinschen Vierergruppe ist.

Wir können die symmetrische Gruppe S3 in drei Ziffern als Untergruppe der symme-trischen Gruppe S4 in vier Ziffern auffassen, indem wir ein dreistellige Permutation alsvierstellige Permutation auffassen, welche die letzte Ziffer 4 festhält. Da S4 nach Propo-sition 5.45 auf Seite 204 auflösbar ist und Untergruppen auflösbarer Untergruppen nachProposition 5.37 auf Seite 196 wieder auflösbar sind, folgt die Auflösbarkeit von S3. Wirkönnen aber auch direkt eine Normalreihe angeben, nämlich

S3 ⊇ A3 ⊇ id.

Da die Galoissche Gruppe der Nullstellen eines separablen Polynoms vom Grad kleineroder gleich 4 über den rationalen Zahlen eine Untergruppe einer symmetrischen Gruppein höchstens 4 Ziffern und damit auflösbar ist, sind Polynomgleichungen vom Gradehöchstens vier durch Wurzeln auflösbar. Dies ist der Grund für die Existenz der in derEinleitung erwähnten Cardanischen Formeln für die Lösungen für Gleichungen drittenund vierten Grades. Zum Abschluß dieses Kapitels und dieses einführenden Teils in dieGaloissche Theorie wollen wir diese Formeln ableiten.Dazu betrachten wir zunächst eine allgemeine normierte Polynomgleichung

Xn + an−1Xn−1 + · · ·+ a1X + a0 = 0 (5.13)

mit Koeffizienten a0, . . . , an−1 in einem Koeffizientenbereich K. Die linke Seite könnender Gleichung können wir nach dem binomischen Lehrsatz folgendermaßen umformen:

Xn + an−1Xn−1 + an−2X

n−2 + · · ·+ a1X + a0

=(X + an−1

n

)n+(an−2 −

(n

2

) (an−1n

)2)Xn−2 + · · ·

+(a1 −

(n

n− 1

) (an−1n

)n−1)X + · · ·+

(a0 −

(n

n

) (an−1n

)n).

Setzen wir also Y := X + an−1n in (5.13), so erhalten wir eine Gleichung der Form

Y n + bn−2Yn−2 + · · ·+ b1Y + b0 = 0, (5.14)

wobei die b0, . . . , bn−2 Zahlen aus K sind. Eine Zahl x ist genau dann Lösung von (5.13),wenn y = x + an−1

n eine Lösung von (5.14). Um die Gleichung (5.13) reicht es also,ein Lösungsverfahren für Gleichung (5.14) anzugeben. Wir können bei der Herleitungvon Lösungsformeln also davon ausgehen, daß unsere Polynomgleichungen in reduzierter

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5.8. Die Cardanischen Formeln

Form vorliegen, daß also der n − 1-te Koeffizient verschwindet, wenn n der Grad derPolynomgleichung ist. Der Grund dafür, warum wir diese Reduzierung vornehmen, istderjenige, daß sich die folgenden Lösungsformeln erheblich vereinfachen, wenn sie nur inTermen der Koeffizienten der reduzierten Gleichung formuliert werden.Im Falle n = 1 bleibt nur die Gleichung X = 0 übrig, die als einzige Lösung x = 0

hat. Im Falle n = 2 haben wir Gleichungen der Form X2 + a = 0, wobei a aus K ist. Esx genau dann Lösung dieser Gleichung, wenn x eine Wurzel von a, das heißt

x =√−a,

wobei beide Wahlen der Quadratwurzel erlaubt sind. Nach den Vorüberlegungen, einePolynomgleichung auf eine reduzierte Form zu bringen, ist der Fall quadratischer Glei-chungen reichlich simpel geworden und vollständig verstanden. Die interessanten Fällesind also n = 3 und n = 4.Beginnen wir mit einer allgemeinen reduzierten kubischen Gleichung, also einer Glei-

chung der FormX3 + pX + q = 0, (5.15)

wobei p und q zwei Zahlen aus K sind. Wir gehen für den Moment davon aus, daß dasPolynom X3 + pX + q separabel ist, daß also (5.15) drei verschiedene Nullstellen x1, x2und x3 in den algebraischen Zahlen besitzt und so daß wir insbesondere die GaloisscheTheorie anwenden können. Wir nehmen weiterhin für den Moment an, daß die GaloisscheGruppe von x1, x2 und x3 über K die volle symmetrische Gruppe S3 ist.Gehen wir den Beweis von Satz 5.43 auf Seite 201 durch, so sehen wir, daß wir K

zunächst um eine primitive zweite und eine dritte Einheitswurzel erweitern sollten (denn2 und 3 sind die Primteiler von 6 = [S3 : 1]). Eine primitive zweite Einheitswurzel ist−1, diese ist sowieso in K enthalten. Eine primitive dritte Einheitswurzel ist Lösung vonX2 +X + 1 = 0, also

ω = −12 −

12√−3.

Wir rechnen ab sofort in K(ω) weiter. Prinzipiell könnte die Galoissche Gruppe vonx1, x2 und x3 über K(ω) kleiner geworden sein, wir wollen aber weiterhin annehmen,daß es immer noch die volle symmetrische Gruppe S3 ist. Es ist A3 ein Normalteiler inS3 vom Index 2. Im Beweis von Satz 5.43 auf Seite 201 verwenden wir an dieser StelleHilfssatz 5.44 auf Seite 201 um ein Element a zu finden, so daß die Galoissche Gruppevon x1, . . . , x3 über K(ω,

√a) zu A3 reduziert wird. Schauen wir in den Beweis von

Hilfssatz 5.44 auf Seite 201, müssen wir dazu zunächst ein Element δ in K(ω, x1, x2, x3)finden, so daß die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über K(ω, δ) gerade A3 ist.Nach den Überlegungen, die wir schon über die Galoissche Gruppe eines allgemeinenirreduziblen Polynoms dritten Grades angestellt haben, ist dies etwa durch

δ = (x1 − x2) · (x2 − x3) · (x3 − x1)

gegeben. Es ist δ2 = ∆ = −4p3−27q2 die Diskriminante von X3 +pX+q und damit eineZahl aus K. Damit müssen wir offensichtlich Hilfssatz 5.44 auf Seite 201 nicht weiter

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

bemühen und erhalten, daß die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über K(ω,√∆)

auf A3 reduziert ist.Es ist id ein Normalteiler vom Index 3 in A3. Da das einzige Element von A3, welches

x1 fixiert, die Identität ist, erhalten wir, daß die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3über K(ω,

√∆,x1) durch die triviale Gruppe id gegeben ist. Wir setzen σ := (1, 2, 3).

Dies ist eine Symmetrie, welche in A3, aber nicht in id enthalten ist.Gemäß dem Beweis von Hilfssatz 5.44 auf Seite 201 betrachten wir als nächstes Zahlen,

welche durch

y1 := x1 + ω σ · x1 + ω2 σ2 · x1 = x1 + ω x2 + ω2 x3,

y2 := x1 + ω2 σ · x1 + ω4 σ2 · x1 = x1 + ω2 x2 + ω x3,

y3 := x1 + ω3 σ · x1 + ω6 σ2 · x1 = x1 + x2 + x3 = 0

definiert sind, wobei x1 + x2 + x3 = 0 der Tatsache geschuldet ist, daß die GleichungX3 + pX + q = 0 keinen quadratischen Term (dessen Koeffizient nach dem VietaschenSatz gerade −x1−x2−x3 ist) besitzt. Da y1 + y2 = y1 + y2 + y3 = 3x1 muß entweder y1oder y2 ungleich Null sein (schließlich ist x1 6= 0, da nicht rational, da wir die GaloisscheGruppe von X3 + pX + q als volle symmetrische Gruppe angenommen haben). Wirnehmen ohne Einschränkung an, daß u := y1

3 ungleich Null ist. Nach dem Beweis vonHilfssatz 5.44 auf Seite 201 ist u3 unter der Galoisschen Gruppe A3 invariant, und inder Tat ergibt eine längere Rechung (welche wir durch Expandieren beider Seiten unterAusnutzen von x1 + x2 + x3 = 0 verifizieren können), daß

y31 = (x1 + ω x2 + ω2 x3)3 = −27

2 q − 3(ω + 1

2

)δ,

also

u3 = −q2 + 12

√−∆27 .

Insbesondere erhalten wir

u = 3

√√√√−q2 + 12

√−∆27 ,

also einen Wurzelausdruck über den rationalen Zahlen. Nach dem Beweisverfahren vonSatz 5.43 auf Seite 201 ist die Galoissche Gruppe von x1, x2 und x3 über K(ω, δ, u)nurmehr die triviale Gruppe, insbesondere müssen also die Nullstellen x1, x2 und x3rational in ω, δ und u sein. Und in der Tat gilt

y1·y2 = x21+x2

2+x23−x1x2−x2x3−x1x3 = (x1+x2+x3)2−3(x1x2+x1x3+x2x3) = −3p.

Setzen wir v := y23 , so folgt damit damit v = − p

y1= − p

3u , also

x1 = 13(y1 + y2) = u+ v = 3

√√√√−q2 + 12

√−∆27 −

p

3 3

√− q

2 + 12

√−∆

27

,

208

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5.8. Die Cardanischen Formeln

und dies ist offensichtlich ein Wurzelausdruck in den Koeffizienten p und q der ursprüng-lichen Gleichung. Weiter oben haben wir eine primitive Einheitswurzel −1

2 −12√−3

gewählt. Hätten wir das galoissch Konjugierte, −12 + 1

2√−3, also ω2 anstelle von ω ge-

wählt, so würden sich in unseren Gleichungen oben u und v vertauschen, das heißt wirhaben

v3 = −q2 −12

√−∆27 .

Wegen uv = −p3 steht in K(ω, δ, u) nur eine der bis zu drei Wurzeln von

3

√√√√−q2 − 12

√−∆27

für v.Zusammengefaßt können wir schließlich folgende Lösungsformel für eine Gleichung

dritten Grades angeben, die sogenannte Cardanische Formel:

Satz 5.49. SeiX3 + pX + q = 0 (5.16)

eine (reduzierte) kubische Gleichung über einem Koeffizientenbereiche K. Sei ∆ :=−4p3 − 27q2 ihre Diskriminante. Weiter seien

u = 3

√√√√−q2 + 12

√−∆27 , v = 3

√√√√−q2 − 12

√−∆27 ,

wobei wir eine der beiden dritten Wurzeln so wählen, daß u · v = −p3 . Dann sind die drei

Lösungen (mit Vielfachheiten) von (5.16) durch

x = u+ v

gegeben. (Die möglichen Wahlen der dritten Wurzel bei u oder v liefern die drei Lösun-gen.)

Beweis. Den Satz haben wir in unseren Überlegungen schon für den Fall bewiesen, daßX3 + pX + q separabel ist und daß die Galoissche Gruppe dieses Polynoms über K(ω),wobei ω eine primitive dritte Einheitswurzel ist, die volle symmetrische Gruppe ist.Gehen wir die obigen Aussagen über u und v ohne Beachtung der Galoisschen Gruppen(das heißt die Formeln, die u und v mit den Lösungen x1, x2 und x3 verknüpfen) nocheinmal durch, sehen wir, daß sie auch für beliebige Wahlen von p und q richtig bleiben,womit der Satz auch im allgemeinen Fall bewiesen ist.

Schließlich wollen wir noch die Lösungsformel für die allgemeine reduzierte Gleichungvierten Grades

X4 + pX2 + qX + r = 0 (5.17)

209

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

ableiten, wobei wir wieder annehmen, daß p, q und r Zahlen aus einem Koeffizienten-bereich K sind. Wir könnten wieder vollständig analog zum Beweis von Satz 5.43 aufSeite 201 vorgehen. Dann würde die Herleitung der Lösungsformel allerdings ziemlichlänglich werden, so daß es sich lohnt, zwischendurch abzukürzen und unser Wissen überdie Lösungen einer kubischen Gleichung einzubeziehen:Wir wollen analog zum obigen Vorgehen annehmen, daß die Lösungen x1, . . . , x4

von (5.17) paarweise verschieden sind und daß ihre Galoissche Gruppe über K durch dievolle symmetrische Gruppe S4 gegeben ist. Sei

δ := (x1 − x2) · (x1 − x3) · (x1 − x4) · (x2 − x3) · (x2 − x4) · (x3 − x4).

das Produkt über alle sechs Differenzen (xi − xj) mit i < j ist. Dann ist die GaloisscheGruppe von x1, . . . , x4 über K(δ) die alternierende Gruppe A4 (denn δ ist invariantunter der A4 aber nicht unter der vollen S4). Weiter ist

δ2 = ∆ = 256r3 − 128p2r2 − 27q4 + 4p3q2 − 16p4r − 144pq2r

die Diskriminante (deren hier gegebene explizite Form sich wie im Falle der reduzier-ten Kubik ableiten läßt), die wir im folgenden, wie wir sehen werden, aber gar nichtbrauchen).Im nächsten Schritt wollen wir die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4 auf die Klein-

sche Vierergruppe V4 innerhalb der alternierenden Gruppe reduzieren. Die Struktur derElemente innerhalb der Kleinschen Vierergruppe legt nahe, die folgenden Zahlen zu be-trachten:

y1 = (x1 + x2) · (x3 + x4), y2 = (x1 + x4) · (x2 + x3), y3 = (x1 + x3) · (x2 + x4).

Alle diese Elemente sind invariant unter den Symmetrien der V4. Auf der anderen Seitesind sie nicht invariant unter der vollen alternierenden Gruppe A4: Sei σ := (1, 2, 3), eineSymmetrie, welche in der alternierenden Gruppe, aber nicht in der Kleinschen Vierer-gruppe liegt. Dann gelten σ · y1 = y2, σ · y2 = y3 und σ · y3 = y1. Für die Differenz vony1 und σ · y1 gilt

y1 − σ · y1 = y1 − y2 = (x2 − x4) · (x3 − x1).

Die Zahl auf der rechten Seite ist ungleich Null, da wir die vier Nullstellen x1, . . . , x4unter unserer Separabilitätsvoraussetzung als verschieden angenommen haben. Es isty1 unter σ damit nicht invariant, und insbesondere ist y1 verschieden von Null. Da eskeine echte Untergruppe der alternierenden Gruppe A4 gibt, in welcher die KleinscheVierergruppe V4 echt enthalten ist, folgt, daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4über K(

√∆, y1) die Kleinsche Vierergruppe V4 ist. Ganz analog folgt, daß auch y2 und

y3 nicht verschwinden und nicht unter allen Symmetrien alternierenden Gruppe invariantsind. Zur Darstellung von y1, y2 und y3 stellen wir fest, daß das Polynom

g(X) := (X − y1) · (X − y2) · (X − y3)

unter der Permutation σ invariant ist, insgesamt also unter allen Symmetrien aus A4(denn A4 wird von σ und V4 erzeugt). Wenden wir die Symmetrie τ := (1, 2) auf g(X)

210

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5.8. Die Cardanischen Formeln

an, so erhalten wir τ · g(X) = g(X) wegen τ · y1 = y1, τ · y2 = y3 und τ · y3 = y2. Folglichist das Polynom g(X) (beziehungsweise seine Koeffizienten sind) unter allen Symmetrienaus der symmetrischen Gruppe S4 invariant, denn eine ungerade Transposition erzeugtdie gesamte symmetrische Gruppe aus der alternierenden Gruppe A4 (schließlich habenwir früher schon gesehen, daß sich jede nicht in A4 liegende Permutation als Kompo-sition einer fixen ungeraden mit einer geraden Permutation schreiben läßt). Nach derallgemeinen Theorie müssen die Koeffizienten von g(X) also alle in K liegen. Und in derTat liefert eine kleinere Rechnung, daß

g(X) = X3 − 2pX2 + (p2 − 4r)X + q2.

Dieses Polynom heißt klassisch die kubische Resolvente der ursprünglich gegebenen Glei-chung (5.17). Die Nullstellen von g(X) sind gerade die yi. Wir können damit y1, y2 undy3 nach Satz 5.49 auf Seite 209 durch Wurzelausdrücke über K darstellen.Im nächsten Schritt müssen wir ein Element zu K(

√∆, y1) hinzufügen, so daß die

Galoissche Gruppe von V4 auf C2 reduziert wird. Eine sinnvolle Wahl ist

t1 := x1 + x2.

Wegen (x1 + x2) + (x3 + x4) = 0 ist t2 = (x1 + x2)2 = −y1, das heißt t1 =√−y1.

Insbesondere ist t ungleich Null. Die Zahl t1 ist invariant unter den Symmetrien aus C2,aber nicht unter allen Symmetrien aus V4, so gilt etwa ((1, 3)(2, 4)) ·t1 = x3 +x4 = −t1.Damit erhalten wir, daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4 über K(

√∆, y1,

√−y1) =

K(√∆,√−y1) nurmehr C2 ist.

Im letzten Schritt müssen wir noch eine Zahl finden, welche unter der nicht trivialenSymmetrie (1, 2) (3, 4) in C2 nicht invariant ist. Eine offensichtliche Wahl ist x1. Wirkommen allerdings schneller ans Ziel, wenn wir als Zahl

t2 := x1 + x4

wählen. Es gilt t22 = (x1 + x4)2 = −y2, das heißt t2 =√−y2, und t2 ist ungleich

Null. Außerdem ist ((1, 2) (3, 4)) · t2 = x2 + x3 = −t2. Es ist t2 also in der Tat nichtunter C2 invariant. Damit erhalten wir, daß die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4 überK(√∆,√−y1,

√−y2) nur noch die triviale Gruppe id ist. Folglich sollte sich unsere

gesuchte Lösung x1 rational in δ =√∆ und den Quadratwurzeln t1 =

√−y1 und

t2 =√−y2 ausdrücken lassen: Um auf die entsprechende Formel zu kommen, definieren

wir zunächstt3 := x1 + x3.

Wegen x1 + x2 + x3 + x4 = 0 gilt dann offensichtlich x1 = 12(t1 + t2 + t3). Weiter ergibt

eine kurze Rechnung (wieder unter Berücksichtigung von x1 + x2 + x3 + x4 = 0), daß

t1 · t2 · t3 = (x1 +x2) · (x1 +x4) · (x1 +x3) = x1x2x3 +x1x2x4 +x1x3x4 +x2x3x4 = −q,

wobei wir die letzte Gleichheit dem Vietaschen Satz entnommen haben. Folglich istt3 = − q

t1·t2 , womit wir die Formel

x1 = 12

(√−y1 +

√−y2 −

q√−y1 ·

√−y2

)

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5. Über die Auflösbarkeit von Polynomgleichungen

abgeleitet haben. Dies ist ein Wurzelausdruck in den Koeffizienten p, q und r der ur-sprünglichen Gleichung. Wegen t23 = (x1 + x3)2 = −y3 können wir den letzten Summan-den auch als

√−y3 schreiben, wobei wir das Vorzeichen von

√−y3 im Koeffizientenbe-

reiche K(√∆,√−y1,

√−y2) wegen t1t2t3 = −q so zu wählen haben, daß

√−y1 ·

√−y2 ·√

−y3 = −q.Wir erhalten aus unseren Überlegungen die Lösungsformel für eine Gleichung vierten

Grades, die ursprünglich von Ludovico Ferrari gefunden wurde:

Satz 5.50. SeiX4 + pX2 + q X + r = 0 (5.18)

eine (reduzierte) quartische Gleichung über einem Koeffizientenbereiche K. Seien y1, y2und y3 die drei Lösungen ihrer kubischen Resolventengleichung

Y 3 − 2p Y 2 + (p2 − 4r)Y + q2 = 0.

Weiter seien

t1 =√−y1, t2 =

√−y2, t3 =

√−y3,

wobei wir das Vorzeichen einer der drei Wurzeln so wählen, daß t1 · t2 · t3 = −q. Dannsind die vier Lösungen mit Vielfachheiten von (5.18) durch

x = 12(t1 + t2 + t3)

gegeben. (Die möglichen Wahlen der Quadratwurzeln von −y1, −y2 und −y3 liefern dievier Lösungen.)

(Die möglichen sechs Permutationen von y1, y2 und y3 liefern keine weiteren Lösungen.)

Beweis. Den Satz haben wir in unseren Überlegungen schon für den Fall bewiesen, daßX4 +pX2 +qX+r separabel ist und daß die Galoissche Gruppe dieses Polynoms über Kdie volle symmetrische Gruppe ist. Gehen wir die obige Herleitung noch einmal durch,so sehen wir, daß die behaupteten Beziehungen (ohne Berücksichtigung der explizitenForm der Galoisschen Gruppen) auch im allgemeinen Falle richtig bleiben.

AufgabenAufgabe 5.8.1. Zeige, daß alle Elemente der Kleinschen Vierergruppe die Ordnung 1 oder2 haben.Aufgabe 5.8.2. Ist die alternierende Gruppe A4 auflösbar?Aufgabe 5.8.3. Sei H eine Untergruppe einer Gruppe G. Sei weiter N ein Normalteilervon H. Ist N dann auch ein Normalteiler von G?Aufgabe 5.8.4. Warum kommt es bei der Lösungsformel aus Satz 5.50 auf die Reihenfolgeder drei Lösungen y1, y2 und y3 der kubischen Resolvente nicht an?

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5.8. Die Cardanischen Formeln

Aufgabe 5.8.5. Sei f(X) ein normiertes reduziertes (das heißt ohne kubischen Term)Polynom über einem Koeffizientenbereich K. Sei g(X) seine kubische Resolvente. Zeige,daß die Diskriminante von f(X) gleich der Diskriminante von f(X) ist.Aufgabe 5.8.6. Sei f(X) = X4 + pX2 + qX + r ein normiertes (reduziertes) Polynomvierten Grades über einem Koeffizientenbereich K. Zeige, daß seine Diskriminante durch

∆ = 256r3 − 128p2r2 − 27q4 − 4p3q2 + 16p4r + 144pq2r

gegeben ist.Aufgabe 5.8.7. Seien x1, . . . , x4 die Lösungen einer reduzierten quartischen Gleichungüber einem Koeffizientenbereiche K. Sei G die Galoissche Gruppe von x1, . . . , x4 überK. Sei weiter H die Galoissche Gruppe der Lösungen y1, y2, y3 der kubischen Resolven-tengleichung der quartischen Gleichung. Zeige, daß [H : 1] = [G : G ∩V4].Aufgabe 5.8.8. Gib einen Wurzelausdruck für die Lösungen der kubischen Gleichung

X3 + 2X2 − 10X − 20 = 0

an.

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Teil II.

Abstrakte Galoissche Theorie

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6. Gruppen

6.1. Gruppen und GruppenhomomorphismenWillkommen zum zweiten Teil dieses Buches. Wie jedem Leser nach kurzer Zeit si-cherlich auffallen wird, unterscheidet sich der mathematisches Stil in diesem Teil rechterheblich von dem des ersten Teiles. Im ersten Teil haben wir die Galoissche Theoriesoweit entwickelt, daß wir die in der Einleitung erwähnten für Jahrhunderte ungelöstenProbleme behandeln konnten. Wir haben aber keine großen Anstrengungen unternom-men, die Galoissche Theorie weit darüber hinaus zu entwickeln. Viele Argumente sindaber in einem viel größeren Kontext richtig, und dies darzustellen, ist wesentliche Auf-gabe dieses zweiten Teiles, in dem wir allerdings häufig auf Ergebnisse des ersten Teilesverweisen. Von sprachlicher Seite bedeutet die Verallgemeinerung unter anderem, daßwir beginnen, Aussagen für Konzepte und nicht nur für konkrete mathematische Objektezu formulieren. Dies ist schon aus der Linearen Algebra bekannt: konkrete Objekte sindzum Beispiel die Vektorräume Qn, über deren Elemente und deren Operationen wir eini-ges aussagen können. Richtig mächtig wird die Lineare Algebra aber erst, wenn wir dasKonzept eines Vektorraumes eingeführt haben und die Ergebnisse über Qn einfach nurzu Spezialisierungen allgemeiner Ergebnisse auf einen bestimmten Vektorraum werden.Diese Art der Herangehensweise ist ganz allgemein ein Wesenszug der Mathematik. DieMathematik wird daher auch als deduktive Wissenschaft bezeichnet, also als solche, inder aus allgemeinen Tatsachen (auch Axiomen) auf das Besondere geschlossen wird. ImGegensatz dazu stehen die induktiven Wissenschaften wie die Physik oder Chemie, indenen aus Einzelbeobachtungen (dem Besonderen) auf allgemeine Tatsachen geschlossenwerden.In Teil I haben wir eine Gruppe als eine endliche Teilmenge G einer symmetrischen

Gruppe Sn definiert, wobei die Teilmenge G so beschaffen ist, daß zum einen die iden-tische Permutation Element von G ist, als auch daß Komposition und Inversenbildungvon Permutationen in G nicht aus G herausführen. Eine Gruppe ist bisher also einvergleichsweise konkretes Objekt gewesen, nämlich eine unter gewissen ganz konkretenOperationen abgeschlossene endliche Menge von Permutationen. Insbesondere könnenwir zum Beispiel die Komposition als Abbildung von G × G nach G auffassen. UmVerwechslungen auszuschließen, wollen wir im folgenden eine so definierte Gruppe einePermutationsgruppe nennen.In diesem Abschnitt wollen wir den Begriff der Gruppe fundamental verallgemeinern.

Eine Gruppe in diesem allgemeinen Sinne soll weiterhin Elemente besitzen. Diese Ele-mente sind allerdings nicht notwendigerweise Permutationen. Auf diesen Elementen solleine Operation definiert sein, welche sich in gewisser Weise wie die Komposition vonPermutationen verhält. Viele Aussagen, die wir in Teil I für die dort definierten Per-

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6. Gruppen

mutationsgruppen hergeleitet haben, bleiben im übertragenen Sinne dann auch für dieGruppen im allgemeineren Sinne gültig — nur, daß es dann keine Aussagen mehr überPermutationen und ihre Kompositionen sind, sondern über abstrakte Elemente und ge-eignete abstrakte Operationen auf diesen Elementen. Dies motiviert die Definition desfolgenden Konzeptes:

Konzept 6.1. Eine Menge G zusammen mit einem Element 1 ∈ G, genannt das neutraleElement von G oder die Gruppeneins, und einer Abbildung · : G×G→ G, auch genanntMultiplikation oder Gruppenverküpfung, heißt eine Gruppe, falls folgende Axiome erfülltsind:

• Die Multiplikation ist assoziativ, das heißt, für je drei Elemente x, y, z ∈ G gilt

x · (y · z) = (x · y) · z.

• Das Element 1 ist das neutrale Element der Multiplikation von G, das heißt, fürjedes Element x ∈ G gilt

1 · x = x = x · 1.

• Jedes Element x in G besitzt ein inverses Element bezüglich der Multiplikation,das heißt, zu x existiert ein y ∈ G mit

x · y = 1 = y · x.

Es sei beachtet, daß im Zusammenhang mit einer Gruppe, durch das Symbol 1 einabstraktes Element dieser Gruppe notiert wird und nicht etwa die natürliche Zahl 1 (auchwenn, wie wir sehen werden, beide Bezeichnungen auch zusammenfallen können, abernicht müssen). Dieselbe Bemerkung gilt für die Notation der Gruppenverknüpfung alsMultiplikation. In anderen Texten wird häufig auch e anstelle von 1 für die Gruppeneinsgeschrieben. Bei der Multiplikation lassen wir wie beim Rechnen mit Zahlen auch häufigden Multiplikationspunkt weg. Aufgrund der Assoziativität dürfen wir bei mehrfachenProdukten wie (x · y) · z auch die Klammern weglassen (also x · y · z schreiben), ohneMehrdeutigkeiten zu produzieren.Bemerkung 6.2. Verzichten wir in Konzept 6.1 auf die Forderung der Existenz inverserElemente, so erhalten wir das Konzept eines Monoides. Eine Gruppe ist also ein Monoid,in dem jedes Element ein Inverses bezüglich der Multiplikation besitzt.Beispiel 6.3. Die einfachsten aller Gruppen sind die kleinst möglichen: Ist G eine ein-elementige Menge, so können wir G offensichtlich auf höchstens eine Weise mit einerGruppenstruktur versehen: die Gruppeneins muß das einzige Element in G sein und dieMultiplikation dieses Elementes mit sich selbst muß wieder dieses Element sein. Und inder Tat wird auf G so eine Gruppenstruktur definiert. Eine solche Gruppe heißt trivialeGruppe.Da wir das Konzept einer Gruppe nach den Permutationsgruppen aus Teil I modelliert

haben, ist es kein Wunder, daß diese Beispiele für Gruppen liefern:

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6.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen

Beispiel 6.4. Sei G eine Permutationsgruppe, das heißt eine unter Komposition und In-versenbildung abgeschlossene Teilmenge einer symmetrischen Gruppe Sn, welche zudemdie identische Permutation enthält. Dann wird G zu einer endlichen Gruppe, wenn wirdie Gruppeneins als identische Permutation und die Gruppenverknüpfung als Kompo-sition (von Permutationen) definieren: Die Axiome einer Gruppe gelten nach unserenÜberlegungen aus Abschnitt 4.5 auf Seite 142.Dabei nennen wir eine Gruppe endlich, etc., falls dies für die zugrundeliegende Menge

der Elemente der Gruppe gilt. In diesem Falle definieren wir die Ordnung [G : 1] von Gwieder als die Anzahl der Elemente.Fassen wir die Permutationsgruppe Sn im Sinne des Beipiels Abschnitt 4.5 auf Seite 142

als Gruppe auf, so schreiben wir auch (Sn, , id), um die zugrundeliegende Menge, dasneutrale Element und die Gruppenverknüpfung anzudeuten. In diesem Sinne läßt sichdie allgemeine Gruppe aus Konzept 6.1 auf der vorherigen Seite als (G, ·, 1) schreiben.Eine Permutation aus Sn ist nach Definition nichts anderes als eine Bijektion der

endlichen Menge 1, . . . , n auf sich selbst. Indem wir diese Menge austauschen, kommenwir auf weitere Beispiele von Gruppen:Beispiel 6.5. Sei I eine Menge. Die Menge der Bijektionen von I auf I bezeichnen wir mitAut(I). Diese bilden eine Gruppe, wenn wir das neutrale Element als die Identität auf Iund die Gruppenverknüpfung als Komposition von Bijektionen definieren. Wir nennenAut(I) die Automorphismengruppe der Menge I.Weitere wichtige Beispiele für Gruppen, welche nicht auf diese Art und Weise ent-

stehen, sind die sogenannten Matrixgruppen, von denen wir einige Beispiele aufzählenwollen:Beispiel 6.6. Sei n eine natürliche Zahl. Die Menge GLn(Q) der invertierbaren quadra-tischen Matrizen mit rationalen Einträgen bildet eine Gruppe, wenn wir das neutraleElement als die Einheitsmatrix und die Gruppenverknüpfung als Matrixmultiplikationdefinieren. Die Gruppe, die wir so erhalten, heißt eine allgemeine lineare Gruppe (überden rationalen Zahlen).Betrachten wir nur quadratische Matrizen mit ganzzahligen Einträgen, wobei wir in

diesem Falle eine Matrix invertierbar nennen, wenn sie ein bezüglich der Matrizenmulti-plikation Inverses mit ganzzahligen Einträgen besitzt (das ist genau der Fall, wenn ihreDeterminante in den ganzen Zahlen ein multiplikatives Inverses besitzt, wenn sie also±1 ist), so erhalten wir die allgemeine lineare Gruppe GLn(Z).Beispiel 6.7. Schauen wir uns das Beispiel 6.6 für den Fall n = 1 an, so sprechen wir voninvertierbaren Matrizen der Größe 1, das heißt von nichts anderem als den nicht ver-schwindenden rationalen Zahlen Q× = Q\0. Wir sehen, daß Q× mit der gewöhnlichenEins als Gruppeneins und der gewöhnlichen Multiplikation als Gruppenmultiplikationzu einer Gruppe wird. Diese Gruppe heißt auch Einheitengruppe von Q. Nach der Ver-einbarung weiter oben schreiben wir auch (Q×, ·, 1) für diese Gruppe.Erinnern wir uns aus der Linearen Algebra daran, daß invertierbare quadratische Ma-

trizen der Größe n über den rationalen Zahlen gerade den Vektorraumisomorphismenvon Qn nach Qn über den rationalen Zahlen entsprechen, so erscheint folgende Verall-gemeinerung von Beispiel 6.6 plausibel:

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6. Gruppen

Beispiel 6.8. Sei V ein Vektorraum über den rationalen Zahlen. Die Menge Aut(V )der Vektorraumisomorphismen von V nach V über den rationalen Zahlen bildet eineGruppe, wenn wir die Identität idV als neutrales Element und die Komposition linearerAbbildungen als Gruppenverknüpfung definieren. Diese Gruppe heißt auch die Automor-phismengruppe von V . Im Falle, daß V gerade Qn ist, haben wir also eine kanonischeBijektion zwischen Aut(V ) und GLn(Q).An dieser Stelle sei die Warnung erlaubt, daß Aut(V ) zwei unterschiedliche Dinge

bezeichnen kann: Betrachten wir V als Menge ohne Vektorraumstruktur, so haben wirAut(V ) als Menge der Bijektionen von V auf sich selbst definiert; betrachten wir Vdagegen als Vektorraum, so bezeichnet Aut(V ) nur die Menge derjenigen Bijektionen,welche die Vektorraumstruktur erhalten, welche also Vektorraumisomorphismen sind.Sind A und B zwei beliebige quadratische Matrizen derselben Größe mit rationalen

Einträgen, so gilt im allgemeinen nicht A ·B = B ·A. Wir sagen, die Matrizenmultiplika-tion ist in der Regel nicht kommutativ. Im allgemeinen erfüllt die Multiplikation in einerbeliebigen Gruppe also nicht die Regel x · y = y · x. Gruppen, in denen dies (nicht nurzufällig) der Fall ist, bekommen zu Ehren Niels Henrik Abels einen besonderen Namen:

Konzept 6.9. Eine Gruppe A, deren neutrales Element wir mit 0 und deren Gruppen-verknüpfung wir mit +: A×A→ A bezeichnen wollen, heißt abelsch (oder kommutativ),wenn folgendes Axiom erfüllt ist:

• Die Gruppenverknüpfung ist kommutativ, das heißt für je zwei Elemente x, y ∈ Agilt

x · y = y · x.

In diesem Zusammenhang nennen wir 0 die Null und + die Addition der Gruppe.

(Die unterschiedliche Schreibweise — „0“ und „+“ anstelle von „1“ und „·“ — imVergleich zu allgemeinen Gruppen ist unter anderem ein Hinweis darauf, daß abelscheGruppen häufig in ganz anderen Zusammenhängen auftreten als allgemeinere Gruppen.Wir sagen, daß abelsche Gruppen in der Regel additiv geschrieben werden.)Beispiel 6.10. Die Menge Q aller rationalen Zahlen bildet eine abelsche Gruppe, indemwir die rationale Zahl 0 als die Null der Gruppe und die Addition rationaler Zahlen alsdie Gruppenaddition definieren. Diese Gruppe heißt die additive Gruppe von Q und wirdauch (Q,+, 0) geschrieben.Beispiel 6.11. Da die Multiplikation auf den rationalen Zahlen kommutativ ist, ist(Q×, ·, 1) eine abelsche Gruppe. Dies ist ein Beispiel für eine abelsche Gruppe, die trotzobiger Vereinbarung üblicherweise multiplikativ geschrieben wird.In einer abelschen Gruppe vertauscht also jedes Element x mit jedem anderen Element

y. Für eine beliebige Gruppe G nennen wir in Analogie zu unseren Definitionen ausAbschnitt 4.5 auf Seite 142 ein Element x zentral, wenn x · y = y · x für alle y ∈ G gilt.Die Menge der zentralen Elemente heißt wieder das Zentrum

Z(G) = x ∈ G | ∀y ∈ G : x · y = y · x

220

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6.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen

von G. Daß eine Gruppe abelsch ist, können wir also auch dadurch ausdrücken, daß wirsagen, daß ihr Zentrum alle Gruppenelemente umfasse.In gewisser Weise ist eine Gruppe schon durch weniger Forderungen als in Konzept 6.1

auf Seite 218 gegeben, und zwar gilt:

Proposition 6.12. Sei G eine Menge mit einem Element 1 ∈ G und einer assoziativenVerknüpfung · : G × G → G. Gilt dann 1 · x = x für alle x ∈ G, das heißt, 1 istLinksneutrales von ·, und existiert für jedes x ∈ G ein y ∈ G mit y · x = 1, das heißt, yist ein Linksinverses von x, so ist G schon eine Gruppe, das heißt, 1 ist neutrales Elementund jedes Element besitzt ein (beidseitiges) Inverses. Genauer ist ein Linksinverses schonein beidseitiges Inverses.

Beweis. Die Propositon haben wir im Prinzip zu Beginn von Abschnitt 4.5 auf Seite 142unter dem Schlagwort „Arithmetik der Komposition von Permutationen“ für den Fallder symmetrischen Gruppen bewiesen. Der Beweis überträgt sich mutatis mutandis.

In einer Gruppe ist das Inverse eines Elementes eindeutig, das heißt, es gilt:

Proposition 6.13. Seien G eine Gruppe und x ein Element von G. Sind dann y undy′ Inverse von x, so gilt y = y′.

Wie im Falle von Permutationen schreiben wir x−1 für das eindeutige Inverse von x.

Beweis. Aus y′x = 1 = yx folgt durch Multiplikation mit y von rechts unter Ausnutzungdes Assoziativitätsgesetzes, daß y′(xy) = y = y(xy). Da xy = 1, erhalten wir y′ = y.

Ganz analog läßt sich zeigen, daß 1 das einzige neutrale Element bezüglich der Mul-tiplikation in einer Gruppe ist.Um verschiedene Gruppen, nennen wir sie G und H, miteinander vergleichen zu kön-

nen, müssen wir ihre Elemente in Beziehung setzen. Am einfachsten geschieht dies, indemwir uns eine Abbildung φ : G→ H vorgeben. Eine Gleichheit in G wird von einer belie-bigen Abbildung dieser Art allerdings nicht in eine Gleichheit in H überführt. Was wirdamit meinen, ist zum Beispiel das folgende: Ist etwa z = x · y eine Beziehung zwischenElementen aus G, so wird im allgemeinen nicht φ(z) = φ(x) · φ(y) in H gelten. EineAbbildung, die solche Beziehungen erhält, bekommt einen eigenen Namen:

Definition 6.14. Eine Abbildung φ : G→ H heißt ein Gruppenhomomorphismus, fallsφ(1) = 1 und φ(x · y) = φ(x) · φ(y) für beliebige Elemente x und y aus G gelten.

(Hierbei schreiben wir jeweils 1 und · für die Gruppeneins und die Gruppenverknüp-fung auf G und auf H, das heißt in φ(1) = 1 ist die Eins auf der linken Seite die in Gund die auf der rechten Seite die in H; etwas anderes ergäbe auch keinen Sinn, da φ vonG nach H geht.)Sind φ : G → H und ψ : H → K zwei Homomorphismen zwischen Gruppen, so folgt

leicht, daß auch ψ φ : G→ K ein Homomorphismus ist, denn es gelten

(ψ φ)(1) = ψ(φ(1)) = ψ(1) = 1

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6. Gruppen

und(ψ φ)(x · y) = ψ(φ(x · y)) = ψ(φ(x) · φ(y)) = ψ(φ(x)) · ψ(φ(y))

= (ψ φ)(x) · (ψ φ)(y),wobei x und y zwei beliebige Elemente in G sind. Weiter ist offensichtlich die identischeAbbildung auf einer Gruppe G auf sich selbst ein Gruppenhomomorphismus von G aufsich selbst.Einen bijektiven Gruppenhomomorphismus bezeichnen wir auch als Gruppenisomor-

phismus. In diesem Falle ist die Umkehrung auch ein Gruppenhomomorphismus. ZweiGruppen, zwischen denen ein Gruppenisomorphismus besteht, heißen isomorph. Isomor-phie von Gruppen ist eine Äquivalenzrelation (für welche Eigenschaften benötigen wirhier die Tatsache, daß die Komposition Gruppenhomomorphismen wieder Gruppenho-momorphismen sind, und die Tatsache, daß die Identität ein Gruppenhomomorphismusist?). Diese ist in der Regel allerdings viel zu grob, weil auch von Interesse ist, wie zweiGruppen zueinander isomorph sind, das heißt, durch welchen Gruppenisomorphismuseine Isomorphie vermittelt wird. Im Falle zweier trivialer Gruppen ist die einzige über-haupt mögliche Abbildung zwischen ihnen ein Gruppenisomorphismus, so daß es genaueine Isomorphie zwischen ihnen gibt. Wir können sie daher miteinander identifieren undsprechen von der trivialen Gruppe. Wenn keine Verwechslungen auftreten, notieren wirdie triviale Gruppe als 1. Dies ist also insbesondere eine einelementige Menge, dereneinziges Element wieder mit 1 bezeichnet wird.Allgemein heißt jeder Gruppenisomorphismus einer Gruppe G auf sich selbst ein Auto-

morphismus dieser Gruppe. Die Menge Aut(G) der Automorphismen von G bildet mitder Identität als neutrales Element und der Komposition als Gruppenverknüpfung selbstwieder eine Gruppe, die Automorphismengruppe von G.In der Mathematik gibt es viele natürlich vorkommende Gruppenhomomorphismen.

Wesentliche Eigenschaften der Determinante quadratischer Matrizen können wir zumBeispiel auch so formulieren:Beispiel 6.15. Die Determinante ist ein Gruppenhomomorphismus det : GLn(Q)→ Q×,das heißt det In = 1, wobei In für die Einheitsmatrix der Größe n steht, und det(A ·B) =(detA) · (detB) für zwei quadratische Matrizen der Größe n.Aus der Analysis ist ein weiteres wichtiges Beispiel bekannt:

Beispiel 6.16. Analog zur Definition der Gruppen (Q,+, 0) und (Q×, ·, 1) können wirauch die additive Gruppe (C,+, 0) und die multiplikative Gruppe (C×, ·, 1) der kom-plexen Zahlen definieren. Die Exponentialabbildung ist ein Gruppenhomomorphismusexp: C→ C×.Abelsche Gruppen erlauben viele weitere natürliche Gruppenhomomorphismen. Ein

Beispiel wollen wir angeben. Dazu benötigen wir zunächst folgende Definition: Sei x einElement einer Gruppe und n eine ganze Zahl. Wir setzen dann

xn :=

1 für n = 0,x · x · · ·x︸ ︷︷ ︸

n

für n > 0 und

(x−1)−n für n < 0.

222

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6.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen

Diese Setzung ist im Falle von n = −1 im Einklang mit der schon eingeführten Bezeich-nung für inverse Elemente und erfüllt die üblichen Potenzrechenregeln, das heißt, wirhaben x0 = 1 und xn+m = xn · xm für zwei ganze Zahlen n und m. Wir können dasletztgesagte auch so ausdrücken, daß

Z→ G, n 7→ xn

ein Gruppenhomomorphismus von der additiven Gruppe der ganzen Zahlen nach G ist.Schließlich vereinbaren wir, daß wir (im Einklang mit den üblichen Bezeichnungen inRechenbereichen) im Falle additiv geschriebener Gruppen n ·x anstelle von xn schreiben.Kommen wir zu unserem Beispiel:Beispiel 6.17. Sei n eine ganze Zahl. Sei A eine abelsche Gruppe. Dann ist

A→ A, x 7→ n · x

ein Gruppenhomomorphismus, welcher im allgemeinen einfach mit n bezeichnet wird.Wir können aus vorgegebenen Gruppen leicht neue Gruppen gewinnen. Wir kommen

am Ende dieses Abschnittes schließlich zu zwei wichtigen Beispielen für die Konstruktionneuer Gruppen.

Konzept 6.18. Seien G und H zwei Gruppen. Das direkte Produkt G × H von Gund H ist die Gruppe, deren zugrundeliegende Menge die Menge der Paare (g, h) vonElementen g ∈ G und h ∈ H ist, deren Gruppeneins durch 1 := (1, 1) gegeben wird undderen Multiplikation durch

· : (G×H)× (G×H)→ (G×H), (g, h) · (g′, h′) 7→ (gg′, hh′)

gegeben ist.

(Durch die in Konzept 6.18 gegebene Konstruktion von (G×H, ·, 1) werden in der Tatdie Gruppenaxiome erfüllt, wovon sich jeder leicht selbst überzeugen kann.)Da sich die Menge von Paaren als Produkt aus der Mächtigkeit der Faktoren ergibt,

können wir leicht eine Aussage über die Ordnung des direkten Produktes zweier Gruppenhinschreiben:

Proposition 6.19. Seien G und H zwei Gruppen endlicher Ordnung. Für die Ordnungdes direkten Produktes G×H gilt dann

[G×H : 1] = [G : 1] · [H : 1].

Wir überlassen es dem Leser, das Konzept des direkten Produktes auf mehr als zwei(oder allgemein auf durch eine Menge indizierte) Faktoren auszudehnen.Beispiel 6.20. Wir erinnern an die Kleinsche Vierergruppe V4 aus Abschnitt 5.8 aufSeite 204: Diese war durch

V4 = id, (1, 2) (3, 4), (1, 3) (2, 4), (1, 4) (2, 3) ⊆ S4

223

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6. Gruppen

definiert. Diese Gruppe ist isomorph zu einem direkten Produkt, wie wir zeigen wollen:Dazu nennen wir die drei von der Identität verschiedenen Elemente von V4 der Ein-

fachheit halber einfach g, h und k. Es gilt g2 = 1, h2 = 1 und k2 = 1. Weiter istdas Produkt von je zweien der Elemente g, h und k das jeweils dritte, wie sich schnellnachrechnen läßt. Das von der Identität verschiedene Element in der zyklischen GruppeC2 = id, (1, 2) = S2 nennen wir x. Es gilt x2 = 1. Durch

C2 × C2 → V4,

(1, 1) 7→ 1,(x, 1) 7→ g,

(1, x) 7→ h,

(x, x) 7→ k

wird ein Isomorphismus von Gruppen definiert. Jegliche Permutation von g, h und k aufder rechten Seite würde ebenfalls einen Isomorphismus geben. Wir sehen also, daß dieKleinsche Vierergruppe auf insgesamt 3! = 6 verschiedene Weisen zum direkten Produktvon C2 mit C2 isomorph ist.Neben dem direkten Produkt gibt es noch den interessanten Begriff des freien Pro-

duktes von Gruppen, welches wir im folgenden beschreiben wollen. Sei dazu G1, . . . , Gneine Aufzählung von Gruppen. Ein Wort über G1, . . . , Gn ist eine Folge x1x2 · · ·xm vonElementen x1, . . . , xm, wobei jedem Element xj eine Gruppe Gi aus G1, . . . , Gn mitxj ∈ Gi zugeordnet ist. Insbesondere gibt es das leere Wort, welches sich für m = 0ergibt. Zwei Worte sind gleich, wenn sie durch endlich viele der folgenden Operationenineinander überführt werden können:

1. Ist x = x1x2 · · ·xm ein Wort und e das neutrale Element einer der Gruppen Gi,so ist x gleich dem Worte x1 · · ·xjexj+1 · · ·xm, welches sich durch Einfügen desneutralen Elementes ergibt

2. Ist x = x1x2 · · ·xm ein Wort und ist xj und xj+1 dieselbe Gruppe Gi zugeordnet (sodaß wir insbesondere das Produkt xj ·xj+1 in G bilden können), so ist x gleich demWort x1 · · ·xj−1(xj ·xj+1)xj+2 · · ·xm, welches sich durch Zusammenmultiplikationbenachbarter kompatibler Elemente ergibt.

Zum Beispiel gilt in der Menge der Worte dadurch die Gleichheit

yxx−1z = yez = yz,

wenn x, y und z Elemente der Gruppen G1, . . . , Gn sind. Wir dürfen in Worten also„kürzen“.Die so definierte Menge der Worte über G1, . . . , Gn bezeichnen wir mit

G1 ∗G2 ∗ · · · ∗Gn.

Sind x = x1 · · ·xm und y = y1 · · · y` zwei Worte, so ist ihre Hintereinandersetzung

xy := x1 · · ·xmy1 · · · y`

wieder ein wohldefiniertes Wort.

224

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6.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen

Konzept 6.21. Das freie Produkt G1 ∗· · ·∗Gn der Gruppen G1, . . . , Gn ist die Gruppe,deren zugrundeliegende Menge die Menge der Worte über G1, . . . , Gn ist, deren Grup-peneins durch das leere Wort und deren Multiplikation durch die Hintereinandersetzungvon Worten definiert ist.

(Wie im Falle des direkten Produktes ist nachzuweisen, daß die Konstruktion des freienProduktes wirklich alle Gruppenaxiome erfüllt.)Auch im Falle der freien Gruppen gibt es eine — hoffentlich — offensichtliche Verallge-

meinerung auf das freie Produkt einer über eine Menge indizierte Familie von Gruppen.Das freie Produkt endlicher Gruppen muß nicht wieder endlich sein. Genaugenommen

ist schon das freie Produkt G ∗ H zweier beliebiger nicht trivialer Gruppen G und Hkeine endliche Gruppe mehr: Ist etwa g ein vom neutralen Element in G verschiedenesElement in G und h ein vom neutralen Element in H verschiedenes Element in H, sosind die Worte

1, gh, ghgh, ghghgh, . . .

paarweise verschieden. (Hierbei bezeichnet 1 das leere Wort.)Beispiel 6.22. Die Menge

H := x+ y i | x, y ∈ R, y > 0

der komplexen Zahlen mit positivem Imaginärteil heißt die obere Halbebene. Mit Aut(H)bezeichnen wir die Menge der biholomorphen Abbildungen von der oberen Halbebeneauf sich selbst. (Dabei heißt eine Abbildung f : H → H holomorph1, wenn sie lokal inH durch eine Potenzreihe ausgedrückt werden kann. Sie heißt biholomorph, wenn sieholomorph und bijektiv ist und wenn ihre Umkehrung ebenfalls holomorph ist.) Da dieKomposition biholomorpher Abbildungen wieder biholomorph ist, wird Aut(H) zu einerGruppe, indem wir die identische Abbildung als Gruppeneins und die Komposition alsGruppenverknüpfung definieren. Elemente in Aut(H) bezeichnen wir auch als Automor-phismen der oberen Halbebene. Zwei wichtige Beispiele für Automorphismen sind dieBijektionen

s : H→ H, z 7→ −1z,

und

t : H→ H, z 7→ z + 1.

Insbesonde gilt st : z 7→ − 11+z . Diese Abbildungen erfüllen die Relationen s2 = 1 = (st)3.

Wir können diese Abbildungen nutzen, um eine Beziehung zwischen einem freien Pro-dukt und der Automorphismengruppe der oberen Halbebene herzustellen: Seien x einvon der Identität verschiedenes Element von C2 und y ein von der Identität verschiede-nes Element von C3, so daß insbesondere x2 = 1 und y3 = 1 gelten. Jedes Element in

1Mehr dazu weiß die Funktionentheorie zu sagen.

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6. Gruppen

C2 und C3 wird weiter durch eine Potenz von x beziehungsweise von y gegeben. Wörterin C2 ∗ C3 können wir also alle in der Form xa1yb1xa2yb2 · · ·xamybm schreiben. Durch

C2 ∗ C3 → Aut(H), xa1yb1 · · ·xamybm 7→ sa1(st)b1 · · · sam(st)bm

wird schließlich ein Gruppenhomomorphismus definiert, von dem sich sogar zeigen läßt,daß er injektiv ist.Die Einführung des freien Produktes ist an dieser Stelle noch wenig motiviert. Abge-

sehen davon, daß es uns neue Beispiele für Gruppen liefert, haben wir bisher noch keineAussage über freie Produkte, die sie für Anwendungen interessant machen könnten, odereine Anwendung in der Gruppentheorie selbst. Dies werden wir in einem späteren Ab-schnitt nachholen, in dem wir freie Produkte nutzen werden, um durch Erzeuger undRelationen gegebene Gruppen zu konstruieren. An dieser Stelle können wir aber wenig-stens schildern, wo freie Produkte „in der Natur“ auftauchen:Angenommen, wir wollen ein Bild an zwei Nägeln an einer Wand aufhängen. Dazu

haben wir eine Seilschlaufe an dem Bilderrahmen befestigt, welche wir um die beidenNägel legen wollen. Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, daß das Seil beliebigflexibel, insbesondere also genügend lang ist. Wie können wir das Seil um die beidenNägel legen? Dazu können wir schrittweise vorgehen: Wir legen das Seil zunächst einegewisse Anzahl von Umschlingungen um den rechten Nagel, bezeichnen wir diese Anzahlmit der ganzen Zahl n1, wobei wir Umschlingungen gegen den mathematisch positivenSinne negativ zählen. Als dann können wir das Seil für eine gewisse Anzahl m1 denlinken Nagel umschlingen lassen. Wir können damit fortfahren, das Seil danach wiederden rechten Nagel n2-mal umschlingen zu lassen, danach wieder den linken Nagen fürm2 Umschlingungen, usw., bis wir endlich der Meinung sind, daß das Bild sicher genugan der Wand hängt. Die gewonnene Konfiguration des Seiles können wir in der Formn1m1n2m2 · · ·nkmk als Wort schreiben. Dies ist ein Wort im Sinne des freien ProduktesZ∗Z. Hierbei steht die erste Kopie der Gruppe Z für Umschlingungen des rechten Nagelsund die zweite Kopie für Umschlingungen des linken Nagels. Das Bild fällt genau dannnicht von der Wand, wenn wir die Nägel nicht trivial umschlungen haben, wenn nämlichn1m1 · · ·nkmk vom leeren Wort, der Gruppeneins, unterschiedlich ist.Wir können uns die Frage stellen, was passiert, wenn wir einen Nagel der beiden aus

der Wand ziehen. Hängt unser Bild dann immer noch? Um diese Frage zu beantworten,fassen wir sie mathematisch. Das Ziehen eines Nagels — sagen wir des linken — führtdazu, daß wir nur noch eine Art von Umschlingung zählen müssen, nämlich die desrechten Nagels. Die Anzahl der Konfigurationen des Seiles mit einem Nagel wird alsonur noch durch die Gruppe Z gegeben. Das Bild fällt mit einem Nagel genau dannnicht herunter, wenn diese Konfiguration einer ganzen Zahl ungleich Null entspricht.Indem wir einen Nagel ziehen, bilden wir eine Seilkonfigurationen für zwei Nägel aufeine Seilkonfiguration für einen Nagel ab. Dies können wir als Abbildung

φ : Z ∗ Z→ Z, n1m1n2m2 · · ·nkmk 7→ n1n2 · · ·nk = n1 + n2 + · · ·+ nk

beschreiben. Dem Ziehen des anderen Nagels entspricht die Abbildung

ψ : Z ∗ Z→ Z, n1m1n2m2 · · ·nkmk 7→ m1m2 · · ·mk = m1 +m2 + · · ·+mk.

226

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6.1. Gruppen und Gruppenhomomorphismen

Ein beliebtes Rätsel ist jetzt die Frage, ob wir das Bild mit zwei Nägeln so aufhängenkönnen, daß es nicht herunterfällt, aber herunterfiele, wenn wir einen der beiden, egalwelchen, Nagel zögen. Mathematisch heißt dies: Gibt es ein nicht triviales Wort x (d.h. einvom leeren Wort unterschiedliches Wort) in Z∗Z, für welches φ(x) = 0 und ψ(x) = 0 ist?Wir können die Frage positiv beantworten. So ist zum Beispiel x = 11′(−1)(−1′) ∈ Z∗Z(hierbei haben wir Zahlen aus der zweiten Kopie von Z der Unterscheidbarkeit wegenmit einem Strich versehen) ein Wort, von dem sich zeigen läßt, daß es nicht trivial istund für das φ(x) = 1− 1 = 0 und ψ(x) = 1′ − 1′ = 0 gilt.

Bemerkung 6.23. Die Anwendung mit dem Bild hat noch einen mathematischeren Hin-tergrund: In der algebraischen Topologie werden für punktierte topologische Räume (dassind topologische Räume X mit einem ausgezeichneten Punkt x, dem sogenannten Ba-sispunkt) sogenannte Fundamentalgruppen π1(X,x) definiert. Sind in R2 drei paarweiseverschiedene Punkte P , Q und R gegeben, so läßt sich zeigen, daß die Fundamentalgrup-pe von R2 \ Q,R mit Basis P isomorph zu Z ∗Z ist. (Dabei entspricht P dem Bild, Qdem einen und R dem anderen Nagel.)

AufgabenAufgabe 6.1.1. Gibt es auf der Menge aller rationaler Zahlen eine Gruppenstruktur, sodaß die Gruppenverknüpfung die Multiplikation ist?

Aufgabe 6.1.2. Finde zwei quadratische Matrizen A, B gleicher Größe über den rationalenZahlen, so daß A ·B 6= B ·A.

Aufgabe 6.1.3. Sei G eine Gruppe und e ∈ G ein Element, so daß e · x = x für alleElemente x aus G gilt. Zeige, daß dann schon e = 1.

Aufgabe 6.1.4. Sei G eine Gruppe. Seien a und b zwei Gruppenelemente. Gesucht seienGruppenelemente x, welche die Gleichung

ax = b

erfüllen. Zeige, daß es genau eine Lösung x gibt.

Aufgabe 6.1.5. Sei n eine ganze Zahl. Ist für eine allgemeine Gruppe G die Potenzabbil-dung

G→ G, x 7→ xn

ein Gruppenhomomorphismus?

Aufgabe 6.1.6. Sei G eine Gruppe. Sei weiter y ein Element in G. Zeige, daß die Konju-gation G→ G, x 7→ yxy−1 ein Gruppenisomorphismus ist.

Aufgabe 6.1.7. Sei G eine Gruppe mit der Eigenschaft, daß x2 = 1 für jedes Elementx ∈ G gilt. Zeige, daß G eine abelsche Gruppe ist.

Aufgabe 6.1.8. Seien G und H zwei zweielementige Gruppen. Zeige, daß G und H aufgenau eine Art und Weise zueinander isomorph sind.

Aufgabe 6.1.9. Gib einen kanonischen Isomorphismus zwischen Aut(C4) und C2 an.

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6. Gruppen

Aufgabe 6.1.10. Seien G und H zwei abelsche Gruppen. Zeige, daß dann auch G × Heine abelsche Gruppe ist.Aufgabe 6.1.11. Wie gehabt, bezeichnen wir mit C2 eine zyklische Gruppe der Ordnung2 und mit C4 eine zyklische Ordnung der Ordnung 4. Zeige Sie, daß es keinen Isomor-phismus zwischen den Gruppen C2×C2 und C4 gibt. Folgern Sie, daß es nicht isomorpheendliche Gruppen gleicher Ordnung gibt.Aufgabe 6.1.12. Sei G eine Gruppe, so daß die Multiplikationsabbildung

µ : G×G→ G, (x, y) 7→ xy

ein Gruppenhomomorphismus ist. Zeigen Sie, daß G abelsch ist.Aufgabe 6.1.13. Seien G und H zwei Gruppen. Seien g ∈ G und h ∈ H. Zeige, daß

1, gh, ghgh, ghghgh, . . .

paarweise verschiedene Elemente von G ∗H sind, falls g 6= 1 und h 6= 1 gelten.Aufgabe 6.1.14. Sei G eine Gruppe. Gib einen kanonischen Gruppenisomorphismus vonG ∗ 1 nach G an, wobei 1 die triviale Gruppe bezeichnet.Aufgabe 6.1.15. Zeige, daß 11′(−1)(−1′) in Z ∗ Z nicht trivial ist.

6.2. Untergruppen und NebenklassenIm letzten Abschnitt haben wir gesehen, wie wir die aus Teil I bekannten symmetrischenGruppen im Kontext des allgemeineren Konzeptes einer Gruppe verstehen können. Abersymmetrische Gruppen waren nicht die einzigen Gruppen, die wir in Teil I betrachtethaben: Wir haben allgemeiner Permutationsgruppen betrachtet, also endliche Aufzäh-lungen paarweiser verschiedener Permutationen, welche die Identität umfassen und ab-geschlossen bezüglich Inversenbildung und Komposition sind. Eine Permutationsgruppeist also eine Teilmenge einer symmetrischen Gruppe mit gewissen Abschlußeigenschaf-ten. Dies können wir allgemeiner auf das Konzept der Gruppe aus Abschnitt 6.1 aufSeite 217 ausdehnen:

Definition 6.24. Sei G eine Gruppe. Eine Untergruppe H von G ist eine Teilmenge vonG mit 1 ∈ H und x−1 ∈ H und x · y ∈ H, wann immer x, y ∈ H.

Eine Permutationsgruppe ist also nichts anderes als eine Untergruppe einer symme-trischen Gruppe.Um nachzuweisen, daß eine Teilmenge H von G eine Untergruppe ist, reicht es zu

zeigen, daß in H mindestens ein Element liegt und daß für jedes Paar von Elementenx und y in H auch das Element y−1x in H liegt: Zunächst existiert ein x ∈ H, womitauch 1 = x−1x in H liegt. Damit liegt für beliebiges x ∈ H auch x−1 = x−1 · 1 in H.Schließlich folgt daraus für beliebige x, y ∈ H, daß auch xy = (x−1)−1y ∈ H liegt.Wir halten an dieser Stelle fest — auch wenn es als trivial erscheinen kann —, daß

jede Untergruppe einer Gruppe selbst wieder in kanonischer Weise eine Gruppe ist: die

228

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6.2. Untergruppen und Nebenklassen

Gruppeneins der Untergruppe ist die Gruppeneins der Gruppe und die Gruppenverknüp-fung der Untergruppe ist die Einschränkung der Gruppenverknüpfung der Gruppe aufdie Untergruppe (daß diese Einschränkung nicht aus der Untergruppe herausführt ist jagerade Teil der Definition einer Untergruppe).Beispiel 6.25. Sei I eine endliche Untergruppe der (additiven Gruppe der) ganzen Zahlen.Dann ist I abgeschlossen unter Negation und Summation. Insbesondere sind ganzzahligeVielfache eines Elementes aus I wieder in I. Wäre also ein von Null verschiedenes Elementin I enthalten, so wäre I nicht mehr endlich. Die einzige endliche Untergruppe von Z istalso (0) := 0.Beispiel 6.26. Sei n eine natürliche Zahl. Auf den Vektoren in Qn läßt sich bekanntlichein Skalarprodukt (also eine symmetrische Bilinearform) durch 〈v, w〉 := v>·w definieren,wobei v und w für zwei beliebige Vektoren aus Qn stehen. Eine Matrix A aus GLn(Q)heißt bekanntlich orthogonal, wenn sie mit diesem Skalarprodukt verträglich ist, wennalso

〈A · v,A · w〉 = 〈v, w〉

gilt. Nach Definition des Skalarproduktes ist dies gleichbedeutend damit, daß A>·A = In,wobei In für die Einheitsmatrix der Größe n steht. Wir setzen

On(Q) := A ∈ GLn(Q) | A> ·A = In.

Die elementaren Rechenregeln für das Transponieren aus der linearen Algebra zeigen,daß On(Q) eine Untergruppe der allgemeinen linearen Gruppe GLn(Q) ist. Diese Un-tergruppe heißt orthogonale Gruppe über Q. Analog können wir On(R), On(C), etc.definieren.Ein typisches Beispiel für Untergruppen wird durch die folgende Proposition gegeben:

Proposition 6.27. Sei φ : G→ H ein Homomorphismus zwischen Gruppen G und H.Dann ist sein Bild

imφ = φ(x) | x ∈ G ⊆ H

eine Untergruppe von H.

Beweis. Da φ ein Gruppenhomomorphismus ist, ist jedenfalls 1 = φ(1) ∈ imφ. Alsnächstes müssen wir zeigen, daß das Produkt zweier Elemente aus imφ wieder in imφliegt. Dies folgt sofort aus der Homomorphieeigenschaft von φ: Zwei Elemente in imφsind von der Form φ(x) und φ(y) mit x, y ∈ G. Dann gilt φ(x) · φ(y) = φ(x · y) ∈ imG.Schließlich bleibt zu zeigen, daß für alle x ∈ G auch φ(x)−1 in imφ liegt. Dazu zeigen

wir die auch ansonsten wichtige Tatsache, daß

φ(x)−1 = φ(x−1)

für einen beliebigen Gruppenhomomorphismus: Es ist nachzurechnen, daß die rechteSeite die definierende Eigenschaft der linken Seite hat, daß also φ(x−1) · φ(x) = 1. Diesfolgt aber aus der Homomorphieeigenschaft von φ, denn es ist φ(x−1)·φ(x) = φ(x−1 ·x) =φ(1) = 1.

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6. Gruppen

Wieso haben wir dieses Beispiel „typisch“ genannt? Betrachten wir dazu eine beliebigeUntergruppe H einer beliebigen Gruppe G. Die Inklusionsabbildung

ι : H → G, x 7→ x

ist nach Definition der Gruppenstruktur auf H gerade ein (injektiver) Gruppenhomo-morphismus. Dessen Bild in G ist offensichtlich gerade H. Wir erhalten also, daß jedeUntergruppe als Bild eines Gruppenhomomorphismus’ entsteht. In diesem Sinne sindBilder von Gruppenhomomorphismen typische Vertreter von Untergruppen.Eng verbunden mit einem Gruppenhomomorphismus ist zudem eine weitere Unter-

gruppe:

Proposition 6.28. Sei φ : G→ H ein Homomorphismus zwischen Gruppen G und H.Dann ist sein Kern

kerφ := x ∈ G | φ(x) = 1 ⊆ G

eine Untergruppe von G.

Beweis. Da φ(1) = 1 liegt zunächst einmal 1 im Kern. Sind weiter x, y in G mit φ(x) =1 = φ(y), so folgt auch φ(xy) = φ(x) · φ(y) = 1 · 1 = 1. Es bleibt zu zeigen, daßauch die Inversen von Elementen in kerφ wieder in kerφ liegen. Dies folgt aber aus derallgemeinen Tatsache, daß φ(x−1) = φ(x)−1 und 1−1 = 1.

Kerne sind im Gegensatz zu Bildern keine typischen Untergruppen, das heißt, nichtjede Untergruppe läßt sich als Kern eines Gruppenhomomorphismus’ schreiben. Dieje-nigen, für die dies jedoch der Fall ist, sind so wichtig, daß sie einen eigenen Namenbekommen; sie werden Normalteiler genannt und sind eine direkte Verallgemeinerungder aus Teil I bekannten Normalteiler. Wir befassen uns in Abschnitt 6.4 auf Seite 248ausführlicher mit ihnen.Beispiel 6.29. Sei n eine natürliche Zahl. Wir erinnern daran, daß die Determinantedet : GLn(Q)→ Q× ein Gruppenhomomorphismus ist. Sein Kern ist

SLn(Q) := A ∈ GLn(Q) | detA = 1,

die Menge der quadratischen Matrizen der Größe n mit Determinante 1. Die GruppeSLn(Q) heißt spezielle lineare Gruppe über den rationalen Zahlen. Analog können wirauch SLn(Z), etc. definieren.Die Injektivität eines Gruppenhomomorphismus läßt sich leicht am Kern festmachen,

und zwar gilt:

Proposition 6.30. Ein Gruppenhomomorphismus φ : G → H ist genau dann injektiv,wenn sein Kern die triviale (Unter-)gruppe von G ist.

Beweis. Die eine Richtung der Aussage ist trivial. Beweisen wir die andere. Nehmen wirdazu an, daß φ einen trivialen Kern habe. Wir müssen zeigen, daß φ injektiv ist. Seiendazu x, y ∈ G mit φ(x) = φ(y). Zu zeigen ist, daß x = y. Dazu berechnen wir

φ(y−1x) = φ(y−1)φ(x) = φ(y)−1φ(x) = φ(x)−1φ(x) = 1 · 1 = 1.

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6.2. Untergruppen und Nebenklassen

Da nach Voraussetzung der Kern von φ nur aus 1 besteht, haben wir also y−1x = 1.Multiplizieren dieser Gleichung mit y von links liefert schließlich x = y.

Sind H und K zwei Gruppen, so können wir beide Gruppen kanonisch mit Untergrup-pen im direkten Produkte H ×K identifizieren: Es sind

H → H ×K, x 7→ (x, 1)

und

K → H ×K, y 7→ (1, y)

jeweils injektive Gruppenhomorphismen, welche jeweils einen Gruppenisomorphismusauf ihr Bild H × 1 bzw. 1 × K in H × K induzieren. Wir sagen daher auch, daß eindirektes Produkt H × K ein direktes Produkt zweier Untergruppen ist. Es stellt sichdie Frage, wann eine beliebige vorgegebene Gruppe direktes Produkt zweier gegebenerUntergruppen ist. Die Antwort dazu gibt folgende Proposition:

Proposition 6.31. Seien G eine Gruppe und H und K zwei Untergruppen von G, andie wir folgende Bedingungen stellen: Der Schnitt H ∩K bestehe nur aus dem Element1. Weiter lasse sich jedes Element z in G in der Form z = xy mit x ∈ H und y ∈ Kschreiben, und für je zwei Elemente x ∈ H und y ∈ K gelte xy = yx. Dann ist dieAbbildung

φ : H ×K → G, (x, y) 7→ xy

ein Isomorphismus von Gruppen.

