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Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung „Lerntherapeut/in IFLW“ Institut für integratives Lernen und Weiterbildung Thema : „Fit für die Schule!“ - Prävention von Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht Βirgit Schmäh Diplompädagogin, Förderschullehrerin Franziska-Kessel-Str. 45 60439 Frankfurt a. M. Tel.: 069 / 763743 oder 58034864 Mail: [email protected] Frankfurt, im Oktober 2007

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Abschlussarbeit

im Rahmen der Ausbildung „Lerntherapeut/in IFLW“

Institut für integratives Lernen und Weiterbildung

Thema:

„Fit für die Schule!“ - Prävention von Lernschwierigkeiten

im Anfangsunterricht

Βirgit Schmäh Diplompädagogin, Förderschullehrerin Franziska-Kessel-Str. 45 60439 Frankfurt a. M. Tel.: 069 / 763743 oder 58034864 Mail: [email protected] Frankfurt, im Oktober 2007

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2 2. Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht 5 2.1 Exkurs: Was ist Schulfähigkeit 5 2.2 Zur Begriffsbestimmung 6 2.3 In welchen Bereichen liegen Lernschwierigkeiten? 8 2.4 Mögliche Ursachen von Lernschwierigkeiten 10 2.4.1 Was ist Wahrnehmung? 11 2.4.2 Auditive Wahrnehmungsstörungen 12 2.4.3 Visuelle Wahrnehmungsstörungen 14 2.5 Lernschwierigkeiten am Schulanfang testen? 15 2.5.1 Das Bielefelder Sreening BISC 16 2.5.2 Der Rundgang durch Hörhausen 16 2.5.3 Die Differenzierungsproben von Breuer und Weuffen (DP 0, DP 1, DP 2) 17 2.5.4 Die diagnostischen Einschätzskalen (DES) 18 2.5.5 Das Münsteraner Sreening MÜSC 20 2.5.6 Persönliche Bewertung der Tests 22 3. Förderprogramme zur Prävention von Lernschwierigkeiten 28 3.1 Bereich Lesen und Schreiben 28 3.1.1 Das Würzburger Trainingsprogramm (Hören – lauschen – lernen) 28 3.1.2 Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi 30 3.1.3 Das Münsteraner Trainingsprogramm MÜT 32 3.1.4 Persönliche Bewertung der Förderprogramme 34 3.2 Bereich Rechnen 36 3.2.1 Komm mit ins Zahlenland 36 3.2.2 Komm mit ins Entenland 38 3.2.3 Der Hamburger Zahlbegriffs- und Rechenaufbau (HamZaRa) 40 3.2.4 Persönliche Bewertung der Programme 41 3.3 Bereich Graphomotorik 44 3.3.1 Visuelle Wahrnehmungsförderung nach M. Frostig 44 3.3.2 Marburger graphomotorische Übungen 45 3.3.3. Persönliche Bewertung der Förderprogramme 45 4. „Fit für die Schule!“ – Lerntherapeutischer Ausblick 46 5. Literatur, Tests und Materialien 48

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1. Einleitung

Im Verlauf meiner zehnjährigen Tätigkeit als Förderschullehrerin in integrativen

Grundschulklassen (15 Regelkinder und 4 behinderte Kinder) ist mir immer eindringlicher

bewusst geworden, dass der Prävention von Lernschwierigkeiten noch viel zu wenig

Bedeutung in Kindergärten und Schulen zukommt.

Meiner Erfahrung nach gibt es in jeder ersten Klasse vier bis fünf Kinder, die sich mit dem

Schulstart auffällig schwer tun. Sie entwickeln in den ersten beiden Grundschuljahren häufig

Lernschwierigkeiten in unterschiedlichen Bereichen:

So treten oft Schwierigkeiten im feinmotorischen Bereich auf, beim Schreiben von Zahlen

und Buchstaben. Nicht selten gibt es Probleme in der auditiven und/ oder visuellen

Wahrnehmung, die sich beim Heraushören von Lauten oder der Zuordnung von Lauten zu

Buchstaben bemerkbar machen. Auch das Einhalten von Linien ist für manche Kinder eine

große Mühe. Im Bereich Mathematik ist mir aufgefallen, dass viele Kinder mit

Vorerfahrungen im Rechnen zur Schule kommen, die für einen richtigen Aufbau von Zahl-

und Mengenvorstellungen eher hinderlich sind.

Natürlich gibt es auch Kinder, die ein „Päckchen“ mit sich herumtragen, das sie psychisch

belastet, sei es wegen Streitereien in der Familie oder Trennung der Eltern.

Bei den Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind die genannten Probleme fast

immer zu finden und in ihrem Ausmaß von der Art der Behinderung abhängig. Allerdings

habe ich auch hier die Erfahrung gemacht, dass behinderte Kinder unterschiedliche

Erfahrungen mit Frühförderung mitbringen und diese sich auf die Lernvoraussetzungen

auswirken. Eine Schülerin mit Down-Syndrom beispielsweise, die schon ab ihrem dritten

Lebensjahr eine Lerntherapie besucht hatte, konnte im ersten Grundschuljahr mühelos das

Lesen erlernen.

Die genannten Beobachtungen bestätigen mir auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen

Klassen unserer Schule - und das, obwohl wir als Privatschule fast durchweg Kinder aus eher

wohlhabenden, meist Akademikerfamilien haben. Alle unsere Kinder verfügen über gute

Deutschkenntnisse. Außerdem arbeiten wir nach einem „anderen“ Schulkonzept, das keine

Aussonderung vorsieht. Hinter dem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne

Behinderung stehen pädagogische Leitlinien, die zum Ziel haben, alle Kinder auf ihrem

Niveau abzuholen und zu fördern. Nicht Defizite und Leistungsbewertung stehen im

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Vordergrund, sondern die Stärken und Fähigkeiten der einzelnen Kinder, die die Basis für

jedes Lernen und jede persönliche Entwicklung bilden. Das Lernen voneinander und das

Lernen mit Freude, Spaß und Motivation sind im Mittelpunkt. Um dies umzusetzen, bedarf es

einer besonderen Lernumgebung und einer Unterrichtsorganisation, der die Differenzierung

der Unterrichtsinhalte zugrunde liegt.

Meine Erfahrungen mit diesem etwas anderen Lernkonzept sind durchweg positiv:

Selbständiges Lernen in freier Arbeit, Wochenplan, Projektarbeit, fächerübergreifendes

Arbeiten, Rhythmisierung des Unterrichts, keine Bewertung durch Zensuren, etc. führen dazu,

dass Kinder mehr Freude am Lernen entwickeln. Aber trotzdem – auch in dieser „humaneren“

Lernumgebung gibt es die Kinder mit den genannten Startschwierigkeiten.

In den umliegenden staatlichen Nachbarschulen mit hohem Ausländeranteil sind laut

persönlichen Berichten von Kollegen wesentlich mehr Kinder, die mit Schwierigkeiten in die

Schule kommen und diese sind noch massiver, meist erschwert durch die sprachlichen

Hürden.

Dies belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen, denen zufolge die Häufigkeit der

Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht zwischen 12 und 25 % schwankt: „Wenn man

bedenkt, dass in Deutschland jedes Jahr fast 1 Million Kinder eingeschult werden, dann

bedeutet das, dass alljährlich bei weit über 100 000 Kindern und ihren Eltern mit der

Einschulung eine Zeit der Sorgen und Enttäuschungen beginnt“ (Breuer/Weuffen 2004, 20f).

Außerdem wurde inzwischen gezeigt, dass Kinder mit Lernstörungen im Anfangsunterricht

häufig auch in ihrer weiteren Schullaufbahn mehr oder weniger starke Lernprobleme mit sich

tragen. Manifestiert sich eine Lese- und Rechtschreibschwäche oder eine Rechenstörung,

zieht dies meist auch psychische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten mit sich (vgl. Barth

2006, 38ff).

Meine persönliche Erfahrung in der Begleitung von Kindern von Klasse 1 bis 4 ist, dass die

ersten zwei Grundschuljahre eine Einheit bilden, innerhalb derer sich die Kinder die Basis im

Lesen, Schreiben und Rechnen erarbeiten. Innerhalb dieser Zeit gibt es bei jedem Kind

Phasen des langsamen Lernens und Phasen, in denen plötzliche Lernschübe zu beobachten

sind. Am Ende des 2. Schuljahres können Kinder altersentsprechende Bücher und Texte

sinnentnehmend lesen, kleine Geschichten selbst schreiben und mit Zahlen im Zahlenraum bis

Hundert rechnen. Wenn Kinder diesen Lernstand erreicht haben, kann man davon ausgehen,

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dass ihnen die Schule und das Lernen Spaß bereitet. Gehören Kinder am Anfang des dritten

Schuljahres zu den langsamen Rechnern, Lesern und Schreibern, ist der Start in die zweite

Einheit, das 3. und 4. Schuljahr erschwert. Manchmal gelingt es, in Zusammenarbeit mit den

Eltern, in dieser Einheit Lernschwierigkeiten durch gezielte Förderung zu bewältigen.

Häufiger jedoch bleiben sie den Kindern erhalten und beeinflussen dann ihre weitere

Schullaufbahn.

Im Folgenden möchte ich die Fragestellungen formulieren, die mich aufgrund der genannten

Erfahrungen in den letzten Jahren immer wieder beschäftigen:

• Wie kann eine gezielte frühe Förderung im Bereich Phonologische Bewusstheit und

Sprache aussehen, um Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb vorzubeugen?

• Kann man durch eine sinnvolle Hinführung zu Zahlen und Mengen im Vorschulalter

Schwierigkeiten im Mathematikunterricht der Grundschule verhindern?

• Welche Förderung im graphomotorischen Bereich brauchen Kinder, um die

feinmotorischen Voraussetzungen zum Schreibenlernen aufzubauen?

• Wie können Kinder mit „innerer Ruhe“ in der Schule starten? Können

Aufmerksamkeitsstörungen im Vorfeld beachtet werden?

Ich möchte in der vorliegenden Arbeit die drei ersten Fragen in den Mittelpunkt stellen. Die

Frage der Aufmerksamkeitsstörungen in der Grundschule ist ein großer Komplex, dem eine

eigene Arbeit zu widmen wäre. Ich werde sie hier vernachlässigen, wohl aber in dem

Bewusstsein, dass sie einen großen Komplex von Lernschwierigkeiten darstellen.

Bei allen Ausführungen ist es mir wichtig, den Blick auch auf behinderte Kinder zu lenken.

Aufgrund ihrer besonderen Ausgangsbedingungen sind sie noch stärker auf eine effektive

Frühförderung angewiesen.

Im nächsten Kapitel werde ich aufzeigen, was man unter Lernschwierigkeiten versteht und

welche Ursachen es dafür geben kann. Der Begriff „Schulfähigkeit“ wird kurz beleuchtet.

Anschließend stelle ich Konzepte für die Bereiche Lesen und Schreiben, Rechnen und

Graphomotorik vor, die zur Prävention von Lernschwierigkeiten entwickelt wurden. Meine

praktischen Erfahrungen damit fließen in die persönliche Bewertung der Ansätze mit ein.

Schließlich möchte ich in einem lerntherapeutischen Ausblick verschiedene Elemente der

vorgestellten Konzepte zu einem Förderprogramm für 4-6jährige Kinder vorschlagen. Dabei

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geht es mir nicht um einen „vorgezogenen Schulunterricht“, sondern um optimale

Lernvoraussetzungen für die Schule und eine spielerische Hinführung zu Buchstaben und

Zahlen.

2. Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht

Der Frage, was man unter „Lernschwierigkeiten“ im Anfangsunterricht verstehen könnte,

geht eine andere Frage voraus: Was muss eigentlich ein Kind können, das in die Schule

kommt? – Diese Frage ist schon oft diskutiert worden und ist bekannt unter dem Stichwort

„Schulreife“ oder „Schulfähigkeit“. Sie soll an dieser Stelle kurz beleuchtet werden. Es folgt

die Erläuterung des Begriffes „Lernschwierigkeiten“. Anschließend werden einige gängige

Tests diskutiert, mit denen Lernschwierigkeiten am Schulanfang festgestellt werden können.

2.1 Exkurs: Was ist Schulfähigkeit?

Der Begriff Schulfähigkeit löste um ca. 1950 den Begriff Schulreife ab, den man seit 1920

formulierte. Schulreife wurde damals an einem Zusammenhang zwischen Alter und

Wachstum festgemacht. Es kam auf Körperlänge, Arm- und Beinlänge an. Schulfähigkeit

beschrieb nun ein Bündel an Fähigkeiten wie logisches Denken, Gedächtnis, Konzentration,

Größenverständnis, Mengenverständnis, Formerfassung. Alle diese Fertigkeiten lagen im

kognitiven Bereich. Dieser Begriff von Schulfähigkeit war somit fortschrittlicher, aber

einseitig. Es wurden Tests entwickelt, die die Schulfähigkeit feststellen sollten. Diesen Tests

wird auch heute noch viel Bedeutung beigemessen, ebenso der Untersuchung des Amtsarztes.

Inzwischen haben einige Pädagogen den gängigen Begriff der Schulfähigkeit kritisch

betrachtet und weiterentwickelt. Armin Krenz (2003) beispielsweise nimmt den Übergang

vom Kindergarten in die Schule ins Blickfeld und geht von den Veränderungen aus, die auf

die Kinder in der Schule zukommen. Diese Veränderungen liegen im emotionalen Bereich

(z.B. Abschied von Personen und Vertrautem), im motorischen Bereich (z.B. nicht mehr so

viel Bewegung, mehr still am Platz sitzen müssen), im sozialen Bereich (z.B. neue Kinder)

und im kognitiven Bereich (Leistungserwartung). Hieraus folgert er nun, dass Kinder

sogenannte „Basiskompetenzen“ benötigen, wenn sie in die Schule eintreten. Diese

Kompetenzen liegen dementsprechend in den vier genannten Bereichen. Er spricht von einer

emotionalen Schulfähigkeit, einer sozialen Schulfähigkeit, einer motorischen Schulfähigkeit

und einer kognitiven Schulfähigkeit. Dass die emotionale Komponente dabei zuerst genannt

wird, ist kein Zufall. Die Gefühle des Kindes (z.B. Ausgeglichenheit, seelische Zufriedenheit,

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angstfreie Grundstimmung) sind für gelingendes Lernen mit entscheidend: „Insofern kann

die emotionale Schulfähigkeit als das Fundament der Schulfähigkeit überhaupt betrachtet

werden“ (Krenz 2003, 88).

Karl Barth (2006) beleuchtet den Begriff der Schulfähigkeit noch einmal von einer anderen

Seite: Wer sagt denn, dass die Grundschule das Recht hat, Eingangsvoraussetzungen

festzulegen? Steht nicht die Schule in der Pflicht, die Fähigkeiten von Kindern zu entwickeln?

Eine Grundschule, so Barth, muss „eine Schule für alle Kinder sein“ (Barth 2003, 25). Er

plädiert dafür, Kinder nicht zurückzustellen, sondern in einem „integrativen Unterricht“

entwicklungsauffällige Kinder zu fördern. Dies erfordert u.a. eine flexible Schulbesuchszeit

im Anfangsunterricht, die Einbindung sozialpädagogischer Fachkräfte und eine Veränderung

des Unterrichts (vgl. Barth 2003, 25ff). Es erfordert auch eine Früherkennung und damit

Frühförderung von Lernstörungen, die im Anfangsunterricht, besser noch im Vorschulalter

beginnt. „Ziel der Früherkennung ist es nicht, die Kinder in eine Norm zu pressen oder sie

durch Vorschulprogramme „schulfähig“ zu machen, sondern die Prozesse zu erkennen, die

ihre Entwicklung beeinträchtigen oder verzögern“ (a.a.O., 41).

2.2 Zur Begriffsbestimmung

In der Literatur begegnet man unterschiedlichen Begriffen: Lernschwierigkeiten

(Breuer/Weuffen), Lernstörungen (Betz/Breuninger oder Lauth/Grünke/Brunstein) oder

Lernschwächen (Barth).

Als lernschwierig, lerngestört oder lernschwach gelten in schulischen Kreisen meist die

Kinder, die bestimmte Lernziele verfehlt haben oder die in ihren Leistungen unterhalb der

akzeptablen Abweichungen von Bezugsnormen liegen. Oft sind es auch einfach die Kinder,

mit denen Lehrerinnen und Lehrer nicht zurechtkommen, weil sie sie mit ihrem

Unterrichtsstoff nicht erreichen können.

Eine allgemein verbindliche Einteilung ist durch das Klassifikationskonzept der ICD-10 der

Weltgesundheitsorganisation gegeben. Hier werden Entwicklungs- und Lernstörungen

eingeteilt in:

• Tiefgreifende Entwicklungsstörungen wie Autismus, Rett-Syndrom, etc.

• Umschriebene Entwicklungsstörungen, die nicht durch Defizite in der allgemeinen

Intelligenz erklärt werden können. Dazu gehören Störungen der Sprache und des

Sprechens, Störungen schulischer Fertigkeiten wie dem Lesen, Schreiben und

Rechnen, Störungen der motorischen Kompetenzen und Störungen, die in der frühen

Kindheit ihren Beginn hatten (vgl. Barth 2006, 36ff).

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Wie Karl Barth richtig formuliert, ist das Problematische an der Definition von Lernstörungen

der WHO „die sehr stark kindzentrierte Sichtweise von Lernproblemen. Die Ursachen der

Lernstörungen werden in der Person des Kindes gesucht. Mangelnder Lernerfolg ist aber

nicht nur einseitig in der Persönlichkeit des Schülers festzumachen, sondern schulischer

Erfolg oder Misserfolg ist immer das Produkt mehrerer zusammenwirkender Faktoren, wie

z.B. der Qualität des Unterrichts, Einstellungen und Wertmaßstäbe der Lehrperson, Einfluss

der Familie, Grad der Unterstützung und Förderung, Leistungsorientierungen, fachliche

Kompetenzen der Lehrperson, Zusammenarbeit mit Eltern, etc.“ (Barth 2006, 38).

In der vorliegenden Arbeit möchte ich den Begriff „Lernschwierigkeiten“ verwenden, wie er

auch bei Breuer und Weuffen (2006) zu finden ist. Er passt für mich am ehesten zu dem, was

ich in den ersten beiden Grundschuljahren beobachten konnte.

