Fremdsprache Deutsch Ausgabe 39 2008 - η-Τάξη ΕΚΠΑ · für die Didaktik zu nutzen, ......

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Fremdsprache Deutsch Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts Heft 39 I 2008 Hueber Freude an Sprachen Textkompetenz Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela. Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. © Copyright Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2014 - (Einzeldokumenteverkauf) - 01.12.2014 - 10:19 - (ds) 587013053879

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Fremdsprache Deutsch

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts

Heft 39 I 2008

Hueber Freude an Sprachen

Textkompetenz

Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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SpielendDeutsch lernen

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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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5 Paul R. Portmann-Tselikas, Sabine Schmölzer-EibingerTextkompetenz

17 Ingo ThonhauserTextkompetenz im Fremdsprachenunterricht. Was können Lernende mit dem Le-sen und Schreiben im Fremdsprachenunterricht anfangen?

23 Gert Rijlaarsdam, Martine BraaksmaDie Sache mit den „Schlemmy“-RiegelnBeobachtendes Lernen: Ein Beispiel aus der Unterichtspraxis

28 Sabine Schmölzer-EibingerEin 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz

34 Antonie HornungSyntax- und Textkompetenz

40 Simone Auf der Maur Tomé„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“ Oder: Wie Textkompetenz durch Wortschatzarbeit gefördert werden kann

45 Ilona Feld-KnappSchülertexte differenziert beurteilenÜberlegungen zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur

50 Britta HufeisenTextsortenwissen – Textmusterwissen – Kulturspezifik von Textsorten

55 Imke MohrSchreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“? Ein Kurskonzept für internationale Studierende in einem deutschsprachigen Studi-engang

60 Sandra BallwegWissenschaftliches Schreiben lernen

Rubriken 4 Impressum/Editorial

54 Sprachecke: „Stirbt der Genitiv?“ (Peter Eisenberg)

62 Bücher zum Thema

63 Aktuelles Fachlexikon

64 Unsere Autorinnen und Autoren

Inhalt Heft 39

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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IMPRESSUMFremdsprache Deutsch

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts und Peter Bimmel, Christian Fandrych, Britta Hufeisen, Rainer E. Wicke im Verlag Hueber GmbH & Co KG, Ismaning

Schriftleitung und Vertretung des Goethe-Instituts: Werner Schmitz

Verantwortliche Themenheftherausgeberin: Sabine Schmölzer-Eibinger

Redaktion: Veronika KirschsteinGestaltung und Realisation: Thomas SchackAnzeigenleitung: Hueber Verlag GmbH & Co KGDruck: Ludwig Auer GmbH, DonauwörthTitelbild: MHV-Archiv (Katharina Kiermeir)

Themen der nächsten Hefte:• Integriertes Sprach- und Fachlernen (CLIL)• Blended Learning • Kooperatives Lernen

Ein Einzelheft „Fremdsprache Deutsch“ kostet EUR 9,60zuzüglich Versandkosten. Ein Jahresabonnement umfasstzwei reguläre Aus gaben und kostet EUR 16,50 zuzüglichVersandkosten. Die Dauer eines Abonnements beträgt einKalender jahr und verlängert sich automatisch jeweils um einJahr. Kündigung des Abonnements ist bis zwei Monate vorAblauf eines Kalenderjahres möglich.© Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechtevorbehalten. Die als Kopiervorlage bezeichneten Unterrichts -mittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke vervielfältigtwerden. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte werdensorgfältig geprüft. Unverlangt eingesandte Bücher werdennicht zurückgeschickt.

Adresse der Schriftleitung: Dr. Werner SchmitzGoethe-Institut e.V.Bereich 42 Bildungskooperation DeutschDachauer Str. 122, 80637 MünchenTel.: +49 (0)89-15921-407, E-Mail: [email protected]

Bezugsadresse: Ludwig Auer GmbH LeserserviceHeilig-Kreuz-Str. 1686609 DonauwörthTel.: +49 (0)906-73-478, Fax: +49 (0)906-73-122E-Mail: [email protected] Internet: www.hueber.de/fremdsprache-deutsch

Kontakt Verlagsredaktion: Annette AlbrechtTel.: +49 (0)89-9602-233, Fax: +49 (0)89-9602-254E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-19-399183-6ISSN 0937-3160Heft 39/2008

EDITORIALLiebe Leserinnen und Leser,

die Fragen „Textkompetenz? Noch ein neuer Begriff? Brauchenwir den?“ stehen am Beginn des Einführungsartikels, und nichtnur seine Autoren, die Heftherausgeberin Sabine Schmölzer-Eibinger und Paul Portmann-Tselikas, bejahen eindeutig die-sen Begriff, auch die übrigen Beiträge bestätigen ihn, indem siedie verschiedenen Facetten beleuchten, die er bündelt.

So geht es um• erfolgreiche Lektüre, deren Nutzung und schriftliche

Verarbeitung – mit Aufgabenbeispielen aus einer fachsprach-lich orientierten Unterrichtssequenz (Thonhauser)

• die Wechselwirkung zwischen Textmerkmalen und Lese-bzw. Hörprozessen, gezeigt anhand eines Beispiels aus derUnterrichtspraxis zum beobachtenden Lernen (Rijlaarsdam,Braaksma)

• ein didaktisches Modell zum schrittweisen Aufbau vonTextkompetenz für vielfältige Lernsituationen (Schmölzer-Eibinger)

• Leseverhalten und Lesestrategien angesichts in Fachtextenüblicher komplexer deutscher Satzmuster (Hornung)

• lexikalische Kompetenz als die Fähigkeit, Wörter im jeweili-gen Kontext adäquat zu verwenden (Auf der Maur Tomé)

• die Sensibilisierung Lernender für die vielfältigenFunktionen sprachlicher Mittel durch differenzierteSchülertext-Analyse (Feld-Knapp)

• die Nutzung und – angesichts ihrer Kulturspezifik – die„Gefahren“ von automatisiertem Wissen über Textsorten und-muster (Hufeisen)

• Verfahren zum reflektierten Umgang der Lernenden mitFachtexten und eigenen Schreibprozessen in einem studien-begleitenden Kurs – dargestellt anhand von kommentiertenAufgabenbeispielen (Mohr)

• Lernangebote zum wissenschaftlichen Schreiben im deutsch-sprachigen Raum (Ballweg)

In dieser 39. Ausgabe nehmen wir eine Tradition wieder auf,die es lange vor Bastian Sick (Der Dativ ist dem Genitiv seinTod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschenSprache.) schon in FREMDSPRACHE DEUTSCH gab, nämlich –oft bewusst unabhängig vom jeweiligen Thema – seit Heft 1(1989): die „Sprachecke“. Als Autor konnten wir einen der profi-liertesten und renommiertesten Sprachwissenschaftler dafürgewinnen: Peter Eisenberg! Wir danken ihm dafür und freuenuns auf seine Beiträge, hier beginnend – natürlich – mit demGenitiv …

Mit den besten Grüßen,

IhrWerner SchmitzGoethe-Institut München

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Textkompetenz – ein neuer BegriffDer erste Teil des Kompositums „Textkompe-tenz“ bezeichnet einen Gegenstandsbereich: Esgeht um Texte, um Textuelles, um Textualität –und damit um etwas, was dem Bereich derSchriftlichkeit nahesteht, auch wenn es sichnicht immer mit ihm deckt. Der zweite Teil –Kompetenz – bringt auf den Punkt, worum eshier hauptsächlich geht: Es ist die individuelleFähigkeit, Texte lesen, schreiben und zum Ler-nen nutzen zu können.

Mit einigen Phänomenen, die in diesemZusammenhang eine Rolle spielen, waren wirschon immer befasst. Ein Versuch, sie begrifflichfür die Didaktik zu nutzen, ist die Lehre von denvier Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen undSchreiben. Diese vier Fertigkeiten erlauben es,

die unterschiedlichen Modalitäten des Sprachge-brauchs zu benennen und das Mündliche vomSchriftlichen sowie das Rezeptive vom Produkti-ven zu unterscheiden. Allerdings haben wir mitdem Reden über die vier Fertigkeiten noch keinedidaktisch wirklich hilfreiche Unterscheidung –etwa im Hinblick auf die im Sprachunterrichtzentrale Frage, wie schwierig eine Aufgabe ist. Esist zwar immer wieder behauptet worden, dievier Fertigkeiten könnten in einer Skala nachSchwierigkeitsgrad geordnet werden, und es magauch abstrakte Gesichtspunkte geben, die einederartige Aussage plausibel machen. Praktischstimmt dies jedoch nicht. Das Hören ist nicht injedem Falle einfacher als das Sprechen, dasSchreiben keinesfalls generell schwieriger als dasLesen, und viele Lernende ziehen das Lesen dem

Textkompetenz

„Textkompetenz? Noch ein neuer Begriff? Brauchen wir den?“ Unsere Antwort auf diese Fragen istpositiv: Ja, diesen neuen Begriff brauchen wir – und es ist schade, dass wir ihn nicht schon seit Langemhaben. Denn dieser Begriff erlaubt es, bekannte Phänomene des Sprachgebrauchs und des Unterrichtsaus einer neuen und interessanten Perspektive zu sehen.

Von Paul R. Portmann-Tselikas und Sabine Schmölzer-Eibinger

© fotolia / Sunnydays

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Hören vor. Neben der Sprachmodalität spielenoffenbar noch ganz andere Aspekte eine Rolle,wenn es darum geht, Schwierigkeiten einzu-schätzen. Die Herausforderung liegt darin, diesauf einer generalisierbaren Ebene zu verdeutli-chen. „Textkompetenz“ ist der zentrale Begriff,den wir bei der Beurteilung der sprachlichen undkognitiven Leistungen in einer bestimmtenSituation verwenden, und wenn es darum geht,zu beurteilen, welche Leistungen erbracht wer-den müssen, um den jeweiligen Ansprüchengerecht zu werden.

Unser erstes Ziel ist es, Typen von Situationensprachlichen Handelns zu beschreiben und auf-zuzeigen: Welche Fähigkeiten sind gefordert,wenn sich Lernende in diesen Situationensprachlich zurechtfinden wollen? Unser zweitesZiel ist es, zu zeigen, wie der Begriff der „Text-kompetenz“ dazu benutzt werden kann, Paralle-len und Ähnlichkeiten in verschiedenen Konstel-lationen des Unterrichts herauszustellen. Wirwerden uns hier vor allem mit dem Fremdspra-chen- und dem Zweitsprachenunterrichtbeschäftigen. Es ist dann die Aufgabe der weite-ren Beiträge in diesem Heft, konkrete didakti-sche Modelle mit dem Fokus auf Textkompetenzvorzustellen.

Je mehr Information eine Person in einem Zugevermitteln will, desto texthafter wird ihre

Äußerung sein müssen

Sprachgebrauch: ein differenziertes FeldJim Cummins (1991, 79) weist in seiner Analysedes zweitsprachigen Lernens auf zwei relevanteAspekte hin, nach denen Sprachgebrauch analy-siert werden kann. Wir nennen sie hier, etwasvon Cummins abweichend, die „Dimension derTextualität“ und die „Dimension der themati-schen Orientierung“. Sie lassen sich kurz folgen-dermaßen charakterisieren:

Dimension der Textualität: Je mehr Informati-on eine Person in einem Zuge vermitteln will,desto texthafter wird ihre Äußerung sein müssen,desto höhere Anforderungen an inhaltliche undsprachliche Kohärenz muss sie erfüllen. Ein kur-zer Redebeitrag im Rahmen eines Dialogs stellteher geringe Anforderungen. Kohärenz im Rah-men von Gesprächen wird ad hoc hergestellt undkann implizit bleiben, muss also höchstens teil-weise sprachlich markiert werden. Kohärenz imRahmen von Texten dagegen muss in den Text„eingebaut“ werden, also so weit sprachlichexplizit gemacht werden, dass die inhaltlichen

Bezüge nachvollziehbar sind – unabhängigdavon, wann und wo jemand den Text hört oderliest.

Dimension der thematischen Orientierung:1

Je mehr sich ein Beitrag an den Gegebenheitenund Erfahrungen des Alltags orientiert, destoleichter fällt in der Regel das Reden und Verste-hen. Je stärker sich ein Beitrag an strukturiertenWissensbeständen, etwa eines Berufsfeldes,eines Faches oder einer wissenschaftlichen Dis-ziplin orientiert, desto größer ist der Einfluss vor-geprägter Sichtweisen und Begriffe. Das Redenwird „schwieriger“ in dem Sinne, als fachlicheKriterien vorhanden sind, an denen man sichorientieren muss. Oder einfach gesagt: Über denRegen von gestern kann jeder etwas sagen, überdie Vor- und Nachteile der letzten Pensionsre-form kann nur derjenige etwas Vernünftigessagen, der sich ein gewisses Wissen dazu ange-eignet hat.

Stellt man diese zwei Dimensionen als zweisich senkrecht schneidende Geraden dar, die dasgroße Feld des Sprachgebrauchs unterteilen, soergeben sich vier Quadranten:

Wenn wir aus dieser Perspektive auf den Sprach-gebrauch schauen, können wir vier prototypi-sche Formen des Umgangs mit Sprache benen-nen – und es wird sich zeigen, dass diese für dasSprachlehren und -lernen wichtig sind:• Der erste Quadrant umfasst vor allem den

„Bereich der mündlichen Alltagskommunika-tion“: Beziehungspflege („Wie geht es dirheute?“, „Du schaust blass aus“ …), Organisa-tion des gemeinsamen Tuns („Gehen wirheute ins Kino?“, „Welchen Film schauen wiruns an?“), Einkaufen, Gespräche über denGartenzaun etc. Das ist der Bereich der Kom-munikation, in dem alle Menschen in einerGesellschaft bis zu einem gewissen Grad über-einkommen und den Kinder in ihrer Entwick-

thematische Orientierung:Welt des systematisierten Wissens

3 4dialogisch textuellorganisiert durchformt

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thematische Orientierung: Welt des Alltags

Abb. 1: Die vier Quadranten

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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lung zuerst kennenlernen – und es ist gleich-zeitig auch der Bereich, der in fast jedemFremdsprachenunterricht den Anfängerunter-richt dominiert. Diese Welt der Alltagskommu-nikation ist vorwiegend mündlich. Einkaufs-zettel, kurze Notizen, SMS, die Kommunikati-on in Chatrooms etc. zeigen aber, dass auchdas Schriftliche hier einen Platz hat.

• Der zweite Quadrant umfasst jenen Sprachge-brauch, der noch der Welt des Alltags und sei-ner Sichtweise verpflichtet ist, aber textuellgeformt ist. Die Information, die hier ins Spielkommt, muss, um verständlich zu bleiben,

kohärent und nachvollziehbar formuliert wer-den. Prototypisch sind hier (mündliche undschriftliche) Alltagserzählungen, Gute-Nacht-Geschichten, Trivialliteratur, Zeitungstexte mitAlltags- und Personenbezug, wie sie etwa in

In der kindlichen Entwicklung bietenAlltagserzählungen, Märchen und andere kurze Geschichten den ersten Kontakt mit

der Welt der Texte

Gratiszeitungen und Boulevardmedien er -scheinen. In der kindlichen Entwicklung bie-ten Alltagserzählungen, Märchen und anderekurze Geschichten den ersten Kontakt mit derWelt der Texte und den Anforderungen an dasVerstehen und Produzieren von zusammen-hängenden Äußerungen, die über das unmit-telbar Dialogische hinausgehen. Texte dieserArt sind auch im Mutter- und im Fremdspra-chenunterricht wichtige Elemente des Unter-richts. Sie bilden eine Brücke zwischen derUmgangssprache und der Hochsprache, zwi-schen Dialog und Text, zwischen dem simplenErleben und der Darstellung und Reflexioneigener und fremder Erfahrungen.

• Im dritten Quadranten ist Sprachgebrauchnicht textuell durchformt, er ist der Typik nachalso mündlich und dialogisch geprägt. Aber erist gekennzeichnet durch den Bezug zu einemstrukturierten, übergreifenden Wissen. Kinder,die ihre Eltern mit „Warum“-Fragen quälen,verlassen die Schemata alltäglicher Lebensbe-wältigung und wollen Ursachen, Gründe, dieHerkunft von diesem und jenem erfahren. Siemachen den Sprung aus dem alltäglichenAgieren in das mehr oder weniger distanzierteBeobachten und Befragen dessen, was ist.Genau das tun auch etwa Politiker in Diskussi-onsrunden im Fernsehen, Experten im Inter-view, Freunde, die miteinander fachsimpeln,Lehrkräfte, die mit ihren Klassen zusammenein Thema erkunden. Ihnen allen geht es umdas Erklären, Begründen, Suchen von Zusam-menhängen, also um genau das, was schondas Kind mit seinem „Warum?“ einfordert.Schriftlich festgehalten werden solche Dingein Interviews, und wer in Vorbereitung aufeine Schulstunde oder eine größere schriftli-che Arbeit Stichwörter und kurze Notizen hin-schreibt, bewegt sich ebenfalls in diesem Feld.

• Der vierte Quadrant ist der Gegenpol zum ers-ten – er ist gekennzeichnet sowohl durchTextualität wie auch durch Orientierung amsystematischen Wissen. Es ist dies der prototy-pische Bereich der Sachtexte, in denen esdarum geht, „Welt“ in Sprache zu fassen undnachvollziehbar auszudrücken, wie Phänome-ne zustande kommen und welche Wirkungs-zusammenhänge ihnen zugrunde liegen. Esgeht also um Antworten auf Fragen wie bei-spielsweise die nach den Bedingungen für dieBildung von Regenfronten, den Motiven fürdie letzten außenpolitischen Entscheidungender amerikanischen Regierung, den Aufbauund die Funktion von Kapillargefäßen in

Abb. 2: Märchen erzählen – prototypischer Sprachgebrauchdes zweiten Quadranten.

Abb. 3: Beispiel für Sprachgebrauch des dritten Quadranten:eine Podiumsdiskussion.

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Pflanzen oder die Regularitäten des Verhaltensder deutschen Wechselpräpositionen. Wieschon diese Beispiele zeigen, bilden wissen-schaftliche Texte eine wichtige Gruppe in die-sem Bereich. Diese liefern auch für die Sachfä-cher der Schule die relevanten Fragestellungenund Begriffe. Es sind vor allem solche Texte,die das systematische Wissen bereitstellen, dasfür eine Wissensgesellschaft wie die unseremehr und mehr zum zentralen Faktor wird.Trotz der Dominanz des Schriftlichen gibt esin diesem Bereich aber auch mündliche For-men des Sprachgebrauchs, die textuell durch-formt und thematisch orientiert sind – zu nen-nen sind hier etwa ausführliche Erläuterun-gen, Vorträge und Vorlesungen.

Wir nehmen nicht in Anspruch, dass mit dieserKategorisierung das Feld des Sprachgebrauchserschöpfend beschrieben wäre. Aber die hier ein-genommene Perspektive erlaubt es, Unterschie-de in den Blick zu nehmen, die für jede sprach-gebundene Kommunikationssituation und vorallem für den Unterricht von Bedeutung sind.2

Die individuelle Seite: KommunikativeBasiskompetenz und TextkompetenzBetrachten wir dieses gesamte Feld und fragen wiruns, was jemand können muss, um in den jeweili-gen Bereichen sprachlich bestehen zu können, sosehen wir einen stabilen Pol im ersten Quadran-ten, der für alle Menschen zumindest in ihrerMuttersprache der Ausgangspunkt der sprachli-chen Entwicklung ist. Cummins nennt die Kom-petenz, die hier gefordert ist, „basic interpersonalcommunication skills“, wir können das überset-zen als „kommunikative Basiskompetenz“.

Kaum jemand ist in seiner sprachlichen undkommunikativen Kompetenz auf diesen Bereichbeschränkt. Jeder macht im Laufe seiner Ent-wicklung Erfahrungen, die darüber hinausgehen.Das Erzählen von Geschichten auf der einen, dasErklären von Erscheinungen und Zusammen-hängen auf der anderen Seite – das gehört inallen Kulturen, auch in schriftfernen, zu den zen-tralen Formen sozialen und kommunikativenVerhaltens. Allerdings gibt es hier Unterschiede,denn bei Weitem nicht alle Menschen nehmen ingleichem Umfang und in gleicher Intensität ansolchen Aktivitäten teil. Das mag individuelleNeigungen spiegeln, es zeigen sich hier aber vorallem auch die Folgen unterschiedlicher sozio-kultureller und ökonomischer Bedingungen.Diese führen dazu, dass die einen über einenbesseren Zugang zu den komplexeren Formen

des Sprachgebrauchs verfügen als die anderenund von daher auch aktiver und zielgerichteterin diesen Bereichen handeln können – sowohlrezeptiv als auch produktiv, sowohl mündlichwie auch schriftlich.

Eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigsteFunktion der Schule ist die Wissensvermittlung

Diesen Zugang eröffnen in unserer Gesellschaftzunächst die Familie und anschließend die Schu-le. Eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigsteFunktion der Schule ist die Wissensvermittlung –und die lässt sich nicht allein auf der Grundlageeiner kommunikativen Basiskompetenz und derdamit verbundenen Sprachkenntnisse bewerk-stelligen. Vielmehr nimmt jedes einzelne schuli-sche Fach Anleihen bei seiner Bezugswissen-schaft, und mit den Begriffen und Sichtweisendes Faches kommen neue und andere Anforde-rungen ins Spiel: Einerseits sind das sprachlicheAnforderungen, etwa Fachvokabular und ein dif-ferenzierter allgemeiner Wortschatz, ohne die dieDenkweise und die Erkenntnisse einer Disziplinnicht sprachlich abgebildet werden können.Andererseits sind dies textuelle Anforderungen.Es geht hier um Formulierungen, bei denen esauf Genauigkeit und Trennschärfe ankommt,sowie um die Fähigkeit, mit sprachlichen Mittelneine kohärente Vorstellung von der Sache zuerzeugen.

Mit einem aus der Psychologie entlehnten Be -griff können wir das auch so ausdrücken: Es gehthier um die Kompetenz, aufgrund komplexersprachlicher Information sachgerechte „mentaleModelle“3 aufbauen zu können – rezeptiv undproduktiv. Und die sprachliche Grundform, diedie Konstitution solcher Modelle leistet, ist derText.

Diese sprachliche und kognitive Fähigkeitnennt Cummins „cognitive-academic language

Abb. 4: Wissensvermittlung in der Schule

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proficiency“. Wir nennen sie hier kurz „Textkom-petenz“. Der Kernbereich ihrer Anwendung liegtim 4. Quadranten: es ist eine Kompetenz, die wirvor allem in der Auseinandersetzung mit Textenund Themen erwerben. Sie besteht in der Fähig-keit, sprachbasiert zu denken und dabei Wissenzu strukturieren – auch unabhängig von unmit-telbaren Erfahrungen und Erlebnissen. Dieserfordert die Kenntnis komplexer Begriffe undKonzepte, die es erlauben, über eine Sache expli-zit und unmissverständlich Auskunft zu geben.Das heißt: Es ist eine in der Schule notwendiggeforderte, allerdings eine nicht nur dort erwor-bene Kompetenz.Zwei Aspekte sind hier bemerkenswert: • In der sprachlichen Entwicklung nähern sich

Kinder dieser Kompetenz schon vorschulischdurch Aktivitäten im zweiten und dritten Quadranten an. Kinder, die in ihrer Umge-bung intensiv mit Berichten und Erzählungenauf der einen Seite sowie Beschreibungen,Erklärungen und Argumenten auf der anderenSeite in Kontakt gekommen sind, haben in derRegel einen leichteren Zugang zu den schu-lisch vermittelten Wissensbeständen: Siehaben entsprechende Denkweisen, Formulie-rungsroutinen und Kommunikationsschematabereits aufgebaut, wenn sie in die Schule kom-men und können auf dem Stand ihrer sprach-lichen Entwicklung fortfahren. Kinder, diediese Chance nur in geringem Maße bekom-men haben, haben demgegenüber häufig gra-vierende Probleme mit den Anforderungen,die die Schule und der formale Wissenserwerbstellen.

Die beiden Kompetenzen, „kommunikativeBasiskompetenz“ und „Textkompetenz“, stehen

in Kontakt und beeinflussen einander

• Kompetenzen im Umgang mit Texten und mitformalem Wissen strahlen auf die anderenBereiche des Sprachgebrauchs ab. Deutlichzeigt sich dies bei Fachexperten: Es gelingtihnen, Aspekte ihres Wissens auch im Mündli-chen präzise und fachgerecht, oft „wie ge -druckt“ weiterzugeben. Nicht selten habensolche Personen auch ein lebendiges Verhält-nis zu den Gegebenheiten, die über das reinFachliche hinausgehen: Ein Interesse fürGeschichten, Erzählungen und Literatur. Undnicht selten macht sich dieser Hintergrundauch noch in der Art des Sprachgebrauchs imAlltagsbereich bemerkbar.

Die beiden Kompetenzen „kommunikative Basiskompetenz“ und „Textkompetenz“ stehenalso – obwohl einander scheinbar diametral ent-gegengesetzt – durchaus in Kontakt und beein-flussen einander.

Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben sinddementsprechend nicht an sich schwierig oderleicht. Was uns schwer oder leicht fällt, ist das,was wir sprachlich zu bewältigen haben, wennwir sprechen, hören, lesen oder schreiben. Ineinem gewissen Sinne ist dies selbstverständlich.Aber diese Selbstverständlichkeit ist eine zwei-schneidige Sache. Viele Lehrerinnen und Lehrerwaren gute Schülerinnen und Schüler, sie habendie Härten und Schwierigkeiten, die in den hierdargestellten Verhältnissen liegen, selber kaumerlebt. Die verschiedenen Bereiche des Sprach-gebrauchs scheinen ihnen alle gleichermaßenvertraut und unproblematisch.

Man muss die Probleme von Lernenden,denen ein adäquater Sprachgebrauch in formalenLernsituationen nicht geläufig ist, erst miterlebenund analysieren, um zu sehen, welche Hürdendamit in der schulischen Laufbahn entstehenkönnen und wie wünschenswert es ist, sie imUnterricht wahrzunehmen und zu bearbeiten.

Textkompetenz und SprachunterrichtTextkompetenz ist als Basisfähigkeit des Wis-senserwerbs zentral. Unabhängig davon, ob esum den „normalen“ Unterricht geht, um einenintegrierten Sach-Fach-Unterricht4 (Content andLanguage Integrated Learning = CLIL), um dasStudieren in einer Fremdsprache oder denUnter richt für Schülerinnen und Schüler mitMigrationshintergrund in mehrsprachigen Klas-sen. Textkompetenz, so könnte man daher sagen,ist für den Unterricht elementar. Aber gilt dies imBesonderen auch für den Sprachunterricht? Wohaben wir es hier mit den Schwierigkeiten undAnforderungen des Wissenserwerbs in einerfremden Sprache zu tun? Geht es doch im Sprach-unterricht vor allem darum, die Sprache zu ver-mitteln und weniger darum, Sprache als Trägervon Wissen einzusetzen. Und die im Sprach un-terricht üblicherweise verwendeten Texte – Ge -brauchstexte, literarische Texte etc. – dienendoch vor allem der Schulung des Leseverstehensoder als Gesprächsanlass und weniger alsGrund lage für die Vermittlung und den Erwerbvon Wissen.

Wir möchten im Folgenden zeigen, warumTextkompetenz auch im Sprachunterricht von

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Belang ist. Zunächst betrachten wir den Fremd-sprachenunterricht, dann widmen wir uns demZweitsprachenunterricht mit Migrantinnen undMigranten.

Fremdsprachenunterricht und TextkompetenzIm klassischen kommunikativen Fremdspra-chenunterricht geht es primär um sprachlichesHandeln in Situationen des zielsprachlichen All-tags. Dinge, die man in der Muttersprache selbst-verständlich tut, bilden die Basis für das Lernender Fremdsprache: Leute begrüßen, sich verab-schieden, Gebäck einkaufen, beim Arzt überSchmerzen klagen. Zu diesen Situationen pas-sende Dialoge werden im Unterricht vorgespieltoder gelesen und bearbeitet, begleitend dazuwerden die Aussprache-, Grammatik- und Wort-schatzkenntnisse der Lernenden erweitert.

Zwei Dinge fallen bei diesem Konzept insAuge: auf der inhaltlichen Ebene die Tatsache,dass man in diesem Unterricht hauptsächlichSprache und kaum Inhalte lernt, auf der lern-theoretischen Ebene die Tatsache, dass es vorallem darum geht, muttersprachlich beherrschteSprachhandlungen in der Fremdsprache auszu-führen. Dies geschieht in einem Kontext höchs-ter Bewusstheit und Sprachaufmerksamkeit.

Mit beiden Charakteristika sind gewisse Pro-bleme verbunden. Sie sollen hier nacheinanderbesprochen werden.

Der Fremdsprachenunterricht und seine InhalteDas erste der beiden Charakteristika wurdeschon vor längerer Zeit in aller Deutlichkeit vonHarald Weinrich formuliert, der in seinem Auf-satz „Von der Langeweile des Sprachunterrichts“(1985) festgestellt hat, dass man im Sprachunter-richt „nichts lernt“. Wenn man im Sprachunter-richt nur Sprache lernt, aber in ihm keine Weltvermittelt wird – wie kann man da der Langewei-le entgehen? Und kann man so wirklich Sprachelernen? Weinrichs Antwort ist ein Plädoyer für(anspruchsvolle) Literatur im Sprachunterrichtund für eine inhaltsreiche, „welthaltige“ Ausei-nandersetzung. Das ist ein Werben dafür, auchden Sprachunterricht explizit als Lernsituation indem Sinne zu gestalten, dass in ihm nicht nurdie fremde Sprache, sondern auch (mit ihr ver-bunden) Einsichten und Wissen vermittelt wer-den. Man kann einige Ansätze der Deutsch-alsFremdsprache-Didaktik in den letzten Jahren vordiesem Hintergrund als Versuche verstehen, derGehaltlosigkeit des Unterrichts entgegenzuwir-

ken und ihn mit mehr Inhalt zu versehen. Dazugehört das neu erwachte Interesse an Literatur,die Bemühungen, Landeskunde in die Sprach-vermittlung zu integrieren, die Diskussion uminterkulturelle Kommunikation, vor allem aberdie Konzepte des integrierten fremdsprachlichenSprach- und Sachlernens (CLIL).

Wie früh diese Konzepte einsetzbar sind,sodass sie den Unterricht verändern, und wieweit dies überhaupt möglich ist, ist eine Frage,der wir hier nicht nachgehen können. In Bezugauf unser Thema ist jedoch von Interesse, dass

all diese Ansätze darauf abzielen, den Kontaktmit der Sprache interessant und bedeutungsvollzu machen. Die Sprache soll ein Mittel sein,Neues zu lernen – Sprache soll „arbeiten“, oderetwas pathetischer ausgedrückt: Die fremdeSprache soll als „Tor zur Welt“ erfahren werden.5

Das ist im Übrigen der Modus, in dem fast jederkindliche Spracherwerb stattfindet.

Die fremde Sprache soll als „Tor zur Welt“erfahren werden.

Mit dieser Forderung nach einer Orientierung anInhalten und Sachverhalten befinden wir unsnun aber genau in den Bereichen der Sprachver-wendung, die wir oben als Sphären erweiterterDenk- und Sprachfähigkeiten kennengelernthaben (vgl. die Quadranten 2, 3 und 4). Die For-men des Sprach- und Weltkontakts, die hierangedacht sind, lassen sich auf der Grundlage

Abb. 5: Kontakt mit Sprache soll bedeutungsvoll sein

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alltagsbezogener, kommunikativer Basiskompe-tenzen nicht gestalten. Es geht vielmehr um einreflektiertes Umgehen mit Sprache, das aufinhaltliches Verstehen sowie auf das Verarbeitenund Verändern von Gedanken und Konzeptenzielt. Als Antwort auf Weinrichs Klage könntenwir also sagen: Ein interessanter Fremdspra-chenunterricht kann sicherlich keiner sein, dersich primär auf die Repetition von Bekanntemkonzentriert und all die Kenntnisse und Kompe-tenzen der Lernenden ungenutzt lässt, diebereits erworben worden sind und die für eininhaltsbezogenes, themenorientiertes Lernen inund mit der Fremdsprache gewinnbringend ein-gebracht werden können.

Was hier in Bezug auf die Anfänger- und Mit-telstufe gesagt ist, gilt umso mehr für alle Formendes Fortgeschrittenenunterrichts. Es ist möglich,dass das erste Ziel hier „nur“ die Fähigkeit ist,Gespräche über verschiedenste Themen zu füh-ren, und dass keine besonderen Kompetenzen imschriftlichen Bereich angestrebt werden. Auchwenn dies der Fall ist, ist es schwer zu erkennen,wie das Ziel erreicht werden könnte ohne eineintensive Auseinandersetzung mit Informationenund Formulierungen, wie sie prototypisch in Tex-ten zu finden sind und wie sie auch anhand vonTexten gelernt werden. Es ist ja geradezu die Defi-nition von Gesprächen (im Gegensatz zu Alltags-dialogen, die auf die Erledigung praktischer Zwe-cke ausgerichtet sind), dass sie den Einsatz eineserweiterten, themenbezogenen Wortschatzes undadäquater Formen des Ausdrucks erfordern. Dasbemerken Fremdsprachenlernende immer dann,wenn sie in einem Kreis von Muttersprachlern –nach der Begrüßung und Fragen über Befinden,Herkunft etc. – z.B. mit einem angeregten Aus-tausch über Außenpolitik, gefolgt von Gesund-heitsfragen, den letzten Neuigkeiten über dengeplanten Generalstreik und schließlich noch mitder Klage über das schwierige Unterfangen, guteHandwerker für die Neugestaltung des Hauses zufinden, konfrontiert werden. Das sind Sachthe-men, die im Rahmen eines privaten Austauschesmitgeteilt werden, verkürzt und vereinfachtgegenüber dem professionellen Diskurs und dochin vielerlei Hinsicht von ihm geprägt. Sie werdenumso interessanter und informativer, je mehr the-matisches Wissen zur Verfügung steht. Die Fähig-keit zu Gesprächen solcher Art ist – so paradoxdies klingen mag – nur vor dem Hintergrund einerentwickelten Kompetenz im Umgang mit Textenzu erlangen. Es ist kein Zufall, dass fast jedes Lehr-werk auf dieser Stufe seinen Schwerpunkt in der

Auseinandersetzung mit Texten hat, da hier jeneFormen des Sprechens abgeschaut werden, diefür solche Gespräche benötigt werden. Allerdingsbleibt dieser Zusammenhang zwischen Text undGespräch im Unterricht meist ganz implizit,sodass jene didaktischen Möglichkeiten zu wenigausgeschöpft werden, die sich durch eine expliziteund extensive Nutzung dieser Verbindung erge-ben.

Abschließend lässt sich sagen: Textkompe-tenz ist schon im Anfängerunterricht von Bedeu-tung, sie spielt aber spätestens ab der Mittelstufeeine entscheidende Rolle – längst bevor sie instudienbegleitenden Sprachkursen und in spe-zialisierten Kursen zum Schreiben für Fortge-schrittene in den didaktischen Fokus rückt.

Fremdspracherwerb – auf welcher Basis? Die zweite oben angesprochene Charakteristiklässt sich auf eine einfache Feststellung reduzie-ren: Unsere traditionelle Fremdsprachendidaktiksetzt eine ganze Palette von Kenntnissen voraus,die sie nicht selber vermittelt. Sogar, wenn es umdie fundamentalen Anfänge im Fremdsprachen-unterricht geht, sind im Lernprozess mehr Dingeinvolviert als nur die ersten Wörter und Sätze.