Beweis. Die Abbildung ist nach Voraussetzung sicherlich surjektiv. Weiter ist sie einHomomorphismus, denn φ((1, 1)) = 1 · 1 = 1 und

φ((x, y) · (x′, y′)) = φ((xx′, yy′)) = xx′yy′ = xyx′y′ = φ((x, y)) · φ((x′, y′))

für alle (x, y), (x′, y′) ∈ H × K. Damit bleibt es zu zeigen, daß φ injektiv ist. Wirberechnen dazu den Kern, um die eben bewiesene Proposition 6.30 auf der vorherigenSeite ausnutzen zu können: Sei (x, y) ∈ H × K mit 1 = φ((x, y)) = xy. Es folgt, daßy = x−1. Es ist x in H und damit auch sein Inverses y. A priori ist y außerdem in K.Nach Voraussetzung haben H und K nur ein Element, nämlich 1 gemeinsam, also gilty = 1. Es folgt ebenfalls x = y−1 = 1. Damit ist der Kern trivial, φ also injektiv.

Wir müssen an dieser Stelle an eine weitere Definition erinnern, die wir in Abschnitt 4.5auf Seite 142 für Permutationsgruppen gemacht haben. Ist H eine Untergruppe einer(Permutations-)gruppe G, so haben wir gesagt, daß zwei Elemente x ∈ G und y ∈ Gkongruent modulo H sind, wenn y−1x ∈ H, wenn also ein h ∈ H mit x = yh existiert.Diese Definition können wir offensichtlich mutatis mutandis auf den Fall des allgemeinenGruppenkonzeptes und seiner Untergruppen übertragen. Ist x ein Element aus G, soheißt die Menge der zu x modulo H kongruenten Elemente die Linksnebenklasse von xmodulo H, symbolisch geschrieben als

xH = xh | h ∈ H.

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6. Gruppen

Mit G/H bezeichnen wir die Menge, deren Elemente durch Gruppenelemente aus Grepräsentiert werden und die in G/H genau dann miteinander identifiziert werden, wennsie kongruent modulo H sind, wenn sie also in derselben Linksnebenklasse modulo Hliegen. Die Menge G/H steht damit in kanonischer Bijektion mit allen Linksnebenklassenvon H in G. Im Falle, daß G/H eine endliche Menge ist, nennen wir ihre Mächtigkeitden Index von H in G und schreiben für diese natürliche Zahl [G : H]. Diese Definitionverallgemeinert offensichtlich unsere bisherige Definition des Index’ aus Abschnitt 4.5 aufSeite 142. Wie dort ist der Index [G : 1] (hierbei bezeichnet 1 die triviale Untergruppevon G) im Falle der Existenz gerade die Gruppenordnung von G.

Beispiel 6.32. Es kann ohne Weiteres der Fall sein, daß eine Gruppe G und eine Unter-gruppe H von G jeweils nicht endlich sind, trotzdem aber der Index von H in G endlichist (wir sagen dann, daß H endlichen Index in G habe). Ein Beispiel wird durch dasfolgende gegeben: Sei n eine natürliche Zahl. Mit

SOn(R) := ker(det On(R)→ R×) = A ∈ On(R) | detA = 1

bezeichnen wir die spezielle orthogonale Gruppe (in der Dimension n) über R. DieseGruppe ist eine Untergruppe der orthogonalen Gruppe On(R) (und nebenbei auch derspeziellen linearen Gruppe SLn(R)). Wir behaupten, daß sie für n ≥ 1 endlichen Index2 in On(R) hat.Um das einzusehen, überlegen wir uns zunächst, daß die Determinante konstant auf

jeder Nebenklasse modulo SOn ist, sie ist also eine wohldefinierte Funktion auf G/H.Weiter überlegen wir, welche Determinanten bei orthogonalen Matrizen A überhauptauftreten können: Es ist

1 = det(In) = det(A>A) = det(A>) · detA = (detA)2,

das heißt wir haben detA ∈ 1,−1. Damit besitzt G/H höchstens zwei Elemente, diemit Determinante 1 und die mit Determinante −1. Beide Determinanten kommen abervor. So hat die Identität die Determinante 1, und die Spiegelung

−1 0 . . . 0

0 1 . . . ...... . . . . . . 00 . . . 0 1

∈ On(R)

ist zum Beispiel eine orthogonale Matrix mit Determinante −1. Wir haben also eine sur-jektive Abbildung det : On(R)/ SOn(R)→ 1,−1. Diese ist auch injektiv: Sind nämlichA, B ∈ On(R) mit detA = detB, so ist B−1 · A ∈ SOn(R), denn det(B−1A) = 1.Folglich gilt A = B modulo SOn(R). Es gibt also genau zwei Nebenklassen, die durchdie Determinante unterschieden werden.Schließlich halten wir fest, daß On(R) und SOn(R) für n ≥ 2 aus unendlich vielen

Elementen bestehen.

232

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6.2. Untergruppen und Nebenklassen

Wir haben oben explizit von „Linksnebenklassen“ gesprochen. Es gibt nämlich auchden Begriff der Rechtsnebenklasse modulo H. Dies sind Teilmengen von G der Form

Hx = hx | h ∈ H

für Elemente x in G, welche aufgrund der im allgemeinen nicht vorhandenen Kom-mutativität der Gruppenverknüpfung nicht mit Linksnebenklassen übereinstimmen. InAnalogie zum Obigen bezeichnen wir mit H\G dann die Menge, deren Elemente wiederdurch Gruppenelemente aus G repräsentiert werden und die in H\G genau dann mitein-ander identifiziert werden, wenn sie in der selben Rechtsnebenklasse modulo H liegen;das heißt, H\G steht in kanonischer Bijektion zu den Rechtsnebenklassen modulo H inG. Ist diese Menge endlich, bietet es sich an, einen weiteren Index von H in G zu defi-nieren, nämlich die Anzahl der Rechtsnebenklassen von H. Es stellt sich jedoch heraus,daß dieser Index mit dem bisher definierten zusammenfällt, daß wir also nicht von einem„Links-“ und einem „Rechtsindex“ von H in G sprechen müssen:

Proposition 6.33. Die kanonische Abbildung

G/H → H\G, x 7→ x−1

ist eine Bijektion. Ist eine der beiden Mengen G/H beziehungsweise H\G also endlich,so ist es auch die andere und hat dieselbe Anzahl von Elementen.

Beweis. Im Falle, daß die Abbildung wohldefiniert ist, ist aus Symmetriegründen auchdie Abbildung H\G → G/H, y 7→ y−1 wohldefiniert. Diese wäre die Umkehrung, wirhätten also eine Bijektion. Damit bleibt nur noch, die Wohldefiniertheit zu zeigen: Dazuseien x und x′ Elemente in G, welche in G/H gleich sind, das heißt, wir haben x = x′hfür ein h ∈ H. Es folgt, daß x−1 = h−1x′−1. Da h−1 wieder ein Element in H ist, sinddamit x−1 und x′−1 in H\G gleich.

In Abschnitt 4.5 auf Seite 142 haben wir den Satz von Lagrange kennengelernt, welcherfür eine Permutationsgruppe G mit einer endlichen Untergruppe H feststellt, daß

[G : 1] = [G : H] · [H : 1].

Aus diesem Satz läßt sich sofort die allgemeinere Tatsache herleiten, daß

[G : K] = [G : H] · [H : K]

für eine weitere endliche Untergruppe von H (die ursprüngliche Aussage bekommen wirfür K = 1 zurück). Schauen wir noch einmal in den Beweis von Proposition 4.12 aufSeite 135, so sehen wir, daß dem Beweis die Existenz folgender Bijektion zugrundeliegt:Ist R ein Repräsentantensystem der Linksnebenklassen von H (insbesondere haben wiralso eine kanonische Bijektion von R nach G/H), so ist

R×H/K 7→ G/K, (x, y) 7→ xy

233

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6. Gruppen

zunächst einmal eine wohldefinierte Abbildung, welche wie die entsprechende Abbildungim Beweis von Proposition 4.12 auf Seite 135 surjektiv ist. Die Injektivität folgt auch wiedort: Ist (x′, y′) ∈ R×H/K ein weiteres Element mit x′y′ = xy in G/K, also x′y′ = xyzfür ein z ∈ K ⊆ H, so folgt x′−1x = y′z−1y−1 ∈ H. Da R aber ein Repräsentantensystemist, haben wir x′ = x. Es folgt y′ = y in H/K. Wir haben also gezeigt:

Proposition 6.34. Sei G eine Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G und K eineUntergruppe von H. Ist dann der Index von je zwei der drei Untergruppen K ⊆ G,H ⊆ G und K ⊆ H endlich, so ist es auch der dritte, und es gilt der Satz von Lagrange:

[G : K] = [G : H] · [H : K]

Als wichtigste Anwendung halten wir wieder fest: Ist G eine endliche Gruppe und Heine endliche Untergruppe, so ist die Ordnung von H ein Teiler der Ordnung von G undder Index von H in G ist ebenfalls ein Teiler der Ordnung von G.An dieser Stelle können wir die Ordnung ordx eines Elementes x in einer Gruppe G

wie in Abschnitt 4.5 auf Seite 142 im Falle ihrer Existenz als kleinste positive Zahl edefinieren, für die xe = 1 gilt (wir sagen dann insbesondere, daß x endliche Ordnung inG hat). Wie in Abschnitt 4.5 auf Seite 142 zeigt sich, daß die Elementordnung von x mitder Ordnung der von x erzeugten Untergruppe, das heißt der Untergruppe

〈x〉 = . . . , x−2, x−1, 1, x, x2, . . .

übereinstimmt, das heißt wir haben wieder

ordx = [〈x〉 : 1].

(Im Falle endlicher Ordnung e, können wir sogar genauer sagen, daß

〈x〉 = 1, x, x2, . . . , xe−1

mit paarweise verschiedenen Elementen.) Aus Proposition 6.34 folgt damit insbesondere:

Proposition 6.35. Sei G eine Gruppe endlicher Ordnung und x ∈ G ein Elementendlicher Ordnung. Dann ist die Ordnung von x ein Teiler der Ordnung von G.

Sind G und x wie in der Proposition, so gilt

x[G:1] = 1,

denn [G : 1] = k ordx für ein k ∈ Z nach Definition der Teilbarkeit und xk ordx =(xordx)k = 1k = 1.Wie schon in Teil I nennen wir eine Gruppe G zyklisch, wenn sie ein Element x besitzt,

so daß G von der Form G = 〈x〉 ist, also genau dann, wenn jedes Element von G sichals Potenz des Elementes x schreiben läßt. Es heißt x Erzeuger der zyklischen Gruppe

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6.2. Untergruppen und Nebenklassen

G. Eine zyklische Gruppe ist genau dann endlich, wenn ein Erzeuger endliche Ordnunghat, und die Ordnungen stimmen dann überein.In Teil I haben wir endliche zyklische Gruppen, nämlich die Cn, n ∈ N, schon ken-

nengelernt. Wir können sogar zeigen, daß je zwei endliche zyklische Gruppen G und Hderselben Ordnung n isomorph sind: Seien x ein Erzeuger von G und y ein Erzeuger vonH. Dann wird durch

G→ H, xk 7→ yk

ein wohldefinierter Gruppenhomomorphismus gegeben. (In die Wohldefiniertheit gehtentscheidend ein, daß x und y dieselbe Ordnung haben. Warum?) Um dessen Kern zubestimmen, betrachten wir k ∈ Z mit yk = 1. Wir können uns nach dem oben gesag-ten auf k ∈ 0, . . . , n − 1 beschränken. In diesem Falle folgt aus yk = 1 aber k = 0nach Definition der Ordnung n = ord y von y. Wegen x0 = 1 ist der Kern des ange-gebenen Gruppenhomomorphismus’ G → H damit trivial, die Abbildung also injektiv.Als Abbildung zwischen Mengen gleicher Mächtigkeit ist sie damit auch surjektiv undG und H damit isomorph. Die Abbildung G → H ist dadurch charakterisiert, daßsie x auf y schickt. Aus der Homomorphieeigenschaft folgt nämlich, wie sie dann dieübrigen Potenzen von x abbilden muß. Es ist klar, daß jeder Gruppenisomorphismusφ : G → H den Erzeuger x von G auf einen Erzeuger y von H abbilden muß, denn〈y〉 = 〈φ(x)〉 = φ(〈x〉) = φ(G) = H aufgrund der Homomorphieeigenschaft.Folglich gibt es genauso viele Isomorphismen zwischen zwei zyklischen Gruppen glei-

cher Ordnung n, wie es Erzeuger in einer endlichen zyklischen Gruppe G der Ordnungn gibt. Wieviele gibt es denn davon? Die für die Antwort nötigen Überlegungen habenwir in Teil I schon mannigfaltig angestellt: Ist x ein Erzeuger von G, so können wirjeden anderen Erzeuger y von G in der Form y = xk mit k ∈ Z schreiben. In Analogiemüssen wir aber auch x = y` mit ` ∈ Z schreiben können. Folglich ist x = xk` in G. Dax die Ordnung n hat, heißt dies, daß k` = dn + 1 für ein d ∈ Z. Es folgt, daß k und nteilerfremd sind. Ist umgekehrt k teilerfremd zu n, so existieren nach dem EuklidischenAlgorithmus Proposition 3.3 auf Seite 73 ganze Zahlen ` und d mit k` = dn+ 1, worausfolgt, daß x (und damit auch jedes andere Element von G) eine Potenz von y = xk ist.Folglich hat eine zyklische Gruppe G endlicher Ordnung n genauso viele Erzeuger, wiees zu n teilerfremde natürliche Zahlen in 0, . . . , n − 1 gibt, das heißt insgesamt ϕ(n)Erzeuger.Insbesondere haben wir also

[Aut(Cn) : 1] = ϕ(n),

wenn Cn für eine beliebige endliche zyklische Gruppe der Ordnung n steht. Fixierenwir einen Erzeuger x von G = Cn. Sei weiter a eine zu zu n teilerfremde natürlicheZahl. Nach dem bisher gesagten ist dann G→ G, x 7→ xa ein Gruppenisomorphismus inAut(Cn). Damit ist dessen ϕ(n)-te Potenz x 7→ xa

ϕ(n) das neutrale Element in Aut(Cn),also die Identität. Das kann nur der Fall sein, wenn aϕ(n) gleich 1 modulo n ist, derOrdnung von x. Wir erhalten also die als Satz von Euler bekannte zahlentheoretischeTatsache:

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6. Gruppen

Folgerung 6.36. Seien n eine natürliche Zahl und a eine dazu teilerfremde Zahl. Danngilt

aϕ(n) ≡ 1 (mod n).

Spezialisieren wir auf n = p für eine Primzahl p, für die bekanntlich ϕ(p) = p− 1 gilt,so erhalten wir den uns schon bekannten kleinen Fermatschen Satz zurück, nämlich

ap−1 ≡ 1 (mod p)

für jede ganze Zahl a, welche von p nicht geteilt wird. Multiplikation mit a liefert diefür alle a ∈ Z richtige Tatsache

ap ≡ a (mod p).

Hängt es nur von der Ordnung ab, ob eine Gruppe zyklisch ist? Die Gruppe C6 istzum Beispiel zyklisch der Ordnung 6. Aber nicht jede Gruppe der Ordnung 6 ist zyklisch.So hat S3 zum Beispiel auch die Ordnung 6. Wir wissen aber, daß die Ordnungen allerElemente in S3 (das sind nur die Identität, Transpositionen und Dreizykel) nur in 1, 2, 3liegen. Damit kann S3 keinen einzelnen Erzeuger besitzen (dieser müßte ja Ordnung 6haben). Folglich ist S3 nicht zyklisch. Im Falle, daß die Gruppenordnung eine Primzahlist, können wir jedoch mehr sagen:

Proposition 6.37. Sei G eine endliche Gruppe von Primzahlordnung p. Dann ist Gzyklisch.

Beweis. Die Gruppe G besitzt ein von 1 verschiedenes Element x. Wegen x1 = x 6= 1 hatx eine Ordnung größer als 1. Da die Ordnung von x die Gruppenordnung, und damit diePrimzahl p, teilen muß, folgt, daß ordx = p. Damit ist 〈x〉 von Ordnung p, also schondie ganze Gruppe G. Folglich ist x ein Erzeuger von G und G damit zyklisch.

An dieser Stelle sollten wir festhalten, daß es nicht nur endliche zyklische Gruppengibt. Ein wichtiger Vertreter einer nicht endlichen zyklischen Gruppe ist zum Beispieldie additive Gruppe der ganzen Zahlen: sie hat genau zwei mögliche Erzeuger, nämlich1 und −1, da alle ganzen Zahlen Vielfache (entsprechen in additiver Schreibweise denmultiplikativen Potenzen) von 1 bzw. −1 sind.

AufgabenAufgabe 6.2.1. Seien H1 und H2 zwei Untergruppen einer Gruppe G. Es gelte G = H1 ∪H2, das heißt, jedes Element aus G sei in (mindestens) einer der Untergruppen enthalten.Sei H1 eine echte Teilmenge von G (wir sprechen auch von einer echten Untergruppe).Zeige, daß dann schon H2 = G gelten muß.Aufgabe 6.2.2. Gib alle Links- und Rechtsnebenklassen in der symmetrischen Gruppe S3modulo H := id, (2, 3) an.Aufgabe 6.2.3. Sei G eine endliche Gruppe von Primzahlordnung. Zeige, daß G genauzwei endliche Untergruppen hat.

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6.3. Gruppenwirkungen

Aufgabe 6.2.4. Zeige, daß jede zyklische Gruppe abelsch ist.Aufgabe 6.2.5. Gib alle Gruppenautomorphismen der ganzen Zahlen auf sich selbst an.Aufgabe 6.2.6. Zeige, daß die additive Gruppe der rationalen Zahlen nicht zyklisch ist.Aufgabe 6.2.7. Sei φ : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Sei x ∈ G ein Elementendlicher Ordnung. Zeige, daß die Ordnung von φ(x) ebenfalls endlich ist und zwar einTeiler der Ordnung von x.Aufgabe 6.2.8. Seien x und y zwei Elemente einer Gruppe G. Zeige, daß es einen Grup-penisomorphismus φ : G→ G mit φ(xy) = yx gibt.Aufgabe 6.2.9. Seien x und y zwei Elemente einer Gruppe G, so daß xy endliche Ordnunghat. Zeige, daß dann auch yx endliche Ordnung hat.Aufgabe 6.2.10. Sei H eine endliche Untergruppe einer zyklischen Gruppe G. Zeige, daßH eine endliche zyklische Gruppe ist.Aufgabe 6.2.11. Sei G eine endliche Gruppe, so daß Aut(G) eine zyklische Gruppe ist.Zeige, daß G abelsch ist.

6.3. GruppenwirkungenNachdem wir schon etliche Tatsachen über Gruppen zusammengetragen haben, solltenwir uns vielleicht noch einmal fragen, wozu wir Gruppen überhaupt betrachten? Die Ant-wort auf diese Frage ist, daß es vielleicht weniger auf die Gruppenelemente ankommt,sondern mehr darauf, was die Gruppenelemente machen: So war der Ausgangspunkt un-serer Beschäftigung mit Gruppen die Definition der Galoisschen Gruppe. Ein Elementeiner Galoisschen Gruppe — eine Symmetrie — ist dadurch definiert, wie es auf denNullstellen eines separablen Polynoms wirkt. Anschließend haben wir daraus eine Wir-kung auf den in den Nullstellen rationalen Zahlen gewonnen. Die Gruppenverknüpfungentspricht in diesen Fällen konkret der Hintereinanderausführung von Operationen aufNullstellen bzw. Zahlen. Auch bei unserer Motivation des Symmetriebegriffes haben wirauf geometrische Wirkungen auf einfache Figuren zurückgegriffen. Überall dahinter stehtfolgendes Konzept:

Konzept 6.38. Eine Wirkung einer Gruppe G ist eine Menge X zusammen mit einerAbbildung G × X → X, (g, x) 7→ g · x, genannt die Wirkung, so daß folgende Axiomeerfüllt sind:

• Die Wirkung ist assoziativ, das heißt, es gilt

g · (h · x) = (g · h) · x.

für alle g, h ∈ G und x ∈ X.

• Das neutrale Element der Gruppe wirkt neutral, das heißt

1 · x = x

für alle x ∈ X.

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6. Gruppen

Wir sagen dann auch, daß die Gruppe auf X wirke oder daß X eine G-Wirkungtrage. Den Multiplikationspunkt lassen wir wieder häufig weg. Anstelle der Bezeichnun-gen „Wirkung“ oder „wirken“ werden häufig auch die Bezeichnungen „Operation“ oder„operieren“ verwendet.Bemerkung 6.39. Ist G nur ein Monoid und nicht unbedingt eine Gruppe (das heißt also,es gibt im allgemeinen keine Inversen in G), so können wir mutatis mutandis ebenfallsdas Konzept einer Wirkung von G definieren.Eng verbunden mit dem Konzept der Gruppe war die Definition eines Gruppenhomo-

morphismus’. Auch für Wirkungen gibt es speziell angepaßte Abbildungen:

Definition 6.40. Wirke eine Gruppe G auf zwei Mengen X und Y . Eine Abbildungf : X → Y heißt G-äquivariant, falls

f(gx) = gf(x)

für alle g ∈ G und x ∈ X gilt.

Bevor wir Beispiele angeben, halten wir zunächst eine äquivalente Möglichkeit fest,eine Gruppenoperation anzugeben. Operiert eine Gruppe G auf einer Menge X, so wirdfür jedes Gruppenelement g ∈ G eine Abbildung

g∗ : X → X, x 7→ gx

definiert. Im Falle g = 1 ist diese aufgrund des zweiten Axioms einer Gruppenwirkungoffensichtlich die Identität auf X. Das erste Axiom liefert g∗(h∗x) = g · (h ·x) = (g ·h) ·x,also g∗ h∗ = (g ·h)∗. Insbesondere haben wir (g−1)∗ g∗ = g∗ (g−1)∗ = idX , das heißt,für jedes Gruppenelement g ∈ G ist die Abbildung g∗ : X → X eine Bijektion. Erinnernwir uns daran, daß wir die Menge der Bijektionen einer Menge X mit Aut(X) bezeichnethaben. Mit dieser Bezeichnung haben wir dann eine Abbildung

G→ Aut(X), g 7→ g∗

definiert. Wir haben gesehen, daß Aut(X) in kanonischer Weise eine Gruppe ist (Grup-peneins ist die Identität und Gruppenverknüpfung die Komposition). Nach den Überle-gungen von oben ist die Abbildung G→ Aut(X), g 7→ g∗ ein Gruppenhomomorphismus,welcher jedem Element g ∈ G seine Wirkung g∗ zuordnet, ausgedrückt als Bijektion aufden Elementen der Menge X. Der Verknüpfung von Gruppenelementen entspricht dabeidie Komposition von Bijektionen.Die Konstruktion funktioniert auch in umgekehrter Richtung. Ist etwa ein Gruppen-

homomorphismus f : G→ Aut(X) gegeben, so wird durch

G×X → X, (g, x) 7→ f(g)(x)

gemäßKonzept 6.38 eine Wirkung gegeben. Eine Gruppenwirkung von G auf einer MengeX ist also effektiv nichts anderes als ein Gruppenhomomorphismus G → Aut(X). Vondaher dürfen wir diese Begriffe gemäß unseren Überlegungen als austauschbar ansehen.Der Übersichtlichkeit halber werden wir in Zukunft allerdings häufig auch g anstellevon g∗ schreiben. Ist die Gruppenhomomorphismus G→ Aut(X) einer GruppenwirkungG×X → X injektiv, so heißt die Gruppenwirkung effektiv.

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6.3. Gruppenwirkungen

Beispiel 6.41. Sei f(X) ein separables normiertes Polynom über den rationalen Zahlenmit den (paarweise verschiedenen) Nullstellen x1, . . . , xn. Sei G ihre Galoissche Gruppeüber den rationalen Zahlen. Dann ist σ · xi = xσ(i) für σ ∈ G eine Wirkung von G aufder Menge x1, . . . , xn der Nullstellen.Beispiel 6.42. Sei n ∈ N0 eine natürliche Zahl. Jedes Element A ∈ GLn(Q) wirkt aufVektoren v ∈ Qn. Nach den bekannten Rechenregeln (Assoziativität) für die Matrizen-multiplikation erhalten wir eine Wirkung von GLn(Q) auf Qn. Für alle A ∈ GLn(Q) istA∗ : Qn → Qn, v 7→ A · v bekanntlich linear. Wir sagen daher auch, daß GLn(Q) linearauf Qn operiere.Wir haben sowohl die Verknüpfung einer Gruppe als auch die Wirkung einer Grup-

pe auf einer Menge durch einen Multiplikationspunkt symbolisiert. Dies ist nicht ohneGrund, denn in wenigstens einem Beispiel fällt beides zusammen:Beispiel 6.43. Sei G eine beliebige Gruppe. Durch die Linksmultiplikation

G×G→ G, (g, h) 7→ g · h (6.1)

wird eine Wirkung von G auf sich selbst definiert. Wir nennen diese Wirkung die Links-translation von G auf sich selbst. Daß durch (6.1) in der Tat eine Wirkung definiert wird,ist gerade die Assoziativität der Gruppenverknüpfung und die Neutralität der Gruppen-eins. Wir bekommen insbesondere einen Gruppenhomomorphismus

G→ Aut(|G|), g 7→ (g∗ : h 7→ gh).

(Wir schreiben hier Aut(|G|) für die Gruppe der Bijektionen von G, um diese Gruppevon der Gruppe Aut(G) der Gruppenautomorphismen von G zu unterscheiden.) Wirwollen dessen Kern berechnen. Dazu sei g ∈ G mit g∗ = id gegeben. Wenden wir g∗auf 1 ∈ G an, erhalten wir 1 = id(1) = g∗(1) = g · 1 = g. Folglich ist der Kern vonG→ Aut(|G|) trivial und die Abbildung damit injektiv. Die Linkstranslation ist also eineeffektive Wirkung. Wir können die Elemente von G also mit ihren Bildern in Aut(|G|)identifizieren. Die abstrakte Gruppenverknüpfung auf G wird unter dieser Identifikationdurch die (konkrete) Komposition von Abbildungen realisiert.Ist im letzten Beispiel speziellG endlich, so können wirG = h1, . . . , hnmit paarweise

verschiedenen Elementen hi wählen. Jede Bijektion f : G → G von G entspricht danngenau einer n-stelligen Permutation σ, wobei f(hi) = hσ(i) gilt. Diese Zuordnung ist einGruppenhomomorphismus bezüglich der Gruppenstruktur von Aut(|G|) und Sn. Folglicherhalten wir durch Linkstranslation wie in Beispiel 6.43 einen Gruppenhomomorphismus

G→ Sn, g 7→ σg,

wobei σg so ist, daß ghi = hσg(i) für alle i ∈ 1, . . . , n. Da der GruppenhomomorphismusG→ Sn injektiv ist, können wir insbesondere G mit seinem Bild in Sn identifizieren underhalten unter anderem folgenden Satz von Cayley2:

2Arthur Cayley, 1821–1895, britischer Mathematiker

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6. Gruppen

Proposition 6.44. Jede endliche Gruppe ist isomorph zu einer endlichen Untergruppeeiner symmetrischen Gruppe.

Beispiel 6.45. Die Wirkung durch Linkstranslation auf Beispiel 6.43 auf der vorherigenSeite induziert weitere Wirkungen: Sei etwa H eine Untergruppe einer Gruppe G. Dannwird durch

G×G/H → G/H, (g, x) 7→ gx

eine wohldefinierte Wirkung von G auf den Linksnebenklassen modulo H in G gegeben:Um die Wohldefiniertheit zu zeigen, betrachten wir zwei Gruppenelemente x und y,welche in G/H gleich sind. Dann gilt nach Definition x = yh für ein h ∈ H. Folglichsind auch gx = gyh und gy in G/H gleich.Bemerkung 6.46. Wenn wir in Beispiel 6.45 die Menge der Links- durch die Menge derRechtsnebenklassen austauschen, erhalten wir auf naivemWege keine Gruppenoperation,das heißt, die Abbildung

G×H\G→ H\G, (g, x) 7→ gx

ist im allgemeinen nicht wohldefiniert. Das Problem ist das folgende: Sind x und y inH\G gleich, so bedeutet dies x = hy für ein h ∈ H. Wir müßten dann zeigen, daß gxgleich ghy in H\G ist, daß also ghy = kgx für ein k ∈ H gilt. Dies ist im allgemeinennicht möglich. Das Problem können wir auch so beschreiben, daß g und h in der falschenReihenfolge auftreten (was einen Unterschied macht, da G im allgemeinen nicht kom-mutativ ist). Um die Symmetrie zwischen Links- und Rechtsklassen wiederherzustellen,könnten wir das Konzept einer sogenannten Rechtswirkung einführen (eine Wirkung wiein Konzept 6.38 auf Seite 238 heißt in diesem Zusammenhang dann eine Linkswirkung):Eine Rechtswirkung von G auf einer Menge X ist eine Abbildung

X ×G→ X, (x, g) 7→ x · g,

so daß (x · g) · h = x · (g · h) und x · 1 = x für alle x ∈ X und g, h ∈ G gelten. Mit dieserDefinition ist dann

H\G×G→ H\G, (x, g) 7→ xg

eine wohldefinierte Rechtswirkung. Wirklich fundamental ist das Konzept der Rechts-wirkung allerdings nicht (beziehungsweise der Unterschied zwischen Links- und Rechts-wirkungen): Ist nämlich X ×G→ X, (x, g) 7→ x · g eine Rechtswirkung von G auf X, sowird durch

G×X → X, (g, x) 7→ gx := x · g−1

eine Linkswirkung definiert: Es ist klar, daß 1 · x = x ist. Außerdem gilt aber auch

g · (h · x) = g · (x · h−1) = (x · h−1) · g−1 = x · (h−1g−1) = x · (gh)−1 = (gh) · x.

Jede Rechtwirkung können wir also kanonisch zu einer (Links-)Wirkung machen, unddiese Zuordnung ist umkehrbar.

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6.3. Gruppenwirkungen

Beispiel 6.47. Jede Gruppe kommt neben der Linkstranslation aus Beispiel 6.43 aufSeite 239 mit einer weiteren wichtigen Wirkung daher, der Konjugation

G×G→ G, (g, h) 7→ ghg−1.

(Daß durch diese Abbildung eine Wirkung definiert wird, ist schnell nachgerechnet.) DieKonjugation ist allerdings ein Beispiel dafür, wo es sich nicht empfiehlt, die Wirkungmit einem Multiplikationspunkt zu schreiben, wie wir es im allgemeinen Kontext inKonzept 6.38 auf Seite 238 getan haben. Denn dann könnte g · h zum einen für dieübliche Gruppenverknüpfung gh stehen (also für die Wirkung der Linkstranslation),zum anderen aber auch für die Konjugation ghg−1, was offensichtlich einen Unterschiedmacht.Will man die Konjugation daher in Kurzform schreiben, so wird in der Regel die

Potenzschreibweisegh := ghg−1

verwendet. Da 1h = h und gg′h = g(g′h) nach den Axiomen für eine Wirkung gelten,sind auch zumindest formal die üblichen Potenzgesetze erfüllt.Beispiel 6.48. Wir können auch Untergruppen konjugieren: Sei G eine Gruppe. Sei Xdie Menge aller Untergruppen von G (oder auch nur die Menge aller endlichen Unter-gruppen). Ist H ein Element von X, so ist für jedes Gruppenelement g ∈ G die Menge

gH := gHg−1 := ghg−1 | h ∈ H

wieder ein Element von X, insbesondere also eine Untergruppe von G. Dadurch definiert

G×X → X, (g,H) 7→ gHg−1

eine Wirkung von G auf der Menge aller (endlichen) Untergruppen. Wenn zwei Unter-gruppen von der Form H und gH sind, nennen wir sie zueinander konjugiert.Der Konjugation sind wir schon in Teil I begegnet. Und zwar haben wir zwei Permu-

tationen σ und σ′ in einer Permutationsgruppe G konjugiert genannt, falls eine Permu-tation τ aus der Gruppe mit σ = τ σ′ τ−1 existiert. Wir können dies jetzt auch soausdrücken, daß σ und σ′ genau dann konjugiert zueinander sind, wenn es ein τ gibt,so daß die Konjugationswirkung von τ das Element σ′ gerade auf σ abbildet, wenn alsoσ′ durch Konjugation auch auf σ transportiert werden kann. Wir sagen auch, daß σund σ′ in derselben Bahn bezüglich der Konjugationswirkung liegen. Dies können wiroffensichtlich auch für andere Gruppenwirkungen als die Konjugation formulieren:

Definition 6.49. Wirke eine Gruppe G auf einer Menge X. Die Bahn Gx eines Ele-mentes x ∈ X ist die Teilmenge derjenigen y ∈ X, für die ein Gruppenelement g ∈ Gmit gx = y existiert.

Daß zwei Gruppenelemente in derselben Bahn liegen, ist eine Äquivalenzrelation: We-gen x = 1 · x ist die Relation reflexiv, wegen gx = y ⇐⇒ x = g−1y ist sie auch

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6. Gruppen

symmetrisch. Die Transitivität schließlich folgt aus der Assoziativität der Gruppenwir-kung: Liegen nämlich x und y in derselben Bahn und y und z auch in einer Bahn, sogelten y = gx und z = hy für zwei Gruppenelemente g und h. Es folgt z = h(gx) = (hg)x,also liegen auch x und z in einer Bahn.Mit G\X bezeichnen wir diejenige Menge, deren Elemente durch Elemente aus X

repräsentiert werden, in der x, y ∈ X aber genau dann gleich sind, wenn x und y in Xin derselben Bahn bezüglich der Wirkung G liegen. Die Menge G\X heißt der Quotientvon X nach G oder auch der Bahnenraum. Das Prinzip des Überganges von X nachG\X ist eines der wichtigsten überhaupt in der Mathematik. Auch wir haben schon einBeispiel für einen Quotienten gesehen: Ist H eine Untergruppe von G, so überlegen wiruns schnell, daß die Einschränkung der Verknüpfung von G auf H ×G eine Wirkung

H ×G→ G, (h, g) 7→ hg

auf H definiert. Zwei Gruppenelemente liegen genau dann in derselben Bahn, wenn siein derselben Rechtsnebenklasse modulo H liegen; die Bahnen dieser Wirkung sind alsogerade die Rechtsnebenklassen. Den Quotienten dieser Wirkung würden wir mit H\Gbezeichnen. Diese Bezeichnung ist zwar schon vergeben, aber die spezielle Definition vonH\G weiter oben stimmt nach dem eben gesagten mit der allgemeinen überein.Liegen alle Elemente von X in einer einzigen Bahn, ist also G\X eine einelementige

Menge, so heißt die Gruppenwirkung von G auf X transitiv. Dies deckt sich mit unsererDefinition aus Teil I transitiver Wirkungen der Galoisschen Gruppe auf den Nullstellen.Beispiel 6.50. Sei n ≥ 0. Die Gruppe GLn(Q) (welche analog zur Gruppe GLn(Q)definiert wird) wirkt durch Konjugation

GLn(Q)×Mn(Q)→ Mn(Q), (S,A) 7→ SAS−1

auf der Menge der quadratischen Matrizen der Größe n. In der Linearen Algebra wirdgezeigt, daß in jeder Bahn dieser Gruppenwirkung eine Matrix A ∈ Mn(Q) in Jordan-scher3 Normalform liegt und weiter, daß die Menge GLn(Q)\Mn(Q) mit der Menge allermöglichen Jordanschen Normalformen quadratischer Matrizen der Größe n identifiziertwerden kann.Beispiel 6.51. Sei σ0 eine n-stellige Permutation. Sei G = 〈σ0〉 die von σ0 erzeugteUntergruppe in Sn. Die symmetrische Gruppe Sn wirkt bekanntlich vermöge

Sn × 1, . . . , n → 1, . . . , n, (σ, i) 7→ σ(i)

auf den Ziffern 1, . . . , n. Durch Einschränkung induziert dies eine Wirkung von G auf1, . . . , n. Die Bahnen dieser Wirkung entsprechen gerade Zykeln der Zykelzerlegungvon σ, und zwar besteht eine Bahn zu einem Zykel (i1 · · · ik) gerade aus den Elementeni1, . . . , ik ∈ 1, . . . , n.

3Marie Ennemond Camille Jordan, 1838–1922, französischer Mathematiker.Camille Jordan ist nicht zu verwechseln mit Wilhelm Jordan (1842–1899, deutscher Geodät), wel-cher dem Gauß–Jordan-Algorithmus seinem Namen gab. Entsprechend ist Camille Jordans Nameauch französisch auszusprechen. Dritter im Bunde ist übrigens Pascual Jordan (1902–1980, deutschertheoretischer Physiker), nach dem die Jordanschen Algebren benannt sind.

242

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6.3. Gruppenwirkungen

Liegen zwei Elemente x und y aus X in einer Bahn einer Gruppenwirkung, so könnenwir danach fragen, durch welches Gruppenelement g ∈ G das Element x auf das Elementy transportiert wird, das heißt, für das y = gx gilt. Im allgemeinen wird g nicht eindeutigsein. Eine interessante Frage ist es, wie sehr g nicht eindeutig ist. Dazu betrachten wirden Spezialfall y = x, das heißt wir fragen nach allen g ∈ G mit x = gx. (In diesem Fallesagen wir, daß x invariant unter der Wirkung von g sei.) Die Menge

Gx := g ∈ G | x = gx

heißt die Standgruppe von G an x. (Die Menge Gx ist in der Tat eine (Unter-)Gruppe(von G), wie schnell aus den Axiomen für eine G-Wirkung folgt.) Wir sind der Stand-gruppe schon einmal in Teil I begegnet, und zwar in Abschnitt 4.5 auf Seite 142 bei derDefinition der Untergruppe Gσ einer Permutationsgruppe, die aus denjenigen τ ∈ G be-steht, so daß σ sich unter der Konjugation mit τ nicht ändert: σ = τ σ τ−1. Allgemeinheißt die Standgruppe der Konjugationswirkung zu einem Element g einer Gruppe derZentralisator

Gg = h ∈ G | hgh−1 = g

von g in G; dies ist nämlich die größte Untergruppe von G, in der g noch zentral ist.Sind alle Standgruppen Gx für x ∈ X trivial, so heißt die Gruppenwirkung frei. Daraus

läßt sich folgern, daß für den Fall, daß zwei Elemente x und y ∈ X in einer Bahn liegen,genau ein Gruppenelement g ∈ G mit y = gx existiert.Wie hängen die Standgruppen Gx für verschiedene x ∈ X zusammen? Allgemein läßt

sich wenig sagen, es sei denn, zwei Elemente x und y ∈ X liegen in derselben Bahn.Dann gibt es nämlich ein Gruppenelement g ∈ G mit y = gx, und es ist

Gy = gGxg−1 = ghg−1 | h ∈ Gx.

Ist nämlich h ∈ Gy, so können wir h = g(g−1hg)g−1 schreiben, und es gilt (g−1hg)x =g−1hgx = g−1hy = g−1y = x, da h trivial auf y wirkt. Damit haben wir die Inklu-sion der rechten Seite in der linken Seite gezeigt. Für die andere Richtung gehen wirgenauso vor: Ist k ∈ Gx, so gilt (gkg−1)y = gkg−1y = gkx = gx = y, also liegt gkg−1

in Gy. Insbesondere sind also zwei Standgruppen ein- und derselben Bahn zueinanderkonjugiert.

Beispiel 6.52. Die Gruppe SO3(R), die Gruppe der eigentlichen Drehungen im Raumewirkt durch Linksmultiplikation auf R3. Die Wirkung ist nicht transitiv. Vielmehr liegenzwei Vektoren in verschiedenen Bahnen, wenn sie verschiedene euklidische Länge haben.Die Wirkung ist auch nicht frei, denn zum Beispiel ist die Standgruppe des Ursprungesdie gesamte SO3(R). Die Standgruppe eines Vektors v ∈ R3 \ 0 ist die Menge derDrehungen, die diesen Vektor als Drehachse haben, und damit isomorph zu SO2(R).

Die Standgruppe Gx eines Punktes x ist mit der Größe seiner Bahn verbunden. Undzwar ist die kanonische Abbildung

f : G/Gx → Gx, g 7→ gx (6.2)

243

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6. Gruppen

auf die Bahn von x eine Bijektion. Die Surjektivität ist nach Definition der Bahn klar.Die Abbildung ist weiterhin wohldefiniert, denn sind g und h in G/Gx gleich, so gibt esk ∈ Gx mit g = hk, und es folgt gx = hkx = hx. Schließlich ist sie injektiv: Gilt nämlichgx = hx, so folgt h−1gx = x, also h−1g ∈ Gx. Damit sind g und h in G/Gx gleich. Ausder Bijektivität von f folgt insbesondere:

Proposition 6.53. Wirke eine endliche Gruppe G auf einer endlichen Menge X. Sei xein Element aus X. Dann ist der Index [G : Gx] der Standgruppe an x in G gleich derLänge (d.h. der Mächtigkeit) der Bahn Gx zu x.

Über (6.2) können wir noch etwas mehr sagen: Versehen wir nämlich G/Gx mit derG-Wirkung, die sich durch Linkstranslation ergibt, so ist f eine bijektive G-äquivarianteAbbildung, wir sagen auch: ein Isomorphismus von G-Mengen. Da jede Menge, auf dereine Gruppe transitiv operiert, nur aus einer einzigen Bahn besteht, sind transitive Grup-penwirkungen von G bis auf Isomorphie immer durch Linksmultiplikation auf einer Men-ge der Form G/H gegeben, wobei H eine Untergruppe von G ist.Schließlich können wir nach der Menge aller x ∈ X fragen, welche von einem gewissen

Gruppenelement g ∈ G invariant gelassen werden: Dies ist die Fixpunktmenge oder derFixort

Xg = x ∈ X | gx = x = x ∈ X | g ∈ Gx

zu g der Wirkung G × X → X. Der Schnitt über alle Xg, g ∈ G, also die Teilmengederjenigen x ∈ X, die von allen Gruppenelementen invariant gelassen werden, heißt dieFixpunktmenge oder der Fixort

XG = x ∈ X | gx = x für alle g ∈ G = x ∈ X | Gx = G

der Wirkung G×X → X. Offensichtlich bildet jedes Element von XG seine eigene Bahn.Beispiel 6.54. Betrachten wir wieder die Drehwirkung der SO3(R) auf R3 wie in (6.52).Der einzige Vektor, der unter allen Drehungen invariant bleibt, ist der Nullvektor, dasheißt die Fixpunktmenge ist 0. Ist A eine Drehung mit einer Drehachse L, so ist dieFixpunktmenge zu A gerade die Menge der Vektoren in L.Wir wollen eine Anwendung für den Begriff der Fixpunktmenge geben. Dazu benötigen

wir eine weitere Aussage für eine Wirkung einer endlichen Gruppe G auf einer endlichenMenge X. Wir fragen nach der Anzahl der Elemente in G\X. Dazu überlegen wir unszunächst, daß für jede Bahn Gx die Summe

∑y∈Gx

1|Gy| = 1 gilt (denn Gy = Gx). Folglich

erhalten wir|G\X| =

∑x∈G\X

∑y∈Gx

1|Gy|

=∑y∈X

1|Gy|

. (6.3)

Den Ausdruck auf der rechten Seite können wir weiter umformen. Wegen |G||Gy| = |Gy|

nach Proposition 6.35 auf Seite 234 und Proposition 6.53 gilt∑y∈X

1|Gy|

= 1|G|

∑y∈X|Gy|.

244

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6.3. Gruppenwirkungen

Die Summe auf der rechten Seite berechnet die Anzahl der Paare y ∈ X und g ∈ G, sodaß gy = y. Dies können wir aber auch als

∑y∈X|Gy| =

∑g∈G|Xg| umschreiben. Fassen wir

dies mit (6.3) zusammen, erhalten wir schließlich:

Proposition 6.55. Eine endliche Gruppe G wirke auf einer endlichen Menge X. Danngilt für die Anzahl der Bahnen, daß

|G\X| = 1|G|

∑g∈G|Xg|. (6.4)

Diese Proposition ist auch unter dem Namen „Burnsidesches4 Lemma“ oder „dasLemma, welches nicht von Burnside ist“5 bekannt.Kommen wir zu unserer Beispielsanwendung:

Beispiel 6.56. Sei n eine natürliche Zahl. Gegeben sei ein Würfel, dessen Seiten mit je-weils einer von n verschiedenen Farben eingefärbt werden können. Wir wollen danachfragen, wieviele verschiedene Färbungen es gibt. Die naive Antwort n6 (je n Möglich-keiten für jede der sechs Seiten) ist sicherlich falsch, da gewisse dieser Färbungen durchDrehung des Würfels ineinander übergehen. Nennen wir die Menge der n6 möglichenFärbungen, die sich bei einem Würfel ohne Symmetrie ergeben würden, etwa X und dieSymmetriegruppe des Würfels G, so ist die Antwort auf die ursprüngliche Frage einfachdie Mächtigkeit |G\X|, welche sich mit Proposition 6.55 berechnen lassen sollte. Da-zu müssen wir die Fixpunktmengen der einzelnen Gruppenelemente von G bestimmen.Welche Elemente sind aber in G? Da ist zum einen die Identität, welche jedes Elementaus X invariant läßt. Als nächstes haben wir sechs Drehungen um 90 der Seiten. Dieselassen jeweils n3 der Färbungen der Seiten invariant. Dazu kommen drei Drehungen um180 der Seiten (Drehungen, die zu gegenüberliegenden Seiten gehören, fallen zusam-men). Diese lassen n4 der Färbungen der Seiten invariant. Wir können aber auch um120 um jede der acht Ecken rotieren. Diese Rotationen lassen n2 der Seitenfärbungeninvariant. Schließlich gibt es noch sechs Rotationen um die Mittelpunkte jeweils zweigegenüberliegender Ecken. Diese lassen n3 der Seitenfärbungen invariant. In der Summekommen wir damit auf 24 Symmetrien und damit nach (6.4) auf

|G\X| = 124(1 · n6 + 6 · n3 + 3 · n4 + 8 · n2 + 6 · n3

)= n6 + 3n4 + 12n3 + 8n2

24 .

Im Falle von zum Beispiel drei Farben, also n = 3, kommen wir auf 57 verschiedenemögliche Einfärbungen des Würfels.Zum Ende dieses Abschnittes kommen wir zur sogenannten Bahnengleichung, welche

nach dem bisher Bewiesenen fast schon eine Trivialität ist: Dazu nehmen wir an, eineendliche Gruppe G wirke auf einer endlichen Menge X. Da die Relation, daß zwei Ele-mente in derselben Bahn liegen, eine Äquivalenzrelation ist, läßt sich X disjunkt in die

4William Burnside, 1852–1927, britischer Mathematiker5Das Lemma stammt ursprünglich von Cauchy, ist aber von Burnside publik gemacht worden.

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6. Gruppen

Menge aller Bahnen zerlegen. Insbesondere ist die Anzahl der Elemente von X die Sum-me über die Anzahl der Elemente der einzelnen Bahnen. Die Bahnen werden durch dieElemente von G\X durchgezählt und nach Proposition 6.53 auf Seite 244 ist die Längeder Bahn zu einem x ∈ G\X durch [G : Gx] gegeben. Wir erhalten damit:

Proposition 6.57. Wirkt eine endliche Gruppe G auf einer endlichen Menge X, so istdie Anzahl der Elemente von X durch

|X| =∑

x∈G\X[G : Gx]

gegeben.

Dies ist die sogenannte Bahnengleichung. Anwendungen der Bahnengleichung werdenwir später sehen. Eine Anwendung kennen wir aber schon aus Teil I: Dazu betrachtendie Operation einer endlichen Gruppe G auf sich selbst durch Konjugation. Es folgt nachProposition 6.57, daß sich die Ordnung von G, also die Anzahl der Elemente von G, zu[G : 1] =

∑g[G : Gg] berechnet, wobei Gg für die Standgruppe zu g, also für die Unter-

gruppe aller h ∈ G mit hgh−1 = g steht und die Summe über ein Repräsentantensystemder Konjugationsklassen von G läuft. Nutzen wir aus, daß die Konjugationsklassen mitgenau einem Element genau den zentralen Elementen von G entsprechen, erhalten wirwie in Abschnitt 4.5 auf Seite 142 die sogenannte Klassengleichung:

Proposition 6.58. Sei G eine endliche Gruppe. Die Ordnung von G berechnet sich zu

[G : 1] = [Z(G) : 1] +∑g

[G : Gg],

wobei die Summe über ein Repräsentantensystem der nicht zentralen Konjugationsklassenvon G läuft.

Wir erinnern daran, daß wir die Klassengleichung in Teil I benutzt haben, um zu zei-gen, daß jede nicht triviale p-(Permutations-)Gruppe ein nicht triviales Zentrum besitzt.Die Tatsache gilt auch für jede abstrakte p-Gruppe.

AufgabenAufgabe 6.3.1. Sei f : G→ H ein Gruppenhomomorphismus. Zeige, daß durch

G×H → H, (g, h) 7→ g · h := f(g) · h

eine Wirkung von G auf H definiert wird. Zeige weiter, daß dies im Falle, daß f surjektivist, die einzige Wirkung von G auf H ist, bezüglich der f eine G-äquivariante Abbildungwird wenn f

Aufgabe 6.3.2. Sei H eine Untergruppe einer Gruppe G. Definiere eine (Links-)WirkungvonH auf G, so daß die Elemente des Quotienten von G nachH bezüglich dieser Wirkungin kanonischer Bijektion zu den Linksnebenklassen modulo H in G stehen.

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6.3. Gruppenwirkungen

Aufgabe 6.3.3. Seien n und m zwei natürliche Zahlen. Zeige, daß die Gruppe G :=GLn(Q)×GLm(Q) vermöge

G×Mn,m(Q)→ Mn,m(Q), ((S, T ), A) 7→ SAT−1

auf der Menge der (n×m)-Matrizen wirkt.Aufgabe 6.3.4. Sei G eine Gruppe. Seien H und H ′ zwei konjugierte Untergruppen vonG. Gib einen Gruppenisomorphismus zwischen H und H ′ an.Aufgabe 6.3.5. Berechne den Zentralisator von (1, 2) in S4.Aufgabe 6.3.6. Seien n und m zwei natürliche Zahlen, deren Minimum mit k bezeichnetsei. Die Gruppe G := GLn(Q)×GLm(Q) wirke vermöge

G×Mn,m(Q)→ Mn,m(Q), ((S, T ), A) 7→ SAT−1

auf der Menge der (n × m)-Matrizen. Zeige, daß durch den Rang eine wohldefinierteBijektion

rk : G\Mn,m(Q)→ 0, . . . , k, A 7→ rkAgegeben wird.Aufgabe 6.3.7. Wirke eine Gruppe G auf einer Menge X. Zeige, daß die Wirkung von Gauf X genau dann frei ist, wenn die Abbildung

G×X → X ×X, (g, x) 7→ (gx, x)

injektiv ist.Aufgabe 6.3.8. Eine endliche Gruppe wirke auf einer endlichen Menge. Ist die Längeeiner Bahn der Operation immer ein Teiler der Gruppenordnung?Aufgabe 6.3.9. Wirke eine endliche Gruppe auf einer endlichen Menge X. Zeige, daßendliche Untergruppen H1, . . . , Hn von G und ein Isomorphismus

G/H1 q · · · qG/Hn → X

existieren, wobei jeder einzelne Summand der disjunkten Vereinigung auf der linken Seitedurch Linkstranslation eine G-Wirkung bekommt.Aufgabe 6.3.10. Eine endliche Gruppe der Ordnung 91 wirke auf einer endlichen Mengemit 71 Elementen. Zeige, daß die Operation mindestens einen Fixpunkt hat.Aufgabe 6.3.11. Wirke eine endliche Gruppe G auf einer endlichen Menge X. Für jedesElement g ∈ G sei d(g) die Menge der Bahnen der Wirkung der Untergruppe 〈g〉 in X.Sei Y eine weitere endliche Menge mit t Elementen. Auf der Menge Y X der Funktionen

von X nach Y wird eine kanonische Wirkung von G durch

G× Y X → Y X , (g, c) 7→ (gc : X → Y, x 7→ c(g−1x))

definiert. Zeige eine einfache Version des Pólyaschen6 Abzählungstheorems, nämlich:

|G\Y X | = 1|G|

∑g∈G

td(g).

6George Pólya, 1887–1985, ungarischer Mathematiker

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6. Gruppen

6.4. Normalteiler und FaktorgruppenWir haben in Abschnitt 6.2 auf Seite 228 festgestellt, daß Bilder von Gruppenhomomor-phismen typische Untergruppen sind, gleichzeitig aber bemerkt, daß dies für Kerne vonGruppenhomomorphismen nicht zutrifft. Kerne haben nämlich eine zusätzliche Eigen-schaft. Dazu erinnern wir kurz an die Konjugationswirkung auf Untergruppen: Seien Geine Gruppe, g ∈ G ein Gruppenelement und H eine Untergruppe von G. Die Konjuga-tion von H durch g haben wir als

gH = ghg−1 | h ∈ H

eingeführt (wobei wir hier die bei der Konjugation eingeführte Potenzschreibweise ver-wenden). Wir behaupten, daß ein Kern eines Gruppenhomomorphismus ein Fixpunktbezüglich der Konjugationswirkung ist: Sei dazu f : G→ K irgendein Gruppenhomomor-phismus. Ist dann h ∈ G im Kern, also f(h) = 1, so folgt f(ghg−1) = f(g)f(h)f(g)−1 =f(g) · 1 · f(g)−1 = 1, das heißt ghg−1 ist ebenfalls im Kern. Folglich haben wir

gker f ⊆ ker f

für beliebiges g ∈ G gezeigt. Ebenso leicht läßt sich die umgekehrte Inklusion zeigen, wirhaben also insgesamt

gker f = ker f.

Diese Eigenschaft einer Untergruppe kennen wir aber schon aus Abschnitt 5.5 auf Sei-te 187, und die wir hier für Untergruppen beliebiger Gruppen noch einmal definieren:

Definition 6.59. Eine Untergruppe N einer Gruppe G heißt ein Normalteiler (in G),falls N stabil unter Konjugation mit allen Gruppenelementen ist, falls also

N = gNg−1 = gng−1 | n ∈ N (6.5)

für alle g ∈ G ist.

An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, daß ein einzelnes Element imNormalisator nicht stabil unter Konjugation mit allen Gruppenelementen sein muß (dasist die Definition des Zentrums), sondern nur, daß die Konjugation das Element wiederin eins aus N überführen muß. Die Normalteilereigenschaft (6.5) können wir auch durchMultiplikation mit g von rechts in

gN = Ng

umformen. Wir sehen, daß bei Normalteilern Links- und Rechtsnebenklassen überein-stimmen.Genauso wie Bilder typische Untergruppen sind, können wir mit Hilfe der sogenann-

ten Faktorgruppenkonstruktion zeigen, daß Kerne typische Normalteiler sind. Wir habenschon gezeigt, daß Kerne Normalteiler sind. Es bleibt zu zeigen, daß wir jeden Normal-teiler N in einer Gruppe G als Kern eines Gruppenhomomorphismus darstellen können.Dazu versehen wir die Menge G/N mit einer Gruppenstruktur, wobei wir wieder die

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6.4. Normalteiler und Faktorgruppen

Sprechweise modulo N bemühen, um Gleichheit von Gruppenelementen in G/N zu be-schreiben: Die Gruppeneins in G/N sei einfach durch die Gruppeneins in G repräsentiert.Wir definieren die Gruppenverknüpfung durch

G/N ×G/N → G/N, (g, h) 7→ g · h, (6.6)

wobei das Produkt auf der rechten Seite die Gruppenverknüpfung in G modulo N ist.Wir müssen noch zeigen, daß das Produkt in (6.6) wohldefiniert ist. Dann ist aberaufgrund der Eigenschaften der Multiplikation auf G klar, daß die Multiplikation (6.6)zusammen mit der Gruppeneins modulo N ebenfalls alle Gruppenaxiome erfüllt und daßdie kanonische Abbildung

G→ G/N, g 7→ g

ein Gruppenhomomorphismus ist. Zur Wohldefiniertheit betrachten wir g und g′, welchemodulo N gleich sind, das heißt für die g = g′n für ein n ∈ N gilt. Dann ist gh = g′nh =g′hh−1nh. Aufgrund der Normalteilereigenschaft von N ist h−1nh wieder ein Elementin N . Folglich ist gh = g′h modulo N . Ebenso folgt, daß gh = gh′ in G/N , wenn h = h′

in G/N . Damit haben wir die Wohldefiniertheit von (6.6) gezeigt.Ein Gruppenelement g ist in G/N genau dann die Gruppeneins, wenn 1−1 · g =

g ein Element aus N ist. Der Kern des kanonischen Gruppenhomomorphismus G →G/N ist also gerade N . Folglich haben wir jeden Normalteiler als Kern realisiert. DieKonstruktion von G/N ist so wichtig, daß wir einen eigenen Namen vergeben:

Konzept 6.60. Seien G eine Gruppe und N ein Normalteiler in G. Dann heißt dieGruppe G/N die Faktorgruppe von G nach N .

Beispiel 6.61. Sei n ≥ 0. Die Gruppe SOn(R) ist als Kern des Gruppenhomomorphismus

det : On(R)→ R×

ein Normalteiler in On(R).Beispiel 6.62. Eine Gruppe G ist trivialerweise immer Normalteiler in sich selbst. Dajedes Element modulo G gleich zur Gruppeneins ist, ist die Faktorgruppe G/G einfachdie triviale Gruppe 1.Beispiel 6.63. Die triviale Untergruppe 1 einer Gruppe G, also diejenige Untergruppe,welche nur aus der Gruppeneins besteht, ist ein Normalteiler in G, da g · 1 · g−1 = 1 füralle Gruppenelemente g ∈ G gilt. Die kanonische Abbildung

G→ G/1, g 7→ g

ist ein Gruppenisomorphismus.Beispiel 6.64. Sei n ≥ 0. Dann ist

N := k · In | k ∈ Q×,

bestehend aus allen Vielfachen der Einheitsmatrix, ein Normalteiler in GLn(Q). DieFaktorgruppe

PGLn(Q) := GLn(Q)/N

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6. Gruppen

heißt projektive lineare Gruppe (über Q). Entsprechend läßt sich die projektive lineareGruppe über Z oder R, etc. definieren.Um die Herkunft der projektiven Gruppe zu erklären, wiederholen wir kurz den Begriff

des n-dimensionalen projektiven Raumes Pn(R) (über R): Ein Punkt (also ein Element)von Pn(R) wird durch einen von Null verschiedenen Vektor (x0, . . . , xn) ∈ Rn+1 beschrie-ben. Zwei Vektoren x = (x0, . . . , xn) und y = (y0, . . . , yn) beschreiben genau dann den-selben Punkt in Pn(R), geschrieben [x0, . . . , xn] = [y0, . . . , yn], wenn ein t ∈ R× = R\0mit xi = tyi für alle i ∈ 0, . . . , n existiert, wenn also x = ty (oder äquivalent y = t−1x)gilt. (In der Definition des projektiven Raumes können wir R auch durch Q oder C erset-zen und erhalten so projektive Räume über den rationalen oder den komplexen Zahlen.)Auf dem projektiven Raume wirkt die allgemeine lineare Gruppe durch

GLn+1(R)× Pn(R)→ Pn(R), (A, x) 7→ A · x.

(Diese Abbildung ist wohldefiniert, da Matrizenmultiplikation mit Skalarmultiplikationvertauscht.) Aufgrund der Definition der projektiven Gruppe ist die Wirkung allerdingsnicht effektiv: Der induzierte Gruppenhomomorphismus

GLn+1(R)→ Aut(Pn(R)), A 7→ A∗, (6.7)

wobei A∗ die Multiplikation mit A ist, hat im Kern (genau) die Matrizen in N = t · In |t ∈ Q. Ist A eine beliebige Matrix und B eine Matrix aus N , so ist (AB)∗ = A∗ B∗, daB∗ aber die Identität auf Pn(R) ist, folgt (AB)∗ = A∗. Damit erhalten wir offensichtlicheine wohldefinierte Abbildung

PGLn+1(R) = GLn+1(R)/N → Aut(Pn(R)), A 7→ A∗, (6.8)

welche nach Konstruktion der Gruppenstruktur der Faktorgruppe PGLn+1(R) sogar einGruppenhomomorphismus ist. Weiter ist sie injektiv, denn ist A∗ = id, so folgt A ∈ N ,also A = 1 in PGLn+1(R). Folglich erhalten wir eine effektive Gruppenwirkung

PGLn+1(R)× Pn(R)→ Pn, (A, x) 7→ A · x.

Diese Wirkung der PGLn+1(R) auf dem projektiven Raume gibt dieser Gruppe ihrenNamen. (Auch hier können wir den Koeffizientenbereich R wieder durch einen anderenersetzen.)Der Übergang vom Gruppenhomomorphismus (6.7) auf (6.8) ist Teil eines allgemei-

neren Prinzips: Sei f : G→ H ein Gruppenhomomorphismus. Dieser ist im allgemeinennicht injektiv, besitzt also einen möglicherweise nicht trivialen Kern N . Dieser ist einNormalteiler, so daß wir die Faktorgruppe G/N bilden können. Wie oben folgt, daßf : G/N → H eine wohldefinierte Abbildung ohne Kern (das heißt mit trivialem) ist.Wir haben damit die folgende wichtige Proposition, die meist unter dem Namen „Ho-momorphiesatz“ zitiert wird:

Proposition 6.65. Sei f : G→ H ein Gruppenhomomorphismus. Dann ist

G/ ker f → H, g 7→ f(g)

eine wohldefinierter injektiver Gruppenhomomorphismus.

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6.4. Normalteiler und Faktorgruppen

Folgerung 6.66. Sei f : G→ H ein Gruppenhomomorphismus. Dann ist

G/ ker f → im f, g 7→ f(g)

eine wohldefinierter Gruppenisomorphismus.

Ebenso leicht läßt sich folgende Verallgemeinerung des Homomorphiesatzes zeigen:

Proposition 6.67. Sei f : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Sei N ⊆ ker f einNormalteiler in G. Dann ist

G/N → H, g 7→ f(g)

eine wohldefinierter Gruppenhomomorphismus, dessen Kern durch ker f/N gegeben ist.

Eine Anwendung der Faktorgruppe ist die Angabe einer Gruppe durch „Erzeugerund Relationen“: Seien g1, . . . , gn irgendwelche Symbole, welche zyklische GruppenGi = . . . , g−1

i , 1, gi, g2i , . . . definieren (jede einzelne dieser Gruppen ist vermöge Z →

Gi, n 7→ gni zur additiven Gruppe der ganzen Zahlen isomorph). Wir setzen F :=G1 ∗ · · · ∗ Gn. Seien r1, . . . , rm Elemente von F , das heißt Wörter in g1, . . . , gn (undderen Potenzen). Sei N der kleinste Normalteiler in F , welcher r1, . . . , rm enthält (alsoder Schnitt aller Normalteiler in G, welche r1, . . . , rm enthalten). Dann heißt

G := 〈g1, . . . , gn | r1, . . . , rm〉 := F/N,

die durch die Erzeuger g1, . . . , gn und die Relationen r1, . . . , rm gegebene Gruppe.Jedes Gruppenelement in G ergibt sich durch Multiplikation und Inversenbildung ausg1, . . . , gn, und G ist gewissermaßen die größte Gruppe mit dieser Eigenschaft, in derzudem die Relationen r1 = 1, . . . , rm = 1 gelten:

Proposition 6.68. Sei H eine Gruppe, in der Elemente g′1, . . . , g′n ausgezeichnet sei-en. Für jede Relation ri sei r′i dasjenige Gruppenelement von H, welches entsteht, wennim Wort ri die Symbole gi durch die Elemente g′i ersetzt werden (und die Gruppenver-knüpfung der Worte durch die Gruppenverknüpfung in H ausgetauscht wird). Gilt dannr′1 = · · · = r′m = 1 in H, so existiert genau ein Gruppenhomomorphismus

f : 〈g1, . . . , gn | r1, . . . , rm〉 → H

so daß f(gi) = g′i.

Beweis. Nach Konstruktion des freien Produktes F existiert zunächst genau ein Grup-penhomomorphismus

f : F → H, gi 7→ g′i.

Nach dem Homomorphiesatz Proposition 6.65 auf der vorherigen Seite bleibt zu zeigen,daßN im Kern ker f dieses Gruppenhomomorphismus F → H liegt. Nach Voraussetzungliegen zumindest r1, . . . , rm in ker f , denn f(ri) = r′i. Es ist ker f nach der allgemeinenTheorie ein Normalteiler von F . Da N minimal gewählt war, folgt N ⊆ ker f .

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6. Gruppen

Beispiel 6.69. Es ist 〈g | gn〉 eine zyklische Gruppe der Ordnung n mit Erzeuger g.Beispiel 6.70. Die Gruppe 〈g, h | ghg−1h−1〉 ist isomorph zum direkten Produkt von Zmit sich selbst.Bevor wir fortfahren, möchten wir noch einmal betonen, daß der Begriff des Normaltei-

lers im Gegensatz zu dem der Untergruppe ein relativer ist. Damit meinen wir folgendes:Seien G eine Gruppe, H eine Untergruppe von G und K eine Teilmenge von H. Dannist K genau dann eine Untergruppe von H, wenn K eine Untergruppe von G ist. Aufder anderen Seite folgt aus der Tatsache, daß K ein Normateiler von H ist, nicht, daßK auch ein Normalteiler von G ist (umgekehrt schon; diese Tatsache ist trivial). Alstriviales Beispiel betrachten wir die zweielementige Untergruppe 〈(1, 2)〉 von S3. Dieseist Normalteiler in sich selbst, aber nicht in S3, da zum Beispiel (1,3)(1, 2) = (2, 3).Bemerkung 6.71. Etwas Ähnliches ist auch aus dem Kontext topologischer Räume be-kannt: Sei X ein topologischer Raum. Seien Z ⊆ Y ⊆ X zwei Unterräume. Ist Z abge-schlossen in X, so ist Z auch in Y abgeschlossen. Umgekehrt folgt aus der Tatsache, daßZ in Y abgeschlossen ist (für Y = Z wäre das ja immer der Fall), nicht der Abschlußvon Z in X. Im Gegensatz dazu steht die Kompaktheit: Die Kompaktheit von Z istunabhängig davon, ob Z als Teilraum von Y oder als Teilraum von X betrachtet wird.Im topologischen Falle können wir immer dafür sorgen, daß ein Teilraum abgeschlossen

wird, indem wir die Randpunkte hinzufügen. Im Falle von Untergruppen können wirÄhnliches tun: Der normale Abschluß GH einer Untergruppe H in einer Gruppe G istdie kleinste Untergruppe von G, welche alle Elemente der Form ghg−1 mit g ∈ G undh ∈ H enthält, das heißt

GH =⋂K

K,

wobei der Schnitt über alle Untergruppen K von G läuft, für die ghg−1 ∈ K für alleg ∈ G und h ∈ H gilt. Der normale Abschluß GH enthält H und ist offensichtlich diekleinste Untergruppe mit dieser Eigenschaft, welche ein Normalteiler in G ist.Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, eine Untergruppe H einer Gruppe G zu einem

Normalteiler zu machen, nämlich indem wir G ausreichend verkleinern: Dazu definierenwir

NH(G) := g ∈ G | gH = H für alle h ∈ H,

den Normalisator von H in G, für den wir auch kürzer NH schreiben, wenn die Gruppe Gaus dem Kontext klar ist. Es ist NH eine Untergruppe von G (nämlich die Standgruppezu H der Konjugationswirkung von G auf der Menge der Untergruppen von G!), undzwar die größte von G, in der H ein Normalteiler ist.Beispiel 6.72. Der Normalisator einer Untergruppe H einer Gruppe G taucht zum Bei-spiel in folgender wichtiger Situation auf: Wir versehen die Menge G/H mit der Links-translation als G-Wirkung. Mit AutG(G/H) wollen wir die Menge der G-äquivariantenBijektionen von G/H auf sich selbst beschreiben. Diese Menge ist eine Untergruppe allerBijektionen von G/H auf sich selbst. Wir wollen die Gruppe AutG(G/H) beschreiben.Dazu überlegen wir uns zunächst, daß jede G-äquivariante Abbildung f : G/H → G/Hschon durch f(1) ∈ G/H beschrieben wird, denn aufgrund der G-Äquivarianz ist f(g) =

252

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6.4. Normalteiler und Faktorgruppen

gf(1) für alle g ∈ G. Damit ist AutG(G/H) in natürlicher Weise eine Teilmenge vonG/H.Im allgemeinen wird allerdings nicht jedes Element in G/H als Bild der Eins unter

einer Abbildung in AutG(G/H) auftauchen: Dazu betrachten wir g ∈ G und h ∈ H.Dann ist g = gh in G/H. Folglich ist

g · f(1) = f(g) = f(gh) = gh · f(1)

in G/H, das heißt f(1)−1hf(1) liegt in H. Da h ∈ H beliebig ist, folgt, daß f(1)−1 (unddamit gleichbedeutend f(1)) im Normalisator von H in G liegen muß. Dies ist aber auchdie einzige Einschränkung, so daß wir die Bijektion

AutG(G/H)→ NH(G)/H, f 7→ f(1)

erhalten. Wie sich leicht nachrechnen läßt, ist diese Bijektion sogar ein Gruppenisomor-phismus. (Das Beispiel ist deswegen so wichtig, weil jede transitive G-Wirkung bis aufIsomorphie Linkstranslation auf G/H ist.)Eine kurze exakte Sequenz von Gruppen ist eine Folge

1 −−−−→ G′f−−−−→ G

g−−−−→ G′′ −−−−→ 1

von Gruppen und Gruppenhomomorphismen, so daß f injektiv ist, g surjektiv ist unddaß im f = ker g. Nach Folgerung 6.66 auf Seite 251 sind die linke und die rechte vertikaleAbbildung im Diagramm

1 −−−−→ G′f−−−−→ G

g−−−−→ G′′ −−−−→ 1

f

y ∥∥∥ xg1 −−−−→ ker g −−−−→ G −−−−→ G/G′ −−−−→ 1

beide Isomorphismen. Wir sagen daher auch, daß jede kurze exakte Sequenz von Gruppenzu einer der Form 1→ G′ → G→ G/G′ → 1 isomorph ist, wobei G′ ein Normalteiler inG ist.Weitere Aussagen ähnlicher Art sind die sogenannten Isomorphiesätze. Der erste Iso-

morphiesatz ist:

Proposition 6.73. Sei G eine Gruppe. Seien H ein Normalteiler in G und K ⊆ HNormalteiler in G. (Insbesondere ist also auch K ein Normalteiler in H.) Dann ist

i : H/K → G/K, h 7→ h

die Inklusion eines Normalteilers von G/K und

f : (G/K)/(H/K)→ G/H, g 7→ g

ein wohldefinierter Gruppenisomorphismus.

