Fakultät für Physik und Astronomie der Ruhr-Universität...

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ΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦ Fakultät für Physik und Astronomie der Ruhr-Universität Bochum ΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦ Institut für Theoretische Physik Manuskript zu den Vorlesungen Mathematische Methoden der Physik I und II – basierend auf Vorlesungen gehalten von H. Fichtner – Bochum 2018/2019

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Fakultät für Physikund Astronomie derRuhr-Universität Bochum

Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ Φ

Institut für Theoretische Physik

Manuskript zu den Vorlesungen

Mathematische Methodender Physik I und II

– basierend auf Vorlesungen gehalten von H. Fichtner –

Bochum 2018/2019

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Mathematische Methodender Physik I & II

11. Juni 2019

Dieses Skript basiert auf den Vorlesungen “Mathematische Methoden der Physik I undII” an der Ruhr-Universität Bochum, gehalten von PD Dr. Horst Fichtner. Teile der vor-liegenden LaTeX-Version wurden erstellt von Florian Bendl, Edin Husidic und PatrickSturm. Herr Dipl.-Math. Martin Walzer hat eine frühere Version des Manuskripts durch-gesehen.

Vorbemerkung: Das vorliegende Skript kann (und soll ,) kein Lehrbuch ersetzen. Ins-besondere ist es (immer noch) nicht so gründlich Korrektur gelesen wie manches Buch.Daher sind wir (weiterhin) dankbar für jeden Hinweis auf Fehler!

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Inhaltsverzeichnis0 Motivation 4

1 Vektoren 111.1 Motivation von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2 Vektoren im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1.2.1 Rechnen mit Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2.2 Abstraktion auf “Vektorraum” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2.3 Das Skalarprodukt (= inneres Produkt) von Vektoren . . . . . . . . 131.2.4 Das Vektorprodukt (= äußeres Produkt) von Vektoren . . . . . . . 151.2.6 Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.2.5 Komponentendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1.3 Differentiation und Integration von Vektoren und Vektorfunktionen . . . . 181.3.1 Differentiation von Vektorfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.3.2 Partielle und totale Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

1.4 Krummlinige Koordinaten I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301.4.1 2-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . 31

2 Datenanalyse und Fehlerrechnung 39

3 Vektoranalysis I 403.1 Der Gradient eines skalaren Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.2 Quellenfelder, der Divergenz-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.3 Wirbelfelder, der Rotations-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4 Grundprobleme der Mechanik: Anwendungen aus der NewtonschenMechanik 50

4.1 Gradientenfelder und Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504.1.1 Der schräge Wurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504.1.2 Das Federpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504.1.3 Das mathematische Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.1.4 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 51

4.2 Impulssatz und Drehimpulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.3 Das Zweiteilchensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.4 Zentralkraftfelder und Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5 Matrizen und Tensoren 535.1 Rechenregeln für Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555.2 Quadratische Matrizen und Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

5.2.1 Taylor-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635.2.2 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645.2.3 Der Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

5.3 Anwendung von Matrizen: Drehungen, Spiegelungen, etc. . . . . . . . . . . 685.3.1 Transformation von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745.3.2 Transformation von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

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6 Gewöhnliche Differentialgleichungen 786.1 Die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 866.2 Systeme linearer Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . 97

7 Lineare Schwingungen 987.1 Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

7.1.1 Freie Schwingung: f(t) = 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987.1.2 Erzwungene Schwingungen: f(t) 6= 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

8 Nichtlineare Dynamik und Chaos 107

9 Vektoranalysis II 1089.1 Integrale über Vektorfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

9.1.1 Kurvenintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1179.1.2 Weg(un)abhängigkeit von Kurvenintegralen . . . . . . . . . . . . . 1189.1.3 Mehrfachintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199.1.4 Fluss durch eine Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

9.2 Die Integraldarstellung des Nabla-Operators . . . . . . . . . . . . . . . . . 1249.3 Die Integralsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

9.3.1 Der Gaußsche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1259.3.2 Der Stokessche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

10 Die Delta-Funktion 13010.1 Elementare Definition der Delta-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13010.2 Eigenschaften der Delta-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13310.3 Die dreidimensionale Delta-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

11 Fourier-Reihen 136

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0 Motivation

(a) Warum “Mathematische Methoden der Physik”?

Traditionelles Problem: (Theoretische) Physik benötigt “noch nicht gelernte” Mathematik

Diese “Lücke” soll durch die Vorlesung geschlossen werden.

Bemerkung: (Theoretische) Physik versucht “Grundgleichungen” aufzustellen undzu lösen. Zur Lösung gibt es drei prinzipielle Alternativen:

• exakte Lösung möglich −→ Analytik

• exakte Lösung möglich, aber zu aufwändig−→ Computeralgebraoder Numerik

• exakte Lösung nicht möglich −→ Numerik

Diese Vorlesung: Analytische Methoden.−→ Für Numerik siehe z.B. Computational Physics.

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(b) Ein kurzer Überblick über den VorlesungsinhaltDer Vorlesungsinhalt betrifft die nachfolgenden Punkte (ii) und (iii) der Einteilung:

(i) Was Sie bereits wissen sollten.(ii) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht wissen müssen.(iii) Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Veranstaltung lernen können.

Für Formelbeispiele siehe das Quiz zum Selbsttest auf der Webseite, hier sind nachfolgendlediglich die Themen genannt:

(i) Was Sie bereits wissen sollten

(1) Reelle Zahlen(2) Einfache (z.B. quadratische) Gleichungen, Trigonometrie(3) Differentialrechnung(4) Integralrechnung

(ii) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht wissen müssen

(5) Komplexe Zahlen(6) Vektoren(7) Matrizen

(iii)Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Veranstaltung lernen können

(8) Partielle Ableitungen, totales Differential(9) (Gewöhnliche) Differentialgleichungen(10) Vektoranalysis

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– Ein Quiz zu Beginn –

Mit diesem Quiz wollen wir Ihnen zu Beginn der Veranstaltung die Möglichkeit geben, eine‘Bestandsaufnahme’ zu machen, d.h. heraus zu finden, was Sie bereits wissen und was Sienoch nicht wissen. Gleichzeitig werden Sie erkennen,

(A) was wir an Kenntnis voraussetzen, Sie also aus der Schule oder dem Vorkurs schonwissen sollten (Aufgabenblock A),

(B) was Sie vielleicht schon wissen, wir allerdings auch behandeln werden (Aufgaben-block B) und

(C) was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen und im Verlaufe der Vorlesung und Übun-gen lernen können (Aufgabenblock C).

Seien Sie beim Bearbeiten des Quiz unbesorgt: es ist kein Test und keine Klausur und dientnur Ihnen selbst – wir verfolgen nur die oben genannten Absichten. Falls Sie Fragen haben,wenden Sie sich ruhig an Ihre Lerngruppenleitung.

PS: Sie können zwar einen Taschenrechner verwenden – sollten den aber eigentlich nichtbenötigen ,.

(A) Was Sie bereits wissen sollten:

Aufgabe 1: Zahlen Ja Nein

1.1 Ist 3/4 eine rationale Zahl? © ©

1.2 Ist 2.2 eine rationale Zahl? © ©

1.3 Ist√

2 eine irrationale Zahl? © ©

1.4 Ist√

2.56 eine irrationale Zahl? © ©

1.5 Was ergibt 35· 5

4?

1.6 Was ergibt 35· 0.6 dezimal ?

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Aufgabe 2: Gleichungen, Trigonometrie Ja Nein

2.1 Was sind die Lösungen von x2 = 16 ?

2.2 Was sind die Lösungen von x2 + 6x = 16 ?

2.3 Was ist die Lösung von1

1− x= 2 ?

2.4 Was sind die Lösungen von sinx = 1 ?

2.5 Ist sin2 x+ cos2 x = 1 für alle x erfüllt ? © ©

2.6 Ist tanπ

4= 1 richtig ? © ©

Aufgabe 3: Differentialrechnung

3.1 Wie lautet die 1. Ableitung von f(x) = 2x2 ?

3.2 Wie lautet die 1. Ableitung von f(x) =2

x2?

3.3 Wie lautet die 1. Ableitung von f(x) =1√

1 + x2?

3.4 Welche Funktion erfüllt f ′(x) = f(x) ?

3.5 Wie lautet die Ableitung von f(x) = cos(x) ?

3.6 Wie lautet die Ableitung von f(x) = ln(x) ?

Aufgabe 4: Integralrechnung Ja Nein

4.1 Was ist die Lösung von2∫

1

x2 dx ?

4.4 Was ist die Lösung von1∫

0

x2/3 dx ?

4.3 Was ist die Lösung des Integrals∫

exp(x) dx ?

4.4 Was ist die Lösung des Integrals∫

cos(x) dx ?

4.5 Ist∫

tan(x) dx = − ln(cos(x)) richtig ? © ©

4.6 Ist die Aussage2π∫

0

sin(x) dx = π/2 richtig ? © ©

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(B) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht müssen (,):

Aufgabe 5: Komplexe Zahlen Ja Nein

5.1 Ist i =√−1 ? © ©

5.2 Welchen Betrag hat die komplexe Zahl a = 2 + 3i ?

5.3 Ist 1/a ebenfalls eine komplexe Zahl? © ©

5.4 Es sei b = 2− 3i. Wie lautet die konjugiert komplexe Zahl b ?

5.5 Was ist das Ergebnis von a · b ?

5.6 Ist das Ergebnis von exp(2πi) eine komplexe Zahl? © ©

Aufgabe 6: Vektoren

6.1 Was ist das Ergebnis von (1,−2, 3) + (2,−4, 0) ?

6.2 Welchen Betrag hat der Vektor ~v = (−2, 2) ?

6.6 Was ist das Ergebnis von 3~v ?

6.4 Was ergibt sich für das Skalarprodukt (1, 2, 3) · (−1, 0, 4) ?

6.5 Was ergibt sich für das Vektorprodukt (1, 2, 3)× (−1, 0, 4) ?

6.6 Was bedeutet es, wenn ~a ·~b = 0 ?

Aufgabe 7: Matrizen

Gegeben seien drei Matrizen A,B,C und ein Vektor ~x

A =

3−2 4

2 1−5

; B =

1 3

2 0

0−1

; C =

3 −4

0 1

und ~x =

1

2

1

7.1 Was ergibt sich für das Produkt AB ?

7.2 Was ergibt sich für das Produkt BA ?

7.3 Was ergibt sich für das Produkt A~x ?

7.4 Was ergibt sich für die Determinante von C ?

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(C) Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Ver-anstaltung lernen können (,,):

Aufgabe 8: Partielle Ableitung

Gegeben seien die beiden Funktionen

f(x, y) = x2 + 2y3 und g(x1(t), x2(t)) = 2x1(t)−√x2(t)

8.1 Wie lautet die partielle Ableitung∂f

∂x?

8.2 Wie lautet hingegen die partielle Ableitung∂f

∂y?

8.3 Wie lautet die Ableitungdg

dt?

Aufgabe 9: Gewöhnliche Differentialgleichungen Ja Nein

9.1 Handelt es sich bei x2f ′(x) + f(x) = 0 um eine Differentialgleichung 2. Ord-nung?

© ©

9.2 Wie lautet die allgemeine Lösung x(t) der Differentialgleichung x+kx = 0 mitk = const. ?

9.3 Wie lautet die Lösung y(x) der Differentialgleichung y ′ =1

xy mit y(4) = 8 ?

Aufgabe 10: Vektoranalysis

Gegeben seien die Funktion f(x, y) = x2 + 2y3 und das dreidimensionale Vek-torfeld ~A(x, y, z) = (x, 2y, 3z).

10.1 Wie lautet der Gradient ∇f in kartesischen Koordinaten?

10.2 Wie lautet die Rotation ∇× ~A in kartesischen Koordinaten ?

10.3 Was ergibt∮OV

~A · d~OV =

∫V

div ~A dV ?

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Die meisten von Ihnen werden die Aufgaben in (C) noch nicht beantworten können –das ist keine Überraschung! Dieser Aufgabenblock dient nicht dazu, Ihr Wissen zu ergrün-den, sondern vielmehr dazu, Ihnen zu zeigen, womit wir uns in der Vorlesung und denÜbungen zu beschäftigen haben werden.

Alles, was Sie in diesemQuiz finden, sollten Sieim Laufe der Zeit beherr-schen, denn es wird aus-nahmslos für ein erfolgrei-ches Physikstudium not-wendig sein, und zwar spä-testens ab dem 2. bzw. 3.Fachsemester. D. h. – auchwenn Sie es jetzt nochnicht richtig glauben soll-ten (,) – die mathema-tischen Methoden sind fürein erfolgreiches Studiumunverzichtbar.

Daher schon ein früher Appell: Bemühen Sie sich, sich die mathematischen Methodenfrühzeitig anzueignen – Sie werden sich dafür später dankbar sein!

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1 Vektoren

1.1 Motivation von VektorenVerschiedene physikalische Gegebenheiten erfordern Größen, die nicht allein duch die An-gabe eines Wertes bestimmt sind, sondern zusätzlich eine Richtungsangabe erforden. Bei-spiele1:

• Geschwindigkeit ~v

• Kraft ~F

• Drehimpuls ~L

• Magnetische Flussdichte ~B

• Runge-Lenz-Vektor ~A

• Isospin ~I

D.h. es existiert die sinnvolle Unterscheidung:

::::::::Skalare2 = Größen, die duch die Angabe eines einzigen Wertes gekennzeichnet sind.

(z.B. Masse, Temperatur, Ladung)

:::::::::Vektoren = Größen, die durch die Angabe mehrerer Werte gekennzeichnet sind (oft:

Betrag und Richtung).(z.B. Geschwindigkeit, Kraft, elektrischer Feldvektor)

Bemerkung: Wortursprünge:• scalae = lat.: “Leiter, Stiege, Treppe”

• vector = lat.: “Träger” (vehere = tragen)

Bemerkung: Eine wesentliche Eigenschaft von Skalaren und Vektoren ist ihre Inva-rianz gegenüber Koordinatentransformationen (s.u.). Die allgemeinereFrage nach Größen, die das leisten, führt auf das Konzept von Ten-soren: Skalare sind Tensoren 0. Stufe und Vektoren sind Tensoren 1.Stufe.

Die mathematische Beschreibung eines Vektors erfolgt oft durch seine Komponenten(aus denen ggf. Betrag und Richtung berechnet werden können). Diese Komponentenbeziehen sich auf ein Koordinatensystem (s.u.).::::::::::Beispiele:

1Einige der genannten Vektoren sind genauer als Pseudovektoren zu bezeichnen, zu denen wir späterkommen

2Diese müssen von sogenannten Pseudoskalaren unterschieden werden

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(i):::::::::Vektoren

::::im

:::R2:

In einem kartesischen Koordinatensy-stem im R2 werden Vektoren als Zahlen-paare dargestellt.

(ii):::::::::Vektoren

::::im

:::R2:

In einem kartesischen Koordinatensy-stem im R3 werden Vektoren als Zahlen-tripel dargestellt.

Bemerkung: Die in den Beispielen verwendete Schreibweise ~r = (a, b) bzw. ~s =(a, b, c) motiviert den Begriff Zeilenvektoren. Oft werden Vektorenauch als Spaltenvektoren geschrieben, d.h.:

~r =

(ab

); ~s =

abc

Diese Beispiele motivieren die Definition von:

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1.2 Vektoren im Rn

Definition: Der Rn ist die Menge aller (geordneten) n-Tupel (x1, x2, ..., xn) mitxi ∈ R, i = 1, 2, ..., n, also:

Rn = (x1, . . . , xn)|x1, . . . , xn ∈ R mit n ∈ N

Ein n-Tupel (x1, ..., xn) im Rn heißt Vektor, im Falle von n = 1 sprichtman von Skalaren. Die Komponenten eines solchen Vektors sind alsoSkalare.