Unsere traditionelle Fremdsprachendidaktik setzt eine ganze Palette von Kenntnissen voraus,

die sie nicht selber vermittelt.

Dies wird sichtbar, wenn es um den Unterrichtmit Kindern, Schul-Ungewohnten oder Analpha-beten geht. In solchen Gruppen sind die unter-richtlichen Vorgehensweisen, die wir normaler-weise für angezeigt und sinnvoll halten, kaummehr fruchtbringend. Der Unterricht muss aufganz anderer Basis erfolgen, soll er die Lernen-den erreichen.

Ein wichtiges Indiz für die Unterschiede, diehier eine Rolle spielen, ist die Verwendung derSchrift. Schrift ist im „normalen“ Unterricht vonAnfang an eine wichtige und unverzichtbareGrundlage des Lernens, am deutlichsten fassbarim Lehrbuch und in anderen Arbeitsmaterialien.Die Schrift hält fest, was Gegenstand des Unter-richts ist, sie erlaubt eigenständiges Arbeitenund Lernen, sie bildet ab, was gesprochen wird,und sie ist der Ausgangspunkt für neuerlichesSprechen. Dies ist ein höchst folgenreicher Sach-verhalt. Wir möchten hier nur auf einige wesent-liche Punkte hinweisen:• Schrift analysiert Sprache. Nur in der Schrift

(und nicht im Sprechen) erscheinen die Wör-

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ter als erkennbare, abgetrennte Ganzheiten,als Objekte. Erst die Reflexion über schriftlichdargestellte Wörter erlaubt es, von einem Wortzu sagen, dass es „ein starkes Verb“ oder „einNomen maskulinum mit starker Flexion“ ist.Auch der grammatische Hinweis, dass „ineinem Satz das Subjekt nicht mit dem Verbübereinstimmt“, ist ein Produkt einer Sprach-analyse, die auf Schrift basiert. Daran ändertsich auch dann nichts, wenn dieser Hinweismündlich erfolgt – er erfordert vom Adressa-ten, Subjekt und Verb im Rahmen des Satzgan-zen zu erkennen und auf die relevantenAspekte ihres Verhältnisses (Numerus, Person)hin zu analysieren. Dies gelingt nur, wennman für einen Augenblick die Aussageabsichtin den Hintergrund stellt, die entsprechendenWörter als linguistische Größen betrachtetund an ihnen spezifische Operationen voll-zieht (den Singular-Plural-Test zum Beispiel) –so wie wenn man sie geschrieben vor sichhätte.

• Schrift isoliert Sprache. Kinder lernen erst mitdem Schrifterwerb, Wörter sicher von dem,was sie bezeichnen, zu unterscheiden. Mit derweiteren Entwicklung schriftlicher Kompeten-zen wird die Sprache immer deutlicher als einGebilde mit eigener Struktur und eigenenRegularitäten erkannt – unabhängig vomjeweiligen Thema des sprachlichen Austau-sches. Auf dieser Isolierung beruht die Mög-lichkeit, sich von Sprache faszinieren zu lassenoder sich für eine bestimmte Sprache beson-ders zu interessieren. Letztlich ist auch der tra-ditionelle Sprachunterricht mit seiner Präsen-tation von Grammatikkapiteln und seinergenauen Buchhaltung über den zu lernendenWortschatz ein Resultat dieser Isolierung.

• Schrift erlaubt es, Sprachelemente beliebig zumanipulieren. Die Analyse und die Isolationvon Schrift machen den Weg frei, sprachlicheElemente ohne Mitteilungsabsicht nach belie-bigen Gesichtspunkten zu manipulieren. ImFremdsprachenunterricht wird dies überdeut-lich fassbar in den geläufigen schematischenDarstellungen grammatischer Strukturen, inKonjugationstabellen, Übungen und Wortlis-ten jeder Art. Hier werden Sprachelementeunter meist nicht-kommunikativen Gesichts-punkten als zusammengehörig dargestellt.Eine der wesentlichen Korrelationen ist dievon fremdsprachlichem und muttersprachli-chem Wort. Die Isolierung der sprachlichenElemente aus ihren natürlichen Kontexten

führt dazu, dass der direkteste und einleuch-tendste Weg, sie bedeutungsvoll zu machen,über die Muttersprache zu führen scheint. Ler-nende verlassen sich auf diese Art der Korrela-tion auch dann, wenn Lehrbuch und Lehrkraftversuchen, dies eher zu vermeiden.

Die Transformation von Sprache in einenGegenstand ist im Fremdsprachenunterricht

kaum zu vermeiden

Die Transformation von Sprache in einen Gegen-stand (in einen „Lernstoff“) ist im Fremdspra-chenunterricht wie wir ihn kennen kaum zu ver-meiden – ebenso wenig die Bindung der fremd-sprachlichen Wörter und Ausdrücke an ihre(meist) muttersprachlichen Gegenstücke. Dies mag Schwierigkeiten mit sich bringen, hataber zweifellos auch große Vorteile. Der Punkt,auf den wir die Aufmerksamkeit lenken möch-ten, ist die Tatsache, dass dieser Modus des Ler-nens dazu führt, dass in der fremdsprachlichenProduktion nicht nur Imitation und Reprodukti-on vorgegebener Wendungen eine Rolle spielen,sondern auch die Konstruktion neuer sprachli-cher Ausdrücke durch einzelne Wörter. Dies ver-langt hohe Bewusstheit, Aufmerksamkeit undeinen sehr gekonnten Umgang mit sprachlichenMitteln im Hinblick auf ein kommunikatives Ziel.Wo lernen die Schülerinnen und Schüler, einzel-ne Wörter daraufhin zu befragen, ob sie ihrerBedeutung nach in eine Aussage hineinpassenund ob dieser Ausdruck formal in Ordnung ist?Wo lernen sie, mit den sprachlichen Zeichen aufdiese ganz und gar nicht alltägliche Weise präzisezu „rechnen“?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Dieeben gegebene Charakterisierung könnte genauso gut als Beschreibung der Eigenart mutter-sprachlichen Schreibens gelten. Natürlich sinddie Situationen und die konkreten Probleme ver-schieden, aber in beiden Fällen gibt es auchgrundlegende Ähnlichkeiten. Es geht beide Maledarum, dass die Aufgabe, Gedanken auszudrü-cken, als schwierig erscheint – zum einen darum,weil die Anforderungen des Textes einen sorgfäl-tigen, langsamen und bewussten Umgang mitder Sprache verlangen, zum anderen weil derAnspruch, einen Gedanken auszudrücken, wievon selbst eine intensive Befragung und Bearbei-tung der noch nicht flüssig beherrschten Sprach-mittel erzeugt. So ist es die Fähigkeit desUmgangs mit Texten (vor allem die Fähigkeit desSchreibens), auf die sich der Fremdsprachenun-

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terricht auch dann verlässt, wenn er mit demSchreiben wenig im Sinn hat. Auch hier gilt wieoben: Wird diese meist übersehene Eigenart desSprachkontakts erkannt, lässt sich die Verbin-dung von Sprachlernen und Schreiben didak-tisch explizit und extensiv nutzen.

Wir dürfen nicht verkennen, in welchemGrade noch der einfachste Anfängerunterricht ineiner Fremdsprache von den textuellen Fähigkei-ten lebt, welche die Lernenden in ihrer Erstspra-che aufgebaut haben und in den Unterricht mit-bringen – und wir sollten auf keinen Fall daraufverzichten, die Potenziale, die in diesem Sach-verhalt liegen, auch wirklich zu realisieren.

Der Zweitsprachenunterricht – Fremdsprachen-unterricht unter erschwerten Bedingungen?Das, was bisher für den Fremdsprachenunter-richt gesagt wurde, gilt in vielerlei Hinsicht auchfür den Zweitsprachenunterricht, also für denDeutschunterricht mit Migrantinnen und Mig-ranten: Auch hier wird üblicherweise mit kom-munikativen Lehrwerken gearbeitet. Im Zentrumstehen Dialoge, begleitend dazu wird Grammatikund Wortschatz vermittelt. Es gibt jedoch einige,wesentliche Unterschiede: Die in traditionellenkommunikativen Lehrwerken angebotenen The-men und Situationen sind für Migrantinnen undMigranten nicht immer bedeutsam – sei es, dasie für ihre unmittelbare Lebenssituation nichtrelevant sind (ein Hotelzimmer reservieren, einEssen im Restaurant bestellen etc.) oder weil siein ihrem Alltag so wichtig sind, dass sie die dafürnötigen sprachlichen Mittel längst erworbenhaben (Begrüßen, Einkaufen etc.). Der Anreiz,diese Situationen in fiktiven – und nicht immerrealitätsnahen – Dialogen im Unterricht zu üben,ist daher meist nur gering.6

Auch die Vermittlung und Reflexion von Spra-che gestaltet sich im Zweitsprachenunterrichtmeist schwierig: Vielen Migrantinnen und Mig-ranten fehlt es an der Erfahrung, sich neue Wör-ter und Strukturen systematisch anzueignen undLernprozesse gezielt zu steuern und zu gestalten.Sie verfügen oft nicht über die nötigen Begriffeund Kategorien, um abstrakte Bezüge, Ordnun-gen und Zusammenhänge zu erkennen bzw. her-zustellen. Dazu kommt, dass ihnen die Musterselbst gängigster Aufgabenstellungen oft nichtvertraut sind und sie die Problemstellung einerAufgabe im Unterricht nicht verstehen und bear-beiten können.

Diese Problematik hat nicht unbedingt mitmangelndem Interesse oder fehlendem Lernwil-

len zu tun. Es geht hier viel eher darum, dassLernende aufgrund fehlender Schul- und Bil-dungserfahrung den formellen Kontexten, diedie systematische Aneignung von Sprache undWissen in unserem Bildungssystem prägen, hilf-los gegenüberstehen. Es fehlt ihnen das Wissenum jene literalen Praktiken, die es ermöglichen,über die unmittelbare Situation des Sprachkon-takts hinaus zu denken, zu handeln und zu ler-nen.

Derzeit verfügbare Unterrichtsmaterialien fürden Zweitsprachenunterricht mit Erwachsenentragen diesem Umstand kaum Rechnung: Siesind weitgehend nicht daraufhin angelegt, aufSchriftlichkeit und textuelles Handeln bezogeneFähigkeiten gezielt aufzubauen. So kommt es,dass Zweitsprachenlernende in der Regel zwarkommunikative Basiskenntnisse im Mündlichenerwerben, diese jedoch nicht für weiterführen-des, inhaltsbezogenes Lernen nutzen können.

Der Schritt vom Dialog zum Text, vom direk-ten Erleben zum distanzierten Betrachten undzur Reflexion, ist erschwert oder sogar unmög-lich – der Weg, der in entscheidender Weise über

Der Schritt vom Dialog zum Text ist erschwertoder sogar unmöglich

den ersten Quadranten hinausführt, bleibt ihnenversperrt. Ausnahmen bilden jene Zweitspra-chenlernende, die diesen Weg bereits in ihrerMuttersprache erfolgreich beschritten haben.

Im Zweitsprachenunterricht mit Migranten-kindern und -jugendlichen in der Schule liegtder Fall auf gewisse Weise ähnlich: Auch hiergeht es primär um den Aufbau grundlegenderkommunikativer Fähigkeiten im Mündlichen,die eine Basis der Verständigung im Alltagsichern. Sobald dieses Ziel erreicht ist, werdendie Schülerinnen und Schüler in den Regelunter-richt „entlassen“.7 Dass sie dort vielfach schei-tern, liegt hauptsächlich daran, dass kommuni-kative Basisfähigkeiten für den schulischen Wis-senserwerb in der Zweitsprache nicht genügen:Schul- und Bildungserfolg ist nur auf der Grund-lage von Textkompetenz zu erlangen – gerade indiesem Bereich haben Schülerinnen und Schülermit Migrationshintergrund jedoch oft nicht nurin der Zweitsprache, sondern auch in der Erst-sprache große Defizite.

Für den zweitsprachlichen Unterricht spieltdie Muttersprache daher eine noch entscheiden-dere Rolle als im Fremdsprachenunterricht,denn gerade in diesem Bereich werden Lernende

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mit dem nötigen Rüstzeug für den weiterenSprach- und Wissenserwerb und damit auch fürden Schul- und Bildungserfolg ausgestattet –oder eben nicht.

Textkompetenz als Instrument desLernens in einer fremden SpracheWenden wir uns nun einer Lernsituation zu, inder nicht die Sprache, sondern die Sache im Mit-telpunkt steht. Die Rede ist von Unterrichtsfor-men, in denen die Wissensvermittlung in einerFremd- oder Zweitsprache erfolgt. Welche Formdes Sprachgebrauchs müssen die Lernenden indiesem Fall beherrschen, um die gefordertenLeistungen erbringen zu können? Werfen wirnochmals einen Blick zurück auf die vier Felderdes Sprachgebrauchs (siehe S. 6): Ist Sprache einMittel, um Sachverhalte zu verstehen und deneigenen Wissenshorizont zu erweitern, habenwir es mit der Welt des systematisierten Wissensund der Texte zu tun. Die Vermittlung und derErwerb der jeweils relevanten Begriffe, Konzepteund Kategorien erfolgt selbst da, wo im Unter-richt gesprochen wird, auf der Basis von Texten.Es wirkt hier ja vor allem jene Form des Sprach-gebrauchs ganz wesentlich mit, die wir im vier-ten Quadranten angesiedelt haben.

Welche Voraussetzungen müssen Lernendemitbringen, wenn sie Sprache als Mittel des Wis-senserwerbs im Unterricht einsetzen sollen? Hierist zumindest zwischen drei verschiedenenSituationen zu unterscheiden: Zunächst ist es 1. der Immersionsunterricht (oder der bilinguale

Unterricht), in dem eine Fremdsprache alsUnterrichtssprache in den Sachfächern einge-setzt wird, um die Fremdsprachenkompetenzder Lernenden durch inhaltsorientiertes Ler-nen zu erweitern,

2. der Unterricht in mehrsprachigen, multikultu-rellen Klassen mit Migrantenkindern und -jugendlichen, für die die Unterrichtsspracheeine Zweitsprache ist, die sie beherrschenmüssen, um die geforderten Leistungen inden verschiedenen Fächern zu erbringen und

3. der Unterricht im Bereich der höheren Bil-dung, wo es darum geht, ein Studium in einerFremd- oder Zweitsprache zu bewältigen, seies im Rahmen eines begrenzten Studienauf-enthaltes im Rahmen von Austauschprogram-men oder eines Regelstudiums an einer Uni-versität.

Diese drei Situationen sollen im Folgenden etwasnäher beschrieben werden.

Die Fremdsprache als Arbeitssprache imImmersionsunterricht Immersionsunterricht ist mit dem Anspruch ver-bunden, aufmerksam mit Sprache umzugehen,auch in den Sachfächern. Inhalte sollen sprach-bewusst vermittelt und erworben werden, dasSprach lernen soll mit Sachlernen einhergehen.

Fremdsprachliche Kenntnisse werden bei denLernenden nicht einfach vorausgesetzt,

sondern vielmehr gezielt aufgebaut

Fremdsprachliche Kenntnisse werden bei denLernenden nicht einfach vorausgesetzt, sondernvielmehr gezielt aufgebaut: Zunächst werdengrundlegende Kenntnisse in der Fremdsprachevermittelt, sowohl mündlich als auch schriftlich.

Ausgangspunkt ist eine Form des Sprachge-brauchs, wie wir ihn im ersten und zweiten Qua-dranten beschrieben haben. Die Grenzen dieserFelder werden jedoch meist bald überschritten,der Weg führt weiter in die Welt des systemati-sierten Wissens und der Texte, in jenen Bereichalso, der im dritten und vor allem im viertenQuadranten angesiedelt ist. Das Feld deranspruchsvollen, auf Texte bezogenen und aufTexten basierenden Sprachverwendung wird alsoschon bald betreten. Dieser Schritt erfolgt imRahmen eines kontrollierten, gesteuerten Pro-zesses, in dem die Sprache trotz zunehmenderAufmerksamkeit auf die Sache nicht aus demBlickfeld gerät. Sprachliche Überforderung wirdmöglichst vermieden – und die Voraussetzungendafür sind in der Regel günstig: die Lehrperso-nen beherrschen sowohl die Unterrichtsspracheals auch die Erstsprache der Lernenden und ver-stehen sich nicht nur als Sprachlehrkraft, son-dern auch als Sachlehrkraft.

Diese Form des Immersionsunterrichts istidealtypisch und in der Praxis sicherlich nichtimmer realisierbar. Bisherige Erfahrungen zeigenjedoch, dass Modelle eines sprach- und inhalts-integrierten Fremdsprachenlernens (CLIL) meisthöchst erfolgreich sind, vor allem im Hinblickauf die Ausbildung rezeptiver und schriftsprach-licher Kompetenzen. Dies hat nicht zuletzt auchmit den Voraussetzungen der Lernenden zu tun,die diese in den Unterricht mitbringen: Viele vonihnen verfügen bereits über eine gut entwickelteTextkompetenz in ihrer Erstsprache, stammenaus etablierten sozialen und sozioökonomischenVerhältnissen und aus Familien mit hohem Bil-dungsniveau. Dazu kommt, dass die Unterrichts-sprache meist eine gesellschaftlich hoch bewer-

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tete Sprache ist, was die Motivation erhöht, dieseSprache zu lernen.8

Die Zweitsprache als Lerninstrument in mehr-sprachigen KlassenKinder und Jugendliche mit Migrationshinter-grund sind in der Schule meist weit wenigererfolgreich. Viele von ihnen sind nicht in derLage, Texte als Grundlage und Medien des Ler-nens zu nutzen, auch wenn sie die Zweitspracheim mündlichen, alltagsbezogenen Kontextbereits weitgehend beherrschen. Ihre Probleme,die schulischen Anforderungen zu bewältigen,werden im Laufe der Schulzeit in der Regel nichtkleiner, sondern immer größer (vgl. Reich/Roth2001, 22). Es fehlt ihnen an Textkompetenz – unddamit an der zentralen Basis des Lernens. DieUrsachen dafür sind vor allem eine unzureichen-de literale Förderung in der Familie, belastendesoziale und sozioökonomische Verhältnisse, einniedriges Bildungsniveau und ein geringes„sprachliches Kapital“ ihrer Eltern (Brizic 2007).9

Wie kommen Migrantenkinder mit der Zweit-sprache üblicherweise in Kontakt? Die erstenSprachkontakte finden meist nicht erst in derSchule, sondern in ihrem Alltag statt: auf demSpielplatz, auf der Straße, beim Einkaufen. DieSprachkenntnisse, die sie dabei erwerben, sindhinsichtlich Schwierigkeit, Informationsmengeund Korrektheit nicht kontrolliert. Sie erwerbendie Zweitsprache also zunächst ungesteuert,quasi wildwüchsig, geleitet nur durch ihre kom-munikativen Absichten und Bedürfnisse in derjeweiligen Situation. Diese Form des Sprachge-brauchs ist im ersten Quadranten, in der Weltdes Alltags, anzusiedeln.

Schon der Sprung zum zweiten Quadrantenwird oft zum Problem: Sprachgebrauch in die-sem Bereich ist mit deutlich höheren Anforde-rungen an Kohärenz und der Fähigkeit, Sachver-halte explizit und präzise darzustellen, verbun-den. Noch schwieriger wird es für Migrantenkin-der, sich im dritten Quadranten zurechtzufinden:Hier geht es um das kritische Befragen, Begrün-den, Analysieren und Erklären von Sachverhal-ten und damit um eine Form des Sprachge-brauchs, die zwar für so manche ihrer Mitschüle-rinnen und Mitschüler selbstverständlich, für sieaber oft keineswegs vertraut ist.

Das, was bisher für den Sprachgebrauch imzweiten und dritten Quadranten gesagt wurde,gilt umso mehr für den vierten Quadranten:Wenn schon das Fragen und Begründen zumProblem wird, wie viel schwieriger ist es, Sach -

texte zu verstehen und darüber Auskunft zugeben? Auch bei größter Mühe und Anstrengunggelingt es Zweitsprachenlernenden häufig nicht,Sinnzusammenhänge zu erkennen und Sachver-halte selbst auf verständliche Weise mitzuteilen.Der Sprung vom alltagsbezogenen, direkten Erle-ben und vom situationsbezogenen, sprachlichenHandeln zum distanzierten Beobachten und zurexpliziten Darstellung von Gedanken und Sach-verhalten wird zur unüberwindbaren Hürde.

Die Fähigkeit, sich in der Welt der Texte zuorientieren und die Zweitsprache als ein Werk-zeug des Denkens, Kommunizierens und Ler-nens zu nutzen, wird im Unterricht meist nichtsystematisch aufgebaut, sondern vielmehr ein-fach vorausgesetzt. Zweitsprachenlernende sinddaher oft ganz auf sich alleine gestellt, wenn esdarum geht, die Zweitsprache als Instrument desLernens zu nutzen. Ihre alltagssprachlich erwor-benen Kenntnisse helfen ihnen dabei oft ebensowenig wie ihre Fähigkeiten in der Erstsprache, inder die nötige Basis schriftsprachlicher Kompe-tenzen meist genauso fehlt.

Was hat die Didaktik hier zu leisten? In die-sem Lernfeld geht es weniger um die Frage, wieInhalte als Vehikel für den Spracherwerb genutztwerden können, als darum, Lernende zu unter-stützen, die schriftsprachlichen Anforderungenim Unterricht zu meistern. Dies ist nur durcheine gezielte Förderung ihrer Textkompetenzmöglich – im Mündlichen wie auch im Schriftli-chen, in der Zweitsprache wie auch in der Erst-sprache.

Studieren in einer fremden SpracheWas bisher über die Unentbehrlichkeit von Text-kompetenz gesagt wurde, trifft auch auf das Stu-dieren in einer Fremd- oder Zweitsprache zu.Dass für das Lernen mit Fachtexten Textkompe-tenz gefordert wird, leuchtet ein, und dass dafürauch solide Sprachkenntnisse nötig sind, ebenso.Nun haben Studierende ja zumindest das Abiturbzw. die Matura absolviert, und man kann sichfragen, warum es denn später noch Problemegeben soll.

Im Folgenden sollen einige typische Konstel-lationen skizziert werden, die immer wieder zubeobachten sind. Sie zeigen, dass sich ganz ähn-liche Phänomene, wie sie eben in Bezug auf dasLernen in der Schule diskutiert worden sind,durchaus auch an Hochschulen und Universitä-ten beobachten lassen. • Schulen, die mit Abitur bzw. Matura abschlie-

ßen, sind – ebenso wie Hochschulen – nicht

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überall so organisiert wie in der westlichenWelt. Es ist möglich, dass die Studierendenzwar gelernt haben, viel Material zu memorie-ren, dass sie aber kaum angehalten wurden,

Schulen sind ebenso wie Hochschulen nicht überall so organisiert wie in der

westlichen Welt.

eigenständig zu lesen und das Gelesene selbstzu verarbeiten. Viele haben auch kaum selberTexte geschrieben, vor allem keine eigenstän-dig konzipierten Sachtexte. Das Studieren aneiner deutschsprachigen Hochschule fordertjedoch (in vielen Fächern besonders deutlich)gerade den Einsatz dieser Fähigkeiten. Diesewerden jedoch nicht vermittelt, sondernvorausgesetzt – eine von den Lernenden oftkaum wahrgenommene, jedoch ausschlagge-bende Schwierigkeit.

• Wissenschaft wird nicht überall auf die gleicheWeise vermittelt. Die vor allem in den deutsch- sprachigen, geisteswissenschaftlichen Fakultä-ten geforderten schriftlichen Arbeiten orien-tieren sich stark an den professionellen Ziel-

texten, dem wissenschaftlichen Aufsatz bzw.der wissenschaftlichen Monographie. Essayis-tische Versuche werden meist eher mit Arg-wohn betrachtet. Dies stellt für Studierende,die aus anderen Vermittlungstraditionen her-kommen, eine gewisse Schwierigkeit dar,wenn sie die Usancen und Normen wissen-schaftlichen Stils von Anfang an beachtenmüssen. Auch deutschsprachige Studierendehaben diese Schwierigkeit, aber sie haben einebessere Ausgangsposition.

Wie wichtig Textkompetenz und grundlegendeErfahrungen mit wissenschaftlichen Stilen sind,lässt sich daran ermessen, dass Studierende mitentsprechenden Kenntnissen in ihrer Herkunfts-sprache trotz geringer Deutschkompetenzen ofterstaunlich effizient studieren und dabei auchdie Sprache schnell lernen. Wo dieser Hinter-grund fehlt, reichen oft auch gute Deutschkennt-nisse kaum aus, um den Studierenden den Ein-tritt in die Welt der Wissenschaft zu eröffnen –typischerweise erweist sich dann beides alsschwierig: das fachliche Lernen wie auch dieWeiterentwicklung der Sprach- und Textkompe-tenz.

LiteraturBrizic, Katharina: Das geheime Leben der Sprachen.

Gesprochene und verschwiegene Sprachen und ihrEinfluss auf den Spracherwerb in der Migration. Müns-ter: Waxmann 2007

Cummins, Jim: Conversational and Academic LanguageProficiency in Bilingual Contexts. In: Hulstijn, Jan H. /Matter, Johan F. (Hrsg.): Reading in Two Languages.Alblasserdam: AILA 1991, 75-89 (= Aila Review 8)

Koch, Peter / Oesterreicher, Wulf: Funktionale Aspekte derSchriftkultur. In: Günther, Hartmut / Ludwig, Otto(Hrsg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinä-res Handbuch internationaler Forschung. Berlin/NewYork: de Gruyter 1994, 587-604 (= Handbücher zurSprach- und Kommunikationswissenschaft 10.1)

Reich, Hans H. / Roth, Hans-Joachim: Zum Stand dernationalen und internationalen Forschung zumSpracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder undJugendlicher. Hamburg/Landau: ((Verlag: Behörde fürSchule, Jugend und Berufsbildung)) 2001

Weinrich, Harald: Von der Langeweile des Sprachunter-richts. In: Weinrich, Harald: Wege der Sprachkultur.Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1985, 221-245

Anmerkungen1 Cummins nennt sie die Dimension der „Kontext-Einbet-tung“ (bzw. der Kontext-Reduktion, etwa in Texten) unddie Dimension des „kognitiven Anspruchs“ – dieser kannhoch oder niedrig sein.2 Wir weichen mit dieser Darstellung vom „eindimensio-nalen“ Modell von Koch / Oesterreicher (1994) ab, da wirglauben, dass sie die Verhältnisse, um die es hier geht, kla-rer abzubilden erlaubt.

3 Mentale Modelle sind ganzheitliche, interne Repräsenta-tionen von Objekten, Sachverhalten oder Ereignissen. 4 Das ist die derzeit gebräuchlichste Bezeichnung fürsprach- und inhaltsintegrierende Lernkonzepte in derFremdsprachendidaktik (siehe auch Heft 40 der „Fremd-sprache Deutsch“ zum Thema „Integriertes Sprach- undSachlernen (CLIL)“, das im April 2009 erscheinen wird).5 Vgl. etwa das Konzept des „going for meaning“ im focus-on-form-Konzept. Es setzt voraus, dass eine vielverspre-chende Bedeutung da ist, um die zu bemühen es sichlohnt.6 In einigen neueren Lehrwerken für den Erwachsenenun-terricht wird versucht, der Lebenswelt von Migrantinnenund Migranten in der Auswahl und Aufbereitung der The-men stärker Rechnung zu tragen.7 Die Rede ist hier vom gängigen Deutsch-Förderunter-richt, vor allem für sogenannte „Seiteneinsteiger“, dermeist außerhalb der Klasse und des regulären Stunden-plans stattfindet. Darüber hinaus gibt es auch Modelle derSprachförderung, die eine Integration in den Regelunter-richt vorsehen.8 In deutschsprachigen Ländern existieren Immersions-programme seit etwa 40 Jahren, bevorzugte Sprachkombi-nationen sind Deutsch – Englisch und Deutsch – Franzö-sisch. In nichtdeutschsprachigen Ländern wird Deutschals Unterrichtssprache vor allem in den deutschen Aus-landsschulen eingesetzt.9 Ähnlich ist die Situation oft auch für Kinder ohne Migra-tionshintergrund, die durch ein wenig förderliches litera-les bzw. sozioökonomisches Umfeld benachteiligt sindund für die die Unterrichtssprache nicht ihre Erstspracheist; man denke etwa an die Indigenas in Chiapas (Mexiko),die in der Schule, aber auch noch in weiterführenden Bil-dungseinrichtungen, oft vor ganz ähnliche Anforderungenund Probleme gestellt sind wie Migrantenkinder und -jugendliche in deutschsprachigen Ländern.

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Textkompetenz: Von welcherKompetenz ist hier die Rede?Der Begriff der Kompetenz erlebt spätestens seitder Publikation der ersten PISA-Studien im Bil-dungsbereich eine neue Blüte. Geradezu klassischist hier mittlerweile die Definition von Franz Wei-nert, der Kompetenzen wie folgt charakterisiert:„[...] bei Individuen verfügbare[n] oder durch sieerlernbare[n], kognitive[n] Fähigkeiten und Fer-tigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen,sowie die damit verbundenen motivationalen,volitionalen und sozialen Bereitschaften und

Fähigkeiten, um die Problemlösungen in varia-blen Situationen erfolgreich und verantwortungs-voll nutzen zu können.“ (Weinert 2002, 27f.)

An dieser Definition ist nicht zu übersehen,dass die Fähigkeit Probleme zu lösen im Mittel-punkt steht. Wenn es um sprachliche Kompeten-zen geht, erscheint dieser ausschließliche Fokusauf Problemlösung jedoch etwas zu eng gefasst.Sprache verwenden wir glücklicherweise nichtausschließlich, wohl nicht einmal in erster Linie,um Probleme zu lösen. Dieser Aspekt wird vorallem im Kontext der Evaluierung von Sprach-

In diesem Beitrag geht es zunächst um die Frage, welche Art von Kompetenz das etwas sperrigeKompositum „Textkompetenz“ für den Fremdsprachenunterricht bedeutet. Danach wird erläutert,inwiefern eine integrierte Arbeit an den Fertigkeiten Lesen und Schreiben im Sprachunterrichtsinnvoll erscheint. Zwei Unterrichtsbeispiele illustrieren im letzten Abschnitt dieses Beitrags, wiedies konkret aussehen könnte.

Von Ingo Thonhauser

Textkompetenz imFremdsprachenunterrichtWas können Lernende mit dem Lesen und Schreiben im Fremdsprachen -unterricht anfangen?

© panthermedia / Axel D.

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kompetenz aufgewertet, wie die aktuelle Diskus-sion um die Leistungsmessung im schulischenBereich zeigt. Aber auch hier geht es nicht ein-fach nur um die Lösung von Problemen. So wirdin der Begleitforschung zur Harmonisierung derBildungsstandards im Schweizer Kontext eineetwas veränderte Perspektive sichtbar: Sprach-kompetenz ist in der Beschreibung von Lernzie-len im Schulbereich die „Fähigkeit, sprachlich-kommunikative Aufgaben zu lösen“ (Lenz 2006,200, Hervorhebung durch den Autor). Es sindalso nicht mehr Probleme, sondern Aufgaben,die aber ebenfalls gelöst und nicht einfach nurmehr oder weniger erfolgreich bearbeitet werdenmüssen. Vielleicht lege ich Wörter hier zu sehrauf die Waagschale; die Weinert’sche Definitionsuggeriert im Kontext der Sprachverwendungaus meiner Sicht eine Zielgerichtetheit, die denvielfältigen Formen des alltäglichen Sprachge-brauchs, aber auch der Vielfalt in den Klassen-zimmern nicht gerecht wird: KompetenteSprachverwenderinnen und Sprachverwenderfinden sich in unterschiedlichen Kommunikati-onssituationen zurecht und stellen so unterBeweis, dass sie über Sprach- und Weltwissenverfügen, das sie anwenden können. Sie bearbei-ten Aufgaben und kommen auf verschiedenenWegen und Umwegen zu Ergebnissen; wennSprachunterricht gelingt, bauen sie dabei ihreKompetenzen aus. Aus didaktischer Perspektiveist dies jedenfalls der springende Punkt, der auchim Bereich des Testens ernst zu nehmen ist.

Textkompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, diekommunikativen Möglichkeiten des schriftlichen

Sprachgebrauchs zu nutzen

Ob es nun um Sprachtests oder um die Förde-rung sprachlicher Kompetenzen im Unterrichtgeht – in beiden Fällen gilt, dass sich „jede Kom-petenz erst im Tun-Können“ (Abraham et al.2007, 8) zeigt. Dies wirft die Frage auf, welches„Tun-Können“ nun Textkompetenz konkret cha-rakterisiert. Textkompetenz zeigt sich in derFähigkeit, die kommunikativen Möglichkeitendes schriftlichen Sprachgebrauchs zu nutzen, diesich in den im einführenden Kapitel zu diesemThemenheft auf S. 6 dargestellten vier Dimensio-nen in jeweils unterschiedlicher Gewichtung zei-gen. Textkompetenz ist keine „generische“ oder„autonome“ Fertigkeit, sondern kulturell geprägt,wie die Forschung zu Literalität (gut dargestelltin Sting 2003) in den letzten Jahren in vielenempirischen Untersuchungen gezeigt hat.

Besonders im Fremdsprachenunterricht bedeu-tet dies verstärkt, dass Lernende in der Lage seinmüssen, Texte sprachlich und inhaltlich als Lern-angelegenheiten zu nutzen (vgl. hierzu beson-ders S. 9-13 im Einführungsartikel zu diesemHeft). Besonders das Schreiben wurde häufig alsvernachlässigte Fertigkeit bezeichnet (z.B. Bohn2001, 923), wobei aber oft übersehen wurde, dassSchreiben im gesteuerten Unterricht von Anfangan Teil des Lernalltags ist: Schon das Ausfüllenvon Lückentexten erfordert Textkompetenz, diekulturspezifisch ist. Für viele Lernende ist dieseine völlig unproblematische Lernaktivität,deren Sinn unmittelbar einsichtig ist – sie habengelernt, dass dies zum Sprachenlernen dazuge-hört und könnten dies vielleicht sogar begrün-den. Wenn in einer Lerntradition aber die Münd-lichkeit, z.B. das Wiederholen und Nachsprechendessen, was die Lehrperson vorgibt, im Vorder-grund steht, ist das Lernangebot „Lückentext“weniger transparent. Diese Überlegungen lassensich auf höheren Kompetenzniveaus weiterfüh-ren. Hier wird es in zunehmendem Maße wich-tig, dass Lernende sich auf Verwendungsweisenvon Lesen und Schreiben einlassen können, diemit ihren mitgebrachten Lernerfahrungen nichtübereinstimmen, sodass diese Lernangebote zurautonomen Entwicklung der eigenen Sprach-kompetenz genutzt werden können.

Textkompetenz erfordert und fördert daher„Sprachaufmerksamkeit“ ebenso wie „Sprach-lernaufmerksamkeit“ – ein Umstand, den dieMehrsprachigkeitsdidaktik in den letzten Jahrenimmer wieder aufs Neue betont hat (Hufeisen /Neuner 2003).

Mit den Begriffen des Gemeinsamen Europäi-schen Referenzrahmens könnte man sagen, dasssich sowohl „savoir“ als auch „savoir faire“ ver-ändern. Das Wissen über die Erscheinungsfor-men und Verwendungsweisen von Schriftspra-che geht einher mit Handlungskompetenz. Dasbedeutet: Ich muss das, was ich sprachlich undüber Sprache weiß, anwenden und gegebenen-falls modifizieren können.