253

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6. Gruppen

Beweis. Die Sequenz

1 −−−−→ H/K −−−−→ G/K −−−−→ G/H −−−−→ 1,

deren nicht triviale Abbildungen durch H/K → G/K, h 7→ h und G/K → G/H, g 7→ ggegeben sind, eine kurze exakte Sequenz von Gruppen. (Dies nachzurechnen sollte eineleichte Übung sein.) Es folgt nach dem zuvor gesagten über die Form kurzer exakterSequenzen, daß f ein Isomorphismus von Gruppen ist.

Im zweiten Isomorphiesatz gibt eine Interpretation der Formel (5.12) aus Teil I, welche

[H : H ∩N ] = [HN : N ]

lautete. Dabei war H eine endliche Untergruppe einer Permutationsgruppe G und N einendlicher Normalteiler in G. Wir können die Formel in größerer Allgemeinheit gewinnen:G sei eine beliebige Gruppe, H eine beliebige Untergruppe, und anstelle eines Normal-teilers N betrachten wir eine Untergruppe K, so daß H zumindest im Normalisator NK

von K in G liegt. (Ist K ein Normalteiler, so ist diese Bedingung wegen NK = G indiesem Falle automatisch erfüllt.) Wie in Abschnitt 5.6 auf Seite 193 zeigt sich, daßHK = hk | h ∈ H, k ∈ K eine Untergruppe von G ist. Wir können damit formulieren:

Proposition 6.74. Seien H und K zwei Untergruppen einer Gruppe G, so daß Him Normalisator von K in G liegt. Dann ist H ∩ K ein Normalteiler in H, K einNormalteiler in HK, und die Abbildung

H/(H ∩K)→ HK/K, h 7→ h

ist ein wohldefinierter Gruppenisomorphismus.

Beweis. Da H im Normalisator von K liegt, ist offensichtlich H ∩ K ein Normalteilerin K. Aus demselben Grunde ist K ein Normalteiler in HK, welches im übrigen diekleinste Untergruppe von G ist, welche sowohl H als auch K enthält. Wir betrachten alsnächstes die Sequenz

1 −−−−→ H ∩K f−−−−→ Hg−−−−→ HK/K −−−−→ 1, (6.9)

deren nicht triviale Abbildungen jeweils durch Inklusionen induziert werden. Die Abbil-dung f ist sicherlich injektiv. Die Abbildung g ist surjektiv: Jedes Element in HK/K istvon der Form hk mit h ∈ H und k ∈ K. Da hk = h in HK/K, folgt daß jedes Elementim Bild von g liegt. Schließlich behaupten wir, daß der Kern von g gleich dem Bild von fist: Es liegt h ∈ H genau dann im Kern von g, wenn h = 1 in HK/K, wenn also h ∈ Kliegt, wegen h ∈ H also h ∈ H ∩K. Damit ist (6.9) eine kurze exakte Sequenz, und dieAussage folgt aus dem oben gesagten über die Form kurzer exakter Sequenzen.

Eng verknüpft mit kurzen exakten Sequenzen ist das sogenannte halbdirekte Produktzweier Gruppen. Zur Motivation betrachten wir die euklidischen Bewegungen des Raum-es R3. Dazu gehören zum einen die Drehungen und die Translationen. Die Drehungenwerden durch die effektive Wirkung

SO3(R)× R3 → R3, (A, v) 7→ Av

254

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6.4. Normalteiler und Faktorgruppen

der Drehgruppe SO3(R) beschrieben, die Translationen durch die effektive Wirkung

R3 × R3 → R3, (b, v) 7→ b+ v,

wobei die Gruppenverknüpfung von R3 die Vektoraddition und das neutrale Elemente derNullvektor ist. Jede beliebige euklidische Bewegung läßt sich (eindeutig) als Hinterein-anderausführung einer Drehung mit anschließender Translation schreiben. Wir könnendaher jede euklidische Bewegung als Paar (b, A) ∈ G := R3 × SO3(R) schreiben und dieWirkung als

f : G× R3 → R3, ((b, A), v) 7→ b+Av (6.10)

beschreiben. Können wir G so mit einer Gruppenstruktur versehen, so daß f eine Wir-kung einer Gruppe wird? Die naive Idee, G mit der Struktur des direkten Produkteszu versehen, funktioniert nicht, da Drehungen und Translationen im allgemeinen nichtvertauschen: Seien etwa

b =

100

, A =

0 −1 01 0 00 0 1

.Dann ist

f((0, A), f((b, 0), 0)) =

010

6=1

00

= f((b, 0), f(0, A), 0),

das heißt die Wirkung von (b, 0) kommutiert nicht mit der Wirkung von (0, A). Aufder anderen Seite kommutieren diese Elemente aber, wenn sie als Gruppenelemente desdirekten Produktes aufgefaßt werden. Wir müssen f also genauer analysieren: Dazubetrachten wir (b, A), (b′, A′) ∈ G. Dann gilt

f((b, A), f((b′, A′), v)) = b+A · (b′ +A′v) = (b+Ab′) +AA′ · v.

Folglich wird (6.10) zu einer Wirkung einer GruppeG, wenn wir die Gruppenverknüpfungauf G durch

G×G→ G, ((b, A), (b′, A′)) 7→ (b, A) · (b′, A′) := (b+Ab′, AA′)

definieren. Dabei ist die Gruppeneins durch (0, I3) gegeben. Die Inverse zu (b, A) ist(−A−1b, A−1). Mit dieser Gruppenstruktur versehen, heißt G die Galileische7 Gruppe.Wir wollen die Struktur von G untersuchen: Dazu definieren wir

H := (A, 0) ∈ G | A ∈ SO3(R), N := (0, b) ∈ G | v ∈ R3.

Beide Teilmengen sind nach Definition der Gruppenstruktur auf G offensichtlich Unter-gruppen, nämlich die der Drehungen und Translationen. Im folgenden identifizieren Hmit SO3 und N mit R3. Daß wir die zweite Untergruppe mit N abgekürzt haben, ist

7Galileo Galilei, 1564–1642, italienischer Philosoph, Mathematiker, Physiker und Astronom

255

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6. Gruppen

nicht ohne Grund, denn sie ist ein Normalteiler. Um das einzusehen, betrachten wir einb ∈ R3 und (A′, b′) ∈ G. Dann gibt eine kurze Rechnung, daß

(A′, b′) · b · (A′, b′)−1 = A′ · b ∈ R3 ∼= N.

Die rechte Seite können wir auch als Wirkung

g : SO3(R)× R3 → R3, (A′, b) 7→ A′b

der Untergruppe H auf dem Normalteiler N verstehen, wobei jedes Element A′ ∈ Hdurch Gruppenautomorphismen wirkt (das heißt, A′∗ ist ein Gruppenautomorphismusvon R3).Diese Konstruktion können wir verallgemeinern:

Konzept 6.75. Seien H und N zwei beliebige Gruppen, und sei g : H → Aut(N), h 7→h∗ ein Gruppenhomomorphismus, dessen Bild in den Gruppenautomorphismen von Nliegt. Dann heißt die Gruppe N og H, deren Elemente durch Paare (n, h) mit n ∈ N ,h ∈ H, deren Gruppeneins durch (1, 1) und deren Gruppenverknüpfung durch

(N og H)× (N og H)→ (N og H), ((n, h), (n′, h′)) 7→ (nh∗(n′), hh′)

gegeben ist, das halbdirekte Produkt von N mit H (bezüglich g).

Versteht sich g aus dem Zusammenhange, schreiben wir auch einfach N oH anstelleN og H. Die injektiven Abbildungen H → N og H,h 7→ (1, h) und N → N og H,n 7→(n, 1) sind Gruppenhomomorphismen, so daß wir H und N mit ihren Bildern im halb-direkten Produkte N og H identifizieren können. Unter dieser Identifikation ist N einNormalteiler in N oH, und es gilt hn = h∗n für h ∈ H und n ∈ N .

Beispiel 6.76. Die Galileische Gruppe ist ein halbdirektes Produkt R3oSO3(R) bezüglichdes Gruppenhomomorphismus’

SO3(R)→ Aut(R3), A 7→ (b 7→ Ab).

Beispiel 6.77. Sei n ≥ 3. Die Dieder-Gruppe Dn, die Symmetriegruppe eines ebenen re-gelmäßigen n-Ecks im Raume kann ebenfalls als halbdirektes Produkt aufgefaßt werden:Jede Symmetrie ist durch Hintereinanderausführung einer Drehung in der Ebene undeiner anschließenden Spiegelung oder identischen Abbildung gegeben. Die Drehungen inder Ebene bilden eine zyklische Gruppe Cn, die Identität zusammen mit der Spiegelungeine zyklische Gruppe C2. Es wirkt C2 auf Cn durch

C2 × Cn → Cn, (σ, τ) 7→τ falls σ = 1 undτ−1 falls σ 6= 1.

Diesbezüglich ist Dn isomorph zum halbdirekten Produkte Cn o C2.

256

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6.4. Normalteiler und Faktorgruppen

Was hat das halbdirekte Produkt N oH mit kurzen exakten Sequenzen zu tun? Dazustellen wir fest, daß

1 −−−−→ Nf−−−−→ N oH

g−−−−→ H −−−−→ 1,

wobei f : n 7→ (n, 1) und g : (n, h) 7→ h, eine kurze exakte Sequenz ist. Diese kurze exakteSequenz hat eine besondere Eigenschaft. Und zwar besitzt sie einen Gruppenhomomor-phismus s : H → N o H,h 7→ (1, h), für den g s = idH gilt. Wir sagen, s ist eineZerfällung der exakten Sequenz und daß die Sequenz zerfällt.Sei jetzt umgekehrt eine kurze exakte Sequenz

1 −−−−→ G′f−−−−→ G

g−−−−→ G′′ −−−−→ 1

mit Zerfällung s : G′′ → G gegeben (also g s = idG′′). Für g′ ∈ G′ und g′′ ∈ G′′ ist danns(g′′)f(g′)s(g′′)−1 im Kern von g, das heißt es existiert eine Abbildung

a : G′′ ×G′ → G′

mit f(a(g′′, g′)) = s(g′′)f(g′)s(g′′)−1. Die Abbildung f ist eine Wirkung von G′′ auf G′,und bilden wir das halbdirekte Produkt G′ oG′′ bezüglich dieser Wirkung, so ist

1 −−−−→ G′ −−−−→ G′ oG′′ −−−−→ G′′ −−−−→ 1∥∥∥ h

y ∥∥∥1 −−−−→ G′ −−−−→ G −−−−→ G′′ −−−−→ 1,

ein Isomorphismus kurzer exakter Sequenzen, wobei h : G′oG′′ → G, (g′, g′′) 7→ g′s(g′′).Bis auf Isomorphie sind halbdirekte Produkte also nicht anderes als zerfallende kurzeexakte Sequenzen.

AufgabenAufgabe 6.4.1. Sei G eine Gruppe. Sei (Ni)i∈I eine Familie normaler Untergruppen vonG. Zeige, daß N :=

⋂i∈I

Ni wieder ein Normalteiler von G ist.

Aufgabe 6.4.2. Sei G eine Gruppe. Sei H eine Untergruppe von G. Sei (Ni)i∈I die Familiealler Normalteiler von G, welche H enthalten. Zeige, daß

⋂i∈I

Ni der normale Abschluß

von H in G ist.Aufgabe 6.4.3. Gib einen ausführlichen Beweis für Proposition 6.67 auf Seite 251.Aufgabe 6.4.4. Sei n ≥ 3. Gib einen Isomorphismus von der Dieder-Gruppe Dn zu einerGruppe mit zwei Erzeugern und zwei Relationen an.Aufgabe 6.4.5. Zeige, daß jedes direkte Produkt zweier Gruppen auch als halbdirektesProdukt angesehen werden kann.Aufgabe 6.4.6. Seien G eine Gruppe, N ein Normalteiler in G und H eine beliebigeUntergruppe von G. Jedes Element von G lasse sich als Produkt nh mit n ∈ N und

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6. Gruppen

h ∈ H darstellen. Schließlich sei N ∩ H die triviale Gruppe. Gib eine Wirkung von Hauf N an, so daß für das diesbezüglich konstruierte halbdirekte Produkt N oH gilt, daß

N oH → G, (n, h) 7→ nh

ein Gruppenisomorphismus ist.Aufgabe 6.4.7. Sei n ≥ 1. Zeige, daß die orthogonale Gruppe On(R) isomorph zu einemhalbdirekten Produkte von SOn(R) mit C2 ist.Aufgabe 6.4.8. Zeige, daß

R3 o SO3(R)→ GL4(R), (b, A) 7→(

A b

0 0 0 1

)

ein injektiver Gruppenhomomorphismus von der Galileischen Gruppe ist. Wir könnendie Galileische Gruppe also auch als Matrizengruppe auffassen.

6.5. Auflösbare GruppenIn diesem Abschnitt wollen die aus Teil I bekannte Definition der Auflösbarkeit einer(Permutations-)Gruppe in einen allgemeineren Kontext stellen. Zunächst überträgt sichdie Definition einer einfachen Gruppe:

Definition 6.78. Eine Gruppe G heißt einfach, falls G genau zwei Normalteiler hat,nämlich die trivialen Normalteiler 1 und G.

Eine Gruppe ist also genau dann einfach, wenn sie von der trivialen Gruppe verschie-den ist und keinen nicht trivialen Normalteiler besitzt.Wir werden sehen, daß die endlichen einfachen Gruppen in gewisser Weise die Bau-

steine aller endlichen Gruppen sind. Dazu betrachten wir eine beliebige endliche GruppeG. Im Falle, daß G nicht schon einfach ist, besitzt G einen nicht trivialen endlichen Nor-malteiler N (also N 6= 1 und N 6= G). Wir wählen N maximal (bezüglich der Inklusion)mit dieser Eigenschaft. Wir behaupten, daß G/N eine einfache Gruppe ist. Dazu stellenwir zunächst fest, daß G/N eine nicht triviale Gruppe ist (denn sonst wäre N = G).Angenommen, G/N besitzt einen nicht trivialen Normalteiler K. Bezeichnen wir mitp : G → G/N den kanonischen Gruppenhomomorphismus, so ist H := p−1(K) ein Nor-malteiler in G (daß Urbilder von Normalteilern unter Gruppenhomomorphismen wiederNormalteiler sind, folgt unmittelbar aus den Eigenschaften eines Gruppenhomomorphis-mus). Die endliche Teilmenge H umfaßt aber echt den Kern N des Homomorphismus p.Dies ist ein Widerspruch zur Maximalität von N . Es ist G/N also eine einfache Gruppe.Ist N selbst einfach, so erhalten wir eine Reihe

G ⊇ N ⊇ 1,

so daß die Faktorgruppen aufeinanderfolgender Untergruppen (in diesem Falle G/N undN = N/1) jeweils einfache endliche Gruppen sind. Ist N nicht einfach, so besitzt N

258

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6.5. Auflösbare Gruppen

wieder einen maximalen nicht trivialen Normalteiler N ′ und N/N ′ ist einfach. Es ergibtsich die Reihe

G ⊇ N ⊇ N ′ ⊇ 1,

so daß jede Untergruppe Normalteiler in der vorhergehenden ist und deren erste beidenFaktorgruppen einfach sind. Ist N ′ selbst nicht einfach, so können wir mit N ′ fortfahren,wie wir mit N fortgefahren sind, usw. Schließlich erhalten wir eine Reihe

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gn = 1,

die eine Kompositionsreihe gemäß folgender Definition ist:

Definition 6.79. Sei G eine Gruppe. Eine Kompositionsreihe von G ist eine absteigendeFolge

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gn = 1,

von Untergruppen von G, so daß jeweils Gi Normalteiler in Gi−1 ist und die Faktorgrup-pen Gi−1/Gi jeweils einfache Gruppen sind.

Wir haben also gezeigt, daß jede endliche Gruppe eine Kompositionsreihe besitzt.Eine Kompositionsreihe heißt auflösbar (in Teil I haben wir dazu Normalreihe gesagt),

wenn die Faktorgruppen jeweils Gruppen von Primordnung sind. Im Falle, daß G eineauflösbare Kompositionsreihe besitzt, heißt G auflösbar.

Beispiel 6.80. Eine Gruppe G ist genau dann einfach, wenn

G ⊇ 1

eine Kompositionsreihe ist.

Beispiel 6.81. Sei G eine zyklische Gruppe mit Erzeuger g der Ordnung n. Sei n =p1 · · · pk die Primfaktorzerlegung von n (wobei einige Primzahlen eventuell mehrfachauftauchen). Dann ist

G = 〈g〉 ⊇ 〈gp1〉 ⊇ 〈gp1p2〉 ⊇ · · · ⊇ 〈gp1···pk〉 = 1

eine Kompositionsreihe: Die Faktorgruppen 〈gp1···pk−1〉/〈gp1···pk〉 sind jeweils zyklisch mitErzeuger gp1···pk−1 von Primordnung pk. Und endliche Gruppen von Primordnung sindzyklisch und einfach.

Beispiel 6.82. Eine Kompositionsreihe der symmetrischen Gruppe in drei Ziffern ist

S3 ⊇ A3 ⊆ 1,

eine der symmetrischen Gruppe in vier Ziffern ist

S4 ⊇ A4 ⊇ V4 ⊇ C2 ⊇ 1.

259

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6. Gruppen

Beispiel 6.83. Sei n ≥ 5. Eine Kompositionsreihe von Sn ist durch

Sn ⊇ An ⊇ 1

gegeben, denn die alternierende Gruppe An ist für n ≥ 5 einfach und Sn/An hat Prim-ordnung.Wir können Kompositionsreihen zusammensetzen. Damit meinen wir:

Beispiel 6.84. Sei G eine Gruppe mit Normalteiler N . Seien G/N = H0 ⊇ H1 ⊇ · · · ⊇Hm = 1 eine Kompositionsreihe von G/N und N = N0 ⊇ N1 ⊇ · · · ⊇ Nk = 1 eineKompositionsreihe von N . Ist p : G → G/N der kanonische Gruppenhomomorphismus,so bezeichnen wir mit Gi := p−1(Hi) das Urbild von Hi unter p. Wir erhalten damit eineReihe

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gm = N (6.11)

von Untergruppen. Aus der Tatsache, daß Hi ein Normalteiler von Hi−1 ist, folgt leicht,daß Gi ein Normalteiler von Gi−1 ist, denn Gi ist auch das Urbild von Hi unter derEinschränkung von p auf Gi−1. Da der Kern der Einschränkung von p auf Gi geradeN ist, ist nach dem Homomorphiesatz Gi/N isomorph zu Hi. Es folgt, daß die nachVoraussetzung einfache Gruppe Hi−1/Hi isomorph zu (Gi−1/N)/(Gi/N) ist. Dies istnach dem ersten Isomorphiesatz Proposition 6.73 auf Seite 253 wiederum isomorph zuGi−1/Gi. Es folgt, daß die sukzessiven Faktorgruppen von (6.11) allesamt einfach sind.Damit erhalten wir eine Kompositionsreihe

G ⊇ G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gm = N0 ⊇ N1 ⊇ · · · ⊇ Nk = 1

von G, die sich gewissermaßen aus der Kompositionsreihe von N und G/N zusammen-setzt.Nach unserem Existenzbeweis für Kompositionsreihen für endliche Gruppen stellt sich

natürlich die Frage nach der Eindeutigkeit. Diese kann im naiven Sinne sicherlich nichtgelten. Dazu sei das Beispiel 6.81 auf der vorherigen Seite betrachtet: Eine Vertauschungder Primfaktoren von n liefert im allgemeinen eine andere Kompositionsreihe. Allerdingsbleiben bis auf Reihenfolge und Isomorphie die sukzessiven Faktorgruppen erhalten (die-se sind nämlich jeweils zyklische Gruppen der Ordnungen p1, . . . , pk). Diese Art vonEindeutigkeit gilt auch im allgemeinen und ist die Aussage des folgenden Satzes von(Camille) Jordan und Hölder8:

Satz 6.85. Sei G eine endliche Gruppe. Sind dann

G = G0 ⊇ G1 ⊇ · · · ⊇ Gn = 1

undG = G′0 ⊇ G′1 ⊇ · · · ⊇ G′m = 1

zwei Kompositionsreihen von G, so existieren eine Bijektion σ : 1, . . . , n → 1, . . . ,m(insbesondere gilt also n = m) und Gruppenisomorphismen Gi−1/Gi → Gσ(i)−1/Gσ(i).

8Otto Hölder, 1859–1937, deutscher Mathematiker

260

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6.5. Auflösbare Gruppen

Die Faktorgruppen sind mit Vielfachheit und bis auf Isomorphie für eine endlicheGruppe also eindeutig bestimmt. Wir sagen daher, zwei Kompositionsreihen einer end-lichen Gruppe seien im wesentlichen eindeutig. Wir können also — auch in Hinblick aufBeispiel 6.81 auf Seite 259 — die Kompositionsreihe einer Gruppe als Art „Primfaktor-zerlegung“ und die auftretenden Faktorgruppen als „Primfaktoren“ ansehen (das Wort„Faktorgruppe“ hat hier auch seinen Ursprung). Im Gegensatz zur Primfaktorzerlegungeiner ganzen Zahl wird eine endliche Gruppe aber nicht durch ihre einfachen Faktorenbestimmt (genaugenommen wir eine ganze Zahl auch nur bis aus Vorzeichen durch ihrePrimfaktoren bestimmt; in diesem Sinne stimmt der Vergleich also immer noch):Beispiel 6.86. Die endlichen Gruppen C4 und C2 × C2 sind nicht isomorph: die ersteGruppe hat zwei Elemente der Ordnung 4, die Ordnungen der Elemente der zweitenGruppe sind höchstens 2. Eine Kompositionsreihe von C4 besitzt nach Beispiel 6.81 aufSeite 259 zwei Faktoren, die beide isomorph zu C2 sind. Eine Kompositionsreihe vonC2 × C2 ist zum Beispiel durch

C2 × C2 ⊇ C2 × 1 ⊇ 1× 1 = 1

gegeben. Die beiden sukzessiven Faktorgruppen sind wieder isomorph zu C2.Obwohl C4 und C2×C2 also nicht isomorph sind, besitzen sie beide dieselben einfachen

Faktoren.

Beweis von Satz 6.85 auf der vorherigen Seite. Wir führen den Beweis über Induktionüber n. Im Falle n = 0 ist G = 1 und nichts ist zu zeigen. Sei also n > 0. Ist G1 = G′1, sokönnen wir die Induktionsvoraussetzung von G1 anwenden und sind ebenso fertig. Alsonehmen wir im folgenden G1 6= G′1 an. Daraus folgt, daß G1G

′1 = G, denn G1G

′1 ist

ein Normalteiler in G, welcher echt größer als G1 ist und aufgrund der Einfachheit vonG/G1 gibt es keine Normalteiler echt zwischen G1 und G liegend.Sei H := G1 ∩G′1. Wir wählen eine Kompositionsreihe

H = H0 ⊇ H1 ⊇ · · · ⊇ Hk = 1

von H. Nach dem zweiten Isomorphiesatz Proposition 6.74 auf Seite 254 ist G1/H iso-morph zu G1G

′1/G

′1 = G/G′1. Die rechte Seite ist eine einfache Gruppe. Folglich ist H

ein Normalteiler mit einfacher Faktorgruppe in G1. Damit sind

G1 ⊇ G2 ⊇ · · · ⊇ Gn = 1

undG1 ⊇ H = H0 ⊇ · · · ⊇ Hk = 1

zwei Kompositionsreihen für G1. Nach Induktionsvoraussetzung haben beide bis aufIsomorphie und Reihenfolge dieselben einfachen Faktorgruppen. Insbesondere ist k +1 = n − 1. Alsdann können wir denselben Vergleich mit der Kompositionsreihe G′1 ⊇· · · ⊇ G′m = 1 ziehen, und erhalten nach Induktionsvoraussetzung, daß n = m unddaß die einfachen Faktoren mit Vielfachheit bis auf Reihenfolge und Isomorphie derReihe zu G1 und zu G′1 übereinstimmen. Da außerdem G1/H isomorph zu G/G′1 istund aus Symmetriegründen genauso G′1/H zu G/G1 stimmen sogar alle Faktoren derKompositionsreihen zu G und G′ bis auf Reihenfolge überein.

261

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6. Gruppen

AufgabenAufgabe 6.5.1. Sei f : G → H ein Homomorphismus von Gruppen. Sei K eine Unter-gruppe von H. Zeige, daß das das Urbild f−1(K) eine Untergruppe von G ist.Aufgabe 6.5.2. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. SeiN ein Normalteilervon H. Zeige, daß das das Urbild f−1(N) ein Normalteiler von G ist.Aufgabe 6.5.3. Seien G eine endliche Gruppe und N ein endlicher Normalteiler in G.Zeige, daß G genau dann auflösbar ist, wenn G/N und N auflösbare Gruppen sind.Aufgabe 6.5.4. Zeige, daß jede endliche p-Gruppe (also jede endliche Gruppe, derenOrdnung eine Primpotenz ist), auflösbar ist.Aufgabe 6.5.5. Zeige: Sind N und N ′ zwei auflösbare Normalteiler einer Gruppe G, soist auch N ·N ′ = nn′ | n ∈ N,n′ ∈ N ′ ein auflösbarer Normalteiler von G.Aufgabe 6.5.6. Sei G ein endliche Gruppe. Zeige, daß eine größter endlicher auflösbarerNormalteiler N von G existiert (das heißt jeder endliche auflösbare Normalteiler von Gliegt in N und N ist endlicher auflösbarer Normalteiler).

6.6. Die Sylowschen SätzeWir beginnen diesen Abschnitt mit einer teilweisen Umkehrung des Lagrangeschen Sat-zes. Dieser besagt für eine endliche Gruppe G bekanntlich, daß die Ordnung einer jedenendlichen Untergruppe von G ein Teiler der Gruppenordnung ist. Eine gewissermaßenvollständige Umkehrung hätten wir, könnten wir beweisen, daß zu jedem Teiler derGruppenordnung von G eine endliche Untergruppe H von G existiert, deren Ordnunggerade durch den Teiler gegeben ist. Dies ist im allgemeinen nicht wahr, es sei denn, wirbetrachten Primteiler. Dann ist die (wahre) Aussage als Cauchyscher Satz bekannt:

Proposition 6.87. Sei G eine endliche Gruppe. Sei p ein Primteiler der Ordnung vonG. Dann existiert eine endliche Untergruppe H von G der Ordnung p.

Mit Hilfe des Cauchyschen Satzes werden wir weiter unten in diesem Abschnitt eineVerallgemeinerung auf den Fall von Primpotenzen beweisen können. Da jede endlicheGruppe von Primordnung zyklisch ist und deren Erzeuger dieselbe Primordnung haben,folgt aus dem Cauchyschen Satz gerade, daß für jeden Primteiler p der Ordnung von Gein Element der Ordnung p existiert.

Beweis. Sei n := [G : 1]. Die Menge

X := (g1, . . . , gp) | g1, . . . , gp ∈ G, g1g2 · · · gp = 1

der p-Tupel von Gruppenelementen, welche sich zu 1 multiplizieren, hat Mächtigkeitnp−1, da wir die ersten (p − 1) Elemente des Tupels frei wählen können und das letzteElement sich dann zu

gp = (g1g2 · · · gp−1)−1

ergibt. Wir nennen zwei p-Tupel in X äquivalent, wenn sie durch eine zyklische Per-mutation auseinander hervorgehen. Sind alle Komponenten eines p-Tupels gleich, ist es

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6.6. Die Sylowschen Sätze

nur zu sich selbst äquivalent. Andernfalls ist es zu insgesamt p Tupeln äquivalent (sichselbst eingeschlossen). Sei s die Anzahl der Äquivalenzklassen mit p Mitgliedern. Ist rdie Anzahl der Lösungen g der Gleichung

gp = 1 (6.12)

in G, so ist r gerade die Anzahl der Tupel, die nur zu sich selbst äquivalent sind. Wirhaben damit

np−1 = r + sp.

Da p nach Voraussetzung die Gruppenordnung n teilt, muß p folglich auch ein Teiler vonr sein. Da r ≥ 1 (denn mindestens 1 ∈ G erfüllt die Gleichung (6.12)), folgt daraus r ≥ 2.Damit gibt es ein Gruppenelement g 6= 1 mit gp = 1, also ein Element der Ordnung p.Die endliche Untergruppe H = 〈g〉 ist dann eine der gesuchten.

Der Cauchysche Satz gibt uns in Verbindung mit dem Lagrangeschen eine Charakte-risierung der p-Gruppen, also derjenigen endlichen Gruppen, deren Ordnung eine Prim-potenz für eine Primzahl p ist:

Folgerung 6.88. Sei p eine Primzahl. Eine endliche Gruppe G ist genau dann einep-Gruppe, wenn die Ordnung jedes Elementes von G eine p-Potenz ist.

Beweis. Sei G eine p-Gruppe. Sei g ein Element von G. Dann ist die zyklische GruppeH := 〈g〉 eine Untergruppe von G. Nach dem Lagrangeschen Satz ist damit p = [H : 1]ein Teiler der Gruppenordnung [G : 1], also eine p-Potenz.Sei umgekehrt die Ordnung eines jeden Elementes von G eine p-Potenz. Sei q ein

Primteiler der Gruppenordnung [G : 1]. Nach dem Cauchyschen Satze Proposition 6.87auf der vorherigen Seite besitzt G ein Element der Ordnung q. Nach Voraussetzung istq = p. Also ist p der einzige Primteiler der Ordnung von G, und diese ist damit einePrimpotenz.

Häufig wird die Äquivalenz aus Folgerung 6.88 auch dazu genutzt, eine p-Gruppe alsendliche Gruppe, deren Elemente jeweils p-Potenzen als Ordnungen haben, zu definieren.Aus dem Cauchyschen Satz folgt insbesondere, daß jede endliche Gruppe, deren Grup-

penordnung n von der Primzahl p geteilt wird, eine endliche (nicht triviale) Untergruppebesitzt, die eine p-Gruppe ist. Nach dem Lagrangeschen Satze ist die größtmögliche Ord-nung einer solchen Untergruppe H offensichtlich pk, falls n = pk · q gilt, wobei q eine zup teilerfremde natürliche Zahl ist. Mit anderen Worten ist der Index q = [G : H] von Hin G nicht durch p teilbar. Eine solche endliche Untergruppe H, die eine p-Gruppe ist,so daß ihr Index in G nicht durch p teilbar ist, bekommt einen eigenen Namen. Sie wirdnach Ludwig Sylow9 eine Sylowsche p-Untergruppe von G genannt, dessen im Folgendenpräsentierten Resultate über diese Untergruppen ihn berühmt gemacht haben.Sein erstes Resultat betrifft die Existenz dieser Untergruppen:

9Peter Ludwig Mejdell Sylow, 1832–1918, norwegischer Mathematiker

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6. Gruppen

Satz 6.89. Sei G eine endliche Gruppe. Zu jeder Primzahl p besitzt G eine Sylowschep-Untergruppe. Weiter liegt jede endliche p-Untergruppe von G in einer Sylowschen p-Untergruppe.

Beweis. Beide Teile der Behauptung folgen aus folgender Behauptung: Ist H eine end-liche p-Untergruppe von G, welche noch keine Sylowsche Untergruppe ist, das heißt[G : H] ist noch durch p teilbar, so existiert eine endliche Untergruppe H ′ ⊇ H vonG mit [H ′ : H] = p. Indem wir nämlich diesen Prozeß (mit H ′ anstelle von H, usw.)fortsetzen, gelangen wir irgendwann wegen der Endlichkeit von G zu einer maximalen p-Untergruppe von G, also einer Sylowschen. Beginnen können wir den Prozeß mit H = 1oder einer vorgegebenen endlichen p-Untergruppe.Kommen wir also zum Beweis der Behauptung: Die entscheidende Idee ist es, die

Linkstranslation von H auf der endlichen Menge G/H zu betrachten. Nach der Bahnen-gleichung gilt

|G/H| =∑

x∈H\(G/H)[H : Hx],

wobei Hx die Standgruppe in H zur Bahn an x ist. Da die Ordnung von H eine p-Potenzen ist, sind die [H : Hx] allesamt p-Potenzen, und zwar genau dann nicht triviale,wenn Hx eine echte Untergruppe von H ist. Andernfalls (also wenn Hx = H) ist x einFixpunkt der Gruppenwirkung und [H : Hx] = 1. Modulo p ist also die Mächtigkeit von|G/H| gleich der Anzahl der Fixpunkte der H-Wirkung auf G/H.Ein Fixpunkt dieser Wirkung kann folgendermaßen beschrieben werden. Sei g ∈ G/H

ein Fixpunkt, das heißt wir haben hg = g in G/H für alle h ∈ H. Dies ist gleichbedeutendzu g−1hg ∈ H für alle h ∈ H, mit anderen Worten liegt also g−1 (und damit auch g) imNormalisator NH von H in G. Folglich ist der Fixort der H-Wirkung auf G/H durchNH /H beschrieben. (Hier sehen wir wieder eine Anwendung des Normalisators!) Mitunserer obigen Erkenntnis über eine nicht triviale p-Untergruppe H von G folgt also

[G : H] ≡ [NH : H] (mod p).

Nach Voraussetzung ist H noch keine maximale p-Untergruppe von G, so daß [G : H]und damit auch [NH : H] durch p teilbar ist. Es ist NH /H also eine endlich Gruppe,deren Ordnung durch p teilbar ist. Nach dem Cauchyschen Satze Proposition 6.87 aufSeite 262 existiert also eine endliche Untergruppe K der Ordnung p in NH /H. Diesemuß von der Form H ′/H für eine endliche Untergruppe H ′ mit NH ⊇ H ′ ⊇ H sein (H ′ist das Urbild der Untergruppe K unter dem kanonischen GruppenhomomorphismusNH → NH /H). Wir haben insbesondere [H ′ : H] = p, womit alles bewiesen ist.

Existiert eine einzige Sylowsche p-Untergruppe H von G zu einer Primzahl p, so mußdiese schon ein Normalteiler sein: Ist nämlich g ∈ G, so ist gH = ghg−1 | h ∈ H eineweitere maximale endliche p-Untergruppe von G, also ebenfalls Sylowsch. Die Einzigar-tigkeit impliziert dann gH = H für alle g ∈ G.Der zweite Sylowsche Satz sagt uns, daß verschiedene Sylowsche p-Untergruppen zu

einer Primzahl p zueinander konjugiert sind, das heißt, sind H und K zwei Sylowschep-Untergruppen von G, so existiert ein g ∈ G mit K = gH.

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6.6. Die Sylowschen Sätze

Satz 6.90. Sei p eine Primzahl. Seien H und K zwei Sylowsche p-Untergruppen einerendlichen Gruppe G. Dann sind H und K zueinander konjugiert.

Beweis. Der Beweis wird wieder mit Hilfe einer Gruppenwirkung geführt. Und zwarbetrachten wir dieses Mal die Linkstranslation von K auf der endlichen Menge G/H.Wie im Beweis von Satz 6.89 auf der vorherigen Seite erhalten wir, daß der Index [G : H]modulo p mit der Anahl der Fixpunkte der Wirkung von K auf G/H übereinstimmt,denn K ist eine p-Gruppe. Da H eine Sylowsche p-Untergruppe ist, ist [G : H] nichtdurch p teilbar, verschwindet also auch nicht modulo p. Folglich muß es mindestens einenFixpunkt g ∈ G/H der K-Wirkung geben.Daß g ein Fixpunkt ist bedeutet folgendes: Für alle k ∈ K ist kg = gh für ein h ∈ H,

das heißt, k = ghg−1. Es folgt, daß K ⊆ gH. Da die Gruppen auf beiden Seiten derInklusion aber dieselbe Ordnung haben, muß Gleichheit gelten, also K = gH.

Weiter oben haben wir gesehen, daß eine Sylowsche p-Untergruppe H ein Normalteilerist, wenn es genau eine Sylowsche p-Gruppe gibt. Aus Satz 6.90 können wir offensicht-lich schließen, daß H genau dann ein Normalteiler ist, wenn H die einzige Sylowschep-Untergruppe ist. Damit stellt sich für Anwendungen natürlich die Frage nach derAnzahl der Sylowschen p-Untergruppen. Eine Aussage darüber wird durch den drittenSylowschen Satz gemacht:

Satz 6.91. Sei p eine Primzahl. Sei np die Anzahl der Sylowschen p-Untergruppen inG. Sei q der Index einer Sylowschen p-Untergruppe in G. Dann wird q durch np geteilt,und es ist np kongruent 1 modulo p. Genauer ist np der Index des Normalisators einer(beliebigen) Sylowschen p-Untergruppe in G.

Die zweite Aussage dieses Satzes verallgemeinert offensichtlich unsere obigen Über-legungen über die Normalteilereigenschaft einer Sylowschen p-Untergruppe, denn eineUntergruppe H ist genau dann ein Normalteiler in G, wenn ihr Normalisator mit Gübereinstimmt, wenn also [G : NH ] = 1.

Beweis. Zunächst betrachten wir Konjugationswirkung von G auf der Menge aller Sy-lowschen p-Untergruppen. Nach Satz 6.90 besitzt diese genau eine Bahn. Die Zahl np istgerade die Größe dieser Bahn. Diese ist bekanntlich gleich dem Index der StandgruppeGH an einer Sylowschen p-Untergruppe H in G, also

np = [G : GH ].

Wir haben schon früher gesehen, daß die Standgruppe der Konjugationswirkung zu einerUntergruppe H gerade der Normalisator ist, also GH = NH . Dies beweist den zweitenTeil von Satz 6.91. Nach dem Lagrangeschen Satz gilt weiter

q = [G : H] = [G : NH ] · [NH : H] = np[NH : H],

womit auch die Teilbarkeitsrelation bewiesen ist.Es bleibt np ≡ 1 modulo p zu zeigen. Dazu betrachten wir diesmal die Konjugationswir-

kung von H (!) auf der Menge aller Sylowschen p-Untergruppen. Da H eine p-Gruppe ist,

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6. Gruppen

folgt aus der Bahnengleichung wieder, daß die Anzahl der Sylowschen p-Untergruppen,also np, modulo p kongruent zur Anzahl der Fixpunkte dieser Wirkung ist. Eine Sylow-sche p-Untergruppe K ist genau dann Fixpunkt der Konjugationswirkung von H, wennH im Normalisator von K in G liegt, in Formeln also H ⊆ NK(G). Weiter ist natür-lich auch K ⊆ NK(G). Beide Untergruppen sind auch Sylowsche p-Untergruppen vonNK(G). Wenden wir Satz 6.90 auf der vorherigen Seite auf NK(G) (!) an, bekommenwir, daß H und K in NK(G) konjugiert sind. In NK(G) ist K allerdings ein Normaltei-ler. Insbesondere folgt K = H. Es folgt, daß es genau einen Fixpunkt, nämlich H, derKonjugationswirkung von H auf den Sylowschen p-Untergruppen gibt.

Wir wollen eine einfache Anwendung der Sylowschen Sätze geben. Dazu zeigen wirzunächst:

Proposition 6.92. Sei G eine endliche Gruppe, deren Ordnung p2 für eine Primzahl pist. Dann ist G abelsch.

(Es sei daran erinnert, daß jede Gruppe mit Ordnung p = p1 zyklisch, also abelschist.)

Beweis. Wir wissen schon, daß jede nicht triviale p-Gruppe ein nicht triviales ZentrumZ(G) besitzt. Nach dem Lagrangeschen Satze kommen die beiden Fälle [Z(G) : 1] = poder [Z(G) : 1] = p2 infrage. Im zweiten Falle sind wird fertig. Wir nehmen daher denersten Fall an, so daß wir annehmen können, daß ein Element x ∈ G existiert, welchesnicht im Zentrum liegt. Als nächstes betrachten wir die Untergruppe H derjenigen yvon G, die mit x vertauschen. Diese Untergruppe enthält sicherlich das Zentrum undzusätzlich das Element x und damit mindestens p+1 Elemente. Nach dem LagrangeschenSatz ist die Ordnung aber auch Teiler von p2. Damit ist [H : 1] = p2, also H = G. Alsoist x zentral, ein Widerspruch.

Bemerkung 6.93. Für p-Gruppen der Ordnungen p3, p4, . . . gilt im allgemeinen nichtmehr, daß sie abelsch sind. So sind zum Beispiel die Dieder-Gruppe

D4 = 〈(1, 2, 3, 4), (1, 4, 2, 4)〉 ⊆ S4

und die sogenannte Quaternionengruppe

Q8 =±(

1 00 1

),±(

i 00 −i

),±(

0 1−1 0

),±(

0 ii 0

)⊆ GL2(C)

zwei (im übrigen zueinander nicht isomorphe Gruppen) der Ordnung 8, welche nichtabelsch sind.Wir können dann zum Beispiel folgendes zeigen:

Beispiel 6.94. Jede endliche Gruppe G der Ordnung 45 ist abelsch: Dazu betrachten wirzunächst die Anzahl n5 der Sylowschen 5-Untergruppen in G. Diese ist nach Satz 6.91 aufder vorherigen Seite ein Teiler von 9 und gleichzeitig kongruent zu 1 modulo 5 = 45/9.Folglich muß n5 = 1 gelten. Das heißt, es existiert ein Normalteiler N der Ordnung

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

5 in G. Auf diesem Normalteiler wirkt die Gruppe G vermöge Konjugation. Da dieAutomorphismengruppe von N die Ordnung 4 = ϕ(5) hat, folgt, daß die Ordnung jederKonjugation ein Teiler von 4 ist. Die Elementordnungen der Elemente von G sind jedochalle Teiler von 45. Für jedes Element g ∈ G ist also idN = (g∗)45 = g4·11+1

∗ = g∗. Damitist die Konjugationswirkung von G auf N also trivial und N liegt im Zentrum von G.Sei H eine Sylowsche 3-Untergruppe von G. Diese hat 9 = 32 Elemente und ist damit

abelsch. Aus Gründen der Elementordnung ist N ∩ H = 1. Da beide Gruppen in Gkommutieren, haben wir also einen Isomorphismus N × H → G. Schließlich ist dasdirekte Produkt zweier abelscher Gruppen wieder abelsch.

AufgabenAufgabe 6.6.1. Sei p eine Primzahl. Seien G eine endliche Gruppe und H ⊆ K ⊆ Gendliche Untergruppen. Zeige: Ist H eine Sylowsche p-Untergruppe zu G, so ist H aucheine Sylowsche p-Untergruppe zu K.Aufgabe 6.6.2. Sei p eine Primzahl. Für eine endliche abelsche Gruppe G sei H diejenigeendliche Teilmenge, die aus all jenen Elementen von G besteht, deren Ordnung einep-Potenz ist. Zeige, daß H die einzige Sylowsche p-Untergruppe von G ist.Aufgabe 6.6.3. Gib alle Sylowschen Untergruppen der alternierenden Gruppe A4 an.Aufgabe 6.6.4. Zeige, daß jede endliche Gruppe der Ordnung 30 einen nicht trivialenSylowschen Normalteiler besitzt.Aufgabe 6.6.5. Zeige, daß jede endliche Gruppe der Ordnung 56 einen nicht trivialenSylowschen Normalteiler besitzt.Aufgabe 6.6.6. Jede endliche Gruppe der Ordnung 36 ist nicht einfach.Aufgabe 6.6.7. Es seien p und q zwei Primzahlen mit p < q, so daß p kein Teiler vonq − 1 ist. Zeige, daß jede endliche Gruppe der Ordnung pq zyklisch ist.

6.7. Endlich präsentierte abelsche GruppenWir haben inzwischen einen ganzen Zoo endlicher Gruppen kennengelernt. Es stelltsich natürlich die Frage, inwiefern sie sich zum Beispiel bis auf Isomorphie klassifizierenlassen. Für beliebige Gruppen ist dieses Problem sehr schwierig. Beschränken wir unsallerdings auf abelsche Gruppen, können wir sehr viel mehr sagen: In diesem Abschnittwerden wir alle abelschen Gruppen endlicher Ordnung klassifizieren. Dabei werden abel-sche Gruppen ausnahmslos additiv notieren — auch, um deutlich zu machen, daß diesesKlassifikationsproblem ein ganz anderes ist, als beliebige endliche Gruppen zu untersu-chen.Genau genommen, werden wir von den abelschen Gruppen eine etwas größere Klasse

als die endlichen untersuchen, nämlich die sogenannten endlich präsentierten. Um diesenBegriff einzuführen, definieren wir zunächst den Begriff endlich erzeugt:

Definition 6.95. Eine abelsche Gruppe A heißt endlich erzeugt, wenn es endlich vieleElemente a1, . . . , an ∈ A gibt, so daß jedes andere Element in A von der Form a1k1 +

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6. Gruppen

· · · + ankn ist, wobei die ki ganze Zahlen sind. Die Folge a1, . . . , an heißt dann einErzeugendensystem von A.

(Wir erinnern daran, daß k · a = a · k mit k ∈ Z und a ∈ A die Potenzschreibweise füradditiv geschriebene Gruppen ist, für positives k also zum Beispiel für a+ · · ·+ a mit kSummanden steht.) In einer endlichen Gruppe ist jedes Element also ganzzahlige Line-arkombination eines Erzeugendensystems a1, . . . , an. Dies ist in völliger Analogie zu denaus der Linearen Algebra bekannten Vektorräumen mit endlichem Erzeugendensystem.Ebenso wie dort ist ein Erzeugendensystem natürlich nicht eindeutig.Jede endliche abelsche Gruppe ist trivialerweise endlich erzeugt: Wir wählen als Er-

zeugendensystem einfach alle Elemente der Gruppe. Aber es gibt auch interessantereunendliche Beispiele:Beispiel 6.96. Die Gruppe Z ist endlich erzeugt. Ein mögliches Erzeugendensystem be-steht zum Beispiel nur aus dem Element 1. Ein anderes Erzeugendensystem bestehtzum Beispiel aus den beiden Zahlen 2 und 3. Denn jede ganze Zahl k ∈ Z kann alsLinearkombination k = 3 · k − 2 · k geschrieben werden.Beispiel 6.97. Schreiben wir

Zn = Z× · · · × Z︸ ︷︷ ︸n

für das n-fache direkte Produkt, so ist Zn eine abelsche Gruppe, für die zum Beispieldie Gruppenelemente

e1 := (1, 0, 0, . . . , 0), e2 := (0, 1, 0, . . . , 0), . . . , en := (0, . . . , 0, 1)

ein Erzeugendensystem bilden.Allgemeiner gilt:

Beispiel 6.98. Sind A1, . . . , A` endlich erzeugte abelsche Gruppen, so ist A1×· · ·×A` eineendlich erzeugte abelsche Gruppe, deren Erzeuger wir von der Form (0, . . . , 0, a, 0, . . . , 0)wählen können, wobei a ein Erzeuger von einem Ak ist.Beispiel 6.99. Sei a eine endlich erzeugte Untergruppe von Z. Seien x und y zwei derErzeuger. Wir erinnern an Proposition 3.3 auf Seite 73: Zum größten gemeinsamen Teilerd von x und y existieren ganze Zahlen p und q mit d = px+ qy, insbesondere liegt alsod in a und x und y sind ganzzahlige Vielfache von d.Wir können leicht per Induktion schließen: Ist d der größte gemeinsame Teiler aller

Elemente in a, so besteht a gerade aus allen ganzzahligen Vielfachen von d. Wir notierendiese Tatsache durch

I = (d).

Eine Untergruppe der Form (d) (also alle endlich erzeugten Untergruppen von Z) heißtHauptideal.Beispiel 6.100. Für jede ganze Zahl d ist Z/(d) eine endlich erzeugte abelsche Gruppe mitErzeuger 1. Sie ist isomorph zur zyklischen Gruppe Cd. (Im Kontext abelscher Gruppenwerden wir allerdings beim Symbol Z/(d) bleiben.)

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

Jedes Erzeugendensystem a1, . . . , an einer abelschen Gruppe A definiert einen kano-nischen Gruppenhomomorphismus

Zn → A, (k1, . . . , kn) 7→ a1k1 + · · ·+ ankn.

Nach Definition eines Erzeugendensystems ist dieser Gruppenhomomorphismus offen-sichtlich surjektiv. Ist umgekehrt ein beliebiger surjektiver Gruppenhomomorphismusf : Zn → A gegeben, so ist

a1 = f(e1), a2 = f(e2), . . . , an = f(en)

ein Erzeugendensystem von A: Ist nämlich a ∈ A, so existiert aufgrund der Surjektivitätvon f ein k = (k1, . . . , kn) ∈ Zn mit f(k) = a und damit gilt aufgrund der Homomor-phieeigenschaft von f , daß

a = f(k) = f(e1k1 + · · ·+ enkn) = f(e1)k1 + · · ·+ f(en)kn = a1k1 + · · ·+ ankn.

Damit entsprechen Erzeugendensysteme von A also umkehrbar surjektiven Gruppen-homomorphismen der Form Zn → A. Wir erhalten also insbesondere, daß eine abelscheGruppe A genau dann endlich erzeugt ist, wenn es einen surjektiven Gruppenhomo-morphismus f : Zn → A gibt. Nach dem Homomorphiesatz folgt, daß A isomorph zuZn/ ker f ist. Eine endlich erzeugte abelsche Gruppe ist also bis auf Isomorphie nichtsanderes als eine Faktorgruppe einer abelschen Gruppe der Form Zn. Da Ausdrücke derForm a1k1 + · · · + ankn im folgenden häufiger Vorkommen und an ein Skalarprodukterinnern, schreiben wir kurz a · k := a1k1 + · · ·+ ankn.Aus unserer alternativen Interpretation endlich erzeugter Gruppen können wir leicht

folgern, daß homomorphe Bilder (also Bilder unter Gruppenhomomorphismen) endlicherzeugter abelscher Gruppen wieder endlich erzeugt sind.Für unsere Zwecke ist eine Darstellung der Form Zn/ ker f allerdings noch nicht ex-

plizit genug. Wir können uns die Elemente aus dem Kern von f als Relationen zwischenden Erzeugern a1, . . . , an vorstellen: Ist k = (k1, . . . , kn) in ker f , so folgt a · k = 0. Istumgekehrt a · k = a1k1 + · · · + ankn = 0 eine (lineare) Abhängigkeit zwischen a1, . . . ,an, so liegt k = (k1, . . . , kn) im Kern von f . Um also festzustellen, ob gewisse Linear-kombinationen der Erzeuger in A sich zu Null addieren (dies ist zum Beispiel nötig, umzu entscheiden, ob zwei Elemente a, a′ ∈ A gleich sind, denn dies ist gleichbedeutend zua− a′ = 0), müssen wir den Kern von f kennen. Dieser Kern ist zunächst eine beliebigeUntergruppe von Zn. Wir nennen ihn den Relationenmodul des Erzeugendensystems a1,. . . , an von A.Für uns wird interessant sein, daß auch diese Untergruppe endlich erzeugt ist, daß

also A der folgenden Definition genügt:

Definition 6.101. Eine abelsche Gruppe A heißt endlich präsentiert, wenn es ein endli-ches Erzeugendensystem a1, . . . , an von A gibt, dessen Relationenmodul endlich erzeugtist. Erzeuger des Relationenmoduls heißen dann (erzeugende) Relationen der Erzeugera1, . . . , an von A.

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6. Gruppen

Die abelsche Gruppe A ist also genau dann endlich erzeugt, wenn sie ein Erzeugen-densystem a1, . . . , an besitzt und Elemente (Relationen) r1, . . . , rm ∈ Zn existieren,so daß für alle j ∈ 1, . . . ,m gilt a · rj = a1r1j + · · · + anrnj = 0 und daß für jedesk ∈ Zn mit a · k = a1k1 + · · · + ankn = 0 ganzzahlige Koeffizienten h1, . . . , hm mitk = r · h := r1h1 + · · ·+ rmhm existieren.Wir können dies wieder in Termen von Gruppenhomomorphismen ausdrücken: Zu-

nächst definiert das Erzeugendensystem a1, . . . , an einen surjektiven Homomorphismusf : Zn → A, welcher ei auf ai abbildet. Jede einzelne Relation rj wiederum definierteinen Gruppenhomomorphismus

Z→ Zn, 1 7→n∑i=1

eirij ,

dessen Bild im Kern von Zn → A liegt. Wir können diese Gruppenhomomorphismen zueinem Gruppenhomomorphismus

g : Zm → Zn, ej 7→n∑i=1

eirij

zusammensetzen. Der Gruppenhomomorphismus g hat offensichtlich die Eigenschaft, daßsein Bild genau der Kern von f ist. Wir sagen daher, daß die Sequenz

Zm g−−−−→ Zn f−−−−→ A −−−−→ 0 (6.13)

eine exakte ist, das heißt, daß im g = ker f und daß f surjektiv ist. (Der Unterschied zuden kurzen exakten Sequenzen, die wir früher eingeführt haben, ist der folgende: Wirfordern nicht, daß die linke Abbildung g injektiv ist, so daß wir die 0 auf der linkenSeite weglassen. Da abelsche Gruppen in der Regel additiv geschrieben werden, notierenwir für die triviale Gruppe sinnvollerweise auch 0 anstelle 1.) Ist umgekehrt eine exakteSequenz der Form (6.13) gegeben, so ist A endlich präsentiert: Die Bilder f(e1), . . . ,f(en) sind Erzeuger von A, und g definiert dazu erzeugende Relationen r1, . . . , rm via

g(ej) =∑i

eirij .

Nach dem Homomorphiesatz ist A isomorph zu Zn/ im g. Endlich präsentierte abelscheGruppen sind also Faktorgruppen von Zn modulo dem Bild eines Gruppenhomomor-phismus Zm → Zn. Ein Gruppenhomomorphismus Zm → Zn ist aus Linearitätsgründeneindeutig durch die Bilder der Elemente e1, . . . , em ∈ Zm festgelegt. Wie in der linearenAlgebra erhalten wir also, daß Gruppenhomomorphismen g : Zm → Zn gerade MatrizenR (mit ganzzahligen Einträgen) mit n Zeilen und m Spalten entsprechen. Die Matrix-einträge sind bei uns gerade die rij , der j-ten Relation entspricht die j-te Spalte rj . NachDefinition des Bildes einer Matrix ist imR = im g. Bis auf Isomorphie wird jede end-lich präsentierte abelsche Gruppe A also durch eine ganzzahlige Matrix definiert, einesogenannte Darstellungsmatrix von A.Die Klassifikation aller endlich präsentierten abelschen Gruppen haben wir damit auf

die Klassifikation aller Matrizen mit ganzzahligen Einträgen zurückgeführt, wenn wir

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

zwei Matrizen R und S als gleich ansehen, wenn sie bis auf Isomorphie dieselbe endlichpräsentierte abelsche Gruppe definieren. Ist

R =

r11 . . . r1m...

...rn1 . . . rnm

,so schreiben wir

〈e1, . . . , en | e1r11 + · · · enrn1, . . . , e1r1m + · · ·+ enrnm〉

für die abelsche Faktorgruppe Zn/ imR. Diese Schreibweise ist gleich der Schreibweisefür eine durch Erzeuger und Relationen gegebene Gruppe, bedeutet aber nicht dasselbe:So ist 〈x, y〉 als Gruppe eine nicht kommutative Gruppe, nämlich isomorph zu Z ∗ Z.Im Gegensatz dazu ist 〈x, y〉 als abelsche Gruppe, also im Sinne dieses Kapitels eine zuZ× Z isomorphe abelsche Gruppe.Beispiel 6.102. Die abelsche GruppeA = 〈x, y | 5x+15y〉 wird durch die MatrixR = ( 5

15 )beschrieben, und sie ist (isomorph zu) Z2/ imR.Durch die umkehrbare Beziehung x = x′ − 3y′ und y = y′ können wir die Relation

5x + 15y = 0 auch in x′ und y′ ausdrücken, es gilt nämlich 5x′ = 0. Damit erhaltenwir, daß A isomorph zu 〈x′, y′ | 5x′〉 ist, daß also R und R′ = ( 5

0 ) bis auf Isomorphiedieselbe abelsche Gruppe definieren. Wegen Z2/ imR′ = Z/(5) × Z ist A insbesonderezum direkten Produkt aus Z/(5) und Z isomorph.Beispiel 6.103. Wir haben oben gesagt, daß wir anstelle endlicher abelscher Gruppenallgemeiner alle endlich präsentierten abelschen Gruppen klassifizieren wollen. Diese Aus-sage ergibt natürlich nur dann einen Sinn, wenn wir zeigen können, daß jede endlicheabelsche Gruppe insbesondere endlich präsentiert ist. Dies wollen wir hier skizzieren: SeiA = a1, . . . , an eine endliche abelsche Gruppe, wobei die ai allesamt paarweise verschie-den sind. Wir haben weiter oben schon bemerkt, daß a1, . . . , an als Erzeugendensystemdienen kann. Die Addition der ai ist offensichtlich durch Elemente k(i, j) ∈ 1, . . . , nmitai+aj = −ak(i,j) gegeben, das heißt wir haben Relationen der Form ai+aj +ak(i,j) = 0.Jede andere additive Relation zwischen den ai ergibt sich aus diesen durch Linearkom-bination. Damit sind ai + aj + ak(i,j), i, j ∈ 1, . . . , n erzeugende Relationen.Beispiel 6.104. Sind A1, . . . , A` endlich präsentierte abelsche Gruppen, so ist auchA1×· · ·×A` eine endlich präsentierte abelsche Gruppe. Wählen wir als Erzeuger nämlichElemente der Form (0, . . . , 0, a, 0, . . . , 0), wobei a Erzeuger in den Ak durchläuft, so sindRelationen durch (0, . . . , 0, r, 0, . . . , 0) gegeben, wobei r jeweils für die Relationen in denAk steht.Daß für eine endlich präsentierte abelsche Gruppe A der Kern einer surjektiven Abbil-

dung Zn → A endlich erzeugt ist, hat übrigens weitreichende Konsequenzen. Und zwarkönnen wir zeigen, daß dann noch viel mehr Kerne endlich erzeugt sind:

Proposition 6.105. Sei f : B → A ein surjektiver Gruppenhomomorphismus einerendlich erzeugten abelschen Gruppe B in eine endlich präsentierte abelsche Gruppe A.Dann ist der Kern von f endlich erzeugt.

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6. Gruppen

Beweis. Wir wählen einen surjektiven Homomorphismus g : Zn → A mit endlich er-zeugtem Kerne K und einen surjektiven Homomorphismus h : Z` → B. Dann habenwir zwei surjektive Homomorphismen g : Zn → A und f h : Z` → A auf A. Zu jedemk ∈ 1, . . . , ` wählen wir ein vk ∈ Zn mit g(vk) = f(h(ek)). Analog wählen wir für jedesi ∈ 1, . . . , n ein wi ∈ Z` mit f(h(wi)) = g(ei). Dies definiert Homomorphismen

p : Z` → Zn, ek 7→ vk

und

q : Zn → Z`, ei 7→ wi

mit g p = f h und f h q = g.Ist dann v ein Element aus K und w ein beliebiges Element aus Z`, so ist k = w −

q(v+ p(w)) aus dem Kern von f h. Umgekehrt läßt sich jedes Element k aus ker(f h)in dieser Form schreiben, indem wir v = −p(k) und w = k setzen. Damit ist der Kern Lvon f h Bild unter dem Gruppenhomomorphismus

K × Z` → L, (v, w) 7→ w − q(v + p(w)),

also endlich erzeugt, da K und Z` (und damit auch ihr direktes Produkt) endlich erzeugtsind. Schließlich ist der Kern von f : B → A das Bild von L unter h, da h surjektiv ist.

Wichtigste Konsequenz von Proposition 6.105 auf der vorherigen Seite ist vielleicht,daß der Relationenmodul eines jeden Satzes von Erzeugern einer endlich präsentier-ten abelschen Gruppe endlich ist. Laut Definition einer endlich präsentierten abelschenGruppe A wird ja nur gefordert, daß der Relationenmodul mindestens eines endlichenErzeugendensystems von A ebenso endlich erzeugt ist. Ist aber a1, . . . , an irgendeinErzeugendensystem von A, so ist nach Proposition 6.105 auf der vorherigen Seite derKern des surjektiven Gruppenhomomorphismus

Zn → A, ei 7→ ai,

also der Relationenmodul des Erzeugendensystems a1, . . . , an, endlich erzeugt, da Aendlich präsentiert ist und Zn endlich erzeugt ist.Kommen wir schließlich zur Klassifikation der endlich präsentierten abelschen Grup-

pen. Dazu wiederholen wir zunächst den Begriff der Ähnlichkeit zweier Matrizen, der ausder Linearen Algebra bekannt sein sollte, wenn vielleicht auch nicht über den ganzenZahlen: Seien R und R′ zwei (n × m)-Matrizen über den ganzen Zahlen. Dann hei-ßen R und R′ genau dann ähnlich, wenn es eine Matrix S ∈ GLn(Z) und eine MatrixT ∈ GLm(Z) mit R′ = SRT gibt. Ähnlichkeit ist eine Äquivalenzrelation. (Analog kön-nen wir offensichtlich Ähnlichkeit für Matrizen mit Einträgen in Q, R, etc. definieren.)Der Begriff der Ähnlichkeit ganzzahliger Matrizen ist deswegen für uns wichtig, weil

wir folgende Aussage haben:

Proposition 6.106. Seien R und R′ zwei ähnliche (n×m)-Matrizen über den ganzenZahlen. Dann definieren R und R′ isomorphe endlich präsentierte abelsche Gruppen,das heißt sie jeweils vollständige Relationen für dieselbe endlich präsentierte abelscheGruppe.

272

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

Um endlich präsentierte abelsche Gruppen zu klassifizieren, reicht es damit offensicht-lich, ganzzahlige Matrizen bis auf Ähnlichkeit zu betrachten.

Beweis. Sei R′ = SRT für Matrizen S und T . Wir haben folgendes Diagramm

Zm R−−−−→ Zn f−−−−→ A −−−−→ 0

T

x ySZm −−−−→

R′Zn −−−−→

f ′A′ −−−−→ 0

exakter Sequenzen, wobei A = Zn/ imR, A′ = Zn/ imR′ und wir jede der Matrizen S,T , R und R′ auch für die Linksmultiplikation mit diesen Matrizen steht. Wir müssenzeigen, daß A und A′ zueinander isomorph sind. Dazu betrachten wir den Gruppenho-momorphismus

g : A→ A′, f(v) 7→ f ′(S(v)).Dieser ist wohldefiniert, denn ist f(v1) = f(v2), so gilt v1 − v2 = R(w) für ein w unddamit

f ′(S(v1))− f ′(S(v2)) = f ′(S(v1 − v2)) = f ′(S(R(w))) = f ′(R′(T−1(w))) = 0.

Es ist g injektiv, denn ist g(f(v)) = 0, so ist f ′(S(v)) = 0, womit S(v) = R′(w) für einw gilt, also

f(v) = f(S−1(R′(w))) = f(R(T (w))) = 0.Schließlich ist g surjektiv, da S und f ′ und damit f ′ S surjektiv sind. Folglich ist g eingesuchter Isomorphismus zwischen A und A′.

Wir wiederholen kurz die wichtigsten Aussagen für die Ähnlichkeitsrelation einer Ma-trix R:

• Multiplizieren wir die Matrix R mit einer invertierbaren Matrix S von links, soerhalten wir eine zu R ähnliche Matrix. (Dies folgt offensichtlich sofort aus derDefinition mit T = Im.)

• Multiplizieren wir die Matrix R mit einer invertierbaren Matrix T von rechts, soerhalten wir entsprechend eine zu R ähnliche Matrix.

• Vertauschen wir in R zwei Zeilen, so erhalten wir eine zu R ähnliche Matrix. DieseMatrix ist nämlich gerade SR, wobei die Matrix S durch Vertauschung der entspre-chenden Zeilen aus der Einheitsmatrix hervorgeht (und insbesondere Determinante−1 besitzt, also invertierbar ist).

• Vertauschen wir in R zwei Spalten, so erhalten wir entsprechend eine zu R ähnlicheMatrix.

• Ist R eine von der Nullmatrix verschiedene Matrix, so ist R zu einer Matrix ähnlich,welche einen nicht verschwindenden Eintrag in der oberen linken Ecke besitzt. Diesfolgt sofort aus den letzten beiden Aussagen.

273

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6. Gruppen

• Addieren wir ein ganzzahliges Vielfaches einer Zeile auf eine andere Zeile in R,so erhalten wir eine zu R ähnliche Matrix. Diese Matrix ist nämlich gerade SR,wobei die Matrix S durch Addition des Vielfachen der entsprechenden einen Zeileauf die entsprechende andere Zeile aus der Einheitsmatrix hervorgeht (und diesehat Determinante 1, ist also invertierbar).

• Addieren wir ein ganzzahliges Vielfaches einer Spalte auf eine andere Spalte in R,so erhalten wir entsprechend eine zu R ähnliche Matrix.

• Ist der Eintrag in der oberen linken Ecke einer Matrix R ein gemeinsamer Teileraller Einträge der ersten Zeile und der ersten Spalte, so ist R ähnlich zu einerMatrix, deren erste Zeile und erste Spalte nur aus verschwindenden Einträgenbesteht, eventuell abgesehen von dem in der oberen linken Ecke. Dies folgt sofortaus den letzten beiden Aussagen.

• Ist R eine Blockdiagonalmatrix mit Blöcken R1, . . . , Rr und sind die Ri jeweilsähnlich zu Matrizen R′i, so ist R zu der aus den Blöcken R′1, . . . , R′n gebildetenBlockdiagonalmatrix R′ ähnlich. Gilt nämlich jeweils R′i = SiRTi, so ist R′ = SRT ,wobei S und T aus den Blöcken Si bzw. Ti gebildete Blockdiagonalmatrizen sind.

• Sei R ein Matrix, deren Eintrag a oben links von Null verschieden ist und dessenzweiter Eintrag in der ersten Spalte b sei. Sei d der größte gemeinsame Teiler von aund b. Dann ist R ähnlich zu einer Matrix R′, deren Eintrag oben links d ist, derenzweiter Eintrag der ersten Spalte verschwindet und die mit R in allen Einträgenaußerhalb der ersten beiden Zeilen und Spalten übereinstimmt. Für die Matrix R′können wir nämlich SR wählen, wobei die Matrix S ∈ GLn(Z) wie folgt konstruiertist: Es existieren ganze Zahlen s und t mit sa+ tb = d. Weiter sind b

d und ad ganze

Zahlen. Damit hat die quadratische Matrix

S =

s t

− bd

ad

1. . .

1

(wobei die nicht eingezeichneten Einträge allesamt verschwinden mögen) Determi-nante 1, ist also invertierbar. Eine kurze Rechnung ergibt, daß dann SR wie diegeforderte Matrix aussieht, denn(

s t

− bd

ad

)·(a ub v

)=(sa+ tb su+ tv

− bad + ab

d − bud + av

d

)=(d su+ tv

0 −bu+avd

).

• Sei R eine Matrix, deren Eintrag a oben links von Null verschieden ist und dessenzweiter Eintrag in der ersten Zeile b sei. Sei d der größte gemeinsame Teiler vona und b. Dann ist R entsprechend ähnlich zu einer Matrix R′, deren Eintrag obenlinks d ist, deren zweiter Eintrag der ersten Zeile verschwindet und die mit R inallen Einträgen außerhalb der ersten beiden Zeilen und Spalten übereinstimmt.

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

• Sei R eine Matrix, deren Eintrag oben links von Null verschieden ist. Dann ist Rzu einer Matrix R′ ähnlich, deren Eintrag oben links der größte gemeinsame Teileraller Einträge der ersten Spalte von R ist und deren übrige Einträge der erstenSpalte alle verschwinden. Dies folgt aus der Tatsache, daß wir bis auf ÄhnlichkeitZeilen vertauschen dürfen und wiederholter Anwendung der vorletzten Aussage.

• Sei R eine Matrix, deren Eintrag oben links von Null verschieden ist. Dann ist Rentsprechend zu einer Matrix R′ ähnlich, deren Eintrag oben links der größte ge-meinsame Teiler aller Einträge der ersten Zeile von R ist und deren übrige Einträgeder ersten Zeile alle verschwinden.

• Sei R eine (nicht notwendigerweise quadratische) Diagonalmatrix. Dann ist R zueiner Diagonalmatrix R′ ähnlich, so daß der erste Eintrag auf der Diagonalen einTeiler des zweiten Elementes auf der Diagonalen ist und die mitR in allen Diagonal-elementen außerhalb der ersten beiden übereinstimmt. Für die Matrix R′ könnenwir nämlich SRT wählen, wobei die Matrizen S ∈ GLn(Z) und T ∈ GLm(Z) wiefolgt konstruiert sind: Seien a und b die beiden ersten Diagonaleinträge von R undd ihr größter gemeinsamer Teiler, so daß wir ganze Zahlen s und t mit sa+ tb = dfinden. Dann sind

S =

s t

− bd

ad

1. . .