1.2.1 Rechnen mit Vektoren

::::::::::Addition: ~v + ~w = (v1, ..., vn) + (w1, ..., wn) = (v1 + w1, ..., vn + wn)

:::::::::::::::Multiplikation::::mit

:::::::Skalar

:::λ: λ~v = λ (v1, ..., vn) = (λv1, ..., λvn)

1.2.2 Abstraktion auf “Vektorraum”

−→ siehe Mathematikvorlesung.—————————————————————————————–

Es ist zweckmäßig verschiedene Vektorprodukte zu definieren. Obwohl die entsprechendenDefinitionen weitreichender sind, hilft die Anschauung zum direkten Verständnis.

1.2.3 Das Skalarprodukt (= inneres Produkt) von Vektoren

::::::::::::::Physikalische

::::::::::::Motivation: Arbeit W

Es greife die Kraft ~F an einem nur in x1-Richtung beweglichen Körper an und bewegedenselben um die Strecke |~s|:

Es soll gelten:

(i) W = Skalar

(ii) W = 0, wenn ~F ⊥ ~s

(iii) W = max., wenn ~F‖~s

Damit ist motiviert: W = ~F · ~s = |~F | |~s| cosα

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Allgemein definiert man:

Definition: Das Skalarprodukt (innere Produkt) zweier Vektoren ~v und ~w ist dieZahl

~v · ~w = |~v| |~w| cosα ,

wobei α = ^ (~v, ~w) den von ~v und ~w eingeschlossenen Winkel bezeich-net.

Folgerung: Die Länge bzw. der Betrag eines Vektors ~v ist gegeben durch

|~v| =√~v · ~v , denn ~v · ~v = |~v||~v| cos 0o = |~v|2.

Folgerung: Zwei Vektoren ~v und ~w stehen senkrecht (man sagt auch orthogonal)zueinander, wenn

~v · ~w = 0 , denn ~v ⊥ ~w ⇒ α = 90 ⇒ cosα = 0.

Folgerung: Der Winkel zwischen zwei Vektoren ~v und ~w kann aus

cos^(~v, ~w) = cosα =~v · ~w|~v||~w|

berechnet werden.

Folgerung: Eigenschaften des Skalarproduktes:

kommutativ: ~v · ~w = ~w · ~vdistributiv: ~u · (~v + ~w) = ~u · ~v + ~u · ~whomogen: λ(~v · ~w) = (λ~v) · ~w = ~v · (λ~w)

Bemerkung: Für die Arbeit gilt allgemeiner der Ausdruck W =

∫~F · d~s. Auf die

Auswertung eines solchen Linienintegrals wird später eingegangen.

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1.2.4 Das Vektorprodukt (= äußeres Produkt) von Vektoren

::::::::::::::Physikalische

::::::::::::Motivation: Drehmoment ~M

Es greife die Kraft ~F im Punkt P eines Körpers an, der um einen Punkt O drehbar gelagertist:

Es soll gelten:

(i) ~M = Vektor

(ii) | ~M | = 0, wenn ~F‖~rP(iii) | ~M | = max., wenn ~F ⊥ ~rP

Damit ist motiviert: | ~M | = |~rP × ~F | = |~rP | |~F | sinα

Allgemein definiert man:

Definition: Das Vektorprodukt (äußere Produkt) zweier Vektoren ~v und ~w des R3

ist ein zu ~v und ~w orthogonaler Vektor mit dem Betrag

|~v × ~w| = |~v| |~w| sinα ,

wobei α = ^ (~v, ~w) den von ~v und ~w eingeschlossenen Winkel bezeich-net.

1.2.6 Spatprodukt

Man kann drei Vektoren ~u,~v,~w aus R3 das folgende Mischprodukt zuordnen:

~u · (~v × ~w) = ~v · (~w × ~u) = ~w · (~u× ~v)

Das Resultat ist ein (Pseudo-)Skalar,welcher dem Volumen V des von dendrei Vektoren aufgespannten Parallelepi-peds oder Spats (= ’schiefer Quader’)entspricht:

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1.2.5 Komponentendarstellung

Es ist nützlich und oft bequem Vektoren der Länge “1” einzuführen, d.h. so genannte Ein-heitsvektoren:

Es gilt:

~v = v1~e1 + v2~e2, denn~v = v1(1, 0) + v2(0, 1) = (v1, 0) + (0, v2) = (v1, v2)

Allgemein gilt (wegen |~e| =√~e · ~e = 1) für paarweise senkrechte Einheitsvektoren in

einem kartesischen Koordinatensystem:

~ei · ~ej =

1; i = j0, i 6= j

=: δij

δij heißt Kronecker-Symbol und ist definiert durch: δij =

1, i = j

0, i 6= j

Weiterhin gilt im R3:

~ei × ~ej =

~ek i 6= j 6= k zyklische Vertauschung von 1,2,3−~ek i 6= j 6= k nicht zykl. Vertauschung von 1,2,3

0 i = j oder j = k oder k = i

=:∑k

εijk · ~ek

εijk heißt Levi-Civita-Symbol und ist definiert durch:

εijk =

1, i 6= j 6= k zyklische Vertauschung von 1,2,3−1, i 6= j 6= k nicht zykl. Vertauschung von 1,2,30 i = j oder j = k oder k = i

Bemerkung: Es gilt: εijk = ~ei · (~ej × ~ek) (Spatprodukt!)

Diese Einheitsvektoren helfen bei der Formulierung der:

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Komponentendarstellung von Skalar- und Vektorprodukt

Seien ~e1,~e2,~e3 Einheitsvektoren eines kartesischen Koordinatensystems im R3:

~v = (v1, v2, v3) = v1~e1 + v2~e2 + v3~e3

~w = (w1, w2, w3) = w1~e1 + w2~e2 + w3~e3

Dann folgt (mit ~ei · ~ej = δij) :

~v · ~w = (v1~e1 + v2~e2 + v3~e3) · (w1~e1 + w2~e2 + w3~e3)

= v1w1 (~e1 · ~e1) + v1w2 (~e1 · ~e2) + v1w3 (~e1 · ~e3)

+ v2w1 (~e2 · ~e1) + v2w2 (~e2 · ~e2) + v2w3 (~e2 · ~e3)

+ v3w1 (~e3 · ~e1) + v3w2 (~e3 · ~e2) + v3w3 (~e3 · ~e3)

= v1w1 + v2w2 + v3w3

Das motiviert allgemein die

Definition: Für das Skalarprodukt von Vektoren im Rn gilt:

~v · ~w = v1w1 + . . .+ vnwn =n∑i=1

viwi =n∑i=1

n∑j=1

δijviwj

Dementsprechend folgt nun für das Vektorprodukt im R3

~v × ~w = (v1~e1 + v2~e2 + v3~e3)× (w1~e1 + w2~e2 + w3~e3)

= v1w1 (~e1 × ~e1) + v1w2 (~e1 × ~e2) + v1w3 (~e1 × ~e3)

+ v2w1 (~e2 × ~e1) + v2w2 (~e2 × ~e2) + v2w3 (~e2 × ~e3)

+ v3w1 (~e3 × ~e1) + v3w2 (~e3 × ~e2) + v3w3 (~e3 × ~e3)

= (v2w3 − v3w2)~e1 + (v3w1 − v1w3)~e2 + (v1w2 − v2w1)~e3

Also:

Definition: Für das Vektorprodukt von Vektoren im R3 gilt:

~v × ~w = (v2w3 − v3w2, v3w1 − v1w3, v1w2 − v2w1)

=∑i

∑j

∑k

εijkviwj~ek =∑i,j,k

εijkviwj~ek

Bemerkung: |~v × ~w| entspricht dem Flächeninhalt des von ~v und ~w aufgespanntenParallelogramms.

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18 ———————————————————————————————————–

1.3 Differentiation und Integration von Vektoren undVektorfunktionen

:::::::::::::::Vorbemerkung

:::::bzw.

:::::::::::::Erinnerung

:::::(?!): Ableitung einer Funktion

:::::Idee: Berechnung der Steigung einer Funktion an der Stelle x0 als Grenzwert (∆x→ 0)

von Sekantensteigungen.

Formal gilt:

f ′(x) :=df

dx

∣∣∣∣x0

= lim∆x→0

∆f

∆x= lim

∆x→0

f(x0 + ∆x)− f(x0)

∆x

x = x0+∆x∣∣= lim

x→x0

f(x)− f(x0)

x− x0

Bemerkung: Gelegentlich wird auch die Notation

f ′(x) = limh→0

f(x+ h)− f(x)

h

verwendet, wobei h eine Nullfolge ist.

Bemerkung: Wenn ∆x hinreichend klein ist, gilt:

f ′(x0) ≈ f(x0 + ∆x)− f(x0)

∆x

in der Nähe von x0. Also ist die Gerade

g(x) = f(x0) + f ′(x0)(x− x0)

durch den Punkt (x0, f(x0)) in diesem Bereich eine gute Näherung.

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1.3.1 Differentiation von Vektorfunktionen

Sei ~r = ~r(t) = (x1(t), x2(t), x3(t))z.B. die Bahnkurve eines Körpers:

Dann gilt für die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t amOrt (x1(t), x2(t), x3(t)):

~v(t) = ~r(t) =d~r

dt= lim

∆t→0

∆~r(t)

∆t= lim

∆t→0

~r(t+ ∆t)− ~r(t)∆t

= lim∆t→0

1

∆t[x1(t+ ∆t)− x1(t), x2(t+ ∆t)− x2(t), x3(t+ ∆t)− x3(t)]

=

(dx1

dt,dx2

dt,dx3

dt

)= (v1(t), v2(t), v3(t))

Entsprechend gilt für die Beschleunigung:

~a(t) = ~v(t) = ~r(t) =d

dt

(d~r

dt

)=d2~r

dt2=

(d2x1

dt2,d2x2

dt2,d2x3

dt2

)= (a1(t), a2(t), a3(t))

:::::::::Beispiel: Kreisbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω

~r(t) = R cos(ωt)~e1 +R sin(ωt)~e2 = R (cos(ωt), sin(ωt)) ; R,ω = const.

Dann gilt:

(a) ~v = ~r = Rω (− sin(ωt), cos(ωt))

⇒ |~v| = Rω = const. (X)

(b) ~a = ~v = ~r = −Rω2 (cos(ωt), sin(ωt))

⇒ |~a| = Rω2 = const.

:::::Also: Die Beschleunigung ist nicht Null, obwohl der Geschwindigkeitsbetrag konstant ist.

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20 ———————————————————————————————————–

Die Ableitung von Vektoren und Vektorfunktionen erfolgt also komponentenweise.

Es gelten einige Rechenregeln, wie z.B.:

d

dt(~v + ~w) =

d~v

dt+d~w

dt

d

dt(~v · ~w) =

d~v

dt· ~w + ~v · d~w

dt

d

dt(~v × ~w) =

d~v

dt× ~w + ~v × d~w

dt

(Beweis z.B. durch Rechnung in Komponenten.)

—————————————————————————————–

Selbstverständlich erfolgt auch die Integration von Vektorfunktionen komponentenweise:

~r(t) = ~v(t) ⇒ ~r(t) =

∫~v(t)dt =

(∫v1(t)dt,

∫v2(t)dt,

∫v3(t)dt

)

:::::::::Beispiel: Kreisbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω (s.o.)

~v(t) = Rω (− sin(ωt), cos(ωt))

⇒ ~r(t) =

∫~v(t)dt = Rω

(−∫

sin(ωt)dt,

∫cos(ωt)dt

)= Rω

(1

ωcos(ωt),

1

ωsin(ωt)

)= R (cos(ωt), sin(ωt)) (X)

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Exkurs: Kurvenintegrale (= Linien- oder Wegintegrale, vgl. 9.1.1)

Bei der Diskussion des Skalarproduktes (vgl. 1.2.3) haben wir bereits die allgemeine Formelfür die Arbeit kennen gelernt:

W =

∫~F · d~s

Für einfache Fälle können wir diese “vektorielle” Integration über das Vektorfeld ~F nunbereits ausführen. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten (die wir für den Fallzweidimensionaler kartesischer Koordinaten diskutieren):

(i) Einzelne Integrationen bzgl. der jeweiligen Koordinaten:

∫~F · d~s =

∫(F1, F2) · (dx1, dx2) =

∫F1dx1 +

∫F2dx2

(ii) Eine Integration bzgl. eines Parameters, mit dem der Weg parametrisiert ist:

∫~F · d~s

~s = ~s(t)∣∣=

∫ (~F (~s(t)) · d~s

dt

)dt =

∫ (F1ds1

dt+ F2

ds2

dt

)dt

Bemerkung: Die Verallgemeinerung auf drei kartesische Dimensionen ist in beidenFällen offensichtlich. Die Verallgemeinerung auf krummlinige Koordi-naten erfolgt später.

Bemerkung: Die Alternative (i) kann auch kurz als Koordinatenmethode bezeichnetwerden und (ii) als Methode des parametrisierten Pfades.

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22 ———————————————————————————————————–

Die Berechnung eines Kurvenintegrals sei mit zwei Beispielen illustriert:

Sei ~F = (F1, F2) = (2x1, x22)

= F1~e1 + F2~e2

= 2x1~e1 + x22~e2

::::::::Beispiel

:::1: Integration entlang des Weges ~s1 und ~s2

Es gilt: 1. Wegstück: (0, 0) −→ (a, 0) : ~s1 = (x1, 0)⇒ d~s1 = (dx1, 0)2. Wegstück: (a, 0) −→ (a, b) : ~s2 = (a, x2)⇒ d~s2 = (0, dx2)

:::::Also:

P∫0

~F · d~s =

(a,0)∫(0,0)

~F · d~s1 +

(a,b)∫(a,0)

~F · d~s2 =

(a,0)∫(0,0)

(2x1, x22) · (dx1, 0) +

(a,b)∫(a,0)

(2x1, x22) · (0, dx2)

=

a∫0

2x1dx1 +

b∫0

x22dx2 = a2 +

1

3b3

Alternativ gilt mit Integration bzgl. eines Parameters t ∈ [0, 1]:

~s1 = (at, 0)⇒ d~s1

dt= (a, 0)

~s2 = (0, bt)⇒ d~s2

dt= (0, b)

Damit folgt:P∫

0

~F · d~s =

1∫0

~F · d~s1

dt

dt+

1∫0

~F · d~s2

dt

dt

=

1∫0

(2x1, x22) · (a, 0)dt+

1∫0

(2x1, x22) · (0, b)dt

=

1∫0

[(2at)a+ 0]dt+

1∫0

[0 + (bt)2b]dt = a2[t2]1

0+ b3

[t3/3

]10

= a2 +1

3b3

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::::::::Beispiel

:::2: Integration entlang des Weges ~s3

Hier gilt: (0, 0) −→ (a, b) : ~s3 = (x1, x2)⇒ d~s3 = (dx1, dx2)

:::::Also:

P∫0

~F · d~s =

(a,b)∫(0,0)

(2x1, x22) · (dx1, dx2) =

a∫0

2x1dx1 +

b∫0

x22dx2 = a2 +

1

3b3

Alternativ:

~s(t) = ~s3(t) = ( at︸︷︷︸x1(t)

, bt︸︷︷︸x2(t)

) ; t ∈ [0, 1]⇒ d~s3

dt= (a, b)

Demnach:P∫

0

~F · d~s =

1∫0

~F · d~s3

dt

dt =

1∫0

(2at, b2t2) · (a, b)dt =

1∫0

(2a2t+ b3t2)dt = a2 +1

3b3

Welche Methode besser geeignet ist, hängt vom betrachteten Vektorfeld ab. Z.B. ist für dasfolgende Kraftfeld (bei gleichemWeg ~s3 wie oben) die Koordinatenmethode umständlicher:

~F = (x2, x1) ; ~s3 = (x1, x2) = (at, bt)︸ ︷︷ ︸(∗)

d~s3 = (dx1, dx2)d~s3

dt= (a, b)

Dann hat man:P∫

0

~F · d~s =

1∫0

~F · d~s3

dt

dt =

1∫0

(bt, at) · (a, b)dt =

1∫0

(abt+ abt) dt = ab

Bei der Integration bzgl. der Koordinaten ergibt sich hingegen ein Problem:P∫

0

~F · d~s =

(a,b)∫(0,0)