Lesen, Schreiben und Aufgaben imFremdsprachenunterrichtDer Begriff Textkompetenz impliziert eine Kon-zeption sprachlicher Fertigkeiten, die sich vonden traditionellen vier Fertigkeiten des kommu-nikativen Fremdsprachenunterrichts entfernt,indem die Opposition „Mündlichkeit – Schrift-lichkeit“ in den Vordergrund rückt. Der Begriff

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Textkompetenz ist, soviel geht aus dem bisherGesagten hervor, bei der Bewältigung verschie-denster Aufgaben im Fremdsprachenunterrichterforderlich und entwickelt sich anhand von die-sem weiter. Die Diskussion um die Aufgabenori-entierung im Fremdsprachenunterricht hat sichin den letzten Jahren wieder belebt und steht imSpannungsfeld der Unterscheidung von „task-supported language teaching and task-basedlanguage teaching“ (z.B. Ellis 2003, 27ff.). Einetrennscharfe Unterscheidung dieser Begriffe, dietheoretisch möglich, in der Praxis aber wohl eherselten so anzutreffen ist, würde Folgendesbedeuten: Im ersten Fall sind Aufgaben formori-entiert und dienen dem Erwerb sprachlicherStrukturen, im zweiten Fall sind sie inhaltsorien-tiert und dem kommunikativen Paradigma ver-pflichtet – in der stärksten Version ist gar vonechten Aufgaben überhaupt nur dann zu spre-chen, wenn sie realen, „authentischen“ Kommu-nikationssituationen entsprechen und diese imUnterricht simulieren. Im Klassenzimmer stelltsich hier allerdings sofort die Frage, ob Aufgabenim Fremdsprachenunterricht tatsächlich injedem Fall das wirkliche Leben simulieren müs-sen; schließlich findet dieses wirkliche Leben jaauch im Klassenzimmer statt und authentischkann hier eben auch sprachliches Handeln sein,das in erster Linie mit dem Ziel des Sprachenler-nens verbunden ist. Sinnvolle Aufgaben sind fürdie Lernenden in dieser Situation nicht nur des-halb interessant, weil sie authentisches, kommu-nikatives Handeln darstellen, sondern geradeauch weil sie Gelegenheiten bieten, Aspekte die-ses Handelns zum Sprachenlernen zu nutzen.Die Bearbeitung der Aufgaben lenkt Sprachauf-merksamkeit auf jeweils relevante Aspekte,sodass durchaus einmal Inhaltliches im Vorder-grund steht, dann wieder Fragen nach geeigne-ten Lese- und Schreibstrategien gestellt werdenund natürlich ebenfalls regelmäßig Sprachlichesim engeren Sinne (Wortschatz, Grammatik undAspekte der Textualität) zum Thema wird.

Daraus ergibt sich Folgendes: Lesen undSchreiben treten häufig im Verbund auf und sindaufeinander bezogene Fertigkeiten. Dies giltnatürlich auch für andere Fertigkeitskombinatio-nen, hier geht es aber um Textkompetenz.Didaktisch ist es also nahe liegend, Unterricht -sequenzen mit Aufgaben zu entwerfen, zu derenBewältigung Textkompetenz notwendig ist unddie daher sinnvolle Lerngelegenheiten bieten.Manche dieser Lerngelegenheiten werden Wort-schatz und strukturelle Phänomene, andere

„Text“ umfasst zwar im Gemeinsamen Europäi-schen Referenzrahmen mündliche wie schriftli-che Texte, in der Diskussion um Textkompetenzsind in der Regel jedoch primär schriftliche Textegemeint. Dem schließe ich mich hier an undstelle damit Lesen und Schreiben als eng aufei-nander bezogene Fertigkeiten in den Mittel-punkt. Dies bedeutet nun nicht, dass die tradi-tionelle Unterscheidung der vier Fertigkeitenausgedient hätte; die Aufgliederung sprachlicherKompetenz in diese Fertigkeiten legt aber didak-tisch eine Perspektive nahe, die Hören, Lesen,Sprechen und Schreiben jeweils für sich betrach-tet. Nimmt man Textkompetenz als Ausgangs-punkt der Unterrichtsgestaltung, verändert sichdas, was wir im Unterricht tun: Wir betrachtendiese Fertigkeiten im Ensemble, und daraus erge-ben sich didaktisch interessante Möglichkeiten.1

Überlegt man sich, in welchen Kommunika -tionssituationen Lesen und Schreiben tatsächlichgemeinsam auftreten, bemerkt man rasch, dassdies gar nicht so selten der Fall ist, wie man viel-leicht annehmen würde. Gerade im Schulbereichliest man ja nur selten zur Entspannung, manliest in der Regel, um sich Inhalte zu erarbeiten.Dieses Lesen stellt hohe Anforderungen an

Erfolgreiche Lektüre impliziert nicht nurinhaltliches Verstehen, sondern auch die Nutzung

des Gelesenen als reiches Sprachlernangebot

sprachliche Kompetenz, es geht darum, komple-xe Inhalte zu reduzieren, Wichtiges von Unwich-tigem zu unterscheiden, das eigene Textver-ständnis zu kontrollieren und gegebenenfallsunter Beweis stellen zu können. Dies ist kaumdenkbar ohne Formen des Schreibens: Notizen,Anmerkungen, Zusammenfassungen, Reformu-lierungen und andere Formen der schriftlichenFixierung von Inhalten dienen dazu, das Textver-ständnis zu sichern und das Gelesene zu verar-beiten und verfügbar zu halten – etwa dann,wenn das Lesen in größere Aufgaben eingebettetist, deren Ergebnis selbst verfasste Texte sind.

Im Fremdsprachenunterricht kommt hierneben der inhaltlichen auch der sprachlichenVerarbeitung besondere Bedeutung zu:2 Erfolg-reiche Lektüre impliziert nicht nur inhaltlichesVerstehen, sondern auch die Nutzung des Gele-senen als reiches Sprachlernangebot, ausgehendvon der Ebene des Wortschatzes und der Gram-matik (Lexeme, Kollokationen, Satzstrukturen)bis hin zum Textsortenwissen (Textstrukturen,stilistische Charakteristika).

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(Inter-)Kulturelles oder die Eigenschaften be -stimmter Texte und Textsorten in den Vorder-grund stellen. Formorientierung gegen Inhalts -orientierung auszuspielen halte ich für wenigzielführend. Wenn es Lehrenden gelingt, Aufga-ben zu entwickeln, die im Unterrichtskontext als authentisch und motivierend erlebt werden,stellt sich Lernen ein – und dafür sorgen letzt-endlich auch die Lernenden selbst.

Aufgabenstellungen: Lesen undSchreiben im EnsembleIm Folgenden werden zwei Beispiele aus demUnterricht Deutsch als Fremdsprache mit fortge-schrittenen Lernenden an der zweisprachigenUniversität Fribourg / Freiburg (Schweiz) vorge-stellt, die das Gesagte illustrieren. Es handelt sichum Aufgaben aus dem Kurs „Sprache und inter-kulturelle Kommunikation“ im zweiten Ausbil-dungsjahr des Programms „bilingue plus“(www.unifr.ch/bilingueplus). Dieses Programmbietet Studierenden, die bereits ein bilingualesJurastudium absolvieren, eine studien- undberufsbezogene Zusatzausbildung in der zweitenStudiensprache, in deren Mittelpunkt der Aus-bau sprachlicher und interkultureller Kompeten-zen steht, die in einem mehrsprachigen und plu-rikulturellen Arbeitsumfeld relevant sind.

Beide Aufgaben stammen aus einer Unterrichts -sequenz, die primär eine fachsprachliche Orientie-rung aufweist und Veränderungen im Bereich desSchweizer Urheberrechts im Kontext der neuenKommunikationstechnologien zum Inhalt hat.

In der ersten Aufgabe geht es darum, verschiede-ne Positionen von Interessensgruppen zu bün-deln und in einem Text darzustellen. Basistextewaren kurze Interviewausschnitte von Beteiligten,in denen diese die Veränderungen im Bereich desUrheberrechts aus ihrer jeweils persönlichen Sichtkommentieren und Anforderungen an rechtlicheRegelungen formulieren (Quelle: Broschüre „DasUrheberrecht im digitalen Zeitalter. Highway oderSackgasse. Fakten und Meinungen“; zu beziehenunter: www.urheberrecht.ch). Es geht hier alsozunächst um eine juristisch relevante Aufgabe.Die Auseinandersetzung mit den Interessen vonKünstlern, Vertretern und Vertreterinnen derMedien und der Musikindustrie ist Vorausset-zung für die Beantwortung der Frage, inwieferndiesen Interessen im Urheberrecht gesetzlichRechnung getragen ist, wo sich Ermessenspiel-räume ergeben, wo eventuell Lücken vorliegen.

Mit dem Lesen geht die schriftliche Verarbeitungund Aufbereitung einher, die dann zum

Schreiben führt.

Die Schreibaufgabe ist ein Schritt in der Bearbei-tung dieser Aufgabe und erfordert zweierlei:Zunächst ist eine genaue Lektüre der Basistexteerforderlich, der dann in einem zweiten Schrittdie Umformung dieser Texte im Rahmen desSchreibprozesses folgt. Dabei sind eine Reihevon Arbeitsschritten zu bewältigen, die Schrei-ben und Lesen miteinander in Beziehung setzen:Mit dem Lesen geht die schriftliche Verarbeitungund Aufbereitung einher, die dann zum Schrei-

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ben führt. Dies ist jedoch kein linearer Prozess,wenn man sich vor Augen führt, welche Teilauf-gaben zu lösen sind: Auf konzeptueller Ebene istzum einen festzulegen, wie das vorliegendeMaterial zu ordnen, zu systematisieren und ineine eigene Textstruktur zu integrieren ist; zumanderen spielt während des Verfassens diesesTextes die Relektüre eine wichtige Rolle, undschließlich ist zu entscheiden, was zitiert wird,was zusammengefasst wird oder ob sich wäh-rend des Schreibens Änderungen der Textstruk-tur ergeben. Globalziel ist dabei, dass die Sicht-weisen der Betroffenen von der eigenen Analysegetrennt und adäquat sowie eigenständig darge-stellt werden. Es ergibt sich aus der Beschäfti-gung mit den Texten eine Bandbreite vonSprachlernangeboten, die Wortschatz (und hiervor allem Kollokationen) ebenso umfassen wieeine Grundfrage des wissenschaftlichen Schrei-bens: nämlich die strukturierte Darstellung ver-schiedener Positionen und deren Markierung imText.

Der Lernertext 1 zeigt, wie Sprache umge-formt wird und welche Schwierigkeiten diesmacht: Der Darstellungsprozess rückt die Fragennach adäquaten Formulierungsroutinen in denVordergrund und gibt Anlass zu sprachaufmerk-samen Selbstbeobachtungen, die dann imUnterricht weiterbearbeitet wurden. Die sprach-liche Bewältigung der Verwendung adäquaterund variierter Formulierungen, mit denen Sicht-weisen und Meinungen dargestellt werden kön-nen, war ein Problem, das im Unterricht unterZuhilfenahme einer Zusammenstellung vonRedemitteln behandelt wurde. Die Intention desLehrenden war dabei, sprachliche Problemberei-che, die von den Lernenden selbst identifiziertwurden, in die Arbeit mit den entstandenen Tex-ten einzubeziehen – in der Hoffnung, damit rele-vante Sprachlernangebote „zum rechten Zeit-punkt“ zur Verfügung zu stellen.

Im Lernertext 2 geht es darum, gesetzlicheRegelungen auf Alltagssituationen anzuwenden,die juristische Fragen aufwerfen. Es handelt sichum eine Aufgabe, die die kommunikative Wirk-lichkeit ein wenig auf den Kopf stellt. Die Studie-renden erhalten nämlich nach der Auseinander-setzung mit dem Gesetzestext den Auftrag, Bei-spielfälle zu erfinden, die Fragen des Urheber-rechts problematisieren. Eine solche Aufgabekommt im „wirklichen Leben“ außerhalb desUnterrichts nur in sehr spezifischen Situationenvor – trotzdem ist sie aus meiner Sicht im Kon-text des Lernens authentisch. Zum einen gehört Abb. 2: Lernertext 2

Abb. 1: Lernertext 1

Das Urheberrecht: eine Lösung für eine korrekte Belohnung

der Musiker.

Die Zeiten haben sich geändert. Es ist schwieriger geworden, den Musikern einenguten Lohn zu garantieren. Die Gründe, warum man heute solche Schwierigkeitenhat, lassen sich durch die Forschritte der Technologie erklären. Heutzutage kann manohne große Kenntnisse eine CD kopieren oder Lieder vom Internet gratis herunter-laden. Es gibt deshalb einige Fragen, zu denen man eine Antwort finden muss. Es sinddies zum Beispiel: „Welches ist die Rolle des Urheberrechts im Zusammenhang mitder Musik?“ oder „Wie könnte man dank des Urheberrechts die Berufe der Musikergarantieren?“

Nach dem Troubadour Polo Hofer, muss das Urheberrecht an der Technologie ange-passt werden sonst gibt es Exzesse. (z.B. Internetpiraterie, kostenloses Kopieren vonMusik und Filmen usw.) Das Leben eines Musikers ist nicht einfach, weil er kreativ seinsoll und Lieder auf dem Markt bringen muss sonst kann er von seiner Kunst nichtleben. Man muss bewusst sein, dass die Künstler nur überleben können, weil dasUrheberrecht sie von der Piraterie schützt. Die Band Gotthard hat die gleiche Mei-nung wie Polo Hofer über das Urheberrecht. Sie ergänzt trotzdem ein bisschen dieMeinung vom Berner Troubadour. Da Gotthard weltweit bekannt ist, braucht sieeinen grösseren Schutz von der Internetpiraterie. Sie erwähnen deswegen DRM-Sys-temen.

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das Lösen von Beispielfällen zur Didaktik desJurastudiums, zum anderen – und das ist hierwesentlicher – fordert und fördert die Bearbei-tung dieser Aufgabe den Einsatz sprachlicherKompetenz und sachlicher Kenntnisse. Sprach-lich ließe sich das Ziel dieser Übung als einebesondere Spielart der Sprachmittlung beschrei-ben. Sprachmittlung wird im GemeinsamenEuropäischen Referenzrahmen als kommunikati-ve „Aktivität“ aufgewertet, indem damit nichtnur der Bereich der Übersetzung erfasst wird,sondern jede „Umformung eines schon vorhan-denen Textes“ (Europarat 2001, 26). Hier bedeu-tet dies, dass die Auseinandersetzung mit demfachsprachlichen Gesetzestext zu einer schriftli-chen Produktion führt, in der die gesetzlich gere-gelten Sachverhalte als konkrete Alltagsproblemereformuliert werden. Die so formulierten Bei-spielfälle dienten in der Folge als Kommunikati-onsanlässe, indem nämlich diese Fälle von denanderen Teilnehmerinnen und Teilnehmerngelöst werden müssen.

Auch hier ist Textkompetenz auf vielfältigeWeise erforderlich. Es geht darum, sprachlicheRegister zu unterscheiden, indem die im Geset-zestext juristisch-abstrakt beschriebenen Sach-verhalte und Situationen in den Alltag „über-setzt“ werden. Dass dies durchaus ein Anlasssein kann, kreativ mit Sprache umzugehen, zeigtder Lernertext 2 eindrücklich. Dieser Text zeigtdeutlich, dass der Schreiber die Aufgabe zumAnlass nimmt, Sprache auszuprobieren und demfachsprachlichen Fokus andere Dimensionen derSprachverwendung abzugewinnen. Ich kann denVerarbeitungsvorgang vom Gesetzestext an die-ser Stelle nicht im Einzelnen diskutieren; wesent-lich scheint mir an diesem Beispiel, dass derSchreiber hier keinen nüchtern faktenbezogenenFall produziert, sondern Mehrsprachigkeit undkulturelle Bezüge mindestens ebenso wichtignimmt. Dazu mag beigetragen haben, dass dieseFälle für eine gemeinsame Sitzung von sowohlfranzösischsprachigen als auch deutschsprachi-gen Studierenden des Programms „bilingue plus“entworfen wurden. In diesen Sitzungen ist dieMehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt regelmä-ßiger und selbstverständlicher Teil des Unter-richtsgeschehens. Dies scheint mir ein Beispieldafür zu sein, dass Lernende in vielen Fällen imautonomen Umgang mit Aufgaben Lerngelegen-heiten schaffen, die vielleicht nicht „vorgesehen“und wohl auch nicht immer vorherzusehen sind.

An diesen Beispielen zeigt sich Textkompe-tenz darin, dass Lernende mit verschiedenen

Formen schriftlichen Sprachgebrauchs umgehenkönnen, dass sie sprachaufmerksam lesen undschreiben sowie in der Bewältigung der Aufga-ben Sprachlerngelegenheiten nutzen. Mit ande-ren Worten bedeutet Textkompetenz im Fremd-sprachenunterricht nicht nur die Vorbereitungauf schriftsprachliches kommunikatives Han-deln im „wirklichen Leben“; Textkompetenz istein integraler Bestandteil des gesteuertenSpracherwerbs – Grund genug, sich Lese- undSchreibaufgaben didaktisch-kreativ vorzuneh-men.

LiteraturAbraham, Ulf / Baurmann, Jürgen / Feilke, Helmuth /

Müller, Astrid / Kammler, Clemens: Kompetenzorien-tiert unterrichten. In: Praxis Deutsch. Nr. 203: Kompe-tenzorientiert unterrichten. Seelze: Erhard FriedrichVerlag 2007, 6-15

Ellis, Rod: Task-based Language Learning and Teaching.Oxford: Oxford University Press 2003

Europarat: Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmenfür Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Übers. v. J.Quetz. Berlin, München, Wien, Zürich, New York: Lan-genscheidt 2001.

Hufeisen, Britta / Neuner, Gerhard (Hrsg.): Mehrsprachig-keitskonzept – Tertiärsprachenlernen – Deutsch nachEnglisch. Straßburg: Council of Europe Publishing2003.

Lenz, Peter: Überlegungen zur Sprachkompetenzbeschrei-bung und Testvalidierung im Projekt „HarmoS Fremd-sprachen“. In: Bulletin VALS/ASLA. Nr. 84/2007. Neu-châtel: Institut de linguistique de l’Université 2007 (=Bulletin Suisse de Linguistique appliquée)

Sting, Stephan: Stichwort: Literalität – Schriftlichkeit. In:Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 6. Jg. Heft 3.Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2003,317-337

Weinert, Franz E.: Vergleichende Leistungsmessung inSchulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In:Weinert, Franz E. (Hrsg.): Leistungsmessungen inSchulen. Weinheim, Basel: Beltz 2. Auflage 2002, 17-31

Anmerkungen1 Dies heißt nicht, dass erst der Fokus auf Textkompetenzzum Nachdenken über kombinierte Fertigkeiten führt –dies war und ist Bestandteil vieler Unterrichtskonzepte(siehe Fremdsprache Deutsch. Heft 24/2001: KombinierteFertigkeiten. Stuttgart: Klett 2001). Textkompetenz rücktnur den Umgang mit Schriftlichkeit und die sich darausergebenden Lernmöglichkeiten und -probleme besondersin den Mittelpunkt.2 Damit will ich nicht sagen, dass dies im muttersprachli-chen Unterricht nicht auch so wäre – es scheint mir aberplausibel, dass i.d.R. ein signifikanter Unterschied imBereich der Intensität der notwendigen „Spracharbeit“zwischen Mutter- und Fremdsprachenunterricht besteht.

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Die Idee beim beobachtenden Lernen ist, dassLernende sich in einem kommunikativenSprach unterricht in unterschiedlichen Rollen amUnterricht beteiligen: erstens in der Rolle desSprachgebrauchenden – und zwar als Senderund als Empfänger (wer sendet, erwartet ja aucheinen Empfänger und umgekehrt) – und zwei-tens in der Rolle des Beobachters bzw. Forschers.

Die Idee an sich ist nicht ganz neu. Seit Jahr-zehnten finden sich in fachdidaktischen Veröffent-lichungen Plädoyers für die Verwendung ganzheit-licher kommunikativer Situationen (vgl. zum Bei-spiel Fremdsprache Deutsch, Heft 24/2001: Kom-binierte Fertigkeiten), sowie für das Zusammenge-hen von Sprachfertigkeit und Sprachbetrachtung.Ergänzend dazu betonen wir vor allem den Einsatzvon Lernaktivitäten in der Beobachterrolle.

In diesem Beitrag legen wir einen Vorschlag fürden Schreibfertigkeitsunterricht vor und er -läutern anhand dieses Beispiels zwei didakti-sche Faustregeln des beobachtenden Lernens.Die be treffende Unterrichtsreihe mit einemUmfang von vier Unterrichtsstunden zu je 45Minuten ist an einer Amsterdamer Schule ineiner 7. Gymnasiumsklasse mit 20 Schülerinnenund Schülern erprobt worden. Und zwar imMuttersprachenunterricht (Niederländisch) –aber wie Trinh (2005) und Van der Es (2005)nachgewiesen haben, ist die Unterrichtsreiheauch auf den Fremd sprachenunterrichtanwendbar.2 Nachstehend beschreiben wirzuerst die vier Stunden der Unterrichtsreihe.Danach berichten wir über unsere Erfahrungenbei der Ausführung.

Beim Beobachtenden Lernen hören und sehen Schülerinnen und Schüler sich an, wie schriftlicheund mündliche Texte, die sie produzieren, von anderen rezipiert werden. Damit erhalten sie Einblickin die Wechselwirkung zwischen Textmerkmalen und Lese- bzw. Hörprozessen. Auch ermöglichtdas beobach tende Lernen ihnen zu erfahren, wie Mitschülerinnen und Mitschüler Lernaufgabenerle digen. So können sie Vorgehensweisen miteinander vergleichen und über Aufgabenstellungennach denken. Als lediglich sprechende oder schreibende Schülerinnen und Schüler kommen siekaum dazu, denn das Sprechen bzw. Schreiben selbst beansprucht bereits alle Aufmerksamkeit.

Von Gert Rijlaarsdam und Martine Braaksma

Die Sache mit den„Schlemmy“-RiegelnBeobachtendes Lernen: Ein Beispiel aus der Unterrichtspraxis1

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Die Sache mit den „Schlemmy“-Riegeln24

Erste Stunde: Einführung und Er -ledigung der „Schlemmy“-Aufgabe Ausgangspunkt ist eine Werbeaktion für Schoko-laderiegel der (fiktiven) Marke „Schlemmy“. Aufder Verpackung der „Schlemmy“-Riegel findensich Wertpunkte für zwei kostenlose Kinokarten.Schülerinnen und Schüler sammeln (fiktiv) diesePunkte – aber schon eine Woche vor dem offiziel-len Ende der Aktion sind die Riegel mit Wert-punkten vergriffen. Die Lernenden schreiben (ineinem Computerraum der Schule) die Erstfas-sung eines Briefes an die „Schlemmy“-Betriebs-leitung, in dem sie sich beschweren. Alle erfüllenalso die Rolle des Senders / Briefeschreibers. DieLehrerin / der Lehrer sammelt am Ende derStunde alle (digitalen) Briefe ein.

Zweite Stunde: Arbeit in GruppenDie Klasse wird in vier Gruppen aufgeteilt. ZweiGruppen schlüpfen in die Rolle der Betriebslei-tung der Firma „Schlemmy“. Beide Betriebslei-tungen (Empfänger / Leser) stehen vor der Auf-gabe, sich über 10 Briefe zu beraten und – da lei-der nur noch zwei Sätze mit Kinokarten vorhan-den sind – daraus zwei Gewinner-Briefe auszu-wählen. Die beiden anderen Gruppen habendabei eine beobachtende Aufgabe. Jeder Betriebs-leitung wird ein Beobachterteam zugeordnet. Esist Aufgabe der Beobachterteams, herauszufin-den, anhand welcher Kriterien und Argumentedie von ihnen beobachtete Betriebsleitung diebeiden Gewinner-Briefe auswählt. Die Sitzungder Betriebsleitung dauert etwa 20 Minuten.Danach stellen die beiden Beobachterteams aufeinem Plakat eine Liste der Kriterien und Argu-

mente zusammen, die die Betriebsleitung bei derAuswahl des Gewinner-Briefes verwendet hat.

Dritte Stunde: Präsentation derErgebnisseBeide Beobachterteams präsentieren auf Plaka-ten ihre Ergebnisse (s. Abb. 1), sodass alle Schü-lerinnen und Schüler anschließend die Gelegen-heit haben, ihren ursprünglichen Brief anhandder beiden Kriterienlisten zu überarbeiten.

Danach kommen die Vorsitzenden der beidenBetriebsleitungen zu Wort. Sie lesen die Gewin-ner-Briefe vor, erläutern ihre Auswahl und versu-chen Zusammenhänge zwischen den Briefeneinerseits und den Kriterien auf dem jeweiligenPlakat andererseits herzustellen.

Plakat A

Wie schreibe ich einen guten Brief an einen Betrieb?

1. Nicht zu formell2. Nicht zu informell3. Nicht zu frech4. Auf die Rechtschreibung achten5. Korrekter Satzbau6. Adresse erwähnen7. Überzeugend sein8. Erklären, dass man alles Mögliche

unternommen hat9. Problem darlegen10. Klare Absichten

Plakat B

1. Nicht zu höflich sein2. Verfasser muss gute Gründe haben3. Weder zu kurz noch zu lang4. Aus dem Brief soll hervorgehen, dass

ein Kind ihn geschrieben hat.5. Der Brief soll sauber aussehen.6. Wenig Fehler in der Rechtschreibung7. Nicht ständig dieselben Worte wieder-

holen8. Nicht zu untertänig9. Sich an mehr als nur eine Person

richten

Abb. 1: Kriterien und Argumente der Beobachtergruppen(entstanden an der Amsterdamer Schule)

Aufgabenstellung

Auf der Verpackung von „Schlemmy“-Schokoladeriegeln hast du gesehen, dass du zweikostenlose Eintrittskarten für einen Kinobesuch gewinnen kannst. Dort steht:

SAMMELN SIE WERTPUNKTE FÜR ZWEI KOSTENLOSE KINOKARTEN!!! Auf der Verpackung von Schlemmy-Riegeln findet sich 1 Wertpunkt für kostenlose Kinokarten. Sammeln Sie 10 Wertpunkte und schicken Sie diese an:Schlemmy Wertpunkteaktion, Postfach 3333, NL-1273 KB Etten-Leur. Erwähnen Sie bitte Ihren Namen, Ihre Adresse, sowie Postleitzahl und Wohnort.Die KOSTENLOSEN (!) Kinokarten werden dann so bald wie möglich verschickt. Diese Aktion läuft bis zum 15. April.

Es ist heute der 7. April. Du hast 8 Wertpunkte gesammelt, aber du kannst jetzt nirgendsmehr „Schlemmy“-Riegel mit Wertpunkten finden – obwohl längst noch nicht der 15. Aprilist. Du hast also die erforderlichen 10 Wertpunkte nicht zusammengekriegt. Trotzdem möchtest du die zwei Kinokarten gerne erhalten. Du verschickst deshalb deine 8Wertpunkte plus zwei Verpackungen ohne Wertpunkte. Schreibe dazu einen Begleitbrief.Berichte in deinem Brief, wieso es dir nicht gelungen ist, die 10 Punkte zu sammeln und ver-suche die „Schlemmy“-Betriebsleitung zu überzeugen, dass du einen berechtigten Anspruchauf die zwei Kinokarten hast. Du bist ja nicht schuld daran, dass du die 10 Punkte nichtrechtzeitig zusammengekriegt hast.

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Vierte Stunde: Briefe überarbeitenNun können die Schülerinnen und Schüler zei-gen, was sie in den ersten drei Stunden gelernthaben. Ihr Wissen über diese Art von Briefen(„Wie erhalte ich, was mir zusteht?“) hat sich indiesen drei Stunden erweitert und ist konkretergeworden. Dieses Wissen können sie nun bei derÜberarbeitung ihrer Briefe anwenden. Zuerstüberlegen die Schülerinnen und Schüler sich,wie sie bei der Überarbeitung vorgehen wollen(Möglichkeiten zum Beispiel: 1. den Brief ganzneu schreiben; 2. Änderungen zuerst auf demAusdruck notieren; 3. Änderungen sofort in denComputer eingeben). Dann erfolgt die Überar-beitung. Dabei erfüllen die beiden Plakate Spick-zettelfunktion. Die Stunde endet mit einerschriftlichen und danach mündlichen Auswer-tung durch die Schülerinnen und Schüler.

AuswertungDie Schülerinnen und Schüler der AmsterdamerSchule bewerteten die Unterrichtsreihe durch-schnittlich sehr positiv (Note 8 auf einer Skala von1-10). Selbstverständlich haben wir uns die Unter-schiede zwischen der Erst- und Zweitfassung derBriefe genau angeschaut: Alle bis auf einen habenLernfortschritte gemacht. Aus einer Analyse derBriefe ging hervor, dass vor allem der rhetorischeAspekt der Texte stärker hervorgetreten ist. Dasheißt: Das Problem wurde in der Zweitfassunggenauer beschrieben. Viele haben mehr Sorgfaltdarauf verwendet, darüber zu berichten, wie sie„alles Mögliche unternommen haben“ (Plakat A,Kriterium 8), um die zehn Wertpunkte zu sam-meln. Die Lernenden beriefen sich öfter darauf,dass das Enddatum der Aktion noch nicht verstri-chen sei; auch erläuterten sie besser, warum siezwei Verpackungen ohne Wertpunkte mitschick-ten. Es wurden insgesamt mehr Mittel eingesetzt,um den Leser zu überzeugen. Manchmal verfei-nerten sie den Ton ihres Briefes. Auch wurden inden Überarbeitungen etwas öfter emotionaleAkzente gesetzt: Man sei z.B. enttäuscht, da maneinem Freund schon angeboten hätte, zusammenins Kino zu gehen. Gleichzeitig wurde der Ton derBriefe bei vielen Lernenden sachlicher und weni-ger demütig. So wurde die hervorragende Qualitätder „Schlemmys“ nicht mehr so oft – und nichtmehr so überschwänglich – gelobt wie in denErstfassungen. Kurz: Die Lernenden wurden denformalen Anforderungen an Briefe dieser Art bes-ser gerecht. Bemerkenswert war, dass die Gruppeder Schülerinnen und Schüler, die als Beobach-

ter teilgenommen hatten, signifikant mehr Lern-gewinn verbuchte als die Gruppe der „Betriebs-leiter“ (Braaksma 2002).

Zwei didaktische FaustregelnDie „Schlemmy“-Aufgabe illustriert den Kern un -serer didaktischen Überlegungen. Es geht uns umzwei Faustregeln, die jede für sich und miteinan-der kombiniert für den Erwerb sprachlicher Fer-tigkeiten ausschlaggebend sind.

Didaktische Faustregel 1: Ganzheitlichekommunikative AufgabenstellungenDie erste didaktische Faustregel ergibt sich ausder referenziellen Kommunikationspsychologie.Sie betrifft die Aufgabe, die die Lernenden lösenund von der sie etwas lernen müssen. Es soll sichdabei um eine möglichst lebensechte kommuni-

Abb. 2: Erst- und Zweitfassung eines Briefes

ErstfassungMontag, 7. April

Sehr geehrte Mitarbeiter der Firma Schlemmy,ich habe mitgemacht bei der Sammelaktion, um zwei Kinokarten zu gewinnen. Nacheiniger Zeit hatte ich acht Wertpunkte gesammelt. Nach einiger Zeit konnte ich keineSchlemmyriegel mit Wertpunkten mehr finden. Ich bin in jeden Süßwarenladen gegan-gen, wo Schlemmyriegel verkauft werden, aber ich habe gar nichts finden können! Des-halb gebe ich Ihnen hiermit zwei Verpackungen ohne Wertpunkte, um zu beweisen, dassich zehn Riegel gegessen habe. Ich hoffe, dass Sie mir helfen können, indem Sie mirdoch noch die Kinokarten geben. Ich hoffe, Sie verstehen mein Problem.Mit freundlichem GrußOtto

ZweitfassungMontag, 14. April 200x

Sehr geehrte Mitarbeiter der Firma Schlemmy,ich habe über die Werbeaktion der Firma Schlemmy gelesen, bei der man zwei kostenlo-se Kinokarten gewinnen kann, wenn man zehn Wertpunkte sammelt. Ich habe michdaran beteiligt und nach einiger Zeit hatte ich schon 8 Wertpunkte zusammen! VollerFreude bin ich dann in einen Süßwarenladen gegangen, der Schlemmyriegel verkauft,aber ich habe keinen einzigen Riegel mit Wertpunkten mehr finden können! Da habe ichmir gedacht, dass die Aktion schon zu Ende ist, aber das ist ja unmöglich, weil dieAktion bis zum 15. April läuft! Dann bin ich in einen anderen Laden gegangen, aberauch dort war nichts mehr zu finden. Und als ich ohne Erfolg noch eine Reihe vonGeschäften besucht hatte, habe ich zwei Riegel ohne Wertpunkte gekauft. Ich schreibeIhnen diesen Brief, um zu berichten, dass ich alles Mögliche unternommen habe, umzehn Wertpunkte zu sammeln. In diesem Brief finden Sie meine 8 Wertpunkte und zweiVerpackungen, um zu beweisen, dass ich zehn Schlemmyriegel gekauft habe. Ich hoffe,Sie verstehen mein Problem und können mir helfen, es zu lösen. Ist es möglich, dass Siemir noch zwei kostenlose Kinokarten schicken?Mit freundlichem GrußOtto

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kative Aufgabe handeln. Das heißt, die Aufga-benstellung soll komplementären Charakterhaben: Wenn die Lernenden Texte schreiben,dann müssen diese Texte auch von einem lebens-echten Zielpublikum gelesen werden. Oder:Wenn Lernende sprechen, soll eine lebensechteHörsituation eingerichtet werden. So erfahrenSchülerinnen und Schüler, dass es alles andereals egal ist, was und wie sie schreiben, dass manTexte mit einer kommunikativen Absichtschreibt – und dass der beabsichtigte Effekt tat-sächlich zustande kommt (oder auch nicht). Sieerfahren außerdem, dass die Wirkung eines Tex-tes sich nicht immer (oder besser gesagt: oftmalsgar nicht!) mit den Absichten des Verfassersdeckt. Die Aufgabe soll sich also auf die Effektivi-tät der kommunikativen Handlung, d.h. auf diepragmalinguistische bzw. illokutionäre Ebenedes Sprachgebrauchs richten. Nicht, dass damitandere (textuelle, rein sprachliche) Ebenenbedeutungslos wären. Im Gegenteil. Sowohl derSprachgebrauch als auch die Textstruktur unter-stützen die pragmatische Wirkung (oder unter-graben sie).

Lebensechte kommunikative Aufgaben sindmotivierend und spielerisch. Sie bieten den Ler-nenden optimale Gelegenheiten, ihre kommuni-kativen Fertigkeiten zu schulen bzw. die kommu-nikative Wirkung ihrer Texte zu beobachten, zuanalysieren und zu bewerten.

Didaktische Faustregel 2:BeobachtungsaufgabenDie zweite Faustregel ergibt sich aus der Lern-psychologie (Wygotski 2002). Ging es bei Faust-regel 1 um den Entwurf einer lebensechten kom-munikativen Aufgabenstellung, geht es hier umdie eigentliche Lernaktivität. Zum Erlernen einerHandlung reicht es nicht, wenn Lernende dieHandlung bloß ausführen. Das Erlernen einerHandlung fängt am besten damit an, dass Ler-nende beobachten, wie ein anderer (nicht unbe-dingt ein Experte) diese ausführt. Die Lernendenschauen (und/oder hören) sich dabei an, wasgeschehen sollte bzw. was tatsächlich geschiehtund welchen Effekt die Handlung bewirkt. Sieermitteln, inwiefern dieser Effekt beabsichtigtwar und analysieren, was man ändern müsste,um die beabsichtigte Wirkung (besser) zu errei-chen. Beobachtendes Lernen ist der Kern vielennatürlichen Lernens: Auf diese Weise erwerbenwir oft unser Wissen ebenso wie unsere Fertig-keiten und Attitüden. Wir schauen nun mal vie-les bei unseren Mitmenschen ab.