Kinder mit Lernschwierigkeiten haben aus den unterschiedlichsten Gründen einen

problematischen Schulstart. Sie befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer sensiblen

Phase des Lernens, in der Strategien erst kennen gelernt und ausgebildet werden müssen. Hier

sollte man m. E. noch nicht von Lernstörungen sprechen, denn Störungen weisen eher auf

etwas hin, was sich bereits manifestiert hat (z. B. eine LRS oder Dyskalkulie). So grenzen

auch Betz und Breuniger schwierige Lernprozesse von Lernstörungen ab mit dem Hinweis,

dass bei einer Lernstörung der Lernprozess selbst angegriffen ist (vgl. Betz/Breuninger 1998,

3). „Ein Lernprozeß kann mühselig und auch momentan erfolglos sein, ohne dass eine

Lernstörung vorliegt“ (a.a.O). Der Begriff „Lernstörung“ passt m. E. nicht zum Schulanfang,

denn der stellt den Beginn des schulischen Lernens dar. Man könnte den Begriff

Lernstörungen höchstens etwas differenzierter verwenden, so wie das Lauth, Grünke und

Brunstein tun: Sie unterscheiden zwischen vorübergehenden und überdauernden

Lernstörungen. In diesem Sinn könnte man Lernschwierigkeiten als vorübergehende

Lernstörungen bezeichnen (Lauth, Grünke, Brunstein 2004 ff).

Nun steht noch der Begriff „Lernschwäche“ (K. Barth) zur Diskussion. Hier könnte man K.

Barth mit seiner eigenen Argumentation gegen den Begriff Lernstörungen konfrontieren

(s.o.): Das Adjektiv „lernschwach“ weist darauf hin, dass die Ursachen im Kind selbst zu

liegen scheinen. Das ist aber in vielen Fällen nicht so. Man könnte allenfalls näher

beschreiben, welche Lern- oder Sinneskanäle im Kind schwächer ausgebildet sind.

Im Folgenden möchte ich Lernschwierigkeiten beschreiben, mit denen ich während meiner

Arbeit immer wieder konfrontiert wurde.

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2.3 In welchen Bereichen liegen Lernschwierigkeiten?

Im Anfangsunterricht begegnen Kinder auf verschiedene Weise den Schriftzeichen und

Lauten. Im Allgemeinen freuen sie sich auf das Lesen und Schreiben. „Aus Untersuchungen

zur emotionalen Befindlichkeit von Schülern in den ersten beiden Schuljahren geht hervor,

dass ihre Einstellung zum Lernen und zur Schule anfangs eindeutig positiv ist“ (Breuer

Weuffen 2006, 189). In den ersten Schultagen freuen sich 97,5 % der Schüler auf das Lesen,

Schreiben und Rechnen. Nach einem halben Jahr sind es nur noch ca. 75%, die eine positive

emotionale Beziehung zur Schule haben und am Ende der ersten Klasse sprechen sich nur

noch 50% für die Schule aus. Nachdem die Kinder am Anfang der zweiten Klasse wieder

Freude in die Schule mitbringen, sinkt bei etwa 12 % der Schüler nach dem ersten Halbjahr

der Mut gänzlich (vgl. a. a.O., 16ff).

Im Allgemeinbefinden von Schülern drückt sich Mutlosigkeit oder Unlust meist dadurch aus,

dass sie morgens nicht aufstehen möchten, nicht zur Schule gehen wollen, über

Kopfschmerzen oder Übelkeit klagen. Hier ein Beispiel aus meiner Erfahrung:

Felix (Name geändert) kam nach den ersten Schulwochen meist ganz knapp vor

Unterrichtsbeginn oder häufig sogar zu spät zur Schule. Die Eltern berichteten, dass sie

morgens mit ihm überfordert waren, weil er nicht zur Schule wollte. Oft mussten sie ihn bis in

den Klassenraum begleiten. Meist gelang es Felix erst nach ein bis zwei Stunden, seine

Anspannung zu lösen und sich auf das gemeinsame Lernen und Arbeiten einzulassen. Die

Freude über die sozialen Kontakte, die Pausenspiele, das gemeinsame Frühstück überwog

dann und die Sorge ließ nach. Aber jeden Morgen rang Felix mit sich selbst, weil er spürte,

dass er mit irgendetwas nicht so zurechtkam wie seine Klassenkameraden.

Bei genauem Hinschauen zeigte sich, dass er beim Lesen neue Buchstabenverbindungen nicht

zusammenziehen konnte und dass er nur Fibelwörter auf Anhieb lesen konnte. Beim

Schreiben von Wörtern nach dem Gehör mit Hilfe einer Anlauttabelle fand er meist nur den

Anlaut richtig heraus und hörte lediglich einen weiteren Konsonanten im Wort, z.B. „Hs“ für

„Hase“. Nach dem Entwicklungsmodell für das Lesen und Schreiben nach Renate Valtin (vgl.

Naegele 2001, 46ff) steckte Felix somit auf Stufe 3 (Beginnende Einsicht in den Buchstaben-

Laut-Bezug/ Kenntnis einiger Buchstaben/Laute) fest. Es gelang ihm also lediglich,

Lautelemente zu nennen, häufig am ersten Buchstaben orientiert. Seine Wörter waren nur

„skelettartig“ geschrieben. Während die anderen Kinder schnell die Stufe 4 (Einsicht in die

Buchstaben-Laut-Beziehung) erreichten, auf der sie neue Wörter erlesen konnten und Wörter

nach dem Gehör schreiben konnten (z. B. Rola für Roller), war Felix enttäuscht, weil er

offensichtlich nicht so lesen lernte wie die anderen und kein Außenstehender seine Wörter

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entziffern konnte. Hinzu kam nun die Mühe, die das Schreiben der Druckbuchstaben kostete:

auf die richtige Schreibrichtung achten, ähnliche Buchstaben voneinander unterscheiden (z. B.

b, d,), das Ganze richtig in die Schreiblinien bringen, den Stift nicht zu fest aufdrücken.

Ähnliche Nöte spielen sich auch im Mathematikunterricht ab. Kinder freuen sich zunächst auf

Zahlen. Doch bald sind manche Kinder enttäuscht, weil sie merken, dass sie nicht so schnell

eine Rechenaufgabe lösen können wie andere. Mädchen sind häufiger ängstlich vor Zahlen,

da Rechnen oft noch als „unweiblich“ gilt (vgl. Barth 2006, 137). Rechenschwächen wurden

bislang nicht so intensiv erforscht wie Lese-Rechtschreibstörungen. Inzwischen steht aber

fest, dass etwa 15 % der Grundschüler eine förderungsbedürftige Rechenschwäche aufweisen

(vgl. Barth, a.a.O., 138). Eine Rechenschwäche kann ähnlich wie die LRS unabhängig von

den anderen Fächern auftreten und ist damit eine Teilleistungsstörung. Es gibt aber auch eine

Gruppe von Kindern, die Lernschwierigkeiten im Rechnen und gleichzeitig im Lesen und

Schreiben aufweisen. Nach einer Untersuchung von Lobeck (1992) wiesen 16-18% von als

rechenschwach definierten Kindern auch Lernprobleme im Lesen und Schreiben auf (vgl.

Barth, a.a.O., 136).

Nach meinen Erfahrungen im Anfangsunterricht ist es weit schwieriger, Rechenschwächen

früh zu erkennen als Schwächen beim Lesen und Schreiben. Das liegt daran, dass die

betroffenen Kinder zwar nicht über ein Mengenverständnis verfügen, sich aber eine Technik

erarbeitet haben, die sie zu einem richtigen Rechenergebnis führt. Diese Technik ist meist das

Abzählen mit den Fingern über den Zehner hinaus. Ihnen fehlt die Simultanerfassung von

kleinen Mengen, die beim Rechnen zu schnellen und richtigen Ergebnissen auch über den

Zehner hinaus führt. Das Abzählen führt aber auf Dauer zu falschen Ergebnissen. Erweitert

sich der Zahlenraum über zwanzig, stellt der Lehrer die Schwäche im Rechnen oft erst fest.

Auch im Rechenunterricht ist es erforderlich, graphomotorische Kompetenzen einzusetzen.

Zahlen richtig in Kästchen schreiben, Rechenpäckchen im Heft übersichtlich anordnen,

einfache Muster abzeichnen, Formen aufeinander bauen und räumlich anordnen – das alles

kann genauso anstrengend sein wie Buchstaben in Linien zu schreiben.

Viele der Kinder, die Schwierigkeiten haben, Zahlen und Buchstaben richtig zu schreiben,

haben auch Probleme beim Malen und Zeichnen. Sie verfügen oft über ein schlechtes

Körperschema: Menschen haben Arme, die aus dem Bauch kommen, Beine, die zu kurz oder

zu lang sind, zu dick oder zu dünn. Man findet Strichmännchen und Tiere, die auf einfachste

Art gezeichnet werden.

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Dazu kommt die verkrampfte Schreibhaltung. Meine Erfahrung ist, dass sich die meisten

Kinder im Kindergarten eine falsche Stifthaltung angewöhnen. Da niemand sie berichtigt,

gewöhnen sie sich die falsche Stifthaltung an und bis zum Schuleintritt ist sie bereits

automatisiert. Es zeigt sich, dass es ganz schwer ist, Kinder „umzugewöhnen“. Bei den

meisten Kindern lässt sich das nicht mehr berichtigen, trotz einiger Bemühungen. So sieht

man bei Kindern häufig den Pfötchengriff, bei dem der Stift mit den Fingerspitzen des Zeige-,

Ring-, und Mittelfingers sowie dem breit angedrückten Daumen gefasst wird. Nicht selten

legen Kinder ihren Daumen über den Zeigefinger. Mitunter lässt sich auch ein Zangengriff

(Zeigefinger stark gebeugt) oder ein Scherengriff (Zeigefinger ausgestreckt) beobachten (vgl.

hierzu Rix 2001).

Wie bereits ausgeführt fühlen sich Kinder mit Lernschwierigkeiten oft nicht wohl. In ihrem

Verhalten ist häufig ein „Rückzug in ein Schneckenhaus“ zu beobachten oder aber das

Gegenteil, nämlich ein „Kasperverhalten“, also ein auffälliges, lautes, auch störendes

Verhalten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht in

folgenden Bereichen liegen:

• Bereich Lesen: im Zusammenziehen der Laute zu Wörtern (Synthetisch-analytische

Kompetenz)

• Bereich Schreiben: keine lesbaren Wörter und Sätze möglich (Phonematische

Bewusstheit)

• Bereich Rechnen: keine Mengenvorstellung und kein Zahlbegriff

• Graphomotorische Schwierigkeiten: Probleme im Schreiben von Zahlen und

Buchstaben, kein Spaß und Erfolg beim Malen und Zeichnen, verkrampfte

Schreibhaltung

• Konzentration und Aufmerksamkeit

2.4 Mögliche Ursachen der Lernschwierigkeiten

Die Ursachen für Lernschwierigkeiten herauszufinden ist m.E. die größte Herausforderung

überhaupt und es ist nur möglich, wenn sich verschiedene Kompetenzen in einer

interdisziplinären Zusammenarbeit treffen. Hier sollte die allgemeine Pädagogik von der

Heilpädagogik lernen, die schon früher und auch heute noch stets auf die Verzahnung von

Medizin und Pädagogik/ Psychologie hinweist. Bei Kindern mit einer Behinderung ist es

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selbstverständlicher, dass eine gute Erziehung nur geleistet werden kann, wenn auch immer

wieder eine medizinische Überprüfung stattfindet. Man spricht inzwischen von der

„therapeutischen Erziehung“ (vgl. Klein/Neuhäuser 2006) und meint damit, dass die

Verantwortung für das Kind von Arzt und Pädagoge gemeinsam getragen werden müssen.

Bei Kindern, die in einer Regelschule Schwierigkeiten aufweisen, wird oft zu lange gerätselt

und überlegt, was dahinter stecken könnte. Eltern verschließen gerne die Augen davor mit

dem Hinweis, selbst einmal so gewesen zu sein und der Hoffnung, dass es sich verwächst.

Das ist ein Fehler, denn die möglichen Ursachen können vielfältig sein.

Nach meinen Erfahrungen gibt es folgende Ursachen für Lernschwierigkeiten:

• Wahrnehmung: Visuelle und auditive Wahrnehmungsstörungen

• Sprache: Sprachentwicklungsstörungen oder schlechte Deutschkenntnisse (bei

Kindern mit anderer Muttersprache)

• Aufmerksamkeit und Konzentration: ADS, ADHS

• Soziales Umfeld: Probleme in der Familie, z.B. Trennung der Eltern, schlechte

Ernährungsgewohnheiten, schlechte Tagesstrukturen („Chaos“), etc.

Auf die Wahrnehmungsstörungen möchte ich näher eingehen, denn sie werden oft übersehen,

nicht ernst genommen oder nicht erkannt. Eine Problematik mit der Wahrnehmung kann jedes

Kind treffen, unabhängig vom Sozialstatus. Nach meinen Erfahrungen sind in jeder Klasse

Kinder mit solchen Störungen. Sie zu diagnostizieren ist sehr schwer und bedarf der

Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrern, Medizinern und Therapeuten.

2.4.1 Was ist „Wahrnehmung“?

„Das Wort Wahrnehmung kommt in der deutschen Sprache von dem althochdeutschen wara

neman (einer Sache Aufmerksamkeit schenken), im angloamerikanischen und romanischen

Sprachraum wird das Wort Perzeption (engl. und franz. perception) benutzt. Es leitet sich

vom lateinischen percipere (merken, auffassen, begreifen, lernen) ab (Rosenkötter 2003, 34).

Viele Berufsgruppen beschäftigen sich mit den Begriffen „Wahrnehmung“ und

„Wahrnehmungsstörungen“. Diagnosen werden gestellt und interpretiert. Als Nichtneurologe

ist es jedoch schwierig, die Komplexität der Wahrnehmungsprozesse zu verstehen. Es gibt

auch keine einheitliche Definition , wie z. B. bei LRS. Die Internationale Klassifikation von

Krankheiten (ICD) kennt nur – wie oben dargestellt – allgemeine Lernstörungen.

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„Unter Wahrnehmung ist der Prozess der Reizaufnahme durch ein Sinnesorgan, die

Weiterleitung zum zentralen Nervensystem und die Verarbeitung bis hin zur Bedeutung, zum

Sinn des Eindrucks zu verstehen. Im Sinne eines „sensomotorischen Regelkreises“ reagiert

der Mensch auf Wahrnehmungsreize, indem er greift, spricht, hingeht, wegläuft usw.

Wahrnehmung selbst und ihre Störungen sind nicht sichtbar. Vielmehr interpretieren wir die

Reaktion, die produktiven Leistungen.“ (Luckfiel/Braun 2004, 65).

Zu den Sinnesfunktionen zählt man traditionsgemäß das Hören, das Sehen, das Riechen, das

Schmecken und das Fühlen. Diese Liste ist aber unvollständig und man erkannte immer mehr,

dass der Mensch über Sinnessysteme verfügt. Jean Ayres, amerikanische Psychologin und

Ergotherapeutin prägte den Begriff der Sensorischen Integration. Nicht nur über die Ohren,

die Augen, die Nase, die Zunge und die Haut fließen uns Informationen zu, sondern auch über

die Bewegung, die Schwerkraft und die Körperstellung. So sprach sie fortan von:

• dem Auditiven System (Hören)

• dem Visuellen System (Sehen)

• dem Vestibulären System (Schwerkraft und Bewegung: Gleichgewicht)

• dem Propriozeptiven System (Muskeln und Gelenke: Tiefensensibilität,

Eigenwahrnehmung)

• dem Taktilen System (Berührung und Tastsinn)

Für jede Handlung benötigen wir eine gute Integration der Sinneswahrnehmungen und ihrer

Verarbeitung im ZNS. Nur bei einem Zusammenspiel kann eine geplante, zielgerichtete

Handlung erfolgen.

Die taktile Wahrnehmung, die Eigenwahrnehmung und das Gleichgewicht sind die basalen

Sinnessysteme (Nah-Sinne). Sie sind eine Voraussetzung für eine gute Wahrnehmung über

die Fern-Sinne, das Hören und Sehen (vgl. Luckfiel/ Braun, 66).

Bis ein Kind die Schule besucht, hat es viele Kompetenzen in allen Wahrnehmungsbreichen

erworben. Jetzt werden die Fern-Sinne besonders wichtig, nämlich beim Lesen und

Schreiben.

2.4.2 Auditive Wahrnehmungsstörungen

Ein bislang den HNO-Ärzten und Logopäden vorbehaltenes Thema sind die auditiven

Wahrnehmungsstörungen. Ein gut verständliches Buch zu diesem Thema liegt nun von

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Dr. Henning Rosenkötter vor. Er ist Kinderarzt, Entwicklungsneurologe, Familientherapeut

und Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums im Klinikum Ludwigsburg und hat sich in

seinem Buch zum Ziel gesetzt, „den augenblicklichen Kenntnisstand einer pragmatischen

Diagnostik und Therapie zusammen(zu)fassen“ (Rosenkötter 2003, 9).

„Die auditive Wahrnehmung ist nicht das Hören an sich, sondern ein Prozess der Erfassung

des Gehörten und seiner Verarbeitung durch das Gehirn. Physiologisch gesehen werden

akustische Signale umgewandelt und als Nervenimpuls fortgeleitet. An der Verarbeitung,

Wahrnehmung und Verwertung nehmen seriale, parallele und verteilte neuronale Netzwerke

teil (Ptok et al., 2000). Auditive Wahrnehmung ist die Erfassung, die Weiterleitung, die

Verarbeitung und die Bewertung von auditiven Informationen“ (Rosenkötter 2003, 34f).

Welche Funktionen umfasst nun die auditive Wahrnehmung?

Die American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) (1996) umfasst folgende

Bereiche (nach Rosenkötter a.a.O., 35ff):

• Geräuschlokalisation und Seitenzuordnung: Ist die Geräuschquelle links oder rechts?

Ist das Geräusch zuerst auf dem linken oder rechten Ohr zu hören? Wo ist die

Schallquelle im Raum? (Richtungshören); dichotisches Hören: unterschiedliche

Geräusche oder Worte können erkannt werden, die getrennt, aber gleichzeitig beiden

Ohren präsentiert werden;

• Lautheitsemfindung: Lautstärkeunterscheidung (zwei unterschiedliche laute Töne

können differenziert werden) und Unbehaglichkeitsschwelle (wann ist ein Ton

unangenehm?)