1

, T =

1 − tb

d1 sa

d1

. . .1

geeignete Matrizen der Determinante 1 (also insbesondere invertierbare), wie einekurze Rechnung zeigt. Es gilt nämlich(

s t

− bd

ad

)·(a 00 b

)·(

1 − tbd

1 sad

)=(d 00 ab

d

).

• Sei R eine (nicht notwendigerweise quadratische) Diagonalmatrix. Dann ist R zueiner Diagonalmatrix R′ ähnlich, deren Einträge d1, d2, d3, . . . die Eigenschafthaben, daß jeweils di ein Teiler von di+1 ist. Dies folgt aus der Tatsache, daßwir bis auf Ähnlichkeit Spalten und Zeilen vertauschen dürfen und wiederholterAnwendung der vorletzten Aussage.

Nach diesen einzeln elementaren Vorüberlegungen ist es ganz leicht, den folgenden Satzzu beweisen, welcher in gewisserweise eine Erweitung des Gauß–Jordan-Algorithmus fürganzzahlige Matrizen ist:

Satz 6.107. Seien n, m ∈ N0. Sei R eine (n×m)-Matrix mit ganzzahligen Einträgen.

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6. Gruppen

Dann ist R zu einer Matrix der Form

D =

d1 0 . . .

0 d2. . .

... . . . . . .dr

0. . .

(alle Einträge außerhalb der Diagonalen sind Null) ähnlich, wobei wir die di ∈ Z sowählen können, daß di jewils ein Teiler von di+1 ist.

Die Matrix D heißt (die) Smithsche10 Normalform von R und die Einträge di hei-ßen die Elementarteiler von R. (Wir werden später sehen, daß die Elementarteiler imwesentlichen eindeutig sind.) Da Multiplikation einer Zeile mit −1 ebenfalls eine Äqui-valenzumformung ist, können wir sogar erreichen, daß alle d1 natürliche Zahlen sind.

Beweis. Wir zeigen, daß R ähnlich zu einer Diagonalmatrix ist, von der wir nach unserenVorüberlegungen schon wissen, daß sie ähnlich zu einer Diagonalmatrix ist, deren Dia-gonaleinträge sich sukzessiv teilen. Wir führen den Beweis per Induktion über die Größevon R. Dazu reicht es zu zeigen, daß R ähnlich zu einer Matrix R′ ist, deren erste Zeileund erste Spalte bis eventuell auf einen Eintrag in der oberen linken Ecke verschwinden,denn dann können wir, wieder nach unseren Vorüberlegungen, die Induktionsvorausset-zung auf die Untermatrix von R′ anwenden, die sich durch Streichen der ersten Zeileund Spalte ergibt.Wir können annehmen, daß der Eintrag in der oberen linken Ecke von R nicht ver-

schwindet. Nach den Vorüberlegungen ist R ähnlich zu einer Matrix R1, deren ersteSpalte verschwindet, abgesehen von der linken oberen Ecke, deren Eintrag e1 der größtegemeinsame Teiler der Einträge der ersten Spalte von R ist. Die Matrix R1 wiederumist ähnlich zu einer Matrix R2, deren erste Zeile verschwindet, abgesehen von der linkenoberen Ecke, deren Eintrag e2 der größte gemeinsame Teiler der Einträge der ersten Zeilevon R1 ist. Insbesondere ist also e2 ein Teiler von e1. Entsprechend ist die Matrix R2wiederum ähnlich zu einer Matrix R3, deren erste Spalte verschwindet, abgesehen vonder linken oberen Ecke, deren Eintrag e3 der größte gemeinsame Teiler der Einträge derersten Spalte von R2 ist. Insbesondere ist also e3 ein Teiler von e2. Setzen wir das Verfah-ren fort, erhalten wir also eine Folge e1, e2, e3, . . . natürlicher Zahlen, so daß jeweils ei+1ein Teiler von ei ist. Damit ist diese Folge monoton fallend, stabilisiert also irgendwann.Das heißt, es gibt einen Index i, so daß ei = ei+1 ist. Nach Konstruktion ist damit ei eingemeinsamer Teiler aller Einträge der ersten Zeile und Spalte von Ri, das heißt Ri —und damit auch R — ist ähnlich zu einer Matrix, deren erste Zeile und Spalte eventuellabgesehen von einem Eintrag in der oberen linke Ecke verschwinden.

10Henry John Stephen Smith, 1826–1883, englischer Mathematiker

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

Beispiel 6.108. Wir wollen die Smithsche Normalform der Matrix

A =

1 2 34 5 67 8 9

bestimmen. Dazu stellen wir fest, daß jeder einzelne der folgenden Schritte eine elemen-tare Äquivalenzumformung ist:1 2 3

4 5 67 8 9

∼1 0 0

4 −3 −67 −6 −12

∼1 0 0

0 −3 −60 −6 −12

∼1 0 0

0 −3 00 0 0

1 0 00 3 00 0 0

.Die Elementarteiler von A sind also durch 1, 3 und 0 gegeben.Mit Hilfe von Satz 6.107 auf der vorherigen Seite können wir folgende Strukturaussage

für endlich präsentierte abelsche Gruppen machen, den sogenannten Hauptsatz überendlich präsentierte abelsche Gruppen:

Hauptsatz 6.109. Sei A eine endlich präsentierte abelsche Gruppe. Dann existierenvon 1 verschiedene natürliche Zahlen d1, d2, . . . , dn, so daß jeweils di−1 ein Teiler vondi ist und daß A isomorph zum direkten Produkte

Z/(d1)× · · · × Z/(dn)

ist. Die d1, d2, . . . , dn sind durch A eindeutig bestimmt und heißen die Elementarteilervon A.

Die Existenzaussage der di ist schnell abgehandelt. Nach Satz 6.107 auf der vorhe-rigen Seite und Proposition 6.106 auf Seite 272 können wir davon ausgehen, daß eineDarstellungsmatrix von A in der Form

D =

d1 0 . . .

0 d2. . .

... . . . . . .dr

0. . .

vorliegt, wobei D eine Matrix mit n Zeilen und m Spalten ist. Übersetzt in die Spracheder Erzeuger und Relationen bedeutet dies, daß es Erzeuger a1, . . . , an von A gibt, derenRelationen durch diai = 0 mit i ∈ 1, . . . , n gegeben sind, wobei wir di = 0 für i > rsetzen. Es folgt, daß

Z/(d1)× · · · × Z/(dn)→ A, (k1, . . . , kn) 7→ a1k1 + · · ·+ ankn

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6. Gruppen

ein Isomorphismus endlich präsentierter abelscher Gruppen ist. Ist irgendeines der di = 1(was in Hauptsatz 6.109 auf der vorherigen Seite ausgeschlossen worden ist), so dürfenwir den entsprechenden Faktor wegen Z/(1) = Z/Z = 1 bis auf Isomorphie wegfallenlassen.Zum Beweis fehlt noch die Eindeutigkeit der Elementarteiler. Bevor wir dazu kom-

men, benötigen wir jedoch noch einige Vorbereitungen, so daß wir zunächst ein Beispielbringen möchten:Beispiel 6.110. Sei die endlich präsentierte abelsche Gruppe A = 〈x, y, z | x + 4y +7z, 2x+ 5y + 8z, 3x+ 6y + 9z〉 gegeben. Eine Darstellungsmatrix ist dann1 2 3

4 5 67 8 9

,deren Elementarteiler nach Beispiel 6.108 auf der vorherigen Seite durch 1, 3 und 0gegeben sind, das heißt also, A ist isomorph zu

Z/(1)× Z/(3)× Z/(0) ∼= 1× Z/(3)× Z ∼= Z/(3)× Z,

wobei das Symbol „∼=“ für die Existenz eines Gruppenisomorphismus’ stehe.Für die Eindeutigkeitsaussage benötigen wir vorweg einen Hilfssatz:

Hilfssatz 6.111. Sei d1, d2, . . . , dn ∈ N0 eine Folge natürlicher Zahlen, so daß di−1jeweils ein Teiler von di ist. Weiter gelte di 6= 1 für alle i ∈ 1, . . . , n. Dann kann dieabelsche Gruppe A = Z/(d1)× Z/(d2)× · · · × Z/(dn) von n Elementen erzeugt werden,aber nicht von n− 1 Elementen.

Beweis von Hilfssatz 6.111. Da Erzeuger der abelschen Gruppe A durch die Elemente(1, 0, . . . , 0), (0, 1, 0, . . . , 0), . . . , (0, . . . , 0, 1) gegeben sind, existiert zunächst einmal einErzeugendensystem mit n Elementen. Es bleibt zu zeigen, daß es kein Erzeugendensy-stem mit (höchstens) n− 1 Elementen gibt. Dazu bemerken wir zunächst, daß

A = Z/(d1)×· · ·×Z/(dn)→ Z/(d)×· · ·×Z/(d) = (Z/(d))n, (a1, . . . , an) 7→ (a1, . . . , an)

ein wohldefinierter surjektiver Gruppenhomomorphismus ist, wenn wir d = d1 setzen.Sei R = Z/(d).Würde A also n−1 Erzeuger besitzen, würden ihre Bilder ein Erzeugendensystem von

R bilden, die abelsche Gruppe R erlaubte also einen surjekiven Gruppenhomomorphis-mus f : Zn−1 → Rn. Wir wollen dies zu einem Widerspruch führen.Sei dazu F diejenige (n × (n − 1))-Matrix, deren Einträge bis auf Vielfache von d

bestimmte ganze Zahlen sind, so daß die j-te Spalte von F gerade f(ei) modulo d (injeder Komponente) ist. Sei H die quadratische Matrix, die wir aus F erhalten, indemwir eine Nullspalte anhängen. Aufgrund der Surjektivität von f existiert zu jedem i ∈1, . . . , n ein gi ∈ Zn, so daß f(gi) = ei modulo d. Fügen wir die gi zu Spalten einerquadratischen Matrix G zusammen, so erhalten wir HG = In modulo d. Damit giltfolglich (detH) ·(detG) = det In modulo d. Da H ein Nullspalte besitzt, folgt detH = 0,also 1 = det In = 0 modulo d, ein Widerspruch zu d 6= 1.

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

Beweis von Hauptsatz 6.109 auf Seite 277. Wie oben schon bemerkt, müssen wir nurnoch die Eindeutigkeitsaussage beweisen. Dazu sei die endlich präsentierte abelscheGruppe A in der Form A = Z/(d1)× · · ·×Z/(dn) mit den di wie in Hauptsatz 6.109 aufSeite 277 gegeben. Wir müssen zeigen, daß die di schon durch A festgelegt sind. Dazustellen wir zunächst fest, daß nach Hilfssatz 6.111 auf der vorherigen Seite wenigstens ndurch A festgelegt ist.Ist d eine ganze Zahl, so bezeichnen wir mit Ad diejenige abelsche Gruppe, die aus

allen d-fachen von Elementen von A besteht, also Ad = xd | x ∈ A. Wir haben

Ad = Z/(d1)d× · · · × Z/(dn)d.

Es ist Z/(di)d genau dann die triviale Gruppe, wenn d ein ganzzahliges Vielfaches vondi ist. Genauer ist

Z/(di)d→ Z/(di/e), d 7→ 1

ein wohldefinierter Gruppenisomorphismus, wobei e für den größten gemeinsamen Teilervon di und d steht. Folglich ist di ≥ 0 diejenige kleinste natürliche Zahl, so daß Ad vonn− i Elementen, aber nicht von n− i− 1 Elementen erzeugt werden kann. Damit ist didurch A eindeutig festgelegt.

Sind A und B zwei endlich präsentierte abelsche Gruppen, so ist A × B wieder eineendlich präsentierte abelsche Gruppe. Nach Hauptsatz 6.109 auf Seite 277 existierenElementarteiler d1, . . . , dn von A und Elementarteiler e1, . . . , em von B, so daß Aisomorph zu Z/(d1)×· · ·×Z/(dn) und B isomorph zu Z/(e1)×· · ·×Z/(em) ist. Folglichist A×B isomorph zu

Z/(d1)× · · · × Z/(dn)× Z/(e1)× · · · × Z/(em).

Diese Darstellung ist allerdings keine gemäß Hauptsatz 6.109 auf Seite 277, denn wirwissen nichts über die Teilbarkeitseigenschaften der di im Vergleich mit den ej undumgekehrt. Wie kommen wir von dieser Produktdarstellung auf die Elementarteiler vonA×B? Eine Antwort gibt der sogenannte chinesische Restsatz, welcher zuerst in einemLehrbuch von Sun Tzu11 auftaucht:

Proposition 6.112. Seien a1, . . . , an ganze Zahlen, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n dieZahl ai jeweils teilerfremd zu allen aj mit j 6= i ist. Sei a = a1a2 · · · an. Dann ist

f : Z/(a)→ Z/(a1)× · · · × Z/(an), k 7→ (k, · · · , k)

eine wohldefinerter Isomorphismus abelscher Gruppen.

Beweis. Da die ai jeweils Teiler von a sind, ist f wohldefiniert, denn ist k ∈ Z bis aufVielfache von a bestimmt, so ist k erst recht bis auf Vielfache von ai bestimmt. Umdie Injektivität zu zeigen, betrachten wir k ∈ Z, so daß jeweils k ≡ 0 modulo a1, . . . ,an. Es folgt, daß k jeweils ein Vielfaches von a1, . . . , an ist. Da die a1, . . . , an nach11Sun Tzu, zwischen dem 3. und dem 5. Jhd. v. Chr., chinesischer Mathematiker

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6. Gruppen

Voraussetzung keine gemeinsamen Teiler besitzen, muß k folglich ein Vielfaches vona = a1 · · · an sein, also k ≡ 0 modulo a.Es bleibt, die Surjektivität zu zeigen: Dazu reicht es offensichtlich, daß (1, 0, . . . , 0),

(0, 1, 0, . . . , 0), . . . , (0, . . . , 0, 1) im Bild liegen. Wir machen dies für (1, 0, . . . , 0) vor. Daa1 zu b = a2 · · · an teilerfremd ist, existieren ganze Zahlen p und q mit 1 = pa1 + qb.Setzen wir dann k = 1−pa1 = qb, so gilt k ≡ 0 modulo b, also auch modulo ai mit i > 1.Auf der anderen Seite gilt k ≡ 1 modulo a1.

Die Aussage des chinesischen Restsatzes können wir auch so formulieren: Sei

X ≡ k1 (mod a1),X ≡ k2 (mod a2),...

X ≡ kn (mod an)

ein System von Kongruenzen, so daß die ai paarweise teilerfremd sind. Dann gibt esmodulo a = a1 · · · an genau eine ganzzahlige Lösung, die anstelle X alle Kongruenzenerfüllt.Beispiel 6.113. Wir wollen die Elementarteiler der endlich präsentierten abelschen Grup-pe

A = Z/(4)× Z/(6)

bestimmen. Dazu stellen wir fest, daß Z/(6) ∼= Z/(2) × Z/(3) nach dem chinesischenRestsatz. Wiederum nach dem chinesischen Restsatz ist Z/(4) × Z/(3) isomorph zuZ/(12). Folglich ist A isomorph zu

Z/(2)× Z/(12).

Die Elementarteiler von A sind also 2 und 12.Der chinesische Restsatz liefert uns in Verbindung mit Hauptsatz 6.109 auf Seite 277

allgemeiner folgende Darstellung abelscher Gruppen:

Proposition 6.114. Sei A eine endlich präsentierte abelsche Gruppe. Dann ist A iso-morph zu einer abelschen Gruppe der Form

Zr × Z/(pe11 )× · · · × Z/(perr ),

wobei r ∈ N0, die p1, . . . , pr Primzahlen und die ei positive natürliche Exponenten sind.Bis auf Reihenfolge der Faktoren ist diese Darstellung eindeutig.

Beweis. Nach Hauptsatz 6.109 auf Seite 277 können wir davon ausgehen, daß A von derForm Z/(d) ist. Im Falle von d = 0 ist A = Z, und wir sind fertig. Andernfalls betrachtenwir die Primfaktorzerlegung d = pe1

1 · · · perr mit paarweise verschiedenen Primzahlen p1,. . . , pr von d. Nach Proposition 6.112 auf der vorherigen Seite gilt dann

Z/(d) ∼= Z/(pe11 )× · · · × Z/(perr ).

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6.7. Endlich präsentierte abelsche Gruppen

Es bleibt die Eindeutigkeitsaussage. Diese können wir aus der Eindeutigkeitsaussagevon Hauptsatz 6.109 auf Seite 277 folgern; die genaue Ableitung überlassen wir demLeser.

AufgabenAufgabe 6.7.1. Zeige, daß die abelsche Gruppe Z/(2) × Z/(3) durch nur ein Elementerzeugt werden kann. Warum ist dies kein Widerspruch zu Hilfssatz 6.111 auf Seite 278?Aufgabe 6.7.2. Bestimme die Elementarteiler der Matrix2 6 8

3 1 29 5 4

.Aufgabe 6.7.3. Geben Sie bis auf Isomorphie alle endlichen abelschen Gruppen der Ord-nung 24 an.Aufgabe 6.7.4. Geben Sie bis auf Isomorphie alle endlichen abelschen Gruppen der Ord-nung 180 an.Aufgabe 6.7.5. Sei d eine ganze Zahl. Sei A eine quadratische Matrix mit ganzzahligenEinträgen der Größe n. Es sei weiter u ein Vektor mit ganzzahligen Einträgen und nZeilen, so daßA·u = 0 modulo d (komponentenweise). Zeige, daß dann auch (detA)·u = 0modulo d.Aufgabe 6.7.6. Sei A eine endliche abelsche Gruppe. Für jede Primzahl p sei A[p∞] dieUntergruppe (!) derjenigen Elemente von A, deren Ordnung eine p-Potenz ist. Ist dieseUntergruppe nicht trivial, heißt p assoziierte Primzahl zu A und A[p∞] die p-primäreKomponente von A. Zeige, daß A nur endliche viele assoziierte Primzahlen besitzt unddaß A isomorph zum direkten Produkte ihrer p-primären Komponenten ist.Aufgabe 6.7.7. Zeige die Eindeutigkeit der Darstellung in Proposition 6.114 auf der vor-herigen Seite.Aufgabe 6.7.8. Sei A eine (n×m)-Matrix mit ganzzahligen Einträgen, deren Elementar-teiler durch d1, d2, . . . , dr mit di−1 | di gegeben seien. Sei i ≥ 1. Mit λi bezeichnen wirdie größten gemeinsamen Teiler aller i-Minoren (das heißt Determinanten von (i × i)-Untermatrizen) von A. Zeige, daß λi = d1d2 · · · di.

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7. Ringe

7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

In Teil I haben wir etwas salopp den Begriff Rechenbereich verwendet, wenn wir von denganzen Zahlen, den rationalen Zahlen, den reellen Zahlen oder den komplexen Zahlengesprochen haben. Allen diesen Rechenbereichen unterliegt dasselbe Konzept, nämlichdas eines Ringes:

Konzept 7.1. Eine abelsche Gruppe R = (R,+, 0) zusammen mit einem Element 1,genannt die Eins, und einer Abbildung · : R×R→ R, auch genannt Multiplikation, heißtein Ring, falls folgende Axiome erfüllt sind:

• Die Struktur (R, ·, 1) ist ein Monoid, genannt das multiplikative Monoid von R,das heißt also · ist eine assoziative Verknüpfung und 1 ist neutrales Element dieserVerknüpfung.

• Die Multiplikation ist distributiv über die Addition, das heißt, für je drei Elementex, y und z ∈ R gilt

x · (y + z) = x · y + x · z und (y + z) · x = y · x+ z · x.

Der Ring heißt kommutativ, wenn das multiplikative Monoid von R zusätzlich kommu-tativ ist, das heißt, das folgende Axiom ist zusätzlich erfüllt:

• Die Multiplikation ist kommutativ, das heißt für je zwei Elemente x und y ∈ Rgilt

x · y = y · x.

Zu jedem Ring gehören also zwei Verknüpfungen, nämlich + und ·, und zwei ausge-zeichnete Elemente, nämlich 0 und 1. Es gelten ganz analoge Bemerkungen wie beim Kon-zept der Gruppe: Das Symbol 1 ist ein abstraktes Element eines Ringes und muß im kon-kreten Falle nicht mit der Zahl 1 zusammenfallen, etc. Aufgrund der Assoziativität derAddition und Multiplikation können wir bei mehrfachen Summen bzw. Produkten Klam-mern weglassen. Es sei beachtet, daß die Addition eines Ringes immer kommutativ ist.Das Attribut kommutativ für einen Ring bezieht sich nur auf die (Nicht-)Kommutativitätder Multiplikation.Wie im Falle des Gruppenkonzeptes läßt sich auch hier zeigen, daß die Eins eines

Ringes schon eindeutig durch die Multiplikation festgelegt ist.

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7. Ringe

Beispiel 7.2. Das Pendant zu einer trivialen Gruppe ist ein Nullring: Ist R eine ein-elementige Menge, so existiert auf R genau eine Struktur eines Ringes. In diesem Ringfallen die Elemente 0 und 1 zusammen. Ein solcher Nullring ist trivialerweise kommu-tativ. (Daß wir in einem Nullring offensichtlich 0 = 1 schreiben können sieht schlimmeraus, als es in Wirklichkeit ist: Wir müssen uns nur daran erinnern, daß 0 und 1 einfachSymbole für durch R bestimmte konkrete — und in diesem Falle zusammenfallende —Objekte sind, und wir hier nicht etwa behaupten, die Zahl 0 wäre gleich der Zahl 1.)Beispiel 7.3. Die gewöhnliche Multiplikation auf den ganzen Zahlen macht die additiveGruppe der ganzen Zahlen zu einem Ring Z.Ebenso werden unsere anderen Zahlbereiche Q, R, Q und C aus Teil I zu Ringen.

Beispiel 7.4. Wir erinnern an den Begriff eines Koeffizientenbereiches K aus Teil I. Einsolcher Koeffizientenbereich K ist durch K = Q(z1, . . . , zn) gegeben, wobei z1, . . . , zngewisse komplexe Zahlen sind. Bezeichnen wir die Menge der in z1, . . . , zn rationalenZahlen über Q ebenfalls mit K, so wird K zu einem Ring, wobei die Addition und dieMultiplikation auf K durch die Einschränkung der Addition bzw. Multiplikation vonQ auf K definiert werden. In diesem Zusammenhang wird K ein Zahlkörper genannt.Das einfachste Beispiel für einen Zahlkörper ist offensichtlich Q. Andere Beispiele sindQ(√

2) oder Q( 3√2).Beispiel 7.5. Weitere Beispiele für Ringe kommen aus der algebraischen Zahlentheorie:Sei K ein Zahlkörper. Mit OK bezeichnen wir die Menge der Zahlen aus K, welche ganzealgebraische Zahlen sind, welche also Nullstelle eines normierten Polynoms mit ganzzah-ligen Koeffizienten sind. Aus Teil I wissen wir bereits, daß Summe und Produkt ganzeralgebraischer Zahlen wieder ganze algebraische Zahlen sind. Damit wird OK zu einemRing, wenn wir die Addition und die Multiplikation auf OK als Einschränkung der Ad-dition bzw. Multiplikation von K auf OK definieren. Wir nennen OK den Ganzheitsringvon K.Da eine rationale Zahl genau dann Nullstelle eines normierten Polynoms mit ganzzah-

ligen Koeffizienten ist, wenn sie eine ganze Zahl ist, haben wir zum Beispiel OQ = Z.Weitere Beispiele (an dieser Stelle ohne Beweis) sind

OQ(i) = Z[i] = a+ b i | a, b ∈ Z,

der Ring der ganzen Gaußschen Zahlen und

OQ(√−3) = Z[ζ3] = a+ b ζ3 | a, b ∈ Z,

der Ring der Eisensteinschen Zahlen.Alle bisher gebrachten Beispiele von Ringen waren kommutative Ringe. Es gibt aber

auch nicht kommutative Beispiele. Das Wichtigste ist vielleicht das folgende:Beispiel 7.6. Sei n ≥ 0. Die Menge Mn(Q) der quadratischen Matrizen der Größe nmit rationalen Einträgen bildet einen Ring, wenn wir die Addition als Matrizenadditionund die Multiplikation als Matrizenmultiplikation definieren. (Die Null ist dann dieNullmatrix und die Eins die Einheitsmatrix.) Dieser Ring ist für n ≥ 2 nicht kommutativ.Offensichtlich können wir das Beispiel auch auf Mn(Z), Mn(R), Mn(C) oder allgemei-

ner auf Mn(R) ausweiten, wobei R ein beliebiger Ring ist.

284

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7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

Die meisten Ringe, mit denen wir uns im folgenden beschäftigen werden, sind allerdingskommutativ.Für das Rechnen mit Ringelementen ist die folgende Proposition fundamental:

Proposition 7.7. Sei R ein Ring. Für alle Ringelemente x ∈ R gilt dann

0 · x = 0

undx+ (−1) · x = 0,

das heißt das additive Inverse von x ist gerade (−1) · x.

Beweis. Nach dem Distributivgesetz gilt 0 · x+ 0 · x = (0 + 0) · x = 0 · x. Abziehen von0 · x auf beiden Seiten liefert die erste zu beweisende Aussage. Diese benutzen wir fürden Beweis der zweiten:

x+ (−1) · x = 1 · x+ (−1) · x = (1 + (−1)) · x = 0 · x = 0.

Aus Proposition 7.7 können wir zügig ein Kriterium herleiten, wann ein Ring einNullring ist: Ist nämlichR irgendein Ring, in dem 0 = 1 gilt, so folgt für alle Ringelementex, daß

x = 1 · x = 0 · x = 0,

das heißt alle Ringelemente fallen mit der Null zusammen, R ist also schon der Nullring.Die aus der Schule bekannte Regel, daß durch Null nicht dividiert werden darf, könnenwir also übernehmen: In einem vom Nullring verschiedenen Ring darf nicht durch Nulldividiert werden.IstR ein Ring, so ist das multiplikative Monoid vonR fast nie eine Gruppe: Andernfalls

hätte nämlich unter anderem 0 ein multiplikatives Inverses, und wir könnten

1 = 0 · 0−1 = 0

nach unseren Rechenregeln folgern, das heißt R wäre schon der Nullring. Wir könnenaus R aber eine größtmögliche Gruppe extrahieren, nämlich die Menge all derjenigenRingelemente, die ein multiplikatives Inverses besitzen (also invertierbar sind), das heißtdie Menge

R× := x ∈ R | ∃y ∈ R : xy = 1 = yx.

Da das Produkt xx′ zweier invertierbarer Elemente x und x′ mit Inversen y und y′ wiederinvertierbar ist (nämlich mit Inversen y′y), wird R× vermöge der Multiplikationsabbil-dung von R zu einer Gruppe.

Definition 7.8. Sei R ein Ring. Die Gruppe R× heißt die Einheitengruppe (des multipli-kativen Monoides) des Ringes R. Elemente der Einheitengruppe von R heißen Einheiten(des multiplikativen Monoides) des Ringes R.

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7. Ringe

Unsere Betrachtungen von oben können wir also auch so formulieren: Ein Ring R istgenau dann der Nullring, wenn R = R×.Beispiel 7.9. Die Einheitenruppe der ganzen Zahlen ist Z× = 1,−1.Die Forderung, daß alle Elemente eines Ringes invertierbar sind, führt, wie gezeigt,

offensichtlich nicht zu interessanten Ringen. Ganz anders sieht es aus, wenn wir dieForderung leicht abschwächen, wenn wir nämlich nur fordern, daß alle Elemente bis aufdie Null (die oben benutzt worden ist, um 0 = 1 zu folgern) invertierbar sind:Konzept 7.10. Ein Ring K heißt Schiefkörper, wenn folgendes Axiom erfüllt ist:• Jedes Element in K ist entweder Null oder eine Einheit, das heißt also

K = K× ∪ 0

ist eine disjunkte Vereinigung.Ein kommutativer Schiefkörper, das heißt ein kommutativer Ring, der ein Schiefkörper

ist, heißt Körper.Ein Schiefkörper ist folglich nie der Nullring. Insbesondere gilt immer 0 6= 1 in einem

Schiefkörper.Beispiel 7.11. Die rationalen Zahlen bilden offensichtlich einen Körper. In Teil I habenwir außerdem gezeigt, daß jede algebraische Zahl entweder verschwindet oder invertierbarist, das heißt, die algebraischen Zahlen Q bilden ebenfalls einen Körper. Ebenso ist jederZahlkörper ein Körper.Ein Ring, welcher kein (Schief-)Körper ist, ist zum Beispiel der Ring der ganzen Zahlen

Z.Beispiel 7.12. Wir wollen noch ein Beipiel für einen Schiefkörper geben, welcher keinKörper ist. Dazu definieren

K =(

w z−z w

) ∣∣∣∣∣ w, z ∈ Q⊆ M2(Q).

Durch Einschränkung der Addition und Multiplikation des Matrizenringes M2(Q) aufdie Teilmenge K (die bezüglich Addition und Multiplikation abgeschlossen ist!) wird Kselbst zu einem Ring. Bekanntlich besitzt eine Matrix genau dann eine multiplikativeInverse, wenn ihre Determinante invertierbar ist. Ist A = ( w z

−z w ) ein Element aus K, sogilt

detA = ww + zz = |w|2 + |z|2.Folglich ist detA genau dann Null, wenn sowohl w als auch z Null sind, also genau dann,wenn A die Nullmatrix ist. Andernfalls ist detA invertierbar, und es zeigt sich, daß dieinverse Matrix wieder in K liegt. Der Schiefkörper K ist nicht kommutativ, denn es istzum Beispiel (

i 00 −i

)·(

0 1−1 0

)−(

0 1−1 0

)·(

i 00 −i

)=(

0 2i2i 0

)6= 0.

Der Schiefkörper K heißt der Schiefkörper der algebraischen Quaternionen.

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7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

Gruppen haben wir vermöge Gruppenhomomorphismen in Beziehung zueinander ge-setzt. Das Entsprechende für Ringe sind die Ringhomomorphismen:

Definition 7.13. Eine Abbildung φ : R→ S zwischen zwei Ringen R und S heißt Ring-homomorphismus, falls φ ein Gruppenhomomorphismus zwischen den additiven Grup-pen von R und S ist und zusätzlich φ(1) = 1 und φ(x · y) = φ(x) · φ(y) für beliebigeRingelemente aus G gelten.

Daß φ ein Homomorphismus der additiven Gruppen ist, können wir auch durch φ(0) =0 und φ(x+ y) = φ(x) + φ(y) ausdrücken. Ist n eine ganze Zahl und x ein Ringelement,so folgt

φ(x · n) = φ(x) · n,

wobei x · n wie bei abelschen Gruppen wieder für die n-fache Summe von x mit sichselbst steht.Wie bei Gruppenhomomorphismen gilt analog bei Ringhomomorphismen, daß die

Komposition von Ringhomomorphismen wieder ein Ringhomomorphismus ist und daßdie identische Abbildung eines Ringes immer ein Ringhomomorphismus ist.Einen bijektiven Ringhomomorphismus bezeichnen wir als Ringisomorphismus. In die-

sem Falle ist die Umkehrung ebenfalls ein Ringisomorphismus. Zwei Ringe heißen iso-morph, wenn zwischen Ihnen ein Ringisomorphismus existiert. Wie bei Gruppen ist dieIsomorphie von Ringen eine Äquivalenzrelation. Je zwei Nullringe sind auf genau eineArt isomorph, so daß wir von dem Nullring sprechen können. Diesen symbolisieren wirpassenderweise mit dem Symbol 0.Jeder Ringisomorphismus eines Ringes R auf sich selbst heißt ein Automorphismus

dieses Ringes. Die Menge Aut(R) der Automorphismen von R bildet mit der Kompositionals Gruppenverknüpfung eine Gruppe, die Automorphismengruppe des Ringes R.Beispiel 7.14. Sei R ein beliebiger Ring. Dann existiert genau ein Ringhomomorphismusφ : Z → R. Für diesen muß nämlich φ(1) = 1 gelten. Für eine ganze Zahl n ∈ Z folgtdann

φ(n) = φ(1 · n) = φ(1) · n = 1 · n,

das heißt φ ist schon vollständig festgelegt. Schreiben wir kurz n := 1 · n ∈ R, so muß φalso durch

φ : Z→ R, n 7→ n

gegeben sein. (Es sei beachtet, daß mit n auf der linken Seite eine ganze Zahl, mit n aufder rechten Seite ein Element aus R bezeichnet wird.) Es läßt sich leicht nachprüfen, daßein so definiertes φ in der Tat ein Ringhomomorphismus ist.Beispiel 7.15. Sei R ein beliebiger Ring. Dann existiert genau ein Ringhomomorphismusφ : R→ 0: Da der Nullring 0 nur aus einem einzigen Elemente besteht, gibt es überhauptnur genau eine Abbildung von R nach 0. Diese ist trivialerweise ein Ringhomomorphis-mus.Beispiel 7.16. Seien R ein Ring und n eine natürliche Zahl. Dann ist

R→ Mn(R), r 7→ r · In

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7. Ringe

ein Ringhomomorphismus.Ringhomomorphismen sind mit dem Begriff einer Einheit verträglich: Sei etwa φ : R→

S ein Ringhomomorphismus. Ist x eine Einheit in R mit Inversem y ∈ R, so ist φ(x)eine Einheit in S mit Inversem φ(y), denn

φ(x) · φ(y) = φ(xy) = φ(1) = 1

und analog φ(y) · φ(x) = 1. Wir können dies auch kurz in der Form φ(R×) ⊆ S×

schreiben.Eine wichtige Konsequenz dieser Tatsache ist:

Proposition 7.17. Sei φ : K → R ein Ringhomomorphismus von einem Schiefkörperin einen Ring, der ungleich dem Nullring ist. Dann ist φ injektiv.

Beweis. Der Ringhomomorphismus φ ist genau injektiv, wenn der zugrundeliegende Ho-momorphismus der abelschen Gruppen von K und R injektiv ist, wenn also kerφ =x ∈ K|φ(x) = 0 die triviale Gruppe 0 ist. Dazu sei x ∈ K mit φ(x) = 0. Zu zeigen ist,daß x = 0. Da 0 6= 1 in R, kann φ(x) keine Einheit in R sein. Damit kann aber nachdem Vorhergehenden auch x keine Einheit in K sein. Da K ein Schiefkörper ist, folgtx = 0.

Im Falle von Gruppen haben wir gezeigt, daß das Bild eines jeden Gruppenhomo-morphismus eine Untergruppe ist. Indem wir den Begriff eines Unterringes geeignetdefinieren, können wir dasselbe für Ringhomomorphismen zeigen:

Definition 7.18. Sei R ein Ring. Ein Unterring S von R ist eine Untergruppe deradditiven Gruppe von R mit 1 ∈ R und x · y ∈ R, wann immer x, y ∈ R.

Ein Unterring ist also eine unter Addition und Multiplikation abgeschlossene Teilmen-ge von R, welche zudem 0 und 1 enthält.

Proposition 7.19. Sei φ : R → S ein Homomorphismus zwischen Ringen R und S.Dann ist sein Bild

imφ = φ(x)|x ∈ R ⊆ S

ein Unterring von R.

Beweis. Zunächst ist imφ bekanntlich eine Untergruppe der additiven Gruppe von S.Weiter gilt 1 = φ(1) ∈ S. Sind außerdem φ(x) und φ(y) ∈ S, so folgt φ(x) · φ(y) =φ(x · y) ∈ S.

Bilder von Ringhomomorphismen können wir wieder als „typische“ Unterringe anse-hen: Ein jeder Unterring S eines Ringes R ist nämlich Bild der Inklusionsabbildung

ι : S → R, x 7→ x,

das heißt alle Unterringe können als Bilder von Ringhomomorphismen realisiert werden.Eng verknüpft mit dem Begriff des Ringhomorphismus ist der Begriff der Algebra:

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7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

Konzept 7.20. Sei R ein kommutativer Ring. Ein Ring A zusammen mit einer Abbil-dung · : R × A → A, auch genannt Wirkung (von R auf A), heißt eine R-Algebra, fallsfolgende Axiome erfüllt sind:

1. Die Wirkung · : R×A→ R ist eine Wirkung des multiplikativen Monoides von Rauf A, das heißt für jedes Element a ∈ A und für Elemente x, y ∈ R gelten dieGleichheiten:

1 · a = a, x · (y · a) = (xy) · a.

2. Die Wirkung ist distributiv über die Addition, das heißt für x, y ∈ R und a, b ∈ Agelten

(x+ y) · a = x · a+ y · b

undx · (a+ b) = x · a+ x · b.

3. Die Wirkung ist bezüglich der Multiplikation auf A kommutativ, das heißt für jezwei Elemente x, y ∈ R und a, b ∈ A gilt

(x · a) · (y · b) = (x · y) · (a · b).

Wir definieren an dieser Stelle gleich an den Begriff eines Homomorphismus von Al-gebren mit:

Definition 7.21. Sei R ein kommutativer Ring. Ein Ringhomomorphismus φ : S → S′

zwischen zwei R-Algebren S und S′ heißt Homomorphismus von R-Algebren oder kurzAlgebrenhomomorphismus, falls φ bezüglich der Wirkung von R äquivariant ist, dasheißt, falls φ(x · a) = x · φ(a) für alle x ∈ R und a ∈ S gilt.

Beispiel 7.22. Seien R ein kommutativer Ring und n eine natürliche Zahl. Vermöge derWirkung

R×Mn(R)→ Mn(R), A 7→ r ·A,

welche durch Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar gegeben ist, wird der Matri-zenring Mn(R) zu einer R-Algebra.Beispiel 7.23. Sei R ein kommutativer Unterring eines Ringes S. Die Einschränkung derMultiplikation auf S definiert eine Wirkung

R× S → S, (x, y) 7→ x · y,

vermöge der S zu einer R-Algebra wird. In diesem Sinne ist etwa C eine R-Algebra.Beispiel 7.24. Sei φ : R′ → R ein Homomorphismus kommutativer Ringe. Ist dann Seine R-Algebra, so können wir S vermöge der Wirkung

R′ × S → S, (x′, y) 7→ φ(x′) · y

zu einer R′-Algebra machen. Versehen mit dieser Wirkung schreiben wir häufig auch SR′

für S. (Eigentlich müßte in dieser Bezeichnung auch der Homomorphismus φ eingehen;dieser muß sich allerdings aus dem Kontext ergeben.)

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7. Ringe

Ist R ein kommutativer Ring und ist S eine R-Algebra, so können wir die Abbildung

φ : R→ S, x 7→ x · 1

(wobei 1 auf der rechten Seite für die Eins in S steht) betrachten. Aus den Axiomen füreine Algebra folgt schnell, daß φ ein Ringhomomorphismus ist.Jede R-Algebra S kommt also mit einem kanonischen Ringhomomorphismus R → S

daher, den wir den Strukturhomomorphismus der R-Algebra S nennen. Dieser hat dieEigenschaft, daß sein Bild im Zentrum (des multiplikativen Monoides) der Algebra Sliegt, das heißt, daß

φ(a) · b = b · φ(a)für alle a ∈ R und b ∈ S.Umgekehrt definiert der Strukturhomomorphismus über

R× S → S, (x, y) 7→ φ(x) · y (7.1)

die Wirkung von R auf S, denn sind x ∈ R und y ∈ S, so gilt

x · y = (x · 1) · (1 · y) = (x · 1) · (1 · y) = φ(x) · y.

Ganz allgemein definiert (7.1) für jeden Ringhomomorphismus φ : R→ S, dessen Bild imZentrum von S liegt, die Struktur einer R-Algebra auf S. Wir können also sagen, daß R-Algebren nichts anderes als Ringe S zusammen mit Ringhomomorphismen R→ S sind,deren Bilder im Zentrum von S liegen (wir wollen solche Ringhomomorphismen zentralnennen). Sind S und S′ zwei R-Algebren, so ist ein Algebrenhomomorphismus ψ : S →S′ nichts anderes als ein Ringhomomorphismus, welcher mit den Strukturabbildungenφ : R→ S und φ′ : R→ S′ von S bzw. S′ kommututiert, das heißt

ψ φ = φ′.

Beispiel 7.25. Wir haben weiter oben gesehen, daß jeder Ring R einen eindeutigen Ring-homomorphismus Z→ R zuläßt. Wir können damit R auf genau eine Art und Weise zueiner Z-Algebra machen. Ringe sind also dasselbe wie Z-Algebren. Die Wirkung einerganzen Zahl ist natürlich die Vervielfachung.Ein wichtige Quelle für Algebren sind die schon aus Teil I bekannten Polynomringe,

die wir an dieser Stelle für einen beliebigen kommutativen Ring einführen. Dazu über-legen wir uns schnell, daß der Begriff des Polynoms aus Teil I nicht nur für rationale,ganzzahlige, reelle, algebraische oder komplexe Koeffizienten einen Sinn ergibt, sonderndaß wir einen beliebigen kommutativen Ring R zugrunde legen können. Addition undMultiplikation von Polynomen mit Koeffizienten in R und Multiplikation von Polynomenmit einer Konstanten aus R werden wie in Teil I definiert. Wir können damit definieren:

Konzept 7.26. Sei R ein kommutativer Ring. Der Polynomring R[X] über R in derVariablen X (oder auch die Polynomalgebra) ist diejenige (kommutative) R-Algebra,deren zugrundeliegende Menge die Menge der Polynome mit Koeffizienten aus R ist,deren Null und Eins durch die konstanten Polynome 0 und 1 gegeben sind, deren Additionund Multiplikation durch die Addition und Multiplikation von Polynomen und derenWirkung von R durch die Multiplikation von Polynomen mit Konstanten gegeben sind.

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7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

Wir können in Analogie den Polynomring R[X,Y ] in zwei oder auch den Polynom-ring R[X1, . . . , Xn] in n Variablen einführen. Wie sich der Leser schnell überlegen mag,besteht eine kanonische Isomorphie zwischen R[X,Y ] und dem „Polynomring über demPolynomring“ R[X][Y ] und analog zwischen R[X1, . . . , Xn] und R[X1] · · · [Xn].In Teil I haben wir für ein Ringelement x ∈ R und ein Polynom f(X) über R die

Einsetzung f(x) definiert. Diese Einsetzung können wir mit unserem Begriff eines Ho-momorphismus auch wie folgt ausdrücken:Beispiel 7.27. Sei R ein kommutativer Ring. Ist dann S eine R-Algebra zusammenmit einem ausgezeichneten Element s ∈ S, so gibt es genau einen Homomorphismusφ : R[X]→ S, welcher x auf s abbildet, nämlich die durch

φ(∑i

aiXn) =

∑i

aiφ(X)n =∑i

aisn,

wobei ai ∈ R gelte. Diese Abbildung heißt Auswertungsabbildung (in s) und wird mit

φ : R[X]→ S, f(X) 7→ f(s)

notiert.Wir können die hier beschriebene Tatsache auch so beschreiben, daß die der R-Algebra

S zugrundeliegende Menge (der Elemente von S) in kanonischer Bijektion zu den Ho-momorphismen R[X]→ S von R-Algebren steht.Solche allgemeinen Auswertungsabbildungen sind zum Beispiel aus der Linearen Alge-

bra aus dem Umfeld des Cayley–Hamiltonschen1 Satzes bekannt: Ist nämlich A ∈ Mn(R)eine quadratische Matrix über einem kommutativen Ringe R mit charakteristischem Po-lynome χA(X) ∈ R[X], so sagt dieser Satz ja gerade aus, daß χA(A) = 0 ∈ Mn(R),wobei χA(A) das Bild von χA(X) unter der Auswertungsabbildung

R[X]→ Mn(R), f(X) 7→ f(A)

ist.Wir erinnern an den Begriff endlich erzeugt, den wir für abelsche Gruppen definiert

haben. Für Algebren über einem kommutativen Ringe R gibt es denselben Begriff, derallerdings nicht mit dem für abelsche Gruppen verwechselt werden sollte, weil er etwasanderes bedeutet. Der Einfachheit halber betrachten wir nur kommutative Algebren:

Definition 7.28. Eine kommutative R-Algebra S heißt endlich erzeugt, falls es Elementey1, . . . , yn von S gibt, so daß jedes Element von S ein polynomieller Ausdruck in den yimit Koeffizienten aus R ist. In diesem Falle nennen wir y1, . . . , yn ein Erzeugendensystemvon S und schreiben S = R[y1, . . . , yn].

Daß Elemente y1, . . . , yn ein Erzeugendensystem von S als R-Algebra bilden, istgleichbedeutend damit, daß der Einsetzungshomomorphismus

R[X1, . . . , Xn] 7→ S, Xi 7→ yi

1Sir William Rowan Hamilton, 1805–1865, irischer Mathematiker und Physiker

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7. Ringe

surjektiv ist. Endlich erzeugte kommutative R-Algebren sind also nichts anderes als ho-momorphe Bilder von Polynomalgebren der Form R[X1, . . . , Xn]. (Dies ist in Analogie zuder Tatsache, daß endlich erzeugte abelsche Gruppen homomorphe Bilder von abelschenGruppen der Form Zn sind.)

Beispiel 7.29. Ist K ein Zahlkörper, so ist K (als Algebra) endlich erzeugt über Q. IstL ein Zahlkörper über K (das heißt, L über K ist eine Erweiterung von Koeffizienten-bereichen), so ist L endlich erzeugt über K.

Am Ende des Abschnitts wollen wir schließlich noch eine weitere Methode vorstellen,aus gegebenen Ringen neue Ringe zu gewinnen:

Konzept 7.30. Seien R und S zwei Ringe. Das direkte Produkt R×S von R und S ist derRing, dessen zugrundeliegende additive Gruppe das direkte Produkt R×S der additivenGruppen von R und S ist, dessen Eins durch 1 := (1, 1) und dessen Multiplikation durch

· : (R× S)× (R× S)→ (R× S), (x, y) · (x′, y′) 7→ (xx′, yy′)

gegeben ist.

(Natürlich sollte an dieser Stelle nachgerechnet werden, daß durch das so definiertedirekte Produkt zweier Ringe in der Tat alle Ringaxiome erfüllt werden.) Sind R und Szwei kommutative Ringe, so ist auch das direkte Produkt R× S kommutativ.Am direkten Produkte können wir leicht studieren, daß unsere allgemeinen Ringe Ei-

genschaften haben können, welche wir nicht von unseren Zahlbereichen Z, Q, R, etc. ge-wohnt sind. (Dieselbe Bemerkung würde aber auch auf Matrixringe zutreffen.) Betrach-ten wir etwa den (kommutativen) Ring R = Z× Z und dessen Elemente x = (1, 0) undy = (0, 1). Dann gilt offensichtlich x 6= 0 und y 6= 0, aber x · y = (1 · 0, 0 · 1) = (0, 0), dasheißt das Produkt zweier nicht verschwindender Elemente kann sehr wohl verschwin-den. In einem allgemeinen (auch kommutativen) Ringe kann daher die Kürzungsregelx · y = 0 =⇒ y = 0, falls x 6= 0, nicht gelten. Wegen x · y = 0 nennen wir x und y auch(nicht-triviale) Nullteiler in R.Gilt für ein Element x eines kommutativen Ringes allerdings die Kürzungsregel, also

x · y = 0 =⇒ y = 0,

so heißt x regulär, andernfalls singulär. Ist 0 in einem Ring ein reguläres Element, sofolgt aus 0 · 1 = 0 also 1 = 0, das heißt 0 ist nur im Nullring ein reguläres Element.In unseren Rechnungen in Teil I haben wir viel Gebrauch von der Kürzungsregel in

unseren Zahlbereichen gemacht. Bei unserer Verallgemeinerung des Zahlbereichbegriffesauf einen Ring, sind wir also gewissermaßen über das Ziel herausgeschossen, da es imallgemeinen von Null verschiedene reguläre Elemente gibt. Wir grenzen die große Klassebeliebiger Ringe daher wieder etwas ein, indem wir ein engeres Konzept definieren:

Konzept 7.31. Ein kommutativer Ring R heißt Integritätsbereich, falls jedes Elementin R entweder Null oder regulär ist.

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7.1. Ringe und Ringhomomorphismen

In einem Integritätsbereich ist also 0 6= 1, und es gilt

x · y = 0 =⇒ x = 0 oder y = 0

für alle x, y ∈ R gilt. Wir sagen auch, ein Integritätsbereich ist ein nullteilerfreierkommutativer Ring.

Beispiel 7.32. Die ganzen Zahlen bilden einen Integritätsbereich.

Beispiel 7.33. Ein Unterring eines Integritätsbereiches ist wieder ein Integritätsbereich.

In Teil I haben wir schon bewiesen (wenn auch mit anderen Worten und nicht in dieserAllgemeinheit, wobei der Beweis jedesmal derselbe ist):

Beispiel 7.34. Sei R ein Integritätsbereich. Dann ist auch der Polynomring R[X] einIntegritätsbereich.

Beispiel 7.35. Sei K ein Körper. Dann ist K ein Integritätsbereich. Gilt nämlich x ·y = 0in K, so müssen wir x = 0 oder y = 0 zeigen. Da K ein Körper ist, ist entweder x = 0oder x ist invertierbar. Im ersten Falle sind wir fertig. Im zweiten Falle multiplizierenwir x · y = 0 mit x−1 und erhalten y = 0.

Ganz allgemein folgt wie in Beispiel 7.35, daß Einheiten in einem Ring immer regulärsind.

AufgabenAufgabe 7.1.1. Sei R ein kommutativer Ring, welcher nicht der Nullring ist. Sei n ≥ 1eine natürliche Zahl. Zeige, daß Mn(R) genau für n = 1 ein kommutativer Ring ist.

Aufgabe 7.1.2. Mit RR bezeichnen wir die Menge aller Funktionen von R nach R. Zeige,daß RR zu einem Ring wird, wenn wir die Addition und Multiplikation durch die üblicheAddition und Multiplikation von Funktionen definieren, das heißt durch

f + g : x 7→ f(x) + g(x),f · g : x 7→ f(x) · g(x)

definieren.

Aufgabe 7.1.3. Zeige, daß OQ(i) = Z[i].

Aufgabe 7.1.4. Zeige, daß OQ(√−3) = Z[ζ3].

Aufgabe 7.1.5. Sei n ≥ 1. Sei ζ eine primitive n-te Einheitswurzel. Zeige, daß

OQ(ζ) = Z[ζ] = a0 + a1ζ + · · ·+ an−1ζn−1|a0, . . . , an−1 ∈ Z.

Aufgabe 7.1.6. Sei p eine Primzahl und Zp die Menge all derjenigen rationalen Zahlen, inderen vollständig gekürzter Bruchdarstellung der Nenner nicht durch p teilbar ist. Zeige,daß Zp ein Unterring von Q ist und bestimme seine Einheitengruppe.

Aufgabe 7.1.7. Bestimme die Einheiten der ganzen Gaußschen Zahlen Z[i].

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7. Ringe

Aufgabe 7.1.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sei S eine R-Algebra. Zeige, daß

φ : R→ S, x 7→ x · 1

ein Ringhomorphismus ist.Aufgabe 7.1.9. Sei R ein Ring. Zeige, daß das direkte Produkt R × 0 von R mit demNullring als Ring kanonisch isomorph zum Ring R selbst ist.Aufgabe 7.1.10. Sei R ein kommutativer Ring. Gibt es einen kanonischen Isomorphismusvon Ringen zwischen R[X,Y ] und R[X]×R[Y ]?Aufgabe 7.1.11. Sei R ein kommutativer Ring. Zeige, daß folgende Aussagen äquivalentsind:

1. Es existieren nicht verschwindende Elemente e, f in R mit ef = 0, e2 = e, f2 = fund e+ f = 1.

2. Der Ring R ist als Ring isomorph zu einem Produkte S × T kommutativer RingeS und T , die jeweils nicht der Nullring sind.

Aufgabe 7.1.12. Seien R ein kommutativer Ring und n eine natürliche Zahl. Zeige, daßdie Diagonalmatrizen einen Unterring von Mn(R) bilden, welcher als Ring isomorph zumdirekten Produkte Rn = R× · · · ×R︸ ︷︷ ︸

n

ist.

Aufgabe 7.1.13. Sei R ein Integritätsbereich. Seien x1, . . . , xn Elemente von R mitx1 · · ·xn = 0. Zeige, daß ein k ∈ 1, . . . , n mit xk = 0 existiert. Was ist mit dem Fallen = 0?Aufgabe 7.1.14. Sei Q[sin x, cosx] der kleinste Unterring von von RR, welcher die Funk-tionen sin x und cosx und die rationalen Zahlen (aufgefaßt als konstante Funktionen)enthält. Zeige, daß Q[sin x, cosx] genau aus den Funktionen f ∈ RR besteht, welche inder Form

f(x) = a0 +n∑

m=1(am cos(mx) + bm sin(mx))

geschrieben werden können, wobei a0, a1, a2, . . . und b1, b2, . . . rationale Zahlen sind.Aufgabe 7.1.15. Zeige, daß für jedes von Null verschiedene f ∈ Q[sin x, cosx] eine ein-deutig definierte natürliche Zahl deg f = n existiert, so daß

f(x) = a0 +n∑

m=1(am cos(mx) + bm sin(mx))

mit an 6= 0 oder bn 6= 0.Aufgabe 7.1.16. Seien f , g ∈ Q[sin x, cosx]. Zeige, daß deg(f · g) = (deg f) + (deg g),wenn wir zusätzlich deg 0 = −∞ setzen.Aufgabe 7.1.17. Zeige, daß Q[sin x, cosx] ein Integritätsbereich ist.

294

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7.2. Ideale und Faktorringe

7.2. Ideale und FaktorringeBei Gruppen haben wir gesehen, daß wir Kerne von Gruppenhomomorphismen nicht alsUntergruppen, sondern als Normalteiler auffassen sollten (auch wenn jeder Normalteilereine Untergruppe ist). Ist φ : R → S ein Homomorphismus von Ringen, so können wiruns entsprechend fragen, welche Eigenschaften der Kern

kerφ = x ∈ R|φ(x) = 0

hat. Nach Definition ist kerφ der Kern des φ zugrundeliegenden Homomorphismus zwi-schen den additiven Gruppen von R und S und ist damit sicherlich eine Untergruppeder additiven Gruppe von R. Wir könnten vermuten, daß der Kern sogar ein Unterringvon R ist. Dann müßte aber insbesondere 1 ein Element des Kernes sein, also würde0 = φ(1) = 1 in S gelten, S müßte also der Nullring sein. Wir erhalten damit, daß derKern eines Ringhomomorphismus im allgemeinen kein Unterring ist. Der Kern hat abereine andere Eigenschaft, die wir in der folgenden Definition beschreiben:

Definition 7.36. Sei R ein Ring. Eine Untergruppe a ⊆ R der additiven Gruppe vonR heißt (beidseitiges) Ideal, wenn a abgeschlossen unter Multiplikation mit beliebigenElementen aus R ist, wenn also a · x ∈ a und x · a ∈ a für beliebige Elemente a ∈ R undx ∈ a gelten.

(Das Adjektiv beidseitig bezieht sich darauf, daß a unter Multiplikation mit beliebigenRingelementen von links und von rechts abgeschlossen ist.) Ist x ein Element von kerφund a ∈ R ein beliebiges Ringelement, so folgt

φ(a · x) = φ(a) · φ(x) = φ(a) · 0 = 0,

also a · x ∈ kerφ. Analog können wir x · a ∈ kerφ zeigen, das heißt der Kern kerφ einesjeden Ringhomomorphismus φ : R→ S ist ein Ideal in R.Vergleichen wir die Situation mit den Gruppen, könnten wir sagen, daß Kerne von

Gruppenhomomorphismen nur zufällig Untergruppen sind, bzw. daß Normalteiler nurzufällig Untergruppen sind.Beispiel 7.37. Jede Untergruppe von Z ist automatisch ein Ideal, da Multiplikation mitElementen aus Z einfach nur iterierte Addition (und Negierung) ist.Beispiel 7.38. Sei a eine ganze Zahl. Bezeichnen wir mit (a) die Menge aller ganzzahligenVielfachen von a in Z, so ist (a) ein Ideal im Ringe Z.Das letzte Beispiel können wir verallgemeinern:

Beispiel 7.39. Sei R ein kommutativer Ring und a ein Element in R. Wir setzen

(a) := x · a|x ∈ R

Dann ist (a) ein Ideal in R, das von a erzeugte Hauptideal von R.Das Hauptideal (1) = R heißt das Einsideal, das Hauptideal (0) = 0 heißt das

Nullideal von R.

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7. Ringe

Mit Hilfe des Hauptidealbegriffs in einem kommutativen Ringe R können wir leichtumformulieren, was es für ein Ringelement x bedeutet, eine Einheit zu sein: Ist 1 ∈ (x),so ist 1 = a ·x für ein Ringelement a ∈ R, das heißt x besitzt ein multiplikatives Inverses,nämlich a. Besitzt umgekehrt x ein multiplikatives Inverses a, so ist 1 = a · x ∈ (x). Daoffensichtlich jedes Ideal, in welchem 1 enthalten ist, das Einsideal ist, ist x ∈ R alsogenau dann eine Einheit, wenn (x) = (1).Beispiel 7.40. Sei R ein kommutativer Ring. Sind a1, . . . , an Elemente von R, so be-zeichnen wir mit

(a1, . . . , an) := x1 · a1 + · · ·+ xn · an|x1, . . . , xn ∈ R

die Menge der R-Linearkombinationen der Elemente a1, . . . , an in R. Es ist (a1, . . . , an)ein Ideal, und zwar das kleinste Ideal von R, welches a1, . . . , an enthält. Wir nennen(a1, . . . , an) das von a1, . . . , an erzeugte Ideal von R und ganz allgemein Ideale dieserForm endlich erzeugte Ideale.In Abschnitt 6.7 auf Seite 267 haben wir gesehen, daß jedes endlich erzeugte Ideal von

Z schon ein Hauptideal ist. Wesentliche Beweisidee war dabei die Existenz eines größtengemeinsamen Teilers d zweier ganzer Zahlen x und y zusammen mit einer Darstellung derForm d = px+ qy mit p, q ∈ Z. Dasselbe können wir aber auch im Polynomring über Qoder Q oder allgemeiner im Polynomring über einem beliebigen Körper K machen. Wirerhalten also: Jedes endlich erzeugte Ideal im Polynomringe K[X] ist ein Hauptideal.Bemerkung 7.41. Für Polynomringe in mehreren Variablen oder über allgemeineren In-tegritätsbereichen ist dies im allgemeinen nicht mehr wahr: So läßt sich zum Beispielzeigen, daß die Ideale (X,Y ) ∈ K[X,Y ] oder (2, X) ∈ Z[X] nicht von nur einem Ele-ment erzeugt werden können.In Kapitel 6 auf Seite 217 zeigten wir, daß Kerne typische Normalteiler sind, das

hieß, daß jeder Normalteiler als Kern eines Gruppenhomorphismus auftaucht. Die Kon-struktion eines solchen Gruppenhomomorphismus gelang mit Hilfe des Konzepts derFaktorgruppe. Für Ringe können wir etwas ganz Ähnliches machen: Ist R ein Ring unda ein Ideal von R, so ist R/a zunächst als abelsche Gruppe definiert (nämlich als Fak-torgruppe der additiven Gruppe von R nach der additiven Gruppe von a): Elementevon R/a werden durch Elemente aus R repräsentiert, wobei zwei Repräsentanten x undy ∈ R genau dann das gleiche Element in R/a definieren, wenn sie durch Addition einesElementes aus a auseinander hervorgehen oder gleichbedeutend, daß ihre Differenz in aliegt, also x−y ∈ a. Addition der Elemente in R/a ist über die Addition ihrer Repräsen-tanten definiert. Wir können R/a zu einem Ringe machen, indem wir die Eins als 1 ∈ Rmodulo a und die Multiplikation als

R/a×R/a→ R/a, (x, y) 7→ x · y (7.2)

definieren. Die Ringaxiome für R/a folgen dann sofort aus denen für R, sobald wir gezeigthaben, daß die Multiplikation in (7.2) wohldefiniert ist. Dazu nehmen wir an, daß x undx′ modulo a gleich sind, das heißt x = x′ + a für ein a ∈ a. Dann gilt

x · y = (x′ + a) · y = x′ · y + a · y,

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7.2. Ideale und Faktorringe

und folglich ist x·y = x′·y in R/a, da a·y ∈ a, denn a ist als Ideal bezüglich Multiplikationmit beliebigen Ringelementen abgeschlossen. Analog folgt, daß x ·y = x ·y′ in R/a, wenny = y′ in R/a. Damit haben wir die Wohldefiniertheit von (7.2) gezeigt. Der kanonischeGruppenhomomorphismus

R→ R/a, x→ x

ist nach Definition der Ringstruktur auf R/a ein Ringhomomorphismus, dessen Kern ge-rade a ist. Wir haben also insbesondere jedes Ideal als Kern eines Ringhomomorphismusrealisiert. Es bleibt, dem Ringe R/a einen Namen zu geben:

Konzept 7.42. Seien R ein Ring und a ein Ideal in R. Dann heißt der Ring R/a derFaktorring von R nach a (oder auch Quotientenring oder Restklassenring).

(Die Bezeichnung Quotientenring ist etwas unglücklich, da sie im Zusammenhang mitLokalisierungen auftaucht.)

Beispiel 7.43. Für jede natürliche Zahl n ist Z/(n) ein kommutativer Ring, mit genau nElementen.

Der Ring Z/(n) ist im allgemeinen nicht nullteilerfrei: Seien dazu x, y ∈ Z mit x ·y = 0in Z/(n), das heißt x · y ist ein Vielfaches von n in Z. Im Falle, daß n eine Primzahlist, kann dies nur gelten, wenn x oder y ein Vielfaches von n ist, wenn also x = 0oder y = 0 in Z/(n) gilt. Ist p = n also eine Primzahl, so erhalten wir, daß Z/(p) einIntegritätsbereich ist. Ist dagegen n keine Primzahl, so können wir n = x · y für zweiechte Teiler x und y schreiben. Diese Teiler x und y sind nicht Null modulo n, allerdingsihr Produkt. Damit ist Z/(n) kein Integritätsbereich, wenn n keine Primzahl ist. Wirerhalten also

n ist Primzahl ⇐⇒ Z/(n) ist ein Integritätsbereich.

Das Rechnen in Z/(n) entspricht genau dem Rechnen modulo n, welches wir in Teil Igeführt haben. Dort haben wir insbesondere gesehen, daß ganze Zahl a genau danneine Einheit modulo n ist, wenn a und n teilerfremd sind. Wir erhalten damit, daß dieMächtigkeit der Einheitengruppe von Z/(n) gerade ϕ(n) ist. Insbesondere erhalten wir,daß die Integritätsringe Z/(p) für jede Primzahl p wegen ϕ(p) = p−1 Körper sind (dennes sind dann alle Elemente bis auf eines, nämlich 0, invertierbar). Diese Körper sind sowichtig, daß sie eine eigene Bezeichnung bekommen, und zwar schreiben wir

Fp := Z/(p),

wenn wir Z/(p) als (endlichen Körper mit p Elementen) auffassen. (Zu Ehren Galois’heißen endliche Körper auch Galoiskörper; Fp ist also ein Beispiel eines Galoiskörpers.)Es sei beachtet, daß wir nicht definiert haben, was Fn für eine beliebige ganze Zahl nsein soll. Insbesondere haben wir nicht Fn = Z/(n), wenn n keine Primzahl ist.In der additiven Gruppe von Fp hat das Element 1 die Ordnung p, dies drücken wir

dadurch aus, daß wir sagen, die Charakteristik von Fp sei p. Allgemein wird definiert:

297

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7. Ringe

Definition 7.44. Sei n eine positive natürliche Zahl. Ein Körper K ist von Charakteri-stik n, falls das Element 1 in der additiven Gruppe von K die Ordnung n hat, falls alson die kleinste positive natürliche Zahl mit

n · 1 = 1 + · · ·+ 1︸ ︷︷ ︸n

= 0

ist.Ein Körper K ist von Charakteristik 0, falls das Element 1 von unendlicher Ordnung

ist, falls also für je zwei ganze Zahlen n und m aus n · 1 = m · 1 in K schon n = m in Zfolgt.

Im Falle, daß die ganze Zahl n nicht quadratfrei ist — damit ist gemeint, daß n voneinem Primquadrat p2 geteilt wird —, hat der Restklassenring Z/(n) ganz besondereNullteiler, nämlich von Null verschiedene Elemente, deren Potenzen nicht alle nicht ver-schwinden: Sei etwa n = p2 · q. Dann verschwindet das Element k := pq nicht in Z/(n),wohl aber sein Quadrat k2 = p2q2 = q · n. Wir sagen, daß k in Z/(n) nilpotent mitNilpotenzindex 2 ist, gemäß der folgenden Definition:

Definition 7.45. Sei R ein kommutativer Ring. Ein Element x ∈ R heißt nilpotent, fallsxn = 0 für eine natürliche Zahl n ≥ 0.

Nach dieser Definition ist insbesondere 0 in jedem Ring ein nilpotentes Element. Be-sitzt ein kommutativer Ring außer dem Element 0 keine nilpotenten, so heißt R reduziert.Die Menge der nilpotenten Elemente eines kommutativen Ringes schreiben wir

√(0).

Allgemeiner schreiben wir√a := x ∈ R|xn ∈ a für ein n ∈ N0

für ein Ideal a von R und nennen√a das Wurzelideal zu a. Diese Bezeichnung legt nahe,

daß das Wurzelideal eines Ideals wieder ein Ideal ist. Dies wollen wir zeigen: Zunächst ist√a sicherlich unter Multiplikation mit Ringelementen abgeschlossen: Ist nämlich x ∈

√a,

etwa xn ∈ a und a ∈ R, so ist (ax)n = anxn ∈ a. Ebenso offensichtlich ist, daß 0 ∈√a

und daß mit x ∈√a auch −x ∈

√a. Es bleibt zu zeigen, daß mit x und y ∈

√a auch

x+ y ∈√a. Dazu erinnern wir uns an den binomischen Lehrsatz, der sich ohne weiteres

in beliebigen kommutativen Ringe beweisen läßt:

(x+ y)n =n∑k=0

(n

k

)xkyn−k

für jede natürliche Zahl n. Für hinreichend großes n ist in jedem Summanden auf derrechten Seite entweder die x- oder die y-Potenz im Ideal a enthalten (sind nämlich xN ,yN ∈ a, so reicht n = 2N − 1) das heißt, wir erhalten x+ y ∈ a, so daß das Wurzelidealin der Tat ein Ideal ist. Insbesondere bildet also die Menge der nilpotenten Elemente einIdeal, das Nilradikal.

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7.2. Ideale und Faktorringe

Ist φ : R → S ein Ringhomomorphismus mit Kern a, so wissen wir nach dem Homo-morphiesatz, daß R/a → S, x 7→ φ(x) ein wohldefinierter injektiver Gruppenhomomor-phismus ist. Nach Definition der Multiplikation auf R/a ist dieser Gruppenhomomor-phismus sogar ein Homomorphismus von Ringen, so daß wir den Homomorphiesatz undseine Erweiterungen auch für Ringe formulieren können:

Proposition 7.46. Sei φ : R→ S ein Homomorphismus von Ringen. Sei a ⊆ kerφ einIdeal in R. Dann ist

R/a→ S, x 7→ φ(x)

ein wohldefinierter Homorphismus von Ringen, dessen Kern durch kerφ/a gegeben ist.

Insbesondere ist also φ : R/ kerφ → imφ, x 7→ φ(x) ein wohldefinierter Ringisomor-phismus.Die Konstruktion des Faktorringes hat eine weitere wichtige Anwendung: Dazu erin-

nern wir an die Definition einer endlich erzeugten kommutativen R-Algebra S für einenkommutativen Ring R. Diese war dadurch charakterisiert, daß sie einen surjektiven Ring-homomorphismus der Form

φ : R[X1, . . . , Xn]→ S

zuläßt, dessen Bilder der Xi gerade ein Erzeugendensystem von S als R-Algebra bilden.Analog zu unserer Definition für abelsche Gruppen, können wir kerφ als das Relatio-nenideal zu den Erzeugern φ(X1), . . . , φ(Xn) bezeichnen. (Im Gegensatz zur Theorieabelscher Gruppen sind hier die Relationen allerdings polynomielle (und nicht lineare)Ausdrücke in den Erzeugern.) Dies legt folgende Definition nahe:

Definition 7.47. Eine kommutative R-Algebra S heißt endlich präsentiert, wenn es einendliches Erzeugendensystem a1, . . . , an von S als R-Algebra gibt, dessen Relationen-ideal ein endlich erzeugtes Ideal in R[X1, . . . , Xn] ist.

Eine kommutative R-Algebra S ist also genau dann endlich erzeugt, wenn sie einErzeugendensystem a1, . . . , an besitzt und endlich viele Elemente (wieder Relationengenannt) r1(X1, . . . , Xn), . . . , rm(X1, . . . , Xm) ∈ R[X1, . . . , Xn] existieren, so daß füralle j ∈ 1, . . . ,m gilt rj(a1, . . . , an) = 0 und daß für jedes k ∈ R[X1, . . . , Xn] mitk(a1, . . . , an) = 0 Koeffizienten h1, . . . , hm aus R mit k = h1r1 + · · ·+ hmrm existieren.Daß die Relationenideale zu beliebigen endlichen Erzeugendensystemen einer endlichpräsentierten R-Algebra S endlich erzeugt sind, gilt im allgemeinen nur unter zusätzli-chen Annahmen an R, auf die wir an dieser Stelle allerdings nicht eingehen können.Aufgrund des Homomorphiesatzes ist jede gegebene endlich präsentierte kommutative

R-Algebra S isomorph zu einer kommutativen R-Algebra der Form

S ∼= R[X1, . . . , Xn]/(r1, . . . , rm).