Eine motivierende kommunikative Aufgabenstel-lung mit einer klaren, beabsichtigten Wirkung istalso der erste Schritt. Danach gilt es, diese Aufga-benstellung für das schulische Lernen fruchtbarzu machen. Dazu müssen Lernende die tatsäch-liche kommunikative Wirkung beobachten, diesemit der Wirkung anderer Ausführungen der Auf-gabe vergleichen sowie feststellen, welche derAusführungen am wirksamsten ist und ermitteln,wie effizient das Vorgehen ist. So erwerben Ler-nende Wissen über Sprachgebrauch und Antwor-ten auf die Frage: „Was ist am effektivsten in wel-chen Situationen?“

VariantenEs liegen inzwischen mehrere Varianten der„Schlemmy“-Aufgabe vor. Wir erwähnen hier nureinige Beispiele aus dem Fremdsprachenbereich.

Trinh (2005) teilte eine Gruppe von vietname-sischen Erstsemestlern (Englisch) in Fünfergrup-pen auf. Jede Gruppe bekam die Aufgabe, alsRedaktion einer Zeitschrift ein Heft zu produzie-ren. Die Redaktionen veröffentlichten „Calls forpapers“, worauf ihre Kommilitonen und Kommi-litoninnen reagierten. Alle Studentinnen undStudenten waren also Mitglied einer Redaktionund Autor für eine andere. So erfüllten sie beideRollen: erstens die des Textschreibers und zwei-tens die des kritischen Lesers. Redaktionssitzun-gen über eingereichte Texte wurden in diesemExperiment leider nicht beobachtet.

Van der Es (2005) nahm ein Medienspektakel(die Wahl des berühmtesten Niederländers) alsAusgangspunkt. Er ließ niederländische Schüle-rinnen und Schüler einer neunten Klasse einenenglischsprachigen Brief an den organisierendenFernsehsender schreiben, in dem sie mitteilten,wer ihrer Ansicht nach gewinnen sollte. Darauffolgte eine Unterrichtsstunde, in der sieben Drei-ergruppen die Rolle der Fernsehredaktion ein-nahmen. Jede Redaktion bekam vier Briefe zurBeurteilung („Welcher Brief ist am überzeu-gendsten?“) und jeder Redaktion wurde einBeobachter zugeordnet („Welche Kriterien ver-wendet die Redaktion, um die Überzeugungs-kraft zu beurteilen?“). Auch hier erfolgte in derdritten Stunde die Berichterstattung und in dervierten das Überarbeiten der Briefe. Auch wenn es nicht primär um Kommunikati-onsaufgaben geht, sondern um Lernaufgaben imengeren Sinne – wie das Erlernen von Lese- oderLernstrategien, von Argumentationsschemataoder Strategien beim Zu sammenfassen eines

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Textes bzw. das Erlernen von Vorgehensweisenbei Textüberarbeitungen oder beim Lesen litera-rischer Texte – gilt grundsätzlich, dass das Anhö-ren einer Instruktion mit einer anschließendenAnwendungsphase weniger lehrreich ist als dasBeobachten eines Dozenten oder Mitschülers,der die Handlung vormacht. Dies wurde mehr-fach empirisch festgestellt, u.a. beim Erlernenvon Satzkombinationen, beim Verfassen synthe-tischer Texte und bei der Überarbeitung vonBriefen in der Fremdsprache (vgl. Rijlaarsdamu.a. 2005 für weiterführende Literaturangaben).

Termine16./17. Mai 2009 in Fulda04./05. Juli 2009 in Mülheim/Ruhr11./12. Juli 2009 in Mülheim/Ruhr31.10./01.11.2009 in Göttingen

Der Preis von 200,00 Euro umfasstdie Teilnahme, Seminarunterlagen undGetränke. Die Dozentinnen sindwissenschaftliche Mitarbeiterinnen desTestDaF-Instituts.

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„Anmerkung“ auf dem Anmeldeformular.

Stets wurde festgestellt, dass das stellvertretendeBeobachten der Handlung wirksamer ist als dasSelbsterledigen einer Übungsaufgabe.

Vormachen also, vor der Klasse, laut denkend.Oder in Zweiergruppen: Ein Schüler bzw. eineSchülerin versucht, eine Lernstrategie anzuwen-den, die/der andere beobachtet das Vorgehenund macht sich Notizen über die Vorgehenswei-se. Fehler sind dabei erlaubt, ja sogar wünschens-wert. Denn jemand, der sich weniger wirksamesHandeln angeschaut hat, wird dies selbst nichtso schnell reproduzieren.

LiteraturBraaksma, Martine Anne H.: Observational Learning in

Argumentative Writing. Dissertation. Universiteit vanAmsterdam 2002 [sig-writing.publication-archi-ve.com/public?fn=enter& repository=1&article=80]

Rijlaarsdam, Gert / Braaksma, Martine Anne H. / Couzijn,Michel / Janssen, Tanja / Kieft, Marleen / Broekkamp,Hein / van den Bergh, Huub: Psychology and the Tea-ching of Writing in 8000 and some Words. In: BJEPMonograph Series II Nr. 3: Pedagogy – Teaching forLearning. Volume 1 Nr. 1. Leicester: The British Psycho-logical Society 2005, 127-153

Trinh, Lap Quoc: Stimulating Learner Autonomy in Eng-lish Language Education: A Curriculum InnovationStudy in a Vietnamese Context. Dissertation. Universi-

teit van Amsterdam 2005 [www.ilo.uva.nl/ Pro-jecten/Gert/Research/Thesis LapTrinhFinal2.pdf]

Van der Es, Wibo: The Greatest Dutchman Contest; lessen-serie schrijfvaardigheid in het Engels voor 3-tto. In:Levende Talen Magazine. Jg. 92 Nr. 4. Amsterdam: VLLT2005, 5-8

Wygotski, Lew S.: Denken und Sprechen. PsychologischeUntersuchungen. Weinheim: Beltz 2002

Anmerkungen1 Aus dem Niederländischen übersetzt von Peter Bimmel.2 Niederländisch- und englischsprachige Stundenvorbe-reitungen finden Sie unter www.ilo. uva.nl/Projecten/Gert/Smikkelclub/HandoutSMikkelPresentaties.doc bzw.www.ilo.uva.nl/homepages/martine/lesson_series.htm

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Das „3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkom-petenz“ ist Teil der Literalen Didaktik (Schmölzer-Eibinger 2008) und umfasst die Phase der Wissens-aktivierung, der Arbeit an Texten und der Text-transformation. Mit den in diesen drei Phasenjeweils vorgesehenen Aufgaben sollen intensiveProzesse des Lesens, Schreibens, Nachdenkensund Diskutierens über Texte angeregt werden. Sieermöglichen eine enge Verzahnung von inhalts-und sprachbezogenen Aktivitäten sowie von pro-dukt- und prozessorientierten Handlungen.

Die drei Phasen dieses Modells werden im Folgenden überblicks artig und anhand von Auf-gabenbeispielen vorgestellt. Dazu gibt es einigeLern ertexte und Aufgabenvariationen.1 Die Aufga-

ben sind innerhalb einer Aufgabenabfolge syste-matisch aufeinander bezogen und miteinandervernetzt. Sie können auf vielfältige Weise kombi-niert und flexibel an die individuellen Vorausset-zungen der Lernenden angepasst werden. Sie soll-ten jedoch nicht isoliert herausgegriffen undbeliebig aneinandergereiht werden, denn derLerneffekt ergibt sich durch die spezifische Abfol-ge und Kombination der Aufgaben und die dafürvorgeschlagenen Handlungs- und Sozialformen.Die sprachlichen und kognitiven Anforderungenbei der Bearbeitung einer Aufgabe werden durchdie Konzeption der Aufgabe, aber auch durch dieKomplexität der Texte gesteuert: Je einfacher derText, desto einfacher die Aufgabe.

In diesem Beitrag wird ein didaktisches Modell zur Förderung der Textkompetenz vorgestellt, mitdem Fremd- und Zweitsprachenlernende dabei unterstützt werden können, die Anforderungen imUmgang mit Texten im Unterricht besser zu bewältigen. Dieses 3-Phasen-Modell kann in vielfäl -tigen Lernsituationen eingesetzt werden und ermöglicht es, die Textkompetenz der Lern endenschrittweise aufzubauen und zu erweitern.

Von Sabine Schmölzer-Eibinger

Ein 3-Phasen-Modell zurFörderung der Textkompetenz

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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1. Phase: WissensaktivierungIn der Phase der Wissensaktivierung geht esdarum, die Gedanken, Assoziationen und die vor-handenen Erfahrungen und Kenntnisse der Ler-nenden zu einem Thema aufzurufen und für dieArbeit an einem Text verfügbar zu machen. Dafürsind Aufgaben zum assoziativen Schreiben undSprechen auf besondere Weise geeignet. In denAufgaben zum assoziativen Sprechen sind dieLernenden gefordert, sich mündlich spontan zueinem Thema zu äußern, in den Aufgaben zumassoziativen Schreiben sollen sie ihre Gedankenund Ideen zu einem Thema schriftlich ad hoc zu

Assoziative Schreibaufgaben tragen dazu bei,dass Schreibblockaden abgebaut werden bzw.

gar nicht erst entstehen.

Papier zu bringen.2 Ausgehend von einem Schreib -impuls sollen sie alles aufschreiben, was ihnenzum Thema einfällt – ohne abzusetzen und ohneden Schreibfluss zu unterbrechen. Es steht ihnenfrei, in welcher Sprache sie schreiben – grund-sätzlich können alle Sprachen verwendet wer-den, die ihnen in den Sinn kommen (vgl. Hor -nung 1996, 228).

Aufgaben zum assoziativen Schreiben sindnicht mit den üblichen Ansprüchen an die Ein-haltung von sprachlichen Normen und Stan-dards verbunden: Es gibt keine Sanktionen fürfalsch Geschriebenes oder nicht berücksichtigteTextsortennormen (vgl. Hornung 1999, 1996,225f.). Assoziative Schreibaufgaben tragen auchdazu bei, dass Schreibblockaden abgebaut wer-den bzw. gar nicht erst entstehen.

Bei der folgenden Aufgabenabfolge geht esum das Thema „Städte im Mittelalter“, das in derSchule üblicherweise im Geschichtsunterrichtder sechsten Jahrgangsstufe durchgenommenwird:

Assoziatives Schreiben1. Einzelarbeit: Schreib fünf Minuten lang alles auf, was

dir zum Thema „Städte im Mittelalter“ einfällt. Lassden Schreibfluss nicht abreißen und schreib auch dannweiter, wenn dir gerade nichts einfällt (z.B. aaaaabb...).Schreib in ganzen Sätzen (keine Stichwörter).

2. Partnerarbeit: Lest einander die Texte vor, die ihrgeschrieben habt. Verwendet eure Gedanken undIdeen zum Thema für einen gemeinsamen Text, mitdem ihr euch an einem Text-Wettbewerb in der Klassebeteiligt.

3. Gruppenarbeit: Entscheidet euch für fünf Kriterien,nach denen die Texte von der Klasse beurteilt undgereiht werden sollen.

4. Plenum: Tauscht die Kriterien miteinander aus undeinigt euch auf fünf Kriterien der Textbeurteilung. (Drei

Schülerinnen bzw. Schüler beobachten den Einigungs-prozess und berichten nachher, was ihnen dabei auf-gefallen ist.)*

5. Gruppenarbeit: Bewertet euren eigenen Text anhandder fünf Kriterien und überarbeitet ihn.

6. Plenum: Bewertet die Texte der anderen, vergebt Punk-te und erstellt eine Reihung.

7. Gruppenarbeit: Sammelt eure Erfahrungen und über-legt euch, worauf ihr beim Schreiben das nächste Malbesonders achtgeben wollt.

* Die Beobachteraufgaben dienen dazu, die Reflexionsfähigkeitder Lernenden im Umgang mit Texten zu schulen, effizienteSchreibstrategien zu erkennen und für die weitere Arbeit an Tex-ten zu sichern (siehe auch Beitrag von Rijlaarsdam / Braaksma indiesem Heft, S. 23).

Ein 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz 29

Lernertext 1a): Einzelarbeit (zu Aufgabe 1)

In Städten im Mittelalter befanden sich viele Gebäude z.B. Rathaus,

Kirche und Metzgerei. Der Huptpunkt in der Stadt war ein Markt, wo

die Leute einen Tauschhandel machen. Die Menschen beten sich in der

Kirche und alle haben auch ein kreuz, mit dem sie gehen. Dort gib es

auch viele Plätzen wo kann man sich waschen z.B. Dampfbaden. Das war

sehr wichtig, weil im Luft viele Vieren waren. Viele Krankenheiten tra-

gen die Raten auf, also die Hiegiene war am niedrigen Niveau. Es entwi-

ckelt sich eine Dienstleistung – es war ein Kleinhandel: Metzgerei,

Beckerei, Müttergescheft.

Lernertext 1b): Einzelarbeit (zu Aufgabe 1)

In jeder Stadt im Mittelalter gab es die Stadtmauer, die die Leute vor

Attaten des anderen Volkes schützte. In Zentrum befand sich immer

das Rathaus, Kirche und städtliche Brunne. In der Nähe der Zentrum

fand die Marktplatz, in deren viele Kaufleute und Händler zussamen-

treffen. Die Gesellschaft der Stadt war doch arm. Auf den Straßen

wohnte viele Obdachloser. Diese innerstädtliche Straße war oft schmut-

zig und stinkend. Diese Straßen waren nur getrettene Sand oder waren

aus der Stein gebaut. In dieser Zeit gab’s keine Industrie, man kann

nicht einfach Saubamittel kaufen. Also das Nivau des Hygienes war sehr

schlecht. In den Stadtsstruktur dominierte die Romangebäude.

Lernertext 2: Partnerarbeit (zu Aufgabe 2)

In jeder Stadt im Mittelalter gab es die Stadtmauer, die die Leute vor

Attaten des anderen Volkes. Es befanden sich viele Gebäude z.B. Rat-

haus, Kirche oder Metzgerei. Der Hauptpunkt in der Stadt war ein Stadt

war ein Markt, in denen viele Kaufleute und Händler zusammentreffen.

Es dominierte hier ein Tauschhandel. Die Menschen betetet sich in der

Kirche und alle haben auch ein kreuz, mit dem sie in verschiedenen

Teile der Stadt gehe. Dort gibt es auch viele Plätzen wo kann man sich

waschen z.B. Dampfbaden. Das war sehr wichtig, weil im Luft viele Vie-

ren waren. Viele Krankheiten tragen die Raten auf, also die Hiegiene

war am niedriegen Niveau. In dieser Zeit gab’s keine Industrie, man

kann nicht einfach Saubermittel kaufen.

Abb. 1: Aus zwei Einzelleistungen entsteht ein gemeinsamer Text

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Aufgaben zur Wissensaktivierung setzen nichtnur spontane Ideen und Emotionen der Lernen-den frei, sondern auch ihre vorhandenen Sach-kenntnisse. Beim gemeinsamen Schreiben (Auf-gabe 2) kann dieses themenbezogene Wissen ge -bündelt und weiterverarbeitet werden.

Die Aufmerksamkeit der Lernenden liegt dabeimeist vor allem auf den Inhalten und weniger aufder Sprache. Eine Überarbeitung, die einen bewus -sten Umgang mit Sprache erfordert, ist daher zuempfehlen (Aufgabe 5).

Variante: assoziatives Sprechen

Assoziatives SprechenVorgabe: Bilder zum Thema „Städte im Mittelalter“1. Paararbeit: Sucht euch ein Bild aus und redet darüber

fünf Minuten lang vor der Klasse, möglichst ohne Pau-sen zu machen.

2. Gruppenarbeit: Was hat euch an den Beschreibungenund Kommentaren zu den Bildern besonders angespro-chen? Konzentriert euch auf drei für euch interessanteoder auffällige Dinge, die gesagt wurden. Schreibt einenText, in dem ihr darauf Bezug nehmt und fügt eureeigenen Ideen und Gedanken zum Bild hinzu. (Eine/raus eurer Gruppe beobachtet den Schreibprozess undteilt euch nachher seine/ihre Eindrücke mit.)

3. Gruppenarbeit: Tauscht eure Texte aus und sagt denanderen, was euch daran besonders gut / weniger gutgefällt. Überarbeitet euren Text anhand der Rückmel-dungen der anderen.

4. Plenum: Stellt die Bilder und Texte in der Klasse aus,verwendet sie für eine Projektmappe oder eine Seiteauf eurer Klassenhomepage.

Variation:Wenn es sich um Kunstbilder handelt, könnten sich dieLernenden über die Bilder in der Rolle von Kunstexpertenund / oder Reportern unterhalten, um sie einem kunstin-teressierten Publikum (der Klasse) in einer (simulierten)Radio- oder Fernsehsendung näher zu bringen. Die Zuhö-renden schreiben anschließend ein kurzes Statement überdas, was sie gehört haben. Dieses Statement soll mit demBild in einer Kunstzeitschrift, in einem Schulbuch fürKunsterziehung oder in einem Sachbuch veröffentlichtwerden.

2. Phase: Arbeit an TextenDie Arbeit an Texten bildet den Kernbereich indiesem Modell. Die Aufgaben in dieser Phaseregen die Lernenden dazu an, Texte aus unter-schiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und inverschiedenen Kontexten zu reflektieren, zu re -kons truieren, zu überarbeiten oder neu zu konsti-tuieren. Sie sind gefordert, Informationen zuselektieren, zu fokussieren, zu abstrahieren undauf sachadäquate, nachvollziehbare Weise zu ver-knüpfen. Mündliche und schriftliche Aktivitätensind dabei immer eng aufeinander bezogen; dieAufmerksamkeit liegt sowohl auf der Sprache als

auch auf den Inhalten. Die Textkompetenz der Ler-nenden wird auf diese Weise nicht nur im Schriftli-chen, sondern auch im Mündlichen geschult.

Die Textkompetenz der Lernenden wird nicht nur im Schriftlichen, sondern auch

im Mündlichen geschult.

In drei Stufen der Textarbeit (Textkonstruktion,Text rekonstruktion, Textfokussierung und Textex-pansion) werden verschiedene Aspekte im Um -gang mit Texten wie das Wiedergeben, das Ergän-zen, das Konstruieren sowie das Transformierenvon Texten hervorgehoben.

Schritt 1Bei den Aufgaben der Textkonstruktion erhaltendie Lernenden Fragmente eines Textes (einzelneSätze, Absätze oder kurze Textpassagen), die sievervollständigen müssen. Beim Schließen der„Lücken“ sind sie gefordert, sowohl sprachlich alsauch thematisch „Neuland“ zu betreten. Je redu-zierter die vorgegebenen Textfragmente sind,desto eher ermöglichen sie es den Lernenden,ihre Kreativität und Phantasie zu entfalten undeigene Assoziationen und Gedanken zum Themaeinfließen zu lassen. Dies ist bei literarischen Tex-ten leichter als bei Sachtexten, für die beimSchließen der Lücken konkretes thematischesWissen gefordert ist. Sind die vorgegebenen Frag-mente umfangreicher, so ist der Spielraum für dieLernenden eingeschränkter, gleichzeitig könnengrößere Textfragmente den Lernenden auch Haltund Orientierung beim Schreiben geben. BeimErgänzen der Textfragmente müssen die vorhan-denen Textteile immer wieder aufs Neue gelesen,überprüft, überarbeitet und verbessert werden.Die Lernenden haben dabei die Möglichkeit, nursoviel und genau das zu schreiben, wozu sie in derLage sind; die Aufgaben in dieser Phase sindimmer an den aktuellen Sprach- und Wissens-stand der Lernenden angepasst. Die Texte müssenanschließend untereinander ausgetauscht undmiteinander verglichen werden. Dadurch wird die Fähigkeit der Lernenden geschult, Texte zubeurteilen und die Rückmeldungen ihrer Lern-partnerinnen und Lernpartner für eine Verbesse-rung der eigenen Texte zu nutzen. Auch dazu einBeispiel:

Textkonstruktion1. Paararbeit: Setze den folgenden Textausschnitt fort:

„Siehst du nun, was eine Stadt ist?“ sagte der Ghini.„Und wenn sie jetzt schon so ist, wo sie noch nichtmal fertig ist, wie wird sie dann erst nachher sein? Ich

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sage dir, das wird ein ganz anderes Leben.“ (Aus: Eco, Umberto: Baudolino. München, Wien: Hanser 2001, 190f.)

2. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem einesanderen Paares und verfasst auf dieser Grundlagegemeinsam einen neuen Text, der euren Vorstellungenvon einem gelungenen Text entspricht. (Eine/r auseurer Gruppe beobachtet den Schreibprozess und teilteuch nachher seine/ihre Eindrücke mit.)

3. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem Original-text. Was fällt euch auf?

Variation:4. Eine zu ergänzende Textpassage oder ein weiterzufüh-

render Satz könnte sowohl als Textanfang als auch alsTextende vorgegeben werden; es könnte aber auch dererste und der letzte Satz eines Textes zur Fortführungangeboten werden. Ebenso wäre es möglich, jedenzweiten Satz eines Textes auszulassen bzw. nur denBeginn der jeweiligen Absätze eines Textes vorzuge-ben, der von den Lernenden ergänzt werden muss.

Bei dieser Aufgabe werden die Gruppentexte(Aufgabe 2) in der Regel nicht vollständig neugeschrieben, sondern es werden die paarweisegeschriebenen Texte (Aufgabe 1) zusammenge-führt und ausgebaut:

sprachlichen und themenbezogenen Kenntnissemobilisieren. Der Text muss mehrfach und ausunterschiedlichen Perspektiven gelesen werden;Sinnzusammenhänge sind dabei immer wiederaufs Neue zu überprüfen und zu verdeutlichen.Dabei werden nicht nur Strategien des Erfassensund Verarbeitens von Inhalten sondern auch pro-duktive Fähigkeiten der kohärenten Darstellungvon Informationen geschult.

Eine Aufgabe, die die Fähigkeit der Rekon-struktion von Texten auf besondere Weise fördert,ist das Dictogloss 3 (vgl. Wajnryb 1990). Ein Textwird zunächst vorgelesen und anschließend vonden Lernenden gemeinsam rekonstruiert. BeimVorlesen des Textes müssen die Lernenden

Rezeptive und produktive Aktivitäten gehen nahtlos ineinander über.

genau zuhören; beim Schreiben müssen sie sichdarum bemühen, den Text originalgetreu undkohärent wiederzugeben. Ihre Aufmerksamkeitliegt dabei sowohl auf der Sprache als auch auf denInhalten. Rezeptive und produktive Aktivitätengehen nahtlos ineinander über. Es ist nicht nur dasVerstehen und Produzieren des Textes, sondernauch das verständliche Mitteilen und Verstehen derRedebeiträge der anderen gefordert. Die Lernen-den erkennen bei dieser Aufgabe in der Regel vonselber, wo sie noch Probleme im Umgang mit Tex-ten haben und entsprechende Unterstützungbenötigen. Dazu wiederum ein Beispiel:

Textrekonstruktion: DictoglossEine/r in der Gruppe liest einen Textabschnitt zum Thema„Mittel alter“ aus einem Schulbuch vor, die anderen hören zu.1. Gruppenarbeit: Rekonstruiert den Text möglichst

genau (derjenige, der vorgelesen hat, beobachtet denSchreibprozess und schildert den anderen nachherseine Eindrücke). Ergänzt die „Lücken“ mithilfe euresvorhandenen Wissens.

2. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem eineranderen Gruppe. Macht euren Text verständlicher undinformativer.

3. Nun vergleicht euren Text mit dem Originaltext. Wasfällt euch auf?

Bei dieser Aufgabe entstehen häufig inkohärenteTexte, die erst durch die Überarbeitung an Sinn-zusammenhang gewinnen:

Schritt 2In den Aufgaben der Textrekonstruktion sind dieLernenden gefordert, einen Text, den sie gelesenoder gehört haben, möglichst genau zu rekonstru-ieren. Der Schwierigkeitsgrad des Textes sollte sogelagert sein, dass die Lernenden nicht in derLage sind, sich diesen im Detail zu merken. Umdie Gedächtnislücken schließen und einenzusammenhängenden Text produzieren zu kön-nen, müssen die Lernenden ihre vorhandenen

Lernertext 4: Gruppenarbeit (zu Aufgabe 2)

Wir werden viele moderne Gebäude in der Stadt

haben und es wird keine Obdachlose sein. Jeder

wird seine eigene Ort zu leben haben. Es ent-

stehen neue Arbeitsplätze und neue stadtliche

Verwaltung, es wird die Gerechtigkeit herr-

schen.

Lernertext 3: Paararbeit (zu Aufgabe 1)

Wir werden ganz neue Gesellschaft gründen.

Wir werden neue Lebensbereiche entdecken. Das

Leben wird leichter und einfacher sein, Leute

können reichere Leben führen. In der Stadt

werden wir uns sicher fühlen, weil wir geschützt

sein werden.

Lernertext 5: Gruppenarbeit (zu Aufgabe 1)

Die Städte entstanden, wo das günstig war. Das waren vor allem Kreu-

zungspunkte, Handelsstraßen, Flussübergänge

Die Menschen renovierten auch alte Römersiedlungen. Die Menschen

arbeiteten in verschieden Betrieben, z.B. als Schmied für den Bedarf

der Kaufleute

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Textrekonstruktion: TextpuzzleVorgabe: drei Textabschnitte aus einem Schulbuch (jede/rLernende erhält einen anderen Textabschnitt)1. Einzelarbeit: Lest euren Textabschnitt aufmerksam

durch und legt ihn dann beiseite. Erzählt den anderen,worum es in diesem Textabschnitt geht.

2. Gruppenarbeit: Bringt eure Textabschnitte in eine sinn-volle Reihenfolge, ohne im Original nachzulesen.

3. Gruppenarbeit: Rekonstruiert die Textabschnittegemeinsam (schriftlich). Ergänzt die „Lücken“, sodassein zusammenhängender, sinnvoller Text entsteht.

4. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem eineranderen Gruppe und anschließend mit dem Original.Was fällt euch auf?

Schritt 3In den Aufgaben zu Textfokussierung & Textex-pansion sind die Lernenden gefordert, relevanteInformationen in einem Text zu erkennen, zugewichten, miteinander zu verbinden undschließ lich wiederum zu erweitern. Dies erfor-dert Aktivitäten des Selektierens, des Interpretie-rens, des Löschens und des Reorganisierens vonSinneinheiten und Textelementen. Die Fähigkeitdes Fokussierens von Informationen wirdgeschult, indem die Lernenden z.B. die zentraleHypothese/Fragestellung herausarbeiten oderdie wichtigsten Informationen eines Textes(gemeinsam) zu sammenfassen. Das Zusammen-fassen von Texten fördert die Fähigkeit, Inhalteauf ihre Relevanz hin zu beurteilen, zu gewichtenund zusammenhängend darzustellen. Der vorge-gebene Text wird dabei meist aufmerksamergelesen und verarbeitet als dies beim bloßenDurchlesen der Fall ist.

Im folgenden Beispiel schließt eine Aufgabezur Textexpansion an eine Aufgabe zur Textfo-kussierung an. Zwei Aufgabenabfolgen werdenden Lernenden wahlweise angeboten:

Textfokussierung & TextexpansionVorgabe (Gruppe A): Schulbuchtexte zum Thema „Städ-te im Mittelalter“ (der Text wird von der Gruppe ausge-wählt)

1. Paararbeit: Formuliert den inhaltlichen Kern eures Tex-tes in einem Satz (schriftlich).

2. Gruppenarbeit: Stellt euch diesen Satz gegenseitig vorund macht einander Verbesserungsvorschläge. Überar-beitet euren Satz anhand der Rückmeldungen.

3. Paararbeit: Schreibt einen Text zu diesem Thema fürein Schulbuch, in den ihr diesen Satz einbaut.

4. Gruppenarbeit: Tauscht die Texte untereinander ausund teilt einander mit, was euch jeweils am Text deranderen gefällt bzw. nicht gefällt. Überarbeitet eurenText anhand der Rückmeldungen.

Die Reduktion des Textinhaltes auf nur einenSatz setzt voraus, dass die Lernenden die wich-tigsten Informationen im vorgegebenen Text

erkennen und verständlich darstellen können.Wichtig ist dabei, dass der Satz schriftlich formu-liert wird, denn im Schriftlichen ist mehr Genau-igkeit und Explizitheit gefordert als im Mündli-chen.

Textfokussierung & TextexpansionVorgabe (Gruppe B): Romanauszug aus Umberto EcosBaudolino1. Paararbeit: Sucht nach jener Textpassage, die am bes-

ten ausdrückt, worum es in diesem Text geht.2. Gruppenarbeit: Teilt den anderen eure Entscheidung mit

und begründet sie. Einigt euch auf eine Textpassage.3. Paararbeit: Schreibt einen Phantasietext, in den ihr

diese Textpassage einbaut.4. Gruppenarbeit: Tauscht eure Texte untereinander aus

und teilt einander mit, was euch gefällt bzw. nichtgefällt. Überarbeitet euren Text anhand der Rückmel-dungen.

Variationen:Es können gemeinsam kurze Zusammenfassungengeschrieben, miteinander verglichen und überarbeitet werden. Der Fokus kann auch auf einzelne Schlüsselwör-ter oder -passagen gerichtet werden, entweder weil sieinhaltlich relevant sind oder logische Zusammenhänge gut

verdeutlichen. Ein Text kann von den Lernenden umbestimmte Informationen gekürzt werden, etwa um All-tags- / Sachbezüge, oder man lenkt ihre Aufmerksamkeitauf besonders aussagekräftige Textstellen, prägnante Bei-spiele oder schwer verständliche Textpassagen, diegemeinsam entschlüsselt werden sollen.

Vorlage für Gruppe B: Auszug aus Umberto Ecos Baudolino„Siehst du nun, was eine Stadt ist?“ sagte der Ghini.„Und wenn sie jetzt schon so ist, wo sie noch nicht malfertig ist, wie wird sie dann erst nachher sein? Ich sage dir,das wird ein ganz anderes Leben. Jeden Tag siehst duneue Leute – für die Händler und Kaufleute, stell dir vor,muß das wie ein himmlisches Jerusalem sein, und was dieRitter betrifft, der Kaiser hat ihnen verboten, Land zu ver-kaufen, damit der Besitz nicht geteilt wird, und so sind sieelend verhungert auf ihrem Land. Hier dagegen befehli-gen sie Kompanien von Bogenschützen, kommen hoch zuRoß daher und erteilen Befehl nach rechts und nach links.Aber nicht nur den Rittern und den Kaufleuten geht es hier gut, es ist auch ein Segen für Leute wie für deinenVater, der nicht viel Land hat, aber ein bißchen Vieh, dennin die Stadt kommen Leute, die danach fragen und mitrichtigem Geld dafür bezahlen. Man bezahlt immer öftermit klingender Münze und nicht mit anderen Waren imTausch, ich weiß nicht, ob du begreifst, was das heißt:Wenn du zwei Hühner für drei Kaninchen nimmst, mußtdu sie früher oder später essen, sonst werden sie schlecht,aber zwei Münzen, die kannst du unter deinem Bett ver-

Lernertext 6 (zu Aufgabe 1)

Und dann – so war es in Mailand (…), bis du

trotzdem ein Depp.

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stecken, und die sind auch nach zehn Jahren noch gut, undwenn du Glück hast, bleiben sie sogar dort, wenn Feindedein Haus überfallen. Und dann – so war es in Mailand undin Lodia und in Pavia, und so wird es auch hier kommen -,es ist nicht etwa so, daß hier die Ghinis oder Aularis den Mund halten müssen und nur die Guascos oder Trottis dasSagen haben, wir reden hier alle mit, wenn es was zu ent-scheiden gibt, hier kannst du was werden, auch wenn dukein Adliger bist, das ist das Schöne an einer Stadt, und esist besonders schön für einen, der kein Adliger ist, dafür ister sogar bereit, sich umbringen zu lassen, wenn’s nötig ist(aber lieber nicht), damit seine Kinder rumlaufen und sagenkönnen: Ich heiße Ghini, und auch wenn du Trotti heißt, bisdu trotzdem ein Depp.“(Aus: Eco, Umberto: Baudolino 190f. © München, Wien: Hanser 2001)

3. Phase: TexttransformationIn der Phase der Texttransformation werdenTexte aus ihren ursprünglichen Kontexten her -aus gelöst und in neue Kontexte transferiert.Dazu müssen komplexe Sinnstrukturen erkannt,rekonstruiert bzw. neu aufgebaut werden. Textedienen in dieser Phase weniger als Vorgabe fürrekonstruktiv-produktive Aktivitäten, denn alsImpuls für die Neukonzeption von Texten imRahmen komplexerer Lernhandlungen. Es gehtalso nicht mehr bloß um das Reproduzieren,Reduzieren, Überarbeiten oder Erweitern einesTextes, sondern vielmehr darum, Texte aus sub-jektiver Sicht zu interpretieren und für die Pro-duktion von Texten in anderen Kontexten zu nut-zen. Die Aufgaben in der Phase der Texttransformati-on haben überwiegend projektorientierten Cha-rakter. Die Auseinandersetzung mit mehrerenTexten zu einem Thema ist in Projektarbeiten

Die Aufgaben in der Phase derTexttransformation haben überwiegend

projektorientierten Charakter.

von vornherein angelegt und bietet zahlreicheGelegenheiten, das aus den Texten gewonneneWissen praktisch anzuwenden und mit den All-tagserfahrungen der Lernenden zu verknüpfen.

Im Folgenden wiederum ein Beispiel zumThema „Städte im Mittelalter“:

Texttransformation1. Paararbeit: Schreibt einen Text zum Thema „Städte im

Mittelalter“, in dem ihr die Informationen aus den Schul-buchtexten und dem literarischen Text zusammenführt.Ergänzt, was ihr sonst noch über dieses Thema wisstbzw. was ihr in Büchern oder im Internet dazu findenkönnt.

2. Gruppenarbeit: Stellt euch eure Texte gegenseitig vorund kommentiert sie.

3. Paararbeit: Überarbeitet eure Texte anhand der Rück-meldungen. (Eine/r in der Gruppe beobachtet euchund sagt euch nachher, was er/sie bemerkt hat.)

4. Sammelt und illustriert eure Texte für ein Themenheft„Städte im Mittelalter“ oder macht eine Internetseitebzw. eine Ausstellung zu diesem Thema in eurer Schule.

Oder ein anderes Beispiel:

TexttransformationVorgabe: mehrere Sachtexte zum Thema „Städte im Mittelalter“

1. Paararbeit: Verwendet die Texte als Impuls für einePhantasieerzählung zum Thema.

2. Gruppenarbeit: Lest einander eure Texte vor und sagt, waseuch an den Texten der anderen gefällt / nicht gefällt.

3. Paararbeit: Überarbeitet euren Text anhand der Rück-meldungen.

4. Gruppenarbeit: Sammelt und illustriert eure Texte undstellt sie in der Klasse aus.

Variation:Die Sachtexte könnten auch als Grundlage für eine Fabel,ein Märchen, eine Abenteuergeschichte oder eine Krimi-nalgeschichte verwendet werden.