(x2, x1) · (dx1, dx2) =

a∫0

x2dx1 +

b∫0

x1dx2

Offensichtlich werden die Abhängigkeiten x2(x1) und x1(x2) entlang des Weges ~s3 benötigt.Man erhält sie aus (∗):

x1 = at ; x2 = bt⇒ x1 =a

bx2 ; x2 =

b

ax1

Damt folgt schließlich:a∫

0

x2dx1 +

b∫0

x1dx2 =

a∫0

b

ax1 dx1 +

b∫0

a

bx2 dx2 =

ab

2+ab

2= ab

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Bemerkung: Selbstverständlich sind alternative Parametrisierungen möglich. Seiz.B. das Kraftfeld und der Weg entlang ~s1 und ~s2 wie oben, aberanders parametrisiert:

~s(t) =

(2at, 0) ; t ∈ [0, 1/2]

(a, 2b[t− 1/2]) ; t ∈ [1/2, 1]⇒ d~s

dt=

(2a, 0) ; t ∈ [0, 1/2]

(0, 2b) ; t ∈ [1/2, 1]

Damit findet man:

P∫0

~F · d~s =

1∫0

~F · d~s

dt

dt =

1/2∫0

~F · d~s

dt

dt+

1∫1/2

~F · d~s

dt

dt

=

1/2∫0

2(2at)2a dt+

1∫1/2

4b2[t− 1/2]22b dt

= 8a2

[1

2t2]1/2

0

+ 8b3

[1

3

(t− 1

2

)3]1

1/2

= a2 +1

3b3

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1.3.2 Partielle und totale Ableitung

::::Ziel: Verallgemeinerung der Differential- und Integralrechnung auf mehrere Dimensionen

Eine Verallgemeinerung von ‘einfachen’ (eindimensionalen, 1D) skalaren Funktion f(x)einer unabhängigen Veränderlichen x ist in zweifacher Weise möglich, nämlich hinsichtlichdes Argumentes und des Funktionswertes:

1D-Funktionswert f 3D-Funktionswert ~f = (f1, f2, f3)

’gewöhnliche’ Fkt. f(x) Vektorfkt. ~f(x) = (f1(x), f2(x), f3(x))1D-Argument x (z.B. Wasserdruck als (Kurven im Raum, z.B. die Position(“Funktionen”) Fkt. der Tiefe; Strom in eines geworfenen Steins zu jedem

Abh. von der Spannung) Zeitpunkt: ~r(t))

skalare Felder Vektorfelderf(~x) = f(x1, x2, x3) ~f(~x) = (f1(x1, x2.x3, ..., f3(x1, x2, x3))

2D/3D- (z.B. Temperatur in (z.B. Kraft in jedem Punkt im Raum;Argument ~x jedem Punkt im Raum Strömungsgeschwindigkeit im Ozean(“Felder”) (3D); Höhenangaben (3D); Windgeschwindigkeit auf

auf der Landkarte (2D)) Wetterkarte (2D))

Bemerkung: Obwohl eine allgemeinere Betrachtung höherdimenionaler (>3) Räu-me möglich und nötig ist (siehe Mathematikvorlesung), beschränkenwir uns im Folgenden wieder auf den Fall des R3, der in der physika-lischen Praxis ja von herausragender Bedeutung ist.

Bemerkung: Hier werden stets kartesische Koordinaten verwendet. Die Verallge-meinerung auf krummlinige Koordinaten erfolgt später.

Bemerkung: Man kann selbstverständlich auch Tensoren höherer Stufe als Funkti-onswerte zulassen und spricht dann allgemeiner von Tensorfeldern.

Wie bei gewöhnlichen Funktionen f(x) erfolgt die Untersuchung der Eigenschaften vonVektorfunktionen und Feldern mit Hilfe der Differentialrechnung. Somit stellt sich dieFrage: Wie bildet man die Ableitung(en) im höherdimensionalen Fall?

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Es erweist sich als sinnvoll, zwischen der Änderung einer Funktion in Richtung einer der(lokalen) Koordinatenachsen und der gesamten (lokalen) Änderung zu unterscheiden. Dazudefiniert man die partiellen Ableitungen einer skalaren Funktion Φ(~r) = Φ(x1, x2, x3) als:

∂Φ

∂x1

= lim∆x1→0

Φ(x1 + ∆x1, x2, x3)− Φ(x1, x2, x3)

∆x1

∂Φ

∂x2

= lim∆x2→0

Φ(x1, x2 + ∆x2, x3)− Φ(x1, x2, x3)

∆x2

∂Φ

∂x3

= lim∆x3→0

Φ(x1, x2, x3 + ∆x3)− Φ(x1, x2, x3)

∆x3

Das heißt die partiellen Ableitungen werden gebildet in Analogie zum Fall einer Funktionvon nur einer unabhängigen Variablen (1D-Fall).

Beispiel: (a) f(x1, x2, x3) = x21 + x3

2 + x3

⇒ ∂f

∂x1

= 2x1 ;∂f

∂x2

= 3x22 ;

∂f

∂x3

= 1

(b) g(x1, x2, x3) = x1x22x3 + 2x1x2 − sin(x2x3)

⇒ ∂g

∂x1

= x22x3 + 2x2 ;

∂g

∂x2

= 2x1x2x3 + 2x1 − x3 cos(x2x3) ;

∂g

∂x3

= x1x22 − x2 cos(x2x3)

(c) Φ(x1, x2, x3) =√x2

1 + x22 + x2

3

⇒ ∂Φ

∂xi=

xi√x2

1 + x22 + x2

3

Bemerkung: Die partielle Ableitung nach einer unabhängigen Variablen xi einerFunktion f(x1, x2, x3) erfolgt also wie gewohnt, wenn man die anderenunabhängigen Variablen xj, j 6= i als Konstanten behandelt.

Bemerkung: Von den partiellen Ableitungen in Richtung der (lokalen) Koordina-tenachsen ist die später zu definierende Richtungsableitung zu unter-scheiden, die die Änderung in eine beliebig vorgegebene Richtung zubestimmen erlaubt.

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Im Unterschied zum bekannten 1D-Fall gibt es nun mehrere ”2. partielle Ableitungen”,

denn man kann ja z. B.∂

∂x1

( ∂Φ

∂x1

)oder

∂x2

( ∂Φ

∂x1

)oder

∂x1

( ∂Φ

∂x2

)bilden.

Beispiel: (a) f(x1, x2, x3) = x21 + x3

2 + x3

⇒ ∂

∂x1

( ∂f∂x1

)=

∂2f

∂x21

= 2

∂x2

( ∂f∂x1

)=

∂2f

∂x2∂x1

= 0 =∂2f

∂x1∂x2

=∂

∂x1

( ∂f∂x2

)(b) g(x1, x2, x3) = x1x

22x3 + 2x1x2 − sin(x2x3)

⇒ ∂2g

∂x3∂x2

= 2x1x2 − cos(x2x3) + x2x3 sin(x2x3)

(c) Φ(x1, x2, x3) =√x2

1 + x22 + x2

3

⇒ ∂2Φ

∂x2i

=

∑j 6=i

x2j√

x21 + x2

2 + x23

3

Bemerkung: Die Gleichheit der Ableitungen

∂2f

∂xi∂xj=

∂2f

∂xj∂xi

ist garantiert, wenn die Funktion f stetige partielle Ableitungen biszur zweiten Ordnung hat (Satz von Schwarz).

Neben der partiellen Ableitung ist auch die totale Ableitung einer Funktion von Inte-resse. Um die totale Änderung dΦ/dt einer Funktion Φ(x1, x2, x3) in Abhängigkeit einerVariablen t zu bestimmen, benötigt man die Kettenregel, die analog zum 1D-Fall:

f = f(x(t)) ⇒ df

dt=df

dx

dx

dt

im 3D-Fall wie folgt ausgeführt wird:

Φ = Φ(x1(t), x2(t), x3(t)) ⇒ dΦ

dt=∂Φ

∂x1

dx1

dt+∂Φ

∂x2

dx2

dt+∂Φ

∂x3

dx3

dt

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Das ergibt sich mit xi(t+ ∆t)− xi(t) = ∆xi aus:

dt= lim

∆t→0

Φ(x1(t+ ∆t), x2(t+ ∆t), x3(t+ ∆t))− Φ(x1(t), x2(t), x3(t))

∆t

Addition einer

‘geschickten’ Null∣∣= lim

∆t→0

1

∆t

Φ(x1 + ∆x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3)− Φ(x1(t), x2(t), x3(t))

−Φ(x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3) + Φ(x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3)

−Φ(x1, x2, x3 + ∆x3) + Φ(x1, x2, x3 + ∆x3)

= lim∆t→0

Φ(x1 + ∆x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3)− Φ(x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3)

∆x1

(∆x1

∆t

)+

Φ(x1, x2 + ∆x2, x3 + ∆x3)− Φ(x1, x2, x3 + ∆x3)

∆x2

(∆x2

∆t

)+

Φ(x1, x2, x3 + ∆x3)− Φ(x1, x2, x3)

∆x3

(∆x3

∆t

)

=∂Φ

∂x1

dx1

dt+∂Φ

∂x2

dx2

dt+∂Φ

∂x3

dx3

dt=

3∑i=1

∂Φ

∂xi

dxidt

Beispiel:

Φ(x1(t), x2(t), x3(t)) =√x2

1 + x22 + x2

3

mit x1 = t; x2 = sin(t); x3 = exp(t)

⇒ dΦ

dt=

t√x2

1 + x22 + x2

3︸ ︷︷ ︸∂Φ∂x1

· 1︸︷︷︸dx1dt

+sin(t)√

x21 + x2

2 + x23︸ ︷︷ ︸

∂Φ∂x2

cos(t)︸ ︷︷ ︸dx2dt

+exp(t)√

x21 + x2

2 + x23︸ ︷︷ ︸

∂Φ∂x3

· exp(t)︸ ︷︷ ︸dx3dt

=t+ sin(t) cos(t) + exp(2t)√

t2 + sin2(t) + exp(2t)

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Das Ergebnis für die verallgemeinerte Kettenregel legt die Definition der totalen Ableitungeiner Funktion an einem Ort ~r = (x1, x2, x3) nahe:

dΦ =∂Φ

∂x1

dx1 +∂Φ

∂x2

dx2 +∂Φ

∂x3

dx3

Die Größe dΦ heißt totales Differential der Funktion Φ am Ort ~r = (x1, x2, x3).Die totale Ableitung von Φ nach einer Variablen t lautet also:

dt=∂Φ

∂x1

dx1

dt+∂Φ

∂x2

dx2

dt+∂Φ

∂x3

dx3

dt

Beispiel:

Φ(~r) = Φ(x1, x2, x3) =√x2

1 + x22 + x2

3 =√~r · ~r

⇒ dΦ =3∑i=1

xi√x2

1 + x22 + x2

3

dxi =3∑i=1

xi|~r|dxi

Bemerkung: Zur sinnvollen Bildung der totalen Ableitung bzw. des totalen Diffe-rentials muss vorausgesetzt werden, dass die Funktion und ihre parti-ellen Ableitungen stetig sind.

Die bisherigen Betrachtungen können direkt auf Vektorfelder übertragen werden, in demman die partiellen Ableitungen komponentenweise bildet:

∂ ~A

∂x1

=d ~A

dx1

∣∣∣∣∣x2,x3=const.

= lim∆x1→0

~A(x1 + ∆x1, x2, x3)− ~A(x1, x2, x3)

∆x1

=

(∂A1

∂x1

,∂A2

∂x1

,∂A3

∂x1

)Die Ableitungen nach anderen Koordinaten erfolgen analog.

Beispiel: ~A(~r) = ~B × ~r ; ~B = const. ; ~r = (x1, x2, x3)

= (B2x3 −B3x2, B3x1 −B1x3, B1x2 −B2x1)

⇒ ∂ ~A

∂x1

= (0, B3, −B2) ;∂ ~A

∂x2

= (−B3, 0, B1) ;∂ ~A

∂x3

= (B2, −B1, 0)

⇒ ∂

∂x1

( ∂ ~A∂x2

)=

∂x1

(−B3, 0, B1) = (0, 0, 0)

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30 ———————————————————————————————————–

1.4 Krummlinige Koordinaten I(A) Motivation zur Definition verschiedener Koordinatensysteme

Oft ist es sinnvoll und zweckmäßig Koordinatensysteme zu verwenden, die sich an die Geo-metrie und/oder Symmetrie eines physikalischen Problems anpassen (z.B. Polarkoordina-ten für die Kreisbewegung). Dadurch lassen sich oft die mathematischen Schwierigkeiteneines Problems reduzieren und physikalische Sachverhalte klarer erkennen.

In der Praxis sind von besonderer Bedeutung orthogonale Koordinatensysteme, d.h. solche,bei denen die so genannten Basisvektoren (also die Koordinateneinheitsvektoren) paarwei-se senkrecht zueinander sind. Im Folgenden einige Beispiele.

Bemerkung: Für die formale Definition von Koordinatensystemen im Zusammen-hang mit linearen Abbildungen und dem Begriff des Vektorraums siehedie Mathematikvorlesung(en).

Bemerkung: Wir behandeln zunächst 2D Koordinatensysteme. Die Verallgemeine-rung auf 3D Koordinatensysteme ist problemlos, weil in völliger Ana-logie zum 2D-Fall.

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1.4.1 2-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme

(a):::::::::::Kartesische

::::::::::::::Koordinaten

:::::::::(x1, x2):

Es gilt:

(1) ~r = x1~e1 + x2~e2 = (x1, x2)

(2) Die Koordinatenlinien sindorthogonale Geraden.

(b)::::::Ebene

:::::::::::::::::::Polarkoordinaten

:::::::(r, ϕ):

Es gilt:

(1) ~r = |~r|~er = r~er

(2) Die Koordinatenlinien sindkonzentrische Kreise undradiale Geraden.

Bemerkung: Zusammenhang der ebenen Polarkoordinaten mit den kartesischenKoordinaten:

x1 = r cosϕ

x2 = r sinϕ

⇒ ~r = r cosϕ~e1 + r sinϕ~e2

= r(cosϕ~e1 + sinϕ~e2)!

= r~er

⇒ ~er = cosϕ~e1 + sinϕ~e2

⇒ ~eϕ = − sinϕ~e1 + cosϕ~e2, , so dass ~er · ~eϕ = 0

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32 ———————————————————————————————————–

(B) Bewegungen in nicht-raumfesten Koordinatensystemen

Im Unterschied zum kartesischen Koordinatensystem ist die Richtung der (Basis-)Einheits-vektoren krummliniger Koordinatensysteme im Allgemeinen ortsabhängig. Bei der Be-schreibung von Bewegungen führt das dazu, dass nicht nur die Koordinaten eines Körpers,sondern auch die Einheitsvektoren von der Zeit abhängig sind.

:::::::::Beispiel: Kreisbewegung mit Periode T (⇒ ω = 2π/T )

– ~e1, ~e2 sind raumfest und zeitunabhängig

– ~er, ~eϕ sind nicht raumfest und zeitabhängig

– x1(t) und x2(t)

– ϕ(t) und r = R = const.

(a) Im:::::::::::::kartesischen

::::::::::::::::::::Koordinatensystem gilt:

~r(t) = x1(t)~e1 + x2(t)~e2 = R cos(ωt)~e1 +R sin(ωt)~e2

⇒ ~v(t) =d

dt~r(t) = ~r(t) = x1(t)~e1 + x2(t)~e2 ; |~v| =

√x2

1 + x22 = Rω

⇒ Es werden zwei zeitabhängige Funktionen x1(t), x2(t) benötigt.

(b) Im:::::::ebenen

:::::::::::::::::::::::::Polarkoordinatensystem gilt:

~r(t) = R~er

R = const|

=R~er(t)

⇒ ~v(t) = ~r(t) = R~er

~er = cos(ωt)~e1 + sin(ωt)~e2|

=Rω[− sin(ωt)~e1 + cos(ωt)~e2

1.4.1|

=Rω~eϕ

Man erkennt somit unmittelbar Betrag und Konstanz der Geschwindigkeit sowieihre Richtung.