• Lautdiskrimination: Fähigkeit, ähnlich klingende Geräusche oder Phoneme zu

unterscheiden (Wahrnehmungstrennschärfe, Lautunterscheidung); hieraus ergibt sich

der für das Lesen und Schreiben wichtige Bereich der Phonologischen Bewusstheit,

der im weiteren Sinn die Wahrnehmung auf der Ebene von Silben, Signalgruppen,

Reimen und Wörtern umfasst. Hier geht die Wahrnehmung in das Sprachverständnis

über.

• Lautmustererkennung: Rhythmus (Erkennen bestimmter aufeinanderfolgender Ton-

und Zeiteinheiten) und Tonhöhenunterscheidung

• Zeitliche Verarbeitung: von Tönen, Geräuschen und Sprache

• Unterscheidung konkurrierender Signale: Störschall-Nutzschall-Filterfähigkeit

(Unterdrückung störender Geräusche)

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• Erkennung unvollständiger, veränderter oder abgeschwächter akustischer Signale: Wir

sind in der Lage, auch unvollständige Klangstrukturen in der Sprache zu erkennen.

Sind mehr als eine der beschriebenen Funktionen außerhalb des Normbereiches, so kann man

von einer auditiven Wahrnehmungsstörung sprechen (vgl. Rosenkötter 2003, 78).

2.4.3 Visuelle Wahrnehmungsstörungen

Was die visuelle Wahrnehmung betrifft, so ist die Forschung und Arbeit von Marianne

Frostig wohl am herausragendsten. Sie entwickelte bereits 1972 im Frostig-Center of

Educational Therapy in Los Angelos einen umfassenden Test zu Untersuchung der visuellen

Wahrnehmungsfähigkeit. Der Test wird auch heute noch von den meisten Ergotherapeuten

und Psychologen zur Überprüfung verwendet. Außerdem entwickelte sie für Pädagogen ein

umfassendes Übungsprogramm zur Förderung der visuellen Wahrnehmung.

Welches sind nun die visuellen Wahrnehmungsbereiche?

Nach Frostig umfasst die visuelle Wahrnehmung fünf Bereiche:

1. Visumotorische Koordination: Fähigkeit, das Sehen mit den Bewegungen des

Körpers zu koordinieren; Bspl: Ballspielen, schreiben, etc. Koordination von Augen

und Motorik;

2. Figur-Grund-Wahrnehmung: Wir erkennen die Gegenstände am klarsten, auf die

wir unsere Aufmerksamkeit richten. Aus der Gesamtheit von einströmenden Reizen

kann eine begrenzte Zahl ausgewählt werden (= Figur). Bspl.: Beim Ballspielen ist die

Aufmerksamkeit auf den Ball (Figur) gerichtet. Die Hintergrundgeräusche bilden den

nur ungenau wahrgenommen Grund. Ein Kind mit einer schlechten Figur-Grund-

Wahrnehmung zeigt ein unorganisiertes Verhalten. Beim Rechnen und Schreiben ist

hier oft das überfüllte Blatt eine Überforderung.

3. Wahrnehmungskonstanz: Das ist die Fähigkeit, Eigenschaften eines Gegenstandes

wie seine Form, Lage oder Größe trotz unterschiedlichen Netzhautbildes unverändert

wahrzunehmen. Bspl: Jemand mit einer guten Wahrnehmungskonstanz kann einen

Würfel auch unter schrägem Blickwinkel erkennen. Ein Junge, der Fußball spielt, wird

den Ball erkennen, obwohl er weit von ihm entfernt ist. Ein weißes Blatt Papier wird

als solches wahrgenommen, auch wenn es im Dunkeln liegt. Formen (Dreieck,

Viereck,...) können erkannt werden, obwohl sie unterschiedlich groß sind. Wörter

können erkannt werden, auch wenn sie in unterschiedlichen Schriftarten gedruckt sind.

15

4. Wahrnehmung der Raumlage: Eine Person ist immer das Zentrum der eigenen Welt

und nimmt Gegenstände als hinter, vor, über sich und seitlich von sich wahr. Ein

Kind, das Schwierigkeiten hat, die richtige Lage eines Gegenstandes im Bezug zu sich

selbst zu erkennen, wird auch Buchstaben und Zahlen verdrehen.

5. Wahrnehmung räumlicher Beziehung: Die Aufmerksamkeit wird auf mehrere Teile

gerichtet und diese werden zueinander in eine räumliche Beziehung gesetzt. Gemeint

ist also die Fähigkeit, zwei oder mehrere Gegenstände in Bezug zu sich selbst

wahrzunehmen. Die Wahrnehmung räumlicher Beziehungen hat Einfluss auf die

mathematischen Fähigkeiten.

Die visuelle Wahrnehmung entwickelt sich am stärksten im Alter von 3-7 Jahren.

Wenn ein Kind mit 6 Jahren in die Schule kommt, hat es normalerweise eine gute visuelle

Wahrnehmungskompetenz entwickelt. Ist dies nicht der Fall, wirkt sich das beim Erlernen des

Lesens, Schreibens und Rechnens aus. Marianne Frostig plädiert deshalb dafür, die visuelle

Wahrnehmungsfähigkeit durchaus auch vorbeugend zu schulen:

„ Es wurde ...darauf hingewiesen, dass Kinder oft, aber keineswegs immer aus ihren

Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung herauszuwachsen scheinen, wenn sie älter werden. Es

stimmt, dass Kinder häufig lernen, ihre Wahrnehmungsstörungen zu kompensieren. Aber es

darf nicht vergessen werden, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt unter beträchtlichem Stress

standen, unter Versagen und Hemmnissen zu leiden hatten und ihre Energie für

Kompensationsleistungen verwenden mussten, was ihre Einstellung zum Lernen auf Dauer

beeinträchtigt haben kann. Es ist weit besser und sicherer, Übungen zur Vorbeugung

durchzuführen, als zu hoffen, daß von selbst eine Besserung eintreten würde“ (Frostig, 8).

2.5 Lernschwierigkeiten am Schulanfang testen?

In der bildungspolitischen Diskussion hat die PISA-Studie im Jahr 2000 vieles verändert und

ausgelöst. PISA hat gezeigt, dass die auf dem schulischen Bildungssektor erfolgreichen

Länder eine qualifizierte Vorschulpädagogik aufweisen. In Finnland beispielsweise besuchen

alle sechsjährigen Kinder eine Vorschule, in der sie wichtige Grundvoraussetzungen für das

Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen. Erst mit 7 Jahren beginnt die richtige Schulzeit, die

völlig anders strukturiert ist als in Deutschland.

Seither sind Tests und Frühförderprogramme für den Vorschulbereich und den Beginn der

Schulzeit mehr in den Mittelpunkt gerückt. Sie haben zum Ziel, „Risikokinder“, also Kinder,

die voraussichtlich Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen haben werden, früh zu

16

erkennen und zu fördern. Auch schon vor PISA wurden solche Verfahren erarbeitet. Die

Ergebnisse der Pisa-Studie gaben diesen Autoren recht.

2.5.1 Das Bielefelder Screening BISC

Ein zentrales und bekanntes Diagnoseverfahren ist das Bielefelder Sreening (Jansen,

Mannhaupt, Marx u. Skowronek, 1. Auflage 1999, 2. überarbeitete Auflage 2002), kurz BISC,

das zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten zu Beginn oder zur Mitte

des letzten Vorschuljahres empfohlen wird. Es handelt sich um ein Einzeltestverfahren und

basiert auf der Annahme, dass vier kognitive Komponenten am frühen Lese- und

Schreiblernprozess beteiligt sind. Diese sind die Phonlogische Bewusstheit, das

Kurzzeitgedächtnis, das Langzeitgedächtnis sowie die visuelle Aufmerksamkeit (vgl.

Mannhaupt 2006). Die Teilaufgaben sind mit dem Kind in 20-25 Minuten zu bewältigen. Mit

dem BISC konnten vorschulisch schon ca. 77 % der Risikokinder im 2. Schuljahr

vorhergesagt werden (vgl. Martschinke u.a. 2002, 13 und Mannhaupt 2006, 7).

Diese ermutigenden Erfahrungen aus dem Kindergarten sollten nun weiterentwickelt werden

für den Beginn des schulischen Schriftspracherwerbs. „ Eine Möglichkeit wäre gewesen, für

das BIELEFELDER SRCEENING Normen zu Beginn der ersten Klasse zu erheben. So

stünde mit relativ wenig Aufwand ein solches Verfahren zur Verfügung. Für den Einsatz in

der Grundschule hätte dieses Verfahren jedoch einen relativ großen Nachteil: Die Lehrkraft

einer Klasse müsste alle ihre Kinder in einzelnen Sitzungen von ca. 40 Minuten mit dem

BIELEFELDER SREENING untersuchen. Erfolgversprechender erschien es dagegen, ein

Gruppenverfahren zu entwickeln, mit dem zwar nicht die ganze Klasse, aber mehrere Kinder

zum gleichen Zeitpunkt untersucht werden können“ (Mannhaupt 2006, 8). So wurde analog

zum BISC das MÜNSTRANER SREENING entworfen mit dem Ziel, mehrere Kinder in

einer Sitzung untersuchen zu können und Normen für den Beginn der ersten Klasse

bereitzustellen.

In diesem Wissen um die Analogie des MÜSC zum BISC werde ich im Folgenden nur eines

der beiden Verfahren genauer beschreiben. Da das MÜSC in Frankfurt für die Lehrer und

Lehrerinnen in den Schuleingangsklassen der staatlichen Schulen zum Schuljahr 2006/2007

verbindlich geworden ist, werde ich dieses Verfahren in 2.4.5 ausführlicher beschreiben.

2.5.2 Der Rundgang durch Hörhausen

Ein weiteres schon länger bekanntes Diagnoseinstrument ist das Nürnberger

Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit, Rundgang durch Hörhausen (Band 1)

17

von Sabine Martschinke, Eva-Maria Kirschhock und Angela Frank (2001). Es kann bei

Vorschulkindern oder vom ersten Schultag an eingesetzt werden. Der Test ist ausdrücklich für

die Hand des Lehrers gedacht. Es handelt sich um zehn Aufgaben, die in einen kindgemäßen

Rahmen gesetzt sind, nämlich den Ort Hörhausen. Der Weg durch Hörhausen beginnt mit

einem Besuch im Zoo, bei dem das Kind Tiernamen in Silben segmentieren soll (1).

Anschließend werden Silben zu Fantasie-Tiernamen zusammengesetzt, z.B. Zie-mel und Ka-

ge, von Ziege und Kamel (2). Es geht weiter zu einem Spielplatz, bei dem Wörter in ihre

Laute zerlegt werden. Das Kind legt für jeden Laut einen Stein (3). Am Bahnhof von

Hörhausen steht ein Zug, der Steine geladen hat. Jeder Stein steht für einen Laut. Der Zug

fährt durch einen Tunnel und es ergeben sich Kunstwörter ( z.B. I-K-E – IKE). Der Zug fährt

auch rückwärts (4). An der Post schreibt das Kind seinen Namen auf einen Briefumschlag (5).

Auf einem Papier kann es weitere Wörter schreiben, z.B. Oma, Opa (6). Dann geht es zu den

Wohnhäusern. In ein Haus mit drei Fenstern sollen Wörter mit gleichem Anlaut einziehen (7).

In das nächste Haus ziehen Wörter ein, die den gleichen Endlaut haben (8). Schließlich wird

ein Wohnhaus mit Wörtern bestückt, die sich reimen (9). Am Ortsende steht ein

Hexenhäuschen. Das Kind nennt alle Buchstaben, die es auf einer Tafel erkennt. Dann wird

das Hexenhäuschen mit Hilfe eines Zauberspruches aufgeschlossen (10).

Die Autoren empfehlen den Lehrern, den Rundgang durch Hörhausen mit denjenigen Kindern

durchzuführen, die bei Klatsch-, Silben- oder Reimspielen in den ersten Schultagen auffallen.

Kinder, deren Punktezahl dann im Bereich der unteren 20% der Vergleichsstichprobe liegt,

sollten entsprechend gefördert werden (Martschinke u.a. 2001, 39). Die Erstellung von

Fördermaßnahmen für die Risikokinder können Lehrer dem Band 2 entnehmen, der den Titel

„Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi“ (Maria Forster/ Sabine Matschinke)

trägt (s. 3.1.2).

2.5.3 Die Differenzierungsproben von Breuer und Weuffen (DP 0, DP 1, DP 2)

Ein ebenso schon länger und vor allem in sonderpädagogischen Kreisen bekanntes Verfahren

ist die Differenzierungsprobe von Helmut Breuer und Maria Weuffen (7. Auflage 2006). Es

ist ein Diagnoseverfahren, das die lautsprachlichen Voraussetzungen zum Schulerfolg testen

soll. Es handelt sich um ein Einzelverfahren, das in drei Varianten vorliegt: Die

Differenzierungsprobe für Vier- bis Fünfjährige (DP 0), die Differenzierungsprobe für Fünf-

bis Sechsjährige und für Schüler mit Lernschwierigkeiten (DP 1) und die

Differenzierungsprobe für Sechs- bis Siebenjährige bzw. für Schüler mit beständigen

Lernschwierigkeiten (DP 2). Lautsprachliche Voraussetzungen sind nach Breuer und Weuffen

18

sogenannte „Sprachwahrnehmungsleistungen“. Sie bilden die „unersetzbare Grundlage für

das Sprechen-, Schreiben- und Lesenlernen.... .... Es sind dies die

• optisch-graphomotorische,

• die phonematisch-akustische,

• die kinästhetisch-artikulatorische,

• die melodisch-intonatorische,

• die rhythmisch-strukturierende

Differenzierungsfähigkeit“ (Breuer/Weuffen 2006, 27f). Diesen Bereichen sind folgende

Aufgaben zugeordnet (Schwierigkeitsgrad von DP 0 – DP2 gesteigert):

• Den Buchstaben ähnliche Zeichen müssen abgemalt werden.

• Aus zwei klangähnlichen Begriffen muss der vorgesprochene Begriff dem richtigen

Bild zugeordnet werden (z.B. Topf – Kopf).

• Das Kind muss Wörter nachsprechen, die schwer zu artikulieren sind (z.B.

Schellfischflosse, Aluminium, Postkutsche).

• Das Kinderlied „Alle meine Entchen“ soll ohne Melodieabweichungen vorgesungen

werden. Es können auch zwei kurze Tonfolgen miteinander verglichen werden.

• Die Kinder müssen einen vorgeklatschten Takt nachklatschen.

Außer den Differenzierungsproben liegt von Breuer und Weuffen auch ein Kurzverfahren zur

Einschätzung des lautsprachlichen Niveaus Fünf- bis Sechsjähriger (KVS I) und Sechs- bis

Siebenjähriger (KVII) vor. Geprüft werden die Artikulation, der Wortschatz und das

Sprachgedächtnis und Sprachverstehen. Das Kind muss Sätze nachsprechen und bei der

Wortschatzprüfung Kleidungsstücke benennen. Beim Sprachverstehen soll es bestimmte

Handlungen nach verbaler Instruktion ausführen.

2.5.4 Die diagnostischen Einschätzskalen (DES)

Die diagnostischen Einschätzskalen (DES) von Karlheinz Barth (1998) sind „kein Test im

herkömmlichen Sinne, sondern eine Diagnosehilfe zur Feststellung der Lernausgangslage des

Kindes. Sie können im letzten Kindergartenjahr vor der Einschulung, bzw. zu Beginn des

schulischen Erstunterrichts angewandt werden“ (Barth 1998, 1). Dieses Sreening-Verfahren

ist somit für die Hände der Fachkräfte im Kindergarten, der Vorschule, der Grundschule, aber

auch der Förderschulen gedacht. Karlheinz Barth geht es vornehmlich darum, Lernschwächen

möglichst früh zu erkennen und in seinen Ausführungen stehen die Vorschule und die ersten

beiden Grundschuljahre stets im Mittelpunkt (vgl. Barth 2006, 5. Aufl.).

19

Den DES liegt ein integrativer Ansatz zugrunde, was in diesem Fall heißt, dass eine gute

Entwicklungsdiagnostik ganzheitlich orientiert sein sollte und somit alle wesentlichen

Entwicklungsbereiche berücksichtigen muss. Der sensorischen Integration von Jean Ayres

kommt eine große Beachtung zu (vgl. Barth 1998, 1). In seinem Buch „Lernschwächen früh

erkennen“ (2006) beschreibt Barth nicht nur die Entwicklungsauffälligkeiten im Bereich der

Wahrnehmung, sondern er führt deren Bedeutung für die Früherkennung von Lese-/

Rechtschreibschwierigkeiten und von mathematischen Lernschwierigkeiten aus.

Rechenschwächen werden in vielen Tests und Förderprogrammen m.E. noch nicht genügend

berücksichtigt.

Dementsprechend ausführlich und zeitaufwendig fallen die DES aus: Für deren

Durchführung werden ca. 1,5 bis 2 Stunden benötigt. Je nach Ausdauer und Belastbarkeit des

Kindes können die Aufgaben aber auf mehrere Tage innerhalb von 3-4 Wochen verteilt

werden.

Die DES umfassen 19 Aufgabenbereiche:

1. Lateralität: Händigkeit, Präferenzdominanz

2. Grobmotorik: Gleichgewichtswahrnehmung und Körperkoordination

3. Feinmotorik: Finger- und Handgeschicklichkeit, visumotorische Koordination und

Graphomotorik

4. Augenmotorik: Augenmuskelkontrolle

5. Auditives Kurzzeitgedächtnis: Rhythmus erfassen

6. Taktile Wahrnehmung: Berührungs- und Tastwahrnehmung

7. Kinästhetische Wahrnehmung: Muskel- und Bewegungswahrnehmung

8. Körperschema, Körperorientierung

9. Gestalt-Form-Auffassung: Visuelles Gedächtnis, visuelles Operieren

10. Phonologische Bewusstheit: Lautanalyse, Lautsynthese, Silbensegmentierung,

Reimpaare erkennen

11. Mengenerfassung

12. Phonematische Diskriminationsfähigkeit: Lautdifferenzierung

13. Optische Differenzierungsfähigkeit: Visuelle Aufmerksamkeitsspanne

14. Visuelle Figur-Grund-Erfassung

15. Lautbildungsfähigkeit

16. Visuelles Gedächtnis, Symbolfolgegedächtnis

17. Sprachgedächtnis, auditive Merkfähigkeit

18. Handlungsplanung, Sequenzgedächtnis, Sprachverständnis

20

19. Visuelles Operieren: Reihenbildung, Größenzuordnung, Erhaltung einer Zahl

Zu vielen Aufgaben gibt es Arbeitsblätter oder Bildvorlagen. Bei manchen muss Material wie

Holzstäbchen bereitgestellt werden. Alle Entwicklungsbereiche werden auf einer fünfstufigen

Skala beurteilt. Alles zusammen wird in einen Entwicklungsprofilbogen eingetragen, der von

ausgesprochen guten Fähigkeiten bis starken Auffälligkeiten reicht.