Wir können uns die Wahl der Erzeuger X1, . . . , Xn wie die Wahl von Koordinaten vor-stellen. Ringe der Form R[X1, . . . , Xn]/(r1, . . . , rm) werden in der algebraischen Geome-trie untersucht, also der geometrischen Lehre von Lösungen von Polynomgleichungen

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7. Ringe

in mehreren Variablen. Um dies einzusehen, betrachten wir eine weitere kommutativeR-Algebra T . Was ist ein Homomorphismus

φ : S := R[X1, . . . , Xn]/(r1, . . . , rm)→ T

von R-Algebren? Dazu betrachten wir

t1 := φ(X1) . . . , tn := φ(Xn).

Es gilt rj(X1, . . . , Xn) = 0 in S für alle j ∈ 1, . . . ,m. Damit muß aufgrund der Wohlde-finiertheit von φ auch rj(t1, . . . , tn) = 0 gelten. Wir erhalten also, daß jeder Homomor-phismus φ : R[X1, . . . , Xn]/(r1, . . . , rm) → T von R-Algebren eine Lösung (t1, . . . , tn)in T der Gleichungen rj(X1, . . . , Xn) = 0, j ∈ 1, . . . ,m definiert. Ist umgekehrt(t1, . . . , tn) eine Lösung dieser polynomiellen Gleichungen, so ist

R[X1, . . . , Xn]/(r1, . . . , rm)→ T, Xi 7→ ti

ein wohldefinierter Homomorphismus vonR-Algebren. Homomorphismen endlich präsen-tierter R-Algebren in kommutative R-Algebren T sind also nichts anderes als Lösungenpolynomieller Gleichungen in T . Die algebraische Geometrie kann damit Lösungsmen-gen polynomieller Gleichungen mit algebraischen Mitteln untersuchen, nämlich durchdie Untersuchung endlich präsentierter R-Algebren.Beispiel 7.48. Sei K ein Zahlkörper. Dann ist K eine endlich präsentierte Q-Algebra.Dies läßt sich folgendermaßen einsehen: Zunächst ist nach dem Satz über das primitiveElement K = Q[z] für eine algebraische Zahl z. Ist f(X) das Minimalpolynom von züber Q von einem Grade n, so folgt aus der Tatsache, daß 1, z, . . . , zn−1 eine Basis vonQ[z] über Q ist, daß der Homomorphismus

Q[X]/(f(X))→ Q[z], X 7→ z

von Q-Algebren ein Isomorphismus endlich-dimensionaler Vektorräume ist (denn inQ[X]/(f(X)) bilden die Elemente 1, X, . . . , Xn−1 eine Basis) und damit auch einIsomorphismus von Q-Algebren. Insbesondere ist also jeder Zahlkörper ein zu einerQ-Algebra der Form Q[X]/(f(X)) isomorpher Körper, wobei f(X) ein normiertes ir-reduzibles Polnyom ist.Analog wird gezeigt, daß für jede Erweiterung L über K von Zahlkörpern der Zahl-

körper L eine endlich präsentierte K-Algebra ist.Zum Schluß des Abschnitts erinnern wir an den chinesischen Restsatz. für paarweise

teilerfremde ganze Zahlen a1, . . . , an haben wir gesehen, daß

φ : Z/(a1 · · · an)→ Z/(a1)× · · · × Z/(an), x 7→ (x, . . . , x)

ein Isomorphismus abelscher Gruppen ist. Sehen wir die beide Seiten als Ringe an, sofolgt, daß f sogar ein Isomorphismus von Ringen ist. Wir wollen den Satz ein wenigumformulieren. Dazu definieren wir für zwei Ideale a und b eines Ringes R zunächstderen Summe

a + b := a+ b|a ∈ a, b ∈ b.

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7.2. Ideale und Faktorringe

Diese ist wieder ein Ideal und zwar das kleinste, welches a und b umfaßt. Ist also etwaa = (a1, . . . , an) und b = (b1, . . . , bm), so haben wir a + b = (a1, . . . , an, b1, . . . , bm). ImFalle R = Z haben wir insbesondere (a) + (b) = (d), wobei d ein größter gemeinsamerTeiler von a und b ist. Insbesondere ist die Teilfremdheit von a und b gleichbedeutendmit (a) + (b) = (1). Von daher nennen wir in einem allgemeinen Ringe zwei Ideale a undb zueinander prim, falls a+ b = (1). Die Voraussetzung des chinesischen Restsatzes, daßdie ai paarweise teilerfremd sind, können wir also auch so ausdrücken, daß die Ideale(ai) paarweise zueinander prim sind.Schließlich überlegen wir uns, daß für (endlich viele) Ideale a1, . . . , an eines Ringes R

auch ihr Schnitt a1∩· · ·∩an wieder ein Ideal ist. Im Falle paarweise teilerfremder ganzerZahlen a1, . . . , an haben wir (a1) ∩ · · · ∩ (an) = (a1 · · · an).Wir erhalten damit folgende Version des chinesischen Restsatzes, welche in dieser Form

für beliebige Ringe richtig ist (und wie im Falle ganzer Zahlen bewiesen wird):

Proposition 7.49. Sei R ein Ring mit paarweise zueinander primen Idealen a1, . . . ,an. Sei a = a1 ∩ · · · ∩ an. Dann ist

φ : R/a→ R/a1 × · · · ×R/an, x 7→ (x, . . . , x)

ein wohldefinierter Isomorphismus von Ringen.

AufgabenAufgabe 7.2.1. Sei R ein kommutativer Ring, der genau zwei endlich erzeugte Idealebesitzt. Zeige, daß R ein Körper ist.Aufgabe 7.2.2. Schreibe das Ideal (3, 8, 9) in Z als Hauptideal.Aufgabe 7.2.3. Sei p eine Primzahl. Bestimme alle endlich erzeugten Ideale von Z(p).Aufgabe 7.2.4. Zeige, daß der Restklassenring Z[i]/(2) genau vier Elemente hat. WelcheElemente davon sind regulär?Aufgabe 7.2.5. Sei K ein Körper. Zeige, daß K genau dann von Charakteristik 0 ist,wenn der Kern des (einzigen) Ringhomomorphismus’ Z → K durch das Nullideal (0)gegeben ist.Aufgabe 7.2.6. Sei K ein Körper. Sei n eine positive natürliche Zahl. Zeige, daß K genaudann von Charakteristik n ist, wenn der Kern des (einzigen) Ringhomomorphismus’Z→ K durch das Hauptideal (n) gegeben ist.Aufgabe 7.2.7. Zeige, daß der Restklassenring F3[X]/(X2+1) ein Körper mit 9 Elementenist.Aufgabe 7.2.8. Sei φ : R → S ein Homomorphismus von Ringen. Sei b ein Ideal von S.Zeige, daß φ−1b ein Ideal von R ist. Für dieses Ideal schreiben wir auch häufig R ∩ b,wenn der Homomorphismus φ aus dem Zusammenhange hervorgeht.Aufgabe 7.2.9. Sei φ : R→ S ein Homomorphismus von Ringen. Zeige, daß das Bild einesIdeales a von R unter φ im allgemeinen kein Ideal von S ist.Aufgabe 7.2.10. Bestimme die Nilradikale der kommutativen Ringe Z/(n), n ∈ N0 alsHauptideal.

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7. Ringe

7.3. LokalisierungEine der wichtigsten Konstruktionsmethoden für Ringe ist die Konstruktion des Fak-torringes nach einem Ideal. In diesem kurzen Abschnitt wollen wir eine nicht wenigerwichtige Konstruktionsmethode kennenlernen, die sogenannte Lokalisierung. Dazu erin-nern wir an die aus der Schule bekannte Konstruktion der rationalen Zahlen aus denganzen Zahlen: Eine rationale Zahl wird durch einen Bruch a

s dargestellt, dessen Zählera eine ganze Zahl und dessen Nenner s eine nicht verschwindende ganze Zahl ist. ZweiBrüche a

s und bt definieren genau dann dieselbe rationale Zahl, falls sie zum selben Bruch

erweitert werden können.Anstelle aller rationalen Zahlen könnten wir auch nur diejenigen rationalen Zahlen

betrachten, deren Nenner wir als Zweierpotenz wählen können. Diese bilden einen Un-terring Z[1

2 ] des Körpers aller rationaler Zahlen. Die Elemente des Ringes Z[12 ] werden

wieder durch Brüche as dargestellt. Der Zähler ist wieder eine beliebige ganze Zahl, für

den Nenner sind allerdings nur Zweierpotenzen zugelassen (auch bei der Konstruktion al-ler rationalen Zahlen haben wir schon nur eine Teilmenge aller ganzen Zahlen als Nennerzugelassen). Nennen wir die Teilmenge der zugelassenen Nenner S, so muß S sicherlichunter Multiplikation abgeschlossen sein, damit die übliche Definition für Summe undProdukt zweier Brüche weiterhin angewandt werden kann. Damit wir jede ganze Zahl amit dem Bruch a

1 identifizieren können, sollte außerdem 1 ein Element in S sein. DieseEigenschaft von S verallgemeinern wir auf beliebige kommutative Ringe:

Definition 7.50. Eine Teilmenge S eines kommutativen Ringes R heißt multiplikativabgeschlossen, wenn 1 ∈ S und x · y ∈ S für alle x ∈ S und y ∈ S gelten, das heißt also,wenn S ein Untermonoid des multiplikativen Monoides von R ist.

Beispiel 7.51. Ist R ein kommutativer Ring, so ist R trivialerweise eine multiplikativabgeschlossene Teilmenge.Beispiel 7.52. Die Teilmenge S der regulären Elemente eines kommutativen Ringes Rist multiplikativ abgeschlossen. Insbesondere ist R \ 0 für einen Integritätsbereich Rmultiplikativ abgeschlossen.Beispiel 7.53. Sei f ein Element eines kommutativen Ringes R. Dann ist 1, f, f2, f3, . . .multiplikativ abgeschlossen.Die letzten beiden Beispiele liefern (für R = Z und, im letzten Beispiel, f = 2) gerade

die zugelassenen Nenner für Q und Z[12 ].

Für einen allgemeinen kommutativen Ring R und eine multiplikativ abgeschlosseneTeilmenge S definieren wir einen Bruch (nach S) dann als Ausdruck der Form a

s , wobeia ∈ R und s ∈ S gilt. Die Summe zweier Brüche a

s und bt sei durch

a

s+ b

t:= at+ bs

st

und ihr Produkt durcha

s· bt

= ab

st

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7.3. Lokalisierung

definiert. Mit 0 := 01 bezeichnen wir den Nullbruch und mit 1 := 1

1 den Einsbruch.Ist a

s ein Bruch und u ein Element in S, so heißt ausu die Erweiterung des Bruches mit

u. Zwei Brüche seien gleich, wenn sie durch (endlich viele) Erweiterungen auseinanderhervorgehen. Dies können wir umformulieren: So sind a

s und bt sicherlich genau dann

gleich, wenn atst und bs

st gleich sind. Nach Definition sind diese beiden Brüche gleich,wenn sie durch eine weitere Erweiterung auseinander hervorgehen, wenn also ein u ∈ Sexistiert, so daß uat = ubs ist. Zusammengefaßt: Zwei Brüche a

s und bt sind genau dann

gleich, wenn ein u ∈ S mit u · (at− bs) = 0 existiert.Mit dieser Definition von Gleichheit werden Addition und Multiplikation zu wohlde-

finierten Operationen. Wie im Falle der bekannten rationalen Zahlen erhalten wir auchin diesem allgemeineren Kontext einen kommutativen Ring:

Konzept 7.54. Seien R ein kommutativer Ring und S ⊆ R eine multiplikativ abge-schlossene Teilmenge von R. Dann ist der kommutative Ring S−1R der Brüche von Rnach S die Lokalisierung (oder der Bruchring) von R nach S.

Ist S die Teilmenge aller regulären Elemente von R, so heißt S−1R auch der totaleQuotientenring von R, geschrieben Quot(R). (An dieser Stelle ist aufzupassen, daß kei-ne Verwechslung mit dem Begriff des Quotientenringes als alternative Bezeichnung desFaktorringes besteht!)Die Lokalisierung S−1R kommt mit dem kanonischen Ringhomomorphismus

R→ S−1R, a 7→ a

1 (7.3)

daher. Ist a ein Element von R, so sprechen wir auch häufig von dem Element a in S−1R,wenn wir sein Bild a

1 unter dem Ringhomomorphismus (7.3) meinen.Jedes Element s aus S wird insbesondere auf eine Einheit in S−1R abgebildet, denn

das Inverse zu s1 ist 1

s in S−1R. Wir sagen daher auch, beim Übergang von R nach S−1Rwerden die Elemente aus S invertierbar gemacht.Das erste Beispiel für Konzept 7.54 ist dasjenige, mit dem wir die Lokalisierung mo-

tiviert haben:Beispiel 7.55. Die rationalen Zahlen sind der totale Quotientenring der ganzen Zahlen.Beispiel 7.56. Sei R ein kommutativer Ring und S eine multiplikativ abgeschlosseneTeilmenge von R, welche nur aus Einheiten von R besteht. Dann ist der kanonischeRinghomomorphismus

R→ S−1R, a 7→ a

1ein Ringisomorphismus mit Umkehrung S−1R→ R, as 7→ s−1a.(In der Tat ist der kanonische Ringhomomorphismus genau dann ein Isomorphismus,

wenn nur nach Einheiten lokalisiert wird.)Beispiel 7.57. Seien R ein kommutativer Ring und f ∈ R ein Element in R. Wir betrach-ten die multiplikativ abgeschlossene Teilmenge S = 1, f, f2, . . .. Die Lokalisierung

R[f−1] := S−1R

303

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7. Ringe

kennen wir schon in einem anderen Gewande, und zwar ist

R[f−1]→ R[X]/(fX − 1), a

fn7→ aXn

ein wohldefinierter Ringisomorphismus mit Umkehrung

R[X]/(fX − 1)→ R[f−1], g(X) 7→ g(f−1).

Die Variable X auf der rechten Seite übernimmt also (wegen fX = 1) die Rolle derInversen von f , also des Bruches 1

f .Diese Lokalisierung R[f−1] heißt auch Lokalisierung von R weg von f . Wir notieren

als Korollar, daß die Lokalisierung einer endlich präsentierten kommutativen Algebranach einem Element wieder eine endlich präsentierte kommutative Algebra ist.

An diesem letzten Beispiel können wir auch teilweise erklären, wieso die LokalisierungLokalisierung heißt: Sei dazu K ein Körper und R := K[X1, . . . , Xn]/(f1, . . . , fm) eineendlich präsentierte K-Algebra. In der Sichtweise der algebraischen Geometrie, die wirin Abschnitt 7.2 auf Seite 295 skizziert haben, können wir R als diejenige K-Algebraansehen, die den Lösungen x = (x1, . . . , xn) ∈ Kn der Gleichungen f1(x) = · · · =fm(x) = 0 entspricht. Ein Element f ∈ R ist selbst wieder eine Gleichung (modulo f1,. . . , fm). Wir haben nach Beispiel Beispiel 7.57, daß

R′ := R[f−1] ∼= R[T ]/(fT − 1) ∼= K[X1, . . . , Xn, T ]/(f1, . . . , fm, fT − 1).

Die endlich präsentierte K-Algebra R′ steht für die Lösungen (x, t) = (x1, . . . , xn, t) derGleichungen f1(x) = · · · = fn(x) = 0 und tf(x) = 1. Damit ist t aber schon eindeutigfestgelegt und existiert genau dann, wenn f(x) eine Einheit ist. Der kommutative RingR′ steht also für diejenige Teilmenge der zu R gehörigen Lösungen x, für die f(x) eineEinheit ist. Lokalisieren weg von f heißt also das Betrachten von Lösungen außerhalbder Menge, wo f nicht invertierbar ist.Geometrisch stellen wir uns aus diesen Gründen die Lokalisierung eines kommutativen

Ringes R nach einem Element als offene Teilmenge dieses Ringes (bzw. der zu diesemRinge gehörenden Lösungsmenge von Polynomgleichungen) vor.

Beispiel 7.58. Sind f1, . . . , fn Elemente eines kommutativen Ringes R, so ist

R[f−11 , . . . , f−1

n ] := R[f−11 ][f−1

2 ] · · · [f−1n ] = R[f−1], (7.4)

wobei f := f1 · · · fn für das Produkt der Elemente steht:Elemente der rechten Seite von (7.4) sind wegen

a

fm=

afm1fm2...fmn

304

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7.3. Lokalisierung

auch Elemente der linken Seite. Umgekehrt ist jedes Element der linken Seiten auch einElement der rechten Seite, denn

a

fm11fm22...

fmnn= afm−m1

1 · · · fm−mnn

fm,

wobei m eine natürliche Zahl mit m ≥ mi für alle i ∈ 1, . . . , n ist.Elemente s1, . . . , sn eines kommutativen Ringes R heißen eine Zerlegung der Eins,

wenn s1 + · · · + sn = 1 gilt. Ist f ∈ R ein Element aus R, so können wir uns dasBild fi = f

1 von f in R[s−1i ] als Einschränkung von f auf den offenen Teil R[s−1

i ] von Rvorstellen. Für i, j ∈ 1, . . . , n stimmen fi und fj inR[s−1

i , s−1j ] überein, was anschaulich

einfach nur bedeutet, daß zwei Einschränkungen eines Elementes auf dem gemeinsamenDefinitionsbereich übereinstimmen. Umgekehrt können wir lokal gegebene Elemente zueinem globalen Element zusammenkleben:

Proposition 7.59. Sei s1, . . . , sn eine Zerlegung der Eins eines kommutativen RingesR. Seien weiter Elemente fi ∈ R[s−1

i ] mit fi = fj ∈ R[s−1i s−1

j ] für alle i, j ∈ 1, . . . , ngegeben. Dann existiert genau ein Element f ∈ R, so daß f = fi ∈ R[s−1

i ].

Beweis. Wir schreiben fi = aisNi

für i ∈ 1, . . . , n, wobei N eine ausreichend großenatürliche Zahl ist.Indem wir zum Beispiel die (n (N − 1) + 1)-te Potenz von 1 = s1 + · · ·+ sn bilden und

ausmultiplizieren, erkennen wir, daß eine Linearkombination

1 = b1sN1 + · · ·+ bns

Nn

mit Elementen b1, . . . , bn ∈ R existiert.Nehmen wir als erstes an, f existiere. Wir müssen dann zeigen, daß f eindeutig ist.

In R[s−1i ] gilt f

1 = aisNi

, das heißt smi (sNi f − ai) = 0 in R für eine natürliche Zahl m ≥ 0.Indem wir N anfangs genügend groß gewählt haben (wir ersetzen N durch m+N undmultiplizieren smi in die Klammer hinein), dürfen wir m = 0 annehmen, das heißt wirhaben sNi f = ai. Daraus folgt

f = 1 · f = b1sN1 f + · · ·+ bns

Nn f = b1a1 + · · ·+ bnan, (7.5)

das heißt f ist im Falle der Existenz eindeutig, nämlich durch die rechte Seite von (7.5)festgelegt.Umgekehrt wird durch die rechte Seite von (7.5) eine Lösung konstruiert. Dazu überle-

gen wir uns zunächst, daß die Gleichheit fi = fj in R[s−1i s−1

j ] bedeutet, daß spi sqj (sNj ai−

sNj ai) = 0 in R für gewisse natürliche Zahlen p und q. Indem wir N anfangs genügendgroß wählen, können wir annehmen, daß p = q = 0, das heißt, daß sNj ai = sNi aj . Damitgilt in R[s−1

i ], daß

b1a1 + · · ·+ bnan = b1sNi a1 + · · ·+ bns

Ni an

sNi= b1s

N1 ai + · · ·+ bns

Nn ai

sNi= aisNi

= fi.

305

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7. Ringe

Bilden wir den totalen Quotientenring eines Integritätsbereiches R, so lokalisieren wirnach allen Elementen außer der Null. Dies führt dazu, daß alle nicht verschwindeneElemente aus R in Quot(R) invertierbar werden. Es gilt sogar mehr:

Proposition 7.60. Sei R ein Integritätsbereich. Dann ist der totale QuotientenringQuot(R) von R ein Körper, der Quotientenkörper von R.

Beweis. Sei as ∈ Quot(R). Dann ist as = 0 = 0

1 genau dann, wenn ein reguläres Elementu ∈ R mit ua = 0 existiert. Da u regulär ist, ist dies gleichbedeutend mit a = 0. Jedernicht verschwindene Bruch a

s ist damit eine Einheit mit Inverser sa .

Es bleibt zu zeigen, daß 0 nicht invertierbar ist, daß also 0 6= 1 in Quot(R). Wäre dieserFall, hätten wir 0

1 = 11 , also u = 0 für ein reguläres Element. Dies ist im Widerspruch

dazu, daß R ein Integritätsbereich ist.

Beispiel 7.61. Die rationalen Zahlen sind der Quotientenkörper der ganzen Zahlen.Beispiel 7.62. Sei K ein Körper. Der Polynomring K[X1, . . . , Xn] ist bekanntlich einIntegritätsbereich. Sein Quotientenkörper

K(X1, . . . , Xn) := Quot(K[X1, . . . , Xn])

heißt der Körper der rationalen Funktionen in X1, . . . , Xn über K.Im Falle des Quotientenkörpers eines Integritätsbereiches R ist der kanonische Ho-

momorphismus R → Quot(R), a 7→ a1 eine injektive Abbildung, wir können also R mit

seinem Bild in Quot(R) identifizieren, einen Integritätsbereich also als Unterring seinesQuotientenkörpers ansehen. (Dies hat jeder seit eh und je schon mit den ganzen Zahleninnerhalb der rationalen Zahlen gehandhabt!)Im allgemeinen besitzt die kanonische Abbildung R → S−1R jedoch einen Kern,

nämlich das Ideal all derjenigen Elemente a aus R, die Nullteiler zu einem Elements aus S sind, das heißt für die sa = 0 gilt. Für dieses Ideal schreiben wir

(0 : S) := a ∈ R|∃s ∈ S : sa = 0.

Lokalisierung ist mit Ringhomomorphismen verträglich. Sei etwa φ : A → B ein Ho-momorphismus kommutativer Ringe. Seien weiter S und T multiplikative Teilmengenvon A bzw. B, so daß S ⊆ φ−1(T ), das heißt also, daß jedes Element von S auf einesvon T abgebildet wird. Dann ist

S−1A→ T−1B,a

s7→ φ(a)

φ(s)

eine wohldefinierter Ringhomomorphismus. Wir können T etwa als Bild von S unter φwählen und erhalten einen Ringhomomorphismus

S−1A→ S−1B := φ(S)−1B,a

s7→ φ(a)

φ(s) .

306

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7.3. Lokalisierung

Liegt insbesondere das Bild von S unter φ in den Einheiten von B, so haben wir eineninduzierten Ringhomomorphismus

S−1A→ B,a

s7→ φ(s)−1a.

Am Schluß dieses Abschnittes wollen wir schließlich zeigen, daß wir in gewisserweisejede Lokalisierung auf eine Lokalisierung der Form Beispiel 7.57 auf Seite 304 zurück-führen können. Als motivierendes Beispiel betrachten wir wieder die rationalen Zahlen.Beim Übergang von Z nach Q wird zum Beispiel 2 invertierbar gemacht, das heißt wirkönnen zum Beispiel zunächst Z[1

2 ] betrachten. In diesem Ring leben schon einmal alleBrüche, deren Nenner eine Zweierpotenz ist. Um auch Brüche erhalten zu können, derenNenner den Primfaktor 3 enthält müssen wir weiter nach 3 lokalisieren, erhalten alsoZ[1

2 ][13 ]. Diese Lokalisierung ist wiederum Z[1

6 ]. Um näher an Q zu kommen, müssen wirweitere Zahlen invertieren. Wir können uns Q damit als Grenzwert von LokalisierungenZ[ 1

d ] vorstellen, wobei d für größer werdende ganze Zahlen steht (hierbei ist größer in demSinne, viele Primfaktoren zu erhalten, zu verstehen). Dieses wollen wir präzise machen.Dazu benötigen wir das Konzept einer gerichteten Menge: Eine gerichtete Menge I ist

eine nicht leere Menge zusammen mit einer (teilweisen) Ordnung ≤, das heißt mit einerreflexiven und transitiven Relation, so daß je zwei Elemente i und j eine obere Schrankek besitzen, daß also ein Element k mit i ≤ k und j ≤ k existiert.Beispiel 7.63. Die natürlichen Zahlen bilden zusammen mit ihrer natürlichen Ordnungeine gerichtete Menge.Beispiel 7.64. Sei S eine multiplikativ abgeschlossene Teilmenge eines kommutativenRinges R. Für zwei Elemente a und b von S schreiben wir a | b, falls a ein Teiler vonb ist, falls also b ∈ (a). Die Relation | ist eine teilweise Ordnung auf S, die S zu einergerichteten Menge macht: Sind nämlich a und b zwei Elemente aus S, so ist ab eine obereSchranke von a und von b.Das letzte Beispiel ist für unsere Konstruktion von Q aus Z oder allgemeiner von S−1R

aus einem kommutativen Ringe R entscheidend: Gilt nämlich a | c für Elemente a und caus S, so können wir c = ra für ein r ∈ R schreiben. Damit können wir den kanonischenRinghomomorphismus

R[a−1]→ R[c−1], x

a7→ x

a= rx

c

definieren. Vermöge dieses Ringhomomorphismus’ (der im allgemeinen jedoch nicht in-jektiv ist), können wir Elemente aus R[a−1] auch als Elemente in R[c−1] auffassen. Ist bein weiteres Element aus S, so können wir Elemente in R[a−1] mit Elementen in R[b−1]als Elemente in R[c−1] vergleichen, wenn c eine gemeinsame obere Schranke von a undb ist.Wir können dies ausnutzen, um folgende Beschreibung der Lokalisierung S−1R zu

erhalten: Für jedes Element s ∈ S gibt es einen kanonischen RinghomomorphismusR[s−1] → S−1R. Ist x ein Element von S−1R, so existiert ein s ∈ S, so daß x das Bildin S−1R eines Elementes in R[s−1] ist. Schließlich sind Elemente in R[s−1] bzw. R[t−1](für s, t ∈ S) genau dann gleich in S−1R, wenn eine gemeinsame obere Schranke u von

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7. Ringe

s und t in S existiert, so daß die Elemente in R[u−1] gleich sind. Wir fassen dies kurz inder Formel

S−1R = lim−→s∈S

R[s−1]

zusammen und sagen, S−1R sei der gerichtete Limes der einfachen LokalisierungenR[s−1] für alle s ∈ S.Dieser Begriffsbildung liegen folgende allgemeine Konzepte zugrunde:

Konzept 7.65. Sei I eine gerichtete Menge. Ein gerichtetes System (Ri)i∈I von Ringenist eine Familie von Ringen (Ri)i∈I zusammen mit Ringhomomorphismen φij : Ri → Rjfür alle Paare von Elementen i und j aus I mit i ≤ j, so daß für i ≤ j und j ≤ k folgt,daß φik = φjk φij .

Die Ringhomomorphismen φij heißen die Strukturhomomorphismen des gerichtetenSystems.Beispiel 7.66. Sind R ein kommutativer Ring und S eine multiplikativ abgeschlosse-ne Teilmenge von R, die vermöge der Teilbarkeitsrelation als gerichtete Menge aufge-faßt wird, so ist (R[s−1])s∈S ein gerichtetes System, wobei der RinghomomorphismusR[s−1]→ R[t−1] für s | t der kanonische ist.Ist I eine gerichtete Menge und (Ri)i∈I ein gerichtetes System von Ringen, so können

wir einen Ring R = lim−→i∈I Ri wie folgt konstruieren: Elemente in R werden durch Ele-mente in den Ri repräsentiert. Ist x ∈ Ri und y ∈ Rj , so sind x und y in R genau danngleich, wenn eine obere Schranke k von i und j existiert, so daß x und y dasselbe Ele-mente in Rk sind (das heißt, unter den Strukturhomomorphismen auf dasselbe Elementin Rk abgebildet werden). Die Null bzw. die Eins in R wird durch die Null bzw. die Einsin einem beliebigen Ri dargestellt, die Addition beziehungsweise Multiplikation zweierElemente x ∈ Ri und y ∈ Rj , wird durch die Summe x + y ∈ Rk bzw. das Produktx · y ∈ Rk dargestellt, wenn k eine gemeinsame obere Schranke von i und j ist. Es seidem Leser überlassen zu zeigen, daß so in der Tat ein Ring definiert wird. Der Ring

lim−→i∈I

Ri

heißt der gerichtete (oder direkte) Limes der Ri.Beispiel 7.67. Sei S eine multiplikativ abgeschlossene Teilmenge eines kommutativenRinges R. Dann ist die Lokalisierung S−1R ein gerichteter Limes endlich präsentierterR-Algebren.Beispiel 7.68. Sei R ein kommutativer Ring. Der Polynomring in abzählbar unendlichvielen Variablen über R ist der gerichtete Limes

R[X1, X2, X3, . . . ] = lim−→n∈N0

R[X1, X2, . . . , Xn].

AufgabenAufgabe 7.3.1. Sei R ein kommutativer Ring. Gib für eine Einheit f ∈ R einen kanoni-schen Ringisomorphismus zwischen R und R[f−1] an.

308

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7.3. Lokalisierung

Aufgabe 7.3.2. Sei R ein kommutativer Ring. Zeige für ein Element f ∈ R, daß R[f−1]genau dann der Nullring ist, wenn f in R nilpotent ist.

Aufgabe 7.3.3. Sei R ein kommutativer Ring. Seien f ein Element in R und n eine positivenatürliche Zahl. Zeige, daß R[f−1] und R[f−n] = R[(fn)−1] kanonisch isomorph sind.

Aufgabe 7.3.4. Sei s1, . . . , sn eine Zerlegung der Eins eines kommutativen Ringes R.Zeige, daß zwei Elemente f und g von R genau dann gleich sind, wenn sie lokal gleichsind, das heißt, wenn f = g in R[s−1

i ] für alle i ∈ 1, . . . , n gilt.

Aufgabe 7.3.5. Sei s1, . . . , sn eine Zerlegung der Eins eines kommutativen Ringes R.Zeige, daß ein Element f in R genau dann invertierbar ist, wenn es lokal invertierbar ist,das heißt, wenn f in R[s−1

i ] für alle i ∈ 1, . . . , n invertierbar ist.

Aufgabe 7.3.6. Sei R ein kommutativer Ring und S eine multiplikativ abgeschlosseneTeilmenge von R. Wo gibt es Probleme, wenn die Gleichheit zweier Brüche a

s und bt nach

S einfach durch at = bs definiert wird?

Aufgabe 7.3.7. Warum ist es nicht so einfach, Lokalisierungen nicht kommutativer Ringezu definieren?

Aufgabe 7.3.8. Zeige, daß eine Menge X zusammen mit einer Ordnung genau danngerichtet ist, wenn jede endliche Teilmenge von X eine obere Schranke in X besitzt.

Aufgabe 7.3.9. Sei (Ri)i∈I ein gerichtetes System von Ringen mit Limes R = lim−→i∈I Ri.Zeige, daß ein x ∈ Ri genau dann in R invertierbar ist, wenn ein j ≥ i existiert, so daßx in Rj invertierbar ist.

Aufgabe 7.3.10. Zeige, daß jeder Ring gerichteter Limes endlich erzeugter Z-Algebrenist.

Aufgabe 7.3.11. Sei R ein kommutativer Ring. Definiere den Begriff eines gerichtetenSystems von R-Algebren und den gerichteten Limes eines solchen Systems als R-Algebra.

Aufgabe 7.3.12. Sei R ein kommutativer Ring. Sei A ∈ Mn,m(R) eine Matrix über R.Mit (Λk(A)) bezeichnen wir das von den k-Minoren von A (das heißt den Determinantenvon (k × k)-Untermatrizen) erzeugte Ideal in R.Zeige, daß sich (Λk(A)) nicht ändert, wenn A durch eine zu A ähnliche Matrix ersetzt

wird.

Aufgabe 7.3.13. Sei K ein Körper. Sei A ∈ Mn,m(K) eine Matrix über K. Zeige, daß Agenau dann Rang r hat, wenn (Λr(A)) = (1) und (Λr+1(A)) = (0) gilt.

Aufgabe 7.3.14. Sei R ein kommutativer Ring. Wir sagen für eine natürliche Zahl r, daßeine Matrix A ∈ Mn,m(R) Rang r habe, wenn (Λr(A)) = (1) und (Λr+1(A)) = (0) gelten.Habe eine Matrix A ∈ Mn,m(R) Rang r. Zeige dann, daß eine Zerlegung f1, . . . ,

fN der Eins von R existiert, so daß für alle i ∈ 1, . . . , N die Matrix A über R[f−1i ]

(damit meinen wir das kanonische Bild von A in Mn,m(R[f−1i ])) ähnlich zu folgender

309

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7. Ringe

Diagonalmatrix ist:

1 0 . . .

0 1 . . .... . . . . . .

10

. . .

∈ Mn,m(R[f−1

i ]).

Hierbei stehen auf der Diagonalen genau r Stück Einsen.Wir können also über jedem Ring jede Matrix zumindest lokal in Gauß–Jordansche

Normalform bringen. Warum geht dies im allgemeinen nicht global?

7.4. Faktorielle RingeIn diesem Abschnitt wollen wir die elementare Zahlentheorie (das ist zum Beispiel dasStudium von Primzahlen und Primfaktorzerlegungen) von den ganzen Zahlen auf belie-bige Integritätsbereiche ausdehnen. Eine solche Verallgemeinerung hatten wir schon inTeil I gesehen: Wir hatten festgestellt, daß sich Polynome über einem Zahlkörper K imwesentlichen in eindeutiger Weise in irreduzible Polynome zerlegen lassen. Dabei habenwir ein normiertes Polynom irreduzibel genannt, wenn jegliche Zerlegung in Faktorentrivial ist, eine Eigenschaft, die auch auf Primzahlen zutrifft, jedenfalls wenn wir trivialeZerlegung richtig definieren: Dazu betrachten wir die Zerlegung

p = (−1) · (−p).

Diese wollen wir trivial nennen, da der Faktor p auf der rechten Seite wieder auftaucht,zumindest bis auf Vorzeichen. Bis auf Vorzeichen heißt in den ganzen Zahlen aber bisauf Multiplikation mit einer Einheit. Für beliebige Integritätsbereiche R definieren wirdamit:

Definition 7.69. Sind x und y zwei Elemente in R, so daß eine Einheit u ∈ R× mitx = uy existiert, so heißen x und y assoziiert.

Sind x und y assoziiert, so folgt die Idealgleichheit (x) = (y). Sind umgekehrt diebeiden Hauptideale (x) = (y) gleich, so existieren Ringelemente u und v mit x = uyund y = vx, insbesondere also x = uvx und aufgrund der Nullteilerfreiheit von R daheruv = 1, also u, v ∈ R×. Damit ist die Assoziiertheit zweier Elemente in R gleichbedeu-tend damit, daß die von ihnen erzeugten Hauptideale übereinstimmen, daß sie sich alsogegenseitig teilen.Beispiel 7.70. Ist K Körper, so ist jedes reguläre Element zu 1 assoziiert.

Definition 7.71. Ein reguläres Element x von R heißt irreduzibel, falls gilt: Ist x asso-ziiert zu einem Produkt x1 · · ·xn, so ist einer der Faktoren x1, . . . , xn schon assoziiertzu x.

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7.4. Faktorielle Ringe

(Da R ein Integritätsbereich ist, heißt regulär natürlich nichts anderes als von Nullverschieden.) Da eine Einheit insbesondere zu einem leeren Produkte (welches per defini-tionem die Ringeins ist) assoziiert ist, sind Einheiten nie irreduzibel. Wissen wir schon,daß x keine Einheit ist, reicht es für die Irreduzibilität nur den Fall x = x1x2 zweierFaktoren zu betrachten.Diese Definition subsumiert die Definition für normierte Polynome (denn zwei nor-

mierte Polynome sind genau dann zueinander assoziert, wenn sie gleich sind). Außerdemhaben wir:

Beispiel 7.72. Die irreduziblen Elemente in Z sind gerade die Primzahlen 2, 3, 5, . . . undihre Negationen −2, −3, −5, . . . .

Beispiel 7.73. Wir wollen zeigen, daß 2 + i im Ring Z[i] = OQ(i) der Gaußschen Zahlenirreduzibel ist. Dazu überlegen wir zunächst, daß 2 + i keine Einheit ist. Dazu führenwir die sogenannte Normabbildung

N : Z[i]→ Z, a+ b i 7→ a2 + b2

ein (hierbei stehen a und b für ganze Zahlen), welche nichts anderes als die Einschränkungdes komplexen Betragsquadrates ist. Diese ist multiplikativ, das heißt, daß N(1) = 1 undN(x ·y) = N(x) ·N(y) für x, y ∈ Z[i]. Damit muß eine Einheit von Z[i] durch N auf eineEinheit in Z abgebildet werden. Die einzige positive Einheit in Z ist jedoch 1. WegenN(2 + i) = 22 + 12 = 5 6= 1 folgt also, daß 2 + i keine Einheit im Ringe der ganzenGaußschen Zahlen ist.Mit demselben Trick können wir zeigen, daß 2+i irreduzibel ist: Ist nämlich 2+i = x·y

für x, y ∈ Z[i], so folgt 5 = N(x) · N(y). Da 5 ein Primzahl ist, können wir ohneEinschränkung davon ausgehen, daß N(y) = 1. Schreiben wir y = a+ bi für zwei ganzeZahlen a und b, so folgt a2 + b2 = 1, also a = ±1 und b = 0 oder a = 0 und b = ±1.In allen vier Fällen ist y in Z[i] invertierbar. Folglich ist 2 + i assoziiert zu x, und damithaben wir gezeigt, daß 2 + i ein irreduzibles Element im Ring der ganzen GaußschenZahlen ist.

Im Zusammenhang mit Polynomen haben wir festgestellt, daß irreduzible Polynomeim folgenden Sinne prim sind: Teilt ein irreduzibles normiertes Polynom aus K[X] einProdukt normierter Polynome, so teilt es auch schon mindestens einen Faktor. DieseEigenschaft können wir für beliebige Integritätsbereiche R verallgemeinern:

Definition 7.74. Ein Element x von R heißt ein Primelement (oder einfach prim), fallsgilt: Teilt x ein Produkt x1 · · ·xn von Ringelementen, so teilt x schon einen der Faktorenx1, . . . , xn.

Da eine Einheit insbesondere das leere Produkt teilt, sind Einheiten nie prim. Wissenwir schon, daß x keine Einheit ist, reicht es für die Primalität nur den Fall x | x1x2zweier Faktoren zu betrachten.

Beispiel 7.75. Eine nicht verschwindende ganze Zahl ist genau dann prim, wenn sie einePrimzahl oder Negation einer Primzahl ist, das heißt, wenn sie irreduzibel ist.

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7. Ringe

In Abschnitt Teil I konnten wir außerdem mit Hilfe des euklidischen Algorithmusfür Polynome mit rationalen Koeffizienten nachweisen, daß irreduzible Polynome überden rationalen Zahlen automatisch prim sind. Da der euklidische Algorithmus in einerVersion für jeden Körper daherkommt, können wir analog schließen:

Beispiel 7.76. Sei K ein Körper. Ein nicht verschwindendes Polynom aus K[X] ist genaudann prim, wenn es irreduzibel ist.

Für einen allgemeinen Integritätsbereich R ist jedenfalls richtig:

Proposition 7.77. Ist x ein reguläres Primelement von R, so ist x irreduzibel.

Beweis. Diese Richtung folgt genauso, wie wir es schon für Polynome in Teil I nachge-rechnet haben.

Die andere Richtung gilt für beliebige Integritätsbereiche allerdings nicht:

Beispiel 7.78. Wir betrachten den Integritätsbereich

OQ(√−5) = Z[

√−5] = a+ b

√−5|a, b ∈ Z.

Wir wollen zeigen, daß 2 ∈ Z[√−5] ein irreduzibles Element ist. Dazu führen wir wieder

die multiplikative Normfunktion

N : Z[√−5]→ Z, a+ b

√−5 7→ a2 + 5b2

(a, b ∈ Z) ein. Einheiten in Z[√−5] sind wegen der Multiplikativität von N höchstens

die Elemente x = a + b√−5 mit N(x) = 1, also a2 + 5b2 = 1. Es folgt, daß 1 und −1

die einzigen Einheiten in Z[√−5] sind. Wie in Beispiel 7.73 auf der vorherigen Seite läßt

sich dann zeigen, daß 2 irreduzibel ist.Es ist 2 jedoch kein Primelement: Denn 2 teilt 6 = (1 +

√−5) · (1 −

√−5) im Ring

Z[√−5]. Auf der anderen Seite teilt 2 aber weder 1 +

√−5 noch 1−

√−5.

An dieser Stelle haben wir alle nötigen Begriffe beisammen, um Primfaktorzerlegungenfür beliebige Integritätsbereiche R definieren zu können:

Definition 7.79. Ein reguläres Element a ∈ R besitzt eine eindeutige Primfaktorzer-legung, wenn a assoziiert zu einem Produkt irreduzibler Elemente von R ist, das heißtalso, wenn es irreduzible Elemente p1, . . . , pr gibt, so daß

(a) = (p1 · · · pr), (7.6)

und wenn je zwei solcher Zerlegungen bis auf Reihenfolge und Assoziiertheit überein-stimmen, wenn also für weitere irreduzible Elemente q1, . . . , qs mit

(a) = (p1 · · · pr) = (q1 · · · qs)

eine Bijektion σ : 1, . . . , r → 1, . . . , s mit (pi) = (qσ(i)) existiert.

312

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7.4. Faktorielle Ringe

Im Falle von (7.6) nennen wir p1 · · · pr die Primfaktorzerlegung von a.Ist x ein Element in einem Integritätsbereich R, so heißt ein Element d bekanntlich

ein Teiler von x, geschrieben d | d′, wenn x = q d für ein Element q ∈ R.Sind x und y zwei Elemente in einem Integritätsbereich R, so können wir einen größten

gemeinsamen Teiler d ∈ R sinnvollerweise als ein solches Element definieren, welchesTeiler von x und y ist und so daß jeder weitere gemeinsame Teiler von x und y auchein Teiler von d sein muß. Ist d′ neben d ein solcher größter gemeinsamer Teiler, so folgtinsbesondere d′ | d, aber auch d | d′, das heißt, alle größten gemeinsamen Teiler sindzueinander assoziiert. Es ist leicht, den Begriff des größten gemeinsamen Teilers zweierElemente auf den Begriff des größten gemeinsamen Teilers einer endlichen Anzahl vonElementen auszudehnen.Zusammen mit der Existenz von Primfaktorzerlegungen kommen wir auf folgenden

Begriff:

Konzept 7.80. Ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist ein Integritätsbereich,in dem je zwei Elemente einen größten gemeinsamen Teiler besitzen und in dem jedesreguläre Element eine eindeutige Primfaktorzerlegung besitzt.

Damit können wir unser Schulwissen über die Primfaktorzerlegung ganzer Zahlen undunsere Ergebnisse aus Teil I wie folgt formulieren:

Beispiel 7.81. Die ganzen Zahlen bilden einen Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung.

Beispiel 7.82. Sei K ein Zahlkörper. Dann ist K[X] ein Ring mit eindeutiger Primfak-torzerlegung.

Da in einem Körper alle regulären Elemente Einheiten sind, haben wir trivialerweise:

Beispiel 7.83. Jeder Körper ist ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung.

In einem Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung können wir leicht feststellen, ob einreguläres Element eine Einheit ist: Entweder besitzt die eindeutige Primfaktorzerlegungmindestens einen Faktor — dann ist das Element keine Einheit —, oder sie besitzt keinenFaktor — dann ist das Element eine Einheit. Ebenso leicht können wir feststellen, ob sichzwei Elemente p und q in einem Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung teilen odernicht: Dazu bestimmen wir einen größten gemeinsamen Teiler d von p und q. Ist dannp/d eine Einheit, so teilt p das Element q. Ist p/d keine Einheit, so teilt p das Elementq nicht. Aus diesem Teilbarkeitstest läßt sich offensichtlich ein Test für Assoziiertheitableiten.In jedem Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung gilt die Umkehrung von Proposi-

tion 7.77 auf der vorherigen Seite:

Proposition 7.84. Ein irreduzibles Element in einem Ringe R mit eindeutiger Prim-faktorzerlegung ist ein Primelement.

Dieses Proposition wird auch Euklidsches Lemma genannt, auch wenn Euklid sie na-türlich nur für die ganzen Zahlen formuliert hat.

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7. Ringe

Beweis. Sei f ein irreduzibles Element, welches das Produkt pq in R teile, das heißtes gilt af = pq für ein a ∈ R. Eine Primfaktorzerlegung von p · q ergibt sich aus derPrimfaktorzerlegung von a durch Hinzufügen von f . Aufgrund der Eindeutigkeit derPrimfaktorzerlegung in R erhalten wir diese Primfaktorzerlegung aber auch, indem wirdie Primfaktorzerlegungen von p und q zusammensetzen. Damit muß f in der Primfak-torzerlegung von p oder q auftauchen, ist also ein Teiler von p oder q.

Wegen Beispiel 7.78 auf Seite 312 haben wir daher ein Beispiel für einen Integritäts-bereich, der kein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist:Beispiel 7.85. Der Integritätsbereich Z[

√−5] ist kein Ring mit eindeutiger Primfaktor-

zerlegung. In der Tat sind

6 = 2 · 3 = (1 +√−5) · (1−

√−5)

zwei wesentlich verschiedene Zerlegungen von 6 in irreduzible Elemente.War das letzte Beispiel eins aus der Zahlentheorie, ist das folgende für die algebraische

Geometrie relevant:Beispiel 7.86. Sei K ein Körper. Die K-Algebra

R = K[X,Y ]/(X3 − Y 2)

ist kein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung: Das Element X ist irreduzibel, aberkein Primelement, denn es teilt zwar Y 2 = X3, aber nicht Y .Sind n und m zwei ganze Zahlen, so ist neben dem Euklidischen Algorithmus die

Primfaktorzerlegung ein Verfahren, einen größten gemeinsamen Teiler von n und m zufinden: Sind nämlich n = ±pe1

1 · · · perr und m = ±pf11 · · · pfrr Primfaktorzerlegungen von

n und m mit paarweise nicht assoziierten Primelementen p1, . . . , pr und Exponenten ei,fi ≥ 0, so ist ein größter gemeinsamer Teiler durch

d = pmin(e1,f1)1 · · · pmin(er,fr)

r

gegeben. (Im Falle von n = 0 bzw. m = 0 ist der größte gemeinsame Teiler immer mbzw. n.)Die Bedingung an einen Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung, daß je zwei Ele-

mente einen größten gemeinsamen Teiler haben, ist also keineswegs unabhängig von derBedingung, daß für jedes reguläre Elemente eine eindeutige Primfaktorzerlegung exi-stiert, vielmehr hätte es zu fordern gereicht, daß für je zwei Primelemente festgestelltwerden kann, ob sie assoziiert sind oder nicht.Wir erinnern an den Begriff des Inhaltes aus Teil I: Wir haben den Inhalt eines Po-

lynoms f(X) ∈ Z[X] als den größten gemeinsamen Teiler seiner Koeffizienten definiert.Diese Definition können wir offensichtlich auf Polynome f(X) ∈ R[X] über beliebigenRingen mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ausdehnen: Der Inhalt des Polynomes f(X)ist ein größter gemeinsamer Teiler seiner Koeffizienten. (Der Inhalt ist offensichtlich bisauf Assoziiertheit definiert.) Ist der Inhalt von f(X) gleich eins, so nennen wir f(X)primitiv.

314

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7.4. Faktorielle Ringe

Der Beweis des Gaußschen Lemmas, Hilfssatz 3.15 auf Seite 86 überträgt sich eins zueins auf diesen allgemeineren Fall:

Hilfssatz 7.87. Seien g(X) und h(X) ∈ R[X] zwei Polynome über einem Ring miteindeutiger Primfaktorzerlegung. Dann ist der Inhalt des Produktes g(X) · h(X) derPolynome das Produkt der Inhalte der Polynome g(X) und h(X).

Insbesondere ist also das Produkt primitiver Polynome wieder primitiv, und ist dasProdukt zweier Polynome primitiv, so müssen auch die Faktoren primitiv sein.Wir können damit die Folgerung 3.16 auf Seite 87 auf beliebige Ringe mit eindeutiger

Primfaktorzerlegung verallgemeinern. Der Beweis überträgt sich mutatis mutandis.

Folgerung 7.88. Ein primitives Polynom über einem Ring R mit eindeutiger Primfak-torzerlegung ist genau dann irreduzibel, wenn es als Polynom über dem QuotientenkörperK von R irreduzibel ist.

Wir können daraus folgern, daß über einem Ring R mit eindeutiger Primfaktorzerle-gung jedes irreduzible Polynom f(X) ∈ R[X] ein Primelement ist: Dazu überlegen wirzunächst, daß f(X) primitiv sein muß (denn sonst wäre sein Inhalt ein echten Teiler inR[X]). Nach Folgerung 7.88 ist dann f(X) auch über K[X] irreduzibel. Über Körpernwissen wir schon, daß irreduzible Polynome Primelemente sind. Ist also f(X) insbeson-dere ein Teiler eines Produktes g(X) · h(X) zweier Polynome aus K[X], so teilt f(X)einen der beiden Faktoren, etwa f(X) · d(X) = g(X). Ist speziell g(X) ∈ R[X], so folgtaus der Primitivität von f(X) dann auch d(X) ∈ R[X]. (Ist etwa c ein Hauptnenner derKoeffizienten von d(X), so daß cd(X) ∈ R[X], so ist der Inhalt von cd(X) gleich demInhalt von cg(X), also durch c teilbar. Damit muß aber d(X) schon Koeffizienten aus Rgehabt haben.)Da, wie wir in Teil I (dort für Polynomringe, aber das Argument gilt allgemeiner)

gesehen haben, die Eindeutigkeit einer Primfaktorzerlegung folgt, sobald alle irreduziblenElemente prim sind, können wir als Folgerung notieren:

Hilfssatz 7.89. Sei R ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung. Sei f(X) ein Po-lynom über R. Besitzt f(X) in R[X] eine Primfaktorzerlegung, so ist diese eindeutig(das heißt eindeutig bis auf Reihenfolge und Assoziiertheit).

Wie sieht es mit der Existenz von Primfaktorzerlegungen in Polynomringen aus? Wei-ter oben haben wir gezeigt, daß jeder Polynomring über einem Zahlkörper ein Ringmit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist. Wie sieht es mit Polynomringen über ande-ren Körpern, wie etwa den endlichen aus? Wie mit Polynomringen über allgemeinenIntegritätsbereichen? Um diese Fragen zu studieren, definieren wir:

Konzept 7.90. Ein faktorieller Ring ist ein Integritätsbereich R, so daß der Polynom-ring R[X] ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist.

Da eine Primfaktorzerlegung eines konstanten Polynoms a in R[X] nichts anderes alseine Primfaktorzerlegung von a in R ist und ein größter gemeinsamer Teiler zweier kon-stanter Polynome in R[X] auch ein größter gemeinsamer Teiler in R ist, können wir

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7. Ringe

folgern, daß jeder faktorielle Ring insbesondere ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzer-legung ist.Beispiele faktorieller Ringe sind Polynomringe in endlich vielen Variablen über fakto-

riellen Ringen, was aus folgender Proposition per Induktion gefolgert werden kann:

Proposition 7.91. Ist R ein faktorieller Ring, so ist auch R[X] ein faktorieller Ring.

Beweis. Es ist zunächst zu zeigen, daß der Integritätsbereich R[X,Y ] eindeutige Prim-faktorzerlgungen seiner regulären Elemente zuläßt. Da die Einheiten von R[X,Y ] geradedie Einheiten R× von R sind, und es bei der Primfaktorzerlegung nur bis auf Einheitenankommt, rechnen wir im in allen folgenden R-Algebren S modulo R×, das heißt wiridentifizieren zwei Elemente in einer R-Algebra S, wenn sie durch Multiplikation miteiner Einheit aus R auseinander hervorgehen.Sei N eine natürliche Zahl. Sei

R[X,Y ]N := g0(Y ) + g1(Y )X + · · ·+ gN−1(Y )XN−1|gi(Y ) ∈ R[Y ]

diejenige Teilmenge von Polynomen (modulo R×!), deren Grad in X kleiner ist als N .Es ist R[X,Y ]N zwar nicht abgeschlossen unter der Multiplikation in R[X,Y ], aberabgeschlossen unter dem Bilden von Zerlegungen (das heißt, die Faktoren einer Zerlegungin R[X,Y ]N sind wieder in R[X,Y ]N ). Um daher zu zeigen, daß ein reguläres Polynomf(X,Y ) ∈ R[X,Y ]N eine eindeutige Primfaktorzerlegung in R[X,Y ] besitzt, reicht es,Zerlegungen in R[X,Y ]N zu betrachten. Die Abbildung

φ : R[X,Y ]N → R[X], g(X,Y ) 7→ g(X,XN )

ist aufgrund der Wahl von N injektiv und mit Zerlegungen in Faktoren verträglich (dasheißt, sie bildet eine Zerlegung in Faktoren auf eine Zerlegung in Faktoren ab). Ist alsog ein Faktor von f ∈ R[X,Y ]N , so ist φ(g) ein Faktor von φ(f) in R[X]. Da R[X] nachVoraussetzung ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist, besitzt φ(f) nur endlichviele Faktoren g1, . . . , gm. Damit sind alle Faktoren von f Polynome fj , so daß φ(fj) = gifür ein i ∈ 1, . . . ,m. Damit besitzt f nur endlich viele Faktoren. Insbesondere könnenwir f in in R[X,Y ]N irreduzible Elemente zerlegen.Die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung von f ist gerade Hilfssatz 7.89 auf der

vorherigen Seite.Es bleibt ein Test anzugeben, mit dem festgestellt werden kann, ob zwei Polynome

f und g in R[X,Y ] sich gegenseitig teilen. Dazu reicht es, dies in R[X,Y ]N für ge-nügend großes N zu überprüfen. Dort können wir aber nach dem obigen Algorithmusentscheiden, ob g als Vielfaches von f geschrieben werden kann.

Beispiel 7.92. Da Q[X] ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist, ist Q faktoriell.Damit ist auch Q[X,Y ] ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung. Wir wollen diePrimfaktorzerlegung von

f(X,Y ) := X3 −X2Y +XY − Y 2

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7.4. Faktorielle Ringe

bestimmen. Die höchste auftauchende Potenz in X ist X3, wir können damit N = 4im Sinne des Beweises von Proposition 7.91 auf der vorherigen Seite wählen. Sei daherφ(g(X,Y )) = g(X,X4). Insbesondere haben wir

φ(f(X,Y )) = f(X,X4) = −X8 −X6 +X5 +X3 ∈ Q[X].

Auf das Polynom auf der rechten Seite können wir unsere Faktorisierungsmethoden ausTeil I anwenden und erhalten

g(X) := −X8 −X6 +X5 +X3 = −X3 · (X − 1) · (X2 + 1) · (X2 +X + 1).

Auf der linken Seite stehen insgesamt 6 Faktoren. Diese lassen sich auf höchstens 26 = 64Arten und Weisen zu genau zwei Faktoren g1(X) · g2(X) zusammenfassen. Für jedeeinzelne dieser Zerlegungen überprüfen wir, ob sie Bild einer Zerlegung von f(X,Y ) ist:Wir schreiben gi(X) = φ(fi(X,Y )) (wir erhalten fi(X,Y ) ∈ Q[X,Y ], indem wir in gi(X)Monome Xn durch XrY q ersetzen, wobei q der Quotient und r der Rest der Division vonn durch N = 4 ist) und überprüfen dann, ob f(X) = f1(X,Y )f2(X,Y ). Die positivenResultate ergeben dann alle möglichen Zerlegungen von f(X) in zwei Faktoren. DasGanze lassen wir am besten durch einen Computer machen. Es ergibt sich, daß

g(X) = −[X · (X − 1) · (X2 +X + 1)

]·[X ·X · (X2 + 1)

]die einzige nicht triviale Faktorisierung von g(X) ist, welche von einer Faktorisierungvon f(X) kommt, nämlich

f(X,Y ) = −[Y −X] · [Y +X2].

Die Primfaktoren von f(X,Y ) in R[X,Y ] sind damit X − Y und X2 + Y .

AufgabenAufgabe 7.4.1. Zeige, daß 3 + 2i ein irreduzibles Element in Z[i] ist.Aufgabe 7.4.2. Sei R ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung. Sei K sein Quo-tientenkörper. Wir fassen den Inhalt eines Polynoms über R als Element von K auf.Zeige, daß sich der Inhalt von Polynomen mit Koeffizienten in R auf genau eine Art undWeise auf Polynome mit Koeffizienten in K fortsetzen läßt, so daß sich der Inhalt wie inHilfssatz 7.87 auf Seite 315 weiterhin multiplikativ verhält.Aufgabe 7.4.3. Sei R ein Integritätsbereich. Sei f(X) = anX

n+an−1Xn−1+· · ·+a1X+a0

ein Polynom, so daß 1 ein größter gemeinsamer Teiler aller Koeffizienten von f(X)ist. Sei p ein Primelement von R, welches den Koeffizienten an nicht teilt, welches dieKoeffizienten a0, . . . , an−1 teilt und den Koeffizienten a0 nicht im Quadrat teilt. Zeige,daß f(X) dann in R[X] irreduzibel ist.Aufgabe 7.4.4. Sei R ein kommutativer Ring. Sei N eine natürliche Zahl. Zeige, daß dieEinschränkung der Abbildung

φ : R[X,Y ]→ R[X], f 7→ f(X,XN )

auf Polynome, deren Grad in X kleiner als N ist, injektiv ist.

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7. Ringe

Aufgabe 7.4.5. Bestimme die Primfaktorzerlegung von X4 + 4Y 4 im Ringe Z[X,Y ].Aufgabe 7.4.6. Zeige, daß das Polynom X2 + Y im Ringe Z[X,Y ] irreduzibel ist.Aufgabe 7.4.7. Sei R ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung. Sei f ∈ R ein regu-läres Element. Zeige, daß R[f−1] ein Ring mit eindeutiger Primfaktorzerlegung ist.Aufgabe 7.4.8. Sei R ein faktorieller Ring. Sei f ∈ R ein reguläres Element. Zeige, daßR[f−1] ein faktorieller Ring ist.Aufgabe 7.4.9. Sei I ein Ideal in einem Integritätsbereiche R, so daß der FaktorringR[X]/(I) ebenfalls ein Integritätsbereich ist. Sei f(X) ein normiertes Polynom über R,so daß das Bild von f(X) unter dem kanonischen Ringhomomorphismus

R[X]→ (R/I)[X], f(X) 7→ f(X)

irreduzibel ist. Zeigen Sie, daß dann auch f(X) ∈ R[X] irreduzibel ist.

7.5. HauptidealringeDie ganzen Zahlen oder der Ring der Polynome über einem Zahlkörper bilden einen Ringmit eindeutiger Primfaktorzerlegung, das heißt, es gibt einen theoretisch durchführbarenAlgorithmus, eine Zahl oder ein solches Polynom in irreduzible Faktoren zu zerlegen. Diesheißt aber nicht, daß dieser Algorithmus besonders einfach oder schnell durchzuführenwäre. So ist die Zahl

7403756347956171282804679609742957314259318888923128908493623263897276503402826627689199641962511784399589433050212758537011896809828673317327310893

0900552505116877063299072396380786710086096962537934650563796359

keine Primzahl, ihre Faktorisierung ist aber auch nicht bekannt2.Viel einfacher ist aber folgendes Problem zu lösen: Sei x1, . . . , xn eine endliche Anzahl

nicht verschwindender ganzer Zahlen. Finde paarweise teilerfremde ganze Zahlen p1, . . . ,pm, so daß jede der Zahlen xi assoziiert zu einem Produkt der Form pe1

1 · · · perm mit ej ≥ 0ist. Eine solche Faktorisierung wollen wir als eine teilweise Faktorisierung von x1, . . . ,xn bezeichnen.Sei etwa x1 = 60 und x2 = 200. Im ersten Schritt überprüfen wir, ob wir p1 = x1

und p2 = x2 wählen können (denn dann wäre klar, daß wir x1 und x2 als Produkte p11p2

und p01p2 darstellen können). Offensichtlich geht dies nicht, denn der größte gemeinsame

Teiler von x1 und x2 ist 20 und damit wären p1 und p2 nicht teilerfremd. Da wir x1 undx2 als Produkte von 20, 3 = 60

20 und 10 = 20020 schreiben können, reicht es offensichtlich

aus, das ursprüngliche Problem für n = 3 und 20, 3 und 10 anstelle von x1 und x2 lösenzu wollen. Dazu suchen wir ein Pärchen aus 20, 3 und 10, welches einen nicht trivialenTeiler hat. In diesem Falle ist 10 größter gemeinsamer Teiler von 20 und 10. Damit lassen

2Genaugenommen ist sie den RSA Laboratories bekannt, die diese Zahl durch Multiplikation zweierPrimzahlen gewonnen haben. Zur Förderung der rechnerorientierten Zahlentheorie war von den RSALaboratories bis 2007 ein Preis von 30.000 $ für die Faktorisierung dieser Zahl ausgesetzt worden.

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7.5. Hauptidealringe

sich 20, 3 und 10 als Produkte von 10, 2 = 2010 , 3 und 1 = 10

10 darstellen. Folglich habenwir unser ursprüngliches Problem weiter reduziert. Es reicht, es jetzt für die Faktoren10, 2, 3 und 1 zu lösen. Zwischen diesen vier Zahlen gibt es nur einen nicht trivialengrößten gemeinsamen Teiler, nämlich zwischen 10 und 2, also 2. Abdividieren liefert diefünf Zahlen p1 = 2, p2 = 5 = 10

2 , p3 = 1 = 22 , p4 = 3 und p5 = 1. Diese sind alle

paarweise teilerfremd und lösen damit unser teilweises Faktorisierungsproblem.Aus dem Beispiel sollte klar geworden sein, wie ein Verfahren zur teilweisen Faktori-

sierung schrittweise funktioniert: Wir starten mit einer Reihe von nicht verschwindendenZahlen x1, . . . , xn, deren Produkt wir für den Moment mit x bezeichnen wollen. Wirbestimmen dann den größten gemeinsamen Teiler d12 von x1 und x2 und ersetzen x1 undx2 durch ihre Quotienten nach d12. Als nächstes bestimmen wir den größten gemeinsa-men Teiler d13 vom neuen Wert von x1 und x3 und dividieren diesen wieder von x1 undx3 ab. Dies machen wir mit dem neuen Wert von x1 und x4, usw. bis zum Paar x1 undxn. Dann bestimmen wir den größten gemeinamen Teiler d23 der neuen Werte von x2und x3, dividieren diesen ab, usw. bis zum Paar xn−1 und xn. Sei y1, . . . , ym die Reiheaus den neuen Werten der xi zusammen mit den d11, . . . , d(n−1)n. Das Produkt der yjsei y. Dann setzen wir das Verfahren mit den yj anstelle der xi fort. Warum können wirirgendwann aufhören, also irgendwann p1 = y1, . . . , pm = ym setzen? Die Antwort istfolgende: Nach jedem Schritte ist y ein Teiler von x. Es ist y genau dann ein echter Teilervon x, wenn mindestens ein dij keine Einheit gewesen ist. Da wir jedoch eine absteigendeKette von Teilern produzieren, muß irgendwann ein Punkt erreicht sein, an dem sowohly ein Teiler von x aber auch x ein Teiler von y ist. Dann sind x1, . . . , xn aber schonpaarweise teilerfremd (sonst gäbe es ja irgendeinen nicht trivialen größten gemeinsamenTeiler), das heißt, wir sind fertig.Wir können uns die Frage stellen, in welchen anderen Integritätsbereichen die teilwei-

se Faktorisierung noch gilt, das heißt für welche Integritätsbereiche R gilt: Ist x1, . . . ,xn eine endliche Familie regulärer Elemente aus R, so existieren paarweise teilerfremdeElemente p1, . . . , pm aus R, so daß jedes xi jeweils assoziiert zu einem Produkt aus Po-tenzen der pj ist. (Dabei heißen Elemente x und y eines Integritätsbereiches teilerfremd,wenn jeder gemeinsame Teiler eine Einheit ist.) Für welche Integritätsbereiche R könnenwir das obige Verfahren umsetzen, welches im Rahmen der ganzen Zahlen funktionierthat? Zunächst einmal müssen je zwei Elemente in R einen größten gemeinsamen Teilerbesitzen. Integritätsbereiche, in denen dies gilt, bekommen einen eigenen Namen:

Konzept 7.93. Ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern ist ein Integritätsbereich,in dem je zwei Elemente einen größten gemeinsamen Teiler besitzen.

Beispiel 7.94. Ein triviales Beispiel für einen Ring mit größten gemeinsamen Teilern istein Körper, der bis auf Assoziiertheit nur die Elemente 0 und 1 hat.Ein interessanteres Beispiel für einen Ring mit größten gemeinsamen Teilern ist na-

türlich der Ring der ganzen Zahlen. Dort haben wir, daß jedes endlich erzeugte Ideal einHauptideal ist, also nur von einem Element erzeugt wird. Sind also x und y zwei ganzeZahlen, so existiert eine ganze Zahl d mit (x, y) = (d). Aus dieser Tatsache folgt schon,daß d ein größter gemeinsamer Teiler von x und y ist.Wir formulieren dieses Konzept für beliebige Integritätsbereiche und erhalten:

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7. Ringe

Konzept 7.95. Ein Bézoutscher3 Bereich ist ein Integritätsbereich, in dem jedes endlicherzeugte Ideal ein Hauptideal ist.

Da der Erzeuger des Hauptideales größter gemeinsamer Teiler der Erzeuger des endlicherzeugten Ideales ist, erhalten wir analog zum Fall der ganzen ZahlenBeispiel 7.96. Jeder Bézoutsche Bereich ist ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern.Neben den ganzen Zahlen sind die Polynomringe in einer Variablen über einem Kör-

per Bézoutsche Ringe und damit Ringe mit größten gemeinsamen Teilern, denn endlicherzeugte Ideale von Polynomen werden wieder von einem Polynom erzeugt.Es gibt aber auch Ringe mit größten gemeinsamen Teilern, welche keine Bézoutschen

Bereiche sind. Ist etwa K ein Körper, so ist der Polynomring K[X,Y ] in zwei Variablenüber K kein Bézoutscher Bereich: So wird das Ideal (X,Y ) nicht von einem Elementeerzeugt. Wir können aber zeigen, daßK[X,Y ] ein Ring mit größten gemeinsamen Teilernist. Wir zeigen nämlich allgemeiner:

Proposition 7.97. Sei R ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern. Dann ist auchR[X] ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern.

(Den Polynomring K[X,Y ] erhalten wir zum Beispiel durch zweimalige Anwendungder Proposition, wenn wir mit dem Ring R = K starten, welches offensichtlich ein Ringmit größten gemeinsamen Teilern ist.)Für den Beweis überlegen wir uns kurz, daß der Inhaltsbegriff von Polynomen genau

für Ringe mit größten gemeinsamen Teilern Sinn ergibt. Der Beweis des GaußsschenLemmas benötigt keine weiteren Voraussetzungen an den Ring, so daß Hilfssatz 7.87 aufSeite 315 auch für beliebige Ringe R mit größten gemeinsamen Teilern gilt. Nach dieserVorüberlegung kommen wir zum Beweis von Proposition 7.97:

Beweis. Sei K der Quotientenkörper von R. Als Bézoutscher Bereich ist K[X] ein Ringmit größten gemeinsamen Teilern. Wir wollen daraus folgern, daß auch R[X] ein Ringmit größten gemeinsamen Teilern ist. Seien dazu f und g zwei Polynome aus R[X], vondenen wir annehmen dürfen, daß beide nicht verschwinden. Diese können wir in der Formf = cf und g = dg schreiben, wobei c und d Elemente aus R und f und g zwei primitivePolynome aus R[X] sind. Zu diesen zwei primitiven Polynomen gibt es einen größtengemeinsamen Teiler h im Ringe K[X]. Indem wir h gegebenfalls mit einer Einheit inK multiplizieren, können wir ohne Einschränkung davon ausgehen, daß h ein primitivesPolynom in R[X] ist. Aufgrund von Hilfssatz 7.87 auf Seite 315 ist h dann auch ein Teilervon f und g in R[X].Sei e ein größter gemeinsamer Teiler von c und d im Ringe R. Wir behaupten, daß

h(X) = eh(X) ein größter gemeinsamer Teiler von f(X) und g(X) ist. Nach Konstrukti-on ist klar, daß h(X) zumindest ein Teiler von f(X) und g(X) ist. Ist r(X) ein weiterergemeinsamer Teiler von f(X) und g(X), so müssen wir schließlich zeigen, daß r(X) dasPolynom h(X) teilt. Dazu schreiben wir r(X) = ar(X) für ein Element a in R und einprimitives Polynom r(X). Es folgt, daß r(X) die Polynome f(X) und g(X) in K[X] teilt

3Étienne Bézout, 1730–1783, französischer Mathematiker

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7.5. Hauptidealringe

und damit auch das Polynom h(X) in K[X]. Aufgrund der Primitivität der beteiligtenPolynome gilt diese Teilbarkeitsrelation auch schon in R[X].Da der Inhalt nach Hilfssatz 7.87 auf Seite 315 multiplikativ ist, muß der Inhalt a von

f(X) die Inhalte c und d von f(X) bzw. g(X) teilen. Es folgt, daß a ein Teiler von e inR ist. Zusammengefaßt ist also r(X) ein Teiler von h(X).