Die Aufgaben in diesem „3-Phasen-Modell zurFörderung der Textkompetenz“ sind lernerorien-tiert, vielseitig, einfach zu handhaben und inunterschiedlichsten Lernkontexten zu verwen-den. Sie setzen einen Mechanismus in der Arbeitan Texten in Gang, der intensive sprach- undinhaltsgerichtete Lernprozesse auslöst und esLernenden damit erleichtert, anhand von Textenim Unterricht zu lernen.

LiteraturEco, Umberto: Baudolino. München, Wien: Hanser 2001,

190f.Hornung, Antonie: Schule und experimentelles Schreiben.

In: Feilke, Helmuth / Portmann, Paul R. (Hrsg): Schrei-ben im Umbruch. Schreibforschung und schulischesSchreiben. Stuttgart: Klett 1996, 224-245

Hornung, Antonie: Zur eigenen Sprache finden. Modelleiner plurilingualen Schreibdidaktik. Tübingen: Nie-meyer 1999 (= RGL 234)

Schmölzer-Eibinger, Sabine: Lernen in der Zweitsprache.Grundlagen und Verfahren der Förderung von Text-kompetenz in mehrsprachigen Klassen. Tübingen:Narr 2008

Wajnryb, Ruth: Grammar Dictation. Oxford: Oxford Uni-versity Press 1990

Anmerkungen1 Diese Aufgaben stammen aus einer Aufgabentypologiezur Förderung von Textkompetenz (Schmölzer-Eibinger2008).2 Diese Aufgabenform beruht auf Verfahren der plurilin-gualen Schreibdidaktik (Hornung 1999), die an der „écri-ture automatique“ der französischen Surrealisten orien-tiert sind (vgl. Hornung 1999, 85ff.).3 Vgl. dazu auch Fremdsprache Deutsch Heft 38, Seite 43.

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Syntax- und Textkompetenz

HilferufEs war vor der Geschichtsprüfung meiner drittenKlasse (11. Schuljahr, Liceo Artistico = bilingua-les Kunstgymnasium, Zürich) mit bilingual auf-gewachsenen Schülerinnen und Schülern. „Kön-nen Sie uns bitte helfen? Wir verstehen über-haupt nichts.“ Der Text1, den sie nicht verstehenkonnten, beginnt wie folgt:

Der Auszug aus dem Geschichtslehrbuch, denmir meine Schülerinnen und Schüler präsentier- ten, spricht für sich selbst. Für jugendliche Lese-rinnen und Leser, deren Muttersprache nichtDeutsch ist, und die sich bis vor einem Jahr imauf Italienisch gehaltenen Geschichtsunterrichtüber rinascimento, barocco e rivoluzione kundiggemacht haben, wimmelt es in dieser Textpassa-

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welches Leseverhalten die in Fachtextenüblichen komplexen deutschen Satzmuster bei bereits fortgeschrittenen Fremdsprachenlernendenauslösen; er zeigt tendenziell erfolgreiche sowie unproduktive Lesestrategien von Lernenden aufund plädiert für den Einsatz variierender schriftlicher Rezeptionsmethoden.

Von Antonie Hornung

© panthermedia / Rüdiger R.

Europa in der Epoche des „integralen Nationalismus“ nach 1870Ideologische Grundlagen1) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts änderte sich die Stellung des Nationalismus im politischen Koordinatensys-

tem. 2) Viele sahen jetzt in der jeweils eigenen Nation einen absoluten, allen anderen übergeordneten Wert. 3) Historiker sprechen von einem „integralen Nationalismus“. 4) Diese neue Konzeption des Nationalismus war – neben dem Sozialismus und der Erneuerung des (insbesondere

katholischen) Christentums – eine Antwort auf das vermeintliche Versagen des Liberalismus, einschließlich desnationalen Liberalismus.

5) Dessen wirtschaftlich-soziale Verheißungen schienen einmal durch die Krise der 1870er-Jahre und die nachfolgen-de Phase des gebremsten Wachstums widerlegt (siehe Grafik S. 266); ebenso durch den Staatsegoismus, der dieAußenpolitik nach wie vor beherrschte, und durch die Begrenzung der politischen Mitwirkung des Volkes geradeauch in Ländern mit starkem Parlament. […]

(aus: Günther-Arndt / Hoffmann / Zwölfer (Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe Bd. 1, 368 © Cornelsen, Berlin 1996)

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ge nur so von Begriffen, und der Zusammenhangvon Liberalismus, Nationalismus, Sozialismusund welcher -ismen auch immer, bleibt unver-ständlich. Ein Buch mit sieben Siegeln bleibt erfür die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur,weil sie die Begriffe nicht verstehen, unverständ-lich bleibt ihnen dieser einleitende Abschnittund die folgende Textpassage auch deshalb,weil hier eine Fülle von komplexen Fachbegrif-fen in eine zwar grammatikalisch nicht unbe-dingt schwierige, jedoch subtile Syntax2 verpacktwurde, die zu verstehen höchste Aufmerksamkeiterfordert – von Zweitsprachenlernenden ebensowie von Deutschsprachigen. Eine mehrere Schrit-te umfassende „Notfallübung“ hilft, den erstenSchock zu überwinden und die Angst vor derPrüfung zu mildern.

Von der Notfallübung zur nachhalti-gen didaktischen StrategieDie Lösung für derartige Probleme des Textverste-hens kann nicht darin liegen, dass Sachtexte inLehrbüchern immer einfacher gestaltet werden(vgl. hierzu auch Hornung 2007). Ziel gymnasialerDidaktik muss nach wie vor eine hohe Textkom-petenz sein. Zumindest über wesentliche Strate-gien zur selbstständigen Erarbeitung schwierigerTexte sollten Oberstufenschüler und -schülerin-nen souverän verfügen, wenn sie mit einem wis-senschaftlichen Studium beginnen wollen – egal,ob sie nun Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremd-sprache erworben bzw. gelernt haben.

Wir machen uns also auf den Weg: In einemersten Schritt, von dem dieser Beitrag vorwie-gend handeln wird, versuche ich herauszufin-den, worin die Schwierigkeiten der einzelnenLernenden bestehen. Um diese zu ergründen,gehe ich von der Hypothese aus, dass sich in derschriftlichen Erarbeitung von historischen Fach t-exten Hinweise auf Rezeptionsprobleme bzw. -strategien erkennen lassen. Indem ich Fragenstelle, für deren Beantwortung die Schüler ver-schiedene Texte lesen und mehr oder wenigergut verstehen müssen, verknüpfe ich eine Analy-se- mit einer Syntheseaufgabe (Frey 1990), brin-ge die Schülerinnen und Schüler also in eineSituation, in der sie nicht nur eine einfache Lern-aufgabe, sondern auch eine Leistungsaufgabe(Köster 2003) zu bewältigen haben.

Historische Fachtexte und ihre TückenDie Wahl des Themas fällt auf Niccolò Machiavelli,da wir uns im Deutschunterricht derzeit mit Les-

sings Emilia Galotti beschäftigen und die Frageder Rolle Marinellis, insbesondere der letzte Satzdes Prinzen3, noch unbesprochen im Raum steht. Anders als das eingangs zitierte, theoretisch aus-gerichtete Beispiel sind die hier verwendetenBeispieltexte biografisch, handeln also von einerhistorischen Persönlichkeit, ihrem Wirken undihrem Werk. Und da die italienisch-deutschspra-chigen Schülerinnen und Schüler dieser Klasse

Die Probleme vermute ich dort, wo sich Einschübe befinden, vor allem aber

bei komplexen Satzgliedern

sich im italienischen Geschichtsunterricht mitMachiavelli und seinem Werk bereits beschäftigthaben, gehe ich davon aus, dass ein gewissesWeltwissen in diesem Zusammenhang bereitsvorhanden ist.

Die historischen Beispieltexte, die ich aus-wähle, entstammen zwei etwas älteren histori-schen Fachbüchern, einem historischen Perso-nenlexikon (Herzfeld 1963, 102f.) und einemArbeitsbuch für Studierende, das als Repetitori-um für die universitäre Prüfungsvorbereitunggedacht war (Büssem/Neher 1979, 229). BeideTextpassagen scheinen mir inhaltlich leichtererfassbar als der eingangs zitierte Text aus demSchulbuch. Syntaktisch ist der erste Text (T 1) aufjeden Fall einfacher als der Auszug über „integra-len Nationalismus“ (lediglich Satz 14 stellt hiereine komplexere Hypotaxe dar), wohingegen derzweite Text (T 2) mit den Sätzen 8, 11, 14 und 26Konstruktionen anbietet, die denjenigen desProblemtexts nicht unähnlich sind.

Da wir uns in den vergangenen Semesternimmer wieder mit Konjunktional- und Relativ-sätzen verschiedenster Art rezeptiv und produk-tiv auseinandergesetzt haben, dürften die Hypo-taxen als solche für meine Klasse keine großenSchwierigkeiten bereithalten. Die Probleme ver-mute ich vielmehr dort, wo sich – wie oben inSatz 4 – Einschübe finden, vor allem aber beikomplexen Satzgliedern (z.B. T 2, Satz 8: […] derDekadenz des öffentlichen Lebens und kirchli-cher Kreise), bei Parallelbesetzungen von Satz-gliedern (z.B. T 2, Satz 8: Zahlreiche Gesandt-schaften zu fast allen bedeutenden Höfen Ita-liens, auch zum Papst, zum Kaiser und zum fran-zösischen König […] ) oder auch dort, wo modifi-zierende Verben (vgl. T 2, Satz 14: Suchte […] zuillustrieren) und wo nebensatzwertige Infinitivemit im Spiel sind. Eine weitere Quelle für Ver-ständnisschwierigkeiten dürften die Konnekto-

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ren sein – vor allem, wenn sie als Satzgliedkon-nektoren oder als Satzkonnektoren fungieren.

Die Aufgaben und ihre LösungSchriftlich hatten die Schülerinnen und Schülerdie Fragen „Wer war Niccolò Machiavelli?“ und„Wie dachte Machiavelli über Gott und Religion,über den Menschen, über die Fürsten?“ zu beant-worten. Als mündliche Aufgabe war gedacht:„Überlegen Sie dann: Inwieweit könnte Machia-vellis Denken Lessings Darstellung von Prinz undMarinelli in Emilia Galotti beeinflusst haben?“ Alledrei Aufgaben waren vorbereitende Hausaufgaben. Versucht man, die Vorgehensweisen der Lernen-

den hinsichtlich ihrer Rezeption der Vorlagen zuergründen, indem man ihre schriftlichen Arbei-ten auf deren Textbestandteile hin untersucht, solassen sich die folgenden Verständniserarbei-tungs-Strategien eruieren:0) vermeiden1) abschreiben2) puzzeln (ausgewählte Satzteile neu zusam-

menfügen)3) umschreiben und reformulieren4) recherchieren5) kommentierenMit vermeiden (0) wird hier das Weglassen vonnicht Verstandenem oder nicht Bewältigbarem

Text 1Machiavelli, Niccolò (1469-1527)1) Italienischer Politiker und Schriftsteller. 2) M. trat1498 in den Dienst der Republik Florenz. 3) Auf seineAnregung ging 1506 die Schaffung einer florentinischenBürgermiliz zurück, deren Organisation ihm übertragenwurde. 4) Ihr Versagen beim ersten Einsatz besiegelt dasSchicksal der Stadtrepublik und M.s politische Karriere;denn 1512 wurde mit spanischer Hilfe die Herrschaftder Medici in Florenz wiederhergestellt. […]13) Im Principe beschäftigte M. sich mit den Fürstentü-mern, wobei er die ererbten von den neugegründetenFürstentümern abhob. 14) Bei der Diskussion der Mög-lichkeiten, Herrschaft zu erlangen, entwickelte er dieumstrittenen Verhaltensregeln für den „neuen Fürs-ten“, der frei in der Bestimmung seines Zieles sei, sichaber der „necessità“, d.h. dem zwingenden Charaktereiner ihm feindlich gesonnenen politischen Umweltbeugen müsse. 15) Sie bestimme sein politisches Han-deln, das im Widerspruch mit der überlieferten Ethikstehen könne. 16) Damit formte M. den Begriff derStaatsräson vor. 17) Das grundlegend Neue der LehreM.s ist die Erkenntnis, dass die Macht ein konstituie-rendes Element der Politik sei. (Büssem/Neher 1979, 229)© A. Francke Verlag, Tübingen/Basel, 7. Aufl. 1999

Text 21) Machiavelli, Niccolò, 1469-1527; italienischerStaatstheoretiker. 2) Als M., Sohn eines Arztes, imJahre 1469 geboren wurde, stand seine Vaterstadt Flo-renz unter Lorenzo de Medici am Beginn einer Blüte-zeit humanistischer Kultur. 3) Als er 21 Jahre alt war,wurde er Zeuge des fortreißenden religiös-politischenRadikalismus Savonarolas. […]8) Zahlreiche Gesandtschaften zu fast allen bedeuten-den Höfen Italiens, auch zum Papst, zum Kaiser undzum französischen König, vermittelten ihm einegenaue Kenntnis von der Situation und den Spielregelnpolitischer Machtkämpfe sowie der Dekadenz desöffentlichen Lebens und kirchlicher Kreise. 9) Vielleichtresultieren aus dieser Zeit sein Kulturpessimismus undseine tiefe Menschenverachtung. 10) Als 1513 die

Republik gestürzt wurde, nahmen ihn die Medicigefangen, folterten ihn und entließen ihn schließlichdoch als „unbedeutend“.11) In der nun beginnenden langen Mußezeit – eheman ihm zwei Jahre vor seinem Tode wieder einbescheidenes Amt gab – lebte er mit Frau und Kindernziemlich dürftig, in zweifelhaften Liebesabenteuern(die er in Briefen zudem auch noch ausführlichbeschrieb) Vergessen suchend. 12) Auf seinem kleinenLandgut bei Florenz vollendete er die Werke, die sei-nen Namen als den des ersten Theoretikers der„Staatsräson“ und der „Kunst der Politik“ in alle Welttrugen. 13) Das sind vor allem seine Discorsi … überdie Geschichtsbücher des Livius, die Istorie Fiorentine(Florentinische Geschichte bis zu seiner Zeit) und IlPrincipe (Der Fürst). 14) Suchte er in den beiden erst-genannten Büchern (denen sein Florentiner Zeitgenos-se Guicciardini zahlreiche historische Ungenauigkeitennachwies) durch Beispiele aus der geschichtlichenWirklichkeit, seine Theorien über den Staat zu illustrie-ren, um zu zeigen, „wie er von Natur aus ist“, nicht„wie er eigentlich sein sollte“, so gibt er im Principepraktische Anweisungen für einen modernen Fürsten.15) Er rechtfertigt mit dem Begriff der Staatsnotwen-digkeit auch dessen Verbrechen und Rechtsverletzun-gen und verlangt: 16) „Er darf nicht ganz von denWegen des Guten abgehen, solange dies nur möglichist. 17) Erst dann muss er ohne Bedenken Verbrechenbegehen, wenn es die äußerste Not erfordert … 18) Ermuss die Rolle eines Menschen und die einer Bestie zuspielen verstehen.“ […] 25) Der Einigung Italiens und der Befreiung von derHerrschaft der „Barbaren“ waren sein Denken undseine Werke zugeordnet. 26) Seitdem hat seine Staats-lehre unter dem Schlagwort des „Machiavellismus“nicht nur zahllose Kontroversen hervorgerufen – auchFriedrich der Große schrieb einen „Antimachivell“ –,sondern sie diente über das Zeitalter des Absolutismushinaus bis heute der Rechtfertigung skrupelloser staat-licher Gewaltpolitik und bildete doch den Anfang unddie Grundlage für den Ausbau der modernen soziolo-gischen und politischen Wissenschaften. (Herzfeld 1963, 102f.) © Fischer, Frankfurt a. Main, 1963

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bezeichnet, wobei mir aber klar ist, dass die hierangewendete Methode der produktiven Rezepti-on von Texten zwar Hinweise, jedoch keineBeweise auf eine Vermeidungsstrategie liefernkann; in manchen Fällen mag auch bewusst eineAuswahl getroffen worden sein. Das Vorgehenvon Schülerin 1 (S 1 w)4, die für die Beantwor-tung von Frage 1 lediglich fünf Sätze abschreibt(vgl. Bsp. 1)5 und mehrere wichtige Informatio-nen ausspart, darf aber wohl als Strategie desVermeidens bezeichnet werden.

Wenn hier mit abschreiben das reine Kopierenvon ganzen Sätzen mit minimalen Ergänzungengemeint wird, so bezeichnet puzzeln das Zusam-mensetzen von Satzteilen oder anderen zusam-menhängenden Formulierungen aus verschie-denen Sätzen und/oder Texten in anderer Kom-position oder Reihenfolge, als die entnomme-nen Textbausteine im Original zu finden sind.

Wohingegen das Rezipierte mit eigenen Wortenneu formuliert oder größere Zusammenhängeeigenständig zusammengefasst werden, sprecheich von umschreiben und reformulieren (3).Neben dem Puzzeln, das vielleicht eher mecha-nistisch erfolgt, ist diese Strategie des Umschrei-bens und Reformulierens ein wichtiger Hinweisauf Textkompetenz, denn hierbei erfolgt expliziteine „Rekodifikation der semantischen Wort-und Satzinformation“ (Grzesik 2005, 196).Dass aber gerade bei dieser Form der produkti-ven Aneignung von Wissen und Gedanken denbilingualen oder mehrsprachigen Lernenden

sprachliche Fehler unterlaufen können, verwun-dert nicht – läuft doch beim Umformulieren einProzess ab, bei dem die in der Leserin oder imLeser vorhandene Sprache aktiviert wird. Es han-delt sich beim Reformulieren folglich um dasnach außen gewendete, also in die äußere Spra-che transformierte Leseverfahren, bei dem „derLeser Wörter oder ganze Sätze des Textes in inne-rem Sprechen durch andere Wörter ersetzt“(Grzesik 2005, 195; Hervorhebung durch G.). Die-ser innere Paralleltext (Grzesik, ebenda) derlesenden Person formuliert sich in Menschen,die in verschiedenen Sprachen sprechen unddenken, eben in ihrer einen Sprache (Bichsel1997), in der auch Parasitismen – also die Über-nahme von Wörtern und Formen von der einenin die andere Sprache – vorkommen können (vgl.hierzu Hernandez/Li/MacWhinney 2005).

Damit wird ein schulisches Dilemma erkenn-bar, in dem sich mehrsprachige Lernende ver-mutlich häufig befinden: Versuchen sie es mitder kognitiv anspruchsvolleren Strategie desReformulierens, so stoßen sie an die Grenzenihrer sprachlichen Fähigkeiten und werden viel-leicht für ihre vielen Fehler bestraft, indem sieeine schlechtere Note bekommen. Gehen sie aufNummer sicher und schreiben sie Passagen ausder Vorlage einfach ab, so machen sie zwar keineoder weniger Fehler, als wenn sie den Gedanken

Bsp. 2: puzzeln (2)Niccolò Machiavelli wurde [im Jahre 1469] als [Sohn einesArztes] in Florenz geboren. |Machiavelli war ein Politiker,aber auch noch ein Schriftsteller und noch ein Staatstheo-retiker.| Im Jahr 1498 wurde er Sekretär der Kanzlei des Ratesder Zehn, später dann wurde er sogar noch Chef. Als im1513 die italienische Republik stürzte, nahmen die MediciMachiavelli fest. Sie folterten ihn aber schlussendlich lies-sen sie in weggehen als „unbedeutend“. Nach diesemgeschehen, ging Machiavelli mit seiner Frau und die Töch-ter in San Casciano leben. In S. Casciano vollendete er sei-nen letzten Werken. Zwei Jahren vor seinen tod bekamer noch eine Arbeit. Er bekam die Leitung der Stadtmauer.Im Jahr 1527 Starb Nicolò Machiavelli in Florenz. (S 1 m)

Bsp. 3: umschreiben und reformulieren (3)[…]Im Jahre 1498 |trat er| in den Dienst der Republik Florenz.Nach 8 Jahren, im Jahre 1506, erlitt er eine Niederlagedurch |das Versagen| |der Organisation| für die Schaffungeiner fiorentinischen Bürgermiliz. Mit diesem gescheitertenEinsatz verspielte er sich nicht nur seine politische Karrie-re sondern es brachte auch zu einer starken Verände-rung in seinem alltäglichen Lebens. Er lebte mit seinerFamilie in sehr miserablen Umständen. Sie mussten mit demExistenzminimum auskommen.In den darauffolgenden Jahren war Machiavelli alsSchriftsteller tätig und verfasste das Buch „Der Fürst“, „IlPrincipe“, das er um 1513 veröffentlichte. Während dieserZeit waren die Medici wieder an der Macht, von denenMachiavelli erstaunlicherweise im jahre 1525, wenigeJahre vor seinem Tod, einen Auftrag zugewiesen bekam.Kaum Angestellt jedoch, wurde er wieder entlassen, weildie Medici die Stadt verlassen mussten.Machiavelli starb schliesslich im Jahre 1527.Machiavelli schreib seine Schriften aufgrund seines Bewusst- seins des Standes der italienischen Staatenwelt. Über die innerSchwäche, des Zerfalls des Staates und über die natürli-chen Formen des Staates. Sein Denken in seinen Schriftenwar v.a. über die Einigung Italiens und der Befreiung vonder Herrschaft der „Barbaren“.Seine zwei wichtigen Schriften „Principe“ (der Fürst)und „Discorsi“ beruhen auf seine Ideen des Staates. Erunterschied zwischen zwei Staatsformen. Die Republiken unddie Fürstentümer.(S 5 w)

Bsp. 1: abschreiben (1)Machiavelli N. war eine italieniche Politiker und Schriftsteller.Er trat 1498 in den Dienst der Republik Florenz.Seines Amtes enthoben, zog sich Machiavelli auf sein Landgutbei S. Casciano zurück. Hier entstand „Der Fürst“ (1513).Er starb verbittert 1527. (S 1 w)

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mit eigenen Worten wiedergeben würden, abersie verfehlen u.U. Verständnis und Lernziel.

Zusätzliche, von einzelnen Schülerinnen undSchülern verwendete Erarbeitungsstrategiensind recherchieren und kommentieren. Fleißigeschlagen in Wörterbüchern oder Lexika nach,um Begriffe und Namen zu verstehen. SolcheLernende nehmen oft auch zum Gelesenen bzw.Nachgeschlagenen, oder auch zum von ihnenGeschriebenen Stellung. So hat beispielsweiseSchülerin 4 (S 4 w) ihre eigenen Texte ausführlichkommentiert und hinterfragt.

Verarbeitungsstrategien Untersucht man die Textverarbeitungsstrategiender Lernenden bei der ersten Aufgabe („Wer warNiccolò Machiavelli?“), so fällt auf, dass von mehrals der Hälfte der Lernenden zurecht Sätze außerAcht gelassen wurden, die für die Beantwortung derFrage wenig relevante Informationen beinhalten (T 1: Sätze 11-13, 16; T 2: Sätze 13, 14). Hier wurdealso offensichtlich bewusst ausgewählt. Bei denübrigen, nicht aufgegriffenen Informationen zurPerson Machiavellis darf man aber vermuten, dassdie eingangs erwähnten syntaktischen Raffinessen(T 2: Sätze 8, 10-12), aber auch lexikalische Lückenund die mangelnde Bereitschaft, sie zu füllen (z.B. T 1: Satz 3) sowie auch eine gewisse Oberflächlich-keit die Vermeidungsstrategie beflügelt haben. Aufjeden Fall aber wird deutlich, dass T 2 mehr abge-schreckt hat – sei es, weil er länger ist oder weil erspätestens ab Satz 8 durch eine eindeutig an -spruchs vollere Syntax als T 1 gekennzeichnet ist.

Wichtige Passagen der Textvorlage wurden nur von wenigen zur Kenntnis genommen und

bruchstückhaft wiedergegeben.

Eine Untersuchung der Erarbeitungsstrategienbezüglich der zweiten Aufgabe („Wie dachteMachiavelli über Gott und Religion, über denMenschen, über die Fürsten?“) bestätigt dieseVermutung. Wichtige Passagen der Textvorlage,insbesondere die Darstellung von MachiavellisGewaltpolitik (T 2, Sätze 15-22), wurden nur vonwenigen zur Kenntnis genommen und bruch-stückhaft wiedergegeben. Es sind bei der Beantwortung dieser Frage vorallem die jungen Frauen, die sich um Verständniszu bemühen scheinen, indem sie vermehrt zurStrategie des Umformulierens greifen, währenddie männlichen Lernenden sich mit wenigenInformationen begnügen – das schwieriger For-mulierte also vermeiden – und vorwiegend puz-zeln. Man kann aber bei allen Lernenden bei derBearbeitung der zweiten Aufgabe eine stärkereTendenz zur Vermischung unterschiedlicherStrategien feststellen, was wiederum mit deretwas höheren Komplexitätsstufe der Aufgaben-stellung und der zwingenden Notwendigkeit,auch Text 2 für die Auswertung beizuziehen, zutun haben dürfte (bei Aufgabe 1 konnte man sichum Text 2 auch foutieren6).

Lernen braucht ZeitWas das Plenumsgespräch im Klassenzimmer nurbeschränkt aufzudecken imstande ist, wennHausaufgaben mündlich abgerufen und zusam-mengetragen werden, ist die Unsicherheit bzw.Unfähigkeit Einzelner angesichts anspruchsvolle-rer Texte. Wortgewandtere und kundigere Klassen-kameradinnen und Klassenkameraden tragenzum Gespräch bei, und je größer die Klasse ist,umso leichter verbirgt sich der Schwächere hinterdem Stärkeren. Als Lehrperson geht man davonaus, dass der Text verstanden wurde – was abervielleicht nur für diejenigen Schülerinnen undSchüler zutrifft, die sich aktiv am Unterrichtsge-spräch beteiligt haben.

Nur wenn Leseaufgaben auch schriftlich erle-digt werden müssen, wird das Textkompetenzge-fälle in der Klasse sichtbar, weil dann nämlichjedes einzelne Klassenmitglied die Aufgabe alleinbewältigen muss.

Wer umformuliert und textuelle Puzzleteilezusammenfügt, signalisiert sein Eintauchen in

Bsp. 4: recherchieren (4)Exzerpt aus T 2: • Niccolò Machiavelli |wurde [im Jahre 1469] geboren| und

starb im Alter von 58 Jahre im Jahre 1527.• Niccolò Machiavelli war ein Staatstheoretiker.• Er studierte Jura.• 1498 wurde er Sekretär und später Chef der Kanzlei des

Rates der Zehn.• 1513 machten ihn die Medici zu „unbedeutend“, nach-

dem er gefangengenommen war, und gefoltert wurde.• Zwei Jahre vor seinem Tode |gab man ihm ein bescheidenes

Amt.|• Während seine Mußezeit (Muße = freie Zeit und (inne-

re) Ruhe, in der man seinen eigenen Interessen nach-gehen kann; Syn. Ruhe, Zeit) schrieb er seine Werke zuEnde, womit sein Name überall bekannt wurde. DieWerke, die er vollendete:

• „Discorsi“ (Abhandlungen über die Geschichtsbücher desLivius („Titus Livius war ein römischer Geschichtsschrei-ber zur Zeit des Augustus.“ – Quellenangabe: Wikipedia)

• „Istorie Fiorentinae“ (Florentinische Geschichte bis zu sei-ner Zeit)

• „Il Principe“ („Der Fürst“; Anweisungen für einen modernen Fürsten)

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den Verstehensprozess; wer aber konsequentdas Aufgreifen schwierigerer Sätze und Textpas-sagen vermeidet, sendet ein Signal von Überfor-derung oder handelt vielleicht auch ausBequem lichkeit.

Es geht also darum, der Vermeidungsstrategiedie Möglichkeiten des Puzzelns und die Notwen-digkeit des Umformulierens – auch unter Erlaub-nis von Sprachmischung als Stütze im Lernpro-zess – entgegenzusetzen. Solche Formen schriftli-cher Rezeption müssen immer wieder geübt wer-den; Partnerarbeit kann dazu beitragen, die Ein-

zelnen auf ihrem Weg zum Verständnis schwieri-gerer Texte zu unterstützen.

Der nächste Schritt im langsamen Lernprozessmeiner Lernenden wird die Konfrontation mitihren eigenen Strategien und denen ihrer Klassen-kameradinnen und Klassenkameraden sein, undwir werden weiter mit schwierigen Texten arbei-ten, die wunderbaren deutschen Babuschka-Sätzeanalysieren, wie man das früher im Lateinunter-richt tat, und die wichtigen Gedanken reformulie-ren. So viel Deutsch wie möglich, so viel Italie-nisch wie nötig.

LiteraturBichsel, Peter: Es gibt nur eine Sprache. Rede zur Grün-

dung der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung desmehrsprachigen Unterrichts in der Schweiz. In: PraxisDeutsch. Nr. 144: Reden lernen. Seelze: Erhard Fried-rich Verlag 1997, 4–9

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Frey, Karl / Frey-Eiling, Angela (1990): TrainingsprogrammPrüfungstechnik. Ms. Zürich, ETH (3., überarbeiteteFassung)

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Günther-Arndt, Hilke / Hoffmann, Dirk / Zwölfer, Norbert(Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe. Bd. 1: Von der Anti-ke bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Berlin: Cornel-sen 1996

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Hornung, Antonie: Verhinderte Textkompetenz? In:Schmölzer-Eibinger, Sabine / Weidacher, Georg (Hrsg.):Textkompetenz. Eine Schlüsselkompetenz und ihreVermittlung. Festschrift für Paul R. Portmann-Tselikaszum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2007, 239-273 (=Europäische Studien zur Textlinguistik 4)

Köster, Juliane: Aufgaben zum Textverstehen in Lern- undLeistungssituationen. Die Profilierung einer Differenz.In: Deutschunterricht. Heft 5/2003: „Standards/Auf-gabenarten“. Braunschweig: Westermann 2003, 19-25

Krieger, Herbert / Kleinknecht, Wolfgang (Hrsg.): Die Neu-zeit. Materialien für den Geschichtsunterricht. Frank-furt am Main u.a.: Diesterweg 1975

Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno:Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. Berlin, NewYork: Walter de Gruyter 1997

Anmerkungen1 Die Nummerierung der Sätze wurde in diesem wie inallen folgenden Originalzitaten durch die Verfasserin vor-genommen.2 Vgl. hierzu in Satz 4) den Einschub zwischen Gedanken-strichen oder die gedankliche Vielschichtigkeit von Satz5), dessen Verständnis zusätzlich durch den anadeikti-schen Anschluss an Satz 4) erschwert wird. In Satz 5) hatdas Prädikat „widerlegt“ vier Präpositionalgefüge, derenzwei erste durch „und“ zusammengezogen werden, wäh-rend die beiden letzteren nach dem Semikolon mittels desKonnektors „ebenso“ angeschlossen werden, jede der bei-den mit einer zusätzlichen Präzisierung: „durch denStaatsegoismus“ wird durch einen Relativsatz ergänzt;„durch die Begrenzung der politischen Mitwirkung desVolkes“ mittels einer durch die Fokuspartikel „genau“angehängten Adverbiale.3 Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem erden Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zuMarinelli). Hier! heb ihn auf. – Nun? Du bedenkst dich? –Elender! – (Indem er ihm den Dolch aus der Hand reißt.)Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. –Geh, dich auf ewig zu verbergen! – Geh! sag ich. – Gott!Gott! – Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daßFürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel inihren Freund verstellen?[http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1612&kapitel=14&cHash=d9351b0031galott53#gb_found] (12. Jan. 2008).4 Für die Anonymisierung der Lernenden habe ich dieMädchen und die Knaben durchnummeriert und folgendeSiglen verwendet: Schüler = S 1 m …; Schülerin = S 1 w ….5 Leider ist für den Druck eine farbliche Unterscheidungder unterschiedlichen Textteile, wie ich sie mir für dieAnalyse erstellt habe, nicht möglich. Ich hoffe aber, dassdie hier gewählten Markierungen die Schichtungen dereinzelnen Beispiele sichtbar zu machen imstande sind.Legende: kursiv = Übernahmen aus Text 1recte = Übernahmen aus Text 2fett = selbstständige Formulierungenfett + kursiv = Wortschatz- und andere selbstständigeAbklärungen[Umstellung Satzglieder]|Änderung der Satzreihenfolge|6 schweiz.: sich um etwas nicht kümmern, sich über etwashinwegsetzen

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Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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„Der Gangsterboss – er hatNerven wie Drahtseile“ Oder: Wie Textkompetenz durch Wortschatzarbeit gefördert werden kann

Neben Fähigkeiten im kognitiven und sprachlichen Bereich umfasst Textkompetenz auchlexikalische Kompetenz: Damit ist nicht nur Wortschatzkenntnis gemeint, sondern auch dieFähigkeit, Wörter im jeweiligen Kontext adäquat zu verwenden. Ein Mangel an fundiertenWortschatzkenntnissen er schwert nicht nur das Verstehen, sondern auch das Produzieren vonfremdsprachlichen Texten. Das gilt grund sätzlich für alle Lernstufen; für fortgeschritteneLernende ist dies jedoch besonders von Bedeutung. In diesem Beitrag geht es darum, zuzeigen, wie Textkompetenz durch Wortschatzarbeit gefördert werden kann.

Von Simone Auf der Maur Tomé

© shotshop / Werner Braun

Wortschatzkenntnisse undTextkompetenzIn Bezug auf die rezeptive und produktive Arbeitmit Texten lassen sich folgende Hypothesen auf-stellen:• Das Verständnis von Texten wird unterstützt

durch fundierte Wortschatzkenntnisse. • Umfangreiche lexikalische Kenntnisse tragen

zur Entwicklung der Schreibkompetenz bei.

Nun stellt sich die Frage, wie Lernende dazubefähigt werden können, Wörter und Wortbe-deutungen in der Fremdsprache zu verstehen, zumemorieren und schließlich in neuen Kontextenselbstständig anzuwenden. Dazu soll zunächstanhand eines schematischen Überblicks aufge-zeigt werden, welche Wissensbereiche beimErwerb von lexikalischen Kenntnissen in derFremdsprache von besonderer Bedeutung sind.

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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“ 41

Die Darstellung verdeutlicht, dass sich der Er -werb von lexikalischen Kenntnissen (in derFremd sprache) als komplexes Zusammenspielverschiedener Ebenen erweist. Denn lexikalischeKenntnisse umfassen nicht nur Wissen bezüglichder Wortarten, der Wortbildung und der Funkti-on von Wörtern im Satz, sondern auch bezüglichihrer Bedeutung im jeweiligen situativen Kon-text, wobei kulturelle, historische, regionale und

Lexikalische Kenntnisse umfassen nicht nurWissen bezüglich der Wortarten, der Wort-

bildung und der Funktion von Wörtern im Satz.

soziale Faktoren eine entscheidende Rolle spie-len können. Die Gewichtung der jeweiligen Ebe-nen hängt im Einzelfall vom Lernstand der Ziel-gruppe, vom Lernkontext und den verwendetenTextsorten ab.

Im Folgenden sollen nun anhand eines Text-beispiels konkrete Verfahren der Wortschatzarbeitim Deutschunterricht angeführt werden. Das Ziel,das damit verfolgt wird, besteht darin, die lexikali-schen Kenntnisse der Lernenden zu erweiternbzw. zu festigen, indem ihnen die Semantik,Grammatik und auch die kulturelle Gebundenheitvon Wörtern bewusst gemacht wird – und dies,wie gesagt, im Hinblick auf die Erweiterung derTextkompetenz der Lernenden. Ausgewählt wurdedazu der Zeitungsnachrichtentext „Reemtsma-Entführung: Polizei jagt Superhirn“ aus dem Mit-telstufenlehrwerk em neu – Hauptkurs. Es handelt

Erwerb von lexikalischen Kenntnissen

Abb. 1: Komplexes Zusammenspiel beim Erwerb des Lexikons.