2.5.5 Das Münsteraner Screening (MÜSC)

Ziel des Münsteraner Sreenings ist es, in den ersten fünf Wochen der ersten Klasse alle

Kinder ökonomisch daraufhin zu untersuchen, ob sie die notwendigen Voraussetzungen für

den Schriftspracherwerb mitbringen.

Das Münsteraner Sreening basiert auf zwei Säulen:

• Säule 1: ist die phonologische Bewusstheit mit den Aufgabenfeldern Reime, Laute

assoziieren, Laut-Wort-Zuordnung und Silben segmentieren.

• Säule 2: ist die Aufmerksamkeit mit dem Aufgabenfeld Wortvergleich-Suchaufgabe

(visuelle Aufmerksamkeit) und das Gedächtnis mit den Aufgabenfeldern Farben

ankreuzen: schwarz-weiß Objekte und Farben ankreuzen: farbig inkongruente Objekte

(Abruf aus dem Langzeitgedächtnis) sowie Wörterreihenfolgen (Verbales

Kurzzeitgedächtnis).

Das Kind muss somit acht verschiedene Aufgaben bewältigen. Hierzu erhält es ein teilweise

bunt gestaltetes Testheft, das in zwei Versionen (A und B) vorliegt. Die Gruppengröße sollte

acht Kinder nicht übersteigen.

Alle Testaufgaben enthalten eine Übungsphase. Die Übungsaufgaben liegen für den Lehrer

oder die Lehrerin als Folien vor und werden mit Hilfe des Overheadprojektors erläutert. Das

Kind kann die Übungsaufgaben in seinem Testheft mitmachen. Aufgabe 3 ist eine

Übungsaufgabe und fließt nicht in die Wertung ein (dadurch sind es insgesamt 9 Aufgaben).

Die Netto-Test-Zeit (= reine Testzeit; Erklärungszeit kommt hinzu) beträgt ca. 40 Minuten.

Nach den ersten fünf Aufgaben, also etwa in der Hälfte der Zeit, ist eine 20-minütige Pause

einzulegen.

Im Folgenden werden die Aufgaben in der Reihenfolge des Testheftes beschrieben:

1. Reime (R): Der Testleiter sagt ein Wort (z.B. Fisch). Unter drei Bildern muss das

Kind das passende Reimwort ankreuzen (Tisch). Zehn Reimwörter sind zu finden,

jeweils im Abstand von 15 Sekunden.

21

2. Wörter-Reihenfolge (WR): Der Testleiter sagt eine Wörter-Reihenfolge (z.B. Mond,

Dach, Tisch). Unter drei Bildreihen muss das Kind die richtige Reihe ankreuzen. Nach

fünf Dreiwort-Reihen folgen fünf Vierwortreihen. Der zeitliche Abstand beträgt

wieder 15 Sekunden, die Wörter dürfen nur einmal gesagt werden.

3. Farben ankreuzen: Wissen (FAW): Das Kind sieht eine Zitrone, eine Pflaume, eine

Tomate oder einen Salat (schwarz-weiß). Hinter jedem Gemüse oder Obst befinden

sich vier Farbpunkte. Die richtige Farbe muss angekreuzt werden. Für sechs Aufgaben

erhält das Kind 10 Sekunden Zeit.

4. Farben ankreuzen: farbig inkongruente Objekte (FA 1): Die Obst- und

Gemüsesorten sind in der falschen Farbe abgebildet. Das Kind muss unter vier

Farbpunkten jeweils die richtige Farbe ankreuzen. Es gibt 30 Sekunden Zeit. Das Kind

kreuzt in 22 Aufgaben so viele Farben an, wie es in dieser Zeit schafft (s. Abb.1).

5. Farben ankreuzen: schwarz-weiß Objekte (FA 2): Dies ist die gleiche Aufgabe wie

bei FAW (s.o.), die sozusagen eine Übung war und nicht in die Wertung einfließt. Es

gibt wieder 22 Aufgaben und 30 Sekunden Zeit.

Abb. 1: Farben ankreuzen: farbig inkongruente Objekte

Hier ist Teil 1 des Testes zu Ende. Der zeitliche Abstand zur Durchführung von Teil 2

sollte mindestens 20 Minuten sein, höchstens jedoch ein Tag.

6. Laute assoziieren (LA): Der Testleiter spricht ein Zielwort getrennt vor (z.B. BU-

CH). Das Kind muss das richtige Wort assoziieren und es unter vier Bildern

ankreuzen. Das Zielwort wird nur einmal vorgesprochen.

22

7. Silben segmentieren (SS): Das Kind sieht ein Bild (z.B. Leiter) und muss in das leere

Feld daneben die Silbenbogen einzeichnen. Die Wörter werden vom Testleiter normal

vorgesprochen. Zwischen den Wörtern liegen 15 Sekunden Zeit.

8. Laut-Wort-Zuordnung (LWZ): Der Testleiter sagt einen Laut, z.B. AU. Unter drei

Bildern muss das Kind dasjenige ankreuzen, das diesen Anlaut hat.

9. Wort-Vergleich-Suchaufgabe (WVS): In jeder Reihe steht vorne ein Wort. Unter

vier folgenden Wörtern muss das Kind das gleiche Wort erkennen und ankreuzen.

Nach einer Minute wird gestoppt und bei jedem Kind ein Kreuz an die Seite gemacht.

Dann gibt es noch einmal eine Minute Zeit. Insgesamt werden 12 Aufgaben

angeboten.

Das MÜSC geht von der Annahme aus, dass Kinder „moderate Schwächen in einigen

Voraussetzungen durch den Einsatz ihrer Stärken kompensieren können“ (Mannhaupt 2006,

12). Beim Münsteraner Sreening gibt es eine Schwelle, bei deren Überschreitung von einem

Risiko in der Entwicklung ausgegangen werden muss. Diese liegt zwischen zwei und drei

nicht altersgemäß bewältigten Aufgaben. Zeigt ein Kind bei drei oder mehr Aufgaben

Schwierigkeiten, muss davon ausgegangen werden, dass ein Förderbedarf vorliegt.

Mit Hilfe des Auswertungsbogens werden für jedes Kind Risikopunkte ermittelt. Bei drei und

mehr Risikopunkten ist eine Förderung angezeigt.

Passend zum MÜSC hat Dr. Gerd Mannhaupt das Münsteraner Trainingsprogramm MÜT

entwickelt, das über 16 Wochen in der Schule mit täglich 10-15 Minuten durchgeführt werden

kann. Es wird unter 3.1.3 näher beschrieben.

2.5.6 Persönliche Bewertung der Tests

Von den vorgestellten Test gehören das BISC und das MÜSC zu den sog. standardisierten,

klassischen Tests. Der Begriff „Standardisierung“ ist ein Oberbegriff für die Gütekriterien

Objektivität (die Ergebnisse sind unabhängig vom Testsleiter), Reliabilität (Zuverlässigkeit:

Grad der Genauigkeit, mit dem ein Test misst) und Validität (Gültigkeit: Grad der

Genauigkeit, mit dem der Test das Merkmal misst, das er zu messen vorgibt). Unter einem

standardisierten Test wird also verstanden, „dass eine einheitliche Testsituation gegeben ist,

dass hinreichende Reliabilitäts- und Validitätsuntersuchungen vorliegen, die Gütekriterien

also in befriedigendem Maße gewährleistet sind“ (Bundschuh 1984, 93f). Die Probanden, in

diesem Fall also die Vorschulkinder und Erstklässler, die den Tests unterzogen werden,

werden in den gemessenen Merkmalen mit einer repräsentativen Bezugsgruppe verglichen.

23

Die Position der Probanden ergibt sich dann aus der relativen Abweichung vom Mittelwert

(vgl. Bundschuh 1985, 24ff).

Sowohl das BISC als auch das MÜSC sind auf dem Hintergrund einer angemessen langen

Testentwicklungsphase entstanden und unterliegen den Gütekriterien. Der Ausgangspunkt für

das MÜSC stellte das BISC dar (vgl. Mannhaupt 2006).

Die Aufgaben beider Verfahren sind ansprechend gestaltet. Der Aspekt, dass der Test auch

Spaß machen sollte, spielte bei den Autoren sicherlich eine große Rolle. So eröffnet der

Lehrer seinen Kindern den Test mit den Worten: „Ich möchte mit euch heute ein paar Spiele

und Rätsel machen.“ Die Aufgaben des BISC und des MÜSC sind in ihrer Grundstruktur

gleich. Sie unterscheiden sich lediglich in zwei Punkten: Beim BISC sollen bei der Prüfung

des verbalen Kurzzeitgedächtnisses Pseudowörter nachgesprochen werden, während beim

MÜSC darauf verzichtet wird. Stattdessen sollen sich die Kinder Wörter-Reihenfolgen

merken und sie aus drei Auswahlzeilen richtig ankreuzen. Ein zweiter Unterschied betrifft den

Abruf aus dem Langzeitgedächtnis und die Aufgabe mit den schwarz-weiß-Objekten. Im

BISC sollen sie schnell benannt werden, im MÜSC muss die richtige Farbe, z.B. für die

Zitrone schnell aus vier Farbpunkten angekreuzt werden (vgl. Mannhaupt 2005).

Bislang konnte ich noch keine Erfahrungen mit den beiden Verfahren sammeln. Meiner

Ansicht nach sollten standardisierte Verfahren jedoch nur durchgeführt werden, wenn sie

unbedingt erforderlich sind. In sonderpädagogischen Gutachten beispielsweise ist ein

objektives Ergebnis unerlässlich, sonst könnte ein Kind in der Gefahr stehen, aufgrund

subjektiver Einschätzungen eines Lehrers in eine bestimmte Schullaufbahn gepresst zu

werden.

Die Vorgehensweise, Kinder grundsätzlich und vorbeugend Tests zu unterziehen, wie das in

Frankfurter Schulen jetzt praktiziert wird, kann ich nicht unterstützen. Meines Erachtens hat

ein Lehrer oder eine Lehrerin in den ersten Wochen des ersten Schuljahres schon eine sichere

Ahnung, welche Kinder mit dem Rechnen, Lesen und Schreiben Probleme haben werden.

Diesen Kindern (aber auch den anderen!) wird ein Trainingsprogramm wie das MÜT in

jedem Fall gut tun. Ob man den Test bei auffälligen Schülern davorschaltet, müsste m.E. eine

Entscheidung des Lehrers und der Eltern sein. Dabei sollte man bedenken, dass ein Test eine

künstliche Situation erzeugt. Der Lehrer muss die Sätze wörtlich ablesen, um der Objektivität

gerecht zu werden. Er muss auf die Stoppuhr schauen und das Kind unterbrechen. Das ist

nicht die Lehr- und Lernsituation, die ein Kind gewohnt ist und in der es sich geborgen fühlt.

Und gerade diejenigen Kinder müssen mit der Situation umgehen, die sich schwer tun.

24

In einem Interview berichtete mir eine Lehrerin unserer Schule von ihren Erfahrungen mit

dem MÜSC, das sie zu Beginn des Schuljahres 2006/2007 in ihrer ersten Klasse durchführte.

Das erste Problem war die 20-minütige Pause zwischen dem ersten und zweiten Teil, die

organisatorisch nicht einzuhalten war. Die „Brutto-Arbeitszeit“ des Tests betrug durch die

Erklärungen wesentlich länger als geplant. Viele Kinder hatten mehrfach Verständnisfragen

gestellt. Den zweiten Teil führte sie deshalb einen Tag später durch.

Die Aufgabe Reime machte den Kindern am meisten Spaß. Bei den Wörter-Reihenfolgen war

die hohe Konzentration zu spüren, die für die Aufgabe erforderlich war. Die nächsten beiden

Aufgaben, Farben ankreuzen (FA 1 und FA 2), erzeugten wohl am meisten Stress bei den

Kindern. Die übrigen Aufgaben, Laute assoziieren, Silben segmentieren und Laut-Wort-

Zuordnung, wurden wieder stressfreier erlebt. Während des Test begannen ein Junge und ein

Mädchen zu weinen. Der Junge hatte keinen Risikopunkt und war auch der Lehrerin nicht

auffällig. Die Testsituation bereitete ihm jedoch großen Stress, weil er meinte, dass er nicht

gut abschneiden würde. Auch das Mädchen hatte keinen Risikopunkt und sie war bis zum

Testdatum nicht auffällig. Nach dem ersten Schuljahr jedoch hat sich herausgestellt, dass sie

enorme Schwierigkeiten im Erlernen des Schriftspracherwerbs bekam: Somit hat das MÜSC

die verborgenen Probleme des Mädchens nicht erfasst.

Bei zwei Kindern hat sich die Vermutung der Lehrerin bestätigt, dass Auffälligkeiten

vorliegen. Eines der beiden Kinder hatte drei Risikopunkte, das andere allerdings nur einen.

Ein weiteres interessantes Ergebnis war bei einem Mädchen zu beobachten, das zwei

Risikopunkte hatte. Sie war bis zur Weihnachtszeit sehr auffällig. Nach den Ferien jedoch tat

sie einen enormen Entwicklungsschritt und lernte in kurzer Zeit lesen und schreiben.

Als ein zusammenfassendes Ergebnis kann man sagen, dass die Durchführung des MÜSC

eine Bestätigung für die Vermutungen des Lehrers sein kann, welche Kinder eine besondere

Förderung brauchen. Gleichzeitig aber gibt es Kinder, die nicht durch das MÜSC als

Risikokinder entdeckt werden, nach einem Schuljahr aber zu dieser Gruppe gehören. Und:

Es gibt Kinder, die die Testsituation nicht gut verkraften.

Abschließend möchte ich zu den beiden normierten Test festhalten, dass es m.E. ein großer

Fortschritt ist, dass nicht nur die phonologische Bewusstheit getestet wird, sondern auch das

Kurz- und Langzeitgedächtnis sowie die visuelle Aufmerksamkeit. Die Testhefte sind

ansprechend, bunt und spielerisch. Das ist ebenfalls ein Vorteil. Positiv ist m. E. auch, dass im

MÜSC von Pseudowörtern abgesehen wird. Pseudowörter gibt es in vielen Tests und

Förderprogrammen. Meine Erfahrung damit ist, dass Kinder oft nicht damit zurechtkommen,

25

weil Sprache hier keinen Sinn ergibt. Was ich beim MÜSC als nicht gelungen ansehen würde,

ist die Aufgabe „Farben ankreuzen: farbig inkongruente Objekte“. Ich persönlich finde es sehr

verwirrend, wenn ich einen gelben Salat sehe und die Farbe grün mit den Augen suchen muss

– und das bei 22 Aufgaben! Und danach noch mal 22 Aufgaben, bei denen man dann

umdenken muss (Farben ankreuzen: schwarz-weiß Objekte).

Nun zum Nürnberger Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit, dem Rundgang

durch Hörhausen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Entwicklung phonologischer

Bewusstheit und der Lese- und Schreibentwicklung von Kindern sowie dem Einfluss

unterschiedlicher Unterrichtsmethoden wurde der Test entwickelt und auf seine Brauchbarkeit

hin getestet. Eine Itemanalyse im Sinne einer klassischen Testtheorie wurde durchgeführt

(vgl. Martschinke u.a. 2001, 33), also auch die Prüfung der Reliabilität und Validität.

Insgesamt entspricht das Verfahren den Anforderungen eines „guten“ Tests (vgl. a.a.O.).

Die Aufgaben werden mit Punkten bewertet. Der Testleiter muss sie in einen

Auswertungsbogen eintragen und kann den erreichten Wert direkt den Kennwerten der

Vergleichstichprobe gegenüberstellen. Darüber hinaus gibt es noch drei Aufgaben, die der

Testleiter informell erheben kann. Dies sind Buchstabenkenntnis, Schreiben des eigenen

Namens und anderer Wörter.

Meine persönliche Erfahrung und Bewertung des Tests ist folgende: Die Aufgaben sowie der

Gesamtzusammenhang mit der Spielstadt Hörhausen sind zwar schön und originell. Will man

den Test aber durchführen, muss man sich viel Zeit nehmen und aus den Kopiervorlagen alles

selbst erstellen und Materialien besorgen. „Es wurden leicht zu beschaffende Gegenstände

wie ein Legohaus und Spielzeugzüge benutzt“ (Martschinke 2001, 19). Allein der Spielplan

mit den Aufgabenstationen umfasst sechs Seiten, die – will man es ansprechend gestalten –

kopiert, angemalt und laminiert werden müssen. Dazu kommen auf acht Seiten kleine

Bildkärtchen. Diese sind ebenfalls schwarz-weiß und zum Kopieren und Ausschneiden

angefügt. Es steht dem Testleiter auch frei, inwieweit er „Kopiervorlagen durch eigenes

Material ersetzen will“ (a.a.O.).

Einen Test stelle ich mir anders vor. Zugegebenermaßen kostet das Heft, in dem alle

Anleitungen, Erklärungen und Kopiervorlagen enthalten sind, nur 18,40 €. Ich denke aber,

dass die Art und Weise, wie der Testleiter die Aufgaben dem Kind anbietet, auch das

Testergebnis beeinflussen kann. Habe ich den bunten Spielplan erstellt und ansprechendes

Material zusammengesucht, ist es sicher motivierender, als wenn ich mir weniger Mühe gebe

und alles schwarz-weiß anbiete.

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Hinzu kommt, dass der Lehrer oder die Lehrerin sich für jedes einzelne Kind, das getestet

werden soll, 30-40 Minuten Zeit nehmen muss. Das ist fast unrealistisch, denn wie soll eine

Lehrkraft mit 30 Kindern das organisieren? Dazu braucht es Förderschullehrer, die aber

wiederum nur in Integrationsklassen eingesetzt werden.