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(C) Berechnung der Basisvektoren eines Koordinatensystems (= 1.4.4)

Wie zuvor bemerkt (siehe 1.4.1), gelingt die Konstruktion der Basis(einheits)vektoren oftanschaulich, wie am Beispiel von ebenen Polarkoordinaten demonstriert sei:

~er :=~r

|~r|=~r

r=

1

r(r cosϕ~e1 + r sinϕ~e2) = cosϕ~e1 + sinϕ~e2

~er · ~eϕ = 0 ⇒ ~eϕ = − sinϕ~e1 + cosϕ~e2 (Vorzeichen wegen Orientierung)

Diese Berechnung kann systematischer erfolgen:

In::::::::::::kartesischen

::::::::::::::Koordinaten (im R3) gilt:

~u =3∑i=1

ui~ei ⇒ d~u

totales Differen-tial, siehe 1.3.2∣∣

=3∑i=1

∂~u

∂uidui

Änderung in~ei-Richtung∣∣

=3∑i=1

∣∣∣∣ ∂~u∂ui∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸

=1

~eidui =3∑i=1

~eidui

⇒ ~ei =∂~u

∂uiin kartesischen Koordinaten.

Bemerkung: Wenn ~u = (u1, u2, u3) gilt, z.B.∂~u

∂u1

= (1, 0, 0) = ~e1.

Andere Ableitungen analog.

In::::::::::::::krummlinigen

::::::::::::::Koordinaten gilt:

~u =3∑i=1

ui~eui ⇒ d~u =3∑i=1

∂~u

∂uidui =

3∑i=1

∣∣∣∣ ∂~u∂ui∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸

i.A.6=1

~eidui

⇒ ~ei =

(∂~u

∂ui

)∣∣∣∣ ∂~u∂ui

∣∣∣∣ Basiseinheitsvektoren eines Koordinatensystems

Bemerkung: Zu bilden sind also die partiellen Ableitungen eines Vektors nach sei-nen Komponenten im gewünschten Koordinatensystem.

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34 ———————————————————————————————————–

Nun können wir obige Formel am::::::::Beispiel

::::::::ebener

::::::::::::::::::Polarkoordinaten illustrieren:

~r = x1~e1 + x2~e2 = r cosϕ~e1 + r sinϕ~e2

∂~r

∂r= cosϕ~e1 + sinϕ~e2 ⇒

∣∣∣∂~r∂r

∣∣∣ = 1

∂~r

∂ϕ= −r sinϕ~e1 + r cosϕ~e2 ⇒

∣∣∣ ∂~r∂ϕ

∣∣∣ = r

Die Basisvektoren ergeben sich dann als:

~er =

(∂~r∂r

)∣∣∣∂~r∂r

∣∣∣ = cosϕ~e1 + sinϕ~e2

~eϕ =

( ∂~r∂ϕ

)∣∣∣ ∂~r∂ϕ

∣∣∣ = − sinϕ~e1 + cosϕ~e2

Man erhält also systematisch die bereits oben angegebenen Ergebnisse.

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(D) Geschwindigkeit und Beschleunigung in speziellen Koordinatensystemen

Wichtige Anwendungen der Differentiation von Vektoren (insbesondere auch in krumm-linigen Koordinatensystemen) sind die Berechnung von Geschwindigkeit ~v = ~r und Be-schleunigung ~a = ~v = ~r aus der Bahn ~r(t) eines Körpers.

Das sei hier wieder am::::::::Beispiel

::::::::ebener

::::::::::::::::::Polarkoordinaten illustriert:

Basiseinheitsvektoren:

~er = cosϕ~e1 + sinϕ~e2

~eϕ = − sinϕ~e1 + cosϕ~e2

Differenzieren liefert dann:

~er = ϕ(− sinϕ~e1 + cosϕ~e2) = ϕ ~eϕ

~eϕ = ϕ(− cosϕ~e1 − sinϕ~e2) = −ϕ ~er

Damit folgt mit

~r = r~er

für die::::::::::::::::Geschwindigkeit:

~v = ~r

Basiseinheitsvektor zeit-abhängig: Produktregel

|= r~er + r~er = r~er + rϕ~eϕ

und für die::::::::::::::::Beschleunigung:

~a = ~v

Produktregel|

= r~er + r~er + rϕ~eϕ + rϕ~eϕ + rϕ~eϕ

= r~er + rϕ~eϕ + rϕ~eϕ + rϕ~eϕ − rϕ2~er

= (r − rϕ2)~er + (2rϕ+ rϕ)~eϕ

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36 ———————————————————————————————————–

Völlig analog zum 2D-Fall definiert man

1.4.21.4.3

3-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme

(a):::::::::::Kartesische

::::::::::::::Koordinaten

::::::::::::(x1, x2, x3):

Es gilt:

(1) ~r = x1~e1+x2~e2+x3~e3 = (x1, x2, x3)

(2) Die Koordinatenflächen sindorthogonale Ebenen.

Bemerkung: Im Unterschied zu krummlinigen Koordinatensystemen sind hier alledrei Basisvektoren unabhängig vom Ort (wie im 2D-Fall), was dieVerwendung 3D kartesischer Koordinaten besonders einfach macht.

(b):::::::::::Sphärische

::::::::::::::::::Polarkoordinaten

:::=

:::::::::::::::::::Kugelkoordinaten

:::::::::(r, ϑ, ϕ):

Es gilt:

(1) ~r = r~er

(2) Die Koordinatenflächen sindEbenen und konzentrische Kugelo-berflächen.

Bemerkung: Zusammenhang mit kartesischen Koordinaten:

x1 = r sinϑ cosϕ

x2 = r sinϑ sinϕ undx3 = r cosϑ

ϑ = arccos (x3/r)

ϕ = arctan (x2/x1)

r =√x2

1 + x22 + x2

3

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(c)::::::::::::::::::::Zylinderkoordinaten

::::::::::(ρ, ϕ, z):

Es gilt:

(1) ~r = ρ~eρ + z~ez

(2) Die Koordinatenflächen sindEbenen und koachsiale Zylinder-mäntel.

Bemerkung: Zusammenhang mit kartesischen Koordinaten:

x1 = ρ cosϕ

x2 = ρ sinϕ undx3 = z

ρ =√x2

1 + x22

ϕ = arctan (x2/x1)

z = x3

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(E) Anwendungsbeispiel für krummlinige Koordinaten: Fadenpendel

Für die Beschreibung des auch als mathematisches Pendel bezeichneten Fadenpendels sindebene Polarkoordinaten sehr hilfreich:

Es wirke auf die (Punkt-)Massem an einem(masselosen) Faden der Länge l die Gravi-tationskraft ~FG und die Fadenkraft ~FF :

~FG = FG,r~er + FG,ϕ~eϕ

= mg cosϕ~er −mg sinϕ~eϕ

~FF = −FF,r~er

Mit der Newtonschen Bewegungsgleichung (Physik I !?) folgt:

m~r = ~Fgesamt = ~FG + ~FF(D)⇔ m

[(r − rϕ2)~er + (2rϕ+ rϕ)~eϕ

]= mg cosϕ~er −mg sinϕ~eϕ − FF,r~er

Da die Pendellänge r = l = const⇒ r = 0 und r = 0:

⇒ −mlϕ2~er +mlϕ~eϕ = mg cosϕ~er −mg sinϕ~eϕ − FF,r~er

(I) (−mlϕ2 −mg cosϕ+ FF,r)~er = ~0;

(II) (mlϕ+mg sinϕ)~eϕ = ~0;

(I)⇒ FF,r = mg cosϕ+mlϕ2 Radialkomp. der Grav.-Kraft + Zentrifugalkraft(II)⇒ mlϕ+mg sinϕ = 0 Differentialgleichung mit “schwieriger” Lösung

(i.A. Elliptische Integrale)

::::::Aber:

Bei kleinen Auslenkungen |ϕ| 1 ⇒ sinϕ ≈ ϕ gilt:

(II)⇒ mlϕ+mgϕ ≈ 0

≈> ϕ+g

lϕ = 0 = Schwingungsgleichung

::::::::Lösung:

ϕ(t) = A sin(ωt) +B cos(ωt) ; ω =

√g

l; A,B = const

wobei hier die Konstanten A und B durch die Anfangsbedingungen festzulegen sind (sieheunten).

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2 Datenanalyse und Fehlerrechnung−→ siehe Grundpraktikum

−→ siehe Physik I-Vorlesung

−→ siehe Tutorium

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3 Vektoranalysis I:::::::::::Motivation:

Die Untersuchung von (skalaren und vektoriellen) Feldern (die wir in Kapitel 1 definierthaben) erfolgt hier zunächst in kartesischen Koordinaten. Die systematische “Erweiterung”auf allgemeinere krummlinige Koordinaten erfolgt in Kapitel 9.

3.1 Der Gradient eines skalaren Feldes(A) Die Richtungsableitung

Um eine Funktion von mehreren unabhängigen Variablen sinnvoll untersuchen zu können,benötigen wir über die partielle(n) und totale Ableitung(en) hinaus noch die Änderungeiner Funktion in eine beliebige Richtung, also eine so genannte Richtungsableitung:

Sei eine Richtung mit einem Einheitsvektor ~n vorgegeben und eine Änderung ∆~r = |∆~r|~n(⇒ ni = ∆xi/|∆~r|) betrachtet. Dann gilt:

lim|∆~r|→0

( ∆Φ

|∆~r|

)= lim

|∆~r|→0

(Φ(~r + ∆~r)− Φ(~r)

|∆~r|

)= lim

|∆~r|→0

∆Φ

∆x1

∆x1

|∆~r|+

∆Φ

∆x2

∆x2

|∆~r|+

∆Φ

∆x3

∆x3

|∆~r|

=3∑i=1

( ∂Φ

∂xi

)ni

Skalarprodukt∣∣=( ∂Φ

∂x1

,∂Φ

∂x2

,∂Φ

∂x3

)· ~n

Die Änderung der Funktion Φ(~r) in eine beliebige Richtung ~n ist also gleich dem Skalar-produkt des aus den partiellen Ableitungen gebildeten Vektors und dem Einheitsvektorin die betrachtete Richtung. Der Vektor( ∂Φ

∂x1

,∂Φ

∂x2

,∂Φ

∂x3

)≡ grad Φ

heißt Gradient des skalaren Feldes.

Bemerkung: Der Vektor gradΦ(~r) gibt die Richtung der größten Änderung vonΦ(~r) am Ort ~r = (x1, x2, x3) an. Der Betrag des Gradienten ist einMaß für die Änderung.

Bemerkung: Jedem Punkt ~r = (x1, x2, x3) wird ein Vektor gradΦ(~r) zugeordnet,das heißt die Menge aller dieser Vektoren bildet ein Vektorfeld, nämlichdas so genannte Gradientenfeld.

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(B) Der Nabla-Operator

Zur Vereinfachung (auch wenn’s zunächst nicht so erscheinen mag!) der Notation wird derNabla-Operator eingeführt:

~∇ :

kart. Koord.∣∣=

(∂

∂x1

,∂

∂x2

,∂

∂x3

)= ~e1

∂x1

+ ~e2∂

∂x2

+ ~e3∂

∂x3

Der Nabla-Operator ist ein vektorieller Differentialoperator, der eine kompakte und über-sichtliche Schreibweise erlaubt. Für den Gradienten eines skalaren Feldes Φ gilt z.B.:

grad Φ =

(∂Φ

∂x1

,∂Φ

∂x2

,∂Φ

∂x3

)= ~∇Φ

Bemerkung: Die obige Darstellung des Nabla-Operators gilt nur in kartesischenKoordinaten.

Mit Hilfe des Nabla-Operators lässt sich ein weiterer Differentialoperator definieren, näm-lich der (skalare) Laplace-Operator:

∆ = ~∇ · ~∇

kart. Koord.∣∣=

3∑i=1

∂xi· ∂∂xi

=∂2

∂x21

+∂2

∂x22

+∂2

∂x23

=3∑i=1

∂2

∂x2i

Beispiel: Φ(~r) =1

|~r|=

1

r=

1√x2

1 + x22 + x2

3

⇒ ~∇Φ(~r) = − ~r

|~r|3

⇒ ∆Φ(~r) = ~∇ · (~∇Φ(~r)) =3∑i=1

∂2Φ

∂x2i

=3|~r|2 − 3|~r|2

|~r|5= 0

Bemerkung: Beide Differentialoperatoren sind z.B. für eine kompakte Formulierungder Elektrodynamik unverzichtbar.

Bemerkung: Mit den Transformationsformeln zwischen kartesischen Koordinatenund z.B. sphärischen Polarkoordinaten aus Kapitel 1 ist es (nach läng-licher Rechnung) möglich, die Form des Nabla-Operators in letzterenherzuleiten:

~∇ = ~er

(∂

∂r

)+ ~eϑ

(1

r

∂ϑ

)+ ~eϕ

(1

r sinϑ

∂ϕ

)

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3.2 Quellenfelder, der Divergenz-OperatorWie oben bemerkt, werden Strömungen oft über ihre Geschwindigkeitsfelder beschrieben.Es ist mit vektoranalytischen Methoden leicht möglich, auch so genannte Quellen undSenken (= negative Quellen) zu beschreiben. Dazu folgende Überlegung:

Betrachtet sei eine Materieströmung (Luft, Wasser) mit Teilchenzahldichte n(~r) und Strö-mungsgeschwindigkeit ~u(~r) = (u1(~r), u2(~r), u3(~r)). Dann ist ~A(~r) = n(~r)~u(~r) die Fluss-bzw. Stromdichte.

Für ein kleines Volumen ∆V gilt:

Nehmen wir weiter für die x1-Richtung an:

∆N+ Teilchen fließen pro ∆tin ∆V hinein.∆N− Teilchen fließen pro ∆taus ∆V heraus.

Dann gilt:

∆N+ = A1

(x1 −

∆x1

2

)∆F∆t

f(x) ≈ f(x0) + f ′(x0)(x− x0), siehe 1.3∣∣≈A1(x1)− ∂A1

∂x1

∆x1

2

∆F∆t

∆N− = A1

(x1 +

∆x1

2

)∆F∆t ≈

A1(x1) +

∂A1

∂x1

∆x1

2

∆F∆t

⇒ ∆N = ∆N+ −∆N− ≈ −(∂A1

∂x1

)∆x1∆F∆t = −

(∂A1

∂x1

)∆V∆t

⇒ lim∆V→0,∆t→0

((∆N/∆V )

∆t

)=(∂n∂t

)A1

= −∂A1

∂x1

Analog erhält man für die anderen zwei Dimensionen:(∂n∂t

)A2

= −∂A2

∂x2

;(∂n∂t

)A3

= −∂A3

∂x3

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Insgesamt also:(∂n∂t

)~A

=∂n

∂t= −

∂A1

∂x1

+∂A2

∂x2

+∂A3

∂x3

= −~∇ · ~A =: −div ~A

Die vektoranalytische Operation

~∇ · ~A = div ~A

kart. Koord.∣∣=∂A1

∂x1

+∂A2

∂x2

+∂A3

∂x3

heißt Divergenz des Vektorfeldes ~A. Falls div ~A(~r) = 0, sagt man, das Feld ~A(~r) ist in ~rquellenfrei. Bei div ~A(~r) > 0 (< 0) hat das Feld in ~r eine Quelle (Senke).

Bemerkung: Die oben hergeleitete Gleichung

∂n

∂t+ div ~A = 0 ⇔ ∂n

∂t+ ~∇ · ~A = 0

heißt Kontinuitätsgleichung und ist eine der Grundgleichungen der Hy-drodynamik. Sie wird in analoger Form auch in der Elektrodynamikfür die Ladungsdichte und in der Quantenmechanik für die Wahr-scheinlichkeitsdichte verwendet.

Beispiel:

(a) ~A(~r) = ~r = (x1, x2, x3)

⇒ ~∇ · ~A(~r) =∂A1

∂x1

+∂A2

∂x2

+∂A3

∂x3

= 3

(b) ~A(~r) = ~ar = (a1r, a2r, a3r) ; r =√x2

1 + x22 + x2

3

⇒ ~∇ · ~A(~r) = a1x1

r+ a2

x2

r+ a3

x3

r=~a · ~rr

Bemerkung: Die obige Darstellung des Divergenz-Operators gilt nur in kartesischenKoordinaten.