Wortfamilien

lexikalischeKenntnisse

Wortarten (Verb, Adjektiv etc.)

Funktion von Wörtern im Satz

situativer Rahmen (thematischer Kontext)

Weltwissen

soziale/regionale Varianten

Wortbildung (Morphologie)

idiomatische Wendungen

Internationalismen

charakteristischer Wortschatzeinzelner Textsorten

Mehrdeutigkeit von Wörtern(Polysemie)

historische Entwicklung vonWortbedeutungen

sprachliches Register (formell/umgangssprachlich)

kultureller Kontext (Gemeinsamkeitenund Unterschiede von Wortbedeutungen

in verschiedenen Sprachen)

Einzelwörter (Tisch) / Wortgruppen (jmdn. um

Verzeihung bitten)

(© Bild-Zeitung vom 07.05.1996)

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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“42

Die relativ häufige Nennung des Entführers als„Superhirn“ im Vergleich zum einmaligen Vor-kommen der Entführer als Gruppe ist ein Indizdafür, dass der thematische Schwerpunkt aufdem Gangsterboss als Einzelperson liegt,wodurch eine bestimmte Wertung – nämlich dieGenialität des Entführer-Bosses – suggeriertwird.

Referenzbezüge im TextDie Textstruktur wird ferner durch Wörter imText verdeutlicht, mit denen auf sprachliche Ele-mente Bezug genommen wird, die bereits vorherim Text eingeführt wurden – zum Beispiel durchPronomen anstelle von Substantiven:

Der Fremdsprachenlernende wird das erste Auf-treten des Pronomens „er“ einfach zuordnenkönnen, weil es direkt nach dem Substantiv„Superhirn“ steht. Das zweite „er“ bezieht sichjedoch nicht mehr auf das Superhirn, sondernauf Reemtsma, was aus dem Kontext ersichtlichwird (ohne Uhr kann Reemtsma die Dauer derFahrt nicht bestimmen). Das dritte „er“ könnteverwirrend sein, weil es sich auf den ersten Blicksowohl auf das Superhirn (wenn man annimmt,dass er den Wagen fährt) als auch auf Reemtsmabeziehen könnte; bei einer zweiten aufmerksa-meren Lektüre muss man jedoch feststellen, dasssich das dritte „er“ auf Reemtsma bezieht. EinIndiz dafür ist, dass der Haupt- und Nebensatzmit dem finalen Konnektor „damit“ verbundenist, was bedeutet, dass die Subjekte im Haupt-und Nebensatz nicht identisch sind. WärenHaupt- und Nebensatz hingegen mit dem eben-falls finalen Konnektor „um ... zu“ verbunden,wären die jeweiligen Subjekte identisch. An die-ser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Ver-ständlichkeit der Textstelle aufgrund eines Man-gels an Sorgfalt von Seiten des Journalistenbeeinträchtigt wird.

Außersprachliches Wissen (Weltwissen)Mit Weltwissen sind Verstehensvoraussetzungengemeint, die nicht allein in der Sprachkenntniseines Sprachbenutzers verankert sind und ineinem Text nicht explizit erklärt werden. Dieskann durch den folgenden Beispielsatz veran-schaulicht werden: „Er erhöhte dreist das Löse-geld von 20 auf 30 Millionen Mark.“ (33-34). Indiesem Satz geht der Textverfasser stillschwei-

sich dabei um einen authentischen Informations-text aus einer deutschen Tageszeitung (Bild), einerTextsorte also, auf die im Fremdsprachenunter-richt erfahrungsgemäß relativ häufig zurückge-griffen wird.

Lehr- und LernschritteVor dem Lesen wird• das Vorwissen der Lernenden aktiviert, indem

der Titel bzw. die Schlagzeile fokussiert wird:Was wissen Sie bereits über das Thema? Wasfür ein Wortschatz ist im Text zu erwarten?

• das Textsortenwissen aktiviert: Welche inhaltli-chen und formalen Erwartungen haben Sie anden Text? Beachten Sie auch die Gliederungdes Textes (Überschriften, Abschnitte etc.) unddie optischen Signale (Fett- und Kursivdruck,Bilder, Fotos, Diagramme etc.).

Es geht in diesem Schritt hauptsächlich darum,ein passendes mentales Schema (einen Rahmen)zu aktivieren, das durch die weitere Arbeit amText präzisiert wird.Während des Lesens kann z.B. ein Textraster (W-Fragen) ausgefüllt oder ein Stichwortschemazum globalen Textverstehen hergestellt werden.

Im Anschluss an die globale Lektüre erfolgt eine detailliertere Textarbeit. Dazu wird zwischen

Text-, Satz- und Wortebene unterschieden.

Nach dem Lesen, im Anschluss an die globaleLektüre, erfolgt eine detailliertere Textarbeit.Dazu wird zwischen Text-, Satz- und Wortebeneunterschieden.

TextebeneWiederaufnahmestrukturenTextkohärenz kommt unter anderem dadurchzustande, dass einmal eingeführte Textelemente,die sich auf dasselbe Objekt beziehen, in einemText wieder aufgegriffen werden. Wenn wir bei-spielsweise die Bezeichnungen für den Entführer/die Entführergruppe untersuchen und dabeilediglich auf die dafür verwendeten Substantiveachten, ergibt sich folgendes Bild:

die Reemtsma-Entführer (1),

„Entführer“ der Boss (3),

das Superhirn (3; 5; 10; 14; 22; 39),

der Mann, der ihn (...) gepeinigt hatte (4-5),

der Gangsterboss (14; 32)

„Superhirn – er ließ Reemtsma vor der Fahrt ins Geiselverliesdie Uhr abnehmen, damit er nicht sehen konnte, wie lange erunterwegs war.“ (38-40)

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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“ 43

Leserin tatsächlich nicht geläufig sein, aber imVergleich zu weiteren Komposita, die mit derGrundform „Geisel-“ gebildet sind, wie z.B. „Gei-selversteck“ (8) und „Geiselgefängnis“ (12-13),wird deutlich, dass es sich bei dem Wort „Verlies“um einen Ort/einen Raum handeln muss, wo Gei-seln versteckt werden. Zur näheren Bestimmungder Wortbedeutung wird also zunächst das Kom-positum entschlüsselt und ein Wörterbuch heran-gezogen und anschließend kann in der Gruppediskutiert werden, was man sich im deutschenSprachraum unter einem Verlies vorstellt und wasman darunter im eigenen Sprachraum versteht.Dabei kommen vermutlich sowohl kulturspezifi-sche als auch historische Aspekte ins Spiel.

Mögliche Übungen:• Weitere Komposita im Text suchen und ent-

schlüsseln (z.B. die „Geldübergabe“ (33), die „Irreführung“ (28)).

• Wortbildungsprinzipien erarbeiten und reflektieren.

• Für den Zeitungsstil typische deverbale Nomi-nalisierungen im Text aufzeigen: jemandenhochachten – die Hochachtung (4), benutzen –die Benutzung (27), jemanden irreführen – dieIrreführung (28) und weitere Beispiele finden.

• Die Funktion bzw. das Globalziel der Textsortebestimmen: Bei einer Zeitungsnachricht liegtdas Globalziel in der Vermittlung von Informa-tionen; typische sprachliche Merkmale dafürsind Verben wie „informieren“, „mitteilen“,„melden“, „berichten“ usw.

• Wörter bilden durch Einsatz von Präfixen undSuffixen, wie z.B. un-, ver- und -bar, -heit, -keit, -(i)tät, -ismus/-asmus etc.

• Bausteine von Wortfamilien identifizieren(Mind-Maps erstellen).

• Unterschiede von Wortbedeutungen in ver-schiedenen Sprachen analysieren. Zum Bei-spiel das Wort „Keller“ (9): Um was für einenRaum handelt es sich dabei? Wozu wird ergenutzt?

UmgangsspracheEin Text kann Wörter eines sprachlichen Regis-ters beinhalten, mit dem die fremdsprachigenLeserinnen und Leser nicht vertraut sind. Sokönnen z.B. Begriffe aus der Umgangssprachewie „austüfteln“ (15), „ausspionieren“ (23) und„klauen“ (38) Verstehensbarrieren darstellen.Beim Begriff „ausspionieren“ helfen Englisch-kenntnisse für die Ermittlung der Wortbedeu-tung: „to spy (out)“ = „ausspionieren“. Die

gend davon aus, dass der Leser weiß, was damitgemeint ist, wenn von „Mark“ die Rede ist. DerLernende muss wissen, dass es sich dabei um die

Mit Weltwissen sind Verstehensvoraussetzungengemeint, die nicht allein in der Sprachkenntnis

eines Sprachbenutzers verankert sind.

offizielle Währung Deutschlands vor 2002 han-delt. Ferner muss er wissen, wie Mark in die eige-ne Währung umgerechnet wird, damit er sicheine Vorstellung davon machen kann, um wieviel das Lösegeld ungefähr erhöht wurde. Dasangeführte Beispiel mag simpel erscheinen, aberes verdeutlicht, dass die Verständlichkeit einesTextes für Fremdsprachenlernende dadurcherschwert wird, dass ihr außersprachliches Wis-sen (z.B. aufgrund unterschiedlicher kultureller/geographischer/sozialer Voraussetzungen) nichtimmer ausreicht, um die Bedeutung eines Aus-drucks bzw. einer Textstelle zu erfassen.

SatzebeneFunktion von Wörtern im SatzEs ist wichtig, dass die Lernenden erkennen,dass sie für die Erschließung der Textinformationnicht jedes Wort zu verstehen brauchen. Als Bei-spiel dafür dient das Wort „dreist“ (34). Dasadverbial gebrauchte Adjektiv hat für das Ver-ständnis des Satzes keine entscheidende Bedeu-tung, denn seine Funktion besteht lediglichdarin, anzuzeigen, auf welche Art und Weise dasLösegeld erhöht wurde. Gerade für fremdspra-chige Lesende ist es wichtig, dass sie die Funkti-on von Wörtern erkennen, damit sie fähig wer-den, die für das Verständnis wichtigen von denunwichtigen Wörtern zu unterscheiden.

WortebeneWortbildungFür Fremdsprachenlernende kann das Wort „Ver-lies“ aus dem Kompositum „das Geiselverlies“ (39-40) mit Verständnisschwierigkeiten verbundensein. Als Einzelwort mag es einem Leser/einer

Tipps zur Arbeit auf der Text- und Satzebene• satzübergreifend lesen• Wiederaufnahmestrukturen erkennen• Referenzbezüge herausarbeiten• Wörter in ihrer (kohärenzbildenden) Funktion erken-

nen und interpretieren (z.B. Pronomina, Konnektoren,Artikel)

• Weltwissen einsetzen• Textsortenwissen einsetzen

Merkkasten 1

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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“44

Bedeutung des Verbs „klauen“ kann durch seineVerbindung mit dem Modalverb „lassen“ ver-deutlicht werden. Dabei hilft der Kontext inner-halb des Satzes. Die Bedeutungsnuance von„etwas austüfteln“ kann in einem Klassenge-spräch diskutiert werden.

Mögliche Übungen:• Die Lernenden sollen sich überlegen, wie man

umgangssprachliche Wörter durch einen for-melleren Gebrauch der Sprache ersetzen kann(Synonyme finden).

• Synonyme und Antonyme (Gegenbegriffe) fin-den und Lückentext ergänzen.

• Weitere Zeitungsnachrichten zu demselbenThema mit unterschiedlichen sprachlichenRegistern vergleichen.

An dieser Stelle wird deutlich, dass die Bedeutung eines Wortes erst durch den

textuellen/situativen Rahmen, in dem es auftritt, adäquat erschlossen werden kann.

Mehrdeutigkeit eines Begriffs (Polysemie)Das Wort „Spur“ (34) weist – je nach Kontext –unterschiedliche Bedeutungen auf (z.B. Streifeneiner Fahrbahn, Abdruck von Füßen, Kielwas-ser). Im vorgegebenen Kontext kann es jedochnur in der figurativen Bedeutung von „Anzei-chen“ interpretiert werden. An dieser Stelle wirddeutlich, dass die Bedeutung eines Wortes erstdurch den textuellen/situativen Rahmen, in dem

LiteraturHeinemann, Wolfgang: Textsorte – Textmuster – Texttyp.

In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang/ Sager, Sven (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik –Ein internationales Handbuch zeitgenössischer For-schung. 1. Halbband. Berlin/New York: de Gruyter2000, 507-523

Heringer, Hans Jürgen: Lesen lehren lernen: Eine rezeptiveGrammatik des Deutschen. Tübingen: Niemeyer2 2001

Perlmann-Balme, Michaela / Schwalb, Susanne: em neu-Hauptkurs. Ismaning: Hueber 2005, 124

Schoenke, Eva (2007): Textkompetenz. In: http://www-user.uni-bremen.de/~schoenke/tlmsd.html

Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch. Neu herausge-geben von Dr. Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem„Lexikon der deutschen Sprachlehre“. Gütersloh: Ber-telsmann Lexikon Verlag 1994

es auftritt, adäquat erschlossen werden kann.Bezüglich der Vermittlung von neuem Wort-schatz im Unterricht ließe sich folgern, dass essinnvoll und effektiv ist, neuen Wortschatz imKontext seiner Verwendung anstatt in Form vonzusammenhanglosen Listen darzubieten.

Idiomatische Wendungen„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtsei-le.“ (32) Wortbedeutungen weisen eine kulturelleGeprägtheit auf. Deshalb ist es interessant undlehrreich, zu vergleichen, welche Bilder herange-zogen werden, um diese Wendungen in den jewei-ligen Sprachen und ihren kulturell geprägtenGemeinsamkeiten und Unterschieden deutlich zumachen. Eine idiomatische Wendung muss inihrer Gesamtbedeutung gelernt und im Gedächt-nis als Wortschatzeinheit gespeichert werden.

Tipps zur Arbeit auf der Wortebene• Kenntnisse aus anderen (Fremd-)Sprachen aktivieren:

auf Anglizismen/Internationalismen achten• morphologische Kenntnisse zur Erschließung der

Wortbedeutung aktivieren; z.B. für Lerner mit einerMuttersprache romanischen Ursprungs das Erkennender Nominalisierung durch Suffixe, wie z.B. -ation, -(i)tät, -ismus / -asmus, -tur, -(at)or etc.

• anstelle eines Wort-für-Wort-Lesens: unbekannteWörter aus dem Kontext (Teilsatz, Ganzsatz,Abschnitt) erschließen

• wichtige Wörter von unwichtigen unterscheiden (dazuauch die Funktion von Wörtern beachten)

Merkkasten 2

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Der folgende Beitrag reflektiert die Erfahrungen der Autorin bei einem Fortbildungsseminar in einerbilingualen Schule für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in Ungarn. Das Seminar wurde unter demMotto „Möglichkeiten zur Effektivierung der textorientierten Arbeit“ durchgeführt und war mit derZielsetzung verbunden, zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur im Unterricht beizutragen.

Von Ilona Feld-Knapp

© panthermedia / Diane F.

Schülertexte differenziertbeurteilen Überlegungen zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur

Schülertexte analysierenEine Veränderung der Lehr- und Lernkultur istbesonders im Um gang mit Schülertexten notwen-dig. Die Analyse von Schülertexten bildete dahereinen wichtigen Bestandteil des Seminars. Bei denuntersuchten Schülertexten handelte es sich umTexte, die von Schülerinnen und Schülern zueinem vorgegebenen Thema während der schrift-lichen Abiturprüfung im Fach Deutsch verfasstwurden. Schon bald wurde klar, dass die Aufmerk-samkeit der Seminarteilnehmerinnen und -teil-nehmer durch diese Schülertextanalyse auf dieSchwierigkeiten des deutschsprachigen Fachun-terrichts und auf die Notwendigkeit einer profes-sionellen Reflexionsfähigkeit der Lehrendengelenkt wurde. Bei der Beurteilung der Schüler-texte war auffallend, dass vor allem die Fehler im

sprachsystematischen und orthographischenBereich Beachtung fanden, den positiven Merk-malen der Texte hingegen wenig Aufmerksamkeitgeschenkt wurde.

Die Fähigkeit, Schülertexte in ihren verschiede-nen Dimensionen zu erfassen, ist eine wichtigeKompetenz von Lehrerinnen und Lehrern undverlangt eine Abkehr von einem traditionell fehler-orientierten Umgang mit Texten. Dazu brauchen

Die Fähigkeit, Schülertexte in ihren verschiedenen Dimensionen zu erfassen,

ist eine wichtige Kompetenz.

sie mehr Wissen über Texte und ein Analyseinstru-mentarium mit Beurteilungskriterien, die übereine rein normative Bewertung hinausgehen.

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Schülertexte differenziert beurteilen46

In meinem Beitrag möchte ich für eine differen-zierte Beurteilung von Schülertexten plädieren,bei der Texte in ihrer Vielschichtigkeit analysiertund transparent gemacht werden.

Im Mittelpunkt der Textanalyse stehen diefolgenden Fragen: • Wie erfasst man einen Schülertext?• Welche Qualität zeigt der Text? • Wie lässt sich ein Text differenziert beurteilen?Diese Fragestellungen lassen erkennen, an wel-chen Stellen bzw. in welchen Bereichen die Ler-nenden noch Probleme haben und wo sie Unter-stützung im Umgang mit Texten brauchen.

Schritte einer differenziertenTextanalyseMit der folgenden Textanalyse lassen sich dieTextqualität und die Textkompetenz der Lernen-den auf differenzierte Weise beurteilen. Es emp-fiehlt sich, die Analyse in mehreren Schrittendurchzuführen (vgl. Nussbaumer/Sieber 1995).

Erster Schritt: allgemeine TextbeurteilungDer erste Schritt der Textanalyse bezieht sich aufeine allgemeine Beurteilung der Texte in Bezugauf Textlänge, Anzahl der Wörter und Sätze sowieauf Satzkomplexität und Kohäsion. Dabei be -kom men Sie als Lehrerin oder Lehrer einen ers-ten Überblick über den Text.

Zweiter Schritt: sprachlich-systematische und orthographische RichtigkeitDer zweite Schritt der Textanalyse bezieht sichauf die sprachsystematische und orthographi-sche Richtigkeit. Ziel dieses Analyseschrittes istdie Erfassung der sprachformalen Korrektheitder Texte in Bezug auf die Normbereiche derRechtschreibung, der Morphologie, der Syntaxund der Semantik.

Interferenzfehler entstehen häufig durch„Spiegelübersetzungen“

Didaktischer Kommentar: Da es in diesemBereich oftmals zu Interferenzfehlern kommt,spielt die Bewusstmachung der Unterschiede,aber auch der Ähnlichkeiten zwischen der Mutter-sprache und dem Deutschen eine wichtige Rolle.Interferenzfehler entstehen häufig durch „Spiegel -übersetzungen“, d.h. durch wörtliche Überset-zungen, bei denen vielfach unangemessene Kollo-

kationen entstehen wie etwa „wolkenlose Erho-lung“ für „felhötlen pihenés“. Interferenzfehlerkönnen genutzt werden, um die Aufmerksamkeitder Lernenden auf bestimmte sprachliche Phäno-mene zu lenken und um über Unterschiede undGemeinsamkeiten im Sprachgebrauch nachzu-denken. Im Folgenden zwei typische ungarisch-deutsche Interferenzfehler aus Abiturtexten:• Der doppelte Gebrauch von Konjunktionen:

„Dieses Werk zeigt uns, dass wie ein Men-schenleben zerbrechen kann und warum dieVerantwortung so wichtig ist.“

• Grammatische Kongruenz: „Alle Staatsbürgerhat Rede- und Pressefreiheit.“

Dritter Schritt: Einsatz sprachlicher MittelBeim dritten Schritt der Textanalyse werden Texteim Hinblick auf die verwendeten Sprachmittelüberprüft. Im Bereich der funktionalen Angemes-senheit wird nicht bloß die Korrektheit der sprach-lichen Mittel untersucht, sondern auch ihre Funk-tionalität, d.h. es wird überprüft, ob sie an der Stel-le, wo sie eingesetzt sind, tatsächlich das leisten,was sie leisten sollen. Die Leistung der sprachli-chen Mittel misst sich daran, ob ihre Funktion vonden Lesenden erkannt wird oder nicht und obdaraus Verständnisprobleme entstehen. DieserAnalyseschritt geht über die bloße Feststellung derFehlerdichte und der Fehlerkategorien hinaus.

Didaktischer Kommentar: Die Analyse derfunktionalen Angemessenheit sprachlicher Mittelist vor allem dann effektiv, wenn sie in eine kom-plexe Analyse der Textstruktur eingebettet ist undsowohl auf mikro- als auch auf makrostrukturellerEbene durchgeführt wird (Mikroebene: Artikelge-brauch, Gebrauch von Proformen, Konnexion;Makroebene: Thema, Aufbau und Gliederung). DieAnalyseergebnisse sollen aufeinander bezogen unddahingehend überprüft werden, ob und wie sprach -liche Mittel auf der Mikrostruktur zur Darstellungdes Themas auf der Makrostruktur beitragen.

Makroebenea) Gesamtidee, Thema, Absicht des Textes:

• Wie wird das Thema im Text eingeführt?• Wird das Thema nachvollziehbar entfaltet?• Entspricht die Themenentfaltung der Text-

sorte? • Wird im Text ein Ziel / eine Absicht formu-

liert?b) Aufbau, Gliederung:

• Entspricht der Text dem spezifischen Auf-bau der Textsorte?

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• Ist der Text in angemessene Abschnitte gegliedert?

• Werden in den einzelnen AbschnittenKernaussagen hervorgehoben?

• Kann zwischen den Abschnitten ein logi-scher Zusammenhang festgestellt werden?

Mikroebenea) Artikelgebrauch

• In welcher textuellen Funktion werden die Artikel gebraucht?

• Ist die Verwendung der Artikel angemessen?b) Wiederaufnahmestruktur

• Wie werden sprachliche Elemente miteinan der verknüpft?

• Wie wird das Text- und Weltwissen aufei-nander bezogen?

c) Konnexion• Welche Konnektoren werden eingesetzt?• Wie werden sie eingesetzt?

Beispiel für eine differenzierteTextanalyseAls Beispiel wird im Folgenden die Analyse einesAbiturtextes vorgeführt. Es handelt sich dabei umeinen Aufsatz – eine typisch schulische Textsorte –,bei der es darum geht, dass Lernende einen Textzu einem vorgegebenen Thema verfassen.Der folgende Aufsatz ist nur in Auszügen wieder-gegeben. Die Einleitung beschäftigt sich mitIdentität und den Umständen des Ungarn-deutschtums. Der Hauptteil umfasst inhaltlicheCharakteristika der beiden Gedichte, formaleUnterschiede, Schlussfolgerungen und eine eige-ne Stellungnahme zum Thema. Am Ende wirddie ungarndeutsche Wirklichkeit dargestellt.

Auf makro- und mikrostruktureller Ebene emp-fiehlt es sich, die Textanalyse in Form von Fragenan den Text durchzuführen. Die Fragen steuerndie Wahrnehmung des Textes und lenken dieAufmerksamkeit auf relevante Aspekte der Text-struktur.

Ergebnisse der Analyse• Das Thema des Textes ist die Darstellung der

Probleme des Ungarndeutschtums und derdoppelten Identität. Der Text entspricht denformalen und inhaltlichen Kriterien der Text-sorte „Aufsatz“. Er ist in Abschnitte gegliedert,die Gliederung ist für diese Textsorte charakte-ristisch.

• Die Abschnitte weisen einen logischen Zusam-menhang auf, er wird vor allem durch Wieder-aufnahmen und Konnektoren erzeugt („MeineVorstellung über die ungarndeutsche Wirklich-keit ist nicht so aussichtslos, als diese ClausKlotz beschreibt, …“). Die Textteile fügen sichzu einer Gesamtidee zusammen, man kanndem Text Schritt für Schritt folgen. Das Thema

Aufgabe: Schreiben Sie einen Aufsatz zum folgendenThema im Umfang von mindestens 500 Wörtern.

„Ich pin a Schwob aus dem Ungarland” – so lautet die Selbst-darstellung von Nikolaus Márnai, geboren im Jahre 1914. ImFolgenden finden Sie zwei Beispiele aus der ungarndeutschenLiteratur, die die ungarische Wirklichkeit unterschiedlichbeschreiben. Vergleichen Sie die beiden Gedichte und stellenSie die ungarndeutsche Wirklichkeit aus Ihrer Sicht dar.

Aufsatz 1 – „Schlussfolgerungen“ und „eigene Stellungnahme“ (unkorrigiert):… Am Ende des Gedichtes von Engelbert Rittinger können wireine Schlussfolgerung abschließen. In der letzten Stropheschreibt er eine wichtige Lehre: es ist egal, zu welcher Natio-nalität man gehört, aber alle sind Menschen. Ich denke, dasist das Wichtigste, das ist die beste Einstellung zum Thema.In den beiden Gedichten stehen die Meinungen im Gegensatzzueinander: Engelbert Rittinger schreibt sehr positiv über dasUngarndeutschtum und über ihre Lage in Ungarn, aber ClausKlotz schreibt zu negativ. Er findet die Schönheit des Lebensnicht, er kann das Leben nicht objektiv sehen, er sieht nur dieschlechte Seite des Lebens und des Ungarndeutschtums.Meine Vorstellung über die ungarndeutsche Wirklichkeit istnicht so aussichtslos, als diese Claus Klotz beschreibt, aber fürmich ist das Gedicht von Engelbert Rittinger zu optimistisch:die Toleranz ist heutzutage ein populärer Ausdruck, aber dieMenschen achten in der Wirklichkeit auf einander nicht …Engelbert Rittinger:

Steigerung

In dieser Heimat bin ich Schwabe,Hart, wie der Eiche Holz,Selbstbewusstsein, Recht und HabeErfüllen mich mit Stolz.

Wenn mich Leute locken wollen,Auslands-Reichtum loben,Halten mich der Ahnen Schollen,Zieht mich Ungarns Boden.

Führt ein Raumschiff durch das Weltall,Worin Menschen reisen,Halte ichs für unser Denkmal,Stolz, auch Mensch zu heißen.

Aus: Verschiedene Verhältnisse. Ausgewählte Werke. Budapest 2001

Claus Klotz: Mein Heimatdorf

flocken weißbitterheißtannenvon dannendorfrandslums

straßen reinfensterleinhäuschenohne mäuschenmenschenlos

fremde sprachmuttersprachmir wattezuckerguckerin die ferne

weinbergeherbergestumm sinnenfischstimmenübermorgen dahin

Aus: Erkenntnisse2000. Budapest 2005

In der Reihe: Veröffentlichungen des VerbandesUngarndeutscher Autoren und Künstler.

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Zweiter Schritt: Dokumentation derAnalyseergebnisseAufgabe für die Lehrerfortbildung: Halten Sie dieAnalyseergebnisse fest, dokumentieren Sie sie aneiner Pinnwand und vergleichen Sie diese. Zie-hen Sie Schlussfolgerungen: Was können Sieüber die Qualität der Texte und über die Text-kompetenz der Schreibenden sagen?

Die Lehrenden können weitere Aufgaben zurVerbesserung der Fähigkeiten im sprachsystema-tischen Bereich und in Bezug auf den funktiona-

sind günstig, denn man kann sich dabei austau-schen und gegenseitig beraten.

Textlänge,Zahl der Wörter undder Sätze,Syntax, Satzkomple-xität, Kohäsi-on

Fehlerdichte,sprachfor-male Korrektheit in Bezug aufdie Ortho-graphie, Morphologie, Syntax undSemantik

textuelleFunktion derSprachmittel

Leistungfür den Sinnzusam-menhang

Qualität eines Textes erfassen

der ungarndeutschen Wirklichkeit wird geglie-dert dargestellt: Es wird beschrieben, wie dieungarndeutsche Wirklichkeit in der Literatur,in den zwei Gedichten erscheint, dann wirddie heutige, alltägliche ungarndeutsche Wirk-lichkeit geschildert.

ZusammenfassungIm Text lässt sich ein Thema erkennen, es wirddurchgehend fokussiert und nachvollziehbarentfaltet, die Gliederung und Struktur des Textesist dem Thema angemessen, die Argumentationist klar. Der Gebrauch der sprachlichen Mittel istim Wesentlichen adäquat, sie signalisieren denZusammenhang zwischen den Sätzen und Text-abschnitten und ermöglichen die Herstellungvon Textkohärenz. Im Text wird eine eigene Stel-lungnahme formuliert.

Über Texte redenDie Fähigkeit, gute Texte zu produzieren, kanndurch die Reflexion und das Gespräch über eige-ne und fremde Texte im Unterricht entwickeltwerden. Die Schülerinnen und Schüler sollen indie Lage versetzt werden, ihr Wissen über Texteselbstständig nutzbar zu machen und ihre eige-ne Textproduktion zu reflektieren.

Im Folgenden werden Anregungen zur Förde-rung der Reflexionsfähigkeit von Schülerinnenund Schülern in drei Schritten vorgestellt.

Erster Schritt: TextanalyseAufgabe (für die Lehrerfortbildung): Anbei fin-den Sie zwei Abiturtexte, die zur gleichen Aufga-be (für den Schüleraufsatz) entstanden sind.Führen Sie eine Analyse nach dem vorgegebenenModell durch und halten Sie die einzelnenSchritte fest. Dabei sollen die verschiedenenMermale zur Erfassung der Qualität von Texten(s. u.) verwendet werden.Die Analyse lässt sich in verschiedenen Sozialfor-men durchführen: Paar- oder Gruppenarbeiten

Aufgabe:„Die Kunst ist ein Stück Natur, gesehen durch ein Tempera-ment”, sagt Zola, um die Subjektivität des Autors und dessensoziales Mitgefühl anzudeuten. Stellen Sie aufgrund derNovelle Bahnwärter Thiel die naturalistischen Züge in GerhartHauptmanns Sozialkritik dar. Erläutern Sie, wie die wachsendeNot von Thiel geschildert wird. Gehen Sie dabei auf das Ver-hältnis zu den beiden Ehefrauen und zum Sohn Tobias ein.

Aufsatz 1 (unkorrigierter Auszug)

Die Epoche Naturalismusanhand Bahnwärter Thiel

… Zola sagte: „Die Kunst istein Stück Natur, gesehendurch ein Temperament.” Ich denke, dass diese Aussa-ge richtig ist. Beim Naturalis-ten ist die natur eine wichti-ge Mittel. Das bedeutet, siebeschreiben alles naturalis-tisch. Sie schreiben das, wassie sehen. Temperamentmuss man auch haben. OhneTemperament geht das Lebennicht. Man muss eigennützigsein, dass wir etwas im Lebenleisten.Der Bahnwärter Thiel ist eingutes Beispiel dafür. Die Noterhöht im Thiel. Im Irrenhaussicher tauchte die Frage inseinem Gehirn auf: Warumhast du, Gott dieses Schicksalfür mich gegebt.Ich meine, diese Frage recht-mäßig ist. Thiel war ein guterMann. Er liebte sein Sohn,aber das war nicht genug.Dieses Werk lässt einen tiefenEindruck im Mensch. Das istdie Aufgabe der Schriftstel-lers im Naturalismus. Wennes klappt, dann haben sie einErfolg.

Aufsatz 2(unkorrigierter Auszug)

Gerhart Hauptmann:Bahnwärter Thiel

… In diesem Werk ist Lenedas Hässliche und Haupt-mann berichtet über sie auchgenau. Lene wird charakteri-siert, wie sie in Wirklichkeitist. Es ist gut erkennbar, dassThiel für Tobias nur guteswill, doch leider gelingt ihmdas nicht.Dei wachsende Not ist mei-ner Meinung nach gut zuerkennen. Am Anfang istnoch alles gut zwischen Theilund Lene und dann geht esBerg ab. Dann wird auchschon die Kapelle erwähnt,man kann sehen, wozu seineBezeihung, Ehe mit Leneführt.Meiner Meinung nach hatHauptmann diese Novellesehr gut geschrieben. Es isttypisch Naturalismus. Erbeschreibt die Geschehnissesehr spannend und lockt denLeser zum weiterlesen desWerkes. Man kann davonauch sehen, wozu der Man-gel einer Geliebten Personführen kann.

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len Einsatz von Sprachmitteln in Texten formu-lieren.

Anbei einige Ideen für Schreibaktivitäten, diean die Analyse der Schülertexte anschließenkönnten. Sie sollten mindestens drei Phasendurchlaufen: Planung, Formulierung und Über-arbeitung.• Einen Mustertext vorlegen, an dem sich die

Lernenden orientieren können;• Leitfragen zur Verfügung stellen, die den Ler-

nenden bei der Planung des Textes helfen (inBezug auf Gliederung, Themenstrukturierungetc.);

• Formulierungen zur Verfügung stellen, die dieLernenden übernehmen können;

• den Text nach verschiedenen Gesichtspunktenüberarbeiten (z.B. Unterstreichen von Wör-tern, die für den Sinnzusammenhang des Tex-tes relevant sind; diese Wörter so verbinden,dass die „Vertextung“ sichtbar wird; Überar-beiten des Textes im Hinblick auf textverknüp-fende Mittel)

Dritter SchrittAufgabe für die Lehrerfortbildung: Stellen SieIhre Analyse der Schülertexte der Klasse vor,beachten Sie die vorgegebenen Schritte. Ziehen

Sie daraus Schlussfolgerungen: Was macht guteTexte aus?

FazitDer bilinguale Fachunterricht stellt Lehrendeund Lernende vor große Anforderungen. Er istein Sprach- und Sachunterricht auf hohemNiveau, es soll fachbezogenes Wissen in einerSprache vermittelt werden, die für die meistenLernenden eine Fremdsprache ist. Die sprachli-chen Mittel, die man braucht, um dieses Wissen

Fehler zeigen die Kluft zwischen demAusdruckswillen und den Ausdrucksfähigkeiten

der Lernenden

zu erschließen, müssen in dieser Fremdspracheerst erworben werden. Die meisten Lernendenhaben auch noch beim Abitur große Problemedamit, qualitativ hochwertige Texte zu produzierenund über Texte zu reflektieren. Fehler beim Schrei-ben von Aufsätzen zeigen die Kluft zwischen demAusdruckswillen und den Ausdrucksfähigkeitender Lernenden sowie die Diskrepanz zwischenihren Mitteilungsbedürfnissen und den Realisie-rungsmöglichkeiten in der Fremdsprache –wodurch eine Spannung zwischen differenziertenGedankengängen und mangelndem sprachlichemAusdruckvermögen entsteht (vgl. Hornung 2003).Die Lernenden müssen in der Arbeit mit und anden Texten systematisch auf diese Aufgabe vorbe-reitet werden. Durch eine differenzierte Textanalysekönnen Lernende für die vielfältigen Funktionensprachlicher Mittel sensibilisiert werden. Gesprä-che über Analyseergebnisse machen die verschie-denen Aspekte der Schülertexte thematisierbar,tragen zur Sprachbewusstheit der Lernenden beiund helfen bei der eigenen Textproduktion.

Die Lernenden sollten auf der Ebene der Sprachverarbei-tung, d.h. auf der Ebene des Wortschatzes, der Ortho-graphie, der Grammatik und der textkonstituierendenElemente gewisse Routinen und Automatisierungen auf-bauen. Dazu sollte man die einzelnen Tätigkeiten beimSchreiben isolieren und den komplexen Schreibprozess inPhasen zerlegen.Sollte der Unterrichtsplan aus Zeitgründen keine umfas-sende Analyse zulassen, bietet es sich an, Teile des Textesins Blickfeld zu nehmen und genauer zu untersuchen.