Ich selbst habe den Test für meine Zwecke umgewandelt und in einer ersten Klasse mit jedem

Kind 10 Minuten Reim-, Silben-, Anlaut- und Buchstabenaufgaben aus dem Testheft

gemacht. Das Ergebnis war eine Bestätigung dessen, was ich bereits beobachtet hatte.

Die Differenzierungsproben von Breuer und Weuffen werden schon lange als

Standardwerk in der Schuleingangsdiagnostik bezeichnet. Auch ihnen liegen umfangreiche

und mehrjährige Längsschnittuntersuchungen mit Normalpopulationen und ausgewählten

Teilpopulationen (z.B. lernbehinderte Kinder) zugrunde. Sie sind klar strukturiert, gut

beschrieben und angeleitet. Die Ergebnisse werden auf einem Protokollblatt

zusammengefasst. Sie geben aber lediglich eine Orientierung für den Lehrer in der Frage, ob

Förderhilfen notwendig sind. „Die Differenzierungsproben sind Sreenings mit

förderdiagnostischer Zielsetzung“ (Breuer/Weuffen 2006, 55). Das heißt, der Pädagoge soll

mithilfe der Differenzierungsproben pädagogische Zugriffstellen ermitteln können.

Ich habe noch nicht mit den Differenzierungsproben selbst gearbeitet. In dem Buch von

Breuer und Weuffen sind alle Protokollblätter und Bildtafeln zum Kopieren enthalten.

Meines Erachtens sind aber einige Aufgaben für die Kinder zu veraltet, z.B. das Kinderlied

„Alle meine Entchen“. Auch tue ich mich schwer mit Wörtern, die die Kinder nicht kennen,

wie z.B. Aluminium. Die Bildtafeln für die Aufgaben Phonemvergleich sind ebenfalls nicht

sehr ansprechend und veraltet in ihrer Aufmachung.

Für die Förderung der einzelnen Bereiche werden viele Spiele und Übungen beschrieben, die

eine kleine Fundgrube darstellen. Allerdings sind diese Spiele heutzutage in jedem guten

Grundschulunterricht integriert und bekannt (z.B. Klatschspiele). Manche der

vorgeschlagenen Spiele sind wiederum sehr veraltet (z.B. Hänschen klein).

Dem Kurzverfahren zur Einschätzung des lautsprachlichen Niveaus würde ich andere Tests

aus dem sprachheilpädagogischen Bereich vorziehen. Ich finde es nicht sehr motivierend in

seinen Aufgaben.

Auch mit den diagnostischen Einschätzskalen (DES) zur Beurteilung des

Entwicklungsstandes und der Schulfähigkeit habe ich bisher selbst keine Erfahrung

gesammelt. Viele Aufgaben sind mir jedoch bekannt aus Überprüfungen von Kindern mit

27

sonderpädagogischem Förderbedarf. Hier sind es meist die Physio- und Ergotherapeuten, die

ähnliche Aufgaben stellen. Manche sind auch bekannt aus ärztlichen Untersuchungen. So

wird zum Beispiel beim Überprüfen der Grobmotorik die Gleichgewichtswahrnehmung

getestet, indem das Kind möglichst lange auf einem Bein stehen soll, über einen Balken

balancieren muss, oder auf einem Bein hüpfen darf. Bei der Finger- und Handgeschicklichkeit

spielt der Testleiter mit dem Kind Mikado, lässt es etwas ausschneiden und malen. Auf die

Stifthaltung und die Händigkeit wird geachtet, Bilder werden vervollständigt, aber auch

Perlen aufgefädelt oder mit dem Ball gespielt. Es wird beobachtet, ob ein Kind einen

Gegenstand mit den Augen fixieren kann und im Kreisbogen oder diagonal verfolgen kann.

Es ist hier nicht möglich, alle Aufgaben der DES zu beschreiben. Aber insgesamt muss man

dem Konzept lassen, dass alle Möglichkeiten für Ursachen eventueller Lernschwierigkeiten

beobachtet werden. Es ist an alles gedacht worden. Bereiche wie Körperschema und

Körperorientierung spielen in den anderen Tests keine Rolle. Herr Barth hat aber vollkommen

recht, wenn er sagt, dass eine Entwicklungsdiagnostik ganzheitlich orientiert sein sollte und

die wesentlichen Entwicklungsbereiche beinhalten muss (vgl. Barth 1998, 1). Das ist im

ersten Grundschuljahr immer wieder zu beobachten. Kinder mit Lernschwierigkeiten haben

oft nicht nur Probleme im auditiven oder visuellen Bereich, sondern fallen häufig im

Sportunterricht auf, stoßen sich oft an Tischen, fallen plötzlich von ihrem Stuhl, können

schlecht ausschneiden und zeichnen bei ihren Figuren die Arme am Bauch. Von daher gefällt

mir das Konzept von Karlheinz Barth, auch wenn manche Aufgaben ähnlich wie bei Breuer

und Weuffen etwas althergebracht sind (z.B. Finger-Nase-Versuch). Auch ist die

Durchführungszeit von 1,5-2 Stunden sehr lang. Andererseits können die Aufgaben verteilt

werden auf mehrere Wochen. Ich kann mir vorstellen, die DES bei Kindern, die in den ersten

Wochen auffallen, anzuwenden und zwar so, dass das Kind nicht merkt, dass es getestet wird.

Psychomotorische Übungen kann man im Sportunterricht durchführen, Mal- und

Schneideaufgaben in Kunst, phonematische Bewusstheit in Deutsch, usw.. Die Ideen der

Aufgaben sind nicht neu, aber die Systematik ist m.E. eine Hilfe. Gut finde ich außerdem,

dass eine Aufgabe mit sieben Teilaufgaben der Mengenerfassung gewidmet ist.

Die Einschätzskalen sind nicht teuer, zehn Testhefte mit Anleitung und Protokollbogen kosten

24,90 €. Der Bildteil für die Hand des Kindes ist in schwarz-weiß gehalten. Es sind nicht zu

viele Aufgaben auf einer Seite. Der Testleiter muss nicht kopieren, ausschneiden, laminieren,

er muss lediglich die Materialien wie Stifte, Schere, Ball, etc. bereithalten, was in einem

Kindergarten oder in einer Schule ja der Fall ist.

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Natürlich muss man hier den Unterschied zu den standardisierten Tests sehen. Die DES sind

„kein Test im herkömmlichen Sinne, sondern eine Diagnosehilfe“ (Barth 2006, 160). Die

Kritik an solchen Diagnoseinstrumenten ist im Allgemeinen die Gefahr der subjektiven

Auswertung. Diese ist m.E. im pädagogischen Bereich aber immer gegeben und vielleicht

sogar auch bei den normierten Tests nicht ganz auszuschließen.

3. Förderprogramme zur Prävention von Lernschwierigkeiten

Im Folgenden möchte ich einige Förderprogramme zur Prävention von Lernschwierigkeiten

darstellen.

Im Bereich Lesen und Schreiben ist das Würzburger Trainingsprogramm Hören, lauschen,

lernen als Förderprogramm zum BISC, schon seit 1999 bekannt. Leichter lesen und

schreiben lernen mit der Hexe Susi ist 2001 erschienen und bildet mit dem Rundgang

durch Hörhausen ein zweibändiges Werk. Das Münsteraner Trainingsprogramm ist wie

das MÜSC 2006 erschienen und somit das Neueste von den hier vorgestellten Materialien. Ich

werde dieses deshalb am ausführlichsten beschreiben.

Im Bereich Rechnen möchte ich das Konzept von Prof. Preiß Entdeckungen im Zahlenland

zur frühen mathematischen Bildung vorstellen. Es ist für Kinder ab vier Jahren geeignet und

2004 erschienen. Ein weiteres neues Programm von Prof. Preiß ist 2007 erschienen und heißt

Entdeckungen im Entenland. Es ist zur mathematischen Frühbildung für Kinder von 2,5 – 4

Jahren geeignet. Aus den Materialien für das erste Grundschuljahr ist mir das Material

Finger, Bilder, Rechnen von Heidrun Claus und Jochen Peter positiv aufgefallen. Es lässt

sich gut verknüpfen mit dem Material Rechnen ohne Stolperstein sowie dem

Computerprogramm Budenberg.

Im Bereich Graphomotorik werde ich kurz auf zwei sehr bekannte Verfahren eingehen,

nämlich die Visuelle Wahrnehmungsförderung von Marianne Frostig und den Marburger

graphomotorischen Übungen von Prof. Friedhelm Schilling.

3.1 Bereich Lesen und Schreiben

3.1.1 Das Würzburger Trainingsprogramm Hören, lauschen, lernen

Das Würzburger Trainingsprogramm zur phonologischen Bewusstheit von Petra Küspert und

Wolfgang Schneider „Hören-lauschen-lernen“ liegt inzwischen in vierter, überarbeiteter

Auflage vor. Es besteht aus Spielen und Übungen in sechs verschiedenen Bereichen:

Lauschspiele, Reime, Satz und Wort, Silben, Anlaute und Phone (Laute im Wort). Zwischen

1991 und 1998 wurde das Programm in drei großangelegten Längsschnittstudien an der

29

Universität Würzburg überprüft. Es zeigte sich dabei eindeutig, „dass die phonologische

Bewusstheit bei Vorschulkindern auf spielerische Weise gefördert werden kann, und dass

diese Förderung für die Kinder einen deutlichen Vorteil beim Lesen- und Schreibenlernen

bringt“ (Küspert/ Schneider 2006,17). Ein weiteres Ergebnis war, dass das

Trainingsprogramm nur dann seine Wirkung erbrachte, wenn es komplett und nach Anleitung

durchgeführt wurde. Inzwischen erschien ein zweiter, ergänzender Teil des

Trainingsprogramms, „Hören, lauschen lernen 2“ von Ellen Plume und Wolfgang Schneider

(2004). Hier kommt ein Buchstaben-Laut-Training hinzu, das auf spielerische Weise den

Zusammenhang zwischen Laut und Buchstabensymbol herstellen soll. Die gesamte

Trainingsdauer von 20 Wochen mit täglichen 10-15-minütigen Übungen bleibt dabei

unverändert. In der elften Woche kommen die neuen Übungen aus Teil 2 hinzu.

Das Würzburger Trainingsprogramm ist für die Arbeit im Kindergarten entwickelt worden.

Für Erzieherinnen und Erzieher besteht die Möglichkeit, die Förderung mit einer ganzen

Gruppe durchzuführen oder eine vorherige Auswahl von Risikokindern zu treffen. Dazu

eignet sich das vorher kurz beschriebene Bielefelder Screening.

In den Anleitungsheften ist ein genauer Trainingsplan enthalten. Für alle Tage der zwanzig

Wochen sind zwei Übungen angegeben. In den ersten drei Wochen stehen die Lauschspiele

im Vordergrund. Die Übungen mit Reimen ziehen sich durch das gesamte

Trainingsprogramm. In der dritten bis siebten Woche stehen Sätze und Wörter im

Mittelpunkt. Hinzu kommt in der vierten Woche die Arbeit mit Silben. Anlautspiele beginnen

in der siebten Woche und werden bis zum Ende eingebunden. Ab der elften Woche beginnt

die anspruchsvollste Spielzeit rund um das Phon. Die Übungen dienen der Lautsynthese

(Zusammenziehen der gehörten Laute zu einem Wort) und der Lautanalyse (die Zerlegung

eines Wortes in die gehörten Laute). Hier setzen auch die Übungen aus Teil 2 mit ein. Ein

Phon soll mit einem dazugehörigen Buchstabenbild verknüpft werden. Hierzu gibt es zu den

Selbstlauten sowie zu einigen Mitlauten (M,R,U,S,B,T,N) Buchstaben-Laut-Geschichten, die

zur besseren Einprägung der Laute und Buchstaben dienen. Weitere Spiele gehen in den

Bereich Anlaut-Domino, Buchstaben-Lotto, Kartenspiele, etc.

Das Material des ersten Teils umfasst 86 Bildkarten. Sie sind alle aus festem, gelbem Karton

mit schwarzem Aufdruck. Die Erzieherin muss außerdem Bauklötze bereithalten und zwar

große Klötze für Wörter, für Silben mittlere und für Laute kleine Klötze. Die Bildkarten

werden für einige Aufgaben aus dem Bereich Reime, Silben, Anlaute und Phone eingesetzt.

Sechs der Bildkarten zeigen eine szenische Darstellung (z.B. Die Mutter näht. Das Auto

blinkt. Der Maurer mauert.) Die Kinder sollen damit Handlungsreime bilden. So sagt die

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Erzieherin z.B.: “Der Hahn kräht.“ und die Kinder sollen daraufhin die passende Bildkarte

„Die Mutter näht.“ finden. Mir persönlich gefallen diese sechs Bildkarten nicht. Sie sind in

ihrer Aufmachung merkwürdig und klischeebehaftet. Ich finde es auch nicht günstig, dass das

Blinken des Autos als Handlung gesehen wird. Außerdem sind die Kinder die gelben Karten

als Wortkarten gewohnt und es ist nicht klug, sechs solcher Karten als Handlungskarten zu

gestalten.

Ein wichtiger Punkt scheint mir noch der Hinweis der Autoren zu sein, dass „phonotaktische

Fallen“ (Küspert/Schneider 2006, 22) umgangen werden. Zum Beispiel soll ein Wort wie

„Ofen“ nicht zu den Lautieraufgaben genommen werden, da man umgangssprachlich von

einem „Ofn“ spricht. Oder ein Wort wie „Hund“ soll nicht lautiert werden, weil wir hinten

ein „t“ hören (Auslautverhärtung). Grundsätzlich finde ich diese Hinweise sehr wichtig.

Allerdings ist das Programm nicht konsequent. Denn für die Aufgaben „Welches Wort ist das

längste?“ sollen z.B. Wortpaare wie Schuh und Sonne verwendet werden. Das Wort „Schuh“

wird mit zwei Klötzen gelegt (sch-u) und Sonne mit vier Klötzen (S-o-n-e). Also ist das Wort

Sonne länger. Es ist mir klar, dass mit „länger“ das Hören des Wortes gemeint ist. Ich finde

das Beispiel aber verwirrend, weil in der richtigen Schreibweise jedes Wort nun mal aus fünf

Graphemen besteht. Ich würde für solche Aufgaben nur rein lautgetreue Wörter verwenden.

Das Material des zweiten Teiles ist umfassender und ansprechender gestaltet, weil es bunter

ist. Es besteht aus 48 Bildkarten (Anlautkarten), 12 Buchstabenkarten, 12 Karten mit

haptischen Buchstaben, 2 Buchstabenwürfeln und 24 Anlaut-Domino-Karten. Das Vermitteln

der Buchstaben-Laut-Verknüpfung ist immer in eine kleine Geschichte eingebunden und die

Kinder können die Buchstaben auf der Karte tasten. Außerdem werden die Buchstaben als

Körperfiguren nachgeahmt. Die Dominokarten sind sehr schön und eindeutig gestaltet. Mit

den Buchstabenwürfeln lassen sich verschiedene Anlautspiele durchführen.

3.1.2 Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi

Das Nürnberger Förderprogramm, das als zweiten Teil des Projektes „Diagnose und

Förderung im Schriftspracherwerb“ entstanden ist, besteht aus Übungen und Spielen zur

Förderung der phonologischen Bewusstheit. Diese können mit der Gesamtklasse in zwei

Förderstunden pro Woche durchgeführt werden, oder – was sinnvoller ist – in kleinere

Einheiten aufgeteilt und im Morgenkreis oder zwischendurch gemacht werden. Außerdem

kann das Programm mit kleinen Gruppen von schwächeren Schülern durchgeführt oder in der

offenen Arbeit angeboten werden (vgl. Forster/ Martschinke 2001, 18).

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Das Programm hat eine Hexengeschichte als Rahmen. Die Hexe Susi möchte das Hexen

lernen, kann aber noch nicht lesen. Auf ihrem Weg, das Hexen zu lernen, durchläuft sie die

Übungsbereiche zur phonologischen Bewusstheit. Dabei helfen ihr: die Hexenoma, die ihr

immer den Weg weist; der Rabe Kunibert, der ihr die Silbensprache beibringt; der Kater

Niko, der mit ihr das Lauttraining macht. Zum Schluss besucht sie die Hexenschule, in der sie

das schnelle Lesen übt.

Das Training umfasst vier Teile. Der erste Teil umfasst Lausch- und Reimaufgaben. Hierfür

werden zwei Wochen (mit je zwei Stunden) gebraucht. Eine Kassette mit Geräuschen in und

um das Hexenhaus wird eingesetzt, Bildkarten zu Spielen wie Reimduett oder Reimdomino,

ein Hexenlied wird eingeführt und viele Wörter und Hexensprüche werden kennen gelernt,

die sich reimen. Der zweite Teil benötigt ebenfalls zwei Wochen und widmet sich den Silben.

Der Rabe Kunibert, der mit einer Handpuppe dargestellt wird, führt die Silbensprache ein. Er

erklärt auch die Darstellung der Sprechsilben mit Silbenbogen. Wörter werden geklatscht und

gehüpft. Es gibt ein Kreisspiel und ein Kartenspiel zum Thema Silben. Weitere Spiele sind:

Silbenpuzzle, Silben-Memory, Silbenkette, u.ä. Auch der Wortlängenvergleich wird über

Silben geübt. Der dritte Teil umfasst zwölf Wochen. Er besteht aus einem Lesetraining und

einem Schreibtraining mit Kater Niko. Das Lesetraining ist der Schwerpunkt des Programms.

Hier wird der Kater Niko der Trainer von Hexe Susi. Zunächst geht es darum, Anlaute und

danach Endlaute zu hören. Dann kommen die Inlaute hinzu. Diese Spiele dienen der

Aufwärmphase. Danach arbeiten die Kinder mit einem Trainingsplan in Partnerarbeit. Der

Trainingsplan hat stets fünf Stationen. Ein Wort wird erst deutlich gesprochen und danach

langsam, anschließend wird für jeden Laut ein Stein gelegt. Auf diesen wird getippt und

gleichzeitig der Laut ausgesprochen. Ein Kind ist Kater Niko, das Partnerkind ist Hexe Susi.

Für dieses Worttraining werden zusätzlich Variationsmöglichkeiten aufgezeigt. Jedes Kind

kann sich beim Lehrer zur Leseprüfung anmelden, wo es dann ein Leseabzeichen verliehen

bekommt. Beim Schreibtraining schafft der Lehrer durch das Erzählen einer Geschichte einen

Schreibanlass. Die Kinder schreiben, malen und kleben in ihr Hexenheft, das ebenfalls alle

Teile des Trainings begleitet und dokumentiert. Zum Schreibtraining gehören auch

Materialien wie Wörterdosen, Angelspiel, Drucken, etc. Außerdem gibt es Kopiervorlagen für

die Herstellung kleiner Hefte wie „Was ich gerne esse“ und für Kreuzworträtsel.