Bemerkung: Im Unterschied zum Gradienten, der einem skalaren Feld ein Vektor-feld zuordnet, ordnet die Divergenz einem Vektorfeld ein skalares Feldzu.

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3.3 Wirbelfelder, der Rotations-OperatorNachdem wir gesehen haben, dass der Nabla-Operator in nützlicher Weise skalar auf einVektorfeld angewendet werden kann, liegt die Vermutung nahe, dass Ähnliches auch fürseine “vektorielle Anwendung” gilt, d.h. also für das Vektorprodukt ~∇× ~A - und es zeigtsich, dass dem auch so ist.

Die vektoranalytische Operation

~∇× ~A = rot ~A

kart. Koord.∣∣=(∂A3

∂x2

− ∂A2

∂x3

,∂A1

∂x3

− ∂A3

∂x1

,∂A2

∂x1

− ∂A1

∂x2

)heißt Rotation des Vektorfeldes ~A.

Offenbar erhält man auf diese Weise ein weiteres Vektorfeld, welches nachfolgend als ~Bbezeichnet ist. Um die Bedeutung der Rotation zu veranschaulichen, betrachten wir dieexplizite Darstellung dieses Vektorfeldes in kartesischen Koordinaten und verwenden dazudie Notation mit dem Levi-Civita-Symbol (siehe 1.2.5):

Bi = ~∇× ~A =3∑

j,k=1

εijk∂Ak∂xj

Also explizit:

B1 =∂A3

∂x2

− ∂A2

∂x3

; B2 =∂A1

∂x3

− ∂A3

∂x1

; B3 =∂A2

∂x1

− ∂A1

∂x2

bzw.:

~B =

(∂A3

∂x2

− ∂A2

∂x3

)~e1 +

(∂A1

∂x3

− ∂A3

∂x1

)~e2 +

(∂A2

∂x1

− ∂A1

∂x2

)~e3

Die Nützlichkeit der Rotation wird deutlich, wenn man nun die Divergenz von ~B berechnet:

~∇ · ~B =∂B1

∂x1

+∂B2

∂x2

+∂B3

∂x3

=∂

∂x1

(∂A3

∂x2

− ∂A2

∂x3

)+

∂x2

(∂A1

∂x3

− ∂A3

∂x1

)+

∂x3

(∂A2

∂x1

− ∂A1

∂x2

)= ~0

Offenkundig ist also jedes Vektorfeld der Form ~∇× ~A quellenfrei. Ein solches Feld, dessenDivergenz für alle ~r verschwindet, heißt Wirbelfeld.

Bemerkung: Wegen grad Φ = ~∇Φ =( ∂Φ

∂x1

,∂Φ

∂x2

,∂Φ

∂x3

)sind Gradientenfelder stets

wirbelfrei, da ~∇× ~∇Φ = ~0 (nachrechnen!).

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Beispiel: (a) ~A(~r) = ~r = (x1, x2, x3)

⇒ ~∇× ~A(~r) = (0, 0, 0), da∂xi∂xj

= δij

(b) ~A(~r) = ~ar = (a1r, a2r, a3r)

⇒ ~∇× ~A(~r) =(a3x2

r− a2x3

r,a1x3

r− a3x1

r,a2x1

r− a1x2

r

)=

~r × ~ar

Bemerkung: Die obige Darstellung des Rotations-Operators gilt nur in kartesischenKoordinaten.

Bemerkung: Die Rotation ordnet einem Vektorfeld ein Vektorfeld zu.Insgesamt gilt demnach für die eingeführten Differentialoperatorenschematisch:

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Exkurs: TaylorentwicklungEs ist oft hilfreich ein Feld ”lokal zu nähern”, um dann mit vereinfachten Termen oder Aus-drücken arbeiten zu können. Für eine solche Näherung bietet sich eine Taylorentwicklungan. Wir motivieren zunächst noch einmal den “Normalfall” einer Funktion einer unabhän-gigen Veränderlichen (für eine exakte Herleitung siehe die Mathematik-Vorlesung):

Aus der Definition der Ableitung (Differentialquotient) folgt:

f ′(x0) =df

dx

∣∣∣x0

= lim∆x→0

f(x0 + ∆x)− f(x0)

∆x

x = x0 + ∆x∣∣≈ lim

x→x0

f(x)− f(x0)

x− x0

x ≈ x0∣∣≈ f(x)− f(x0)

x− x0

Es gilt also

f(x) ≈ f(x0) + f ′(x0)(x− x0)

Verbesserung der Näherung:

f(x) ≈ f(x0) + f ′(x0)(x− x0) +1

2f ′′(x0)(x− x0)2

Allgemeiner gilt die Taylor-Entwicklung:

f(x) = f(x0) +f ′(x0)

1!(x− x0) +

f ′′(x0)

2!(x− x0)2 + ...

=∞∑n=0

f (n)(x0)

n!(x− x0)n =

m∑n=0

f (n)(x0)

n!(x− x0)n +Rm(x)

wobei

Rm(x) =f (m+1)(x0 + η(x− x0))

(m+ 1)!(x− x0)m+1 , 0 ≤ η ≤ 1 und lim

m→∞Rm(x) = 0

Bemerkung: Eine unendlich oft stetig differenzierbare Funktion f(x) lässt sich alsofür alle x aus ihren Ableitungen an einer Stelle x0 berechnen.

Bemerkung: Zumeist reicht für praktische Anwendungen eine Entwicklung bis zurersten oder zweiten Ordnung (Ableitung) aus.

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———————————————————————————————————– 47

Beispiel: (a) f(x) = exp(x)⇒ f (n)(x) = exp(x)⇒ f (n)(x0 = 0) = 1

⇒ exp(x) =∞∑n=0

xn

n!(“Entwicklung um x0 = 0”)

(b) f(x) =√

1 + x⇒ f ′(x) =1

2√

1 + x=

1

2(1 + x)−1/2

⇒ f ′′(x) = −1

4(1 + x)−3/2

⇒√

1 + x

x0 = 0∣∣≈ 1 +

1

2x− 1

8x2

(c) f(x) = x2 + 3x− 4⇒ f ′(x) = 2x+ 3⇒ f ′′(x) = 2

⇒ f (n≥3)(x) = 0

Sei wieder x0 = 0:⇒ f(0) = −4 ; f ′(0) = 3 ; f ′′(0) = 2

⇒ f(x) = −4 + 3x+2

2!x2 = x2 + 3x− 4

:::::Also: Polynome werden vollständig reproduziert

Um diese Taylor-Entwicklung auf den Fall von Feldern zu übertragen, bedient man sicheines ”Tricks”:

Sei ~r = ~r0 + ∆~r und ein Koordinatensystem mit Einheitsvektoren (~e ′1, ~e′2, ~e′3) so gewählt,

dass eine seiner Achsen in Richtung von ∆~r zeigt, also ∆~r = ∆x ′1~e′1 gelte, dann gilt für

ein skalares Feld Φ(~r):

Φ(~r) = Φ(~r0) +1

1!

dx ′1

∣∣∣~r0

(∆x ′1) +1

2!

d2Φ

dx ′21

∣∣∣~r0

(∆x ′1)2 + ...

Überlegung: Transformation auf diejenigen Koordinaten, in denen das Feld Φ(x1, x2, x3)gegeben ist: x ′i = x ′i(x1, x2, x3) ⇒ xj = xj(x

′1, x

′2, x

′3) Damit gilt:

dx ′1=∂Φ

∂x1

dx1

dx ′1+∂Φ

∂x2

dx2

dx ′1+∂Φ

∂x3

dx3

dx ′1=

3∑j=1

∂Φ

∂xj

dxjdx ′1

Damit folgt:

Φ(~r) = Φ(~r0) +1

1!

3∑j=1

( ∂Φ

∂xj

)(dxjdx ′1

)∣∣∣~r0

(∆x ′1)︸ ︷︷ ︸∆xj

+1

2!

3∑k,j=1

( ∂2Φ

∂xk∂xj

)(dxkdx ′1

dxjdx ′1

)∣∣∣~r0

(∆x ′1)2︸ ︷︷ ︸∆xk∆xj

+...

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48 ———————————————————————————————————–

Da weiterhin gilt:

∆xj =3∑i=1

∂xj∂x ′i

∆x ′i

∆x ′2 = ∆x ′

3 = 0∣∣=dxjdx ′1

(∆x ′1)

folgt:

Φ(~r) = Φ(~r0) +1

1!

3∑j=1

(∂Φ

∂xj

) ∣∣∣~r0

∆xj +1

2!

3∑k,j=1

( ∂2Φ

∂xk∂xj

)∣∣∣~r0

∆xk∆xj + ...

Damit ist die gesuchte Taylorentwicklung eines skalaren Feldes gefunden.

Eine geschlossene Form, die eine sehr kompakte Darstellung ermöglicht, ergibt sich wiefolgt. Obiges Ergebnis lässt sich zunächst schreiben als:

Φ(~r) = Φ(~r0) +1

1!

[3∑j=1

(∆xj

∂xj

]~r0

+1

2!

3∑j=1

(∆xj

∂xj

)2

Φ

~r0

+ ...

Unter Ausnutzung einer anderen Schreibweise mit expx =∞∑n=0

1

n!xn ergibt sich:

Φ(~r) =

[∞∑n=0

1

n!

3∑j=1

(∆xj

∂xj

)nΦ

]~r0

=

[∞∑n=0

1

n!

∆~r · ~∇

]~r0

=[exp

∆~r · ~∇

Φ]~r0

also eine sehr elegante und kurze Form der obigen Taylorentwicklung.

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Beispiel: Φ(~r) =1

|~a− ~r|; ~r0 = ~0 ⇒ ∆~r = ~r

⇒ Φ(~0) =1

|~a|=

1

a

⇒ ∂Φ

∂xj=

∂xj

( 3∑i=1

(ai − xi)2)−1/2

=aj − xj√(~a− ~r)2

3

⇒(∂Φ

∂xj

) ∣∣∣~0

=aja3

⇒3∑j=1

( ∂Φ

∂xj

)∣∣∣~0∆xj =

3∑j=1

ajxja3

=~a · ~ra3

analog:3∑

k,j=1

( ∂2Φ

∂xk∂xj

)∣∣∣~0∆xk∆xj = −~r

2

a3+

3(~a · ~r)2

a5

⇒ Φ(~r) =1

a

1 +

~a · ~ra2− 1

2

~r2

a2+

3

2

(~a · ~r)2

a4+ ...

was dann für |~a| |~r| eine gute Näherung darstellt.

Alternativ mit ”Nabla-Notation”:

(∆~r · ~∇)1

|~a− ~r|= ∆~r ·

− 1

|~a− ~r|2~∇|~a− ~r|

∣∣∣~0

= ∆~r ·− 1

|~a− ~r|2~∇√...

∣∣∣~0

= ∆~r ·− 1

|~a− ~r|2(− ~a− ~r|~a− ~r|

)∣∣∣~0

= ∆~r · ~aa3

∆~r = ~r|

=~a · ~ra3

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50 ———————————————————————————————————–

4 Grundprobleme der Mechanik: Anwendun-gen aus der Newtonschen Mechanik

Die Newtonsche Mechanik beruht auf den so genannten Newton-Axiomen (siehe z.B. Phy-sik I-Vorlesung). Alle bisher vorgestellten mathematischen Methoden werden zu derenFormulierung und Anwendung benötigt. Im Folgenden sind einige Anwendungen aufge-führt und zwei davon vertieft.

4.1 Gradientenfelder und EnergieerhaltungEs sei ein Kraftfeld ~F (~r) als Gradient eines skalaren Feldes V (~r) gegeben: ~F (~r) = −~∇V (~r).Die Funktion V (~r) heißt Potential und kann als potentielle Energie interpretiert werden.Betrachtet man die Summe aus letzterer und der kinetischen Energie mv2/2 = m~v 2/2 =m~r 2/2, so findet man (für den Fall zeitunabhängiger Masse m):

E = Ekin + Epot =1

2m~r 2 + V (~r)

⇒ dE

dt= E

m = const.∣∣=m~r · ~r +

dV

dt

Kettenregel∣∣=m~r · ~r + ~∇V (~r) · d~r

dt

~F = −~∇V∣∣=m~r · ~r − ~F · ~r

= (m~r − ~F ) · ~r

2. Newton-Axiom: ~F = m~r∣∣= 0

Es folgt also, dass die Gesamtenergie (in Inertialsystemen) erhalten ist:

E =1

2m~r 2 + V (~r) = const.

Bemerkung: Mit Hilfe der Energierhaltung gelingt in einigen Fällen die Lösungmechanischer Problemstellungen, ohne dass eine Differentialgleichung(= Newtonsche Bewegungsgleichung) gelöst werden muss.

4.1.1 Der schräge Wurf

−→ siehe Kapitel zu Differentialgleichungen

4.1.2 Das Federpendel

−→ siehe Kapitel zu Differentialgleichungen

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4.1.3 Das mathematische Pendel

−→ siehe Abschnitt 1.4(E) = Fadenpendel

:::::Hier: Neues Konzept: Phasenraum, siehe Kapitelende

4.1.4 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten

−→ siehe Abschnitt 1.4(E)

4.2 Impulssatz und DrehimpulssatzBeide kennen Sie wahrscheinlich bereits aus der Physik I-Vorlesung:

Impulssatz : ~F = m~r = m~v

m 6= m(t)

|= ~p also:

d~p

dt= ~F

Drehimpulssatz : ~L = ~r × ~p︸ ︷︷ ︸Drehimpuls

⇒ ~L = ~r × ~p︸ ︷︷ ︸=0, da ~p=m~r

+ ~r × ~p = ~r × ~F = ~M︸ ︷︷ ︸Drehmoment

also:d~L

dt= ~M

Diese Thematik wird ebenso in den Vorlesungen zur Theoretischen Mechanik behandeltwie...

4.3 Das Zweiteilchensystem−→ siehe Mechanik-Vorlesungen

4.4 Zentralkraftfelder und Drehimpulserhaltung−→ siehe Mechanik-Vorlesungen

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52 ———————————————————————————————————–

:::::::::Exkurs: Der Phasenraum

... ist ein nützliches Konzept zur Beschreibung der dynamischen Möglichkeiten eines phy-sikalischen Systems:

Definition: Der von den (ggf. verallgemeinerten) Orts- und Geschwindigkeitsvek-toren aufgespannte Raum heißt Phasenraum. Eine Kurve (~r(t), ~r(t))in diesem Raum heißt Phasenbahn.

Beispiel:::::Das

::::::::::::::Fadenpendel

Die Phasenbahnen ergeben sich aus der Betrachtung der Energieer-haltung:

Ekin =1

2m~v 2 =

1

2m~r 2

~r = l~er ⇒ ~r = l~er = lϕ~eϕ ⇒ ~r 2 = l2ϕ2∣∣=

1

2ml2ϕ2 ; l = const.

Epot = mgh = mg(l − l cosϕ) = mgl(1− cosϕ)

⇒ E = Ekin + Epot =1

2ml2ϕ2 +mgl(1− cosϕ) = const.

⇒ ϕ = ±√

2

ml2[E −mgl(1− cosϕ)]

:::::Also:

(ϕ, ϕ) = (0, 0), (±2π, 0), ... = stabile Fixpunkte (Pendel hängt nach unten)(ϕ, ϕ) = (±π, 0), (±3π, 0), ... = instabile Fixpunkte (Pendel hängt nach oben)

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5 Matrizen und Tensoren(A) Motivation zur Definition von Matrizen

Es gibt vielerlei Anwendungen für Matrizen, z.B.

(A1) Tabellenkalkulation

z.B. Lagerhaltungsbuchführung, Sportergebnisse, Börsenkurse

(A2) Lineare Gleichungssysteme

(I) : −3x1 − 5x2 = −6

(II) : 2x1 + 3x2 = 3

Lösung mit verschiedenen Möglichkeiten, z.B.:

Alternative 1: Additionsverfahren

2(I) = (I ′) : −6x1 − 10x2 = −12

3(II) = (II ′′) : 6x1 + 9x2 = 9

(I ′) + (II ′′) 0x1 − 1x2 = −3

Daraus folgt sofort x2 = 3 und x1 = −3 .