Tipp

LiteraturHornung, Antonie: Die Tesina – unterwegs zum wissen-

schaftlichen Schreiben mit italienischen Deutschstu-dierenden. In: Ehlich, Konrad / Steets, Angelika (Hrsg.):Wissenschaftlich schreiben – lehren und lernen. Berlin:Walter de Gruyter 2003, 347-368

Nussbaumer, Markus / Sieber, Peter: Was sich in Abituri-ententexten zeigt. Ergebnisse aus dem Zürcher„Sprachfähigkeiten“-Projekt. In: Diskussion Deutsch.Zeitschrift für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrerin Ausbildung und Praxis. Jg. 26 Heft 141. Frank-furt/Main: Diesterweg 1995, 15-24

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„Kennen Sie den schon?“ Textsortenund ihre typischen Muster„Kennen Sie den schon?“ Wenn Sie in fröhlicherFreizeitrunde diese Frage hören, wissen Sie – ohnedass es extra thematisiert wurde – dass es sichnicht etwa um einen Menschen handelt, sondernum einen Witz, der jetzt erzählt werden soll. Wenn jemand einen Text mit „Es war einmal ...“einleitet, wissen Sie genau, worauf Sie sich ein-zustellen haben: vermutlich auf ein Märchenoder auf eine Geschichte, die märchenhafte,unrealistische Züge hat. Wenn es sich tatsächlichum ein Märchen handelt, haben Sie recht genaueVorstellungen davon, wie der Verlauf ist, und vorallem wissen Sie, dass das Ende erreicht ist,wenn Sie eine Formulierung wie „Und wenn sienicht gestorben sind, dann leben sie heute

noch.“ oder „Und sie lebten glücklich bis an ihrLebensende.“ vernehmen.

Wenn Sie Informationen wie „Man nehme300 g Mehl ...“ bekommen, wissen Sie, ohnemehr über den folgenden Text zu wissen, dass essich um ein Rezept handeln wird, und Sie wissenauch, dass der Text vermutlich zweigeteilt seinwird: Der erste Teil listet die Zutaten auf, derzweite die Verarbeitung dieser Zutaten.

Unbewusst gespeichertes und auto-matisiertes TextmusterwissenWie kommt es, dass Sie in den oben genanntenBeispielen wissen (oder sicher vermuten), wasjeweils gesagt oder geschrieben werden wird?

In diesem Beitrag geht es darum, zu zeigen, dass wir viele Textsorten und ihre Muster abge -speichert haben und bewusst oder unbewusst verwenden – zum einen wenn wir Gehörtesund Gelesenes erkennen wollen, zum anderen wenn wir selbst Gespräche führen oder Texteschreiben. Der Grundgedanke dieses Aufsatzes ist der, dass wir beim Rezipieren und Produ -zieren in der Fremdsprache vielleicht dazu neigen, die meist automatisierten Textsortenmusteraus der Erstsprache in die Fremdsprache zu übertragen – zu dem Preis, dass wir nicht ver -standen werden oder selbst nichts verstehen. Außerdem soll versucht werden zu zeigen, wie wir dies vermeiden können.

Von Britta Hufeisen

Textsortenwissen – Text muster wissen –Kulturspezifik von Textsorten

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Der KohlkopfRezept für sechs Personen1000 g Schweinemett, gewürzt • einen Kopf Wirsingkohl • Salz und Pfeffer • reichlichfrisch geriebene Muskatnuss • Butter für die Form

Die Soße2 EL (Margarine oder) Butter • 2 EL Mehl (Weizen oder Dinkel) • 1 Liter Milch •etwas Zitronensaft • Salz und Pfeffer • frisch geriebene Muskatnuss • evtl. etwasgekörnte (Fleisch- oder Gemüse-) Brühe

Die FormMan benötigt eine verschließbare Wasserbad-Form. Solche Formen wurden ursprünglichzum Herstellen von Pudding benutzt. Die Rezeptangaben beziehen sich auf eine Formmit 2 bis 2 1/2 l Inhalt. Es gibt auch kleinere Formen, denen man die Zutatenmengenanpassen müsste.

ZubereitungDie Form gut buttern. Schichtweise in Salzwasser blanchierten Kohl und Mett einfüllen,wobei die erste Schicht aus Kohl bestehen sollte. Nach jeder Lage reichlich Muskat drü-ber reiben und eventuell noch ein wenig nachsalzen. Die Form sollte gut und fest gefülltsein, da sonst der “Kopf“ beim Stürzen leicht zerfallen kann.Die verschlossene Form anschließend für mindestens 40 Minuten in einem großen Topfim Wasserbad erhitzen.Schließlich die Form in ein etwas tieferes Gefäß (flache Schüssel, runde Auflaufform)stürzen. Gefäß auf die Form auflegen (sollte zum Boden des Gefäßes gut abschließen)und dann mutig und flott über der Spüle umdrehen. Vorsicht! Form, Flüssigkeit undDampf sind heiß!

Dazu reicht man sehr reichlich weiße Bechamelsoße:Aus Butter und Mehl eine Mehlschwitze bereiten, mit Milch aufgießen und aufkochen,dabei ständig mit einem Schneebesen rühren, damit die Soße nicht anbrennt. So vielMilch zufügen, dass sich eine sämige Konsistenz ergibt; nach dem Stürzen wird die inder Form gebildete Flüssigkeit noch hinzugefügt.Schließlich würzen, mit Salz, (evtl. gekörnter Brühe) und Muskat.Mit Zitronensaft abschmecken.Guten Appetit!

Sie kennen den idealtypischen Aufbau einesRezeptes, und Sie wissen aufgrund Ihrer Kind-heit und Ihrer Leseerfahrungen, wie ein prototy-pisches Märchen anfängt und aufhört. Rezepteund Märchen gehören zu den Textsorten, dieeinen relativ festen Bauplan haben. Diesen Bau-plan lernen wir im Laufe von Kindheit undJugend kennen und speichern ihn ab, sodass wirbeim Hören oder Lesen entsprechender Text-exemplare dieser Textsorten nicht lange nach-denken müssen, sondern sie sehr rasch identifi-zieren können. Das erleichtert uns die Hör- undLesearbeit und wir können uns auf die Inhalteselbst konzentrieren. Wie sehr wir diese Textsor-tenmuster (meist unbewusst) gespeichert haben,stellen wir fest, wenn wir einen Text lesen oderhören, der zwar als Märchen gekennzeichnet ist, der aber nicht dem gewohnten Bauplanfolgt. Wir sind irritiert und wollen ihn vielleichtgar nicht als Vertreter dieser Textsorte akzeptie-ren.

Nun haben wir vermutlich nicht nur Musterder Textsorten „Märchen“ oder „Rezept“ gespei-chert, sondern auch die vieler anderer, wie z.B.Lebensläufe, Nachrichten, Referate oder Wetter-bericht. Dieses Textmusterwissen beschränktsich keineswegs nur auf schriftliche Texte, wirhaben mindestens ebenso viele prototypischeMuster von mündlichen Textsorten, von Gesprä-chen und Diskursen gespeichert. Denken Sie andie ersten Sätze, die Sie in einer Praxis vermut-lich mit der Ärztin oder dem Arzt austauschenwerden. Es wird eine Begrüßung geben, die Ärz-tin wird Sie fragen, was Sie zu ihr führt oder wasIhnen fehlt bzw. was sie für Sie tun kann. WennSie an die Textsorte / den Diskurs „Vorstellungs-gespräch“ denken, werden Sie vermutlich relativschnell eine bestimmte Gesprächssituation vorAugen haben – mit einem relativ festgelegten Dia-log zwischen Ihnen als Bewerber und den Vertre-tern der Institution, bei der Sie sich bewerben.

Wir lernen im Laufe des Lebens eine großeMenge dieser Textsorten und Diskurse in idealty-pischer Form kennen und speichern sie unbe-wusst ab. Dadurch dass wir sie verhältnismäßigautomatisch abrufen und in Schrift / Spracheumsetzen können, erleichtern sie uns nicht nurdas Wiedererkennen, sondern auch das eigeneProduzieren entsprechender Texte und die Betei-ligung an entsprechenden Diskursen, und wirkönnen uns auf die inhaltliche Aussage konzen-trieren und müssen uns nicht in erster Linie umden Aufbau und die Abfolge bestimmter Elemen-te kümmern.

Gemeinsames Textmusterwissenerleichtert die KommunikationDieses Textmusterwissen erleichtert außerdemdie Kommunikation der Sprachteilhaber unterei-nander. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in einemGespräch erst länger lauschen, bis Sie herausfän-den, um was es geht. Wenn Sie durch typischeTextsortenmarker Hinweise auf die Textsortebekommen, können Sie sich sofort auf die Inhal-te konzentrieren und selber sprachlich daraufreagieren. Sie müssen nicht erst zwei Seiteneines Textes lesen, um zu erkennen, um welcheTextsorte es sich handelt, sondern Sie haben ihnbeispielsweise mit der Anredeformel „Sehrgeehrte/r ...“ und mit wenigen darauf folgendenSätzen sogleich als einen an Sie gerichteten per-sönlichen Brief identifiziert und werden eineentsprechende Lesehaltung einnehmen. HättenSie den Text beispielsweise als – ungebetene –Werbung identifiziert, hätten Sie ihn vielleichtgar nicht zu Ende gelesen, sondern in den Müll-eimer geworfen.

Das heißt, Textsortenwissen erleichtert auchdie Kommunikation zwischen uns. Wir müssennicht extra ansagen, dass wir nun eine bestimm-te Textsorte produzieren werden, sondern wir

Textsortenwissen – Text muster wissen – Kulturspezifik von Textsorten 51

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dürfen darauf vertrauen, dass wir schnell ver-standen werden, wenn wir die typischen undbekannten Textsortenmarker verwenden. Des-halb kann es auch passieren, dass wir missver-standen werden, wenn wir für eine bestimmteTextsorte untypische Formen gebrauchen. Dannkann die Wiedererkennung durch die anderenGesprächsteilhaber eine kleine Weile dauern.

Textsorten im Fremdsprachen -unterrichtEs gibt bestimmte Textsorten, mit denen wir auf-wachsen; wir lernen sie ganz automatisch, ohnedass wir uns anstrengen müssen, wie z.B. diebereits erwähnte Textsorte „Märchen“. Im Ideal-fall bekommen wir sie als Kinder vorgelesen, ler-nen sie kennen und können sie wiedererkennen,wenn sie uns in anderen Lebenssituationen wie-der begegnen. Wir können sie auch selbst produ-zieren – entweder um ein Märchen zu erzählen,oder einen Gesprächsinhalt wie ein Märchen zuverpacken. Andere Textsorten lernen wir en pas-sant im Alltag kennen, wie z.B. Einkaufszettel,Briefe, Rechnungen oder Werbeanzeigen, undwir müssen keine große Mühe darauf verwen-den, sie zu identifizieren.

Andere Textsorten wiederum lernen wir erstin formalen Zusammenhängen wie der Schuleoder der Universität kennen, und manchmalscheint es mühevoll zu sein, sie selbst zu produ-zieren. Vielleicht verzweifeln wir als Lehrendegelegentlich daran, dass manche Textsorten sichals sehr schwierig für unsere Lernenden darstel-len. Dies kann in fremdsprachlichen Zusammen-hängen daran liegen, dass viele Textsorten vonKultur zu Kultur bzw. von einer Gesellschaft zuranderen unterschiedlich aussehen und verschie-dene Formen sowie spezifische Textsortenmar-ker aufweisen. So wird man auch heute noch invielen Lebensläufen von Menschen mit einemslawischen Hintergrund Angaben zur Gesund-heit finden, was in einem deutschsprachigenLebenslauf ungewöhnlich ist und vielleicht sogarbefremdlich wirkt. Das heißt, wenn ich einenText einer mir bekannten Textsorte in einerFremdsprache genauso aufbaue und produziere(schreibe oder sage), wie ich es aus meiner Erst-sprache kenne, kann es passieren, dass ich vonden Sprechern und Sprecherinnen der Zielspra-che nicht gleich verstanden werde. Die in denangloamerikanischen Kontexten üblichen essayssind eine Textsorte entwickelnder, dialektischerund argumentativer Art, die nicht in allen ande-

ren Kulturkreisen vorkommt und die deshalb vonLernenden des Englischen erst kennengelerntund geübt werden muss. Die deutsche Textsorte„Erörterung“, die auch den Textproduktionenvieler offizieller Tests und Prüfungen zum Nach-weis deutscher Sprachkenntnisse zugrunde liegt,ist für Lernende schwierig zu produzieren, dieaus einem Kulturkreis stammen, in dem es nichtüblich ist, Argumente für und wider einer Frage-stellung gegenüber zu stellen und am Ende sogarnoch eine eigene Meinung darzulegen und zubegründen. Diesen Studierenden fällt es mangelseines eigenen Textsortenmodells anfangs oft sehrschwer, solche Texte zu schreiben.

Kulturspezifik von TextsortenDiese Kulturspezifik von Texten ist uns und un -seren Lernenden häufig gar nicht bewusst. Ichschlage vor, dass wir dies im Unterricht themati-sieren. Das bedeutet, dass die Lernenden sichzunächst klar machen müssen, wie eine bestimm-te Textsorte in ihrer Erstsprache idealtypischer-weise aussieht. Dies ist oft ein interessanterLern schritt, denn normalerweise macht mansich ja keine Gedanken darüber, wie Textsortenaufgebaut sind; außerdem führt dies manchmaldazu, dass die Lernenden die betreffende Text-sorte auch in ihrer Erstsprache (= L1) in Zukunftbewusster und sorgfältiger behandeln als zuvor.Sodann gilt es, das zielsprachliche Muster derbetreffenden Textsorte vorzustellen. Idealerweiseversuchen die Lernenden anhand von idealtypi-schen Beispielen selbst herauszubekommen, wiedie Textsorte im Deutschen aussieht. Sie bekom-men einige typische Textbeispiele, die sie sich alsVorbild nehmen können, um sie nachzuahmenund erhalten die Gelegenheit, spielerisch ver-fremdend mit den Texten umzugehen, indem siesie beispielsweise umschreiben. Sie könnenTexte aus dem Deutschen direkt in ihre L1 über-tragen, um sich darüber zu amüsieren, wiekomisch der Text in ihrer Sprache wirkt, weil erin ihrer L1 ganz anders aussähe. So erkennen sievielleicht auch, dass sie Texte ihrer L1 nichtdirekt ins Deutsche „übersetzen“ sollten, damitauch ihre Texte im Deutschen wegen des fal-schen Textsortenmusters nicht komisch wirkenoder im schlechtesten Fall von Deutschsprachi-gen gar nicht als Vertreter der betreffenden Text-sorte erkannt werden. Mit diesen verschiedenenmethodischen Zugriffen können Sie in ihrerLerngruppe unterschiedliche Lernertypen bedie-nen, aber auch ihren Lernenden die Angst vor

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dem Schreiben nehmen – es gibt viele Wege,einen Text zu schreiben (Hornung 1997).

Außertextliche Merkmale einerTextsorteAbschließend möchte ich Sie noch darauf auf-merksam machen, dass auch außertextliche Mit-tel dazu beitragen, bei uns Textmusterwissen zuaktivieren. Als Beispiel verwende ich in meinenGruppen gerne die Textsorte „Todesanzeige“. Jenach Lerngruppe beginne ich mit einer Todesan-zeige aus einer deutschen Zeitung, bei der ich denText durch Ausschneiden entfernt habe, und lassedie Lernenden raten, um welche Textsorte es sichhandelt. Deutsche identifizieren die Textrestetrotzdem immer zuverlässig als Todesanzeigen,weil der breite schwarze Rand zur Identifizierungdieser Textsorte bereits ausreicht. Lernende desDeutschen als Fremdsprache vermuten je nachkulturellem Hintergrund ebenfalls Todesanzeigen,öfter aber Verkaufs- und Werbeanzeigen oderGemeindemitteilungen. Wenn ich in Seminarenmit deutschen Studierenden Todesanzeigen ausNordamerika oder aus Schweden zeige, ohne dasssie den Text selbst sehen können, nehmen sie oftan, es handele sich um Börsennotizen oder Wirt-schaftsnachrichten, weil sie vergleichbare Spaltenaus ihren deutschen Zeitungen kennen; Wetter-vorhersagen hingegen scheinen universal zu sein,denn selbst wenn die Lernenden in einem Kursoder einem Seminar nur die Bilder, die Karten, dieWolken- und Regenabbildungen sehen können,identifizieren sie die Textsorte trotzdem immerzuverlässig.

Drei Stufen beim Kennenlerneneigener sowie fremder Textsortenund TextsortenmusterIch finde es stets wichtig, dass die Lernendenvermittelt bekommen, dass es keine guten oderbesseren Textsortenmuster in der einen oderanderen Sprache und Kultur gibt, sondern dasssie einfach anders sind und dass man die eige-nen Sprachhandlungskompetenzen deutlicherhöhen kann, wenn man um die eigenen sowieum die fremden Textsorten und ihre Muster weißund sie identifizieren und selbst (annäherungs-weise) produzieren kann. Dabei habe ich mit denfolgenden drei Unterrichtsschritten gute Erfah-rungen gemacht:1. Intrakulturelle Stufe: Bewusstmachung dereigenkulturellen Spezifika. Dieser Schritt ist wich-

tig und sollte nicht übergangen werden, weilunser automatisiertes, intuitives L1-Wissen sonstallzu oft beim Produzieren der fremdsprachlichenTextsorten interferiert und in der Folge Hybridtex-te entstehen können, die eigentlich weder der L1noch der Zielsprache angehören.2. Interkulturelle Stufe: Erkenntnis, dass Textsor-ten in anderen Sprachen anders aussehen, sowieAkzeptanz, dass sie in anderen Sprachen anders,aber dennoch gleichwertig sind.3. Transkulturelle Stufe: Annäherung an die ziel-sprachliche Spezifik mit dem Ziel, sie immer per-fekter zu produzieren.

Wie kann das im Einzelnen aussehen? DieDiskussion eigensprachlicher Texte muss Raumim Deutschunterricht haben, damit die Lernen-den die Gelegenheit haben, sich ihrer Texte undderen Baupläne bewusst zu werden, um sie nichtintuitiv und automatisch beim Schreiben aufDeutsch zu reproduzieren. Danach können Sieden Lernenden deutschsprachige Texte vorlegenund sie kontrastiv vergleichen lassen: Wo ähnelnsich Texte in den verschiedenen Sprachen undwo unterscheiden sie sich? Im dritten Schrittkönnen Ihre Lernenden versuchen, zielsprachigeTexte zu schreiben, natürlich immer gemäßihrem Schreibtyp (Kreativ annähernd? Gute Bei-spiele nachahmend? Nach „Rezept“ schreibend?Vgl. Hornung 1997). Nicht immer wird es ganzleicht sein, Lernende dazu zu bringen, sich mitihrer eigenen Textsortenkultur auseinanderzu-setzen – insbesondere dann, wenn es in derbetreffenden Kultur nicht üblich ist, Bewusstma-chungsstrategien einzusetzen oder über (gute)Texte zu sprechen. Trotzdem kann man imDeutschunterricht kleine Schritte in diese Rich-tung gehen, um die Lernenden mit dieser Art desLernens und der Reflexion vertrauter zu machen.

LiteraturHornung, Antonie: Führen alle Wege nach Rom? Über kul-

turspezifische Zugangsweisen zu Schreibprozessen. In:Adamzik, Kirsten / Antos, Gerd / Jakobs, Eva-Maria(Hrsg.): Domänen- und kulturspezifisches Schreiben.Frankfurt/Main: Lang 1997, 71-99

Hornung, Antonie: Zur eigenen Sprache finden. Modelleiner plurilingualen Schreibdidaktik. Tübingen: Nie-meyer 2002 (= RGL 234)

Hufeisen, Britta: Ein deutsches Referat ist kein englisch-sprachiges Essay. Theoretische und praktische Überle-gungen zu einem verbesserten, textsortenbezogenenSchreibunterricht in der Fremdsprache Deutsch an derUniversität. Innsbruck, Wien: Studienverlag 2002

Hufeisen, Britta: Textkompetenz. In: Bausch, Karl-Richard /Burwitz-Melzer, Eva / Königs, Frank G. / Krumm,Hans-Jürgen (Hrsg.): Textkompetenzen. Tübingen:Gunter Narr 2007, 97-105

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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Sprachecke54

Stirbt der Genitiv?

Als Gymnasiasten wurde uns beigebracht, derGenitiv sei der Kasus der Gebildeten, das gelte fürdas Deutsche ebenso wie für das Lateinische.Noch heute schwingt ein nostalgisches Bedauernmit, wenn vom Tod des Genitivs die Rede ist. Ge -meint ist damit zuerst sein Rückgang als Objekt-kasus, als Kasus also, der vom Verb oder Adjektivregiert wird. In der Grammatik von Friedrich Blatz(1880) finden sich ungefähr 160 Genitiv-Verben.Ein Teil von ihnen ist veraltet (sie harrt seiner, ergereut sich dessen), ein anderer Teil hat den Geni-tiv verloren und regiert nur noch einen anderenKasus (dessen/das vergessen, dessen/das entbehren)oder ein präpositionales Objekt (ihrer warten/aufsie warten, seiner spotten/über ihn spotten). ImGegenwartsdeutschen gibt es noch ungefähr 25Genitivverben, aber auch den meisten von ihnenhaftet etwas Bildungssprachliches an (sich dessenbemächtigen, dessen gedenken).

Andere Verwendungen sind stabil, wenn auchauf niedrigem Niveau. Das gilt namentlich füradverbiale Genitive der Typen des Tages, des Weges(und sogar vom Femininum des Nachts) sowieschnellen Schrittes, guten Mutes, sehenden Auges.Hier zeigt sich eine Schwäche des Genitivs daran,dass solche Wendungen so gut wie ausschließlichvon Maskulina und Neutra gebildet werden.Feminina wie froher Miene, guter Laune kommenkaum vor, weil der Genitiv bei ihnen formgleichmit dem Dativ ist.

Eine Zunahme des Genitivs stellen wir bei denPräpositionen fest. Die alte Schicht der morpholo-gisch einfachen Präpositionen regiert den Dativ,den Akkusativ oder beide (zu, mit, ohne, durch, in,auf). Die jüngere Schicht umfasst mehrere Dut-zend abgeleiteter Präpositionen, die überwiegendden Genitiv regieren (wegen, trotz, angesichts, hin-sichtlich, anstatt, infolge). Die Konkurrenz zumDativ ist ein interessantes Thema, das wir spätereinmal an dieser Stelle besprechen werden.

Die Hauptverwendung des Genitivs im Gegen-wartsdeutschen ist zweifellos das Attribut. Als ers-ter Haupttyp tritt es als sog. sächsischer Genitiv inErscheinung, der vor allem von Personen- und

geographischen Namen gebildet wird. Ist ein sol-cher Name kurz, dann geht er dem Kern derNominalgruppe voraus wie in Pauls Auto, IngesHaus, Kiels Bürgermeister. Je länger ein Name ist,desto eher kann er nachgestellt werden, z.B. dieWerke Mozarts, die Weine Frankreichs, die BilderMichelangelos, die Dramen Friedrich Schillers.

Beim zweiten Haupttyp enthält das Genitivat-tribut eine Nominalgruppe, die nicht ein Eigenna-me ist und in der Regel dem Kern folgt (ein Buchdieses Autors, die Idee eines pfiffigen Mädchens).Die Verwendung als Attribut ist stabil, aber auchhier gibt es strukturelle Schwächen. Im Plural istder Genitiv am Substantiv nicht markiert, er istformgleich mit dem Nominativ und dem Akkusa-tiv (die Bäume ist Nom und Akk, der Bäume istGen mit derselben Form des Substantivs). DieseEigenheit führt zu syntaktischen Lücken. So kön-nen wir sagen ein Antrag vieler Berliner, aber nicht*ein Antrag Berliner, weil man hier den Genitivnicht erkennt. In solchen Fällen wird auf von +Dativ ausgewichen (der Antrag von Berlinern).Untersuchungen haben gezeigt, dass im geschrie-benen Standarddeutschen, z.B. in Zeitungstexten,normalerweise der Genitiv verwendet wird. Auf von+ Dativ weicht man vor allem dann aus, wenn derGenitiv nicht funktioniert. Von genereller Verdrän-gung des Genitivs kann man also nicht sprechen.

Was die Formbildung betrifft, ist der GenitivSingular im Maskulinum und Neutrum in derRegel der bestmarkierte Kasus überhaupt, weil ermit dem starken Konsonanten s sowohl am Artikelals auch am Substantiv (des Tisches, eines Kindes)erscheint. Am Substantiv wird er bei Eigennamenweggelassen (die Bilder des Michelangelo, der Auf-stieg des Arturo Ui). Zu wackeln beginnt er beieinigen anderen Gruppen von Substantiven, zumBeispiel bei mehrsilbigen Fremdwörtern (des Kon-junktiv, eines Impromptu). Als standardsprachlichkorrekt gilt das nicht.

Fazit: Der Genitiv wird dem Deutschen nochlange erhalten bleiben. Zumindest im geschriebe-nen Standard ist er wichtig und stabil, von seinemAbleben kann keine Rede sein.

Von Peter Eisenberg

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Internationale Studierende, die an deutschsprachigen Universitäten studieren, müssen fachlichesund sprachliches Lernen gleichzeitig bewältigen. Darauf bereiten weder Sprachkurse noch einGrund studium „Germanistik“ im Heimatland in ausreichendem Maße vor. Die Studierendenmüssen die Weiterentwicklung ihrer sprachlichen und textbezogenen Kompetenzen im Kontext der fremden Wissenschaftskultur daher meist selbst in Angriff nehmen. Wie man sie dabei unter -stützen kann, soll im folgenden Beitrag gezeigt werden. Er führt in ein Kurskonzept ein, das ineinem universitären, wissenschaftssprachlich orientierten Sprachkurs (Niveau C1) ausprobiertwurde, und gibt beispielhaft Einblick in die Aufgabenpraxis.

Von Imke Mohr

© Pixtal

Schreiben lernen in derFremdsprache „so ganznebenbei“? Ein Kurskonzept für internationale Studierende in einem deutschsprachigen Studiengang

Das KurskonzeptDie folgenden drei Annahmen sind für das Konzepteines Kurses gedacht, der möglichst das ganze ersteSemester dauern sollte:• Das selbstständige Schreiben auf Deutsch und

die Arbeit mit eigenen Texten fördern die fremd-sprachliche und textbezogene Kompetenz derStudierenden in besonderer Weise.

• Der Prozess des Lernens ist in den meisten unse-rer Ausbildungskontexte eine „Bewegung von

Text zu Text“ (Portmann-Tselikas 2006, 50); diestrifft in besonderem Maße für das Studieren zu:Studierende erwerben ihr Fachwissen über dasLesen von Texten und verarbeiten dieses im bes-ten Fall durch das Schreiben eigener Texte weiter.Die Texte des Fachs können aber auch Vorbilderdafür sein, wie man eigene Texte aufbauen undgestalten kann. Kurz: die intensive Beschäftigungmit den Texten des Fachs ist jetzt besonderswichtig.

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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“?56

• Ein studienbegleitender Kurs sollte sich eng amLernbedarf der Studierenden orientieren: Sie ver-fügen meist über knappe Zeitressourcen undüber eine hohe Bereitschaft, ihre Sprech- undSchreibfähigkeit auszubauen; sie arbeiten daherim besten Fall an den Texten ihres Fachs. Danntritt in einem studienbegleitenden Kurs das ein,was Konrad Ehlich „sukkursive Vermittlung“nennt: Lernen, das direkt bei der Bearbeitungund Weiterentwicklung von Sprach- und Fach-wissen ansetzt und eng an den Bedürfnissen dereinzelnen Lerner orientiert ist.1

In diesem studienbegleitenden Kurs lernen die Stu-dierenden Verfahren anwenden, die ihnen helfen,mit den Texten ihres Fachs reflektiert umzugehenund eigene Schreibprozesse kritisch zu bewertenund voranzutreiben. Die Aufgaben bewirken, dasssie inhaltliche, (fremd)sprachliche und textuelle As -pekte in den Texten ihres Fachs zunehmend bewusstwahrnehmen, über sie sprechen und für das Schrei-ben eigener Texte im Studium nutzen können.

Verfahren kennenlernen, ausprobieren, bewertenIn jeder Sitzung des Kurses stellt die Kursleiterin/der Kursleiter den Studierenden Verfahren vor, diezielführend in Bezug auf ein wichtiges studienspe-zifisches Handlungsfeld sein können (vgl. z.B. dennächsten Abschnitt). Welche Handlungsfelder rele-vant sind, erfährt man, wenn man Studierendenausreichend Gelegenheit gibt, über ihre besonde-ren Probleme mit dem Schreiben zu berichten. DieVerfahren lassen sich meiner Erfahrung nach amleichtesten über eine Aufgabenstellung präsentie-ren, die dazu auffordert, ein Verfahren bewusst ein-zusetzen und seine Anwendung und Wirkung wäh-rend der Arbeit mit dem Text konkret zu erfahren.Die Studierenden werden gebeten, die vorgestelltenVerfahren beim Lesen und Schreiben in der nach-folgenden Woche einzusetzen und die Erfahrungen,die sie dabei machen, zu notieren.

In einer Folgesitzung tauschen die Studierendenin kleinen Gruppen ihre Erfahrungen mit einerAktivität aus und überlegen gemeinsam, welchenEinfluss diese auf ihren Verstehens- bzw. Schreib-prozess hatte und ob bzw. wie sie noch zu optimie-ren wäre. Verfahren, die sich für eine Mehrheit derStudierenden als hilfreich bzw. lernwirksam erwie-sen haben, werden in Form von „Empfehlungen“gesammelt.

Nach dieser gemeinsamen Reflexion ist es denStudierenden selbst überlassen, ob sie das Verfah-

ren weiterhin regelmäßig einsetzen möchten. Ineiner der letzten Sitzungen des Kurses findet nocheinmal eine Zusammenschau aller Verfahren statt,mit dem Ziel, die Studierenden zu ermutigen, ihrefremdsprachlichen und studienspezifischen Fähig-keiten selbstständig weiterzuentwickeln.

Die Aufgaben, die hier beispielhaft gezeigt wer-den, stellen Verfahren zum Lesen von Fachtextenund zum Schreiben von ersten wissenschaftlichenHausarbeiten vor. Außerdem unterstützen sie daskontinuierliche, selbstständige Deutschlernen imStudium.

Leseerwartungen und -erfahrungen –eigene Perspek tiven auf einen Text entwickelnBeim Lesen müssen die Studierenden die für sierelevanten Informationen aus dem einzelnen Textherauslösen und sie in ihr bestehendes Wissen auf-nehmen. Eine Unterstützung dabei ist besondersdann hilfreich, wenn Studierende erst beginnen,sich in einem Fachgebiet zu orientieren, also nochüber wenig Fachwissen verfügen. Es gibt viele Akti-vitäten, die dabei nützlich sind. Die Studierendenkönnen verschiedene Verfahren beim Lesen vonkürzeren Texten ausprobieren und sie dann eineWeile möglichst kontinuierlich beim Lesen derTexte ihres Studienfachs einsetzen, um ihre Wir-kung zu überprüfen.

Tipps: Leseerwartungen und -erfahrungenDieses Verfahren können Sie einsetzen, kurz bevor Sieeinen Fachtext lesen!Nehmen Sie ein leeres Blatt Papier und formulieren Sie inwenigen Sätzen, aber so konkret wie möglich, • was Sie bereits über das Thema des Textes wissen• und was Sie hoffen, durch die Lektüre des Fachtextes in

Erfahrung zu bringen! Danach erst lesen Sie den Text.Ergänzen Sie nach dem Lesen Ihr Wissen bzw. Ihre Erwar-tungen an den Text durch die neuen Informationen, dieSie erhalten haben.Legen Sie dann Ihren eigenen Text gemeinsam mit demFachtext ab, damit Sie später beim Planen Ihres Hausar-beitsthemas wieder auf ihn zurückgreifen können.

Variation:Halten Sie während des Lesens zu maximal drei der fol-genden Sätze „Lesekommentare“ fest:• Diese Information des Textes ist für mich ganz neu: …• Diese Information interessiert mich besonders, weil …• Diese Textstelle habe ich nicht genau verstanden. Der

Grund dafür ist ...• Hierzu fällt mir spontan etwas ein (ein Beispiel, ein wei-

terführender Gedanke, ein Einwand etc.): …• Zu diesem Punkt möchte ich gern mehr wissen: …• Diese Titel des Literaturverzeichnisses möchte ich jetzt

gern lesen:• andere: ... 2

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Effekt des Verfahrens: Zu Beginn des Studiumsschreiben die meisten Studierenden ihre Hausar-beiten gelenkt durch stark eingegrenzte Fragestel-lungen, d.h. sie suchen in den Fachtexten nach Ant-worten auf diese Fragen. Immer öfter müssen siejedoch eigene Perspektiven auf ein Thema finden.Erst wenn ihnen dies gelingt, können sie losgelöstvon den Fachtexten und von den daraus gewonne-nen Informationen selbstständig Wissen in eigenenTexten weiterverarbeiten und darstellen. Durch sol-che das Lesen begleitende und das Schreiben vor-bereitende Verfahren können die Studierendendann aus ihrer Sicht etwas über die Texte sagen,dies festhalten und beim Verfassen ihrer eigenenTexte darauf zurückgreifen.

Inhaltliches und logisches Gliedern vonTexten – sprachliches Handeln erkennenFremdsprachigen Studierenden fällt es beimSchreiben von komplexen Texten oft schwer, dieInhalte in einem Text zu ordnen und im Blick zubehalten, mit welchem Ziel sie dies tun. Fachtextekönnen Vorbilder für eine gelungene Entfaltung desThemas sein, wenn Studierende erkennen, wieSchreibende in ihren Texten „handeln“.

Fachtexte können Vorbilder sein, wenn Studierende erkennen, wie Schreibende

in ihren Texten „handeln“.

Die meisten Studierenden kennen das inhaltlicheGliedern nach der Leitfrage „Was sagt die Autorinhier?“ bereits aus der Schule: Sie können Über-schriften oder Stichwörter zu kürzeren Abschnitteneines Textes finden und so seine thematische Struk-tur sichtbar machen. Antworten auf die Frage „Wasmacht die Autorin hier?“ verdeutlichen zusätzlichdie logische Gliederung eines Fachtextes. EineAnleitung zum logischen Gliedern wäre z.B.:

Tipps: Sprachliches Handeln erkennenMarkieren Sie diejenigen Textstellen, an denen Sie das„Handeln“ des Autors erkennen. Textstellen, an denen er also deutlich sagt, was er gerade an einer bestimmtenStelle des Textes macht. Beginnen Sie bei der Einleitungzum Text, bearbeiten Sie danach den abschließenden Textteil:• Schreiben Sie die jeweiligen Formulierungen heraus, mit

denen der Autor sein eigenes „Handeln“ benennt.• Umschreiben Sie, was der Autor des Textes genau macht. • Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse zu zweit.Benutzen Sie ein einsprachiges Wörterbuch als Hilfestellung.

Ein Beispiel: Logische Gliederung einer Einleitung Der Autor trifft drei Aussagen / Behauptungen zum Thema.Er formuliert eine Leitfrage; er kündigt an, dass er diese aufder Basis von Textanalysen beantworten wird.

Er definiert den zentralen Begriff.Er kündigt an, wie er vorgehen wird, um die Leitfrage zubeantworten, d.h. er benennt die einzelnen Teile seines Textes.