Wir sind auf das Konzept eines Ringes mit größten gemeinsamen Teilern gestoßen, alswir untersucht haben, inwiefern der Algorithmus der teilweisen Faktorisierung ganzerZahlen auf weitere Integritätsbereiche anwendbar ist. Im obigen Algorithmus haben wiraber eine weitere Eigenschaft ganzer Zahlen verwendet, die so in allgemeinen Ringenmit größten gemeinsamen Teilern nicht gelten muß. Und zwar hatten wir geschlossen:Produziert ein Algorithmus ganze Zahlen x0, x1, x2, so daß jeweils xi+1 ein Teiler von xiist, so produziert der Algorithmus irgendwann ein xn+1, so daß xn und xn+1 zueinanderassoziiert sind. Dies liegt allein daran, daß die Folge der Beträge der xi monoton fallendsein muß. Daß xi+1 ein Teiler von xi ist, können wir auch so umformulieren, daß das vonxi erzeugte Hauptideal im von xi+1 erzeugten Hauptideal liegt.Für allgemeine Integritätsbereiche können wir dann formulieren:

Konzept 7.98. Ein Integritätsbereich, der die aufsteigende Kettenbedingung für Haupt-ideale erfüllt, ist ein Integritätsbereich R, so daß jeder (nicht unbedingt deterministische)Algorithmus, der Hauptideale

a0 ⊆ a1 ⊆ a2 ⊆ · · ·

in R produziert, irgendwann ein an+1 mit an = an+1 produziert.

Wenn wir von dem Algorithmus fordern, daß er abbricht, sobald er ein an+1 mitan = an+1 produziert hat, so können wir die Bedingung auch so formulieren, daß jederderartige Algorithmus terminiert.Nach unseren Vorüberlegungen haben wir dann:

Proposition 7.99. Sei R ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern, welcher die auf-steigende Kettenbedingung für Hauptideale erfüllt. Dann besitzt jede endliche Familiex1, . . . , xn von Elementen in R eine teilweise Faktorisierung, das heißt, es existierenpaarweise teilerfremde Elemente p1, . . . , pm von R, so daß sich jedes xi als Produkt vonPotenzen der pi schreiben läßt.

Der Begriff Ring mit größten gemeinsamen Teilern, welcher die aufsteigende Kettenbe-dingung für Hauptideale erfüllt ist ziemlich lang. Glücklicherweise gibt es für BézoutscheBereiche eine kürzere Bezeichnung:

Konzept 7.100. Ein Hauptidealbereich R ist ein Bézoutscher Bereich, in dem die auf-steigende Kettenbedingung für Hauptideale gilt.

Da in einem Bézoutschen Bereich R jedes endlich erzeugte Ideal ein Hauptideal ist,erfüllt R die aufsteigende Kettenbedingung allgemein für endlich erzeugte Ideale. Ringe,in denen diese allgemeinere Kettenbedingung gilt, heißen noethersch4.

4Amalie Emmy Noether, 1882–1935, deutsche Mathematikerin

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7. Ringe

Der Prototyp eines Beispiels für einen Hauptidealbereich sind die ganzen Zahlen. Ineinen Hauptidealbereich lassen sich nach Proposition 7.99 auf der vorherigen Seite end-liche Familien von Zahlen teilweise faktorisieren. In dieser Hinsicht überträgt sich dieTheorie von den ganzen Zahlen auf Hauptidealbereiche also eins zu eins. Auch die Theo-rie der Smithschen Normalform funktioniert für beliebige Hauptidealbereiche: Schauenwir in den Beweis von Satz 6.107 auf Seite 276 noch einmal hinein, so erkennen wir, daßwir an Eigenschaften der ganzen Zahlen nur gebraucht haben, daß sie einen BézoutschenBereich bilden und daß sie die aufsteigende Kettenbedingung für Hauptideale erfüllen.Wir erhalten damit:

Satz 7.101. Sei R ein Hauptidealbereich. Seien n, m ∈ N0. Sei A eine (n×m)-Matrixmit Einträgen aus R. Dann ist A zu einer Matrix der Form

D =

d1 0 . . .

0 d2. . .

... . . . . . .dr

0. . .

(alle Einträge außerhalb der Diagonalen sind Null) ähnlich, wobei wir die di ∈ R sowählen können, daß di jeweils ein Teiler von di+1 ist. Die Kette (d1) ⊇ (d2) ⊇ (d3) ⊇ · · ·ist eindeutig bestimmt.

Ein weiteres Beispiel für einen Hauptidealring ist der Polynomring über einem Körper.Wie im Falle der ganzen Zahlen basierte unser Beweis auf dem Euklidischen Algorithmusin einer Version für Polynome. Dies wollen wir verallgemeinern und definieren:

Konzept 7.102. Ein Euklidischer Ring ist ein Integritätsbereich R zusammen mit einerAbbildung N , der Norm, von der Menge der regulären Elemente von R in die natürlichenZahlen N0, so daß gilt:

• Sind a und b zwei Elemente aus R und ist b regulär, so ist entweder b ein Teilervon a, oder es existiert ein reguläres Element r, so daß b ein Teiler von a − r istund N(r) < N(b).

Das Element r in der Bedingung heißt ein Rest der Division von a nach b. Ein eukli-discher Ring ist gewissermaßen ein solcher, in dem Division mit Rest möglich ist. DieNorm eines euklidischen Ringes ist ein Maß dafür, die Größe des Restes gegebenüberdem Divisor abzuschätzen.Beispiel 7.103. Der Ring der ganzen Zahlen ist ein euklidischer Ring, dessen Normab-bildung der Absolutbetrag ist.Beispiel 7.104. Sei K ein Körper. Der Polynomring K[X] der Polynome in einer Va-riablen über K ist ein euklidischer Ring, dessen Normabbildung durch den Grad vonPolynomen gegeben ist.

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7.5. Hauptidealringe

Beispiel 7.105. Ein vielleicht weniger erwartetes Beispiel ist: Die Abbildung

N : Z[i]→ N0, a+ b i 7→ a2 + b2,

wobei a, b ∈ Z sind, macht als Normabbildung den Ring Z[i] der ganzen GaußschenZahlen zu einem Euklidischen Ring. Dies läßt sich wie folgt einsehen, wobei wir beachten,daß die Normabbildung einfach das Abstandsquadrat zum Ursprung ist:Sei x eine nicht verschwindende ganze Gaußssche Zahl. Diese schreiben wir in der

Form x = `eimφ, wobei ` =√N(x) und φ ein Argument von x ist. Alle Vielfachen qx

mit q ∈ Z[i] erhalten wir, indem wir das Einheitsgitter Z + iZ in C um den Winkel φdrehen und um den Faktor ` strecken. Jede komplexe Zahl ist nicht weiter als

√2

2 voneinem Gitterpunkt des Einheitsgitters entfernt, also nicht weiter als

√N(x)

2 <√N(x)

zu einem Vielfachen von x. Folglich finden wir zu jedem y ∈ Z[i] ein q ∈ Z[i], so daßy = qx+ r mit N(r) < N(x).Auch wenn die Normabbildung in allen diesen drei Beispielen eine multiplikative Ab-

bildung ist (das heißt, Produkte gehen auf Produkte), ist dies für einen beliebigen Eu-klidischen Ring im allgemeinen nicht der Fall.Euklidische Ringe R erfüllen automatisch die oben definierte aufsteigende Kettenbe-

dingung für Hauptideale. Dies folgt sofort aus folgendem Lemma:

Hilfssatz 7.106. Seien x und y zwei reguläre Elemente von R, so daß y ein Teiler vonx ist. Dann sind x und y zueinander assoziiert, oder es existiert ein zu y assoziiertesElement y mit N(y) < N(x), wobei N die Normabbildung von R ist.

Ist nämlich(x0) ⊆ (x1) ⊆ (x2) ⊆ · · ·

eine aufsteigende Kette von (nicht trivialen) Hauptidealen, so ändert sich diese nicht,wenn wir ein xi durch ein dazu assoziiertes Element ersetzen. Nach Hilfssatz 7.106 könnenwir daher in jedem Schritt erreichen, daß xi+1 zu xi assoziiert ist oder daß N(xi+1) <N(xi). Da die Norm per definitionem Werte in den natürlichen Zahlen annimmt und jedemonoton fallende Folge dort irgendwann stabilisiert, muß es ein xi+1 geben, welches zuxi assoziiert ist, was zu zeigen war, um die aufsteigende Kettenbedingung für euklidischeRinge nachzurechnen.

Beweis. Wir führen den Beweis per Induktion über N(x). Sind x und y nicht zu einanderassoziiert, finden wir ein reguläres Element r, so daß x ein Teiler von y − r ist unddaß N(r) < N(x). Da y das Element x teilt, folgt, daß y auch r teilen muß. NachInduktionsvoraussetzung ist dann y assoziiert zu r, so daß wir y = r setzen können, oderes existiert ein zu y assoziiertes Element y mit N(y) < N(r) < N(x).

Alles, war wir für den Beweis von Proposition 3.1 auf Seite 71 (der im wesentlichenaussagt, daß Polynomringe über Körpern Bézoutsche Bereiche sind) gebraucht haben,war, daß der Polynomring ein euklidischer Ring ist. Zusammen mit der schon nachge-wiesenen aufsteigenden Kettenbedingung können wir also verallgemeinern:

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7. Ringe

Proposition 7.107. Sei R ein euklidischer Ring. Dann ist R ein Hauptidealbereich.

Beispiel 7.108. Wir können als neue Erkenntnis also notieren: Der Ring Z[i] der ganzenGaußschen Zahlen ist ein Hauptidealbereich und damit insbesondere ein Ring, indemwir teilweise faktorisieren können.

AufgabenAufgabe 7.5.1. Sei R ein Integritätsbereich. Zeige, daß das Ideal (X,Y ) in R[X,Y ] nichtvon einem Elemente erzeugt werden kann.

Aufgabe 7.5.2. Bestimme eine teilweise Faktorisierung der drei ganzen Zahlen 99, 1200und 160.

Aufgabe 7.5.3. Bestimme einen größten gemeinsamen Teiler der beiden Polynome

f(X,Y ) = X3Y 2 −X2Y 3 +XY 3 − Y 4

undg(X,Y ) = X4Y −X3Y 2 −X2Y 2 +XY 3

im Ringe Q[X,Y ].

Aufgabe 7.5.4. Sei R = Z[Y,X1, X2, . . . ]/I, wobei I das durch alle Linearkombinationenvon Xi+1Y − Xi mit i ≥ 1 gebildete Ideal ist. Zeige, daß R ein Ring mit größten ge-meinsamen Teilern ist, welcher nicht die aufsteigende Kettenbedingung für Hauptidealeerfüllt. Zeige weiter, daß keine teilweise Faktorisierung von Y und X1 existiert.

Aufgabe 7.5.5. Seien a, b und c drei Elemente in einem Ringe mit größten gemeinsamenTeilern. Es teile a das Produkt von b und c, und es sei 1 ein größter gemeinsamer Teilervon a und b. Zeige, daß dann a das Element c teilt.

Aufgabe 7.5.6. Sei R ein Integritätsbereich, in dem eine teilweise Primfaktorzerlegungimmer möglich ist. Zeige, daß R ein Ring mit größten gemeinsamen Teilern ist.

Aufgabe 7.5.7. Seien a und b ganze Zahlen. Sei ω eine primitive dritte Einheitswurzel.Definiere

N(a+ b ω) = a2 − ab+ b2.

Zeige, daß OQ(ω) = Z[ω] zusammen mit der Abbildung N als Norm ein EuklidischerRing ist.

Aufgabe 7.5.8. Seien a und b ganze Zahlen. Definiere

N(a+ b√−5) := a2 + 5b2.

Zeige, daß Z[√−5] zusammen mit der Abbildung N als Norm kein Euklidischer Ring ist.

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7.6. Dedekindsche Bereiche

7.6. Dedekindsche BereicheWir haben im letzten Abschnitt gesehen, daß der Ring Z[

√−5] kein Ring mit eindeutiger

Primfaktorzerlegung sein kann, weil zum Beispiel

2 · 3 = (1 +√−5) · (1−

√−5)

zwei verschiedene Zerlegungen von 6 in irreduzible Elemente sind. Dies unterscheidetdiesen Ring zum Beispiel von den ganz ähnlich definierten ganzen Gaußschen Zahlen Z[i].Der Unterschied verschwindet allerdings, wenn den Begriff der Zerlegung in Primfaktorenetwas allgemeiner fassen, indem wir von Elementen zu Idealen übergehen. Dies wollenwir im folgenden erläutern:Bei allen unseren Untersuchungen bezüglich Teilbarkeit und Faktorzerlegungen ist es

uns nur bis auf Assoziiertheit angekommen. Eine Ringelement x bis auf Assoziiertheitist aber nichts anderes als das Hauptideal (x). Von daher ist es vielleicht richtiger, vonvornherein für alle diese Fragen nicht Ringelemente, sondern Hauptideale zu betrachten.Dann müssen wir aber Eigenschaften für Elemente wie Primalität und Irreduzibilität für(Haupt-)Ideale umschreiben.Eine Nichteinheit p eines Integritätsbereiches ist nach Definition genau dann prim,

wenn aus einer Teilbarkeitsrelation p | xy schon p | x oder p | y folgt. In Idealspracheheißt dies, daß aus xy ∈ (p) schon x ∈ (p) oder y ∈ (p) folgt. Ersetzen wir jetzt (p) durchein beliebiges Ideal, kommen wir natürlicherweise zur folgenden Definition:

Definition 7.109. Sei R ein kommutativer Ring. Ein Ideal p von R heißt ein Primideal,falls es ungleich dem Einsideal ist und für je zwei Ringelemente x und y ∈ R mit xy ∈ pschon x ∈ p oder y ∈ p folgt.

Diese Definition ist also genau so gemacht, daß ein Hauptideal (p) in einem Integri-tätsbereich genau dann ein Primideal ist, wenn p ein Primelement ist.Beispiel 7.110. Die endlich erzeugten Primideale von Z sind

(2), (3), (5), (7), (11), . . . , (0).

Beispiel 7.111. Sei K ein Körper. Die endlich erzeugten Primideale von K[X] sind (0)und alle Ideale der Form (f(X)), wobei f(X) ein irreduzibles normiertes Polynom überK ist.Beispiel 7.112. Wir behaupten, daß p = (2, 1 +

√−5) ein Primideal in R = Z[

√−5] ist,

welches kein Hauptideal ist. Dazu betrachten wir den Faktorring

S = Z[√−5]/(2, 1 +

√−5) = Z/(2)

(in ihm gilt die Relation 1 +√−5 = 0, so daß wir überall

√−5 durch −1 ersetzen

können). Dieser ist Integritätsbereich (sogar ein Körper, nämlich F2). Daraus könnenwir folgern, daß p ein Primideal ist: Ein Ringelement von R liegt genau dann in p, wennes in S (also modulo p) verschwindet. Da S ein Integritätsbereich ist, verschwindet ein

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7. Ringe

Produkt in S genau dann, wenn einer der Faktoren in S verschwindet, als Element in Ralso in p liegt.Es bleibt zu zeigen, daß (2, 1 +

√−5) kein Hauptideal ist, also nicht in der Form (d)

für ein d ∈ Z[√−5] geschrieben werden kann. Dies folgt aber aus der Tatsache, daß 2

und 1 +√−5 in Z[

√−5] irreduzibel sind, also keine echten Teiler zulassen, wie d einer

wäre.Beispiel 7.113. Ein maximales Ideal m in einem kommutativen Ringe R ist ein Ideal, sodaß für jedes Element x von R gilt, daß entweder x in m liegt oder daß m+(x) = (1). (Einmaximales Ideal ist also ein Ideal, welches nicht mehr durch Hinzufügen von Elementenzu einem echten Ideal vergrößert werden kann.)Wir behaupten, daß jedes maximale Ideal m ein Primideal liefert: Dazu betrachten wir

zwei Ringelemente x und y ∈ R mit xy ∈ m. Dann betrachten wir das Ideal a = m+ (x).Ist a = m, muß x in m liegen, und wir sind fertig. Andernfalls können wir 1 = ax+ z fürz ∈ m und a ∈ R schreiben. Multiplizieren wir diese Gleichung mit y erhalten wir

y = axy + yz ∈ m.

Die endlich erzeugten maximalen Ideale in Z sind die Ideale

(2), (3), (5), (7), (11), . . . .

Wir haben also den Begriff eines Primelementes auf Ideale verallgemeinert. Im näch-sten Schritt wollen wir den Begriff des Produktes von Elementen auf Ideale verallgemei-nern (sonst könnten wir ja auch nicht von einer Zerlegung in Ideale sprechen):

Definition 7.114. Seien a und b zwei Ideale eines kommutativen Ringes R. Dann heißtdas von allen Produkten der Form ab mit a ∈ a und b ∈ b erzeugte Ideal das Produkt abder Ideale a und b.

Diese Definition stimmt mit dem gewöhnlichen Produkt von Ringelementen überein,denn sind x und y zwei Ringelemente, so gilt

(x) · (y) = (xy)

für das Produkt der von ihnen erzeugten Hauptideale. Neben dem Produkt ab hattenwir noch zwei weitere Konstruktionen kennengelernt, aus zwei Idealen eins zu machen,nämlich den Schnitt a ∩ b und die Summe a + b. Es gilt die Idealkette

ab ⊆ a ∩ b ⊆ a, b ⊆ a + b.

Alle diese Inklusionen sind im allgemeinen echte. Ein Beispiel wird etwa durch a = (6)und b = (10) im Ringe Z gegeben.In der Definition eines Primideals tauchen noch Elemente auf. Mit Hilfe des Produkt-

begriffes von Idealen, können wir Primideale vollständig durch Idealoperationen charak-terisieren: Und zwar ist ein echtes Ideal p in einem kommutativen Ringe R genau dannprim, wenn für alle endlich erzeugten Ideale a und b von R gilt:

ab ⊆ p =⇒ a ⊆ p oder b ⊆ p (7.7)

326

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7.6. Dedekindsche Bereiche

gilt. Zunächst scheint die Bedingung (7.7) allgemeiner zu sein, denn die Bedingung ausDefinition 7.109 auf Seite 325 bekommen wir zurück, indem wir a = (x) und b = (y)setzen. Auf der anderen Seite folgt aus der Tatsache, daß ein Ideal p ein Primidealgemäß Definition 7.109 auf Seite 325 ist, die Bedingung (7.7). Sei dazu a = (a1, . . . , an)und b = (b1, . . . , bm). Aus ab ⊆ p folgt dann aibj ∈ p für alle i ∈ 1, . . . , n undj ∈ 1, . . . ,m. Für festes i gilt dann, daß ai ∈ p oder daß b1, . . . , bm ∈ p. Im zweitenFalle ist b ⊆ p, und wir sind fertig. Andernfalls können wir davon ausgehen, daß für allei ∈ 1, . . . , n gilt, daß ai ∈ p. Auch in diesem Falle sind wir fertig, denn dann ist a ⊆ p.An dieser Stelle können wir die Primfaktorzerlegung auf Ideale verallgemeinern: Eine

Primidealzerlegung eines endlich erzeugten Ideals a in einem kommutativen Ring R isteine Darstellung der Form

a = p1p2 · · · pr,

wobei die pi allesamt endlich erzeugte Primideale von R sind.

Beispiel 7.115. Wir kommen wieder auf unser Beispiel R = Z[√−5] zurück. Wir hatten

gezeigt, daß (2, 1 +√−5) ein Primideal in R ist. Genauso läßt sich zeigen, daß (2, 1 −√

−5), (3, 1 +√−5) und (3, 1−

√−5) Primideale sind. Weiter zeigt sich, daß

(2, 1 +√−5) · (2, 1−

√−5) = (4, 2 + 2

√−5, 2− 2

√−5, 6)

= (2) · (2, 1 +√−5, 1−

√−5, 3)

= (2).

Ebenso zeigt sich (3, 1 +√−5) · (3, 1−

√−5) = (3). Folglich ist

(6) = (2, 1 +√−5) · (2, 1−

√−5) · (3, 1−

√−5) · (3, 1−

√−5)

eine Primidealzerlegung von (6) im Ringe Z[√−5].

Wir könnten wie im Falle von Elementen eines Ringes untersuchen, unter welchenUmständen sich jedes nicht triviale endlich erzeugte Ideal bis auf Reihenfolge eindeutigals Produkt von Primidealen schreiben läßt. Wir wollen uns hier aber der einfacherenFrage zuwenden, nämlich derjenigen, ob jede endliche Familie a1, . . . , an nicht trivialerendlich erzeugter Ideale eine Familie p1, . . . , pm paarweise koprimer endlich erzeugterIdeale zuläßt, so daß sich jedes Ideal ai als Produkt von Potenzen der pj darstellen läßt.Wir nennen die Darstellungen dann eine teilweise Faktorierung der Ideale a1, . . . , an.(Zur Erinnerung: Zwei Ideale a und b heißen koprim, wenn a+ b = (1). Für Hauptidealeist dies gleichbedeutend damit, daß 1 ein größter gemeinsamer Teiler ist.)Ein Ansatz, eine solche teilweise Idealfaktorisierung von a1, . . . , an in einem Inte-

gritätsbereiche R zu erhalten, ist natürlich, das Konstruktionsverfahren für teilweiseFaktorisierungen von Elementen in Ringen mit größten gemeinsamen Teilern, welche dieaufsteigende Kettenbedingung für Ideale erfüllen, nachzubilden. Im ersten Schritte ha-ben wir dort größte gemeinsame Teiler gebildet. Dies entspricht der Summe von Idealen.Sei etwa n = 2 und a = a1 und b = a2. Dann betrachten wir d := a + b. Im Falle einerteilweisen Faktorisierung von Elementen a und b haben wir dann die Quotienten a

d und

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7. Ringe

bd nach dem größten gemeinsamen Teiler d bestimmt. Für allgemeine Ideale sind diesIdealquotienten. Und zwar definieren wir

a : b := x ∈ R | xb ⊆ a,

wobei xb eine Abkürzung für (x) · b ist. Es ist a : b also das größte Ideal mit derEigenschaft, daß

(a : b) · b ⊆ a

gilt. Um völlige Analogie zur teilweisen Faktorisierung von Zahlen zu haben, müßten wirdann vier Dinge nachweisen: Die Ideale a : b und b : a sind wieder endlich erzeugt, dieIdeale a : b und b : a sind koprim, es gilt a = (a : b)·(a+b), und es gilt b = (b : a)·(a+b).Für einen allgemeinen Integritätsbereich wird dies nicht gelten. Wir werden aber ei-

ne geeignete Klasse von Integritätsbereichen vorstellen. Dazu benötigen wir vorab dieÜberlegung, daß wir jedes Ideal a eines kommutativen Ringes R auch als Ideal

a[s−1] = a

sN|a ∈ a, N ∈ N0

in einer Lokalisierung R[s−1] von R auffassen können.Die geeignete Klasse von Integritätsbereichen wird dann durch Konzept 7.116 de-

finiert, wo das Konzept des Bézoutschen Bereiches auf sehr sinnvolle Art und Weiseverallgemeinert wird:

Konzept 7.116. Ein Prüferscher5 Bereich ist ein Integritätsbereich R, in dem jedesendlich erzeugte Ideal lokal ein Hauptideal ist, das heißt für jedes endlich erzeugte Ideala existiert eine Zerlegung s1, . . . , sn der Eins von R, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n dasIdeal a[s−1

i ] in R[s−1i ] ein Hauptideal ist.

Aus geometrischer Sicht ist die Bedingung für einen Prüferschen Bereich besser als füreinen Bézoutschen Bereich, da sie lokal ist: Ein Integritätsbereich erfüllt sie genau dann,wenn er sie lokal erfüllt. Dagegen ist die Eigenschaft, Bézoutsch zu sein, weder lokalnoch im eigentlichen Sinne global. (Genaugenommen ist diese Philosophie allerdingsnicht vollständig durchgezogen — so ist der Begriff des Integritätsbereiches selbst nichtlokal.)In einem Prüferschen Bereich gelten die Aussagen, die wir oben benötigen:

Hilfssatz 7.117. Sei R ein Prüferscher Bereich. Seien a und b zwei endlich erzeugteIdeale. Dann ist a : b wieder endlich erzeugt.

Beweis. Um diesen Hilfssatz zu beweisen, überlegen wir uns zunächst, daß die Bildungeines Idealquotienten mit Lokalisierung verträglich ist. Damit meinen wir, daß

(a : b)[s−1] = a[s−1] : b[s−1]

(Den einfachen Nachweis dieser Tatsache überlassen wir an dieser Stelle dem Leser.)5Ernst Paul Heinz Prüfer, 1896–1934, deutscher Mathematiker

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7.6. Dedekindsche Bereiche

Da in unserem Falle R ein Prüferscher Bereich ist, finden wir eine Zerlegung s1, . . . ,sn der Eins, so daß in den R[s−1

i ] die Ideale a und b und a+ b jeweils Hauptideale sind.Für den Idealquotienten zweier Hauptideale gilt aber

(x) : (y) =(x

d

),

wenn (d) = (x, y). Mit anderen Worten ist in Bézoutschen Ringen der Idealquotientendlich erzeugter Ideale wieder endlich erzeugt. Der Rest folgt dann aus nachstehendemHilfssatz.

Hilfssatz 7.118. Sei R ein kommutativer Ring. Sei a ein Ideal in R. Existiert in Rdann eine Zerlegung s1, . . . , sn der Eins, so daß a[s−1

i ] für alle i ∈ 1, . . . , n einendlich erzeugtes Ideal ist, so ist a ein endlich erzeugtes Ideal.

Die Eigenschaft, endlich erzeugt zu sein, ist also eine lokale Eigenschaft.

Beweis. Da in den R[s−1i ] das Element si invertierbar ist, können wir für alle i ∈

1, . . . , n endlich viele Erzeuger von a[s−1i ] so wählen, daß sie schon durch Elemente

aij aus a dargestellt werden. Wir behaupten, daß die aij Erzeuger von a als Ideal in Rsind. Sei dazu ein x ∈ a gegeben. In jedem R[s−1

i ] ist x eine Linearkombination der aij ,deren Koeffizienten Brüche sind, deren Nenner jeweils Potenzen der si sind. Wir könneneine genügend große natürliche Zahl N wählen, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n das ElementsNi x eine R-Linearkombination der aij ist. Wir haben weiter oben schon gesehen, daßElemente bi aus R existieren, so daß 1 = b1s

N1 + · · ·+ bns

Nn gilt. Damit können wir also

x = 1 · x = b1sN1 x+ · · ·+ bns

Nn x

schreiben, und die rechte Seite liegt im von den xij erzeugten Ideal.

Kommen wir zu den übrigen Eigenschaften des Idealquotienten, die wir brauchen:

Hilfssatz 7.119. Sind a und b zwei endlich erzeugte Ideale in einem Prüferschen Be-reich, so sind a : b und b : a koprim, und es gilt

a = (a : b) · (a + b). (7.8)

Beweis. Es ist neben (7.8) also zu zeigen, daß

a : b + b : a = (1).

Wir können uns mit dem Beweis kurzfassen: Das Bilden von Idealquotienten, Produktenund Summen von Idealen ist mit Lokalisieren verträglich, die behaupteten Idealgleich-heiten stimmen für Hauptideale, und ein Ideal in R ist genau dann das Einsideal, wennes lokal das Einsideal ist.

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7. Ringe

Damit haben wir alles beisammen, damit unser oben skizzierter Algorithmus für dieteilweise Idealzerlegung in paarweise koprime Ideale starten kann. Es stellt sich allerdingsdieselbe Frage wie bei der teilweisen Faktorisierung von Ringelementen in Ringen mitgrößten gemeinsamen Teilern: Bricht der Algorithmus irgendwann ab? Die Antwort istwieder ganz ähnlich: Multiplizieren wir alle Ideale, die wir nach jedem Schritt jeweilserhalten, produzieren wir eine aufsteigende Kette

x0 ⊆ x1 ⊆ x2 ⊆ · · ·

endlich erzeugter Ideale. Sobald wir wissen, daß ein Index i mit xi+1 = xi existiert, sindwir fertig. Diese Bedingung an aufsteigende Ketten endlich erzeugter Ideale haben wirweiter oben noethersch genannt.

Konzept 7.120. Ein Dedekindscher Bereich ist ein noetherscher Prüferscher Bereich.

Mit obigen Überlegungen erhalten wir also, daß eine teilweise Idealfaktorisierung inpaarweise teilerfremde Ideale in Dedekindschen Bereichen immer möglich ist.Interessant ist die hier entwickelte Theorie deswegen, weil beliebige Ringe ganzer Zah-

len zwar im allgemeinen keine Hauptidealbereiche sind, dafür aber immer DedekindscheBereiche, das heißt die teilweise Idealfaktorisierung ist in Ringen ganzer Zahlen wie auchZ[√−5] immer möglich. Um dies zu beweisen, müssen wir allerdings etwas ausholen.

Zunächst wollen wir zeigen, daß Ringe ganzer Zahlen Prüfersche Bereiche sind. Dazubenötigen wir zunächst eine andere Charakterisierung eines Ideals, welches lokal einHauptideal ist. Dazu nennen wir ein Ideal a in einem Integritätsbereich R invertierbar,wenn ein Ideal b in R existiert, so daß das Produkt ab ein von einem regulären Element xaufgespanntes Hauptideal ist. Wir nennen dann 1

xb ⊆ K, wobei K der Quotientenkörpervon R ist, das Inverse von a. Wir nennen ein „Ideal“ der Form 1

xb, auch ein gebrochenesIdeal von R.Invertierbare Ideale sind immer endlich erzeugt: Mit den obigen Bezeichnungen exi-

stieren a1, . . . , an ∈ a und b1, . . . , bn ∈ b, so daß x = a1b1 + · · ·+ anbn. Seien a das vona1, . . . , an, und b das von b1, . . . , bn erzeugte Unterideal von a bzw. b. Dann gilt

(x) ⊆ ab ⊆ ab = (x),

das heißt, ab = ab und damit auch

(x)b = abb = (x)b.

Da x regulär ist, folgt aus der Kürzungsregel, daß b = b, das heißt, b ist endlich erzeugt.Analog zeigt sich, daß a endlich erzeugt ist.Beispiel 7.121. Sei ` ein reguläres Element von R. Dann ist a genau dann ein invertier-bares Ideal, wenn `a = (`) · a ein invertierbares Ideal ist.Wir behaupten jetzt:

Proposition 7.122. Ein Ideal a ist genau dann invertierbar, wenn es lokal ein Haupt-ideal ist und ein reguläres Element enthält.

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7.6. Dedekindsche Bereiche

Beweis. Sei zunächst a invertierbar. Wir übernehmen die Bezeichnungen x, b, a1, . . . ,an und b1, . . . , bn aus der Vorüberlegung, daß jedes invertierbare Ideal endlich erzeugtist. Dann existieren cij mit aibj = cijx. Es folgt, x = x ·

n∑i=1

cii, wegen der Regularitätvon x, also, daß c11, . . . , cnn eine Zerlegung der Eins von R ist. Weiter gilt xcijak =aibjak = xcjkai, also cijak = cjkai. Setzen wir i = j, folgt ciiak = cikai für alle k, dasheißt ai erzeugt das Ideal a in R[c−1

ii ]. Es ist a also lokal ein Hauptideal.Für die umgekehrte Richtung betrachten wir ein Ideal a, welches lokal ein Hauptideal

ist und welches ein reguläres Element x enthält. Sei s1, . . . , sn eine Zerlegung der 1, sodaß für alle i ∈ I das Ideal a[s−1

i ] von einem Elemente ai ∈ a erzeugt wird. Wir wählendann N groß genug, sodaß c1, . . . , cn mit sNi x = ciai existieren. Es existieren y1, . . . , ynmit y1s

N1 + · · ·+ yns

Nn , das heißt mit bi := yici haben wir x = a1b1 + · · ·+ anbn. Mit b :=

(b1, . . . , bn) haben wir folglich x ∈ ab. Wir wollen umgekehrt ab ⊆ (x) nachweisen, dasheißt ajbi ∈ (x) für alle i, j. Ist N groß genug gewählt, können wir yisNi aj = uai für einu ∈ R schreiben, da ai das Ideal a in R[s−1

i ] erzeugt. Es folgt yisNi ajbi = uaibi = yisNi ux.

Ohne Einschränkung können wir davon ausgehen, daß yisNi regulär ist, wir haben damitajbi = ux.

Weiter benötigen wir folgenden Satz Kroneckers:

Hilfssatz 7.123. Sei R ein kommutativer Ring. Seien

f(X) = Xn + fn−1Xn−1 + · · ·+ f1X + f0

und

g(X) = Xm + gm−1Xm−1 + · · ·+ g1X + g0

zwei Polynome mit Koeffizienten R und h(X) := f(X)g(X) ihr Produkt. Sei R0 der vonden Koeffizienten von h(X) in R erzeugte Unterring und h das von den Koeffizientenvon h(X) in R0 erzeugte Ideal. Dann sind alle Produkte figj ganz über h.

Wir müssen erklären, was ganz in Hilfssatz 7.123 bedeutet: Ist R0 ⊆ R eine Ringer-weiterung und h ein Ideal in R0, so heißt ein Element x ∈ R ganz über h, falls x eineGleichung der Form xk + c1x

k−1 + · · ·+ ck−1x+ ck = 0 in R mit ci ∈ hi erfüllt. Im Fallevon h = (1) sagen wir auch kurz, daß x ganz über R0 ist. (In diesem Sinne ist eine ganzealgebraische Zahl also eine algebraische Zahl, welche ganz über Z ist.)

Beweis. Wir zeigen zunächst eine Teilaussage: Sind f(X) als auch g(X) normierte Po-lynome, so sind die Koeffizienten fi und gj ganz über R0. Dazu definieren wir die kom-mutative R0-Algebra

R′ := R0[X1, . . . , Xn, Y1, . . . , Ym]/(e1(X1, . . . , Xn) + fn−1, . . . ,

en(X1, . . . , Xn)− (−1)nf0, e1(Y1, . . . , Ym) + gm−1, . . . , em(Y1, . . . , Ym)− (−1)mg0),

wobei e1, e2, usw. für die elementarsymmetrischen Funktionen stehen. Nach dem Vie-taschen Satze zerfallen f(X) und g(X) in R′ in Linearfaktoren, genauer haben wir

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7. Ringe

f(X) =∏i

(X − Xi) und g(X) =∏j

(X − Yj). In R′ gilt dann sicherlich h(Xi) = 0

und h(Yj) = 0, das heißt Xi und Yj sind ganz über R0. Analog zum Beweis von Propo-sition 1.3 auf Seite 14 zeigt sich, daß dann auch fi und gj als polynomielle Ausdrücke inXi und Yj ganz über R sind. Damit ist die Teilaussage bewiesen.Für den Beweis der vollen Aussage von Hilfssatz 7.123 auf der vorherigen Seite nehmen

wir an, daß R = Z[f0, . . . , fn, g0, . . . , gm], daß also insbesondere die fi und gj keineweiteren Relationen erfüllen. Dann ist R0 = Z[h0, . . . , hn+m], wobei

h(X) = hn+mXn+m + · · ·+ h1X + h0.

Die Koeffizienten h0, . . . , hn+m erfüllen keine algebraische Relation über Z (sogar überQ). Es ist also R0 = Z[h0, . . . , hn+m]. Es reicht jetzt, Hilfssatz 7.123 auf der vorherigenSeite für diesen Fall nachzuweisen, da sich jeder andere Fall durch Spezialisieren von f0,. . . , fn, g0, . . . , gm auf die gegebenen Werte ergibt. Weiter reicht es nachzuweisen, daßfigj ganz über R0 ist. Daß figj dann sogar ganz über h = (h0, . . . , hn+m) ist, folgt durcheinfaches Betrachten der Grade in fi und gj in einer Ganzheitsbeziehung von figj überR0.Indem wir von R zu seinem Quotientenkörper übergehen, folgt aus der oben bewie-

senen Teilaussage, daß die Quotienten figjf0g0

ganz über dem von den hkh0

erzeugten Un-terring sind. Durch Hochmultiplizieren der Nenner erreichen wir also, daß ein PolynomP (X) ∈ R0[X] mit P (figj) = 0 existiert, dessen führender Koeffizient eine Potenz vonh0 ist. Aus Symmetriegründen (ersetze i durch n− i und j durch m− j) gibt es ebenfallsein Polynom Q(X) ∈ R0[X] mit Q(figj) = 0 und desses führender Koeffizient eine Po-tenz von hn+m ist. Da R0 ein faktorieller Ring ist, ist R0[X] ebenfalls faktoriell und eingrößter gemeinsamer Teiler S(X) von P (X) und Q(X) in R0[X] ist ebenfalls ein größtergemeinsamer Teiler in K[X], wobei wir den Quotientenkörper von R0 mit K bezeichnethaben. Als Linearkombination von P (X) und Q(X) in K[X] hat S(X) das Element figjebenfalls als Nullstelle. Da der höchste Koeffizient von S(X) sowohl ein Teiler einer Po-tenz von h0 als auch von hn+m sein muß, bleibt für diesen höchsten Koeffizienten nur dieMöglichkeit ±1. Damit ist ±S(figj) = 0 eine Ganzheitsrelation von figj über R0.

Wir können damit zeigen:

Satz 7.124. Sei R ein Prüferscher Bereich mit Quotientenkörper K. Sei L eine Kör-pererweiterung von K (das heißt, L ist ein Körper mit Unterkörper K), so daß jedesElement von L ganz über K ist. Ist dann S der Ring der über R ganzen Elemente vonL, so ist S wieder ein Prüferscher Bereich.

(Daß die über R ganzen Elemente von L wieder einen Ring S bilden, also unterAddition und Multiplikation abgeschlossen sind, läßt sich genauso zeigen, wie wir inTeil I gezeigt haben, daß die Menge der ganzen algebraischen Zahlen unter Addition undMultiplikation abgeschlossen ist.)

Beweis. Es reicht zu zeigen, daß ein Ideal von S der Form a = (a, b) lokal von einemElement erzeugt wird. Weiter können wir annehmen, daß a 6= 0. Wir müssen also zeigen,

332

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7.6. Dedekindsche Bereiche

daß a = (a, b) in S invertierbar ist. Es erfüllt a eine algebraische Relation der Form

an + f1an−1 + · · ·+ fn−1a+ f0 = 0

mit fi ∈ R. Wir können annehmen, daß f0 6= 0 gilt. Dann erhalten wir

a(f1an−1 + · · ·+ fn−1) = −f0,

das heißt, es existiert ein ` ∈ S mit `a ∈ R \ 0. Es reicht zu zeigen, daß (`a, `b)invertierbar ist. Wir können also im folgenden ohne Einschränkung annehmen, daß a ∈ Rgilt.Sei P (X) ∈ R[X] ein normiertes Polynom mit P (b) = 0. Wir können damit P (X) =

(X − b) · Q(X) schreiben, wobei Q(X) ∈ S[X] ein normiertes Polynom ist. Es folgtP (aX) = (aX − b) · Q(aX). Mit p bezeichnen wir den Inhalt von P (aX) in R, das istdas von den Koeffizienten von P (aX) in R aufgespannte Ideal. Weiter bezeichnen wirmit q den Inhalt von Q(aX) in S, das ist das von den Koeffizienten von Q(aX) in Saufgespannte Ideal. Bezeichnen wir mit Sp das von p in S aufgespannte Ideal, so giltSp ⊆ aq.Da R Prüfersch ist und p ein reguläres Element (nämlich a) enthält, ist p in R invertier-

bar, das heißt, es existiert ein gebrochenes Ideal rmit pr = R. Damit gilt S = Spr ⊆ Saqr.Sei r ∈ r. Wegen P (aX) r = (aX− b)Q(aX) r folgt nach Hilfssatz 7.123 auf Seite 331,

daß die Elemente von aq(r) ganz über p(r) ⊆ R liegen. Da S alle über R ganzen Elemente(in L) umfaßt, haben wir folglich aq(r) ⊆ S, also Saqr ⊆ S. Damit ist Saqr = S, also ista in S invertierbar.

Beispiel 7.125. Sei K ein Zahlkörper. Dann ist OK ein Prüferscher Bereich. Dies folgtaus Satz 7.124 auf der vorherigen Seite aufgrund der Tatsachen, daß K über Q eineKörpererweiterung ist, für die jedes Element ganz über Q ist, daß OK gerade der Ringder über Z ganzen Elemente von K ist und daß Z als Hauptidealbereich insbesondereein Prüferscher Bereich ist.Oben haben wir gesagt, daß der Ring ganzer Zahlen OK in einem Zahlkörper K

sogar ein Dedekindscher Bereich ist, das heißt es fehlt noch der Nachweis, daß OKein noetherscher Bereich ist. Dazu zeigen wir zunächst, daß OK als abelsche Gruppeisomorph zu Zn ist, wobei wir n := [K : Q] setzen. Dazu geben wir vorab zwei Beispiele:Sei p eine Primzahl. Mit ζp bezeichnen wir wieder eine primitive p-te Einheitswurzel.Dann ist OQ(ζp) = Z[ζp], das heißt der Ring ganzer Zahlen besitzt eine Z-Basis 1, ζp,. . . , ζp−2

p , jedes Element von Z[ζp] ist also eine eindeutige Z-Linearkombination dieserp− 1 Elemente.In diesem Falle besteht die Z-Basis aus Potenzen eines Elementes. Dies muß aber nicht

immer der Fall sein, und zwar hat Richard Dedekind folgendes Beispiel gegeben, was wirhier ohne Beweis zitieren: Das Polynom

f(X) = X3 +X2 − 2X + 8

ist irreduzibel über den rationalen Zahlen. Sei x eine Nullstelle dieses Polynoms überden rationalen Zahlen. Dann besitzt OQ(x), der Ring der ganzen algebraischen Zahlen

333

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7. Ringe

in Q(x), eine Z-Basis mit drei Elementen (entsprechend deg f(X) = 3), nämlich zumBeispiel 1, x, 1

2x2 + 1

2x. Es läßt sich zeigen, daß keine Basis aus Potenzen eines Elementesexistiert.Sei allgemein K ein Zahlkörper vom Grad n über Q. Dann existiert bekanntlich eine

Basis b1, . . . , bn von K als Q-Vektorraum, das heißt jedes Element aus K ist eineeindeutige rationale Linearkombination der Elemente b1, . . . , bn. Sei b ein beliebigesElement von K. Dieses definiert durch Linksmultiplikation einen Endomorphismus

b : K → K, x 7→ b · x

des endlich-dimensionalen Q-Vektorraumes K. Also wird sie durch eine Matrix bezüglichder Basis b1, . . . , bn dargestellt und besitzt eine (von der Basis unabhängige) Spur, diewir mit trK/Q(b) bezeichnen wollen. Dieses Element im Grundkörper Q heißt die Spurvon b in K über Q. Wir wollen angeben, wie sich die Spur berechnen läßt. Dazu schreibenwir K = Q(z) für eine algebraische Zahl z vom Grad n über K nach dem Satz über dasprimitive Element. Es existiert ein Polynom B(X) ∈ Q[X] mit b = B(z). Seien z1 = z,z2, . . . , zn die galoissch Konjugierten zu z. Wir behaupten, daß

trK/Q(b) = B(z1) + · · ·+B(zn). (7.9)

Um dies zu zeigen, bemerken wir, daß die Spur linear über Q ist, das heißt, wir haben

trK/Q(c · b+ c′ · b′) = c trK/Q(b) + c′ trK/Q(b′)

für zwei Elemente b, b′ ∈ K und c, c′ ∈ Q. Folglich reicht es, die Formel (7.9) nur fürElemente der Form b = zk mit k ∈ N0 nachzurechnen. Dies läßt sich durch Einführeneiner formalen Variablen λ elegant lösen. Es ist

log(1− λz) = −λz − λ2 z2

2 − λ3 z

3

3 − · · · ,

womit sich die allgemeine Formel dann aus Koeffizientenvergleich ergibt, sobald wir

trK/Q log(1− λz) =n∑i=1

log(1− λzi)

gezeigt haben. Aus der Linearen Algebra wissen wir, daß die Spur eines Logarithmus derLogarithmus der Determinanten ist, das heißt trK/Q log(1−λz) = log det(1−λz), wobeiwir 1− λz auf der rechten Seite als lineare Abbildung über Q von K nach K auffassen.Wir können det(λ−1 − z) als normiertes Polynom vom Grade n in λ−1 auffassen. DiesesPolynom hat nach dem Cayley–Hamiltonschen Satz das Element z und damit auch alleseine Konjugierten als Nullstelle. Folglich ist det(λ−1 − z) = (λ−1 − z1) · · · (λ−1 − zn).Es folgt det(1− λz) = (1− λz1) · · · (1− λzn). Damit haben wir

trK/Q = log(1− λz) = log det(1− λz) = log∏i

(1− λzi) =∑i

log(1− λzi),

was zu zeigen war.

334

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7.6. Dedekindsche Bereiche

Als Folgerung können wir notieren: Ist b ein Element aus OK , also eine ganze alge-braische Zahl, so sind seine galoissch Konjugierten also auch ganze algebraische Zahlen.Damit ist trK/Q b wieder eine ganze algebraische Zahl. Da die Spur aber auch rationalist und eine rationale Zahl genau dann ganz algebraisch ist, wenn sie eine ganze Zahl ist,folgt, daß trK/Q b ∈ Z, daß also die Spur ganzer algebraischer Zahlen eine ganze Zahl ist.

Beispiel 7.126. Wir wollen die Spur der ganzen algebraischen Zahl φ = 1+√

52 in Q(

√5)

über Q bestimmen. Da√

5 und −√

5 die beiden galoissch Konjugierten von√

5 sind, istdie Spur nach (7.9) durch

trK/Q φ = 1 +√

52 + 1−

√5

2 = 1

gegeben.

Sei (trK/Q(bibj)) diejenige quadratische Matrix über Q, deren Eintrag in der i-tenZeile und j-ten Spalte gerade die Spur des Produktes bibj in K über Q ist. Dann heißtdie rationale Zahl

D(b1, . . . , bn) := detB

die Diskrimante von K über Q zur Basis b1, . . . , bn. (Im Falle, daß die bi alle ganzalgebraisch sind, ist die Diskriminante nach unseren Vorüberlegungen offensichtlich eineganze Zahl.)Wir benötigen für das folgende noch eine andere Darstellung der Diskriminanten. Sei

dazu Bi(X) ∈ Q[X] ein Polynom mit bi = Bi(z). Mit (Bi(zk)) bezeichnen wir diejenigeMatrix, deren Eintrag in der i-ten Zeile und k-ten Spalte gerade durch Bi(zk) gegebenist. Wir behaupten, daß

D(b1, . . . , bn) = det(Bi(zk))2. (7.10)

Dies folgt aus

D(b1, . . . , bn) = det(trK/Q(bibj))

= det(∑k

Bi(zk)Bj(zk))

= det((Bi(zk)) · det(Bj(zk)).

Beispiel 7.127. Wir wollen die Diskriminante der Basis 1,√−3 von K = Q[

√−3] über

Q bestimmen. Dazu betrachten das primitive Element z =√−3 von K mit seinem

galoissch Konjugierten −z. Damit ist

D(1,√−3) = det

(1 1z −z

)2

= (−2z)2 = −12.

Über die Diskriminante können wir weiterhin zeigen, daß sie nie verschwindet. Dazuüberlegen wir uns kurz, wie sie sich unter Basiswechsel verträgt: Ist b′1, . . . , b′n eine weitere

335

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7. Ringe

Basis von K über Q, so existiert eine invertierbare Matrix A = (aij) mit rationalenEinträgen, so daß b′i =

∑jaijbj . Folglich ist

D(b′1, . . . , b′n) = det(∑j

aij(Bj(zk)))2ik = (detA)2 ·det(Bj(zk))jk = (detA)2D(b1, . . . , bn).

Damit reicht es aus, das Nichtverschwinden für eine ganz bestimmte Basis nachzurech-nen. Wir nehmen die Basis 1, z, z2, . . . . Nach (7.10) ist D(z1, . . . , zn) bis auf Vorzeichendas Quadrat der Vandermondeschen von 1, z1, . . . , zn und wegen zi 6= zj für i 6= j damitungleich Null.Wir notieren an dieser Stelle außerdem, daß die Diskriminante bis auf Quadrate in Q

unabhängig von der gewählten Basis ist. Wir schreiben deswegen

discK/Q ∈ Q×/(Q×)2

für D(b1, . . . , bn) für eine beliebige Basis b1, . . . , bn von K über Q.Jedes b = bi erfüllt eine algebraische Beziehung der Form

bn + an−1bn−1 + · · ·+ a1b+ a0 = 0,

wobei a0, . . . , an−1 Elemente aus Q sind. Ist d ein gemeinsamer Nenner dieser Elemente,so erhalten wir die Beziehung

(db)n + dan−1(db)n−1 + · · ·+ dn−1a1(db) + dna0 = 0,

das heißt db ist eine ganze algebraische Zahl. Indem wir also die Basis b1, . . . , bn gege-benfalls mit einer ganzen Zahl d durchmultiplizieren, können wir ohne Einschränkungannehmen, daß b1, . . . , bn eine Basis von K als Q-Vektorraum ist, deren Mitgliederallesamt aus OK stammen. Die Produkte bibj sind natürlich wieder Elemente aus OK .

Hilfssatz 7.128. Es gilt

Zb1 + · · ·+ Zbn ⊆ OK ⊆ Z1db1 + · · ·+ Z

1dbn,

wobei d = D(b1, . . . , bn).

Hierbei steht zum Beispiel Zb1 + · · · + Zbn für die Gruppe der ganzzahligen Linear-kombinationen von b1, . . . , bn. Da danach b1, . . . , bn Elemente der rechten Seite sind,folgt aus ihrer linearen Unabhängigkeit, daß die Diskriminante d immer eine ganze Zahlist.

Beweis. Die erste Inklusion ist nach Wahl der bi als Elemente aus OK klar. Es bleibt,die rechte Inklusion zu zeigen. Dazu sei b ein Element aus OK . Da b ∈ K, können wir

b = x1b1 + · · ·+ xnbn

für gewisse x1, . . . , xn ∈ Q schreiben.

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7.6. Dedekindsche Bereiche

Wir übernehmen die Bezeichnungen z, B, Bi(X), z1, z2, . . . , etc. von oben. Danngelten die Gleichungen

B(zk) = x1B1(zk) + · · ·+ xnBn(zk)

für alle i ∈ 1, . . . , b, die wir als lineares Gleichungssystem für x1, . . . , xn auffassenkönnen. Nach der Cramerschen Regel ist damit

xi = γiδ

= γiδ

δ

2= γiδ

d,

wobei δ = det(Bi(zk)) 6= 0 und γi die Determinante derjenigen Matrix, die sich aus(Bi(zk)) durch Ersetzen der Einträge der i-ten Zeile durch B(z1), . . . , B(zk) ergibt. DerZähler γiδ ist formal invariant unter Vertauschungen der zi und damit ein Element ausQ. Da γiδ gleichzeitig ganz algebraisch ist, folgt γiδ ∈ Z, also xi ∈ 1

dZ.

Damit können wir zeigen:

Satz 7.129. Sei K ein Zahlkörper vom Grad n. Dann besitzt der Ring der ganzen ZahlenOK in K eine Basis x1, . . . , xn über Z.

Eine solche Basis heißt Ganzheitsbasis von OK .

Beweis. Wir müssen zeigen, daß ein Isomorphismus OK ∼= Zn abelscher Gruppen exi-stiert. Seien dazu b1, . . . , bn Zahlen aus OK , die eine Basis von K über Q bilden. Dannhaben wir nach Hilfssatz 7.128 auf der vorherigen Seite, daß

M := Zb1 + · · ·+ Zbn ⊆ OK ⊆ Z1db1 + · · ·+ Zb

1dbn =: L.

Es ist [L : M ] = dn, das heißt M hat in L insgesamt dn Restklassen. Ist c ein Elementeiner solchen Restklasse c + M und ist c ∈ OK , so sind wegen M ⊆ OK alle Elementeder Restklasse c + M in OK . Ist c /∈ OK , so ist aus demselben Grunde kein Elementder Restklasse c + M in OK . Sind daher c1, . . . , cm ∈ L diejenigen Elemente eines dnElemente umfassenden Repräsentantensystems der Restklassen von L in M , die in OKliegen, also eine ganze algebraische Zahl sind, so sind b1, . . . , bn, c1, . . . , cm Erzeuger derabelschen Gruppe von OK , das heißt wir haben schon einmal, daß OK endlich erzeugtals abelsche Gruppe ist.Diese Gruppe besitzt sogar eine endliche Präsentation: Die dcj sind nämlich allesamt

ganzzahlige Linearkombinationen der bi, das heißt, wir haben endlich viele Relationender Form

dcj − aj1b1 − · · · − ajnbn = 0

mit ganzen Zahlen aji als Koeffizienten. Diese Relationen erzeugen alle Relationen zwi-schen den b1, . . . , bn und den c1, . . . , cm. Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugteabelsche Gruppen finden wir daher einen Isomorphismus der Form

OK ∼= Zr ×A,

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7. Ringe

wobei A eine endliche abelsche Gruppe ist. Jedes Element in A hat die Eigenschaft, daßein Vielfaches von ihm verschwindet — wir sagen, A ist als endliche abelsche Gruppeeine Torsionsgruppe. Da aber OK ⊂ L und in L das einzige Torsionselement (also daseinzige Element y mit ny = 0 für ein n ∈ N) nur die Null ist, folgt A = 0, also OK ∼= Zr.Es bleibt zu zeigen, daß r = n. Dazu stellen wir fest, daß die InklusionenM ⊆ OK ⊆ L

abstrakt lineare AbbildungenZn → Zr → Zn

definieren. Diese Abbildungen werden durch Matrizen beschrieben, so daß wir dieseAbbildungen auch als lineare Abbildungen

Qn → Qr → Qn

auffassen können. Da die Komposition Qn → Qn aber invertierbar ist (dies folgt aus derInvertierbarkeit von d in Q), müssen alle Abbildungen Isomorphismen von Q-Vektorräu-men sein, das heißt, wir haben n = r.

Da OK eine Basis über Z besitzt, ist OK ein Beispiel für eine endliche Algebra gemäßfolgender Definition:

Konzept 7.130. Eine endliche Algebra über einem kommutativen Ringe R ist eine R-Algebra S, so daß endlich viele Elemente s1, . . . , sn von S existieren, so daß jedes Elementx von S eine R-Linearkombination von s1, . . . , sn ist, daß also x = r1s1 + · · ·+ rnsn fürr1, . . . , rn ∈ R.

Beispiel 7.131. Ein Ring R ist als Z-Algebra genau dann endlich, wenn seine abelscheGruppe endlich erzeugt ist.Beispiel 7.132. Der Polynomring K[X] über einem Körper K ist nicht endlich.Wir haben schließlich:

Satz 7.133. Sei K ein Zahlkörper. Dann ist der Ring OK der ganzen Zahlen in K einDedekindscher Bereich.

Insbesondere können wir in Zahlringen, also Ringen ganzer Zahlen in Zahlkörpern,nach dem oben angegebenen Verfahren teilweise nach Idealen faktorisieren.

Beweis. Es ist nur noch zu zeigen, daß OK noethersch ist. Durch Wahl einer Ganzheits-basis b1, . . . , bn fixieren wir einen Isomorphismus OK ∼= Zn. Wir überlegen, daß dieadditive Gruppe eines jeden endlich erzeugten Ideals a von OK eine endlich erzeugteUntergruppe von Zn ist: Sind nämlich a1, . . . , am Idealerzeuger von a, so sind die ajbiErzeuger der abelschen Gruppe von Zn. Damit folgt die Behauptung aus nachstehendemHilfssatz:

Hilfssatz 7.134. Produziert ein Algorithmus eine aufsteigende Folge A0 ⊆ A1 ⊆ A2 ⊆· · · endlich erzeugter Untergruppen von Zn, so produziert er irgendwann ein An+1 mitAn = An+1.

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7.6. Dedekindsche Bereiche

Beweis. Wir führen den Beweis per Induktion über n. Im Falle n = 0 ist sicherlich nichtszu zeigen. Seien

i : Z→ Zn, n 7→ (n, 0, . . . , 0)

undp : Zn → Zn−1, (a1, . . . , an) 7→ (a2, . . . , an).

Wir überlegen uns zunächst: Sind A ⊆ B zwei Untergruppen von Zn und sind i−1(A) =i−1(B) und p(A) = p(B), so folgt A = B: Sei etwa (a1, . . . , an) ∈ B. Dann ist wegenp(A) = p(B) ein Element der Form (x, a2, . . . , an) in A ⊆ B. Folglich ist a1 − x, 0, . . . , 0in B, also auch in A wegen i−1(A) = i−1(B). Damit ist aber auch (a1, a2, . . . , an) in A.Da Z ein Hauptidealbereich und damit noethersch ist, gibt es einen Algorithmus, der

eine streng monotone Folge (ni) produziert, so daß i−1(An(i)+1) = i−1(An(i)) für allei ∈ N0.Wir betrachten dann die Folge p(An(0)) ⊆ p(An(1)) ⊆ p(An(2)) ⊆ · · ·. Nach In-

duktionsvoraussetzung gibt es dann ein k, so daß p(An(k)) = p(An(k+1)), also auchp(An(k)) = p(An(k)+1). Nach unserer Vorüberlegung können wir dann n = n(k) wäh-len.

AufgabenAufgabe 7.6.1. Zeige, daß das Nilradikal eines kommutativen Ringes im Schnitt allerseiner Primideale liegt.Aufgabe 7.6.2. Sei m ein maximales Ideal in einem kommutativen Ringe R. Zeige, daßR/m ein Körper ist.Aufgabe 7.6.3. Sei m ein Ideal in einem kommutativen Ringe R, so daß R/m ein Körperist. Zeige, daß m ein maximales Ideal ist.Aufgabe 7.6.4. Gib eine Primidealzerlegung von 1 +

√−5 im Ringe Z[

√−5] an.

Aufgabe 7.6.5. Sei R ein Bézoutscher Bereich und s ein reguläres Element. Zeige, daßR[s−1] wieder ein Bézoutscher Bereich ist.Aufgabe 7.6.6. Seien a und b zwei endlich erzeugte Ideale eines Prüferschen Bereiches.Zeige, daß eine Zerlegung s1, . . . , sn der Eins von R existiert, so daß für alle i ∈ 1, . . . , ndie Ideale a[s−1

i ] und b[s−1i ] in R[s−1

i ] Hauptideale sind.Aufgabe 7.6.7. Sei R ein kommutativer Ring. Sei s1, . . . , sn eine Zerlegung der Eins vonR. Sei a ein Ideal von R, so daß für alle i ∈ 1, . . . , n gilt, daß a[s−1

i ] = (1) als Ideale inR[s−1

i ]. Zeige, daß dann a das Einsideal in R ist.Aufgabe 7.6.8. Sei R ein Prüferscher Bereich. Wir wollen ein nicht verschwindendes end-lich erzeugtes Ideal a von R irreduzibel nennen, wenn für jede Zerlegung a = a1 · · · · · ·anin endlich erzeugte Ideale von R schon ein i ∈ 1, . . . , n mit a = ai existiert. Zeige, daßjedes irreduzible Ideal von R ein Primideal ist.Aufgabe 7.6.9. Sei R ein Dedekindscher Bereich. Angenommen, wir haben ein Test, derfeststellt, ob ein endlich erzeugtes Ideal a in R irreduzibel ist bzw. gegebenenfalls dasIdeal in zwei echte Faktoren zerlegt. Zeige, daß sich jedes nicht verschwindende Ideal inR dann bis auf Reihenfolge eindeutig als Produkt von Primidealen schreiben läßt.

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7. Ringe

Aufgabe 7.6.10. Sei R ein Dedekindscher Bereich. Angenommen, wir haben einen Test,der feststellt, ob ein gegebenes Ideal a in R ein maximales Ideal ist bzw. gegebenfalls einElement liefert, um das a zu einem echten Ideal erweitert werden kann. Zeige, daß sichjedes nicht verschwindende Ideal in R dann bis auf Reihenfolge eindeutig als Produktvon Primidealen schreiben läßt.Aufgabe 7.6.11. Ein Bewertungsbereich ist ein Integritätsbereich R, so daß für je zweiElemente x und y von R gilt, daß x ein Teiler von y oder daß y ein Teiler von x ist.Zeige, daß ein Prüferscher Bereich R lokal ein Bewertungsbereich ist, das heißt, daß fürje zwei Elemente x und y eine Zerlegung s und t der Eins von R existiert, so daß x einTeiler von y in R[s−1] und y ein Teiler von x in R[t−1] ist.Aufgabe 7.6.12. Sei R ein Prüferscher Bereich. Sei A ∈ Mn,m(R) eine Matrix. Zeige, daßder Kern von A lokal endlich erzeugt ist.Aufgabe 7.6.13. Gib eine Zerlegung der Eins s1, . . . , sn des Zahlringes R = Z[

√−13] an,

so daß für alle i ∈ 1, . . . , n das Ideal (7, 1 +√−13) in R[s−1

i ] ein Hauptideal ist.Aufgabe 7.6.14. Sei R ein noetherscher kommutativer Ring. Ein Algorithmus produzierem Ketten

a10 ⊆ a11 ⊆ a12 ⊆ · · ·...

am0 ⊆ am1 ⊆ am2 ⊆ · · ·

von Idealen von R. Zeige, daß ein n existiert, so daß ajn = aj(n+1) für alle j ∈ 1, . . . ,m.Aufgabe 7.6.15. Sei x eine Nullstelle des Polynoms f(X) = X4 − X2 − 3X + 7 in denalgebraischen Zahlen. Sei K = Q(x). Bestimme eine teilweise Faktorisierung der Ideale(14, x+ 7) und (35, x− 14) in OK .Aufgabe 7.6.16. Bestimme eine Z-Basis des Ringes ganzer Zahlen von Q( 3√4).

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8. Körper

8.1. Körpererweiterungen

Ziel dieses Kapitels ist es, den Kern der in Teil I beschriebenen eigentlichen GaloisschenTheorie auf allgemeinere Situationen auszuweiten und von einem etwas abstrakterenStandpunkt aus zu beleuchten. In Teil I sind wir von Polynomen f(X) ausgegangen,deren Koeffizienten in einem Zahlkörper K liegen. In der Galoisschen Theorie haben wiruns dann zum Beispiel um die Elemente im Zahlkörper L = K(x1, . . . , xn) gekümmert,wobei x1, . . . , xn die Nullstellen von f(X) in den algebraischen Zahlen sind. Die Ga-loissche Gruppe hat auf L operiert, die Invarianten unter dieser Wirkung sind genau dieElemente in K. Im folgenden werden wir die Situation zweier Körper K und L, so daßder eine im anderen liegt, häufiger betrachten, so daß wir definieren:

Konzept 8.1. Sei K ein Körper. Eine Körpererweiterung von K ist ein Körper L zu-sammen mit einem Körperhomomorphismus ι : K → L.

Da jeder Körperhomomorphismus injektiv ist, können wir K mit seinem Bild in Lidentifizieren, das heißt wir können für jede einzelne Körpererweiterung L von K an-nehmen, daß L ⊇ K. Wir nennen L einen Oberkörper von K und K einen Unterkörpervon L. Eine solche Körpererweiterung heißt einfach, wenn ein Element x aus L existiert,so daß jedes Element von L ein in x rationaler Ausdruck mit Koeffizienten in K ist,wenn also L der kleinste Körper in L ist, welcher K und x umfaßt. Wir schreiben dannL = K(x) und nennen x ein primitives Element der Körpererweiterung L ⊇ K.

Beispiel 8.2. Eine Erweiterung von Koeffizientenbereichen L ⊇ K gemäß der Definitionaus Teil I ist gerade eine Körpererweiterung von Zahlkörpern. Aufgrund des Satzes überdas primitive Element sind alle diese Körpererweiterungen einfach.

Die Elemente aus L im letzten Beispiel haben alle die Eigenschaft, daß sie Nullstelleeines Polynoms aus K sind. Wir sagen auch, daß sie algebraisch über K sind, undallgemein:

Konzept 8.3. Sei K ein Körper. Eine algebraische Körpererweiterung ist eine Körperer-weiterung L ⊇ K, so daß jedes Element von L algebraisch über K ist, das heißt, jedesElement von L ist Nullstelle eines normierten Polynoms mit Koeffizienten aus K.

Beispiel 8.4. Sei K ein Zahlkörper. Dann ist K eine algebraische Körpererweiterung vonQ.

Beispiel 8.5. Die Körpererweiterung Q ⊇ Q ist algebraisch, aber nicht einfach.

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8. Körper

Beispiel 8.6. Der Körper Q(X) der rationalen Funktionen in X ist keine algebraischeKörpererweiterung von Q, da zum Beispiel X nicht Nullstelle eines normierten Polynomsmit rationalen Koeffizienten ist. Die Körpererweiterung ist aber einfach.Beispiel 8.7. In Verallgemeinerung von Beispiel 8.6 haben wir: Sei L ⊇ K eine Körperer-weiterung. Sei t ∈ L transzendent über K, das heißt, für alle n ∈ N0 sind jeweils 1, t,t2, . . . , tn−1 über K linear unabhängig. Dann ist K(t), die Menge der in t rationalenAusdrücke über K in L eine einfache, nicht algebraische Körpererweiterung von K. Indiesem Falle ist

K(X)→ K(t), X 7→ t

ein Isomorphismus von Körpererweitungen über K, das heißt jede einfache nicht alge-braische Körpererweiterung sieht wie Beispiel 8.6 aus.Beispiel 8.8. Ist L ⊇ K irgendeine Körpererweiterung, so können wir die Menge Kderjenigen Elemente aus L betrachten, die über K algebraisch sind. Genauso wie wirgezeigt haben, daß Summe, Produkt und Inverses algebraischer Zahlen über Q wiederalgebraisch sind, können wir zeigen, daß die Menge K einen Körper bildet, die größteZwischenerweiterung von L über K, die algebraisch über K ist. Wir nennen K denalgebraischen Abschluß von K in L.Ist R ein beliebiger kommutativer Ring, der den Körper K umfaßt, so können wir auch

den Zwischenring aller Elemente aus R betrachten, welche eine normierte Polynomglei-chung mit Koeffizienten aus K erfüllen. Die Menge dieser Elemente heißt dann auch deralgebraische (oder ganze) Abschluß von K in R. In diesem Sinne ist Q der algebraischeAbschluß von Q in C.Der Unterschied zwischen Beispiel 8.4 auf der vorherigen Seite und Beispiel 8.5 auf der

vorherigen Seite ist, daß im ersten Falle K eine endliche Basis als Q-Vektorraum besitzt,Q dagegen nicht. Wir nennen eine Körpererweiterung L über K allgemein endlich (vomGrade n), wenn L eine Basis mit n-Elementen als K-Vektorraum besitzt. Jede endlicheKörpererweiterung L ⊇ K mit Grad n ist automatisch algebraisch, denn ist x ∈ L, somüssen 1, x, . . . , xn über K linear abhängig sein, woraus sich ein normiertes Polynomüber K konstruieren läßt, welches x als Nullstelle hat. Wir schreiben wie gehabt

[L : K]

für den Grad einer endlichen Körpererweiterung L ⊇ K.Beispiel 8.9. Ein Zahlkörper ist nichts anderes als eine endliche Körpererweiterung vonQ.Ist eine endliche Körpererweiterung L von K einfach, etwa L = K(x), so sind 1, x, . . . ,

xn−1 linear unabhängig und xn ist eine K-Linearkombination von 1, x, . . . , xn−1, wennn = [K(x) : K], das heißt, es existiert ein normiertes Polynom f(X) ∈ K[X] minimalenGrades mit f(x) = 0, das Minimalpolynom von x über K. Aufgrund der Minimalitätdes Grades muß es irreduzibel sein. Wie in den in Teil I betrachteten Situationen ist dasMinimalpolynom eindeutig. Wir haben also allgemein, daß der Grad einer von einemElement x erzeugten einfachen algebraischen Körpererweiterung über K der Grad des

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8.1. Körpererweiterungen

Minimalpolynomes dieses Elements über K ist, welchen wir wieder kurz Grad von x überK nennen wollen.Es ist

K[X]/(f(X))→ K(x), X 7→ x

nach dem Homomorphiesatz ein wohldefinierter Isomorphismus kommutativer Ringe, dasheißt jede einfache endliche Körpererweiterung von K ist von der Form K[X]/(f(X)),wobei f(X) ein irreduzibles Polynom ist.Der Begriff des Grades hat uns in den Anwendungen von Teil I weit gebracht, weil

wir die Gradformel gehabt haben. Der Beweis überträgt sich auf die abstrakte Situationohne Abstriche, so daß wir neu formulieren können:

Satz 8.10. Sei K ein Körper. Seien E eine endliche Körpererweiterung über K und Feine endliche Körpererweiterung über E. Dann ist auch F eine endliche Körpererweite-rung von K, und es gilt:

[F : K] = [F : E] · [E : K].

Genauer gilt: Bilden u1, . . . , um eine Basis von E über K und bilden v1, . . . , vn eineBasis von F über E, so bildet u1v1, . . . , umvn eine Basis von F über K.