Der vierte Teil des Trainings wird erst ab dem zweiten Schulhalbjahr durchgeführt und

besteht aus Aufgaben zum schnellen Lesen im Hexenbuch. Hierzu wird eine Wörterkartei für

das „Blitzlesen“ angelegt, mit der das schnelle Erfassen von Wörtern geübt wird. Außerdem

sollen Wortbausteine auf Schuhkartons oder Klötzchen gesammelt werden, aus denen die

32

Kinder Wörter bilden. Viele Wörter gibt es als Bild mit einzelnen Buchstabenkärtchen in

Druckschrift, um die Wörter ähnlich wie bei der Wörterdose zu legen.

Die Erfahrungen mit dem Trainingsprogramm „Leichter lesen und schreiben lernen mit der

Hexe Susi“ sind recht gut (vgl. a.a.O., S. 110 ff), vor allem auch deshalb, weil die

Rahmengeschichte sehr motivierend ist. Das Anleitungsheft kostet mit allen Kopiervorlagen

nur 25,40 €. Es muss jedoch alles selbst besorgt werden (z.B. die Handpuppen Rabe und

Kater), als Verkleidungsutensilien braucht der Lehrer oder die Lehrerin einen Hexenhut, eine

Oma-Verkleidung und eine Kette mit einer Spinne. Die Kopiervorlagen umfassen über 60

Seiten mit kleinen und mittelgroßen Bildchen, die alle für die Spiele zusammengestellt

werden müssen. Die Buchstabenkärtchen für verschiedenen Spiele müssen ebenfalls kopiert

und ausgeschnitten werden.

3.1.3 Das Münsteraner Trainingsprogramm MÜT

Das Münsteraner Trainingsprogramm MÜT ist von Dr. Gerd Mannhaupt entwickelt worden

und 2006 erschienen. Es konzentriert sich auf die Förderung der phonologischen Bewusstheit.

Diese gliedert sich ähnlich dem Würzburger Trainingsprogramm in die Auseinandersetzung

mit Reimen, mit der Satz- und Wortebene, mit Silben und Lauten. Den Schwerpunkt bilden

die Übungen zu den Lauten, die mehr als die Hälfte der Lernzeit in Anspruch nehmen.

Konkret geht es um die Analyse und Synthese der Lautstruktur einfacher Wörter. Außerdem

werden Buchstaben eingeführt und Laut-Buchstaben-Verbindungen erarbeitet.

Die Zielgruppe sind Kinder im ersten Halbjahr der ersten Grundschulklasse, die durch

Beobachtungen der Lehrer oder bei der Erhebung mit dem MÜSC auffällig geworden sind.

Außerdem wird es für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf empfohlen.

Zur Durchführung des Programms muss die Lehrkraft täglich 10-15 Minuten Zeit einplanen

(= eine Lerneinheit), im besten Fall zu Beginn des Schulvormittags. Insgesamt umfasst das

Programm 80 Lerneinheiten, das entspricht 16 Trainingswochen. Eine Gruppe sollte wegen

der spielerischen Elemente mindestens vier Kinder haben, höchstens jedoch acht. Manchmal

kann auch eine individuelle Einzelbetreuung angezeigt sein.

Betrachtet man nun die Aufgaben des MÜT etwas näher, gerade im Vergleich mit dem

Würzburger Programm für Vorschulkinder, so kann man festhalten: Die Aufgaben sind im

MÜT wesentlich anspruchsvoller und dem Niveau des 1. Grundschuljahres angepasst. Auch

pädagogisch-spielerisch sind die Kinder stärker gefordert, z.B. beim Einbringen eines

Abzählverses der Woche (als Hausaufgabe) und dem gemeinsamen Abstimmen darüber. Auf

33

der Reimebene gibt es Bildkarten, mit denen nach Quartettregeln gespielt wird. Außerdem

stehen spezielle Karten für Reimdominos zur Verfügung.

Auf der Wort- und Satzebene werden Sätze ebenfalls mit Klötzen gelegt. Die Übungen

werden jedoch erweitert, z. B. im Spiel „Satzwettrennen“, das mit einem Spielbrett,

Spielfiguren und Satzkarten gespielt wird. Die Übertragung von den gelegten Klötzen zum

Hüpfen auf dem Spielfeld findet hier statt. Außerdem müssen Sätze nicht nur ergänzt werden,

sondern auch gebaut oder wieder zusammengesetzt werden.

Kommen wir nun zur Silbenebene. Während es im Würzburger Programm hauptsächlich auf

das Sprechen von Wörtern in Silben ankommt, gibt es im MÜT verschiedene Spiele, bei

denen es auf die Anzahl der Silben im Wort geachtet werden muss. Zum Beispiel:

„Silbenmemory“ mit 24 Bildkarten oder „Silbenwettrennen“ mit Spielbrett und Spielfiguren.

Ein anspruchsvolles Spiel heißt „Silbenkette“, bei dem nach Begriffen gesucht wird, dessen

erste Silbe die letzte Silbe des vorigen Wortes aufgreift (Pin-sel, sel-ber, Ber-lin). Außerdem

liegen auch Bildkarten für ein Silbendomino vor.

Nun zu dem größten Bereich im MÜT, dem der Laute und Buchstaben. Die Kinder lernen die

Laute und Buchstaben A,L, E, U, T, B, I, S, O, M, K, SCH, H vertieft kennen. Zur

Einführung einer Laut-Buchstaben-Beziehung gibt es zwei Spiele, das „Buchstabenschiff“

oder den „Bilderturm“. Zum Spiel „Buchstabenschiff“ gibt es eine bunte Spielvorlage mit

einem großen Schiff. Eine Buchstabenkarte wird ins Schiff gelegt und Anlautbilder dazu

gesucht. Beim Spiel „Bilderturm“ wird aus sehr vielen Karten eine Turm gebaut mit den

passenden Anlautbildern. Spiele, die sich von der Spielform wiederholen, sind:

Anlautmemory, Verkehrte Welt (Pseudowörter entstehen durch das Ersetzen eines Lautes,

z.B. Lippen – Bippen), Laute hinzufügen (Ruder – Bruder), Laute ersetzen (Dose – Rose),

Laute wegnehmen (Zimmer – immer), Lautwettrennen (mit einem Buchstabenwürfel würfeln,

ein Wort bilden, das den gewürfelten Buchstaben als Inlaut oder Endlaut hat, würfeln mit

Zahlenwürfel und Vorwärtsziehen auf dem Spielfeld), Letzter Laut gesucht (Salat, oder auch

schwierige Endungen wie bei „Buch“), etc. Zwei anspruchsvolle Spiele sollen hier noch

exemplarisch vorgestellt werden: Für das Spiel „Lautfisch“ bekommt jedes Kind ein Fisch,

der vorne, in der Mitte und hinten ein Loch hat. Die Löcher stehen für Anlaut, Inlaut, Endlaut.

Die Lehrkraft nennt einen Laut und ein Wort und die Kinder müssen ihren Finger durch das

richtige Loch stecken. Ein anderes Spiel ist die „Wundertüte“, bei der kleine

Buchstabenkärtchen kopiert und ausgeschnitten werden müssen. In Briefumschläge werden

Buchstabenkärtchen gegeben, die ein sinnvolles Wort ergeben. Jedes Kind bekommt eine

Wundertüte und muss das Wort zusammenbauen.

34

Hier noch einmal das gesamte Spielmaterial des MÜT im Überblick: 192 Bildkarten, 40

Buchstabenkarten (Vorderseite: Buchstabe groß, Rückseite: Buchstabe klein; auch

Doppelmitlaute, Verbindungen wie Sp, St, auch schwierige Verbindungen wie ck, uh, ie,

etc.), 23 Karten für ein Reimdomino, 23 Karten für ein Silbendomino, 23 Karten für ein

Anlautdomino, 23 Karten für ein Endlautdomino, 35 Satzkarten, ein Spielplan

„Buchstabenschiff“, ein Spielbrett „Schildkröte“, 2 Kopiervorlagen für unterschiedliche

Buchstabenwürfel, 1 Kopiervorlage für einen Zahlenwürfel, 1 Kopiervorlage für die

Buchstabenfische, 2 Kopiervorlagen für die Buchstabenkärtchen. Zwei kleine Faltbogen

liegen bei, die sich zu einem Karteikästchen zusammenbauen lassen. Unverständlich ist, dass

man hier nicht mehrere Faltkästchen beilegt, denn in das eine Kästchen passt nur ein

minimaler Teil des ganzen Materials.

Abb.2: Münsteraner Trainingsprogramm MÜT

3.1.4 Zusammenfassende Bewertung der Förderprogramme

Meine persönliche Bewertung der Förderprogramme ist bei deren Beschreibung bereits mit

eingeflossen. Zusammenfassend möchte ich festhalten und ausführen:

Das Material „Hören, lauschen, lernen“ ist insgesamt gut durchführbar, die Anleitungen sind

klar und gut strukturiert. Es eignet sich auch bestens für den Einsatz mit lern- und geistig

behinderten Kindern. Diese Erfahrung konnte ich im Rahmen meines Unterrichtes machen.

Einzelne Übungen lassen sich sehr gut als Anfangs- oder Schlussspiele einer Förderstunde

einsetzen. Kinder mit Behinderungen arbeiten am motiviertesten mit, wenn es keine

Arbeitsblätter gibt. Die Spielkarten lassen sich für viele Spiele einsetzen. Ganz besonders

schön ist das Material aus Teil 2. Wie oben beschrieben würde ich bei Vorschulkindern und

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behinderten Kindern nur lautgetreues Wortmaterial verwenden. Hier fehlt mir im Programm

die Konsequenz.

„Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi“ ist konzeptionell sehr gut

aufgebaut und sehr motivierend für Kinder. Die Vorbereitungszeit für den Durchführenden ist

aber m. E. zu hoch. Wenn man zuerst stundenlang basteln, schneiden und Dinge besorgen

muss, um Spiele zu machen, bevorzuge ich persönlich ein Programm, das etwas teurer ist,

aber wenigstens die Bildkarten bunt und schön mitliefert. Für den Schulunterricht sehe ich

den Nachteil, dass man zwei Förderstunden nicht ohne Weiteres zusätzlich zum

Deutschunterricht in der ersten Klasse unterbringen kann. Auch sind in den meisten

Fibellehrgängen (z.B. LolliPop) eigene Handpuppen zentral und viele Übungen zur

phonologischen Bewusstheit in den Arbeitsmaterialien inbegriffen. So wird es eigentlich zu

viel, noch mehr verschiedene Figuren und Arbeitstechniken einzuführen. Das ist unrealistisch

oder die Lehrkraft entscheidet sich komplett für das Lesen mit der Hexe Susi. Für die Arbeit

mit behinderten Kindern hingegen habe ich wiederum gute Erfahrungen gemacht. Viele

Spielanregungen lassen sich dem Programm entnehmen. Die Buchstabenkärtchen sind gut für

Kinder, die durch ihre Behinderung feinmotorische Schwierigkeiten haben und deshalb nicht

gerne zum Stift greifen.

Das Münsteraner Trainingsprogramm MÜT spricht mich persönlich sehr an. Das

Bildmaterial, die Satzkarten, sowie die Buchstabenkarten und die Spielpläne sind sehr schön

und müssen nur geschnitten (eventuell laminiert) werden. Die Vorbereitungszeit hält sich

somit noch in Grenzen. Das Wortmaterial finde ich für die Grundschule geeignet. Es kommen

auch Wörter mit Doppelkonsonanten, ie, tz, ck, u.ä. vor. Da es in jeder ersten Klasse auch

Kinder gibt, die bereits lesen und schreiben können, finde ich es wichtig, dass den Kindern

nicht „verheimlicht“ wird, dass oft mehr Buchstaben geschrieben werden als man in einem

Wort hört (z.B. Schuh). Wer sich von Anfang an für die „richtige“ Schreibweise interessiert,

sollte dies auch tun dürfen. Diese Kinder lernen die Rechtschreibregeln oft spielerisch und

über den visuellen Kanal. Die immer wiederkehrende Kritik am Konzept „Lesen durch

Schreiben“ von Reichen ist, dass die Kinder zu spät lernen, dass es über das lautierende

Schreiben hinaus auch Rechtschreibregeln gibt, die es zu lernen gilt. Wenn damit zu spät

begonnen wird, finden Kinder oft den Übergang nicht zum orthographisch richtigen

Schreiben. Bei schwächeren oder behinderten Kindern würde ich natürlich mit dem

lautgetreuen Material beginnen.

36

3.2 Bereich Rechnen

3.2.1 Entdeckungen im Zahlenland

Die Entdeckungen im Zahlenland 1 und 2 sind ein Konzept für die frühe mathematische

Bildung. Es wurde von Prof. Preiß in Freiburg 2004 entwickelt und erprobt. Es wird für den

Gruppenunterricht im Kindergarten empfohlen. Optimal sind altersgemischte Gruppen von 12

bis 15 Kindern. Alle Kinder ab vier Jahren können daran teilnehmen.

Im gesamten Konzept wird versucht, alle didaktischen Aspekte der Zahlen spielerisch

aufzugreifen. Diese sind:

• Codierungsaspekt: Zahlen werden als Namen benutzt (z.B. Telefonnummer)

• Kardinaler Aspekt: Anzahl der Elemente (Wie viele sind es?)

• Ordinaler Aspekt: Rangplatz von etwas (z. B. der erste, der letzte)

• Operatoraspekt: Zahlen haben eine Funktion (wie oft? dreimal, fünfmal)

• Maßzahlaspekt: Wie lang? Wie schwer? Wie teuer?

• Rechenaspekt: 5+3=8

• Geometrischer Aspekt: Dreieck, Viereck, usw.

• Narrativer Aspekt: Symbolische Bedeutung von Zahlen (Glück 7, Unglück 13)

Dieser Vielfalt an Zahlaspekten begegnen die Kinder im Zahlenhaus, auf dem Zahlenweg

und in den Zahlenländern.

Das Zahlenhaus wird aus großen Gymnastikreifen gelegt. Die Entdeckungen im Zahlenland

1 umfassen die Zahlen 1 bis 5, somit werden fünf Reifen für die Wohnungen 1 bis 5 gelegt.

Jede Wohnung bekommt einen Zahlentisch und Möbel (Muscheln, Steine, Klötzchen). Ein

Kind, das die Zahl spielt, trägt ein passendes Stirnband mit der entsprechenden Zahl. Haben

die Kinder das Zahlenhaus aufgebaut, werden die Zahlen freundlich begrüßt. Mit jeder Stunde

werden die Wohnungen mit mehr Möbeln eingerichtet. Dazu gehören vor allem:

Zahlentürme, Zahlengärtchen und die Gewichtswürfel. Neue Materialien werden spielerisch

eingeführt. Zum Zahlenhaus gehören auch der Fehlerteufel und der Hausmeister. Der

Fehlerteufel vertauscht Möbel. Die Kinder müssen seine Streiche herausfinden. Der

Hausmeister kontrolliert, ob alle Wohnungen richtig eingerichtet sind. Beide Rollen werden

von Kindern übernommen. Jedes Kind, das eine Zahl spielt, hat ein Helferkind zur Seite. In

der sechsten Lerneinheit kommen die Geometriestäbe als neue Möbel hinzu. Das sind 30 cm

lange Holzstäbe mit beweglichen Verbindungsstücken. Die Kinder lernen, ein Dreieck, ein

Viereck und ein Fünfeck zu bauen. Aus dem Fünfeck wiederum lässt sich ein Stern zaubern.

Die Zahlen werden am Ende höflich verabschiedet.

37

Dann geht es zum Zahlenweg. Zur Verfügung stehen Zahlenteppiche mit den Zahlen 1-10.

Die Zahlen 5 und 10 sind gelb, die anderen Zahlen rot. Beim Zahlenweg steht das Zählen im

Mittelpunkt, jedoch in vielen verschiedenen Spielvariationen. Stets wird mit dem Körper

gehüpft oder gegangen, vorwärts und rückwärts. Nach Vorgängern und Nachfolgern wird

gesucht. Auch der Fehlerteufel schleicht sich wieder ein.

Schließlich betreten die Kinder das Zahlenland einer bestimmten Zahl. Nehmen wir als

Beispiel das Zweierland. Eine Ecke des Raumes wird mit einem Seil abgegrenzt. Es gibt ein

Tor zum Zweierland und einen Torwächter, der von einem Kind gespielt wird. Er hält ein

Torschild mit zwei großen, blauen Punkten in der Hand. Jedes Kind, das ins Zweierland

möchte, muss dem Torwächter etwas nennen, das zweimal vorkommt (z.B. zwei Hände, zwei

Füße, zwei Augen, etc.). Sind alle Kinder im Zweierland angekommen, gibt es dort eine

passende Geschichte zur Zwei.

Die Entdeckungen im Zahlenland 1 umfassen 10 Lerneinheiten. Eine Lerneinheit dauert eine

Zeitstunde. Jede Woche soll zu einem möglichst zeitlich regelmäßigen Termin eine Einheit

durchgeführt werden.

Die Entdeckungen im Zahlenland 2 umfassen 12 Lerneinheiten. Jetzt werden alle zehn

Wohnungen eingerichtet. Die Zahlen 6 bis 10 bekommen ihre Möbel von den Wohnungen 1

bis 5. Zum Beispiel darf sich die 6 ihre Möbel für den „Tisch des Hauses“ von der 4 und der 2

wünschen (4+2 Steine = 6). Die Kinder bringen der 6 ihre Steine. Sie dürfen sich dann im

Vorratskörbchen wieder neu eindecken. Auch der Hausmeister und der Fehlerteufel kommen

wieder. Der Zahlenweg wird zunächst auf 12 und dann auf 20 erweitert. Wieder werden

etliche verschiedene Übungen gemacht. In den Zahlenländern 6 bis 10 gibt es wieder

Geschichten zu hören.