(Laura und Michel, Studierende im Wintersemester 2005/06)

Effekt des Verfahrens: Wird das Handeln einesSchreibers und dessen sprachliche Umsetzung imText deutlich, kann sich ein Verständnis dafür ent-wickeln, wie wissenschaftliches Arbeiten sprachlichformuliert werden kann. Die Studierenden benut-zen beim logischen Gliedern wissenschaftssprachli-che Fügungen, erkennen deren Bedeutung undüben sie im Zusammenhang mit einem konkretenKontext. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, gemein-sam eine logische Gliederung zu erstellen oder eineMuster-Gliederung zu einem Fachtextabsatz zupräsentieren.

Gemeinsam denken und schreiben –Zusammenhänge rekonstruierenDie Bezugnahme auf relevante Texte der For-schungsliteratur und die Präsentation der wichti-gen Ergebnisse ist eine obligatorische Aufgabebeim Schreiben von wissenschaftlichen Hausarbei-ten; oft wird dabei zusammenfassend die Positionverschiedener Autoren zu einer Fragestellungerläutert. Diese Aufgabe stellt Studienanfänger oftvor große Probleme, auf die fast nie explizit hinge-wiesen wird. Zur Übung erarbeiten am bestenjeweils 2-3 Studierende gemeinsam die Positionender Autoren von kürzeren Texten zu einem Thema,das für alle relevant ist.3

Tipps: Positionen herausarbeitenSie haben drei wissenschaftliche Artikel vorliegen, derenAutoren gegensätzliche Haltungen zur Fragestellung ein-nehmen.• Fassen Sie die zentralen Aussagen der drei Texte zum

Thema zusammen.• Stellen Sie die jeweiligen Positionen der Autoren zum

Thema dar und bewerten Sie ihre Darstellung. • Wenn Sie die verschiedenen Positionen erarbeitet

haben, skizzieren Sie rückblickend gemeinsam, in wel-chen Schritten Sie dabei vorgegangen sind.

Effekt des Verfahrens: Mit dieser Aufgabe sind dieStudierenden dazu aufgefordert, • gemeinsam die wesentlichen Informationen

eines jeden Fachtextes und ihre Perspektivierungzu erkennen. Dazu müssen sie von den Einzelin-formationen der Texte abstrahieren.

• sich gemeinsam eine Ordnung der thematischenInhalte für den Forschungsbericht zu überlegen;das bedeutet auch, sie nach ihrer Wichtigkeit undÜbereinstimmung miteinander zu sortieren.

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weniger bewusst getroffener Entscheidungen zubewerten. Diese Prozesse zu erinnern wird mög-lich, weil die Texte der Gruppenmitglieder durchdie Vorabsprachen in wichtigen Punkten mitei-nander vergleichbar sind. Die Studierenden erken-nen so die Unterschiede zwischen den Textenbesonders gut; die Texte der Kollegen können zuMustern für eine Überarbeitung des eigenen Tex-tes werden.

Probleme des Textes benennen – Aus -gangspunkte für das Überarbeiten findenEine hilfreiche, jedes Überarbeiten einleitendeTätigkeit ist, etwaige Probleme im Text genau zubenennen. Damit ist der Rahmen abgesteckt, indem die Überarbeitung stattfinden soll.Voraussetzung für die folgende Aufgabe ist, dass dieStudierenden einen Abschnitt eines Textes mitbrin-gen, an dem sie gerade arbeiten; er sollte nicht län-ger als etwa eine DIN A4-Seite sein. Man hat imbesten Fall eine räumliche Ausweichmöglichkeitzur Verfügung, damit die Studierenden sich ihreTexte gegenseitig laut vorlesen können.

Tipps: Texte überarbeitenLesen Sie sich gegenseitig die Textteile laut vor, die Sieund Ihre Studienkollegin / Ihr Studienkollege mitgebrachthaben. Lesen Sie dann den Text der Kollegin / des Kollegen nocheinmal leise für sich durch und überlegen Sie ein Überar-beitungsziel für den Text, wie z.B. noch einmal genau zuprüfen, ob die Stellen, an denen auf den Text eines ande-ren Autors verwiesen wird, sprachlich und zitiertechnischkorrekt sind. Wichtig ist dabei, dass Sie sich in Bezug aufdas jeweilige Überarbeitungsziel, das Sie vorgeben, kom-petent fühlen.Sie erhalten schließlich Ihren Text mitsamt dem Überarbei-tungsvorschlag der Kollegin / des Kollegen zurück. Versu-chen Sie, auf den Überarbeitungsvorschlag einzugehen.Lesen Sie sich in der nachfolgenden Sitzung die überarbei-teten Textteile gegenseitig laut vor und bewerten Sie dasErgebnis Ihrer Überarbeitung gemeinsam.

Effekt des Verfahrens: Studierende sind beimÜberarbeiten ihrer Texte dann nicht überfordert,wenn sie sich durch klare Überarbeitungszielezunächst auf die Verbesserung einzelner Aspektedes Textes konzentrieren können; sie verändernTextstellen gezielt und können so die Folgen derÜberarbeitungen überblicken. Dieses Vorgehen inkleinen Schritten bewirkt, dass sie lernen, die Wir-kung von Texten in Bezug auf einzelne Merkmaleim Detail zu begründen.

Wortschatz erweitern: die Lerndatei Die Studierenden müssen im Laufe ihres Studiumsständig neue Formulierungen und Wendungen derWissenschaftssprache Deutsch verstehen und ver-

• gemeinsam auf der Grundlage der Vorarbeiteneinen zusammenfassenden Text zu schreiben, d.h.die zusammengetragenen Informationen für denBericht neu zu strukturieren, Beispiele zu gebenund auf die einzelnen Autoren zu verweisen.

Diese Aufgabe umfasst besonders anspruchsvolleAktivitäten des wissenschaftlichen Schreibprozes-ses; wenn Studierende diese in Partnerarbeit ange-hen und rückblickend reflektieren, werden Anfor-derungen und Problemlösungen sichtbar und da-mit leichter zu bewältigen.

Texte überarbeiten – den eigenen TextkennenlernenDas Überarbeiten eigener Texte ist ein wichtigerProzess des Schreibens, der von vielen Studieren-den ungern, zumeist unsystematisch und erst nachdem Beenden der Schreibarbeit angegangen wird.Das Überarbeiten ist aber für das sprachliche, text-bezogene und inhaltliche Lernen sehr wichtig; des-wegen wird es im studienbegleitenden Kurs alsAktivität systematisch und ganz regelmäßig trai-niert. Das gemeinsame Überarbeiten von Textenkann nach einiger Übung besonders effektiv sein;dabei kooperieren wiederum am besten Studieren-de aus ähnlichen Studienrichtungen wegen ihrergeteilten Erfahrungen mit den Texten ihres Faches.Kooperatives Überarbeiten ist nicht in allen Grup-pen von Anfang an möglich, zu Beginn kann manzu einer gemeinsamen Überarbeitung fremderTexte anleiten. Auch wenn die Studierenden ihreTexte zu zweit überarbeiten und dabei gut harmo-nieren, brauchen sie erfahrungsgemäß von Zeit zuZeit ein Feedback von der Lehrperson. Eine mögli-che Überarbeitungsaufgabe ist z.B. folgende:

Tipps: Den eigenen Text kennenlernenSchreiben Sie einen Bericht für die Studentenzeitung IhrerHeimatuniversität, der die Leser über die Hauptunterschie-de zwischen einem Fachstudium an einer HochschuleIhres Landes und dem an einer österreichischen Hoch-schule informiert.Überlegen Sie zunächst in Ihrer Gruppe (2-4 Personen), a) was das Ziel des Berichts sein soll, b) worüber Sie im Einzelnen berichten möchten und c) wie lang der Text ungefähr sein soll.

Schreiben Sie dann den Bericht jede/r für sich als Hausauf-gabe zur nächsten Sitzung, wobei Sie sich eng an diegemeinsamen Vereinbarungen halten sollten. In der kom-menden Sitzung sollen Sie sich Ihre Texte in der Gruppegegenseitig vorlesen und sie miteinander vergleichen.

Effekt des Verfahrens: Die Studierenden könnenmithilfe dieses Verfahrens die Prozesse, die daseigene Schreiben geprägt haben, erkennen undlernen, ihren Text als Ergebnis bewusst oder auch

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wenden lernen. Die meisten wissen jedoch nichtwie. Die Bedeutung der idiomatischen Zusammen-setzungen wird oft nur vage verstanden und des-halb werden diese auch nur schwer gelernt; es sindKombinationen wie z.B. „sich der Untersuchungvon X zuwenden“, die man so nur selten im Wör-terbuch finden kann.

Es ist sinnvoll, die Formulierungen nach ihrenFunktionen geordnet abzulegen.

Ich schlage den Studierenden vor, eine Lerndatei zuidiomatischen Fügungen zu führen. Dies mussallerdings geübt werden. Deshalb ist es wichtig,dass in jeder Kurssitzung Zeit dafür zur Verfügungsteht, zumindest einige Beispiele für wissenschafts-sprachliche Wendungen gemeinsam zu klären. DieAufgabe dazu könnte so lauten:

Tipps: Wortschatz erweiternNotieren Sie sich während des Lesens Ihrer Texte jedeWoche fünf neue wissenschaftssprachliche Formulierun-gen, die Sie selbst bisher nicht aktiv verwenden. Sie sollen die von Ihnen gefundenen Wendungen in dernächsten Sitzung einer kleinen Gruppe vorstellen undgemeinsam deren vollständige Bedeutung und Entstehungklären. Tun Sie dies möglichst gemeinsam mit Kollegen,die ähnliche Studienfächer wie Sie belegen. Sie könnendann entscheiden, welche der Fügungen, die die Kollegengefunden haben, Sie in Ihre persönliche Lerndatei über-nehmen und aktiv benutzen möchten.

Suchhilfen:Untersuchen Sie z. B. Einleitungen zu Fachtexten IhrerWahl und identifizieren Sie charakteristische Formulierun-gen, mit denen der Autor den Text einleitet und zumThema hinführt!4

Effekt des Verfahrens: Die Studierenden müssenihre Lernstrategien einem neuen Lernziel anpas-sen: sie müssen nun lexikalische Kombinationenlernen, die sich in den Texten ihres Fachs finden.Es ist sinnvoll, die Formulierungen in eine Lernda-tei (elektronisch oder auch in Form eines Karteikas-tens) einzutragen und sie nach ihren Funktionengeordnet abzulegen. Erfahrungsgemäß ist es wich-

tig, immer wieder über die Struktur der Lerndateizu sprechen. Sind Einträge in die Lerndatei z.B. nachden Handlungszielen der Formulierungen geordnet(Ergebnisse darstellen, Schlussfolgern usw.), so kön-nen die Studierenden diese beim Nachschlagenerneut mit ihren Zielen verbinden. Auf diese Weisewerden wissenschaftliche Verfahren thematisiert. Siekönnen aber auch nach Wortfeldern geordnet wer-den, wie das Beispiel unten zeigt.

Checkliste für KursleitendeUm die Teilnehmenden für das Konzept des Kurseszu sensibilisieren,� kündige ich die Kursziele und -inhalte möglichst

frühzeitig und detailliert an;� sorge ich in jeder Sitzung für Transparenz, indem

ich die Lernziele und die Effekte der eingeführtenVerfahren zur Förderung von fremdsprachlicherund textbezogener Kompetenz deutlich benenneund zu ihrer Reflexion einlade;

� kündige ich frühzeitig an, dass „KooperativesArbeiten“ ein wichtiges Prinzip des Kurses seinwird;

� überlege ich von Kursbeginn an gruppen- bzw.vertrauensbildende Maßnahmen.

Um authentisches Material für die Arbeit mit Tex-ten zur Verfügung zu haben,� sammle ich vorbildliche Hausarbeiten von mut-

tersprachigen Studierenden und problematischeHausarbeiten, anhand derer gemeinsam Pro-blemlösungen erarbeitet werden können;

� sammle ich möglichst immer mehrere (popu-lär-)wissenschaftliche Texte zu aktuellen The-menstellungen;

� recherchiere ich übersichtliche und preisgünsti-ge Anleitungen zum Schreiben von wissen-schaftlichen Hausarbeiten in unterschiedlichenFachgebieten;

� organisiere ich Möglichkeiten, authentischeTexte, aber auch die Texte der Kursteilnehmer

Fragen stellen und über Fragen sprechen

Lexik

Substantive Verben AdjektiveFrage fragen fraglich, fragwürdigBefragung befragenNachfrage nachfragen offen, ungeklärtFragestellung eine Frage stellenInfragestellung in Frage stellen

Fügungen

eine Frage aufwerfen, stellen, berühren, anschneiden

eine Frage umgehen, vernachlässigeneine Frage erörtern, diskutieren, untersuchen,

behandelneine Frage beantworten, kläreneiner Frage nachgehen, sich widmen, Beachtung

schenkenauf eine Frage eingehen, zurückkommenüber eine Frage nachdenken, reflektieren … 5

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“?60

abzulegen, damit alle diese einsehen können(z.B. Reader in der Bibliothek, elektronischeLernplattform ...);

� sammle ich (gute) Beispiele für Aufgabenlösun-gen (z.B. Erstversionen von Texten und überar-beitete Textversionen), damit ich sie als Mustereinsetzen kann.

Um die Studierenden in ihren eigenständigenBemühungen um das sprachliche und textbezoge-ne Lernen zu unterstützen,� sammle ich während des Kurses zum Ausbau

von Sprach- und Textkompetenz alle Empfeh-lungen und Verfahrensweisen, damit dieserErfahrungsschatz genutzt und regelmäßig umneue, erfolgreich verwendete Verfahren ergänztwerden kann.

FazitDie Interaktion mit den Texten ihres Fachs und dasSchreiben eigener Texte im Studium ist für interna-tionale Studierende eine große Herausforderung.Lehrende sollten ihnen Impulse geben, wie sie dasPotenzial, das diese Texte für das Lernen der jewei-ligen Fremdsprache haben, im täglichen Umgangmit ihnen nutzen können. Im besten Fall erzielteine studienbegleitende Sensibilisierung für Texteimmer mehrere Wirkungen: Sie orientiert die Stu-

dierenden im Themengebiet, sie baut ihre schriftli-chen Fähigkeiten in der Fremdsprache aus und hilftihnen, mittels Texten zu kommunizieren.

LiteraturEhlich, Konrad / Graefen, Gabriele: Sprachliches Handeln als

Medium diskursiven Denkens. Überlegungen zur sukkur-siven Einübung in die deutsche Wissenschaftskommuni-kation. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Band 27.Ismaning: Hueber 2001, 351-378

Graefen, Gabriele: Einführung in den Gebrauch der Wissen-schaftssprache. In: Materialien Deutsch als Fremdspra-che. Heft 58. Regensburg: FaDaF 2001, 191-210

Mehlhorn, Grit (unter Mitarbeit von Karl-Richard Bausch,Tina Claußen, Beate Helbig-Reuter und Karin Kleppin):Studienbegleitung für ausländische Studierende an deut-schen Hochschulen. Teil I: Handreichungen für Kursleiterzum Studierstrategien-Kurs. Teil II: Individuelle Lernbera-tung – Ein Leitfaden für die Beratungspraxis. München:Iudicium 2005

Portmann-Tselikas, Paul R.: Lernen und Lehren im Span-nungsfeld von Textualität und Textkompetenz. In: Scher-ner, Maximilian / Ziegler, Arne (Hrsg.): Angewandte Text-linguistik. Perspektiven für den Deutsch- und Fremdspra-chenunterricht. Tübingen: Narr 2006, 47-61 (= Europäi-sche Studien zur Textlinguistik 2)

Tütken, Gisela: Wissenschaftssprache im DaF-Unterricht ander Hochschule. Aber wie? In: Materialien Deutsch alsFremdsprache. Heft 58. Regensburg: FaDaF 2001, 342-386

Anmerkungen1 Vgl. Ehlich / Graefen 20012 Ähnlich gesehen bei Hans-Jürgen Krumm:http://homepage.univie.ac.at/ hans-juer-gen.krumm/FragenText.pdf, eingesehen am 3.7.20073 Vgl. z.B. Tütken (2001) mit einer ergiebigen Sammlung vonwissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Textenbzw. graphischen Darstellungen zum Thema „Wissenschafts-sprache Deutsch“.4 Gesehen z.B. bei Mehlhorn 2005, 1195 Graefen 2001, 203

Wissenschaftliches Schreiben lernen – Eine Auswahl von Online- und Offline-Angeboten aus dem deutschsprachigen Raum

Von Sandra BallwegOnline-Angebote zum wissenschaftlichen Schreiben und universitäre Schreibzentren sind in Nordamerika und einigen europäischen Ländern, beispielsweise in denNiederlanden und in der Türkei, weit verbreitet. Auch im deutschsprachigen Raum bieten inzwischen einige Institutionen Materialien und Beratungen an, umStudierende beim wissenschaftlichen Schreiben zu unterstützen. Einige dieser Angebote mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten werden in dieser Übersicht

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Online Writing Lab - TU Darmstadt Materialien zu verschiedenenhttp://www.spz.tu-darmstadt.de/owl ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ Studienfächern, im Aufbau

PunktUm und Schreiblabor der Universität Bielefeld Schwerpunkt: Präsenzberatunghttp://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Studium/ ✗ ✗ ✗ ✔ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ und -kurseStudienbegleitende%20Angebote/Punktum/

Schreibberatung & Schreibtraining der RWTH Aachen auch Materialien zumhttp://www.sz.rwth-aachen.de/Ww/schreiben/index.html ✔ ✔ ✗ ✔ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ Schreibprozess; Angebot für

ausländische Studierende

Schreibwerkstatt und Schreibtrainer der Universität Essen große Auswahl an Textsortenhttp://www.uni-essen.de/~lge292/trainer/trainer/start.html ✔ ✔ ✗ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ und anderen Materialien

Schreibzentrum der PH Freiburg umfangreiche Linkliste zuhttp://www.ph-freiburg.de/schreibzentrum/ueber-das-schreibzentrum.html ✗ ✔ ✔ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ verschiedenen Themen

Schreibzentrum der Ruhr-Universität Bochum Schwerpunkt: Präsenzveran-http://www.sz.ruhr-uni-bochum.de/ ✔ ✗ ✗ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ staltungen und -beratung für

Angehörige der RUB

TeachSam – Schreibformen umfassende Materialien zuhttp://www.teachsam.de/deutsch/d_schreibf/schr0.htm ✗ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ schulischen Textsorten

Wissenschaftliches Schreiben – Studis-Online.de umfassende Materialien zuhttp://www.studis-online.de/Studieren/ ✔ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ ✗ wissenschaftlichen Arbeiten Wissenschaftliche_Texte/01recherche.php

Wissenschaftliches Schreiben – TU Wien kurze Erklärungen mithttp://www.ims.tuwien.ac.at/teaching/gwa/wiss_schreiben.php ✔ ✔ ✗ ✗ ✔ ✗ ✗ ✗ ✗ Beispielen

vorgestellt. Das Spektrum reicht hier von der Bereitstellung von Materialien zuverschiedenen Textsorten über Online- und Präsenzberatungen bishin zudidaktisierten oder mehrsprachigen Seiten, wobei sich viele Einrichtungen auf einen Bereich spezialisieren und dazu ein umfassendes Angebotpräsentieren. Die Übersicht soll der Orientierung dienen und die Breite des Angebots in den deutsch sprachigen Ländern darstellen, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Bücher zum ThemaKommentiert von S. Schmölzer-Eibinger

Während im angloamerikanischenRaum in den letzten Jahren zahlreicheBücher im Bereich „literacy“ erschienensind, ist Textkompetenz in der deutsch-sprachigen Fachliteratur erst in jünge-rer Zeit ein vieldiskutiertes Thema. Bei den folgenden Büchern handelt essich um thematisch breit angelegteSammelbände, die sowohl theoretischeals auch didaktische Aspekte von Text-kompetenz behandeln.

Schmölzer-Eibinger, Sabine / Portmann-Tselikas, Paul R. (Hrsg.): Textkompetenz.Neue Perspektiven für das Lernen und Leh-ren. Klagenfurt: Studienverlag 2002Dieses Buch ist eines der ersten im deutsch-sprachigen Raum, das dem Thema Text-kompetenz gewidmet ist. Behandelt wer-den sowohl Fragen des Erwerbs als auchder Vermittlung von Textkompetenz in un-terschiedlichen Lehr- und Lernsituationen.So geht es etwa um Textkompetenz in Stu-dium und Schule (am Schulanfang, in derSekundarstufe etc.) und um die gesell-schaftlichen Bedingungen, die die Sprach-praxis im jeweiligen Kontext bestimmen.Auch die Textkompetenz von Lehrendenwird zum Thema gemacht: „Wir lesen an-ders“ ist der Titel eines Beitrags, der Lehre-rinnen und Lehrer dazu anregen soll, überihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mitTexten nachzudenken, die sie in den Unter-richt mitbringen.

Bausch, Karl-Richard et al. (Hrsg.): Text-kompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Früh-jahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-sprachenunterrichts. Tübingen: Narr 2007(= Gießener Beiträge zur Fremdsprachendi-daktik)Ausgangspunkt dieses Buches ist das The-ma „Rezeption und Produktion von Textenim Fremdsprachenunterricht“. Die klassi-sche Fertigkeitenlehre ist der Bezugspunkt– und gleichzeitig auch der Reibepunkt –der meisten Beiträge in diesem Band. Ne-

Die folgenden Bücher sind stärker pra-xisorientiert und unterrichtsbezogen.Sie beschäftigen sich mit konkretenSchwierigkeiten von Lernenden im Um-gang mit Texten und geben praktischeHilfestellungen zur Förderung von Text-kompetenz für Lehrerinnen und Lehrer.

Portmann-Tselikas, Paul R.: Sprachförde-rung im Unterricht. Handbuch für denSach- und Sprachunterricht in mehrsprachi-gen Klassen. Zürich: Orell Füssli 1998In diesem Handbuch geht es vor allem umdie Frage, wie Schülerinnen und Schülerdabei unterstützt werden können, Zugangzum Thema des Unterrichts zu finden. Eswerden Situationen aus dem Sachunterrichtin verschiedenen Fächern beschrieben undanalysiert, die die Situation des Lehrensund Lernens in mehrsprachigen Klassenbesser verstehen und bewältigen helfen.Das Buch enthält auch zahlreiche prakti-sche Anregungen und Tipps zur Sprachför-derung in allen Fächern.

Schmölzer-Eibinger, Sabine: Lernen in derZweitsprache. Grundlagen und Verfahrender Förderung von Textkompetenz in mehr-sprachigen Klassen. Tübingen: Narr 2008 (= Europäische Studien zur Textlinguistik 5)Dieses Buch ist der Entwicklung und Förde-rung der Textkompetenz von Schülerinnenund Schülern in mehrsprachigen Klassengewidmet. Neben theoretischen Grundla-gen der Textkompetenz und des Lernens inder Zweitsprache umfasst es ein didakti-sches Instrumentarium zur Förderung vonTextkompetenz, das in vielfältigen Lernsi-tuationen in der Schule genutzt werdenkann. Eine Aufgabentypologie zur Förde-rung von Textkompetenz bietet einen rei-chen Fundus an Unterrichtsvorschlägen fürden Sach- und Sprachunterricht, die flexibelund einfach sowohl mit Zweit- als auch mitFremdsprachenlernenden einsetzbar sind.

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ben der Form des Sprachkontakts ist es vorallem ihr Gegenstand – der Text – der indiesem Band diskutiert wird. Was ist über-haupt ein Text, welche Rolle spielt Münd-lichkeit und Schriftlichkeit im Umgang mitTexten? Ein besonderes Interesse gilt demLiteraturunterricht und dem Unterricht inmehrsprachigen Klassen. Auch Fragen derKonzeptualisierung und Messung vonKompetenzen werden behandelt; interes-sant sind hier vor allem die Entwürfe fürzielgruppenspezifische Kompetenzmodelleund für Instrumente zur Feststellung vonTextkompetenz.

Schmölzer-Eibinger, Sabine / Weidacher,Georg (Hrsg.): Textkompetenz. EineSchlüsselkompetenz und ihre Vermittlung.Tübingen: Narr 2007 (= Europäische Studi-en zur Textlinguistik 4)Fast zeitgleich zum Band von Bausch ist einweiterer Sammelband erschienen, der aktu-elle Entwicklungen im Bereich Textkompe-tenz und „Literacy“ skizziert. In diesemBand geht es um Texttraditionen und umsoziokulturelle Dimensionen von Literalität,und man erfährt Neues aus der spracher-werbsbezogenen und textlinguistischenForschung – etwa über „neuronale Text-welten“, die Interpretation und Optimie-rung von Texten oder über verschiedeneFormen der multimodalen und medienad-äquaten Textgestaltung. Ein Schwerpunktwird durch Beiträge gebildet, die sich mitdem Schreiben als Motor für die Sprach-und Denkentwicklung beschäftigen. Weiterwerden didaktische Vorschläge für eine fächerübergreifende Förderung von Text-kompetenz im mehrsprachigen Kontext derSchule und des Studiums präsentiert.

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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Literacy – LiteralitätDer Begriff „literacy“ wird im angloameri-kanischen Raum generell für „Schrift kun -dig keit“ verwendet, teilweise auch für„Know-how“ in ganz bestimmten Be -reichen (z.B. „multimedia literacy“, „com-puter literacy“, „financial literacy“ etc.). InBezug auf den Wissenserwerb in derSchule und im Studium wird häufig derBegriff „academic literacy“ verwendet. DerBegriff „Textkompetenz“ ist am Begriff„literacy“ orientiert und bezeichnet dieFähigkeit, Texte lesen und verstehen undmittels Texten kommunizieren und lernenzu können.Im traditionellen Begriffsverständis war„literate“ die Bezeichnung für eine Person,die lese- und schreibkundig ist. Dem ent -sprechend wurde „literacy education“ursprünglich vor allem als Lese- undSchreib unterricht verstanden. Dieses Be -griffs verständnis hat sich jedoch seit Be ginn der 80er-Jahre gewandelt: „Literatsein“ wird in der aktuellen Fachdiskussionverstanden als Fähigkeit, Schriftsprache imjeweiligen soziokulturellen Kontext zu ver-stehen und zu verwenden, d.h. über sieals ein „kulturelles Werkzeug“ zu verfü-gen. Dies setzt nicht nur sprachliche undkognitive, sondern auch kommunikativeFähigkeiten voraus, die mehr umfassen alsbloß Schriftkundigkeit: Gefordert ist einWissen um die kulturspezifischen undsozialen Gebrauchszusammenhänge vonschriftsprachlich geprägter Sprache. „Literat“ sein bedeutet demnach, nichtnur Lesen und Schreiben zu können, son-dern auch über die Fähigkeit zu verfügen,mit Sprache im jeweiligen gesellschaftli-chen Kontext adäquat zu handeln, d.h.über ein breites Spektrum an Kom munika -tions-, Handlungs- und Lern mög lichkeitenzu verfügen, die es erlauben, das vorhan-dene Wissen zu erweitern und individuellePotenziale zu entfalten. Auf den Unterrichtbezogen bezeichnet „literacy“ vor allemdie Fähigkeit von Lernenden, schriftsprach-liche Lernangebote im jeweiligen soziokul-turellen Kontext wahrnehmen und nutzenzu können.

sondern gezielt Lernangebote zum Erwerbdieser Kompetenz im Unter richt zu schaf-fen.

LiteraturEhlich, Konrad / Rehbein, Jochen: Muster

und Institution. Untersuchungen zurschulischen Kommunikation. Tübingen:Narr 1986 (= Kommunikation undInstitution 15)

Thonhauser, Ingo: Die Erfindung derTextwelten. In: Schmölzer-Eibinger,Sabine / Weidacher, Georg (Hrsg.):Textkompetenz. Eine Schlüssel -kompetenz und ihre Vermittlung.Tübingen: Narr, 15-23

Der Begriff „Literalität“ reflektiert dieRezep tion der englischsprachigen„Literacy“- Forschung im deutschsprachigenRaum und bezeichnet Schriftlichkeit im wei-testen Sinne. Aktuelle Forschungsarbeitenbeschäftigen sich mit vielfältigen Phäno -menen in diesem Bereich, etwa damit, wieSchriftlich keit die Konzeptualisierung vonSprache verändert oder inwiefern schrift-sprachliches Kommunizieren neue Per spek -tiven des Handelns, Denkens und Lernenseröffnet. Diese Fragen werden derzeitsowohl sprachenübergreifend als auch inBezug auf Deutsch als Fremd-, Zweit- undMuttersprache diskutiert.

Literacy practices – literale PraxisStudien zu literacy practices befassen sichmit der konkreten Praxis des Umgangs mitTexten. In der Begriffsdiskussion seit Beginn der80er-Jahre geht man davon aus, dass die„literale Praxis“ eines Sprachhandelndenin einem engen Zusammenhang mit densoziokulturellen Normen und Konven tio -nen einer Gesellschaft steht. Diese Sicht -weise führte zur Auffassung, dass die ineiner Gesellschaft vorherrschenden litera-len Praktiken die Vergabe von Ressourcen– und damit auch von Bildungschancen –maßgebend bestimmen. So wurde dieSchule etwa als eine „Mittelschicht insti tu -tion“ (Ehlich / Rehbein 1986) bezeichnet,die das zu vermittelnde Wissen den sozia-len Normen und Konventionen der Mittel -schicht entsprechend auswählt und repro-duziert – die literale Praxis der „Mittel -schicht familie“ wird also als ein Modellund gleichzeitig als Norm für die literalePraxis der Schule gesehen. In der aktuellen Forschung werden literalePraktiken in verschiedenen soziokulturellenKontexten analysiert. Es geht dabei vorallem darum, herauszufinden, unter wel-chen Bedin g ungen sie problematisch wer-den können (vgl. Thonhauser 2007, 18). Indiesem Zusammenhang wird dafür plä-diert, die Fähigkeit mit Texten umzugehennicht als eine selbstverständliche Vor -aussetzung von Lernenden zu betrachten,

Aktuelles Fachlexikon

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Simone Auf der Maur ToméUniversität PortoGermanistische AbteilungVia Panorâmica, s/nP-4150-564 PortoPORTUGALE-Mail: [email protected] für Deutsch als Fremdsprache Arbeitsschwerpunkte: Methodik undDidaktik Deutsch als Fremdsprache,Lehrerausbildung

Sandra BallwegTechnische Universität DarmstadtFB 02 – Institut für Sprach- undLiteraturwissenschaftFachgebiet Mehrsprachigkeits -forschung/DaF/DaZHochschulstraße 1D-64289 DarmstadtDEUTSCHLANDE-Mail: [email protected] Mitarbeiterin an derTechnischen Universität Darmstadt Arbeitsschwerpunkte: Portfolioarbeit,Schreibfertigkeit, Online Writing Labs,Schreib- und Sprachlernberatung, selbst-gesteuertes und computergestütztesLernen

Martine BraaksmaGraduate School of Teaching & LearningUniversity of AmsterdamSpinozastraat 55NL-1018 HJ AmsterdamNIEDERLANDEE-Mail: [email protected]: Schreibprozesse,beobachtendes Lernen und dasSchreiben(lernen) von Hypertexten,Didaktik des Schreibunterrichts in derSekundarstufe II

Peter EisenbergInstitut für GermanistikUniversität PotsdamPostfach 601553D-14415 PotsdamDEUTSCHLAND

Ilona Feld-KnappEötvös Universität BudapestGermanistisches InstitutRákóczi út 5H-1088 BudapestUNGARNE-Mail: [email protected] für Deutsch als Fremd -spracheArbeitsschwerpunkte: Fremdsprachen -didaktik, Angewandte Linguistik

Antonie HornungLiceo Artistico und Universität Zürich, Universität ModenaAlte Landstr. 50CH-8803 RüschlikonSCHWEIZE-Mail: [email protected] und Dozentin fürFachdidaktik Deutsch, Teilzeitprofessorinfür germanistische LinguistikArbeitsschwerpunkte: Sprach- undMehrsprachigkeitsdidaktik, Schreiben,Sprachwahl- und -lernmotivation,Methoden der Korpuslinguistik in derLehre, Sprachenpolitik in Europa,Wissenschaftssprache

Britta HufeisenTechnische Universität DarmstadtFB 02 – Institut für Sprach- undLiteraturwissenschaftFachgebiet Mehrsprachigkeits -forschung/DaF/DaZHochschulstraße 1D-64289 DarmstadtDEUTSCHLANDProfessorin für Mehrsprachigkeits for -schung/DaF/DaZ.Arbeitsschwerpunkte: Theoriebildung inder Mehrsprachigkeitsforschung undmultiplem Sprachenlernen; Schreib for -schung, Schreiben in der Fremd sprache,Kulturspezifik von Text(sort)en undLernen mit neuen und durch neueMedien

Imke MohrUniversität WienInstitut für Germanistik / Deutsch alsFremdspracheDr.-Karl-Lueger-Ring 1A-1010 WienÖSTERREICHE-Mail: [email protected] am Institut für Germanistik(Deutsch als Fremdsprache)Arbeitsschwerpunkte: Text- und Fertig -keits didaktik, Lehrerfortbildung

Paul R. Portmann-TselikasUniversität GrazInstitut für GermanistikMozartgasse 8/IIA-8010 GrazÖSTERREICHE-Mail: [email protected] Universitätsprofessor fürGermanistische Linguistik und Deutschals FremdspracheArbeitsschwerpunkte: Deutsch alsFremd-/Zweitsprache, Theorie derTextkompetenz, Kommunikationstheorie

Gert RijlaarsdamGraduate School of Teaching & LearningUniversity of AmsterdamSpinozastraat 55NL-1018 HJ AmsterdamNIEDERLANDEE-Mail: [email protected] Professor für Sprachlehrforschung Arbeitsschwerpunkte: Schreibprozesseund Didaktik des Schreibfertigkeits -unterrichts (Muttersprache undFremdsprachen) im Sekundarbereich

Sabine Schmölzer-EibingerUniversität GrazInstitut für GermanistikMozartgasse 8/IIA-8010 GrazÖSTERREICHE-Mail: [email protected]ßerordentliche Universitätsprofessorinfür Sprachlehrforschung und Deutsch alsFremdspracheArbeitsschwerpunkte: Fremd-/Zweit -sprachen didaktik, Entwicklung undFörderung von Textkompetenz im Kon -text von Mehrsprachigkeit und Migration,Schriftlichkeitsforschung undSchreibdidaktik, Lehreraus- und -fortbil-dung

Ingo Thonhauser Université de Genève Département de langue et de littératureallemandes 5 rue De-Candolle CH-1211 Genève 4 SCHWEIZE-Mail: [email protected] [email protected]. +41 22 379 78 10 Fax +41 22 379 73 52 Dozent für Germanistische Linguistikund Lektor im Bereich Deutsch alsFremdspracheArbeitsschwerpunkte: Textkompetenz,Methodik und Didaktik Deutsch alsFremdsprache, Sprachlehr- und -lernfor-schung

Unsere Autorinnen und Autoren

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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IUDICIUM Verlag GmbHPostfach 701067 • D-81310 München • Hans-Grässel-Weg 13 • D-81375 MünchenTel. +49 (0)89 718747 • Fax +49 (0)89 7142039 • [email protected] richten Sie bitte an Ihre Buchhandlung oder an den Verlag.Das Gesamtverzeichnis finden Sie im Internet unter www.iudicium.deiudicium

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Langenscheidt

Großwörterbuch

Deutsch als Fremdsprache

978-3-468-49037-8, € 29,90Hardcover-Ausgabe inkl. CD-ROM

Das umfassende einsprachige Lernerwörterbuch

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RWB_684_GW_DaF_A4_sw_n.indd 1 19.08.2008 13:42:05 Uhr

Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

Lizenziert für Frau Dr. Ioanna Karvela.Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008

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