Jede endliche Körpererweitung ist gewissermaßen aus einfachen zusammengesetzt. Da-mit meinen wir folgendes:

Proposition 8.11. Sei E eine endliche Körpererweiterung von K. Dann existiert einTurm von endlichen einfachen Körpererweiterungen

K = E0 ⊆ E1 ⊆ E2 ⊆ · · · ⊆ En = E,

das heißt also, für alle i ∈ 1, . . . , n ist Ei eine endliche einfache Körpererweiterungvon Ei−1.

Beweis. Wir führen den Beweis per Induktion über den Grad [E : K]. Ist dieser Gradminimal, also [E : K] = 1, also E = K, so ist nichts zu zeigen.Ansonsten gibt es ein Element x ∈ E, welches nicht in K liegt. Da [E : K] endlich

ist, gibt es ein maximales m > 1, so daß 1, x, . . . , xm−1 linear unabhängig sind. Es istF := K(x) ein Zwischenkörper von E über K, welcher ein echter endlicher einfacherOberkörper von K ist. Es reicht dann zu zeigen, daß E über F eine endliche Körperer-weiterung ist. Nach der Gradformel hätten wir dann nämlich

[E : F ] = [E : K][F : K] ,

so daß wir wegen [F : K] = m > 1 die Induktionsvoraussetzung anwenden können.Eine Basis von E über F erhalten wir wie folgt: Sei v1, . . . , vr eine Basis von E

über K. Diese bildet ein Erzeugendensystem von E über F , das heißt, wir erhalten einesurjektive lineare Abbildung

f : F r → E, ei 7→ vi,

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8. Körper

wobei wir mit ei den i-ten kanonischen Basisvektor von F r bezeichnet haben.Für jedes d ∈ 1, . . . ,m − 1 und jedes i ∈ 1, . . . , r existieren eindeutige aijd ∈ K

mit

xdvi =r∑j=1

aijdvj .

Der Kern von f wird als F -Vektorraum damit von den xdei−∑jaijdej (endlich) erzeugt.

Ist w1, . . . , ws eine Basis eines linearen Komplementes des Kernes in F r über F , sobildet f(w1), . . . f(ws) eine Basis von E über F .

Zum Ende des Kapitels wollen wir noch eine weitere Vokabel hinzufügen. Sind Eund E′ zwei Zwischenkörper einer Körpererweiterung L über K (das heißt, L ist jeweilsOberkörper von E und E′ und E und E′ sind jeweils Oberkörper von K, so ist dasKompositum von E und E′ in L der kleinste Zwischenkörper von L über K, der E undE′ umfaßt. Für das Kompositum in L schreiben wir auch

E · E′.

Sind E und E′ von der Form E = K(x) und E′ = K(x′), so schreiben wir auch

K(x, x′) = K(x) ·K(x′)

und führen iterativ K(x1, . . . , xn) = K(x1) · · ·K(xn) für Elemente x1, . . . , xn von Kein. Es ist K(x1, . . . , xn) der kleinste Zwischenkörper von L über K, welcher x1, . . . ,xn enthält. Körpererweiterungen der Form K(x1, . . . , xn) von K heißen auch endlicherzeugte Körpererweiterungen von K. Die xi sind dann die Erzeuger. Das Kompositumist uns in Spezialfällen auch schon in Teil I begegnet.

AufgabenAufgabe 8.1.1. Sei K(x) über K eine endliche Körpererweiterung ungeraden Grades.Zeige, daß K(x) = K(x2).

Aufgabe 8.1.2. Finde ein normiertes irreduzibles Polynom zweiten Gerades über F2, undgib einen Körper mit vier Elementen an.

Aufgabe 8.1.3. Sei K ein Körper. Sei E ein Zwischenkörper von K(X) über K, der einechter Oberkörper von K ist, das heißt es liegt ein Element in E, welches nicht in Kliegt. Zeige, daß X algebraisch über E ist.

Aufgabe 8.1.4. Sei K ein Körper. Sei

y := g(X)h(X) ∈ K(X),

wobei g(X) und h(X) teilerfremde Polynome in K[X] seien. Sei das Maximum n vondeg g(X) und deg h(X) mindestens 1. Zeige, daß der Grad von K(X) über K(y) geraden ist.

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8.2. Faktorielle Körper

Aufgabe 8.1.5. Seien L über K eine Körpererweiterung. Seien E und F zwei Zwischen-körper von L über K. Wir nennen E linear disjunkt von F , falls jede endliche Menge vonElementen aus E, welche über K linear unabhängig ist, auch über F linear unabhängigist.Zeige, daß diese Relation zwischen E und F symmetrisch in E und F ist, das heißt

also, daß E genau dann linear disjunkt von F ist, wenn F linear disjunkt von E ist.

8.2. Faktorielle KörperWir erinnern kurz an den Begriff eines faktoriellen Ringes: Ein Integritätsbereich Rheißt faktoriell, wenn der Polynomring R[X] in einer Variablen über R ein Ring miteindeutiger Primfaktorzerlegung ist. Speziell ist ein faktorieller Körper ein Körper, überden sich Polynome eindeutig in Primfaktoren zerlegen lassen. Dieser Spezialfall ist ausfolgenden zwei Gründen besonders interessant für uns: Zum einen haben wir schon inTeil I gesehen, daß die Faktorisierungsmöglichkeit von Polynomen über (Zahl-)Körperneine wesentliche Grundlage der Galoisschen Theorie ist. Zum anderen gibt es ein kurzesKriterium dafür, wann ein Körper K faktoriell ist: Es reicht nämlich, daß wir einenIrreduzibilitätstest für Polynome über K haben, das heißt also, das wir für jedes nichtkonstante Polynom entscheiden können, ob es irreduzibel ist oder nicht und im zweitenFalle einen echten Faktor extrahieren können.Die Existenz eines Irreduzibilitätstestes über K ist sicherlich dafür notwendig, daß

ein Körper K faktoriell ist: Ist etwa f(X) ein Polynom über einen faktoriellen KörperK, so betrachten wir eine Zerlegung f(X) = p1(X) · · · pr(X) in irreduzible Faktoren.Sind alle Faktoren bis auf einen Einheiten in K[X] (also in K), so ist f(X) irreduzibel.Andernfalls liefert uns die Zerlegung echte Teiler.Umgekehrt ist ein Irreduzibilitätstest aber auch dafür hinreichend, daß ein Körper

K faktoriell ist: Da K[X] als euklidischer Ring die aufsteigende Kettenbedingung fürHauptideale erfüllt, können wir durch Anwenden des Irreduzibilitätstestes nach endlichenvielen Schritten

f(X) = p1(X) · · · pr(X) (8.1)

bis auf Einheiten für jedes Polynom f(X) in K[X] schreiben, so daß die pi(X) alle-samt irreduzibel sind. Da in K[X] alle irreduziblen Elemente auch prim sind, ist dieZerlegung (8.1) bis auf Einheiten und Reihenfolge eindeutig.In Teil I haben wir auf diese Art und Weise gezeigt, daß Q ein faktorieller Körper ist.

Als weiteres Beispiel haben wir, daß jeder endliche Körper K (etwa Fp, wobei p einePrimzahl ist) ein faktorieller Körper ist: Da K nur endlich viele Elemente hat, gibt esjeweils nur endlich viele Polynome bis zu einem vorgegeben Grad. Damit können wirleicht feststellen, ob ein Polynom f(X) ∈ K[X] irreduzibel ist: Wir testen einfach allePolynome g(X) ∈ K[X] mit deg g(X) < deg f(X) durch, ob sie f(X) teilen.Der Rest des Abschnittes dreht sich darum, für weitere Körper zu zeigen, daß sie fak-

toriell sind. Leitfaden wird dabei die Beweisidee aus Teil I sein, die wir benutzt haben,um zu zeigen, daß Zahlkörper faktoriell sind. Wir wollen diese noch einmal wiederho-len: Sei L = Q(y) ein Zahlkörper, also eine einfache endliche Erweiterung von Q. Sei

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8. Körper

f(X) ∈ L[X] ein Polynom, welches wir über L in Faktoren zerlegen wollen. Ohne Ein-schränkung können wir annehmen, daß f(X) normiert ist. Wir faktorisieren f(X) überQ in Linearfaktoren, etwa f(X) =

∏i

(X − xi) mit xi ∈ Q. Faktoren von f(X) über

L sind dann genau diejenigen Teiler der Form (X − xi1) · (X − xi2) · · · (X − xik) mit1 ≤ i1 < i2 < · · · < ik ≤ n, welche in L[X] liegen, das heißt, für die die elementar-symmetrischen Funktionen in den xi1 , . . . , xik in K liegen. Wir können dies überprüfen,sobald wir einen Test dafür haben, ob eine gegebene algebraische Zahl x in L liegt odernicht.In Teil I sind wir dazu folgendermaßen vorgegangen: Wir haben ein primitives Element

z zu x und y gewählt. Dann ist x genau dann in K, wenn Q(z) = Q(y), was genau dannder Fall ist, wenn der Grad von z über Q gleich dem Grad von y über Q ist.Wir wollen dies in allgemeinerer Situation nachmachen. Dazu betrachten wir eine

einfache algebraische Körpererweiterung L = K(y) über einem faktoriellen Körper K(der Körper K spielt die Rolle von Q in obiger Situation). Wir wollen uns fragen, obL wieder faktoriell ist, ob wir also einen Irreduzibilitätstest für Polynome f(X) überL haben. Um das oben skizzierte Verfahren durchzuführen, müßten wir f(X) in einemnoch größeren Körper als L (oben war es im Körper Q der algebraischen Zahlen) inLinearfaktoren zerlegen. Es stellt sich also zuerst die Frage, ob es zu einem gegebenenKörper L und einem (nicht konstanten) Polynom f(X) über L einen Körper gibt, nennenwir ihn Ω, über dem f(X) in Linearfaktoren zerfällt. Wir werden im folgenden einensolchen Körper Ω allerdings nicht angeben — eine Konstruktion im eigentlichen Sinneist im allgemeinen auch gar nicht möglich. Allerdings werden wir ein Objekt angeben,welches sich ideellerweise wie so ein Körper Ω verhält.Dazu machen wir zunächst den Ansatz

Ω1 := L[T ]/(f(T )).

Dies ist eine nicht triviale L-Algebra, über der f(X) zumindest eine Nullstelle besitzt,nämlich T , denn wir haben ja gerade die Relation f(T ) = 0 herausgeteilt. Im allgemeinenwird Ω1 jedoch kein Körper sein (ist etwa f(X) = g(X) · h(X) mit echten Teilern g(X),h(X) ∈ L[X], so sind g(T ) und h(T ) echte Nullteiler in Ω1). Was macht aber einenKörper aus? In einem Körper muß für jedes Element x die Alternative gelten, daß esNull ist oder daß es invertierbar ist. Wie sieht es mit einem x ∈ Ω1 aus? Wir könnenx = g(T ) schreiben. Ist g(X) ein Vielfaches von f(X), so folgt x = 0 ∈ Ω1, und wir sindfertig. Andernfalls gibt es einen größten gemeinsamen Teiler d(X) von g(X) und f(X),der ein echter Teiler von f(X) ist. Wir schreiben d(X) = p(X) · f(X) + q(X) · g(X) fürp(X), q(X) ∈ L[X]. Jetzt machen wir eine Fallunterscheidung: Ist d(X) ein konstantesPolynom, also ohne Einschränkung d(X) = 1, so folgt q(X) · g(X) = 1 modulo f(X),das heißt q(T ) ist eine Inverse von x = g(T ) in Ω1, und wir sind auch fertig. Ist aberd(X) ein nicht konstantes Polynom, so ist

Ω′1 := L[T ]/(d(T )) = (L[T ]/(f(T )))/(d(T ))

ein nicht trivialer Quotient von Ω1, indem f(X) immer noch eine Nullstelle hat, nämlichweiterhin T . In Ω′1 ist x = g(T ) = 0, da d(X) ein Teiler von g(X) ist. Ersetzen wir alsounser Ω1 durch Ω′1, so haben wir x = 0, und wir sind wieder fertig.

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8.2. Faktorielle Körper

Wir können dieses Vorgehen damit folgendermaßen zusammenfassen: Ist L ein be-liebiger Körper und f(X) ein nicht konstantes Polynom, so gibt es eine nicht triviale,endlich präsentierte L-Algebra Ω1, in der f(X) eine Nullstelle hat. Für jedes x ∈ Ω1haben wir dann, daß entweder x = 0 oder daß x invertierbar ist, wobei wir eventu-ell das ursprünglich gewählte Ω1 durch einen Quotienten ersetzen müssen, der dieselbenEigenschaften wie Ω1 hat. Solange wir also nur endlich viele Elemente x1, . . . , xn diesbe-züglich betrachten, ob sie invertierbar oder gleich Null sind, können wir durch sukzessiveAnwendung dieses Vorgehens annehmen, daß Ω1 sich bezüglich dieser Elemente wie einKörper verhält, daß also für jedes xi ∈ Ω1 gilt, daß sie entweder invertierbar sind oderverschwinden.In diesem Sinne betrachten wir Ω1 als ideellen Oberkörper von L, wohlwissend, daß

Ω1 im allgemeinen kein echter Körper ist. Bei allen folgenden Anwendungen muß daherdarauf geachtet werden, daß in jedem einzelnen Schritte immer nur für höchstens endlichviele Elemente relevant ist, ob sie verschwinden oder invertierbar sind.Haben wir also einen ideellen Körper Ω1, über dem f(X) eine Nullstelle besitzt, nennen

wir sie x1, so können wir Polynomdivision ausführen und f(X) = (X − x1) · g(X)schreiben, wobei g(X) ein Polynom ist, dessen Grad eins niedriger als der Grad vonf(X) ist. Nach demselben Verfahren, wie wir Ω1 als ideeller Körper aus L konstruierthaben, in dem f(X) eine Nullstelle besitzt, können wir einen ideellen Körper Ω2 ausΩ1 konstruieren, indem g(X) eine Nullstelle besitzt, etwa x2. Wir können in Ω2 damitf(X) = (X − x1) · (X − X2) · h(X) für ein Polynom h(X) ∈ Ω2[X] schreiben. Setzenwir dieses Verfahren fort, erhalten wir nach einer endlichen Anzahl von Schritten einenideellen Körper Ωn = Ω, in dem wir f(X) = (X − x1) · · · (X − xn) schreiben können, indem f(X) also in Linearfaktoren zerfällt.In unserem Verfahren zur Zerlegung von f(X) in Linearfaktoren über L müssen wir

als nächstes feststellen, ob gewisse elementarsymmetrische Funktionen in den xi nichtnur in Ω, sondern sogar in L liegen, das heißt wir benötigen, um beim alten Verfahrenzu bleiben, ein Verfahren, primitive Elemente zu konstruieren. Wir sind in der folgendenSituation: Es ist L = K(y) eine einfache algebraische Erweiterung und x ∈ Ω ein überK algebraisches Element in einem (ideellen) Oberkörper von L. Die Aufgabe ist es,ein primitives Element von x und y in Ω zu konstruieren. Schauen wir in den Beweisvon Satz 3.29 auf Seite 102 noch einmal herein, sehen wir, daß wir die Minimalpolynomef(X) und g(X) von x bzw. y überK betrachten sollten. Im weiteren Verlauf des Beweiseshaben wir allerdings benötigt, daß das Minimalpolynom von g(X) separabel ist. Dieskonnten wir in der Situation von Teil I annehmen, denn irreduzible Polynome über denrationalen Zahlen sind immer separabel. Die Beweisidee war, daß der Grad von g′(X)eins weniger als der Grad von g(X) war und ein nicht trivialer größter gemeinsamerTeiler beider Polynome ein echter Faktor von g(X) wäre.Für beliebige Körper können wir jedoch nicht so schließen: So ist etwa g(X) = Xp−T

nach dem Eisensteinschen Kriterium angewandt auf das Primelement T in Fp[T ], wobeip eine Primzahl ist, im KörperK = Fp(T ) der rationalen Funktionen über Fp irreduzibel.Auf der anderen Seite ist aber

g′(X) = pXp−1 = 0,

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8. Körper

da p = 0 in K, es ist g(X) also nicht separabel. Aus diesem Grunde wollen wir denSatz über das primitive Element in der Situation eines allgemeinen Körpers etwas ein-geschränkter formulieren. Dazu nennen wir ein algebraisches Element x ∈ L einer Kör-pererweiterung L über K separabel, wenn es Nullstelle eines separablen Polynoms überK ist. Dies ist gleichbedeutend damit, daß das Minimalpolynom von x über K separabelist, denn Teiler separabler Polynome sind wieder separabel.Wir erhalten damit den Satz über das primitive Element in folgender Fassung:

Satz 8.12. Sei Ω ⊇ K eine Körpererweiterung. Seien x und y ∈ Ω, so daß x über Kalgebraisch und y über K separabel ist. Dann existiert ein über K algebraisches Elementz ∈ Ω, so daß

K(z) = K(x, y).

Beweis. Unter der zusätzlichen Annahme, daß y separabel über K ist, daß also dasMinimalpolynom g(X) von y über K separabel ist, geht der Beweis von Satz 3.29 aufSeite 102 ohne Änderungen durch, jedenfalls fast: Im zitierten Beweis definierten wireine endliche Menge S von Elementen aus K und mußten schließlich ein Element ausK außerhalb dieser Menge wählen. Im Falle von K = Q war dies kein Problem, weil Qunendlich viele rationale Zahlen enthält.Im allgemeinen müssen wir allerdings anders vorgehen: Sei etwa N die Anzahl der

Elemente in S. Sind 0, 1, . . . , N in K verschiedene Elemente, so gibt es in K Elementeaußerhalb von S, und wir können den alten Beweis verwenden. Andernfalls können wirannehmen, daß K ein Körper mit endlicher Charakteristik p ist, wobei p eine endlichePrimzahl ist (eine endliche Charakteristik muß eine Primzahl sein, da andernfalls KNullteiler hätte, nämlich die echten Teiler der Charakteristik). Es ist Fp kanonischerweiseein Unterkörper von K. Sind a1, . . . , an die Koeffizienten der Minimalpolynome f(X)und g(X) und ist K ′ := Fp(a1, . . . , an) ⊆ K die Menge der in a1, . . . , an rationalenAusdrücke über Fp, also der kleinste Zwischenkörper von K über Fp, der a1, . . . , anenthält, so reicht es offensichtlich, das Problem über K ′ anstelle über K zu lösen, dasheißt wir können ohne Einschränkung annehmen, daß K = K ′, daß also K über Fp vonden Koeffizienten von f(X) und g(X) erzeugt wird.Wir betrachten in K die endliche Menge M der Ausdrücke der Form P (a1, . . . , an),

wobei P (X1, . . . , Xn) ∈ Fp[X1, . . . , Xn] ein Polynom ist, in dem alle Variablen Xi jeweilshöchstens im GradeN vorkommen. Ist die Mächtigkeit vonM größer alsN , hatK wiedergenügend viele verschiedene Elemente, damit unser alter Beweis durchgeht. Andernfallswerden wir zeigen, daß K ein endlicher Körper ist: Sei

Q(X1, . . . , Xn) ∈ Fp[X1, . . . , Xn]

ein Polynom. Wir wollen zeigen, daß q := Q(a1, . . . , an) in M liegt. Da jedes Elementvon K ein Quotient von solchen Ausdrücken q ist, folgt die Endlichkeit von K dannsofort. Dazu schreiben wir Q(X1, . . . , Xn) wie folgt um: Ist ein ai = 0, so können wir inQ(X1, . . . , Xn) jede Potenz positiven Grades von Xi durch Xi selbst ersetzen, ohne q zuändern. Ist dagegen ai 6= 0, so betrachten wir die Reihe 1, ai, a2

i , . . . , aNi , die vollständig

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8.2. Faktorielle Körper

in M liegt. Da M aber nur höchstens N Elemente besitzt, muß ai in der multiplikativenGruppe von K eine Ordnung g von höchstens N besitzen. Damit können wir eine PotenzXmi in Q(X1, . . . , Xn) durch eine Potenz Xj

i mitm−j ≡ 0 modulo g und j < N ersetzen,ohne den Wert von q zu ersetzen. Es folgt, daß q ∈M liegt.Wir haben unser Problem also auf den Fall reduziert, daß K ein endlicher Körper

ist. In diesem Falle ist K(x, y) ebenfalls ein endlicher Körper. Nach der nachstehendenProposition wird die multiplikative Gruppe von K(x, y) von einem Elemente z erzeugt,das heißt wir haben auch hier K(x, y) = K(z).

Dem Beweis des Satzes entnehmen wir, daß Ω nicht notwendigerweise ein echter Körpersein muß, sondern ein Objekt, welches wir oben als ideellen Körper eingeführt haben.

Proposition 8.13. Sei K ein Körper. Sei G eine endliche Untergruppe der Einheiten-gruppe K× von K. Dann ist G zyklisch.

Für den Fall, daß K = Fp und G = F×p ist Proposition 8.13 gerade unser Hilfssatz 4.29auf Seite 153 über die Existenz primitiver Wurzeln modulo p. Der Beweis ist auch ganzähnlich:

Beweis. Seien x und y Elemente der Ordnungen n und m von G. Dann existiert einElement der Ordnung q, wobei q das kleinste gemeinsame Vielfache von n und m ist:Dazu schreiben wir q = ab, wobei a und b teilerfremde Zahlen sind, wobei a die Zahl mund b die Zahl n teilt. Wir behaupten dann, daß z = xayb von Ordnung q ist. Zunächstist offensichtlich zq = 1. Sei außerdem zj = 1. Dann ist xaj = y−bj , also xa2j = 1. Esfolgt, daß m ein Teiler von a2j ist. Da b ein zu m teilerfremder Teiler von m ist, folgt,daß b die Zahl j teilt. Analog zeigen wir, daß a die Zahl j teilt. Also ist j ≥ q.Wir wählen schließlich ein Element g maximaler Ordnung N in G. Aufgrund der

Vorüberlegung im ersten Absatz ist xN = 1 für jedes Element in G (denn das kleinstegemeinsame Vielfache der Ordnung von x und g kann nur N sein). Das Polynom XN −1hat höchstens N Nullstellen. Auf der anderen Seite hat es alle Elemente aus G alsNullstelle. Damit kann G höchstens N Elemente besitzen, also G = 1, g, g2, . . . , gN−1.

Mit Hilfe von Satz 8.12 auf der vorherigen Seite können wir also feststellen, ob einElement x in K(y) liegt, nämlich genau dann, wenn das Minimalpolynom des primitivenElementes z über K (welches wir berechnen können, da K faktoriell ist) denselbenGrad wie das Minimalpolynom von y über K hat. Zusammen mit dem Rest des obenskizzierten Verfahrens erhalten wir also ein Faktorisierungsverfahren für Polynome überK(y). Dies fassen wir in folgendem Satz zusammen:

Satz 8.14. Sei K ein faktorieller Körper. Ist L eine separable einfache Körpererweite-rung von K, so ist L ebenfalls faktoriell.

AufgabenAufgabe 8.2.1. Zerlege das Polynom

f(X) = X5 +X4 +X3 +X2 + 1

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8. Körper

über F3 in seine irreduziblen Faktoren.Aufgabe 8.2.2. Sei f(X) ein Polynom über einem endlichen Körper K. Zeige, daß eineendliche Körpererweiterung L von K existiert, über der f(X) in Linearfaktoren zerfällt.Aufgabe 8.2.3. Zeige, daß es außer der trivialen nur eine weitere endliche Untergruppender Einheitengruppe von Q existiert.Aufgabe 8.2.4. Sei N eine natürliche Zahl. Sei K ein faktorieller Körper, der keine end-liche Charakteristik kleiner oder gleich N hat. Sei L über K eine endliche Körpererwei-terung vom Grade N . Zeige, daß L faktoriell ist.Aufgabe 8.2.5. Sei A eine quadratische Matrix über einem Körper K. Zeige, daß dasMinimalpolynom von A genau dann separabel ist, wenn es eine endliche erzeugte K-Algebra E gibt, über der A diagonalisierbar ist.

8.3. Separabel faktorielle KörperUm beliebige Polynome über L faktorisieren zu können, ist es also wichtig, daß dieKörpererweiterung L ⊇ K separabel ist. Für die Zwecke der Galoisschen Theorie habenwir es in der Regel aber immer mit separablen Polynomen zu tun, die zu faktorisierensind. So gesehen liefert uns Satz 8.14 auf der vorherigen Seite etwas zu viel. Wir definierendaher zunächst einen separabel faktoriellen Körper als einen Körper, über dem jedesseparable Polynom eine Zerlegung in irreduzible Polynome besitzt (diese ist dann wiederim wesentlichen eindeutig). Jeder faktorielle Körper ist trivialerweise auch separabelfaktoriell.Ziel des Folgenden ist der Nachweis, daß einfache algebraische Körpererweiterungen se-

parabel faktorieller Körper wieder separabel faktoriell sind — im Gegensatz zu Satz 8.14auf der vorherigen Seite wollen wir also zeigen, daß die Eigenschaft, separabel faktori-ell zu sein, unter beliebigen und nicht nur separablen einfachen Körpererweiterungenerhalten bleibt.Dazu müssen wir noch etwas über separable Elemente einer Körpererweiterung Ω ⊇ K

ausholen: Seien x und y ∈ Ω über K separabel, das heißt, es existieren zwei separablePolynome f(X) und g(X) über K mit f(x) = 0 und g(y) = 0. Wir wollen zeigen,daß auch x + y und x · y separabel sind, wir müssen also separable Polynome über Kkonstruieren, die x + y bzw. x · y als Nullstelle haben. Dazu gehen wir folgendermaßenvor: Zunächst definieren wir die kommutative K-Algebra

E := K[U, V ]/(f(U), g(V )),

welche endlich-dimensional über K ist. Seien A die K-lineare Abbildung von E nach E,welche durch Multiplikation mit U gegeben ist und B die K-lineare Abbildung von Enach E, welche durch Multiplikation mit V gegeben ist. Die Minimalpolynome von Aund von B sind nach dem Cayley–Hamiltonschen Satz Teiler von f(X) und g(X), alsoinsbesondere separabel. Wir wählen eine (ideelle) Körpererweiterung Ω′ von Ω, über derdie Polynome f(X) und g(X) und damit auch die Minimalpolynome von A und von Bin Linearfaktoren zerfallen. Damit lassen sich A und B über Ω′ diagonalisieren und dies

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8.3. Separabel faktorielle Körper

sogar simultan, weil A und B wegen UV = V U vertauschen. Damit lassen sich auchSumme A+B und A ·B über Ω′ diagonalisieren, so daß wiederum die Minimalpolynomevon A+B und A ·B separabel sind. Ist etwa h(X) das separable Minimalpolynom vonA+B, so folgt insbesondere, daß h(U + V ) = 0. Definieren wir dann

φ : E → K, U 7→ x, V 7→ y

als Homomorphismus von K-Algebren, so folgt φ(h)(x + y) = 0, das heißt, x + y istNullstelle eines separablen Polynoms, nämlich φ(h). Genauso zeigt sich, daß x·y Nullstelleeines separablen Polynoms ist.Ist x 6= 0 und über K separabel, so folgt übrigens viel leichter, daß 1

x separabel ist:Wir können ohne Einschränkung davon ausgehen, daß f(X) einen nicht verschwindendenkonstanten Term hat. Dann ist g(X) = Xn · f( 1

X ), wobei n der Grad von f(X) ist, einseparables Polynom, welches 1

x als Nullstelle hat.Wir können damit schließen:

Proposition 8.15. Sei K ein Körper. Sei L eine Körpererweiterung von K. Dann bildetdie Menge der über K separablen Elemente in L einen Zwischenkörper, den sogenanntenseparablen Abschluß von K in L.

Genaugenommen haben wir etwas mehr gezeigt: In Proposition 8.15 reicht es anzuneh-men, daß L eine kommutative K-Algebra ist. In diesem Falle ist der separable Abschlußein Zwischenring von L über K.Eine Frage, die sich natürlich stellt, ist die, ob der separable Abschluß wirklich abge-

schlossen ist, das heißt ob ein Element y ∈ L, welches separabel über dem separablenAbschluß K von K in L ist, schon in K liegt. Dies folgt aus dem Zusatz folgendes Sat-zes, der eine Verallgemeinerung des Satzes über das primitive Element, Satz 8.12 aufSeite 348, ist.

Satz 8.16. Sei K ein Körper. Sei Ω eine Körpererweiterung von K. Sei x ∈ Ω al-gebraisch über K. Ist dann y ∈ Ω separabel über K(x), so existiert ein z ∈ Ω mitK(x, y) = K(z). Ist zudem x separabel über K, so ist auch y separabel über K.

Denn ist y ∈ L separabel überK, so ist y auch separabel über einer Körpererweiterungder Form K(x1, . . . , xn), wenn x1, . . . , xn die Koeffizienten eines separablen normiertenPolynoms überK sind, welches y als Nullstelle hat. Wegen Satz 8.12 auf Seite 348 könnenwir aber K(x1, . . . , xn) = K(x) für ein Element x ∈ K schreiben und dann Satz 8.16(mit Ω = L) anwenden.

Beweis. Wir zeigen zunächst, daß ein q ≥ 1 existiert, so daß yq separabel über K ist. Esist y sicherlich Nullstelle eines normierten Polynomes g(X) mit Koeffizienten in K, dennist etwa G(x, y) = 0, wobei G ∈ K[T,X], so können wir g(X) als dasjenige Polynomwählen, das wir erhalten, wenn wir in

∏iG(Xi, Y ) die elementarsymmetrischen Funk-

tionen in den Xi durch die Koeffizienten (bis auf Vorzeichen) eines Polynoms ersetzen,welches x als Nullstelle hat.

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8. Körper

Ist g′(X) nicht das Nullpolynom, so können wir g(X) durch den größten gemeinsamenTeiler von g(X) und g′(X) dividieren und erhalten ein separables Polynom, welches yals Nullstelle hat, so daß wir in diesem Falle q = 1 setzen können. Andernfalls mußeine natürliche Zahl (nämlich der Grad von g(X)) in K verschwinden, das heißt, K hatendliche Charakteristik p. Wegen g′(X) = 0 können wir offensichtlich g(X) = g1(Xp)schreiben. Das Polynom g1(X) hat yp als Nullstelle. Entweder ist wieder die Ableitungvon g1(X) ungleich Null, dann ist yp auch Nullstelle eines separablen Polynoms unddamit separabel, oder es existiert ein Polynom g2(X) mit g1(X) = g2(Xp), welches yp2

als Nullstelle hat, usw. Da die Folge der Grade der Polynome g1(X), g2(X), g3(X),. . . streng absteigend ist, existiert schlußendlich eine Potenz q von p, so daß yq separabelist.Aus unten stehendem Hilfssatz folgt, daßK(x, y) = K(x, yq). Damit folgt aus Satz 8.12

auf Seite 348 die Existenz von z und damit der erste Teil der zu beweisenden Proposition.Es bleibt, den Zusatz zu beweisen. Dazu nehmen wir also an, daß x separabel über Kist. Wir müssen zeigen, daß y separabel über K ist. Da Summe und Produkt separablerElemente wieder separabel sind, reicht es zu zeigen, daß z separabel ist. Es ist aber züber K in den über K separablen Elementen x und yq rational.

Hilfssatz 8.17. Sei p eine Primzahl. Seien K ein Körper der Charakteristik p und Eeine kommutative K-Algebra. Ist x ∈ E separabel über K, so ist x ein in xp rationalerAusdruck über K.

Da xp wieder separabel ist, können wir insbesondere schließen, daß x ein rationalerAusdruck in jeder Potenz xq ist, wobei q eine p-Potenz ist. Die Konklusion des Hilfssatzeskönnen wir also auch als K(xq) = K(x) schreiben.

Beweis. Sei f(X) ein separables Polynom über K, welches x als Nullstelle hat. Wirkönnen analog zu unseren Überlegungen annehmen, die zu Proposition 8.15 auf der vor-herigen Seite geführt haben, daß E = K[T ]/(f(T )) und daß x = T . Sei A diejenigeK-lineare Abbildung, die sich durch Multiplikation mit T von E nach E ergibt. Auf-grund der Separabilität von f(X) besitzt diese ein separables Minimalpolynom, läßt sichalso nach Übergang auf einen geeigneten Erweiterungskörper Ω von K diagonalisieren.Bezüglich derselben Basis können wir Ap diagonalisieren. Da Potenzieren mit p ein Kör-perhomorphismus und damit injektiv ist, sind zwei Diagonalelemente von A genau danngleich, wenn zwei Diagonalelemente von Ap gleich sind. Damit besitzen A und Ap die-selben Eigenräume (im allgemeinen allerdings zu unterschiedlichen Eigenwerten). In derLinearen Algebra wird gezeigt, daß die Projektion auf Eigenräume einer diagonalisier-baren Matrix ein Polynom in der Matrix ist, insbesondere sind also die Projektionen aufdie Eigenräume von A Polynome in Ap. Damit ist auch A ein Polynom in Ap und damitx ein Polynom in xp.

Als nächstes wollen wir folgende Aussage beweisen:

Proposition 8.18. Sei K ein separabel faktorieller Körper, und sei Ω ein Oberkörpervon K. Sei L = K(x), wobei x ∈ Ω ist, eine einfache algebraische Erweiterung von L.

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8.3. Separabel faktorielle Körper

Ist dann y ∈ Ω separabel über L, so ist L(y) eine endliche Erweiterung von L, das heißt,es gibt ein irreduzibles normiertes Polynom h(X) über L mit h(y) = 0.Wie wir dem Beweis der Proposition entnehmen werden können, reicht es aus anzu-

nehmen, daß Ω ein ideeller Körper ist.Aus Proposition 8.18 können wir dann folgern, daß einfache algebraische Erweiterun-

gen L separabel faktorieller Körper K wieder faktoriell sind: Für diese Folgerung müssenwir für ein separables (normiertes) Polynom g(X) über L entscheiden können, ob es überL irreduzibel ist oder nicht. Dazu wählen wir einen (ideellen) Oberkörper Ω von L, indem g(X) eine Nullstelle y besitzt. Diese ist nach Definition separabel über L, das heißtes gibt nach Proposition 8.18 ein irreduzibles normiertes Polynom über L, welches y alsNullstelle besitzt. Entweder ist h(X) = g(X), dann ist g(X) irreduzibel, oder es ist h(X)ein echter Faktor von g(X).Aus diesen Überlegungen können wir folgern:

Satz 8.19. Sei K ein separabel faktorieller Körper. Ist L ⊇ K eine endliche Erweiterungvon K, so ist L wieder ein separabel faktorieller Körper.Beweis von Satz 8.19. Aufgrund von Proposition 8.11 auf Seite 343 können wir anneh-men, daß L eine einfache endliche Erweiterung von K ist. Diesen Fall aber haben wirgerade schon behandelt.

Beweis von Proposition 8.18. Nach Satz 8.16 auf Seite 351 existiert ein zu x und y pri-mitives Element z über K, welches zudem separabel über L ist. Um ein irreduziblesPolynom über L angeben zu können, welches y als Nullstelle hat, reicht es, eine Basisvon L(y) über L zu bestimmen.Wie im Beweis von Satz 8.16 auf Seite 351 können wir annehmen, daß ein q ≥ 1

existiert, so daß w := zq über K separabel ist. (Im Falle von q > 1 ist q = pe für eine ≥ 0, wobei p die Charakteristik von K ist.) Damit ist auch xq über K separabel. Da Knach Voraussetzung separabel faktoriell ist, können wir Minimalpolynome von w und xqbestimmen, das heißt K(w) und K(xq) besitzen beide endliche Basen über K. Es folgt,daß auch K(w) endlich-dimensional über K(xq) ist.Sei etwa 1, w, w2, . . . , ws−1 eine Basis vonK(w) überK(xq). Wir behaupten, daß dann

die Elemente 1, w, . . . , ws−1 auch eine Basis von K(z) = L(y) über L = K(x) bildet.Dazu zeigen wir zunächst, daß diese Elemente K(z) als K(x)-Vektorraum erzeugen:Da zq = w ∈ K(w, x) und z separabel über K(x) ist, ist nach Hilfssatz 8.17 auf dervorherigen Seite auch z ∈ K(w, x), also ist K(z) = K(w, x).Es bleibt die lineare Unabhängigkeit von 1, w, w2, . . . , ws−1 über K(x) zu zeigen.

Dazu nehmen wir eine Linearkombination der Forms−1∑i=0

aiwi = 0

mit Koeffizienten ai ∈ K(x) an. Potenzieren wir diese Gleichung mit q = pe, also e-malmit p, so erhalten wir

0 =(∑

i

aiwi)q

=∑i

aqi (wi)q =

∑i

aqiwiq,

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8. Körper

da Potenzieren mit p und damit mit q ein Ringhomorphismus ist. Es ist aqi ∈ K(xq). Daw separabel über K ist, folgt wieder nach Hilfssatz 8.17 auf Seite 352, daß K(xq, w) =K(xq, wq), womit 1, wq, w2q, . . . , w(s−1)q eine Basis von K(xq, w) über K(xq) bilden.Folglich sind die aqi = 0, wegen der Injektivität der q-ten Potenz gilt also ai = 0, dasheißt 1, w, . . . , ws−1 sind über K(x) linear unabhängig.

Eine der wichtigsten Folgerungen von Satz 8.19 auf der vorherigen Seite ist die Exi-stenz eines sogenannten Zerfällungskörpers für separable Polynome f(X) über separabelfaktoriellen Körpern K: Dies ist ein (echter, nicht nur ideeller!) Körper L, über den f(X)in Linearfaktoren f(X) =

∏ni=1(X − xi) mit xi ∈ L zerfällt und der in gewisser Weise

der kleinst mögliche solcher Körper ist, das heißt jedes Element in L ist eine in x1, . . . ,xn über K rationale Zahl, was wir als L = K(x1, . . . , xn) schreiben.

Folgerung 8.20. Sei K ein separabel faktorieller Körper. Ist f(X) ein separables Po-lynom über K, so besitzt f(X) einen Zerfällungskörper L über K.

Beweis. Den Beweis führen wir per Induktion über den Grad n von f(X). Im Falle n = 1können wir L = K wählen. Andernfalls besitzt f(X) aufgrund der Voraussetzungeneinen irreduziblen Faktor p(X). Sei E = K[T ]/(p(T )). Aufgrund der Irreduzibilität vonp(X) ist E ein Körper. Über diesem besitzt f(X) eine Nullstelle, nämlich T , das heißt,wir können f(X) = (X − T ) · q(X) über E schreiben. Aufgrund von Satz 8.19 aufder vorherigen Seite ist E wieder separabel faktoriell, das heißt, wir finden nach derInduktionsvoraussetzung einen Zerfällungskörper L von q(X) über E. Dieser ist dannauch Zerfällungskörper von f(X) über K.

Der Zerfällungskörper L ist in dem Sinne nicht eindeutig, als daß jeder Homomor-phismus φ : L → L von K-Algebren schon die Identität ist, so daß wir nicht von demZerfällungskörper reden sollten, allerdings sind je zwei Zerfällungskörper L1 und L2 vonf(X) über K zueinander isomorph: Dies können wir wieder per Induktion über den Gradn von f(X) zeigen: Im Falle von n = 0 ist nichts zu zeigen. Andernfalls sei x1 eine Null-stelle von f(X) in L1. Da K separabel faktoriell ist, ist x1 Nullstelle eines irreduziblenFaktors p(X) von f(X). Damit gibt es aber auch eine Nullstelle y1 ∈ L2 von p(X).Damit gibt es einen Isomorphismus

φ : K(x1)→ K(y1), x1 7→ y1

von Algebren über K, welche beide wieder separabel faktoriell sind. Schreiben wirf(X) = (X − x1) · g(X) für ein Polynom g(X) und identifizieren wir K(x1) und K(y1)vermöge φ, so läßt sich φ aufgrund der Induktionsvoraussetzung angewandt auf g(X) zueinem Isomorphismus φ : L1 → L2 fortsetzen.

AufgabenAufgabe 8.3.1. Sei L ⊇ K eine Körpererweiterung. Sei x ∈ L über K separabel. Zeige,daß dann auch x über jeder Zwischenerweiterung E von L über K separabel ist.Aufgabe 8.3.2. Sei L ⊇ K eine Körpererweiterung. Sei x ∈ L separabel über einerZwischenerweiterung E von L über K. Warum ist x im allgemeinen nicht separabel überK?

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8.4. Vollkommene Körper

Aufgabe 8.3.3. Sei g(X) ein nicht konstantes normiertes Polynom über einem Körper Kmit g′(X) = 0. Warum hat der Körper K die Charakteristik einer Primzahl?Aufgabe 8.3.4. Sei g(X) ein normiertes Polynom über einem Körper K mit g′(X) = 0.Warum läßt sich g(X) = g1(Xp) für eine Primzahl p und ein Polynom g1 ∈ K[X]schreiben?Aufgabe 8.3.5. Sei p(X) ein irreduzibles Polynom über einem Körper K. Zeige, daßE := K[X]/(p(X)) eine Körpererweiterung von K ist.Aufgabe 8.3.6. Sei K ein Körper der Charakteristik einer Primzahl p. Sei L eine Kör-pererweiterung vonK. Sei x ∈ LmitK(x) = K(xp). Konstruiere ein separables Polynomüber K, welches x als Nullstelle hat.Aufgabe 8.3.7. Sei E = F3[X]/(X3 +X2 +2). Schreibe X ∈ E als einen in X3 rationalenAusdruck über F3.

8.4. Vollkommene KörperIn den letzten beiden Abschnitten sind wir auf das Phänomen gestoßen, daß irreduziblePolynome über beliebigen Körpern nicht notwendigerweise separabel sein müssen oderallgemeiner, daß nicht alle Elemente, die in einer Körpererweiterung algebraisch überdem Grundkörper sind, Nullstelle eines normierten separablen Polynoms sein müssen.Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Körpern — so auch alle, die wir in Teil I betrachtethaben — für die dieses Phänomen nicht auftritt. Diesen Körpern geben wir eine spezielleBezeichnung: Und zwar nennen wir einen Körper K vollkommen, falls jedes algebraischeElement über K, das heißt, jedes Element einer jeden Körpererweiterung von K, welchesalgebraisch über K ist, auch separabel über K ist.Über vollkommenen Körpern gilt zum Beispiel der Satz über das primitive Element

uneingeschränkt:Beispiel 8.21. SeiK ein vollkommener Körper. Dann ist jede endliche KörpererweiterungL von K einfach, denn ist L = K(x1, . . . , xn) nach Proposition 8.11 auf Seite 343, sokönnen wir nach Satz 8.12 auf Seite 348 ein primitives Element z zu x1, . . . , xn wählen,also haben wir L = K(z).Eine einfache Charakterisierung eines Körpers K als vollkommenen Körper, die oh-

ne Rückgriff auf beliebige Körpererweiterungen von K auskommt, wird durch folgendeProposition gegeben:

Proposition 8.22. Ein Körper K ist genau dann vollkommen, wenn jedes normiertePolynom über K ein Produkt separabler Polynome ist.

Die in Proposition 8.22 gegebene Charakterisierung wollen wir im folgenden kurz Zer-legbarkeit in separable Faktoren nennen. Über einem faktoriellen Körper bedeutet Zerleg-barkeit in separable Faktoren nichts anderes, als daß jedes irreduzible normierte Polynomseparabel ist.Ziel des Abschnittes wird es unter anderem sein, diese Proposition zu beweisen. Die

eine Richtung der Proposition ist sicherlich leicht: Zerfalle jedes normierte Polynom

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8. Körper

über K in separable Faktoren. Ist dann x ∈ L ein über K algebraisches Element einerKörpererweiterung L ⊇ K, so können wir insbesondere das normierte Polynom f(X)über K, welches x als Nullstelle hat, in ein Produkt separabler Faktoren zerlegen. Einerdieser Faktoren muß x wieder als Nullstelle haben, so daß x über K separabel ist. Alsoist K vollkommen.Die andere Richtung steht noch aus, also aus der Vollkommenheit von K die Faktori-

sierung von Polynomen in separable zu gewinnen. Dazu müssen wir ein wenig ausholen:

Satz 8.23. Über einem Körper K lassen sich normierte Polynome genau dann immerals Produkt separabler schreiben, falls für jede Primzahl p gilt, daß p 6= 0 in K oder daßjedes Element in K eine p-te Wurzel besitzt.

Die Bedingung für den Satz können wir auch so ausdrücken: Für alle Primzahlen pmuß jedes Element modulo p (also aufgefaßt im Ringe K/(p)) eine (dann eindeutige) p-teWurzel besitzen. (Ist nämlich p 6= 0 in K, so ist K/(p) der Nullring, in dem trivialerweisep-te Wurzeln existieren.)Zusammen mit Proposition 8.22 auf der vorherigen Seite sind also insbesondere al-

le Körper der Charakteristik 0, wie etwa Q, alle Zahlkörper oder Q vollkommen. Imnächsten Abschnitt werden wir deutlich machen, daß alle endlichen Körper ebenfallsvollkommen sind.

Beweis von Satz 8.23. Nehmen wir zunächst an, daß über K Zerlegbarkeit von Polyno-men in separable Faktoren gegeben ist. Ist dann p eine Primzahl mit p = 0 in K, somüssen wir zeigen, daß jedes Element a aus K eine p-te Wurzel besitzt. Dazu betrachtenwir das Polynom f(X) = Xp − a ∈ K[X]. In einer geeigneten (ideellen) Körpererwei-terung Ω über K zerfällt Xp − a in Linearfaktoren. Da jede Nullstelle von f(X) wegenf ′(X) = 0 mit maximaler Vielfachheit vorkommt, haben wir f(X) = (X − b)p über Ω,wobei b eine p-te Wurzel von a in Ω ist. Über K muß f(X) einen separablen Faktorbesitzen. Da aber jeder Faktor der Form (X − b)i mit i ≥ 2 über Ω aufgrund der Mehr-fachheit der Nullstelle nicht separabel ist, kann dieser Faktor, wenn überhaupt über Kdefiniert, auch nicht über K separabel sein. Folglich muß der einzige separable Faktor,nämlich X − b schon über K definiert sein, das heißt, eine p-te Wurzel von a existiert inK.Für die umgekehrte Richtung nehmen wr an, daß für jede Primzahl p inK gilt, daß p 6=

0 oder daß alle Elemente inK eine p-te Wurzel besitzen. Sei f(X) ein normiertes Polynomüber K. Wir müssen zeigen, daß f(X) als Produkt separabler Polynome geschriebenwerden kann. Dabei reicht es offensichtlich, wenn wir zeigen können, daß f(X) einennicht trivialen separablen Faktor besitzt.Wie im Beweis von Satz 8.16 auf Seite 351 folgern wir, daß ein q existiert, so daß f(X)

einen Faktor der Form g(Xq) enthält, wobei g ∈ K[X] ein nicht konstantes separablesnormiertes Polynom ist. Dabei ist entweder q = 1 oder q = pn für eine positive natürlicheZahl n und eine Primzahl p mit p = 0 in K. Im Falle q = 1 enthält f(X) einen separablenFaktor, und wir sind fertig. Andernfalls ist die Abbildung

K[X]→ K[X], h(X) 7→ (h(X))q

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8.4. Vollkommene Körper

ein Homomorphismus von Ringen, da q eine p-Potenz ist und die Charakteristik von Kim betrachteten Falle gerade p ist. Im Bild der Abbildung liegen gerade alle Polynomein Xq, deren Koeffizienten q-te Potenzen von Elementen aus K sind. Da aber aufgrundder Existenz p-ter Wurzeln jedes Element eine q-te Potenz ist, liegen im Bild des Ho-momorphismus alle Polynome in Xq über K. Folglich existiert ein h(X) ∈ K[X] mith(X)q = g(Xq). Es läßt sich zeigen, daß aus der Separabilität von g(X) die Separabili-tät von h(X) folgt. Einfacher ist es jedoch, mit dem Faktor h(X) von f(X) anstelle vonf(X) weiterzumachen und dann per Induktion über den Grad von f(X) zu schließen.

Die Nichtvollkommenheit eines Körpers liegt nach Satz 8.23 auf der vorherigen Seitealso daran, daß gewisse p-te Wurzeln nicht existieren. Es stellt sich die Frage, ob wireinen Körper K zu einem vollkommenen Körper erweitern können, indem wir einfachgeeignet p-te Wurzeln hinzufügen. Und genau dies ist möglich. Wir nennen eine Kör-pererweiterung L von K einen vollkommenen Abschluß von K, falls L vollkommen istund falls für alle x ∈ L schon x ∈ K gilt oder K von Charakteristik p > 0 ist und einx eine q-te Wurzel eines Elementes auf K ist, wobei q = pn für eine positive natürlicheZahl n. Wir werden weiter unten sehen, daß wir von dem vollkommenen Abschluß redendürfen.Ist K gegeben, so können wir einen vollkommenen Abschluß wie folgt konstruieren:

Sei p0, p1, p2, . . . die aufsteigende Folge aller Primzahlen. Für jede natürliche Zahl i seiKi := K und φi : Ki → Ki+1 folgendermaßen definierter Homomorphismus: Liegt dieCharakteristik von K in der Menge p0, p1, . . . , pi, so sei φi(x) = xp für alle x ∈ Ki,wenn p diese Charakteristik ist. Anderfalls sei φi(x) = x für alle x ∈ Ki. Wir bildendann den gerichteten Limes

L = lim−→i∈N0

Ki

bezüglich der Ringhomomorphismen

K0φ0−→ K1

φ1−→ K2φ2−→ · · · .

Der natürliche Homomorphismus K = K0 → L macht L zu einer Erweiterung von K.Wir behaupten, daß L ein vollkommener Abschluß von K ist. Wir überlassen es demLeser zu zeigen, daß L ein Körper ist.Dazu zeigen wir zunächst, daß L vollkommen ist. Sei also x ∈ L und sei p eine Primzahl

mit p = 0 in K. Wir müssen zeigen, daß x eine p-te Wurzel besitzt. Nach Definition desgerichteten Limes wird x durch ein xi ∈ Ki dargestellt, wobei wir p ≤ pi annehmendürfen. Da Ki = K = Ki+1, können wir xi auch als Element xi+1 von Ki+1 betrachten.Sei y das von xi+1 ∈ Ki+1 in L repräsentierte Element. Es ist xpi+1 = φi(xi) ∈ Ki+1.Nach Definition des gerichteten Limes ist y damit eine p-te Wurzel von x.Es bleibt zu zeigen, daß für jedes Element x ∈ L gilt, daß x ∈ K oder daß K von

Charakteristik p > 0 ist und xq ∈ K für eine p-Potenz q. Das Element x wird durch einxi ∈ Ki dargestellt. Ist K nicht von Charakteristik p0, . . . , pi, so sind die φj mit j < iallesamt Identitäten und x wird schon durch ein Element aus K0 dargestellt, das heißt,x liegt schon in K. Anderfalls gibt es ein j ≤ i, so daß p = pj die Charakteristik von

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8. Körper

K ist. Dann wird xpi−j durch ein Element xj aus Kj dargestellt, dazu müssen wir xj

gerade gleich xi wählen. Da die φk mit k < j wieder allesamt Identitäten sind, könnenwir wieder schließen, daß xpi−j ∈ K.Wir wollen zeigen, daß der vollkommene Abschluß im wesentlichen eindeutig ist:

Proposition 8.24. Seien L1 und L2 zwei vollkommene Abschlüsse eines Körpers K.Dann existiert genau ein Isomorphismus φ : L1 → L2 von K-Algebren.

Beweis von Proposition 8.24. Sei x ∈ L1. Ist x ∈ K, so muß φ(x) = x gelten, alsoist φ ein Homomorphismus über K. Im anderen Falle ist xq ∈ K, wobei q eine p-Potenz ist und p positive Charakteristik von K. Es muß also φ(xq) = xq gelten. DaL2 vollkommen ist, existiert eine q-te Wurzel y von xq in L2. Da Potenzieren mit q alsKörperhomomorphismus injektiv ist, ist y eindeutig durch xq bestimmt, das heißt, wirhaben φ(x) = y. Im Falle der Existenz ist φ also eindeutig.Es läßt sich leicht zeigen, daß durch diese Setzungen auch ein Homomorphismus

φ : L1 → L2 überK definiert wird. Durch Vertauschen der Rollen von L1 und L2 erhaltenwir eine Umkehrung von φ, so daß φ ein Isomorphismus ist.

Schließlich können wir den Beweis unserer Charakterisierung vollkommener Körpervom Anfang abschließen.

Beweis von Proposition 8.22 auf Seite 355. Sei K vollkommen. Es bleibt zu zeigen, daßsich Polynome über K in separable Faktoren zerfallen. Dies ist nach Satz 8.23 auf Sei-te 356 gleichbedeutend damit, daß für jede Primzahl p gilt, daß p 6= 0 in K oder daßjedes Element in K eine p-te Wurzel besitzt. Sei also p eine Primzahl mit p = 0 in K. Seia ∈ K. Wir müssen zeigen, daß eine p-te Wurzel von a existiert. Dazu wählen wir einenvollkommenen Abschluß L von K, in dem sicherlich eine p-te Wurzel b von a existiert. Esist b algebraisch und damit auch separabel über a. Damit haben wir nach Hilfssatz 8.17auf Seite 352, daß b über K in bp = a rational ist, also selbst in K liegt.

Beispiel 8.25. Ist L eine einfache endliche Erweiterung über einem vollkommenen Kör-per K, also L = K(x) für ein über K algebraisches Element x ∈ L, so ist L wiedervollkommen: Ist nämlich p eine Primzahl mit p = 0 in L (und damit in K), so gilt

(K(x))p = Kp(xp) = K(xp) = K(x),

wobei die vorletzte Gleichheit an der Vollkommenheit von K und die letzte an derSeparabilität von x (zusammen mit Hilfssatz 8.17 auf Seite 352) liegt. Damit besitztjedes Element in K(x) eine p-te Wurzel.Da jede endliche Erweiterung über einem vollkommenen Körper ein Turm einfacher

Erweiterungen ist, haben wir sogar gezeigt, daß jede endliche Erweiterung eines vollkom-menen Körpers wieder vollkommen ist.Beispiel 8.26. Ist L eine einfache transzendente Erweiterung eines Körpers K positiverCharakteristik p, das heißt L = K(T ), so ist L nicht vollkommen, denn Xp − T ist einPolynom über L, welches keinen einzigen nicht trivialen separablen Faktor besitzt.

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8.5. Endliche Körper und der Frobenius

AufgabenAufgabe 8.4.1. Sei K ein faktorieller Körper. Begründe, warum K genau dann vollkom-men ist, wenn jedes irreduzible Polynom über K separabel ist. Welche Richtung giltnoch, wenn wir nicht wissen, ob K faktoriell ist?Aufgabe 8.4.2. Sei K0, K1, K2, . . . eine Folge von Körpern. Seien Körperhomomorphis-men φi : Ki → Ki+1 gegeben, bezüglich derer der gerichtete Limes

L = lim−→i∈N0

Ki

gebildet wird. Zeige, daß L ein Körper ist. Wie kann L in natürlicher Weise als Kör-pererweiterung für alle Körper Ki aufgefaßt werden?Aufgabe 8.4.3. Wieso ist

Kp−∞

ein sinnvolles Symbol für den vollkommenen Abschluß eines Körpers positiver Charak-teristik p?Aufgabe 8.4.4. Sei R ein kommutativer Ring positiver Charakteristik p, das heißt R istnicht der Nullring und p = 0 in R. Sei

lim←−i∈N0

Rpi

die Menge aller Folgen (x0, x1, x2, . . . ) mit xi ∈ R und xpi+1 = xi für alle i ∈ N0.Durch gliedweise Addition und Multiplikation der Folgen wird E := lim←−

i

Rpi zu einem

kommutativen Ring. Zeige, daß in E jedes Element eine p-te Wurzel besitzt.Zeige, daß unter der Voraussetzung, daß R ein Körper ist, der Ring E vermöge der

Abbildung(x0, x1, x2, . . . ) 7→ x0

zu einem vollkommenen Unterkörper von R wird und mit denjenigen Elementen in Ridentifiziert werden kann, die alle q-ten Wurzel besitzen, wobei q eine beliebige p-Potenzist.Im allgemeinen heißt der Ring E die Vervollkommnung von R.

8.5. Endliche Körper und der FrobeniusWir haben inzwischen genügend viel Material gesammelt, um alle endlichen Körpervollständig zu klassifizieren. Wie bisher nennen wir dabei einen Körper endlich, wennseine zugrundeliegende Menge von Elementen eine endliche Menge ist.Beispiele, die wir an endlichen Körpern bisher haben, sind die Körper Fp = Z/(p),

wenn p eine Primzahl ist. Dies sind jedoch nicht die einzigen endlichen Körper. So istetwa X2 + X + 1 über F2 ein irreduzibles Polynom, so daß K = F2[X]/(X2 + X + 1)eine Körpererweiterung von F2 vom Grade 2 ist, also 22 = 4 Elemente besitzt.

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8. Körper

Was können wir über einen allgemeinen endlichen Körper K sagen? Da die additiveGruppe von K endlich ist, hat insbesondere 1 ∈ K endliche Ordnung, das heißt K istnach Definition von endlicher Charakteristik p. Nach dem Homomorphiesatz für Ringeerhalten wir, daß

Z/(p)→ K, n 7→ n · 1ein wohldefinierter injektiver Homomorphismus von Ringen ist, wir können Z/(p) alsoals Unterring von K auffassen. Damit ist Z/(p) ein Integritätsbereich, also p eine Prim-zahl, eine Tatsache, die wir uns auch schon vorher überlegt hatten. Damit besitzt jeder(endliche) Körper der Charakteristik p > 0 einen eindeutigen Unterkörper Fp. Es heißtFp der Primkörper von K. Wir können dies auch so ausdrücken, daß jeder Körper K derCharakteristik p > 0 eine Körpererweiterung von Fp ist.Da unser K endlich als Menge ist, ist insbesondere die Dimension von K über Fp

endlich, das heißt K ist eine endliche Körperweiterung von Fp. Endliche Körper K sindalso nichts anderes als endliche Körpererweiterungen von Fp. Ist

n = [K : Fp]

der Grad dieser Körpererweiterung, so besitzt K eine Basis v1, . . . , vn der Länge n überFp, das heißt die Menge K steht in Bijektion mit der Menge der Linearkombinationender Form

a1v1 + · · · anvnmit ai ∈ Fp, von denen es offensichtlich pn gibt, da Fp genau p Elemente enthält. Esfolgt, daß die Anzahl der Elemente eines endlichen Körpers K der Charakteristik p > 0immer eine Potenz q = pn, n ≥ 1 von p ist. Damit gibt es zum Beispiel keine Körper mit6 oder mit 100 Elementen.Aus Proposition 8.13 auf Seite 349 folgt, daß die Einheitengruppe K× zyklisch ist und

damit zyklisch von Ordnung q − 1, denn K× = K \ 0 enthält gerade q − 1 Elemente.Folglich gilt xq−1 = 1 für alle x ∈ K \ 0 und damit

xq − x = 0

für alle x ∈ K. Alle Elemente vonK sind also Nullstellen des Polynoms f(X) = Xq−X ∈K[X]. Da dieses Polynom auch nur höchtens q verschiedene Nullstellen haben kann,folgt die Separabilität von f(X) (die allerdings auch schon aus der Tatsache folgt, daßf ′(X) = −1 keinen gemeinsamen Teiler mit f(X) hat). Sind x1, . . . , xq die Elementevon K, so haben wir außerdem

Xq −X = (X − x1) · · · (X − xq),

das heißt K ist ein Zerfällungskörper dieses Polynoms über Fp. Nach unseren Überlegun-gen zum Schluß von Abschnitt 8.3 auf Seite 350 ist K damit bis auf Isomorphie eindeutigdurch Xq −X und Fp bestimmt, das heißt, wir erhalten folgende wichtige Tatsache: Jezwei endliche Körper mit q Elementen sind isomorph1.

1In vielen Texten wird daher von dem endlichen Körper Fq gesprochen. Wir wollen uns dieser Sichtweisenicht anschließen. Im letzten Teil des Buches beschreiben wir, daß Fq besser als das (!) Gruppoid derendlichen Körper mit q Elementen definiert werden sollte.

360

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8.5. Endliche Körper und der Frobenius

Es stellt sich die Frage nach der Existenz von Körpern mit q = pn Elementen: NachFolgerung 8.20 auf Seite 354 wissen wir, daß ein KörperK existiert, der Zerfällungskörpervon f(X) := Xq −X über Fp ist, da Xq −X über Fp separabel ist. Sei K ′ die Mengealler Nullstellen von f(X) in K. Dann enthält K ′ insgesamt q Elemente, nämlich alldiejenigen Elemente x ∈ K mit xq = x. Da Potenzieren mit q wegen p = 0 in K einKörperhomomorphismus ist, ist Summe und Produkt und Inverse (im Falle der Existenzin K) von Elementen in K ′ wieder in K ′, das heißt K ′ ist ein Unterkörper von K. Daf(X) schon über K ′ in Linearfaktoren zerfällt und K ′ über Fp von den Nullstellen vonf(X) erzeugt wird, muß nach Definition eines Zerfällungskörpers schon K = K ′ gelten,das heißt K ist unser gesuchter Körper mit q Elementen.Aus obigen Überlegungen folgt:

Proposition 8.27. Sei K ein Körper der Charakteristik p > 0, über dem das PolynomXq −X vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Dann besitzt K genau einen Unterkörpermit q Elementen. Dieser ist gerade durch alle Nullstellen des Polynoms Xq−X gegeben.

Wie können wir die Proposition speziell auf endliche Körper anwenden, das heißt,wann enthält ein endlicher Körper L mit q′ = pn

′ Elementen einen (und dann genaueinen) Unterkörper K mit q = pn Elementen? Wenn so ein K existiert, muß q′ einePotenz von q sein, nämlich q′ = qd, wenn d der Grad von L über K ist. Folglich habenwir zwingend, daß n′ = nd, daß also q′ eine Potenz von q ist, falls ein Unterkörper derOrdnung q in L existiert. In diesen Falle haben wir aber, daß

Xqd −X = X · (Xqd−1 − 1) = X · ((Xq−1)1+q+q2+···+qd−1 − 1),

was, wiederum nach der Formel für die geometrische Reihe ein Vielfaches von Xq−X =X · (Xq−1 − 1) ist. Das heißt also, daß L auch q verschiedene Nullstellen von Xq − Xenthält. Damit haben wir, daß ein endlicher Körper L mit q′ Elementen genau danneinen (und dann genau einen) Unterkörper K mit q Elementen enthält, wenn q′ einePotenz von q ist.Kommen wir noch einmal zur Nicht-Eindeutigkeit eines KörpersK mit q = pn Elemen-

ten zurück. Dieser ist insofern nicht eindeutig, als daß er nicht triviale Automorphismenbesitzt. Im folgenden wollen wir die Automorphismengruppe von K bestimmen: Dazuerinnern wir zunächst, daß Potenzieren mit p ein Homomorphismus von K ist. Dieserbekommt einen speziellen Namen, er heißt der Frobeniussche2 Homomorphismus (oderkurz Frobenius)

Frob: K → K, x 7→ xp.

Da K ein Körper ist, ist Frob injektiv, da K zudem endlich ist, ist Frob als injektiveAbbildung zwischen gleichmächtigen endlichen Mengen bijektiv, also ein Körperautomor-phismus. Wir wollen zeigen, daß Frob die Gruppe Aut(K) der Körperautomorphismenerzeugt, genauer, daß Aut(K) eine zyklische Gruppe der Ordnung n mit Erzeuger Frobist.

2Ferdinand Georg Frobenius, 1849–1917, deutscher Mathematiker

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8. Körper

Ist x ∈ K, so istFrobn(x) = xp

n = xq = x,

also Frobn = idK , das heißt also, die Ordnung d von Frob in Aut(K) ist ein Teiler vonn. Nach Definition von d ist Frobd = idK , also xpd = x für alle x ∈ K. Daraus folgt, daßalle x ∈ K Nullstelle des Polynoms Xpd − X = 0 sind. Dieses Polynom hat genau pd

Nullstellen, womit pd ≥ q = pn gelten muß, so daß d ≥ n. Damit folgt d = n, das heißtalso, Frob ist ein Automorphismus der Ordnung n. Es bleibt zu zeigen, daß idK , Frob,Frob2, . . . , Frobn−1 die einzigen Automorphismen von K sind, daß also K höchstens nAutomorphismen hat. Dies folgt aber aus der Tatsache, daß K von einem Element xüber Fp erzeugt wird (wir können x als einen Erzeuger der multiplikativen Gruppe vonK wählen). Da jeder Automorphismus von K die Elemente aus Fp ⊆ K invariant lassenmuß (denn diese sind allesamt ganzzahlige Vielfache der Eins), ist ein Automorphismusvon K schon durch sein Bild von x gegeben. Das Minimalpolynom f(X) von x über Fpist wegen [K : Fp] = n vom Grade n und hat damit höchstens n verschiedene Nullstellen.Das Polynom f(X) wird unter jedem Automorphismus auf sich selbst abgebildet, so daßdas Bild von x unter jedem Automorphismus wieder eine Nullstelle von f(X) sein muß.Damit kann es höchstens n Automorphismen geben. Wir haben also bewiesen:

Satz 8.28. Seien p eine Primzahl und n eine positive natürliche Zahl. Sei q = pn. Dannist die Gruppe der Automorphismen eines Körpers mit q Elementen zyklisch der Ordnungn und wird vom Frobenius erzeugt, das heißt, wir haben

Aut(Fq) = id,Frob,Frob2, · · · ,Frobn−1,

wobei alle Elemente der rechten Seite paarweise disjunkt sind.

(Wir dürfen hier symbolisch Fq für einen Körper mit q Elementen schreiben, weil dieAutomorphismengruppe invariant unter Automorphismen eines Körpers mit q Elementenist, so daß es auf einen speziell gewählten KörperK mit q Elementen gar nicht ankommt.)Der Frobenius ist nicht nur für endliche Körper, sondern allgemein für Körper K einer

Charakteristik p > 0 definiert. Im allgemeinen Falle ist er wegen Satz 8.23 auf Seite 356offensichtlich genau dann ein Isomorphismus, wenn K ein vollkommener Körper ist.Seine Umkehrung ist dann das Ziehen einer p-ten Wurzel in K. Diese ist eindeutig. Dader Frobenius für endliche Körper bijektiv ist, folgt insbesondere die Vollkommenheitendlicher Körper.Aus mathematischer Sicht sind die endlichen Körper sicherlich hochinteressant, aller-

dings können wir natürlich auch die Frage ihrer Anwendung auf „reale“ Probleme auf.Wir wollen eine amüsante angeben. Dazu betrachten wir das Einpersonenspiel Solitaire,welches auf einem Brett gespielt wird, in dem Löcher in der Form wie in AbbildungAbbildung 8.1 auf der nächsten Seite gebohrt sind. Zu Beginn des Spieles sind kleineStifte in allen Löchern außer dem zentralen gesteckt. Ein Spielzug besteht darin, einenStift in horizontaler oder vertikaler Richtung über einen anderen in ein leeres Loch zuziehen. Dabei wird der übersprungene Stift entfernt. Ziel des Spieles ist es, alle Stiftebis auf einen durch Spielzüge zu entfernen. Das Spiel ist lösbar. Wir können aber auchgenauer fragen, welche Endpositionen auf dem Brett für den letzten Stift möglich sind.

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8.5. Endliche Körper und der Frobenius

Abbildung 8.1.: Ein Solitaire-Brett

Dazu benutzen wir einen Körper mit 4 Elementen, nämlich K = F2[T ]/(T 2 + T + 1).Wir setzen S := T + 1. Dann ist S das Inverse von T in K, und wir haben

K = 0, 1, T, S.

Wir betrachten die Löcher des Solitaire-Brettes in natürlicher Weise als Teilmenge vonZ2, so daß jedes Loch zwei ganzzahlige Koordinaten bekommt, wobei wir den Mittelpunktdes Bretter auf den Gitterpunkt (0, 0) legen. Ist M = (m,n) eine Menge von Stiftenmit Koordinaten m und n, also etwa der Zustand auf dem Brett nach einer Reihe vonZügen, so definieren wir die beiden Körperelemente

a(M) =∑

(m,n)∈MTm+n und b(M) =

∑(m,n)∈M

Tm−n ∈ K.

Da T 2 + T + 1 = 0 in K gilt, ändert jeder legale Zug weder den Wert von a noch von b,diese sind also Invarianten des Spiels. Für die StartpositionM0 gilt a(M0) = b(M0) = 1,wie sich leicht berechnen läßt. Endet das Spiel also mit einem einzelnen Stift mit denKoordinaten (m,n), so muß also Tm+n = Tm−n = 1 gelten. Es ist T 3 = 1, woraus folgt,daß m+ n und m− n Vielfache von 3 sein müssen. Es folgt, daß die mögliche Endposi-tionen in Koordinaten nur (0, 0), (±3, 0) und (0,±3) sein können. Durch Probieren läßtsich im übrigen bestätigen, daß alle diese drei Endpositionen auch eingenommen werdenkönnen.

AufgabenAufgabe 8.5.1. Sei K ein Körper endlicher Charakteristik. Zeige, daß sein Primkörperder kleinste Unterkörper (bezüglich der Inklusionsrelation) von K ist.Aufgabe 8.5.2. Gibt es in einem Körper mit 27 Elementen einen Unterkörper mit 9Elementen?Aufgabe 8.5.3. Zeige, daß in einem Körper K mit 25 Elementen eine Quadratwurzel

√2

aus 2 existiert. Gib einen Erzeuger der multiplikativen Gruppe von K der Form a+ b√

2an, wobei a und b ∈ F5.