Alle Lerneinheiten sind genauestens beschrieben. Zwei wichtige Aspekte des Konzeptes sind

die sprachliche Kompetenzförderung und die Rituale. Es gibt bestimmte Sätze, die in etwa im

Wortlaut gesprochen werden sollten. Außerdem wird stets auf ganze Sätze geachtet, z.B. fragt

der Hausmeister: „Was hast du in deiner Wohnung, liebe Zwei?“ Rituale strukturieren den

Ablauf der Lerneinheiten. Solche Rituale sind: Zählen der Jungen und Mädchen am Anfang,

Begrüßung und Verabschiedung der Zahlen, Hausmeister, Fehlerteufel, Spruch am Schluss.

Auch gibt es in den Zahlenländern zu jeder Zahl ein passendes kurzes Lied.

Die Entdeckungen im Zahlenland 1 und 2 sind als Anleitungshefte nicht teuer. Das Material

allerdings kostet in der Grundausstattung 500 €. Es ist aber sehr ansprechend und besitzt

einen hohen Aufforderungscharakter. Vieles ist aus Holz, z.B. die Zahlentische, die Türme

und die Zahlengärtchen. Die Gewichtswürfel sind aus Plastik und mit Zucker, Sand oder Salz

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gefüllt. Der Zweier ist doppelt so schwer wie der Einerwürfel als auch im Volumen doppelt so

groß. Sie können getastet werden und mit der Handwaage geschätzt und verglichen werden.

Alle Materialien sind zum handlungsorientierten Lernen geeignet.

Abb. 3: Materialien zum Zahlenland

3.2.2 Entdeckungen im Entenland

Die „Entdeckungen im Entenland“ entwickelte Prof. Preiß für Kinder im Alter von

zweieinhalb bis vier Jahren. Wie im Zahlenland soll „mathematische Frühbildung als ein

intensives und unterhaltsames Erlebnis“ erfahren werden (Preiß 2007, 2). Die allgemeine

Zielsetzung des Projektes ist nach Prof. Preiß die „Ordnung in der Welt“. So sollen die Kinder

an Methoden des Denkens herangeführt werden, „die ihnen helfen, Wissen über die Welt

aufzubauen und mit ihrem Leben zu verbinden. ... Zwei Methoden des Denkens helfen uns

ständig, unser Bedürfnis nach „Ordnung“ zu befriedigen: Sortieren und Ordnen“ (a.a.O., 4).

Im Entenland werden die Kinder Gegenstände nach Farben oder Form sortieren, sie nach

Größe oder Länge ordnen oder auf das Gewicht achten. Durch das Sortieren werden die

Kinder auch mit Mengen konfrontiert. Das Simultanerfassen von Zahlen und das Zählen

werden bei Würfelspielen zusammengeführt. Schließlich gehört die Orientierung in Raum

und Zeit zu den Lernzielen des Projektes. Ein Verständnis für innen/außen, oben/unten,

vorne/hinten, rechts/links wird entwickelt. „Eine Analyse des Zeitempfindens von Kindern

zeigt, dass seine Entwicklung eng an die Fähigkeit des Ordnens gebunden ist und bereits ein

Verständnis für kleine Anzahlen voraussetzt“ (a.a.O.,5). Im Entenland gibt es auch viele

Spiele zum Thema Jahreszeiten.

Die Entdeckungen im Entenland gliedern sich insgesamt in sechs Lernfelder.

Entenland 1 umfasst die ersten drei Lernfelder. Diese sind:

1. Farben und innen/außen (Sortieren und Orientierung im Raum)

2. Ebene Formen und ebene Formen in Kombination mit Farben (Sortieren)

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3. Zählen, Würfeln und Simultanerfassung (Sortieren und Ordnen)

Entenland 2 umfasst die Lernfelder vier, fünf und sechs. Diese sind:

4. Räumliche Figuren, Gewichte und oben/unten (Sortieren, Ordnen und Orientierung im

Raum)

5. Höhen, Längen und vorne/hinten, rechts/links (Sortieren, Ordnen und Orientierung im

Raum)

6. Vorher/nachher und Jahreszeiten (Orientierung in der Zeit)

Organisatorisch sind die Lernfelder in Lerneinheiten eingeteilt. Jedes Lernfeld umfasst 5

Lerneinheiten, für die genaue Verlaufspläne vorliegen. Eine Lerneinheit dauert eine

Zeitstunde. Die Entdeckungen im Entenland können ein- oder zweimal in der Woche

stattfinden. Entenland 1 und 2 erstrecken sich somit jeweils über ein bis drei Monate. Die

Gruppengröße wird bei acht Kindern als optimal eingeschätzt.

Die Struktur einer Lerneinheit hat stets den gleichen Ablauf (s. Rituale im Zahlenland):

Gestartet wird mit einem Begrüßungslied und dem Zählen der Kinder. Die Inhalte der letzten

Stunde werden wiederholt. Danach wird mit einer neuen Geschichte „Wo ist mein

Entenkind?“ in das neue Kernthema der Stunde eingeführt. Das Entenkind verlässt immer

wieder aufs Neue sein Entenhaus, um Erkundungen und Entdeckungen zu machen. Die

Entenmutter und der Entenvater folgen stets besorgt den Spuren ihres Kindes, lassen ihm

aber die Möglichkeit der Selbsterfahrung. Für Spannung sorgt der Fuchs, der immer für

Überraschungen sorgt und die Kinder herausfordert. Die Ente Oberschlau, die alles immer

besser weiß, tritt auf, wenn sich die Kinder mit dem neuen Problem beschäftigen. Sie kann es

aber nie lösen und benötigt die Hilfe der Kinder. Nach dem Auftritt der Ente Oberschlau folgt

stets ein Spiel mit Bewegung. Danach tritt der letzte Hauptdarsteller auf, der Rabe Ratemal.

Er ist alt und weise und will wissen, ob die Kinder seine Rätsel lösen können. Danach wird im

Entenbuch gearbeitet und der Umgang mit Stift und Papier eingeführt. Ein Abschiedslied

rundet eine Stunde aus dem Entenland ab.

Das Material ist wiederum sehr ansprechend. Eine „Seematte“ wird am Boden ausgelegt.

Dazu gibt es die Entenfamilie (Plastikenten). Die Ente Oberschlau wird vom Erwachsenen

gespielt. Die Verkleidung dazu ist in Form einer Schürze schnell angelegt und sieht lustig aus.

Der Rabe Ratemal ist eine Handpuppe, der Fuchs ein Plüschtier. Ähnlich dem Zahlenland gibt

es zu den Kernthemen viele Materialien: Würfel, Formen, Puzzlebretter, Säckchen mit

Plättchen und Steinen, Seile, Farbkarten, Matten mit aufklebbaren Würfelpunkten, etc. Das

Material hat einen hohen Aufforderungscharakter und ist dem Alter von 2,5 bis 4 Jahren

angemessen.

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Das Konzept wurde in zwei Kindergärten in Freiburg mit mehreren Gruppen erprobt und als

großen Erfolg gewertet.

3.2.3 Der Hamburger Zahlbegriffs- und Rechenaufbau (HamZaRa)

Das Programm HamZaRa wurde von Heidrun Claus und Jochen Peter zur Förderung des

Zahl- und Rechenverständnisses im Zahlenraum bis 10 entworfen. Die Autoren vom Institut

für Mathematisches Lernen in Hamburg gehen davon aus, dass Störungen im Erwerb

mathematischer Kompetenzen in diesem Zahlenraum bereits entwickelt und gefestigt werden.

Besonders sind hier die Zählstrategien der Kinder zu nennen. Die Finger werden als

Hilfsmittel zum zählenden Rechnen eingesetzt, was ein häufiges Verzählen um 1 zur Folge

hat. Es wird kein mengenorientiertes Rechnen ausgebildet.

Da die Finger aber ein natürliches und immer verfügbares Hilfsmittel zum Rechnen sind und

den Zehnerraum in zwei Fünfern darstellen, schlagen die Autoren vor, mit den Fingern zu

rechnen – aber richtig! „Tatsächlich sind sie hervorragend geeignet, die mathematischen

Sachverhalte und Zusammenhänge, die in der Auseinandersetzung mit dem Zahlenraum bis

10 zu erlernen sind, gegenständlich darzustellen“ (Claus/Peter 2005, 20).

Die Fingerbilder sollen in visueller Form deutlich machen, dass in der jeweiligen Zahl andere,

kleinere Zahlen enthalten sind. Das Fingerbild der Drei zeigt z.B. sofort, dass zur Fünf noch

zwei Finger fehlen und bis zur Zehn dagegen noch sieben Finger fehlen. An den

Fingerbildern werden sozusagen Beziehungen zwischen den Zahlen ablesbar. „Damit werden

nicht nur wichtige quantitative Beziehungen dieser Zahlen anschaulich erfassbar, sie tragen

zugleich unmittelbar zur Prägnanz und Einprägsamkeit des jeweiligen Mengenbildes bei

(a.a.O.,21).

Wie die Fingerbilder den Kindern zu zeigen sind, ist im Arbeitsheft des Materials „Finger,

Bilder, Rechnen“ genau beschrieben. Dem Material liegen 13 Fingerbilder-Karten bei. Sie

können z.B. als „Blitzblick-Übungen“ eingesetzt werden. Zwei Fingerbilder, die Vier und die

Neun, können auf zwei unterschiedliche Weisen dargestellt werden und sind deshalb zweimal

vorhanden. Außerdem gibt es zwölf Fingerbilder-Zahlenkarten. Hier sind die Fingerbilder mit

den entsprechenden Zahlen versehen. Der Zusammenhang zwischen Fingerbild und

Zahlsymbol wird hier geübt. Zur Automatisierung dieser Lernschritte liegt ein Fingerbilder-

Domino-Spiel bei, das die Verknüpfung der Zahl mit dem Fingerbild festigt.

Der Grundstruktur der Fingerbilder entspricht das Zehnerfeld. Lediglich liegen die

Fünferreihen im Zehnerfeld übereinander und nicht nebeneinander. Das entspricht aber dem

nächsten Lernschritt der zweidimensionalen abstrakteren Vorstellung der Zahlbilder. Es gibt

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11 Zehnerfeld-Zahlenkarten (von 0-10) und 25 Zehnerfeld-Zerlegungs-Karten. Diese Karten

veranschaulichen alle unterschiedlichen Zerlegungsmöglichkeiten der Zahlen von 2 bis 10.

Schließlich gibt es Rechenkarten, die durchsichtig sind und sich auf die Zehnerfeld-Karten

legen lassen. Bei der Rechnung 7+2 muss beispielsweise die Karte gefunden werden, die die

Zwei so darstellt, dass sie die Vermehrung der 7 um 2 an der richtigen Stelle innerhalb des

Zehnerfeldes vornimmt.

Zum Material gibt es im Anleitungsheft eine genaue Beschreibung und eine Vielzahl an

Spielen, die die inneren Vorstellungsbilder der Zahlen festigen. Insgesamt ist das Material

sehr ansprechend und nicht übermäßig teuer (29,90 €). Es bedarf keiner langen

Vorbereitungszeit, da nichts geschnitten oder laminiert werden muss. Es eignet sich für das

erste Grundschuljahr, kann aber auch für den Förderunterricht in der Schule, für die Arbeit

mit behinderten Kindern oder in der Lerntherapie eingesetzt werden.

Abb. 4. Finger, Bilder, Rechnen (Beispiel der Zahl 9)

3.2.4 Persönliche Bewertung der Förderprogramme

Die Entdeckungen im Zahlenland 1 von Prof. Preiß führe ich derzeit mit einer Kollegin in

einer integrativen Gruppe von zehn Kindern mit einer Zeitstunde pro Woche durch. Die

Kinder sind gemischt aus dem ersten und zweiten Schuljahr. Sechs Kinder haben

sonderpädagogischen Förderbedarf, vier Kinder sind Regelkinder, die als Helferkinder

eingesetzt werden.

Die Kinder kommen ausnahmslos begeistert in die Stunde und sind die meiste Zeit sehr

aufmerksam und motiviert dabei. Das handlungsorientierte Lernen mit dem Material ist gut zu

beobachten. Die behinderten Kinder machten deutliche Fortschritte bei der Simultanerfassung

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von Mengen bis vier und beim richtigen Abzählen bis fünf. Außerdem mögen sie die Rituale

und wollen gerne die verschiedenen Rollen übernehmen. Besondere Fortschritte sind auch

beim Sprechen der immer wiederkehrenden Sätze zu beobachten. Beim Einrichten der

Zahlenhäuser werden die Kinder immer selbstständiger.

Das Konzept und das Material der Entdeckungen im Zahlenland ist m. E. fantastisch. Kinder

im Vorschulalter sowie behinderte Kinder im ersten und zweiten Schuljahr können von der

Zahlenschule enorm profitieren. In den kommenden Monaten werden wir die Gruppe

weiterführen ins Zahlenland 2.

Als Ergänzung mit Liedern haben wir die CD aus dem Programm von Gerhard Friedrich und

Viola de Galgóczy eingesetzt. Dies ist ein von der Idee her sehr ähnliches Programm. Es hat

lediglich andere Geschichten und Lieder. Das Buch zur CD enthält keine detaillierten

Verlaufspläne. Das Material ist dasselbe und von einem anderen Hersteller zu beziehen.

Auch die Entdeckungen im Entenland von Prof. Preiß finde ich sehr gut gelungen. Der

Rahmen der Geschichte mit den Enten und weiteren Figuren sind mit Sicherheit sehr

motivierend für Kinder zwischen 2,5 und 4 Jahren. Ich bin davon überzeugt, dass Kinder so

auf natürliche und spielerische Weise mit den Zahlen und Mengen in Berührung kommen und

davon spätere Vorteile im Rechenunterricht haben. Das Konzept der mathematischen

Frühbildung als „ganzheitlichem Prozess, ... der jedes Kind mit seinen Begabungen anspricht

und fördert“, ist m. E. herausragend und sehr gut fundiert. Es bildet eine Grundlage für

schulisches Lernen. „Mathematische Bildung ist geeignet, alle Kräfte des Gehirns zu fördern.

Selbstständigkeit, Selbsttätigkeit und soziales Verhalten werden angestrebt, Aufmerksamkeit

und Gedächtnis trainiert. Ständige Begleiter sind Sprechen und Zuhören, Musik und

Bewegung, Gefühle und Phantasie“ (Preiß 2007, unveröffentlichte Seminarunterlage zum

Basisseminar Entenland 1).

Ich bin sicher, dass das Material sich wiederum gut eignet für Kinder mit unterschiedlichen

Behinderungen. Es wäre wünschenswert, gerade diesen Kindern die Welt der Zahlen

frühzeitig zu eröffnen. Im schulischen Rahmen zeigt sich immer wieder, dass behinderte

Kinder sich mit Zahlen und Mengen noch schwerer tun als mit Buchstaben. Für sie wäre die

Teilnahme an einer mathematischen Frühbildung eine echte Chance!

Der Hamburger Zahlbegriffs- und Rechenaufbau ist ein sehr gelungenes Programm für

die Bildung der mathematischen Grundkompetenzen, nämlich der Operationen im

Zahlenraum bis zehn. Allerdings setzt es schon einige Grundkompetenzen voraus, nämlich

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ein pränumerisches Mengenverständnis, das z.B. im Konzept von Prof. Preiß gefördert wird.

Auch müssen die Zahlwörter und die Zahlzeichen bekannt sein (vgl. Claus/ Peter a.a.O., 18).

Nach meinen Erfahrungen aus den ersten zwei Grundschuljahren haben die Autoren recht,

wenn sie das Fingerzählen als größte Gefahrenquelle im Mathematikunterricht sehen. Es ist

tatsächlich so, dass vielen Kindern die Ablösung vom zählenden Rechnen nicht gelingt und

sie dadurch eine Rechenschwäche ausbilden. Deshalb finde ich die Idee sehr gut, die Finger

als Rechenmaterial nicht zu verbieten, sondern aufzugreifen und umzuwandeln. Das betrifft

auch wieder behinderte Kinder, für die es ohnehin ein wichtiges Lernziel ist, das

Körperschema auszubilden und zu verinnerlichen, dass an jeder Hand fünf Finger sind.

Das Material lässt sich gut koppeln bzw. fortführen mit anderen Programmen, die ein

ähnliches Zehnerfeld aufweisen. Hierzu gehört das Konzept für Rechnen ohne Stolperstein

von Anna Kistler und Stefanie Schneider, das für Grund- und Förderschulen passend ist. Ihr

Rechenmaterial besteht aus Karten mit blauen Punkten. Der Zehner besteht auch aus zwei

übereinanderliegenden Punktereihen (bei HamZara sind es blaue Quadrate in der gleichen

Größe). Allerdings sind die Zahlen 5-8 anders angeordnet. Das müsste aber nach

erfolgreichem Abschluss mit den Fingerbildern kein Problem darstellen. Es wäre dann eine

Übertragung mit der Erkenntnis, dass z.B. 6 Äpfel immer sechs Äpfel bleiben, auch wenn sie

anders liegen (Aspekt der Mächtigkeit der Zahlen). Der Vorteil von dem „Material Rechnen

ohne Stolperstein“ liegt in den Minuskärtchen, die durchsichtig sind und über die blauen

Punkte gelegt werden können. Durch die schwarzen Striche im Sinne von Durchstreichen

kann das Kind sofort sehen, wie viele Punkte übrig bleiben. Außerdem bietet das Konzept

drei Bände an Arbeitsblättern, wovon der erste Band den pränumerischen Bereich abdeckt

und den Zahlenraum bis 6 und dann im zweiten Band den Zahlenraum bis 20 erweitert.

Als geeignetes Computerprogramm für die Arbeit mit dem Zehnerfeld und darüber hinaus

empfiehlt sich Budenberg. Dieses Programm entwickelte Günter Schleisick, der bis 2003

Leiter der Schule am Budenberg in Haiger (Hessen) war. Schon vor 20 Jahren begann er, ein

Computerprogramm für den Förderunterricht in Mathe und Deutsch zu entwerfen. Sein

Programm erweiterte und verbesserte er stetig. Die Budenberg-Übungen im Zehnerfeld sind

sehr vielfältig und für Kinder durch die Selbstkontrolle und klaren Aufgaben hoch

motivierend. Nach meinen Erfahrungen machen Kinder, die regelmäßig Budenberg-Übungen

wiederholen, sichtbare Fortschritte im Umgang mit Zahlen und Mengen.