Alternative 2: Matrizen

Man kann das Gleichungssystem formal wie folgt schreiben

Matrix︷ ︸︸ ︷(−3 −5

2 3

)︸ ︷︷ ︸

A

V ektor︷ ︸︸ ︷(x1

x2

)︸ ︷︷ ︸

~x

=

V ektor︷ ︸︸ ︷(−6

3

)︸ ︷︷ ︸

~c

!⇔(−3x1 − 5x2

2x1 + 3x2

)=

(−6

3

)

Allgemein kann also geschrieben werden: A ~x = ~c

Wenn eine Matrix A−1 existiert, so dass gilt

A−1A ~x = ~x = A−1 ~c

wäre die Lösung des Gleichungssystems gefunden.Die Nutzbarkeit dieser zweiten Alternative erfordert nun die Beantwortung folgender dreiFragen:

(1) Wie multipliziert man eine Matrix mit einem Vektor?

(2) Wie multipliziert man Matrizen miteinander?

(3) Wie findet man die Matrix A−1 zu der Matrix A?

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54 ———————————————————————————————————–

(B) Definition von Matrizen

Definition: Ein rechteckiges Schema der Form

A =

A11 A12 A13 . . . A1n

A21 A22 . . . . . . A2n...

......

......

Am1 Am2 . . . . . . Amn

von m ·n Zahlen Aij heißt Matrix oder auch (m×n)-Matrix. Der ersteIndex i = 1, . . . ,m bezeichnet die Zeilen, der zweite Index j = 1, . . . , ndie Spalten der Matrix (daher spricht man auch vom Zeilen- bzw. Spal-tenindex). Die Zahlen Aij heißen Elemente (oder auch Komponenten)der Matrix A.

Bemerkung: Die Elemente einer Matrix können (reelle oder komplexe) Zahlen sein,aber auch Funktionen. Im Folgenden werden die Matrixelemente inder Regel Zahlen sein.

Definition: Sind alle Elemente Aij einer Matrix gleich Null, dann spricht man voneiner (m× n)-Nullmatrix.

Definition: Wenn die Zeilenzahl m und die Spaltenzahl n einer Matrix A gleichsind, so ist A eine quadratische Matrix. In diesem Fall heißen die Aijmit i = j Diagonalelemente. Sind nur die Diagonalelemente verschie-den von Null und gleich Eins, spricht man von einer (m×n) Einheits-matrix:

E =

1 0 . . . 00 1 . . . 0...

...0 0 . . . 1

Definition: Die transponierte Matrix AT zu einer (m × n)-Matrix A ist gegeben

durch

AT =

A11 . . . Am1...

......

A1n . . . Amn

und ist eine (n×m)-Matrix.

Beispiel: (2 3 −13 1 4

)T=

2 33 1−1 4

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5.1 Rechenregeln für Matrizen(A) Addition und Subtraktion von Matrizen

Die Summe S und die Differenz D zweier (m× n) - Matrizen A und B sind durch

Sij = (A + B)ij := Aij +Bij

Dij = (A−B)ij := Aij −Bij

definiert, sie werden also elementweise gebildet.

Beispiel: (3 5 −12 0 4

)+

(−1 2 3

0 1 6

)=

(2 7 22 1 10

)(

3 5 −12 0 4

)−(−1 2 3

0 1 6

)=

(4 3 −42 −1 −2

)

Bemerkung: Die Addition und Subtraktion von Matrizen wird also auf die “nor-male” (und bekannte!) Addition und Subtraktion von reellen (oderkomplexen) Zahlen zurückgeführt.

Bemerkung: Falls A und B nicht die gleiche Zeilen- und Spaltenzahl besitzen, sinddie Summe und die Differenz nicht definiert, also nicht bildbar.

Folgerung: Aus der Definition der Matrixaddition folgt unmittelbar für die Mul-tiplikation mit einer Zahl (einem Skalar)

λA =

λA11 . . . λA1n...

......

λAm1 . . . λAmn

; λ ∈ R

(B) Multiplikation von Matrizen

Sei A eine (m× n)-Matrix und B eine (l ×m)-Matrix. Dann gilt für das Produkt BA:

(BA)ij :=m∑k=1

BikAkj

welches eine (l × n)-Matrix ist.

Im Spezialfall, dass Akj ein Spaltenvektor ist (also j = 1), kann man schreiben Ak1 = Akbzw. ~A = (A1, ..., Ak)

T und es gilt:

(B ~A)i =m∑k=1

BikAk

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56 ———————————————————————————————————–

Beispiel:

(a)

(1 −2 03 2 5

) 0 2−1 33 1

=

(2 −413 17

)

(b)

0 2−1 33 1

(1 −2 03 2 5

)=

6 4 108 8 156 −4 5

(c)

0 2−1 33 1

(41

)=

2−113

Bemerkung: Die Matrixmultiplikation erfordert nicht, dass die Matrizen vom selbenTyp sind, sondern lediglich, dass die Spaltenzahl der ersten (’linken’)gleich der Zeilenzahl der zweiten (’rechten’) Matrix ist.

Bemerkung: Das Beispiel zeigt, dass die Multiplikation nicht kommutativ (= ver-tauschbar) ist.

Bemerkung: Eine Division von Matrizen ist nicht definiert.

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5.2 Quadratische Matrizen und Determinanten(A) Definition

Es lässt sich jeder quadratischen (n × n)-Matrix A eine Determinante det(A) = |A|zuordnen:

Definition: Die Determinante |A| einer quadratischen (n×n)-Matrix ist der durch

|A| =

∣∣∣∣∣∣∣A11 . . . A1n...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣ =n∑j=1

(−1)1+jA1j∆1j

definierte Skalar. Man bezeichnet mit 4ij die ([n − 1] × [n − 1])-Unterdeterminanten von A, die gegeben sind durch:

4ij =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1(j−1) A1(j+1) . . . A1n...

......

......

...A(i−1)1 . . . A(i−1)(j−1) A(i−1)(j+1) . . . A(i−1)n

A(i+1)1 . . . A(i+1)(j−1) A(i+1)(j+1) . . . A(i+1)n...

......

......

...An1 . . . A1(j−1) A1(j+1) . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣d.h. in A sind die i-te Zeile und die j-te Spalte gestrichen.

Bemerkung: Die Schreibweise | . . . | hat nichts mit dem Absolutbetrag zu tun. Ins-besondere können Determinanten auch negativ sein.

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(B) Laplacescher Entwicklungssatz

Die Berechnung einer Determinante kann durch Entwicklung nach einer beliebigen Zeileoder Spalte erfolgen:

|A| =∑j

(−1)i+jAij4ij (Summe über die Spalten= Entwicklung nach der i-ten Zeile)

|A| =∑i

(−1)i+jAij4ij (Summe über die Zeilen= Entwicklung nach der j-ten Spalte)

Bemerkung: Der Faktor (−1)i+j ordnet den Elementen der Determinante ein Vor-zeichen gemäß folgendem Schachbrettmuster zu:∣∣∣∣∣∣∣∣

+ − + . . .− + − . . .+ − + . . .. . . . . . . . . . . .

∣∣∣∣∣∣∣∣Beispiel: Entwicklung nach der dritten Spalte∣∣∣∣∣∣

3 1 −24 2 0−1 −2 5

∣∣∣∣∣∣ = −2

∣∣∣∣ 4 2−1 −2

∣∣∣∣−0

∣∣∣∣ 3 1−1 −2

∣∣∣∣+5

∣∣∣∣ 3 14 2

∣∣∣∣ = 12+10 = 22

Für n = 1, 2, 3 liegen Sonderfälle vor, für die die Determinante besonders einfach berechnetwerden kann:

(1) n = 1 : A = (A11)⇒ det(A) = A11

(2) n = 2 : A =

(A11 A12

A21 A22

)⇒ det(A) = A11A22 − A12A21

(3) n = 3 : A =

A11 A12 A13

A21 A22 A23

A31 A32 A33

⇒ det(A) = A11A22A33 + A12A23A31 + A13A21A32

−A13A22A31 − A11A23A32 − A12A21A33

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Determinanten werden benötigt u.a. bei der Bestimmung von inversen Matrizen (s.u., (D))oder auch zur Lösung von Gleichungssystemen. Wir hatten in (A2) z.B.:

−3x1 − 5x2 = −6

2x1 + 3x2 = 3

was sich in Matrixform als (−3 −5

2 3

)(x1

x2

)=

(−63

)schreiben lässt. Aus den drei Determinanten...

D =

∣∣∣∣−3 −52 3

∣∣∣∣ = −9 + 10 = 1

Dx1 =

∣∣∣∣−6 −53 3

∣∣∣∣ = −18 + 15 = −3

Dx2 =

∣∣∣∣−3 −62 3

∣∣∣∣ = −9 + 12 = +3

... folgt:

x1 =Dx1

D=−3

1= −3

x2 =Dx2

D=

+3

1= +3

Allgemein gilt die Cramersche Regel:

A~x = ~c mit det(A) 6= 0 ⇒ xi =|Ai||A|

wobei die Matrix Ai gegeben ist durch A11 . . . c1 . . . A1n...

......

An1 . . . cn . . . Ann

d.h. die Elemente der i-te Spalte sind durch die des Vektors ~c ersetzt.

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(C) Eigenschaften von Determinanten

(1) Eine Determinante |A| ist homogen in Bezug auf die Elemente einer Zeile oder Spal-te, d.h. multipliziert man eine Zeile oder Spalte mit einer Zahl λ, so gilt:∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1n...

......

λAi1 . . . λAin...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣= λ

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1n...

......

Ai1 . . . Ain...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣= λ |A|

Insbesondere gilt:

|λA| =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

λA11 . . . λA1n...

......

λAi1 . . . λAin...

......

λAn1 . . . λAnn

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣= λn

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1n...

......

Ai1 . . . Ain...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣= λn |A|

(Beweis: Folgt aus der Definition in (A) bzw. (B))

(2) Eine Determinante |A| ist additiv in Bezug auf die Elemente einer Zeile oder Spalte∣∣∣∣∣∣∣A11 +B11 . . . A1n +B1n

......

...An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣∣∣A11 . . . A1n...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣+

∣∣∣∣∣∣∣B11 . . . B1n...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣(Beweis: Spezialfall von (1) mit B1i = A1i ; i = 1, . . . , n und λ = 2)

(3) Eine Determinante |A| wechselt das Vorzeichen, wenn zwei benachbarte Zeilen (Spal-ten) vertauscht werden:∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1n

A21 . . . A2n...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣ = −

∣∣∣∣∣∣∣∣∣A21 . . . A2n

A11 . . . A1n...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣(Beweis: Folgt aus der Definition in (A), siehe auch (B))

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(4) Sind die Elemente einer Zeile (Spalte) zu denen einer anderen Zeile (Spalte) propor-tional, so ist die Determinante gleich Null.

(Beweis: Proportionalitätsfaktor nach (1) herausziehen, somit ergeben sich zwei glei-che Zeilen (Spalten). Man sieht, die Vertauschung ändert nichts, jedoch muss nach(3) ein Vorzeichenwechsel auftreten, woraus folgt det(A)

!= 0)

(5) Eine Determinante |A| ändert sich nicht, wenn man zu einer Zeile (Spalte) ein Viel-faches einer anderen Zeile (Spalte) addiert:∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 . . . A1n...

......

Ai1 . . . Ain...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

A11 + λAi1 . . . A1n + λAin...

......

Ai1 . . . Ain...

......

An1 . . . Ann

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣(Beweis: Nach (2) in zwei Determinanten aufspalten, woraus sich bei der zweitenDeterminante zwei zueinander proportionale Zeilen ergeben, somit folgt diese nach(4) zu Null)

(6) Die Determinante der transponierten Matrix |AT | stimmt mit der Determinante |A|der ursprünglichen Matrix A überein, also |AT | = |A|, d.h. eine Determinante ver-ändert ihren Wert nicht, wenn man ihre Zeilen und Spalten vertauscht.

(Beweis: Siehe (B).)

Bemerkung: Eigenschaft (5) ist besonders wichtig, da sie die Berechnung von De-terminanten wesentlich vereinfacht.

—————————————————————————————————————

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62 ———————————————————————————————————–

(D) Die Inverse einer Matrix

Mit Hilfe des bisher Besprochenen lässt sich nun die in (A, Alternative 2) gesuchte MatrixA−1 bestimmen. Es gilt:

Definition: Die inverse Matrix A−1 zu einer quadratischen Matrix A erfüllt

A−1 A = E und AA−1 = E

und ihre Elemente sind gegeben durch

(A−1)ij =1

|A|(−1)i+j4ji =

1

|A|(−1)i+j4T

ij

wobei 4ij die Unterdeterminanten (s.o.) der Matrix A sind.

Beispiel: Wir hatten in Alternative A2 das lineare Gleichungssystem geschrie-ben als A~x = ~c mit

A =

(−3 −52 3

)und ~c =

(−63

)Mit obiger Definition und detA = 1 findet man:

(A−1)11 = (−1)1+1411 = (−1)2 · 3 = 3

(A−1)12 = (−1)1+2421 = (−1)3 · (−5) = 5

(A−1)21 = (−1)2+1412 = (−1)3 · 2 = −2

(A−1)22 = (−1)2+2422 = (−1)4 · (−3) = −3

⇒ A−1 =

(3 5−2 −3

)

Damit lässt sich das Gleichungssystem wie folgt lösen:(3 5−2 −3

)(−3 −52 3

)(x1

x2

)=

(3 5−2 −3

)(−63

)⇒

(1 00 1

)(x1

x2

)=

(−33

)⇒

(x1

x2

)=

(−33

)

Also: x1 = −3 und x2 = 3 X

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———————————————————————————————————– 63

5.2.1 Taylor-Entwicklung

Wir hatten gesehen, dass wir ein skalares Feld Φ(~r) Taylor-entwickeln können:

Φ(~r) = Φ(~r0) +1

1!

3∑j=1

(∂Φ

∂xj

) ∣∣∣~r0

∆xj +1

2!

3∑k,j=1

( ∂2Φ

∂xk∂xj

)∣∣∣~r0

∆xk∆xj + ...

Das lässt sich mit Hilfe von Vektor- und Matrixnotation kompakter schreiben:

Φ(~r) = Φ(~r0) + ~d · (~r − ~r0) +1

2(~r − ~r0)TQ(~r − ~r0)

wobei definiert wurde:

~d = (~∇Φ)∣∣∣~r0

(~r − ~r0) =

x1 − x01

x2 − x02

x3 − x03

(~r − ~r0)T = (x1 − x01, x2 − x02, x3 − x03)

(Q)jk =∂2Φ

∂xk∂xj

Die (neuen) Größen ~d und Q sind nicht nur hilfreiche Abkürzungen, sondern erhaltenim Rahmen einer so genannten Multipolentwicklung von Feldern eine anschauliche - unddamit physikalische - Bedeutung (Dipol- und Quadrupolmoment).

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64 ———————————————————————————————————–

5.2.2 Eigenwerte und Eigenvektoren

Einer Matrix A können besondere Skalare und Vektoren zugeordnet werden, nämlich sogenannte Eigenwerte und Eigenvektoren. Sie sind definiert durch:

A~x = λ~x ; ~x 6= ~0

Ist diese Gleichung erfüllt, ist λ ein Eigenwert von A und ~x ein Eigenvektor von A.

Folgerung: Wenn ~x ein Eigenvektor von A ist, dann ist auch α~x, α 6= 0, einEigenvektor von A.

Wie kann man alle Eigenwerte und Eigenvektoren zu einer Matrix A finden?Dazu betrachte:

A~x = λ~x

Einheitsmatrix: ~x = E~x|

= λE~x ⇒ (A− λE)~x = ~0

Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten:

(a) |A− λE| 6= 0 ⇒ eindeutige Lösung: ~x = ~0 ⇒ ~x kein Eigenvektor (s.o.)

(b) |A− λE| = 0

∣∣∣∣∣∣∣∣∣A11 . . . A1n

......