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8. Körper

Aufgabe 8.5.4. Seien q und d positive natürliche Zahlen. Berechne den Quotienten vonXqd −X nach Xq −X.Aufgabe 8.5.5. Seien p eine Primzahl und n und d positive natürliche Zahlen. Sei q = pn.Sei L ein Körper mit qd Elementen und K sein Unterkörper mit q Elementen. Zeige, daßdie Gruppe der Automorphismen von L als K-Algebra von Frobn erzeugt wird und dElemente besitzt.Aufgabe 8.5.6. Gib die siebenten Wurzeln aller Elemente von F7 an.Aufgabe 8.5.7. Sei K ein Körper positiver Charakteristik p. Zeige, daß K genau dannvollkommen ist, wenn der Frobenius von K ein Isomorphismus von K auf sich selbst ist.

8.6. Separable und inseparable ErweiterungenIn diesem Abschnitt wollen wir separable Erweiterungen und ihr Gegenstück, die soge-nannten (rein) inseparablen Erweiterungen noch einmal ausführlicher behandeln. Begin-nen wir mit einer endlichen Erweiterung L eines Körpers K. Ist L über K separabel,das heißt, ist jedes Element von L separabel über K, so ist L über K automatisch eineeinfache endliche Erweiterung: Zunächst ist L = K(x1, . . . , xn) für separable Elementex1, . . . , xn von L über K nach Proposition 8.11 auf Seite 343. Nach dem Satz über dasprimitive Element, Satz 8.16 auf Seite 351, existiert ein zu x1, . . . , xn über K primitivesElement z ∈ L, also L = K(z). Wir sagen deswegen, endliche separable Körpererweite-rungen sind einfach.Ist L über K eine beliebige endliche Körpererweiterung, so können wir nach Proposi-

tion 8.15 auf Seite 351 den separablen Abschluß K von K in L betrachten und erhaltendie größtmögliche separable Zwischenerweiterung in L über K. Wir wollen zeigen, daßK über K wieder endlich ist, daß wir den obigen Überlegungen nach also K = K(z) fürein separables Element z ∈ L schreiben können, daß also ein über K separables Elementz ∈ L existiert, so daß jedes andere über K separable Element in L über K rational inz ist:Dazu schreiben wir zunächst L = K(x1, . . . , xn) für über K algebraische Elemente

x1, . . . , xn. Nach denselben Überlegungen wie im Beweis von Satz 8.16 auf Seite 351existieren natürliche Zahlen q1, . . . , qn, so daß xq1

1 , . . . , xqnn über K separabel sind.Hierbei sind die qi entweder gleich Eins oder Potenzen einer positiven Charakeristik vonK. Wir behaupten, daß

K = K(xq11 , . . . , x

qnn ).

Zunächst sind alle Elemente der rechten Seite sicherlich separabel über K, so daß nurnoch zu zeigen bleibt, daß ein über K separables Element z in xq1

1 , . . . , xqnn rational überK ist. Aus z ∈ K[x1, . . . , xn] folgt zq ∈ K[xq1, . . . , xqn], wobei q das Maximum von q1,. . . , qn ist. Da aber z als separables Element über K nach Hilfssatz 8.17 auf Seite 352in zq rational ist, sind wir fertig.Es folgt, daß die Erweiterung L ⊇ K ebenfalls endlich ist und daß für jedes Element

x ∈ L gilt, daß x über K gemäß folgender Definition rein inseparabel ist: Ein Elementx ∈ L heißt rein inseparabel über K, falls x ∈ K oder falls die Charateristik von K eine

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8.6. Separable und inseparable Erweiterungen

positive Primzahl p ist und xpe ∈ K für ein e ≥ 0 gilt. (Aus dieser Definition folgt leicht,daß Summe, Potenz und Inverse rein inseparabler Elemente wieder rein inseparabel sind.)Da jedes Element von L über K inseparabel ist, nennen wir die Körpererweiterung vonL über K eine rein inseparable Erweiterung.Wir haben also gesehen, daß wir jede endliche Körpererweiterung L über K in einen

Turm einer separablen K ⊇ K und einer rein inseparablen endlichen Erweiterung L überK zerlegen können. Wir nennen

[L : K]s := [K : K]

den Separabilitätsgrad von L über K und

[L : K]i := [L : K]

den Inseparabilitätsgrad von L über K. Nach der Gradformel gilt offensichtlich

[L : K] = [L : K]i · [L : K]s.

Im folgenden wollen wir eine Interpretation für den Separabilitätsgrad geben. Dazu wie-derholen wir, daß wir einen Körper Ω algebraisch abgeschlossen nennen, wenn jedes nor-mierte Polynom f ∈ Ω[X] über Ω in Linearfaktoren zerfällt. (Algebraisch abgeschlosseneKörper sind also insbesondere faktoriell.) Dann haben wir:

Proposition 8.29. Sei Ω ein algebraisch abgeschlossener Oberkörper von K. Dann istdie Anzahl der Körperhomomorphismen φ : L→ Ω, die eingeschränkt auf K die Identitätsind, gleich dem Separabilitätsgrad von L über K.

Beweis. Da K eine endliche separable Körpererweiterung von K ist, können wir K =K(z) für ein z ∈ L schreiben, wobei z Nullstelle eines separablen irreduziblen normiertenPolynomes f(X) ∈ K[X] ist. Das Polynom f(X) besitzt in Ω insgesamt n verschiedeneNullstellen z1, . . . , zn, wobei n der Grad von f(X), also der Grad von K über Kalso der Separabilitätsgrad von L über K ist. Da K(z) = K[T ]/(f(T )) gibt es für allei ∈ 1, . . . , n genau einen Körperhomomorphismus

φi : K → Ω, z 7→ zi

welcher eingeschränkt auf K die Identität ist. Damit reicht es zu zeigen, daß sich jederdieser Körperhomomorphismen eindeutig auf L fortsetzen läßt.Jedes Element von L ist rein inseparabel über K, das heißt es existiert ein q ≥ 1

(wobei q = 1 gilt oder q eine Potenz einer positiven Charakteristik von K ist), so daßxq ∈ K. Ist dann φ : L → Ω ein Körperhomomorphismus, so folgt, daß φ(x)q = φ(xq).Da Potenzieren mit q ein Körperhomomorphismus ist, ist das Potenzieren injektiv, dasheißt φ(x) ist schon durch φ(xq) bestimmt. Mit denselben Überlegungen folgt, daß wirjeden Körperhomomorphismus φ : K → Ω, eindeutig auf Ω fortsetzen können.

Für einen beliebigen Körper K ist eine Konstruktion im eigentlichen Sinne eines al-gebraisch abgeschlossenen Oberkörpers Ω im allgemeinen nicht möglich. Für die An-wendung von Proposition 8.29 benötigen wir jedoch gar nicht unbedingt, daß Ω ein

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8. Körper

algebraisch abgeschlossener Oberkörper von K ist. Vielmehr dürfen wir zunächst davonausgehen, daß Ω ein ideeller Oberkörper von K ist. Außerdem muß dieser OberkörperΩ im folgenden Sinne algebraisch abgeschlossenen sein: Für jedes Polynom f(X) über Ωzerfällt f(X) in Linearfaktoren, wobei wir Ω eventuell durch einen ideellen Oberkörpervon Ω ersetzen müssen.Einen solchen ideellen Oberkörper von K wollen wir einen algebraisch abgeschlossenen

ideellen Oberkörper von K nennen. Da wir schon wissen, daß wir ideelle Oberkörper kon-struieren können, in denen Polynome in Linearfaktoren zerfallen, existieren algebraischabgeschlossene ideelle Oberkörper immer. Die Proposition 8.29 auf der vorherigen Seitebleibt richtig, wenn wir sie für algebraisch abgeschlossene ideelle Oberkörper formulieren.Schließlich wollen wir zeigen, daß der Inseparabilitätsgrad einer endlichen Körperer-

weiterung L ⊇ K nicht beliebige Werte annehmen kann, sondern immer eine Potenz einescharakteristischen Exponenten p ist. (Dabei heißt p ein charakteristischer Exponent vonK, wenn p = 1 oder wenn p eine positive Charakteristik von K ist.)Dazu können wir annehmen, daß L eine rein inseparable Erweiterung überK ist. Dann

ist L = K(x1, . . . , xn), wobei x1, . . . , xn rein inseparabel über K sind. Sei f(X) dasMinimalpolynom von x1 über K. Dann haben wir schon gesehen, daß wir f(X) = g(Xq)schreiben können, wobei g(X) ein irreduzibles separables Polynom über K ist und qeine Potenz von p ist. Insbesondere ist xq1 ein separables Element über K. Da aberK gleich seinem separablen Abschluß in L ist, muß xq1 ∈ K gelten, also ist g(X) einlineares Polynom. Es folgt, daß f(X) vom Grad einer p-Potenz ist, also ist [K(x1) : K]eine p-Potenz. Sobald wir gezeigt haben, daß der separable Abschluß von K(x1) in Lwieder K(x1) ist, können wir nach dem Induktionsprinzip annehmen, daß [L : K(x1)]eine p-Potenz ist, so daß die Behauptung aus der Gradformel folgt. Wir betrachten alsoein z ∈ L, welches separabel über K(x1) ist. Dann existiert eine p-Potenz q, so daßzq separabel über K ist, also in K liegt. Aus der Separabilität von z über K(x1) folgtweiterhin, daß z ein Polynom in zq über K(x1) ist, also selbst ein Element in K(x1).Wir haben also gezeigt:Proposition 8.30. Sei L eine endliche Körpererweiterung eines Körpers K. Dann istder Inseparabilitätsgrad [L : K] eine Potenz eines charakteristischen Exponenten vonK.Zum Ende dieses Abschnittes wollen wir separable Erweiterungen auch noch über die

Spur von Elementen von Körpererweiterungen charakterisieren: Dazu erinnern wir an dieDefinition der Spur von Elementen in Zahlkörpern, die wir offensichtlich folgendermaßenauf beliebige endliche Körpererweiterungen L ⊇ K ausdehnen können: Sei x ∈ L ein Ele-ment. Dann heißt die Spur der Multiplikation mit x, aufgefaßt als K-lineare Abbildungvon L nach L die Spur

trL/K(x)von x in L über K. Sei E ein Zwischenkörper von L über K. Seien u1, . . . , un eine Basisvon E über K und v1, . . . , vm eine Basis von L über E. Dann ist nach der Gradformeleine Basis von L über K durch u1v1, . . . , unvm gegeben. Wir können dann zunächst

x · vj =∑`

a`jv`

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8.6. Separable und inseparable Erweiterungen

mit gewissen Koeffizienten a`j ∈ E schreiben. Es ist dann

trL/E(x) =∑`

a``.

Weiter können wira`j · ui =

∑k

bk`ijuk

mit Koeffizienten bk`ij ∈ K schreiben. Dann gilt

trE/K(a``) =∑k

bk`k`.

Auf der anderen Seite ist dann

x · uivj =∑k,`

bk`ijuivj ,

alsotrL/K(x) =

∑k,`

bk`k`.

Damit haben wir gezeigt:

Proposition 8.31. Für jedes Element x ∈ L ist

trL/K(x) = trE/K(trL/E(x)).

Die Spur verhält sich in Körpertürmen also transitiv. Da wir jede endliche Körperer-weiterung in eine separable über eine rein inseparable zerlegen können, reicht es zurBerechnung von Spuren, separable und rein inseparable Körpererweiterungen einzeln zubetrachten und dann sogar nur einfache.Betrachten wir zunächst eine rein inseparable Erweiterung L = K(x), wobei x rein

inseparabel vom Grade p überK und p eine positive Charakteristik vonK ist. Eine Basisvon L über K ist durch 1, x, . . . , xp−1 gegeben, und wir haben xp = a für ein Elementa ∈ K. Daraus folgt, daß die Spur von xi für i ∈ 1, . . . , p − 1 trivial, ist. Weiter istdie Spur von 1 gerade p, also ebenfalls Null in K. Damit folgt aufgrund der Linearitätder Spur für alle z ∈ L, daß trL/K(x) = 0. Diese Formel wird auch für den Fall p = 1richtig, wenn wir anstelle von 0 einfach [L : K]i schreiben, da wir ja schon wissen, daßder Inseparabilitätsgrad eine Potenz eines charakteristischen Exponenten ist. Wir habenalso insgesamt gezeigt:Ist L über K eine endliche rein inseparable Erweiterung, so ist die Spur eines jeden

Elementes von L über K gerade durch den Inseparabilitätsgrad von L über K gegeben.Im Falle einer endlichen separablen Erweiterung L über K dürfen wir genauso wie im

Falle eines Zahlkörpers argumentieren: Wir können L = K(x) annehmen, wobei x einseparables Element über K ist. Sei Ω ein algebraisch abgeschlossener Oberkörper von

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8. Körper

K, indem das (separable) Minimalpolynom f(X) von x über K zerfällt. Die Nullstellenx1, x2, . . . , xn ∈ Ω wollen wir analog die galoissch Konjugierten von x in Ω nennen.(Unabhängig von Ω heißen zwei Elemente in einer Körpererweiterung L über K galoisschkonjugiert, wenn sie Nullstelle desselben irreduziblen Polynomes über K sind.) Ist dannz = g(x) ∈ L für eine Polynom g(X) ∈ K[X], so ist

trL/K(z) = g(x1) + · · ·+ g(xn).

In Hinblick auf die Konstruktion der n = [L : K] = [L : K]s Körperhomomorphismenaus Proposition 8.29 auf Seite 365 können wir dies auch so formulieren: Seien σ1, . . . ,σn : L→ Ω die n verschiedenen Einbettungen von L in Ω über K. Dann ist

trL/K(z) = σ1(z) + · · ·+ σn(z).

Dieses Ergebnis können wir mit dem obigen über rein inseparable Erweiterungen folgen-dermaßen zusammenfassen:

Proposition 8.32. Sei L über K eine endliche Körpererweiterung. Sei Ω ein algebraischabgeschlossener Oberkörper von K. Für jedes Element z ∈ L gilt dann

trL/K(z) = [L : K]i[L:K]s∑i=1

σi(z),

wobei σ1, . . . , σ[L:K]s die verschiedenen Körpereinbettungen von L nach Ω über K sind.

Die Spur einer endlichen Körpererweiterung L über K definiert eine bilineare Paarung

L× L→ K, (x, y) 7→ 〈x, y〉L/K := trL/K(x · y).

des K-Vektorraumes L über K. Bekanntlich heißt dieses nicht ausgeartet, wenn für allex ∈ L folgt, daß x = 0, falls 〈x, y〉L/K = 0 für alle y ∈ L. Im Falle, daß [L : K]i > 1 istdie Spur trivial, das heißt die Spurpaarung ist höchstens nicht ausgeartet, wenn L überK separabel ist.Einer Paarung wie der Spurpaarung läßt sich ihre Diskriminante zuordnen: Ist b1, . . . ,

bn eine Basis von L über K, so ist der Ausdruck

discL/K = det(〈bi, bj〉L/K) ∈ K

bis auf Elemente aus (K×)2 wohldefiniert. Aus der Linearen Algebra ist bekannt, daßsie genau dann nicht verschwindet, wenn die Spurpaarung nicht ausgeartet ist. Im se-parablen Falle läßt sich genauso wie im spezielleren Falle von Zahlkörpern zeigen, daßdie Diskrimante von L über K Werte in K×/(K×)2 annimmt, also nicht verschwindet.Folglich haben wir:

Satz 8.33. Eine endliche Körpererweiterung L eines Körpers K ist genau dann separa-bel, wenn die Spurpaarung von L über K nicht ausgeartet ist.

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8.7. Transzendente Erweiterungen

AufgabenAufgabe 8.6.1. Sei L eine Körpererweiterung eines Körpers K. Zeige, daß die Menge derüber K rein inseparablen Elemente in L eine Zwischenerweiterung von L über K ist.

Aufgabe 8.6.2. Sei L eine endliche Körpererweiterung eines Körpers K. Sei L über Ksowohl separabel als auch rein inseparabel. Zeige, daß L = K.

Aufgabe 8.6.3. Sei L über K eine endliche Körpererweiterung. Sei x ∈ L separabel überK und y ∈ L rein inseparabel über K. Zeige, daß K(x, y) = K(x+ y).

Aufgabe 8.6.4. Sei L über K eine endliche Körpererweiterung. Die Norm

NL/K(x)

eines Elementes x in L über K ist als die Determinante der K-linearen Abbildung vonL nach L definiert, die durch Multiplikation mit x gegeben ist. Zeige, daß

NL/K(x) =

[L:K]s∏i=1

xi

[L:K]i

,

wobei die xi die verschiedenen galoisschen Konjugierten von x in einem algebraischabgeschlossenen Oberkörper Ω von K sind.

Aufgabe 8.6.5. Sei L überK eine endliche Körpererweiterung. Sei E ein überK endlicherZwischenkörper. Zeige, daß

discL/K = NE/K(discL/E) · disc[L:E]E/K .

8.7. Transzendente Erweiterungen

Bisher haben wir algebraische Körpererweiterungen ausführlich untersucht, also solche,in denen jedes Element des Oberkörpers eine algebraische Relation über dem Grundkör-per erfüllt. Auf der anderen Seite der Skala stehen transzendenten Körpererweiterungen,welche wir in diesem Kapitel studieren wollen. Sei dazu L über K eine Körpererweite-rung.

Definition 8.34. Elemente x1, . . . , xn von L heißen algebraisch unabhängig über K,falls für jedes Polynom f(X1, . . . , Xn) ∈ K[X1, . . . , Xn] mit f(x1, . . . , xn) = 0 schonf(X1, . . . , Xn) = 0 gilt, falls also keine nicht triviale algebraische Relation zwischen x1,. . . , xn existiert.

In gewisser Weise ist der Begriff der algebraischen Unabhängigkeit eine Analogiebil-dung zum Begriff der linearen Unabhängigkeit, wenn wir anstelle von Linearkombina-tionen beliebige polynomielle Ausdrücke betrachten. Im folgenden werden wir sehen,daß die Analogie sich auch auf grundlegende Aussagen über lineare (bzw. algebraische)Unabhängigkeit fortsetzt.

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8. Körper

Daß x1, . . . , xn über K linear unabhängig sind, können wir auch so ausdrücken, daßder K-lineare Ringhomomorphismus

K[X1, . . . , Xn]→ L, Xi 7→ xi

injektiv ist. Ein einzelnes Element x ∈ L ist genau dann algebraisch unabhängig überK, wenn das einzige Polynom aus K[X], welches x als Nullstelle hat, das Nullpolynomist. In Hinblick auf Definition 1.2 auf Seite 13 nennen wir x dann auch transzendent überK.Bemerkung 8.35. Ist L ein kommutativer Ring und K ein Unterring, so ergibt Defini-tion 8.34 auf der vorherigen Seite auch in dieser Situation Sinn. Wir werden auf dieseVerallgemeinerung von Körper- auf Erweiterungen kommutativer Ringe weiter untenzurückkommen.Gibt es ein nicht verschwindendes Polynom f(X1, . . . , Xn) ∈ K[X1, . . . , Xn], so daß

f(x1, . . . , xn) = 0, so nennen wir x1, . . . , xn algebraisch abhängig über K. Auch dieserBegriff ist analog zum Begriff der linearen Abhängigkeit gebildet.Ist V ein K-Vektorraum, so sind Vektoren v1, . . . , vn bekanntlich genau dann über K

linear abhängig, falls ein i ∈ 1, . . . , n existiert, so daß xi eine Linearkombination vonx1, . . . , xi−1 ist. Diese Aussage besitzt ein Analogon für algebraische Abhängigkeit:Proposition 8.36. Elemente x1, . . . , xn ∈ L sind genau dann algebraisch abhängigüber K, falls ein i ∈ 1, . . . , n existiert, so daß xi algebraisch über K(x1, . . . , xi−1) ⊆ List.Beweis. Nehmen wir zunächst an, daß xi algebraisch in x1, . . . , xi−1 über K ist, daßalso ein normiertes Polynom f(Xi) ∈ K(x1, . . . , xi−1)[Xi] mit f(xi) = 0 existiert. Wirkönnen dann

f(Xi) = g(x1, . . . , xi−1, Xi)h(x1, . . . , xi−1, Xi)

für zwei Polynome g(X1, . . . , Xi) und h(X1, . . . , Xi) ∈ K[X1, . . . , Xn] schreiben. Dabeigilt g(X1, . . . , Xi) 6= 0, da f(Xi) normiert ist.Es folgt, daß g(x1, . . . , xi) = 0, daß also x1, . . . , xi und damit auch x1, . . . , xn alge-

braisch abhängig über K sind.Seien umgekehrt x1, . . . , xn algebraisch abhängig über K. Damit existiert ein nicht

verschwindendes Polynom g(X1, . . . , Xn) ∈ K[X1, . . . , Xn] mit g(x1, . . . , xn) = 0. Esfolgt, daß g(x1, . . . , xn−1, Xn) ∈ K(x1, . . . , xn−1)[Xn] ein Polynom ist, welches xn alsNullstelle besitzt. Ist g(x1, . . . , xn−1, Xn) nicht das Nullpolynom, so haben wir in Formvon g schon eine algebraische Abhängigkeit von xn über K(x1, . . . , xn−1) gefunden. An-dernfalls schreiben wir

g(X1, . . . , Xn)= am(X1, . . . , Xn−1)Xm

n + am−1(X1, . . . , Xn−1)Xm−1n + · · ·+ a0(X1, . . . , Xn−1).

Da g(X1, . . . , Xn) nicht das Nullpolynom ist, existiert wenigstens ein aj(X1, . . . , Xn−1),welches nicht das Nullpolynom ist. Da nach Annahme g(x1, . . . , xn−1, Xn) verschwin-det, haben wir mit aj(x1, . . . , xn−1) eine algebraische Relation zwischen x1, . . . , xn−1gefunden und können per Induktion über n weitermachen.

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8.7. Transzendente Erweiterungen

Aus der entsprechenden Aussage für lineare Abhängigkeit läßt sich das sogenann-te Steinitzsche Austauschlemma3 für Vektoren v, w1, . . . , wn eines Vektorraumes Vüber K gewinnen: Ist v eine K-Linearkombination von w1, . . . , wn, so ist v eine K-Linearkombination von w1, . . . , wn−1 oder wn ist eine Linearkombination von w1, . . . ,wn−1 und v.Für algebraische Abhängigkeit gilt analog:

Folgerung 8.37. Seien x, y1, . . . , yn Elemente des Oberkörpers L von K. Ist x überK algebraisch über y1, . . . , yn, so ist x über K algebraisch über y1, . . . , yn−1 oder yn istüber K algebraisch über y1, . . . , yn−1 und x.

Beweis. Nach Proposition 8.36 auf der vorherigen Seite sind y1, . . . , yn und x über Kalgebraisch abhängig. Damit sind offensichtlich auch y1, . . . , yn−1, x und yn über Kalgebraisch abhängig. Wieder nach Proposition 8.36 auf der vorherigen Seite (diesmalallerdings in der anderen Richtung) ist x über K algebraisch über y1, . . . , yn−1 oder ynist über K algebraisch über y1, . . . , yn−1 und x.

Bekannt aus der Linearen Algebra ist weiterhin als Folgerung der Steinitzsche Aus-tauschsatz, der folgendes besagt: Ist v1, . . . , vn eine Basis eines K-Vektorraumes V undsind w1, . . . , wm über K linear unabhängige Vektoren von V , so können wir n−m Vek-toren vi(1), . . . , vi(n−m) aus v1, . . . , vn auswählen, so daß w1, . . . , wm, vi(1), . . . , vi(n−m)eine Basis von V über K bildet.Wir können im algebraischen Falle analog vorgehen. Dazu definieren wir zunächst den

analogen Begriff zur Basis:

Definition 8.38. Elemente x1, . . . , xn ∈ L bilden eine Transzendenzbasis von L überK, falls x1, . . . , xn über K algebraisch unabhängig sind und falls jedes Element aus Lalgebraisch über K(x1, . . . , xn) ist.

Beispiel 8.39. Ist L eine algebraische Körpererweiterung über K, so ist das leere Systemvon Vektoren eine Transzendenzbasis.Beispiel 8.40. Der Körper K(X1, . . . , Xn) der in X1, . . . , Xn rationalen Funktionen überK besitzt X1, . . . , Xn als Transzendenzbasis über K.Mit dieser Definition haben wir:

Satz 8.41. Sei L über K eine Körpererweiterung. Sei x1, . . . , xn eine Transzendenzbasisvon L über K. Seien weiterhin y1, . . . , ym über K algebraisch unabhängige Elementeaus L. Dann können wir n−m Elemente xi(1), . . . , xi(n−m) aus x1, . . . , xn auswählen,so daß y1, . . . , ym, xi(1), . . . , xi(n−m) eine Transzendenzbasis von K über L bilden.

Beweis. Den Beweis führen wir per Induktion über m. Im Falle m = 0 ist offensichtlichnichts zu zeigen. Betrachten wir also m > 0. Dann können wir nach Induktionsvoraus-setzung und nach eventueller Umnumerierung der xj annehmen, daß y1, . . . , ym−1, x1,. . . , xn−m+1 eine Transzendenzbasis von L über K bildet.

3Ernst Steinitz, 1871–1928, deutscher Mathematiker

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8. Körper

Sei j das größte j ∈ 1, . . . , n −m + 1, so daß xj algebraisch über y1, . . . , ym, x1,. . . , xj−1 ist. Dieses existiert nach Folgerung 8.37 auf der vorherigen Seite (sukzessiveangewendet auf y1, . . . , ym−1, x1, . . . , xj und ym für j = n −m + 1, n −m, . . . ), day1, . . . , ym nach Voraussetzung über K algebraisch unabhängig sind. Wir dürfen für dasfolgende (nach eventueller Umnumerierung der xk) ohne Einschränkung annehmen, daßj = n −m + 1. Da jedes Element aus L über K in y1, . . . , ym−1 und x1, . . . , xn−m+1algebraisch ist und xn−m+1 über K in y1, . . . , ym und x1, xn−m algebraisch ist, erhaltenwir, daß jedes Element aus L über K in y1, . . . , ym, x1, . . . , xn−m algebraisch ist.Es bleibt damit zu zeigen, daß diese n Elemente über K algebraisch unabhängig sind.

Gäbe es eine nicht triviale algebraische Abhängigkeit zwischen y1, . . . , ym, x1, . . . , xn−müber K, so wäre nach Proposition 8.36 auf Seite 370 das Element ym algebraisch über y1,. . . , ym−1, x1, . . . , xn−m, da y1, . . . , ym−1, x1, . . . , xn−m über K algebraisch unabhängigsind. Dann wäre aber auch xn−m+1 algebraisch über y1, . . . , ym−1, x1, . . . , xn−m, was(wieder nach Proposition 8.36 auf Seite 370 im Widerspruch dazu stünde, daß y1, . . . ,ym−1, x1, . . . , xn−m+1 über K algebraisch unabhängig sind.

Bemerkung 8.42. Genaugenommen liefert der Beweis von Satz 8.41 auf der vorherigenSeite sogar: Ist x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von L über K, so sind Elemente y1,. . . , ym über K algebraisch abhängig, oder wir können y1, . . . , ym durch n−m von denxj zu einer Transzendenzbasis von L über K ergänzen.Analog zur Mächtigkeitsaussage einer Basis eines Vektorraumes können wir folgern:

Folgerung 8.43. Bildet x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von L über K, so sindimmer höchstens n Elemente von L über K algebraisch unabhängig. Insbesondere habenje zwei Transzendenzbasen von L über K dieselbe Mächtigkeit.

In der linearen Algebra wird die Mächtigkeit einer Basis (und damit jeder Basis) einesVektorraumes seine Dimension genannt. Wir führen für unsere Situation eine entspre-chende Bezeichnung ein:

Definition 8.44. Sei L über K eine Körpererweiterung, welche eine Transzendenzbasisx1, . . . , xn besitzt. Dann heißt

trdegK L := n

der Transzendenzgrad von L über K.

Schreiben wir trdegK L = n für eine Körpererweiterung L über K, so bedeutet diesinsbesondere, daß L eine Transzendenzbasis über K besitzt. Wir sagen dann auch, daßL endlichen Transzendenzgrad über K besitzt.Beispiel 8.45. Sei K ein Körper. Für den Körper K(X1, . . . , Xn) der in X1, . . . , Xn

rationalen Funktionen über K gilt dann:

trdegK K(X1, . . . , Xn) = n.

Solche Körpererweiterungen heißen auch rein transzendent.

372

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8.7. Transzendente Erweiterungen

Insbesondere sind also zum Beispiel die Körper K(X) und K(X,Y ) nicht zueinanderisomorph.Damit sind auch die K-Algebren R = K[X1, . . . , Xn] für verschiedene n nicht iso-

morph, denn n ergibt sich als Transzendenzgrad des Quotientenkörpers von R über K.Diese Tatsache hat eine wichtige geometrische Anwendung. Dazu erinnern wir daran,daß eine endlich präsentierte K-Algebra R = K[X1, . . . , Xn]/(f1, . . . , fm) gerade derLösungsmenge der m Polynomgleichungen f1(X1, . . . , Xn) = 0, . . . , fm(X1, . . . , Xm) inden n Variablen entspricht. In der algebraischen Geometrie wird einer solchen Lösungs-menge eine Dimension d zugeordnet, eine natürliche Zahl. Wir erwarten etwa d = 0,wenn die Lösungen isolierte Punkte im Raum Kn aller Lösungen, d = 1, wenn sie aufeiner Kurve liegen (wobei wir an dieser Stelle höchstens eine anschauliche Vorstellungdavon haben, was eine Kurve in Kn ist), etc. Haben wir gar keine Gleichungen, ist alsom = 0, so sind alle Punkte im Kn eine Lösung, wir erwarten also, daß für Dimensionder Lösungsmenge in diesem Falle d = n gilt. In diesen Falle ist R = K[X1, . . . , Xn],das heißt die erwartete Dimension der Lösungsmenge n ist der Transzendenzgrad desQuotientenkörpers der zugehörigen Algebra über K. Wie wir in Teil III sehen werden,besitzt der Quotientenkörpers eines über K endlich präsentierten IntegritätsbereichesR immer einen endlichen Transzendenzgrad über K und daß es sinnvoll ist, diesen alsDimension der zu R gehörigen Lösungsmenge zu definieren.Beispiel 8.46. Sei z ∈ K(X) eine rationale Funktion über dem Körper K. Ist dannz /∈ K, ist also z nicht konstant, so ist die von z erzeugte Zwischenerweiterung K(z) vonK(X) über K wieder rein vom Transzendenzgrad 1, genauer ist die über K definierteAbbildung

K(Z)→ K(z), Z 7→ z (8.2)

ein wohldefinierter Isomorphismus von Körpererweiterungen von K:Es reicht zu bemerken, daß die Abbildung (8.2) wohldefiniert ist, denn dann ist sie of-

fensichtlich surjektiv und als Homomorphismus zwischen Körpern automatisch injektiv.Für die Wohldefiniertheit reicht es aber zu zeigen aus, daß das Bild von Z, also z, keinealgebraische Relation über K erfüllt. Dies können wir wie folgt schließen: Wir schreibenzunächst z = f(X)

g(X) für Polynome f(X), g(X) ∈ K[X]. Dann besitzt das Polynom

p(Y ) = zg(Y )− f(Y ) ∈ K(z)[Y ]

das Element X als Nullstelle in K(X), das heißt, K(X) ist über K(z) algebraisch.Damit kann aber z nicht algebraisch über K sein, denn sonst wäre auch K(X) über Kalgebraisch.Besitzt L über K endlichen Transzendenzgrad, so können wir wegen Bemerkung 8.42

auf der vorherigen Seite insbesondere effektiv feststellen, ob Elemente y1, . . . , ym aus Lüber K algebraisch abhängig sind.

Folgerung 8.47. Besitze L über K endlichen Transzendenzgrad. Sind y1, . . . , ym Ele-mente aus L, welche über K algebraisch unabhängig sind, so gibt es weitere Elementex1, . . . , xn−m aus L, so daß y1, . . . , ym, x1, . . . , xn−m eine Transzendenzbasis von Lüber K bildet.

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8. Körper

Daß Analogon der linearen Algebra zu dieser Folgerung ist die Tatsache, daß sich jedesSystem linear unabhängiger Vektoren eines Vektorraumes zu einer Basis erweitern läßt.

Beweis. Sei x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von L über K. Dann folgt die Aussageder Folgerung aus Satz 8.41 auf Seite 371, angewandt auf diese Basis und die algebraischunabhängigen Elemente y1, . . . , ym.

Ist V ein endlich-dimensionaler Vektorraum über einem Körper, so enthält jedes Er-zeugendensystem von V eine Basis. Wir haben eine entsprechende Aussage für den al-gebraischen Falle, welche wir in folgendem Hilfssatz zusammenfassen:

Hilfssatz 8.48. Habe L endlichen Transzendenzgrad über K. Sind y1, . . . , ym Elementeaus L, so daß jedes Element in L über K in y1, . . . , ym algebraisch ist, so können wirElemente yi(1), . . . , yi(n) auswählen, welche eine Transzendenzbasis von L über K bilden.

Beweis. Wir stellen zunächst fest, ob y1, . . . , ym über K algebraisch unabhängig sind.Ist dies der Fall, so haben wir schon eine Transzendenzbasis. Andernfalls gibt es nachProposition 8.36 auf Seite 370 ein yj , ohne Einschränkung ym, welches überK algebraischin y1, . . . , ym−1 ist. Es folgt, daß jedes Element von L über K auch algebraisch in y1, . . . ,ym−1 ist, so daß wir einfach mit y1, . . . , ym−1 weitermachen können. Die zu beweisendeAussage folgt also durch Induktion über m.

Schließlich haben wir folgende wichtige Tatsache, wie sich Transzendenzgrade in suk-zessiven Körpererweiterungen verhalten. Im Gegensatz zum algebraischen Körpergradaddieren sich Transzendenzgrade:

Satz 8.49. Sei E eine Zwischenkörper einer Körpererweiterung L über E. Sind dannzwei der Zahlen trdegK L, trdegK E und trdegE L endlich, so auch die dritte, und wirhaben dann

trdegK L = trdegE L+ trdegK E.

Beweis. Sei zunächst x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von E über K, und sei y1, . . . ,ym eine Transzendenzbasis von L über E. Dann ist x1, . . . , xn, y1, . . . , ym eine Transzen-denzbasis von L über K, denn jedes Element in L ist über E in y1, . . . , ym und damitüber K in x1, . . . , xn, y1, . . . , ym algebraisch. Ist außerdem f(x1, . . . , xn, y1, . . . , ym) einealgebraische Relation über K, so können wir sie auch als Relation von y1, . . . , ym über Elesen, so daß das Polynom f(x1, . . . , xn, Y1, . . . , Ym), und damit auch seine Koeffizienten,verschwinden muß. Die Koeffizienten sind damit wiederum algebraische Relationen zwi-schen x1, . . . , xn über K, das heißt, es ist f(X1, . . . , Xn, Y1, . . . , Ym) das Nullpolynom,womit x1, . . . , xn, y1, . . . , ym über K in der Tat algebraisch abhängig sind.Sei als nächstes x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von E über K, und sei z1, . . . , zk

eine Transzendenzbasis von L über K. Nach Satz 8.41 auf Seite 371 können wir davonausgehen, daß die Basis z1, . . . , zk von der Form x1, . . . , xn, y1, . . . , ym mit Elementenyj ∈ L ist. Es ist dann y1, . . . , ym eine Transzendenzbasis von L über E.Sei schließlich y1, . . . , ym eine Transzendenzbasis von L über E, und sei z1, . . . , zk

eine Transzendenzbasis von L über K. Die Elemente z1, . . . , zk sind insbesondere über

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8.7. Transzendente Erweiterungen

E rationale Funktionen in y1, . . . , ym. Sind x1, . . . , xn die Koeffizienten aus E dieserrationalen Funktionen, so erhalten wir, daß jedes der zj und damit jedes der Elementeaus L über K in x1, . . . , xn, y1, . . . , ym algebraisch ist. Nach Satz 8.41 auf Seite 371können wir annehmen, daß x1, . . . , xn, y1, . . . , ym über K algebraisch unabhängig ist. Esbleibt zu zeigen, daß x1, . . . , xn eine Transzendenzbasis von E über K ist, daß also jedesElement y aus E über K algebraisch in x1, . . . , xn ist. Dies folgt aber aus wiederholterAnwendung von Folgerung 8.37 auf Seite 371 auf x1, . . . , xn, y1, . . . , ym, denn y1, . . . ,ym sind über E und damit auch über K(x1, . . . , xn) algebraisch unabhängig.

Eine wichtige Strukturaussage über Körper ist der folgende Lürothsche4 Satz, welcherendlich erzeugte Zwischenerweiterungen einer rein transzendenten Körpererweiterungvom Transzendenzgrade 1 vollständig beschreibt. Wie wir sehen werden, hat dieser Satzinsbesondere geometrische Anwendungen in der Theorie algebraischer Kurven.

Satz 8.50. Sei K ein Körper, wobei wir mit K(X) den Körper der rationalen Funktionenüber K bezeichnen. Ist dann E eine über K endlich erzeugte Zwischenerweiterung vonK(X) über K, das heißt E = K(a1, . . . , an) mit a1, . . . , an ∈ K(X), so ist E = K(z)für ein z ∈ K(X).Insbesondere ist also entweder E = K, nämlich wenn z ∈ K, oder E ist rein transzen-

dent vom Transzendenzgrade 1 über K, nämlich wenn z eine nicht konstante rationaleFunktion in X ist.

In den Beweis von Satz 8.50 geht folgender Hilfssatz ein:

Hilfssatz 8.51. Sei t ∈ K(X) eine nicht konstante rationale Funktion über K. Dannist K(X) eine endliche Körpererweiterung von K(t).Genauer gilt: Ist t = f(X)

g(X) für zueinander teilerfremde Polynome f(X), g(X) ∈ K[X],so ist p(Y ) := tg(Y )− f(Y ) ∈ K(t)[Y ] bis auf Normierung das Minimalpolynom von Xüber K(t).

Für eine Zwischenerweiterung E einer rein transzendenten Körpererweiterung K(X)über K, welche über K eindeutig erzeugt ist, gilt also: Entweder ist E = K und K(X)ist rein transzendent vom Transzendenzgrad 1 über E oder E ist rein transzendent überK und K(X) ist endlich algebraisch über E.

Beweis von Satz 8.50. Wir dürfen annehmen, daß das Element a1 eine nicht konstanterationale Funktion aus K(X) ist, daß also nach Hilfssatz 8.51 der Körper K(X) endlich-dimensional als Vektorraum über K(a1) ist. Insbesondere ist E algebraisch über K(a1),wir haben also E = K(a1)[a1, . . . , an], und K(X) ist algebraisch über E. Damit existiertein normiertes irreduzibles Polynom f(Y ) über E, welchesX als Nullstelle besitzt. DiesesPolynom kann nicht schon über K definiert sein, denn sonst wäre ja X algebraisch überK. Damit existiert ein Koeffizient z von f(Y ), welcher nicht in K liegt. Wir behaupten,daß E dann schon von z erzeugt wird, daß also E = K(z), wie zu beweisen ist.

4Jacob Lüroth, 1844–1910, deutscher Mathematiker

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8. Körper

Schreiben wir z = g(X)h(X) mit zueinander teilerfremden Polynomen g(X) und h(X) ∈

K[X], so sagt Hilfssatz 8.51 auf der vorherigen Seite aus, daß p(Y ) = zh(Y )− g(Y ) bisauf Normierung das Minimalpolynom von X über z ist. Wir wollen zeigen, daß der Gradvon p(Y ) gleich dem Grad von f(Y ) ist, denn dann ist der Grad von K(X) über k(z)gleich dem Grad von K(X) über E, woraus wegen k(z) ⊆ E schließlich k(z) = E folgt.Sei q(Y ) ∈ K(X)[Y ] ein beliebiges Polynom in Y mit Koeffizienten K(X), dem Quo-

tientenkörper des Ringes K[X] mit eindeutiger Primfaktorzerlegung. Dieses besitzt be-kanntlich einen Inhalt c ∈ K(X), so daß q(Y ) := c−1q(Y ) ein primitives Polynom inK[X][Y ] ist, das heißt der größte gemeinsame Teiler der Koeffizienten von q(Y ) im Rin-ge K[X] ist trivial.Für das Polynom p(Y ) = zh(Y )− g(Y ) = g(X)

h(X)h(Y )− g(Y ) können wir zum Beispielp(Y ) = g(X)h(Y ) − h(X)g(Y ) wählen. Ebenso konstruieren wir aus f(Y ) ∈ E[Y ] ⊆K(X)[Y ] das Polynom f(Y ) ∈ K[X,Y ]. Dessen Grad in X wollen wir mit m bezeichnen.Als Polynom über K(X) ist f(Y ) ein normiertes Polynom, welches einen Koeffizien-

ten in Y , sagen wir den Koeffizient vor Y r, von der Form g(X)h(X) besitzt und g(X) und

h(X) sind zueinander teilerfremd. Damit ist der in Y höchste Koeffizient von f(Y ) einVielfaches von h(X) und der Koeffizient von Y r ein Vielfaches von g(X). Es folgt, daßdeg g(X), deg h(X) ≤ m. Damit ist auch der Grad von p(Y ) in X (welcher aufgrund derSymmetrie gleich dem Grad von p(Y ) in Y ) auch kleiner oder gleich m.Da p(Y ) ein Polynom über E ist, welches X als Nullstelle besitzt und f das Minimal-

polynom von X über E ist, können wir p(Y ) = f(Y ) ·k(Y ) für ein Polynom k(Y ) ∈ E[Y ]schreiben. Aus dem Gaußschen Lemma über die Multiplikativität des Inhaltes folgt, daßp(Y ) = df(Y ) · k(Y ) für ein d ∈ K. Damit ist der Grad von p(Y ) in X genau m undder Grad von k(Y ) in X gleich 0, das heißt g(Y ) ∈ K[Y ]. Da g(Y ) ein zudem ein Teilervon p(Y ) in K(z)[Y ] ist, das Polynom p(Y ) aber irreduzibel ist, folgt, daß g(Y ) eineKonstante in K ist. Damit ist der Grad von p(Y ) in Y gleich dem Grad von f(Y ) inY , also stimmen die Grade von p(Y ) und f(Y ), aufgefaßt als Polynome in E[Y ] auchüberein.

Beweis von Hilfssatz 8.51 auf der vorherigen Seite. Da t kein Element aus K ist undg(Y ) nicht das Nullpolynom ist, kann auch das Polynom p(Y ) nicht verschwinden. Daes außerdem X als Nullstelle besitzt, reicht es zu zeigen, daß p(Y ) in K(t)[Y ] irredu-zibel ist. Nach dem Gaußschen Lemma, Hilfssatz 3.15 auf Seite 86, reicht es dazu, dieIrreduzibilität von

p(T, Y ) = Tg(Y )− f(Y ).

in K[T, Y ] zu zeigen, denn K(t)[Y ] ist (mit t = T ) der Quotientenkörper von K[T ][Y ] =K[T, Y ]. Dazu schreiben wir p(T, Y ) = h(T, Y )k(T, Y ) für Polynome h(T, Y ), k(T, Y ) ∈K[T, Y ]. Der Grad von p(T, Y ) in T , also der Grad von p(T, Y ) aufgefaßt als Polynomin T über K[Y ], ist 1, damit ist entweder der Grad von h(T, Y ) in T oder der Grad vonk(T, Y ) in T gleich 0. Ohne Einschränkung können wir annehmen, daß der Grad vonh(T, Y ) in T gleich 0 ist. Es folgt, daß h(T, Y ) ein Polynom h(Y ) in K[Y ] ist. Es teilth(Y ) das Polynom p(T, Y ). Damit muß es auch beide Koeffizienten in T , also g(Y ) und

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8.7. Transzendente Erweiterungen

h(Y ) teilen. Diese haben wir als Polynome über K aber teilerfremd gewählt. Es folgt,daß h(Y ) ein in Y konstantes Polynom sein muß. Damit ist p(T, Y ) also irreduzibel.

AufgabenAufgabe 8.7.1. Sei L über K eine Körpererweiterung. Seien x1, . . . , xn Elemente ausL, und sei E eine Zwischenerweiterung von L über K, welche über K algebraisch ist.Zeige, daß x1, . . . , xn genau dann über E algebraisch abhängig sind, wenn sie über Kalgebraisch abhängig sind.Aufgabe 8.7.2. Sei L = Q(X1, . . . , X5) der Körper der rationalen Funktionen in fünfVariablen über Q. Zeige, daß die rationalen Funktionen

f1 := X22−X1, f2 := X−3

2 , f3 := X1 +X3−X24 +X5, f4 := X3−X−1

4 +X25

über Q algebraisch unabhängig sind und bestimme ein Element f5 von L, so daß f1, . . . ,f5 eine Transzendenzbasis von L über Q wird.Aufgabe 8.7.3. Sei S eine Menge.Eine Spannoperation auf S ist eine Abbildung von endlichen Teilmengen x1, . . . , xn

auf Teilmengen 〈x1, . . . , xn〉 = 〈x1, . . . , xn〉, so daß gilt:

1. Sind I und J zwei endliche Teilmengen von S mit I ⊆ J , so gilt 〈I〉 ⊆ 〈J〉.

2. Für jede endliche Teilmenge gilt I ⊆ 〈I〉.

3. Sei J eine endliche Teilmenge von S. Ist I eine endliche Teilmenge von 〈J〉, so gilt〈I〉 ⊆ 〈J〉.

4. Seien I eine endliche Teilmenge von S und x und y zwei Elemente. Aus x ∈ 〈I, y〉folgt dann x ∈ 〈I〉 oder y ∈ 〈I, x〉.

Wir nennen 〈I〉 den Spann von I (in S).Sei jetzt V ein endlich-dimensionaler Vektorraum über einem KörperK. Für je endlich

viele Vektoren v1, . . . , vn von V sei 〈v1, . . . , vn〉 ihr linearer Spann über K, also dieMenge der Linearkombinationen über K in v1, . . . , vn. Zeige, daß dadurch auf V eineSpannoperation im obigen Sinne definiert wird.Aufgabe 8.7.4. Sei L über K eine Körpererweiterung. Für je endlich viele Elemente x1,. . . , xn sei dann 〈x1, . . . , xn〉 die Menge der in x1, . . . , xn überK algebraischen Elemente.Zeige, daß dadurch auf L eine Spannoperation definiert wird.Aufgabe 8.7.5. Sei eine Spannoperation auf einer Menge S gegeben. Wir nennen Elementex1, . . . , xn von S zueinander unabhängig, wenn xi für alle i ∈ 1, . . . , n nicht im Spannvon x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xn enthalten ist. Ist in diesem Falle S der Spann von x1,. . . , xn, so heißt x1, . . . , xn eine Basis von S.Bilden jetzt x1, . . . , xn eine Basis von S. Seien y1, . . . , ym weitere zueinander un-

abhängige Elemente. Zeige, daß wir n −m Elemente xi(1), . . . , xi(n−m) aus x1, . . . , xnauswählen können, so daß y1, . . . , ym, xi(1), . . . , xi(n−m) eine Basis von S bilden.Folgere, daß die Länge einer Basis von S immer dieselbe ist.

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8. Körper

Aufgabe 8.7.6. Sei L = Q(X) der Körper der rationalen Funktionen in X über Q. Gibein primitives Element der Körpererweiterung E = Q(X3 − 2, X6 −X2 − 1) über Q an.Zeige, daß L eine endliche Erweiterung von E ist und berechne ihren Grad.

8.8. Galoissche ErweiterungenIn diesem Abschnitt wollen wir schließlich die Galoissche Theorie aus Teil I auf allgemei-nere Situationen ausdehnen. Dazu erinnern wir noch einmal an die Galoissche GruppeG = GalK(x1, . . . , xn) eines separablen Polynoms f(X) über einem Zahlkörper K mitNullstellen x1, . . . , xn ∈ Q: Dies ist eine endliche Gruppe all derjenigen Permutationenvon x1, . . . , xn, welche alle algebraischen Relationen von x1, . . . , xn über K invari-ant lassen. Wir haben schon gesehen, daß jede dieser Permuationen σ eine (auch mit σbezeichnete) Abbildung

σ : K(x1, . . . , xn)→ K(x1, . . . , xn), z := g(x1, . . . , xn) 7→ σ · z := g(xσ(1), . . . , xσ(n))

induziert, welche auf K wie die Identität wirkt. Es ist klar, daß jede dieser Abbildungenein Körperautomorphismus von L := K(x1, . . . , xn) über K ist, wobei über K wiederheißen soll, daß jeder dieser Automorphismen (also ein Isomorphismus von L auf sichselbst) die Elemente aus K fix läßt, also ein Automorphismus von K-Algebren ist. Wirbekommen damit eine Injektion

GalK(x1, . . . , xn)→ AutK(L), σ 7→ σ.

Ist auf der anderen Seite σ : L → L ein Automorphismus von L über K, so definiertdieser eine Permutation σ der Nullstellen, die durch xσ(i) = σ(xi) für alle i ∈ 1, . . . , ngegeben ist. Wir behaupten, daß diese Permutation ein Element der Galoisschen Gruppevon x1, . . . , xn über K ist: Dazu sei H(x1, . . . , xn) = 0 eine algebraische Relation der xiüber K. Da H nur Koeffizienten in K hat und der Automorphismus σ das Polynom Hdaher invariant läßt, haben wir

0 = σ ·H(x1, . . . , xn) = H(xσ(1), . . . , xσ(n)),

womit in der Tat die Relation erhalten bleibt. Wir erhalten damit eine Bijektion

GalK(x1, . . . , xn)→ AutK(K(x1, . . . , xn)),

die sogar ein Gruppenisomorphismus ist. Ohne Rückgriff auf eine bestimmte Abzählungder Nullstellen von x1, . . . , xn (welche nur in die Definition auf der rechten Seite eingeht),können wir die Galoissche Gruppe von f(x) auch als die endliche Gruppe der Automor-phismen von K(x1, . . . , xn) über K, also als die endliche Gruppe der Automorphismendes Zerfällungskörpers L von f(X) in Q über K definieren. Für die Galoissche Gruppe,die in diesem Sinne „basisfrei“ definiert ist, schreiben wir auch

Gal(L/K) := AutK(L). (8.3)

378

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8.8. Galoissche Erweiterungen

Die Schreibweise in (8.3) legt nahe, beliebige (endliche) separable KörpererweiterungenL vonK in bezug auf ihre Automorphismen von L überK zu untersuchen. Die GaloisscheTheorie aus Teil I überträgt sich in diesem allgemeineren Kontext aber nur, wenn dieKörpererweiterung L über K außerdem noch normal ist, was wir im folgenden definierenwollen:Sei K ein Körper. Eine normale endliche Körpererweiterung L von K ist eine endliche

Körpererweiterung L von K, so daß für jede (ideelle) Körperweiterung Ω von L das Bildeines jeden Körperhomomorphismus φ : L → Ω über K durch L gegeben ist. Ein jedersolcher Körperhomomorphismus ist also ein Automorphismus von L über K. Wir könnendies auch so formulieren, daß

AutK(L)→ HomK(L,Ω), σ 7→ σ

eine Bijektion ist, wobei HomK(L,Ω) für die Menge der Körperhomomorphismen von Lin Ω über K steht.Im folgenden wollen wir zunächst eine Charakterisierung normaler endlicher Körperer-

weiterung angeben, die in gewisser Weise intrinsisch ist und ohne Rückgriff auf beliebigeOberkörper Ω auskommt:

Proposition 8.52. Eine endliche Körpererweiterung L eines Körpers K ist genau dannnormal, wenn L der Zerfällungskörper eines Polynomes über K ist.

Beweis. Die eine zu beweisende Implikation ist nicht weiter schwierig: Sei f(X) ∈ K[X],und sei L = K(x1, . . . , xn), wobei

f(X) = (X − x1) · · · (X − xn)

in L gilt, das heißt also, L ist ein Zerfällungskörper. Jeder Körperhomomorphismus überK von L in einen Oberkörper Ω muß Nullstellen von f(X) auf Nullstellen von f(X)abbilden, das heißt L auf L. Damit ist L normal.Es bleibt, die andere Implikation zu zeigen. Dazu nehmen wir eine endliche normale

Erweiterung L über K an. Insbesondere haben wir L = K(z1, . . . , zk), wobei z1, . . . ,zk ∈ K jeweils endlichen Grades über K sind.Sei f1(X) das Minimalpolynom von z1 über K. Sei Ω ein (ideeller) Oberkörper von

L, über dem f1(X) in Linearfaktoren zerfällt. Ist dann z eine Nullstelle von f1(X) inΩ. Dann existiert ein Körperhomomorphismus φ : K(z1) = K[X]/(f1(X))→ Ω, welcherz1 auf z abbildet. Diesen Körperhomomorphismus können wir sukzessive auf K(z1, z2),K(z1, z2, z3), . . . und schließlich zu einem Körperhomomorphismus φ : L→ Ω fortsetzen.Aus der Normalität von L über K folgt, daß z = φ(z1) ∈ L, das heißt also, f1(X) zerfälltschon über L in Linearfaktoren.Genauso sehen wir, daß sich f2(X), . . . , fk(X) über L in Linearfaktoren zerfallen.

Daraus folgt, daß L ein Zerfällungskörper von f(X) = f1(X) · · · fk(X) über K ist.

Beispiel 8.53. Jede endliche Körpererweiterung L ⊇ K vom Grade 2 ist normal, dennein Polynom vom Grade 2, welches in L eine Nullstelle hat, zerfällt über L auch inLinearfaktoren.

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8. Körper

Beispiel 8.54. Die Körpererweiterung Q( 3√2) ⊇ Q ist nicht normal, denn 3√2 besitzt inQ galoissche Konjugierte, welche nicht reell sind und daher auch nicht in Q( 3√2) liegenkönnen.Beispiel 8.55. Sei L eine normale endliche Körpererweiterung eines Körpers K. Ist dannE eine über K endliche Zwischenerweiterung, so ist L auch über E normal: Ist etwaL ein Zerfällungskörper eines Polynoms f(X) über K, so ist auch L Zerfällungskörperdesselben Polynoms, diesmal allerdings aufgefaßt als Polynom über E.Im Falle der Definition der Galoisschen Gruppe Gal(L/K) von oben haben wir es

also immer mit normalen Körpererweiterungen zu tun. Aber das charakterisiert die be-trachteten Erweiterungen noch nicht völlig, da wir es in der Galoisschen Theorie mitseparablen Polynomen zu tun haben. Von daher definieren wir:

Konzept 8.56. SeiK ein Körper. Eine galoissche Körpererweiterung von K ist eine nor-male endliche separable Körpererweiterung L von K. Die Galoissche Gruppe Gal(L/K)einer galoisschen Körpererweiterung L ⊇ K ist die Gruppe AutK(L) der Automorphis-men von L über K (also der Automorphismen von L als K-Algebra).

Eine galoissche Körpererweiterung ist also einfach ein Zerfällungskörper eines sepa-rablen irreduziblen Polynomes. Wir haben also L = K(z), wobei z Nullstelle eines se-parablen irreduziblen normierten Polynomes f(X) über K ist. Wie in Teil I sind dieElemente der Galoisschen Gruppe durch die Bilder des primitiven Elementes z eindeutigbestimmt, genauer gibt es eine Bijektion zwischen den Nullstellen z1 = z, z2, . . . , zn vonf(X) in L und den Elementen σ1, . . . , σn der Galoisschen Gruppe von L über K, welchedurch

σi(z) = zi

gegeben ist. Insbesondere ist die Galoissche Gruppe also endlich, genauer haben wir

[Gal(L/K) : 1] = [L : K].

Beispiel 8.57. Sei f(X) ein separables Polynom über einem separabel faktoriellen KörperK. Dann gibt es einen Zerfällungskörper L von f(X) über K. Dieser Zerfällungskörperist eine galoissche Erweiterung von K.Beispiel 8.58. Sei p eine Primzahl. Seien q = pn, n ≥ 1 und q′ zwei p-Potenzen, so daßq′ = qd für ein d ≥ 1 ist. Sei L ein Körper mit q′ Elementen. Dann ist L galoisschüber seinem eindeutigen Unterkörper K mit q Elementen und die Galoissche GruppeGal(L/K) ist zyklisch von der Ordnung d mit Erzeuger Frobn.Wir wollen den Hauptsatz der Galoisschen Theorie aus Abschnitt 5.2 auf Seite 166

in dieser allgemeinener Situation erneut formulieren. Der Beweis überträgt sich mutatismutandis, und es treten auch keine neuen Effekte auf.

Hauptsatz 8.59. Sei K ein Körper. Sei L eine Galoissche Körpererweiterung von Kmit Galoisscher Gruppe G := Gal(L/K). Dann existiert zu jeder endlichen UntergruppeH von G genau ein über K endlicher Zwischenkörper E von L über K, so daß dieGaloissche Gruppe von L über E gerade H ist.

380

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8.8. Galoissche Erweiterungen

Wie bei der spezielleren Formulierung über Zahlkörper aus Abschnitt 5.2 auf Seite 166definert Hauptsatz 8.59 auf der vorherigen Seite eine Bijektion zwischen den überK end-lichen Zwischenerweiterungen E von L über K und den Untergruppen der GaloisschenGruppe G. Ist H eine Untergruppe von L über K, so der zugehörige Zwischenkörper Egerade durch

LH := x ∈ L|σ(x) = x für alle σ ∈ H

gegeben. Für die Indizes der Untergruppen und die Grade der Körpererweiterungen giltwegen [H : 1] = [L : LH ], des Lagrangeschen Satzes und der Gradformel die Beziehung

[G : H] = [LH : K].

Den Körper LH können wir auch anders beschreiben: Dazu fassen wir den QuotientenG/H vermöge der Linksmultiplikation als transitive G-Menge auf, also als Menge, aufder G wirkt. Der Körper L ist selbst eine G-Menge, so daß wir die Menge

HomG(G/H,L)

der G-äquivarianten Homomorphismen von G/H nach L betrachten können. Da je-der G-äquivariante Homomorphismus φ : G/H → L aufgrund der Transitivität der G-Operation schon durch das Bild φ(1) ∈ L von 1 ∈ G/H festgelegt ist, ist HomG(G/H,L)in natürlicherweise eine Teilmenge von L, nämlich die Teilmenge allderjenigen φ(1), wel-che invariant unter H sind, das heißt,

HomG(G/H,L)→ LH , φ 7→ φ(1)

ist eine natürliche Bijektion, welche ein Isomorphismus von Körpern wird, wenn wir dieRingstruktur der linken Seite durch punktweise Addition und Multiplikation definieren.Ist umgekehrt E ein über K endlicher gegebener Zwischenkörper von L über K, so

können wir die zugehörige endliche Untergruppe H = Gal(L/E) von G ganz ähnlichbekommen: Zunächst betrachten wir die Menge

HomK(E,L)

der Körpereinbettungen von E nach L über K. Auf dieser wirkt die Gruppe G durchLinkskomposition. Außerdem ist die Gruppenwirkung transitiv, denn wir können je-de Körpereinbettung von E nach L über K zu einem Automorphismus von L nach Lfortsetzen, so daß sich je zwei Körpereinbettungen von E in L über K durch einen Auto-morphismus aus G unterscheiden. Bezeichnen wir mit ι : E → L die Inklusionsabbildungund H die Standgruppe an ι bezüglich der G-Wirkung auf HomK(E,L), so erhalten wireine wohldefinierte Bijektion

G/H → HomK(E,L), g 7→ g · ι

transitiver G-Mengen. Da H gerade aus denjenigen Automorphismen von L besteht,welche die Einbettung E ⊆ L invariant lassen, haben wir gerade H = Gal(L/E). Damitkodiert also HomK(E,L) die zu E gehörige Untergruppe H.

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8. Körper

Fassen wir die obigen Überlegungen noch einmal zusammen: Sei G die GaloisscheGruppe einer galoisschen Erweiterung L über K. Indem wir jedem Quotienten G/Hvon G nach einer endlichen Untergruppe H den über K endlichen ZwischenkörperHomG(G/H,L) von L über K zuordnen und umgekehrt jedem über K endlichen Zwi-schenkörper E von L über K den Quotienten HomK(E,L) von G nach einer endlichenGruppe zuordnen, definieren wir eine Bijektion zwischen den Quotienten von G nachendlichen Untergruppen und den über K endlichen Zwischenkörpern von L über K. InFormeln ausgedrückt haben wir also

HomK(HomG(G/H,L), L) ∼= G/H

und

HomG(HomK(E,L), L) ∼= E. (8.4)

Ist die Galoissche Korrespondenz aus Hauptsatz 8.59 auf Seite 380 inklusionsumkehrend(das heißt, je größer die Untergruppe H, desto kleiner der Zwischenkörper E und um-gekehrt), so hat die hier vorgestellte Version den Vorteil, daß eine Surjektion G/H →G/H ′ transitiver endlicher G-Mengen (also H ⊇ H ′) einer Inklusion HomG(G/H ′, L) ⊆HomG(G/H,L) entspricht und daß einer Inklusion E ⊆ E′ von über K endlichen Unter-körpern von L einer Surjektion HomK(E′, L) → HomK(E,L) entspricht. Insbesonderegilt für die Größe, daß

[E : K] = |HomK(E,L)|,

eine Tatsache, die sich auch aus der Interpretation des Separabilitätsgrades ergibt, denn[E : K] = [E : K]s.Die Bijektionen aus (8.4) sind mit Automorphismen verträglich: Ist etwa f : G/H →

G/H eine G-äquivariante Bijektion, so induziert diese einen Körperautomorphismus

f∗ : HomG(G/H,L)→ HomG(G/H,L), g 7→ g f

über K. Ist umgekehrt φ : E → E ein Automorphismus über K, so ist

φ∗ : HomK(E,L)→ HomK(E,L), ψ 7→ ψ φ

eine G-äquivariante Bijektion. Wie sich leicht nachrechnen läßt, gilt

(f∗)∗ = f und (φ∗)∗ = φ.

Insbesondere können wir schließen, daß ein kanonischer Gruppenisomorphismus

AutK(E) ∼= AutG(G/H)

vorliegt, wenn E = HomG(G/H,L). Die rechte Seite haben wir allerdings schon inBeispiel 6.72 auf Seite 253 bestimmt, sie ist nämlich gerade NH(G)/H, wobei NH(G)der Normalisator von H in G ist, also die größte Untergruppe von G, in der H nochnormal ist. Wir haben also

AutK(E) ∼= NH(G)/H.

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8.8. Galoissche Erweiterungen

Wir können daraus schließen, wann E = LH über K selbst wieder eine galoissche Erwei-terung ist, was aufgrund der gegebenen Separabilität und Endlichkeit gleichbedeutenddamit ist, daß E über K eine normale Erweiterung ist: Ist NH(G) eine echte Unter-gruppe von G, was gleichbedeutend damit ist, daß H kein Normalteiler von G ist, soist [AutK(E) : 1] < [G : H] = [E : K]. Damit hat E weniger Körperautomorphismenüber K als sein Grad angibt, also kann E nicht galoissch über K sein. Sei umgekehrtNH(G) = G, das heißt, H ist ein Normalteiler von G. Dann haben wir insbesondereAutK(E) = G/H, das heißt

G = AutK(L)→ AutK(E) = G/H, σ 7→ (σ|E : E → E)

ist wohldefiniert, womit jeder Automorphismus σ von L einen Automorphismus von Edurch Einschränkung induziert. Ist dann φ : E → Ω eine Einbettung in einen Oberkörpervon E über K, so können wir diese zu einer Einbettung L → Ω fortsetzen. Da L überK normal ist, induziert diese Einbettung einen Automorphismus von L. Folglich giltφ(E) ⊆ E, das heißt, E ist ebenfalls normal über K. Zusammenfassend haben wir also:

Proposition 8.60. Sei E eine über K endliche Zwischenerweiterung von L über K.Dann ist E genau dann über K normal (also galoissch), wenn die Galoissche Gruppevon L über E eine normale Untergruppe der Galoisschen Gruppe von L über K ist. ImFalle, daß E galoissch über K ist, ist

Gal(E/K) = Gal(L/K)/Gal(L/E).

Die Proposition ist auch der Grund dafür, warum für normale Körpererweiterungund normale Untergruppen mit demselben Adjektiv normal bezeichnet werden. Wennwir eine G-Menge als normal bezeichnen, wenn ihre Automorphismen, also ihre G-äquivarianten Bijektionen, auf ihr transitiv wirken, so können wir Proposition 8.60 auchso formulieren, daß unter der Bijektion E 7→ HomK(E,L) die galoisschen Erweiterungenvon K den normalen transitiven G-Mengen entsprechen.Aus Proposition 8.60 folgt außerdem, daß zu jeder über K endlichen Zwischenerweite-

rung E von L über K eine kleinste über K endliche Zwischenerweiterung E von L überK existiert, welche über K galoissch ist und E enthält: Es ist nämlich

E = HomG(G/NH(G), L) = LH ,

wenn H die Galoissche Gruppe von L über E ist und

H :=⋂g∈G

gHg−1

die größte endliche Untergruppe von H ist, welche normal in G ist. Es heißt E dernormale Abschluß von E in L.Wie sieht es mit der Galoisschen Theorie aus, wenn wir von einer normalen endlichen

Körpererweiterung L ⊇ K ausgehen, welche vielleicht nicht separabel ist? Sei G =

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8. Körper

AutK(L) die Menge der Automorphismen von L über K. Es sei E der Fixkörper von Lunter G, das heißt

E = x ∈ L|σ · x = x für alle σ ∈ G.

Es ist E endlich über K. Sei Ω ein algebraisch abgeschlossener (ideeller) Oberkörpervon E. Jede Körpereinbettung φ : E → Ω über K setzt sich aufgrund der Normalitätvon L über K zu einem Automorphismus von L fort. Da jeder Automorphismus vonL eingeschränkt auf E nach Definition von E die Identität ist, gibt es nur genau eineEinbettung φ : E → Ω über K. Wir haben also [E : K]s = 1, das heißt E ist über K reininseparabel. Wir wollen zeigen, daß L über E separabel und damit galoissch ist. Wirkönnen dann also über dem Teil L über LG weiterhin die Galoissche Theorie anwenden.Sei dazu x ∈ L beliebig, von dem wir zeigen wollen, daß es separabel über E ist. Sei Hdie endliche Gruppe derjenigen Elemente aus G, die auf x trivial wirken. Ist dann σ1,. . . , σk ∈ G ein Repräsentantensystem von G/H, so ist

f(X) = (X − σ1(x)) · · · (X − σn(x)) ∈ L[X]

ein separables Polynom, welches x als Nullstelle hat. Außerdem ist dieses Polynom unterG invariant, so daß wir sogar f(X) ∈ E[X] haben. Damit ist x separabel über E.Es läßt sich im übrigen leicht überlegen, daß E = L ∩ Kp−∞ , wenn Kp−∞ der voll-

kommene Abschluß von K ist. Wir erhalten damit eine Bijektion zwischen den endlichenUntergruppen von G und den über K endlichen Zwischenerweiterungen von L über K,welche alle über K rein inseparablen Elemente enthalten.Wir bemerken weiterhin, daß wir im Falle einer normalen endlichen Erweiterung

L ⊇ K diese auf zwei unterschiedliche Arten und Weisen faktorisieren können: Einmalüber den separablen Abschluß von K in L, gefolgt von einer rein inseparablen Erweite-rung oder über den vollkommenen Abschluß von K in L, gefolgt von einer separablenErweiterung.

AufgabenAufgabe 8.8.1. Zeige, daß eine endliche Körpererweiterung L über einem KörperK genaudann normal über K ist, wenn jedes Polynom f(X) ∈ K[X], welches in L eine Nullstellehat, über L schon in Linearfaktoren zerfällt.Aufgabe 8.8.2. Sei L eine endliche Körpererweiterung eines Körpers K. Sei E ein überK endlicher Zwischenkörper. Zeige, daß L über K im allgemeinen nicht normal ist, auchwenn L über E und E über K normale Körpererweiterungen sind.Aufgabe 8.8.3. Sei p eine Primzahl. Sei L = Fp(T ). Überlege, daß K = Fp(T p) einUnterkörper von L ist. Zeige, daß L über K keine galoissche Erweiterung ist.Aufgabe 8.8.4. Sei L eine galoissche Erweiterung eines Körpers K. Sei G die GaloisscheGruppe von L über K. Seien H eine endliche Untergruppe von G und E ein überK endlicher Unterkörper von L. Für jede G-äquivariante Bijektion definieren wir denAutomorphismus

f∗ : HomG(G/H,L)→ HomG(G/H,L), g 7→ g f

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8.9. Auflösbare Galoissche Gruppen

über K, und für jeden Automorphismus φ : E → E über K definieren wir die G-äquivariante Bijektion

φ∗ : HomK(E,L)→ HomK(E,L), ψ 7→ ψ φ

Zeige, daß(f∗)∗ = f und (φ∗)∗ = φ.

Aufgabe 8.8.5. Sei L eine galoissche Erweiterung eines Körpers K. Sei G die GaloisscheGruppe von L über K. Sei H eine endliche Untergruppe von G. Sei E = LH . Zeige, daßF = LNH(G) die kleinste über K endliche Zwischenerweiterung von E über K ist, so daßE über F eine galoissche Erweiterung ist.Aufgabe 8.8.6. Sei L eine endliche Körpererweiterung eines Körpers K. Zeige, daß Lgenau dann galoissch überK ist, wenn eine endliche UntergruppeG der Automorphismenvon L (also der Körperisomorphismen von L nach L) existiert, so daß

K = LG = x ∈ L|σx = x für alle σ ∈ G.

8.9. Auflösbare Galoissche Gruppen

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Teil III.

Ausblicke

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Literaturverzeichnis

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