Außerdem möchte ich den Kutzer-Zug nicht unerwähnt lassen. Der Holzzug mit zehn Wagen

und je zehn Bauklötzchen, die auch zu einem Zehnerblock getauscht werden können, sind mit

allen genannten Programmen kompatibel. Der Zahlenraum bis Hundert kann wunderbar

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veranschaulicht werden. Der Kutzer-Zug gehört zum Unterrichtswerk „Mathematik entdecken

und verstehen lernen“, das von Prof. Reinhard Kutzer für Lernhilfeschüler entwickelt wurde.

Nach meinen Erfahrungen kann der Zug sehr gut unabhängig vom Lehrwerk eingesetzt

werden. Die Ausführungen von Prof. Kutzer zum Umgang mit dem Zug sind natürlich

durchaus eine große Hilfe. Die Arbeitshefte sind aber nicht für alle Kinder geeignet. Sie sind

sehr umfangreich und haben m. E. oft zu viele Aufgaben auf einer Seite.

3.3 Bereich Graphomotorik

3.3.1 Visuelle Wahrnehmungsförderung nach M. Frostig

Im Vergleich zu allen hier vorgestellten Materialien ist das visuelle Wahrnehmungstraining

von Marianne Frostig ein schon lange bekanntes und alt bewährtes Förderprogramm.

Immerhin ist es schon vor 35 Jahren in den USA erschienen und kurze Zeit später in

Deutschland erfolgreich eingeführt worden. Das Übungsmaterial war schon damals gedacht

für die Vorschule, für die Förderung von auffälligen Kindern in den ersten beiden

Grundschuljahren und für behinderte Kinder. Sowohl das Material, als auch der dazugehörige

Test, FEW (Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung), wird heute noch von

vielen Ergotherapeuten und Pädagogen eingesetzt. Inzwischen liegt eine Neuauflage des

Testes vor (Developmental Test of Visual Perception DTVP-2).

Das Programm wurde als eine „Übungs- und Beobachtungsfolge“ entworfen. Es besteht aus

einem umfangreichen Anweisungsheft und 3 Arbeitsheften für die Hand der Kinder. Die

Seiten können auch herausgetrennt oder kopiert werden. Alle Bereiche der visuellen

Wahrnehmung (s. 2.3.5) werden systematisch geübt. Im Anweisungsheft wird jedes

Arbeitsblatt erläutert und zusätzlich auf passende Spiel- und Übungsmöglichkeiten

hingewiesen. Diese sind vor dem Arbeitsblatt zu machen, denn es soll möglichst zuerst auf

der Sinnesebene etwas erfahrbar werden (z.B. eine Überkreuzung). Bewegungen mit dem

Körper und das Ausbilden eines Körperschemas sind zentral. Übungen zur räumlichen

Wahrnehmung werden z. B. zuerst mit dem Körper im Raum durchgeführt und dann auf der

abstrakten Ebene fortgeführt. Das Heft 1 umfasst 80 Übungen zu allen Breichen der visuellen

Wahrnehmung, Heft 2 umfasst 112 Übungen und Heft 3 besteht aus 128 Übungen. Der

Zeitaufwand für das Förderprogramm beträgt zunächst zwei bis drei Arbeitsperioden á

zwanzig Minuten, später drei bis vier Perioden á dreißig Minuten. Das gesamte Programm ist

auf drei Halbjahre angelegt und sollte kontinuierlich fortgeführt werden, damit sich Erfolge

festigen und aufeinander aufbauen. Die Gruppengröße sollte am Anfang vier bis sechs Kinder

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nicht übersteigen. Heft 2 und 3 können jedoch auch mit mehren Kindern durchgeführt

werden.

3.3.2 Marburger graphomotorische Übungen

Ein ebenfalls schon länger bekanntes und gerne genutztes Fördermaterial sind die Marburger

Graphomotorischen Übungen von Prof. Dr. Friedhelm Schilling. Diese sind 1983 erstmals

erschienen und inzwischen in der 12., aktualisierten Auflage erhältlich. Teil I umfasst 64

Vorlagen, die mit unterschiedlichen Schreibmaterialien (Buntstifte, Bleistifte, Filzstifte)

gemacht werden können. Das Ziel der Übungen ist, „grundlegende graphische

Bewegungsformen in immer neuen Variationen zu erarbeiten bzw. nachzuvollziehen und

durch selbstständigen Umgang mit den Materialien neue Lösungsformen zu finden“ (Schilling

2004, 5). So werden Linien, Kurven und Auf- und Abbewegungen in verschiedenen

Bildsituationen geübt und ständig wiederholt. Der natürliche Prozess der kindlichen

Schreibentwicklung wird dabei berücksichtigt. So beginnt das Programm mit Kritzelbildern

und geht dann über in Strichübungen, Punktbilder, Bögen und Kreise in verschiedenen

Größen und Anordnungen, Zielpunktieren und schließlich Kombinationen und Muster. Bei

dem letztgenannten werden die gelernten Elemente miteinander kombiniert.

Die Marburger Graphomotorischen Übungen sind für den Vorschulbereich oder für den

Anfangsunterricht gedacht. Außerdem haben sie sich bereits in der Arbeit mit behinderten

Schülern (auch geistig behinderten Kindern) bewährt (vgl. a.a.O., 7f). Die Durchführung

dauert bei einer täglichen Erarbeitung von einer Schulstunde etwas 4-6 Wochen.

Auch Teil II umfasst 64 Übungen, die jedoch schon sehr viel anspruchsvoller sind. Die

Striche, Kreise, Bögen und Punkte werden jetzt mit einem Ziel geführt und sind in

Gegenstände, Figuren oder Situationen eingepasst. Mit jeder Übung werden sie kleinräumiger

und komplexer. Die letzten Vorlagen sind auch für geschicktere Hände eine Herausforderung.

Teil II ist eine Materialsammlung, die auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt und variiert

werden kann.

3.3.3 Persönliche Bewertung der Förderprogramme

Obwohl beide Programme schon lange auf dem Markt sind, muss man anerkennend

festhalten, dass die Bilder und Zeichnungen sehr ansprechend und kindgerecht sind, auch in

der Raumgestaltung des DIN A4-Blattes. Das ist nicht selbstverständlich. Man muss lediglich

einen Vergleich mit anderen Materialien aus dem Bereich anstellen. So sind z.B. in einem

relativ neuen Programm von 2001 „Den Stift im Griff“ von Achim Rix zur Schulung der

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Graphomotorik viele kleine Bildchen auf einer Seite (z.B. 15!), die vom Kind bearbeitet

werden müssen. Die etwas rigide Bildsituation von der Maus, die den Käse sucht, wird auf

vielen Seiten wiederholt. Meine Erfahrung damit ist, dass Kinder dafür schon ein hohes Maß

an visueller Wahrnehmungsfähigkeit aufbringen müssen und ein überfülltes Blatt gerade die

schwächeren Kinder völlig überfordert.

Der Vorteil des Förderprogramms von Marianne Frostig liegt im systematischen Aufbau der

visuellen Wahrnehmungsfähigkeit in seinen fünf Bereichen in Verbindung mit der

Entwicklung der graphomotorischen Kompetenz. Dazu sind aber auch zusätzliche Übungen

notwenig, wodurch ein erheblicher Zeitaufwand entsteht. Das ist in der Grundschule meist

nicht zu leisten, es sei denn, es gibt eine ergotherapeutische Betreuung an der Schule.

Ansonsten ist der Einsatz des Programms an Förderschulen sehr sinnvoll.

Die Aufteilung auf drei Hefte mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad ist sehr gelungen. Die

Vorlagen sind immer überschaubar und nicht überfrachtet. Nach meiner Erfahrung machen

gerade schwächere Kinder und Kinder mit Behinderungen die Arbeitsblätter sehr gerne.

Ähnlich ist es mit dem Programm von Prof . Schilling. Die Aufgaben sollen den Kindern

Spaß machen und von Erfolg gekrönt sein. Sie bauen deshalb langsam aufeinander auf. Die

Seiten sind nicht überladen, sondern einfach strukturiert. Im Vergleich zum Frostig-

Programm konzentriert sich dieses Material auf graphomotorische Übungen und nicht so sehr

auf alle Bereiche der visuellen Wahrnehmung. Der Vorteil liegt darin, dass es so in einem

überschaubaren zeitlichen Rahmen durchzuführen ist und dadurch auch in der Grundschule

seinen Einsatz finden kann.

4. „Fit für die Schule!“ – Lerntherapeutischer Ausblick

Wie eingangs dargestellt, erleben viele Kinder immer wieder einen Schulstart, der nach

einigen Wochen mit Selbstzweifeln und Frust einhergeht. Bis eine gezielte Förderung

einsetzt, sind oft schon zwei oder noch mehrere Jahre vergangen. Somit ist klar, dass die

Förderprogramme, die eigentlich für den Vorschulbereich entwickelt wurden, auch zum

Einsatz kommen sollten. In den meisten Kindergärten geschieht dies aber noch nicht. In

Hessen haben das Sozial- und das Kultusministerium im März 2005 einen Entwurf für einen

neuen Bildungsplan für Kinder von 0 – 10 Jahren vorgelegt. Hier wird ausgeführt, dass die

Entwicklung der phonologischen Bewusstheit oder der Mengenwahrnehmung bereits zu den

frühen Bildungszielen gehört. Es bleibt die Frage, wie, wann und von wem diese Ziele in die

praktische Arbeit umgesetzt werden. Auf Erzieherinnen und Erzieher kommen neue Aufgaben

hinzu, die m. E. in ihrer Ausbildung und in ihrer Gehaltskategorie beachtet werden müssten.

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Nach meinem Eindruck sind jedoch nicht alle Pädagogen im Elementarbereich von den neuen

Konzepten begeistert. Sie haben die Sorge, dass die wertvolle und unbeschwerte Zeit des

Spielens „verschult“ wird durch Förderprogramme.

Wenn aber präventive Förderprogramme nicht im vorschulischen Bereich durchgeführt

werden, was heißt das dann für die Schulen?

Ein realistischer Blick in die Grundschulen zeigt, dass es nicht ohne Weiteres zu leisten ist,

zusätzliche Förderprogramme regelmäßig im Unterricht durchzuführen. Dazu fehlen die Zeit

und das Personal. Es müssten andere, bessere Bedingungen für eine gezielte Diagnostik und

Differenzierung im Unterricht geschaffen werden.

Deshalb sehe ich eine Chance für lerntherapeutische Angebote im Sinne einer angemessenen

Schulvorbereitung. Kinder und Eltern könnten dann dem Schuleintritt gelassener entgegen

sehen.

Ein Förderprogramm für kleine Gruppen von z. B. vier 4 Kindern könnte folgende Inhalte

haben:

• Die spielerische Begegnung mit Lauten und Buchstaben: Dies beinhaltet die

Schulung der auditiven Wahrnehmungsfähigkeit und der phonematischen

Bewusstheit. Die Vorfreude und Motivation für das Lesen- und Schreibenlernen sollte

geweckt werden, außerdem der „Spaß an Sprache“. Eine analytisch-synthetische

Kompetenz für den Schriftspracherwerb könnte angebahnt werden.

• Eine mathematische Frühbildung unter Berücksichtigung aller Zahlaspekte:

Besonders wichtig ist hier die Herausbildung einer Mengenvorstellung. Außerdem gilt

es, eine „Lust auf Zahlen“ zu entwickeln und die Orientierung in Raum und Zeit zu

fördern.

• Die Ausbildung einer graphomotorischen Kompetenz: Eine richtige Stifthaltung

und Stiftführung sollte angeleitet werden. Die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit

könnte geschult werden und eine Anleitung zum Malen und Zeichnen gegeben

werden. Grundsätzlich sollte die Freude an Stift und Papier geweckt werden.

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5. Literatur, Tests und Materialien

Ayres, Jean: Bausteine der kindlichen Entwicklung. Springer 2002 Barth, Karlheinz: Die diagnostischen Einschätzskalen (DES) zur Beurteilung des Entwicklungsstandes und der Schulfähigkeit. Ernst Reinhardt Verlag 1998 Barth, Karlheinz: Lernschwächen früh erkennen im Vorschul- und Grundschulalter. Ernst Reinhardt Verlag 2006, 5. Auflage Betz, Dieter/ Breuniger, Helga: Teufelskreis Lernstörungen. Theoretische Grundlegung und Standardprogramm. Beltz Verlag 1998, 5. Auflage Breuer, Helmut/ Weuffen, Maria: Lernschwierigkeiten am Schulanfang. Lautsprachliche Lernvoraussetzungen und Schulerfolg. Beltz 2006, 7. Auflage Bundschuh, Konrad: Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik. Ernst Reinhardt 1984 Bundschuh, Konrad: Dimensionen der Förderdiagnostik bei Kindern mit Lern-, Verhaltens- und Entwicklungsproblemen. Ernst Reinhardt Verlag 1985 Claus, Heidrun/ Peter, Jochen: Finger, Bilder, Rechnen. Förderung des Zahlverständnisses im Zahlenraum bis 10. Vandenhoeck & Ruprecht. 2005 Forster, Maria/ Martschinke, Sabine: Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi. Diagnose und Förderung im Schriftspracherwerb Band 2. Auer 2001 Friedrich, Gerhard/ Galgóczy, Viola de: Komm mit ins Zahlenland. Christopherus Verlag 2001 Frostig, Marianne: Visuelle Wahrnehmungsförderung. Übungs- und Beobachtungsfolge für den Elementar- und Primarbereich. Anweisungsheft. Schroedel 1979 Frostig, Marianne: Visuelle Wahrnehmungsförderung. Heft 1, 2 und 3. Schroedel 1979 Hessisches Sozialministerium/ Hessisches Kultusministerium (Hg.): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen. Entwurf für die Erprobungsphase. Stand: August 2005 Klein, Ferdinand/ Neuhäuser, Gerhard: Heilpädagogik als therapeutische Erziehung. Reinhardt 2006 Kistler, Anna/ Schneider, Stefanie: Rechnen ohne Stolperstein. Band 1-3. edition von freisleben 2002, 3. verbesserte Auflage Krenz, Armin: Ist mein Kind schulfähig? Kösel Verlag 2003

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Küspert, Petra/ Schneider, Wolfgang: Hören, lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. Würzburger Trainingsprogramm zur Vorbereitung auf den Erwerb der Schriftsprache. Arbeitsmaterial und Arbeitsheft. Vandenhoeck und Ruprecht 2006, 5. Aufl. Lauth, Gerhard W./ Grünke, Matthias/ Brunstein, Joachim C. (Hrsg.): Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in der Praxis. Hogrefe 2004 Jansen, H./ Mannhaupt, G./ Marx, H./ Skowronek, H.: Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (BISC). Hogrefe 2002 Luckfiel, Heide/ Braun, Dorothee: Förderdiagnostik: Wahrnehmung, Motorik, Verhalten. In: Christiani, Reinhold (Hrsg.): Schuleingangsphase: neu gestalten. Cornelsen 2004 Mannhaupt, Gerd: Münsteraner Sreening zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (MÜSC). Cornelsen 2006 Mannhaupt, Gerd: Münsteraner Trainingsprogramm MÜT. Cornelsen 2006 Mannhaupt, Gerd: MÜSC: Münsteraner Sreening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Kurzbeschreibung. Entwurf für die Expertenrunde der Projektrunde am 08.09.2005. Punkt 2.2 in der Übersicht der Dateien im Internet vom 10.10.05. schulamt-frankfurt.bildung.hessen.de Martschinke, Sabine/ Kirschhock, Eva-Maria/ Frank, Angela: Der Rundgang durch Hörhausen. Diagnose und Förderung im Schriftspracherwerb Band 1. Auer 2001 Naegele, Ingrid M.. Schulschwierigkeiten in Lesen, Rechtschreibung und Rechnen. Vorbeugen, verstehen, helfen. Ein Elternhandbuch. Beltz 2001 Plume, Ellen/ Schneider, Wolfgang: Hören, lauschen, lernen 2. Spiele mit Buchstaben und Lauten für Kinder im Vorschulalter. Würzburger Buchstaben-Laut-Training. Anleitung und Arbeitsmaterial. Vandenhoeck & Ruprecht 2004 Preiß, Gerhard: Leitfaden Zahlenland 1. Verlaufspläne für die Lerneinheiten 1 bis 10 der Entdeckungen im Zahlenland. Kirchzarten 2004 Preiß, Gerhard: Leitfaden Zahlenland 2. Verlaufspläne für die Lerneinheiten 11 bis 22 der Entdeckungen im Zahlenland. Kirchzarten 2005 Preiß, Gerhard: Geschichten aus dem Zahlenland 1 bis 5. Kirchzarten 2004 Preiß, Gerhard: Geschichten aus dem Zahlenland 6 bis 10. Kirchzarten 2004 Preiß, Gerhard: Die 5 hat Geburtstag und 9 weitere Geschichten aus dem Zahlenland. Ein Hörbuch für Zahlenfreunde ab 3 Jahren. Kirchzarten 2005 Preiß, Gerhard: Leitfaden Entenland 1. Verlaufspläne für die Lernfelder 1 bis 3 der Entdeckungen im Entenland. Kirchzarten 2007 Preiß, Gerhard: Leitfaden Entenland 2. Verlaufspläne für die Lernfelder 4 bis 6 der Entdeckungen im Entenland. Kirchzarten 2007

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Preiß, Gerhard: Geschichten aus dem Entenland. Band 1 bis 6. Kirchzarten 2007 Preiß, Gerhard: Seminarunterlage Entenland 1. Zahlenland Prof. Preiß oHG. Unveröffentlichtes Handout. 2007 Rix, Achim: Den Stift im Griff. 123 Spielhandlungen zur Schulung der Grafomotorik. Persen 2001 Rosenkötter, Henning: Auditive Wahrnehmungsstörungen. Klett-Cotta 2003 Schilling, Friedhelm: Spielen – Malen - Schreiben. Vorlagen Teil 1. Marburger Graphomotorische Übungen. verlag modernes lernen 2004, 12. Auflage Schilling, Friedhelm: Spielen – Malen – Schreiben. Vorlagen Teil 2. Marburger Graphomotorische Übungen. verlag modernes lernen 2004 Weitere Materialien: Budenberg Programme, zu beziehen bei Meik Stoll, Software - Entwicklung und Vertrieb, Friedberg DTVP-2 (Developmental Test of Visual Perception) by D.D. Hammill, N. A. Pearson and J. K. Voress 1993, zu beziehen bei der Testzentrale Hogrefe Kutzer-Zug und weitere Arbeitsmittel zum Programm „Mathematik entdecken und verstehen“, zu beziehen bei Verlag Lydia Kutzer, Hünfeld