...An1 . . . Ann

− λ

1 0 . . . 00 1... ·0 1

∣∣∣∣∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣A11 − λ A12 . . . A1n

... A22 − λ...

......

...An1 . . . Ann − λ

∣∣∣∣∣∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸Polynom n-ten Grades in λ

⇔ (−1)nλn + ...+ a2λ2 + a1λ+ a0 = 0

Mit den n (i.A. komplexen) Nullstellen λ1, ..., λn ∈ C gilt schließlich:

(λ1 − λ)(λ2 − λ)...(λn − λ) = 0

Zu jedem gefundenen λ1, ..., λn lassen sich nun die Eigenvektoren berechnen.

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Beispiel:

A =

(1 44 1

)⇒ |A− λE| =

∣∣∣∣1− λ 44 1− λ

∣∣∣∣ = (1− λ)2 − 16!

= 0

⇒ 1− λ = ±4 ⇒ λ1 = −3 ; λ2 = 5 = Eigenwerte

Die Eigenvektoren folgen aus:

(i) λ1 = −3 :

(1− λ1 4

4 1− λ1

)(x1

x2

)=

(00

)⇔(

4x1 + 4x2

4x1 + 4x2

)=

(00

)⇒ x2 = −x1 ; Wähle x2 = 1 ⇒ x1 = −1

⇒ Normierter Eigenvektor:1√2

(−11

)(ii) λ1 = 5 :

(1− λ2 4

4 1− λ2

)(x1

x2

)=

(00

)⇔(−4x1 + 4x2

4x1 − 4x2

)=

(00

)⇒ x2 = x1 ; Wähle x2 = 1 ⇒ x1 = 1

⇒ Normierter Eigenvektor:1√2

(11

)

Man kann allgemein zeigen (siehe Korsch):

(1) Die Eigenwerte einer reellen, symmetrischen Matrix sind reell.

:::::Bsp.: X

(2) Die Eigenvektoren einer reellen, symmetrischen Matrix zu verschiedenen Eigenwer-ten sind orthogonal.

:::::Bsp.:

1√2

(−11

)· 1√

2

(11

)=

1

2(−1 + 1) = 0 X

(3) k Eigenvektoren einer Matrix A, deren zugehörige Eigenwerte sämtlich verschiedensind, sind linear unabhängig.

:::::Bsp.: X (Beweis: Vollständige Induktion)

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66 ———————————————————————————————————–

(4) Eine (n× n) Matrix A, deren Eigenwerte sämtlich verschieden sind, läßt sich durcheine Matrix Q−1 mit Q−1AQ auf Diagonalform transformieren. Die Matrix Q istgebildet aus den Eigenvektoren von A (als Spaltenvektoren von Q).

:::::Bsp.: A =

(1 44 1

); ~x1 =

(−11

); ~x2 =

(11

)⇒ Q =

(−1 11 1

)⇒ Q−1 = −1

2

(1 −1−1 −1

)⇒ Q−1AQ = Q−1

(1 44 1

)(−1 11 1

)= Q−1

(3 5−3 5

)= −1

2

(1 −1−1 −1

)(3 5−3 5

)= −1

2

(6 00 −10

)=

(−3 00 5

)=

(λ1 00 λ2

)=: Adiag

Dieses Ergebnis gilt allgemein:

(5) Mit den Bezeichnungen aus (4) gilt:

Q−1AQ = Adiag = δjkλk

Oder:

A = QAdiagQ−1

Bemerkung: Es können auch so genannte singuläre Matrizen (d.h. solche mit De-terminante Null) diagonalisiert werden.

Bemerkung: Es können nicht alle Matrizen diagonalisiert werden (Beispiele sieheKorsch).

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5.2.3 Der Trägheitstensor

::::::::::::Motivation:

− Lineare Bewegung: ~p = m~v ; m = Skalar

− Rotationsbewegung: ~L = I~ω ; I = Matrix

Der so genannte Trägheitstensor I beschreibt den (nicht trivialen!) Zusammenhang zwi-schen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit ~ω und ist definiert als (r2 = x2

1 + x22 + x2

3):

Iij =

∫[δijr

2 − xixj]dm

ρ =dm

dV∣∣=

∫[δijr

2 − xixj] ρ dV

Offenbar ist wegen Iji = Iij der Trägheitstensor symmetrisch, hat daher reelle Eigen-werte I1, I2, I3 (= Hauptträgheitsmomente) und zugehörige orthogonale Eigenvektoren (=Hauptträgheitsachsen). Letztere bilden ein ausgezeichnetes Bezugssystem (= Hauptach-sensystem).

Diese Thematik wird in der Physik I-Vorlesung angesprochen und in den Veranstaltungenzur Theoretischen Mechanik (B.Sc.) und zu den Grundlagen der Mechanik und Elektrody-namik (B.A.) vertieft.

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68 ———————————————————————————————————–

5.3 Anwendung von Matrizen: Drehungen, Spiegelun-gen, etc.

Es lassen sich zunächst zwei Fälle unterscheiden, nämlich die Drehung eines Vektors ineinem Koordinatensystem und die Drehung eines Koordinatensystems.

(A) Drehung eines Vektors in einem Koordinatensystem

v = |~v| = |~v ′| ; v1 = v sinα1

α = α1 + α2 ; v2 = v cosα1

v′1 = −v sinα2

v′2 = v cosα2

Mit den Additionstheoremen für sin und cos (vgl. Anhang, Abschnitt (f)):

sin(α± β) = sinα cos β ± sin β cosα

cos(α± β) = cosα cos β ∓ sinα sin β

gilt hier mit α = α1 sowie β = α2:

sinα = sin(α1 + α2) = sinα1 cosα2 + cosα1 sinα2 =(v1

v

)(v′2v

)−(v2

v

)(v′1v

)cosα = cos(α1 + α2) = cosα1 cosα2 − sinα1 sinα2 =

(v2

v

)(v′2v

)+(v1

v

)(v′1v

)Also:

v1v′2 = v2 sinα + v2v

′1 (I)

v2 cosα = v2v′2 + v1v

′1 | · v1 (II)

Durch Einsetzen von (I) in (II) ergibt sich somit:

v1v2 cosα = v2v

2 sinα + v22v′1 + v2

1v′1︸ ︷︷ ︸

v2v′1

⇒ v′1 = v1 cosα− v2 sinα

Setzt man nun v′1 in (I) ein:

v1v′2 = v2 sinα + v2v1 cosα− v2

2 sinα

⇔ v1v′2 = v2

1 sinα + v2v1 cosα ⇒ v′2 = v1 sinα + v2 cosα

Folglich: (v′1v′2

)︸ ︷︷ ︸

gedrehter Vektor

=

(cosα − sinαsinα cosα

)︸ ︷︷ ︸

Drehmatrix zurDrehung eines Vektors

(v1

v2

)︸ ︷︷ ︸

ursprünglicherVektor

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(B) Drehung des Koordinatensystems

~v =

(v1

v2

)K

=

(v′1v′2

)K′

; v = |~v|

Hier gilt:

v1 = v cos β ; v′1 = v cos(β − α) = v cos β cosα + v sin β sinα

v2 = v sin β ; v′2 = v sin(β − α) = v sin β cosα− v cos β sinα

⇒ v′1 = v1 cosα + v2 sinα

v′2 = −v1 sinα + v2 cosα

Folglich: (v′1v′2

)K′︸ ︷︷ ︸

Vektor ~v in K’

=

(cosα sinα− sinα cosα

)︸ ︷︷ ︸Drehmatrix zur Dre-hung eines Koord.-Syst.

(v1

v2

)K︸ ︷︷ ︸

Vektor ~v in K

Bemerkung: Im Unterschied zu (A) bleibt der Vektor ~v derselbe, nur seine Darstel-lung in Bezug auf das neue Koordinatensystem ändert sich.

Bemerkung: Die beiden Drehmatrizen aus (A) und (B) lassen sich durch Übergangvon α zu −α ineinander überführen (anschaulich klar!).

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Die Drehmatrix zur Drehung eines Koordinatensystems kann auch mit Hilfe der Einheits-vektoren bestimmt werden:

~v = v′1~e1′ + v′2~e2

′ = v1~e1 + v2~e2 | · ~e′1

= v′1 ~e1′ · ~e1

′︸ ︷︷ ︸1

+v′2 ~e2′ · ~e1

′︸ ︷︷ ︸0

= v1 ~e1 · ~e1′︸ ︷︷ ︸

cosα

+v2 ~e2 · ~e1′︸ ︷︷ ︸

cos(90o − α)= sinα

⇒ v′1 = v1 cosα + v2 sinα

Analog

~v = v′1~e1′ + v′2~e2

′ = v1~e1 + v2~e2 | · ~e′2

= v′1 ~e1′ · ~e2

′︸ ︷︷ ︸0

+v′2 ~e2′ · ~e2

′︸ ︷︷ ︸1

= v1 ~e1 · ~e2′︸ ︷︷ ︸

cos(90o + α)= − sinα

+v2 ~e2 · ~e2′︸ ︷︷ ︸

cosα

⇒ v′2 = −v1 sinα + v2 cosα

Also erneut (v′1v′2

)K′

=

(cosα sinα− sinα cosα

) (v1

v2

)K

Verallgemeinert man auf den R3, so gilt für eine Drehung um den Winkel α um die

x1 − Achse: D x1 =

1 0 00 cosα sinα0 − sinα cosα

~e ′2 =

0cosαsinα

~e ′3 =

0− sinαcosα

x2 − Achse: D x2 =

cosα 0 − sinα0 1 0

sinα 0 cosα

~e ′1 =

cosα0

− sinα

~e ′3 =

sinα0

cosα

x3 − Achse: D x3 =

cosα sinα 0− sinα cosα 0

0 0 1

~e ′1 =

cosαsinα

0

~e ′2 =

− sinαcosα

0

Folgerung: Die Einheitsvektoren des gedrehten Koordinatensystems K’ sind gleichden Zeilen der Drehmatrix, die K in K’ überführt.

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Wie lautet nun die Drehmatrix, die K’ in K überführt?Das ist natürlich die ’Rückdrehung’, also die inverse Matrix.

Beispiel: Für die Matrix D einer Drehung um den Winkel α um die Achse x3

gilt:

D(α) =

cosα sinα 0− sinα cosα 0

0 0 1

Die Inverse berechnet sich aus (siehe 5.2(D))

(D−1)ij =(−1)i+j∆ji

|D|

Es gilt:|D| = cos2 α + sin2 α = 1

∆11 = cosα ; ∆12 = − sinα ; ∆13 = 0∆21 = sinα ; ∆22 = cosα ; ∆23 = 0∆31 = 0 ; ∆32 = 0 ; ∆33 = 1

⇒ D−1(α) =

cosα − sinα 0sinα cosα 0

0 0 1

= D(−α)

Offenbar gilt also:D−1 = DT

Solche Matrizen heißen orthogonale Matrizen, die entsprechendenTransformationen heißen orthogonale Transformationen.

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Aus dem Beispiel lässt sich ablesen (und auch beweisen, siehe Mathematikvorlesung):

Folgerung: Drehmatrizen haben die Determinante 1.

Folgerung: Drehmatrizen sind orthogonale Matrizen, das heißt D−1 = DT .

Folgerung: Die Einheitsvektoren des Koordinatensystems K’ sind die Zeilen derDrehmatrix D, die K in K’ überführt.

Folgerung: Die Einheitsvektoren des Koordinatensystems K sind die Spalten derDrehmatrix D, die K in K’ überführt, (= die Zeilen der DrehmatrixD−1, die K’ in K überführt).

Es gilt allgemein für eine Drehung D von K nach K’:

D =

~e1′ · ~e1 ~e1

′ · ~e2 ~e1′ · ~e3

~e2′ · ~e1 ~e2

′ · ~e2 ~e2′ · ~e3

~e3′ · ~e1 ~e3

′ · ~e2 ~e3′ · ~e3

mit ~ei′ · ~ej = Dij = cos^(~ei

′, ~ej)

Insbesondere gilt dann:

• ~ei ′, ~ei sind Einheitsvektoren ⇒3∑

k=1

D2ki = 1 (3 Bedingungen: i = 1, 2, 3)

• ~ei ′ bzw. ~ej ′ orthogonal ⇒3∑

k=1

DkiDkj = 0 (3 Bedingungen: (i, j) = (1, 2), (1, 3), (2, 3))

Kompakt lassen sich diese sechs Bedingungen schreiben als:

3∑k=1

DkiDkj = δij bzw.3∑

k=1

DikDjk = δij

Wegen dieser Bedingungen sind nur drei Elemente Dij einer beliebigen Drehmatrix im R3

unabhängig (frei wählbar). Diese entsprechen anschaulich den Drehwinkeln.

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(C) Spiegelung, Inversion, Drehspiegelung

Diese Transformationen werden ebenfalls durch orthogonale Matrizen (s.o.) beschrieben,allerdings durch solche mit Determinante -1.

Beispiel:(a) Spiegelung an der x1, x3-Ebene: S =

1 0 00 −1 00 0 1

S−→

(b) Inversion (= Punktspiegelung): I =

−1 0 00 −1 00 0 −1

I−→

(c) Drehspiegelung: Drehung um x3-Achse und Spiegelung von x2:

DS =

1 0 00 −1 00 0 1

︸ ︷︷ ︸

S

cosα sinα 0− sinα cosα 0

0 0 1

︸ ︷︷ ︸

D

=

cosα sinα 0sinα − cosα 0

0 0 1

Bemerkung: Motivation zur Definition solcher Symmetrieoperatoren ist z.B. dieUntersuchung von Molekülstrukturen bzw. deren physikalischen Ei-genschaften.

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5.3.1 Transformation von Vektoren

Was bisher über orthogonale Transformationen gesagt wurde, lässt sich verallgemeinern:

Sei ~u ein Vektor in einem 3-dim. Vektorraum V mit der ’Basis’ B = ~v1, ~v2, ~v3, danngilt:

~u = u1~v1 + u2~v2 + u3~v3 =∑j

uj~vj = (u1, u2, u3)B

Bezüglich einer anderen Basis B′ = ~v1′, ~v2

′, ~v3′ gilt die Darstellung:

~u = u′1~v1′ + u′2~v2

′ + u′3~v3′ =∑i

u′i~vi′ = (u′1, u

′2, u

′3)B′

Besteht nun zwischen den neuen und alten Basisvektoren der Zusammenhang(mit Dij = Dij = orthogonale Transformation):

~vi′ =∑j

Dij~vj

so findet man:

~u =∑i

u′i~vi′ =∑i

u′i

(∑j

Dij~vj

)︸ ︷︷ ︸

~vi ′

=∑j

(∑i

Diju′i

)︸ ︷︷ ︸

!=uj

~vj

Also:

uj =∑i

Diju′i ⇒ u′i =

∑j

Dijuj Transformation eines Vektors

Die letzte Folgerung ergibt sich aus∑j

Dkjuj =∑i

∑j

DkjDij︸ ︷︷ ︸δki

u′i = u′k, dann ‘umindizie-

ren’ k → i.

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Beispiel:

Sei B = ~e1, ~e2, ~e3 =

1

00

,

010

,

001

und B′ = ~v1

′, ~v2′, ~v3

′ =

1

00

,1√2

011

,1√2

0−11

D =

1 0 0

0 1/√

2 1/√

2

0 −1/√

2 1/√

2

~v1′

~v2′

~v3′

= D

~e1

~e2

~e3

=

~e11√2~e2 + 1√

2~e3

− 1√2~e2 + 1√

2~e3

u1′

u2′

u3′

= D

u1

u2

u3

=

u11√2u2 + 1√

2u3

− 1√2u2 + 1√

2u3

Sei ~u = 2~e1 − 1~e2 + 3~e3 =

2−13

B

.

Dann folgt:

~u =

2√2

2√

2

B′

= 2

100

+√

21√2

011

+ 2√

21√2

0−11

=

2−13

X

Die Transformationsformel kann zur Definition eines Vektors verwendet werden, das heißtein Objekt ist genau dann ein Vektor, wenn seine Komponenten sich gemäß der Transfor-mationsformel transformieren.

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Bemerkung: Es gibt ‘Vektoren’, die der obigen Formel nicht für alle orthogonalenTransformationen genügen, siehe die Inversion I (s.o.):

I ~u =

−1 0 00 −1 00 0 −1

u1

u2

u3

=

−u1

−u2

−u3

= −~u ’polare Vektoren’

Und es gilt:

(I ~u)× (I~v) = (−~u)× (−~v) = ~u× ~v ’achsiale Vektoren’

das heißt, dass ein über das Vektorprodukt definierter ’Vektor’ seineRichtung bei Inversion (Punktspiegelung) nicht ändert.

Beispiel: Physikalische Beispiele sind:

• Drehmoment ~M mit ~M = ~r × ~F

• Drehimpuls ~L mit ~L = ~r × ~p

• Winkelgeschwindigkeit ~ω mit ~v = ~ω × ~r

Dies sind achsiale Vektoren, die einen Drehsinn definieren. Der Dreh-sinn bleibt bei einer Inversion erhalten. Man spricht auch von Pseu-dovektoren.

Bemerkung: Analog kann man zwei verschiedene ’Typen’ von Skalaren unterschei-den, nämlich solche, die bei einer Inversion unverändert bleiben (echteSkalare) bzw. ihr Vorzeichen ändern (Pseudoskalare). Ein Beispiel zuletzteren ist das Spatprodukt (s.o.).

5.3.2 Transformation von Matrizen

Analog zur Vektortransformation in ein neues Koordinatensystem ist die Transformationvon Matrizen definiert:

(A)′il =∑j

∑k

DjkDlk(A)jk Transformation einer Matrix

d.h. die Matrixelemente (A)jk transformieren sich bzgl. beider Indizes wie ein Vektor.

Bemerkung: Die oben angegebene Transformation entspricht A′ = DADT .

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Die in 5.3.1 und 5.3.2 angegebenen Transformationen lassen sich auf Größen mit n Indi-zes verallgemeinern. Damit können dann allgemein Tensoren n-ter Stufe definiert werden(Bsp.: Levi-Civita-Symbol, s.o.).

Beispiel: Für die Rotationsenergie eines starren Körpers in einem Koordinaten-system K gilt:

Erot =1

2

3∑m=1

3∑n=1

Imnωmωn

In einem relativ zu K gedrehten Koordinatensystem K′ gilt:

E ′rot =1

2

3∑k=1

3∑l=1

I ′klω′mω′n

!= Erot

weil die Rotationsenergie in beiden Koordinatensystemen gleich seinmuss. Unter Verwendung der Transformationsformeln aus 5.3.1 und5.3.2 gilt hier:

ω′k =3∑i=1

Dkiωi ; ω′l =3∑j=1

Dljωj ; I ′kl =3∑

m=1

3∑n=1

DkmDlnImn

Damit hat man:

E ′rot =1

2

3∑k=1

3∑l=1

I ′klω′mω′n

=1

2

3∑k=1

3∑l=1

(3∑

m=1

3∑n=1

DkmDlnImn

)(3∑i=1

Dkiωi

)(3∑j=1

Dljωj

)

Beachtet man die Eigenschaften der Drehung:

3∑k=1

DkmDki = δmi und3∑l=1

DlnDlj = δnj

so folgt:

E ′rot =1

2

3∑m=1

3∑n=1

(3∑i=1

3∑j=1

Imnωiωjδmiδnj

)=

1

2

3∑m=1

3∑n=1

Imnωmωn = Erot

und damit die geforderte Gleichheit der Rotationsenergie in beidenKoordinatensystemen.

—————————————————————————————————————

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78 ———————————————————————————————————–

6 Gewöhnliche Differentialgleichungen(A) Motivation

Eine Gleichung für eine zu bestimmende Funktion und mindesten eine ihrer Ableitun-gen heißt Differentialgleichung (Dgl). Differentialgleichungen (Dgln) sind fundamental zurBeschreibung von natürlichen, künstlichen oder auch gesellschaftlichen Vorgängen (mandenke zum Beispiel an die Newtonsche Bewegungsgleichung, technische Vorrichtungen,Lernprozesse, etc.).

Betrachten wir zunächst einige Beispiele:

(A1) Populationswachstum

Eine Population (z.B. Tiere, Menschen, Pflanzen, Bakterien) habe zum Zeitpunkt t dieGröße P (t).

:::::::::::Annahme: Sei ∆P ∼ P (t)∆t, dann gilt:

∆P = P (t+ ∆t)− P (t) = γP (t)∆t , γ = const.

Im Grenzfall ∆t→ 0 gilt:

lim∆t→0

∆P

∆t=

dP

dt= P = γP , γ = const. (Dgl I)

Das Wachstum P einer Population ist in dieser Beschreibung also zum Zeitpunkt t pro-portional zur Population P (t).Man sieht sofort, dass

P (t) = C exp(γt) ; C, γ = const.

die allgemeine Lösung der Dgl. ist.Dieses exponentielle Wachstum kann nur für einen endlichen Zeitraum vorliegen, danachwerden beschränkte Ressourcen das Wachstum negativ beeinflussen. Aus diesem Grundmacht man die weitere

::::::::::Annahme: Es gibt eine Maximalpopulation Pmax, so dass

dP

dt= γP

(1− P

Pmax

)= γP − τP 2 mit τ = γ/Pmax ; γ, τ = const. (Dgl II)

Dies ist die sogenannte logistische Differentialgleichung.Zusätzliche

::::::::::Annahme: γ, τ können explizit zeitabhängig sein, und es existiert eine externe

Populationszu- oder -abnahme s(t). Damit gilt dann:

dP

dt= γ(t)P − τ(t)P 2 + s(t) (Dgl III)

Bei den bisherigen Beispielen handelt es sich um lineare (Dgl I) bzw. nichtlineare (DglII,III) Differentialgleichungen, mit konstanten (Dgl I,II) und nicht-konstanten Koeffizi-enten (Dgl III). Man unterscheidet auch homogene (Dgl I,II) und inhomogene (Dgl III)Differentialgleichungen. Alle drei Gleichungen sind von 1. Ordnung.

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(A2) Die Newtonsche Bewegungsgleichung

... ist eine Dgl zweiter Ordnung:

md2~r(t)

dt2= m~r = ~F

Bezogen auf die Vektorkomponenten handelt es sich um ein System von drei (i.A. gekop-pelten) Dgln. Siehe auch Kapitel 4.

(A3) Zerfallsgesetze

::::::::::Annahme: Die Zerfallsrate einer Substanz n sei proportional zur vorhandenen Menge:

dn

dt= −λn , 0 < λ = const. = “inverses Wachstum” (vgl. mit Dgl I)

(Beispiele: Radioaktiver Zerfall, Wäschetrocknung,...)

(B) Terminologie

Definition: Eine Dgl für eine Funktion einer einzelnen unabhängigen Veränder-lichen heißt gewöhnliche Differentialgleichung. Man spricht von einerpartiellen Differentialgleichung, wenn die gesuchte Funktion von meh-reren Variablen abhängt und partielle Ableitungen auftreten.Die höchste auftretende Ableitung bestimmt die Ordnung der Diffe-rentialgleichung.Eine gewöhnliche Dgl n-ter Ordnung hat die allgemeine impliziteForm:

F(x, y,

dy

dx,d2y

dx2, ...,

dny

dxn

)= 0⇔ F (x, y, y′, y′′, ..., y(n)) = 0

mit einer Funktion F von (n+ 2) unabhängigen Veränderlichen. Ist esmöglich, diese implizite Form auf

y(n) = f(x, y, y′, y′′, ..., y(n−1))

zu bringen, d.h. ein geeignetes f (= Funktion von (n + 1) unabhän-gigen Veränderlichen) zu finden, dann liegt eine explizite Differential-gleichung vor.

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80 ———————————————————————————————————–

(C) Lineare Differentialgleichung erster Ordnung

Eine solche hat die allgemeine Form:

y′ =dy

dx= γ(x)y + s(x)

mit y = y(x). Ist die so genannte Störfunktion s(x) = 0, liegt eine homogene Dgl ersterOrdnung vor, sonst eine inhomogene Dgl.

(C1) Allgemeine Lösung der homogenen Dgl

Es gilt:

dy

dx= γ(x)y ⇔ 1

y

dy

dxdx =

dy

y= γ(x)dx (“Separation der Variablen”)

⇒y∫

y(x0)

dy′

y′=

x∫x0

γ(x′)dx′

⇒ ln(y)− ln(y(x0)) = ln

(y

y(x0)

)=

x∫x0

γ(x′)dx′

⇒ y(x) = y(x0) exp

x∫

x0

γ(x′)dx′

Der gegebene Wert y(x0) heißt Anfangswert und das mit y′ = γ(x)y und y(x0) = y0

definierte Problem wird als Anfangswertproblem bezeichnet.Ohne speziellen Anfangswert spricht man von der allgemeinen Lösung und schreibt:

y(x) = C exp

∫γ(x′)dx′

; C = const.

Bemerkung: Mit γ(x′) = const. ergibt sich das exponentielle Wachstum einer be-liebig gewählten Population (siehe oben).

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Beispiel: Verkaufsrückgang bei steigenden Preisen:

Sei v(p) der (z.B. wöchentliche) Verkauf eines Produktes zum Stück-preis von p Euro.:::::::::::Annahme: Die Verkaufsänderungsrate sei gegeben durch:(

dv

dp

)1

v= −λ

p; λ = const. > 0

Mit den Zuordnungen

p↔ x, v(p)↔ y(x) und − λ

p↔ γ(x)

ist diese Dgl als lineare, homogene Differentialgleichung erster Ord-nung klassifiziert. Folglich ist die Lösung:

v(p) = v(p0) exp

p∫

p0

− λp′dp′

= v(p0) exp

−λ ln

(p

p0

)= v(p0)

(p0

p

)λZwar nimmt offenkundig v(p) mit steigendem/fallendem p ab/zu, aberes gilt auch:

limp→0

v(p) =∞

Dies ist natürlich sehr schön für den Verkäufer, jedoch unrealistisch.Daher kann der folgende

:::::::::::verbesserte

::::::::Ansatz gemacht werden:

dv

dp= −λ v

µ+ p; λ, µ = const. > 0

mit der Lösung:

v(p) = v(p0)

(µ+ p0

µ+ p

)λund damit

limp→0

v(p) = v(p0)

(µ+ p0

µ

)λ<∞

womit der Verkauf endlich bleibt.

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(C2) Allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl

Sei yp(x) eine so genannte partikuläre Lösung, das heißt irgendeine (irgendwie bestimmte,s.u.) Lösung der inhomogenen Dgl und y(x) eine beliebige andere. Dann gilt:

z′(x) := [y(x)− yp(x)]′ = y′(x)− y′p(x)

= [γ(x)y(x) + s(x)]− [γ(x)yp(x) + s(x)]

= γ(x)[y(x)− yp(x)]

= γ(x)z(x)

Offenbar ist z(x) := y(x)− yp(x) Lösung der homogenen Differentialgleichung. Folglich:

z(x) = C exp

∫γ(x′)dx′

= y(x)− yp(x)

⇒ y(x) = yp(x) + C exp

∫γ(x′)dx′

; C = const.

Ähnlich wie oben lässt sich mit einem Anfangswert y(x0) die Konstante C bestimmen:

C = y(x0)− yp(x0)

:::::Also: Die allgemeine Lösung einer inhomogenen linearen Dgl erster Ordnung ergibt sichaus der Summe einer speziellen (partikulären) Lösung der inhomogenen Dgl und der all-gemeinen Lösung der zugehörigen homogenen Dgl.

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Beispiel: Lernprozess:

Sei L(t) die Menge eines Lernstoffes, der bis zum Zeitpunkt t von einerPerson aufgenommen wurde. Mit L(0) = 0 und den Erfahrungen

• Lernprozess anfangs rasch, dann langsamer• Annäherung an Maximalwert Lmax

gilt der:::::::Ansatz:

dL

dt= k(Lmax − L) ; k = const > 0

Eine partikuläre (spezielle) Lösung der inhomogenen Dgl lautet (hiergeraten, systematischer siehe unten):

Lp(t) = Lmax

Die allgemeine Lösung der homogenen DgldL

dt= −kL ist gegeben

durch (siehe C1):

LH(t) = C exp −kt ; C = const.

Also gilt für die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl:

L(t) = Lp(t) + LH(t) = Lmax + C exp −kt

Mit dem Anfangswert L(0) = 0 findet man weiter:

L(0) = 0 = Lmax + C ⇒ C = −Lmax⇒ L(t) = Lmax − Lmax exp −kt⇒ L(t) = Lmax (1− exp −kt) , t ≥ 0

:::::::Skizze:

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Bemerkung: Die Darstellung der allgemeinen Lösung ist nicht eindeutig. Für dasangegebene Beispiel gilt nämlich alternativ:

Lp2(t) = Lmax + exp−kt⇒ L(t) = Lp2(t) + LH(t) = Lmax + (C + 1) exp−kt

Da die Konstante C beliebig ist, ist diese Lösung gleichwertig zu deraus obigem Beispiel.Erst durch Vorgabe eines Anfangswertes wird die Lösung eindeutig:

L(0) = 0 ⇒ Lmax + C + 1 = 0 ⇒ C = −Lmax − 1

Damit findet man:

L(t) = Lmax + (−Lmax − 1 + 1) exp−kt = Lmax(1− exp−kt)

also die selbe Lösung wie im Beispiel.

:::::::::Exkurs: Wie findet man eine partikuläre Lösung?

(a) Eine solche partikuläre Lösung ist oft der Störfunktion ähnlich, so dass ein entspre-chender Ansatz gemacht werden kann.

:::::::::Beispiel: y′ = 3y + exp(2x) ⇒ s(x) = exp(2x)

::::::::Ansatz: yp = A exp(2x) , A = const. ⇒ y′p = 2A exp(2x)

Einsetzen in Dgl: 2A exp(2x) = 3A exp(2x) + exp(2x)

⇔ 0 = A+ 1 ⇒ A = −1 ⇒ yp = − exp(2x)

(b) Systematischer gelingt die Bestimmung einer speziellen Lösung mit der so genanntenVariation der Konstanten. Dazu bestimmt man zunächst die allgemeine Lösung derhomogenen Dgl und variiert anschließend in ihr die Konstante C.

:::::::::Beispiel: y′ = 3y + exp(2x) ⇒ homogene Dgl: y′ = 3y

⇒ yH = C exp(3x)

Nun Variation der Konstanten, d.h. C = C(x):

::::::::Ansatz: yp = C(x) exp(3x) ⇒ y′p = C ′(x) exp(3x) + 3C(x) exp(3x)

Einsetzen in Dgl: C ′(x) exp(3x) + 3C(x) exp(3x) = 3C(x) exp(3x) + exp(2x)

⇒ C ′(x) = exp(−x) ⇒ C(x) =∫

exp(−x)dx = − exp(−x)

⇒ yp = C(x) exp(3x) = − exp(−x) exp(3x) = − exp(2x)

Bemerkung: Beide Alternativen können verallgemeinert werden (siehe unten).

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(D) Nichtlineare Dgl erster Ordnung

Es gibt unendlich viele verschiedene Dgln diesen Typs. Sie lassen sich weiter klassifizieren;es sei hier aber lediglich auf ein Lösungsverfahren sowie die allgemeine Bedingung fürExistenz und Eindeutigkeit der Lösung eingegangen. Das Lösungsverfahren ist bekanntals:

Separation der Variablen

Falls die Dgl auf die Formdy

dx= f(x)g(y) gebracht werden kann, dann lässt sie sich durch

Separation der Variablen lösen:

1

g(y)

dy

dx= f(x) ⇒

∫dy

g(y)=

∫f(x)dx+ C

Dies ist die allgemeine (implizite) Lösung einer Dgl erster Ordnung mit getrennten Ver-änderlichen.

Bemerkung: Die explizite Lösung erhält man natürlich nur, wenn diese Gleichungentweder nach y oder nach x aufgelöst werden kann. Diese Methodewurde bereits oben in (C1) angewendet.

Beispiel: Dosis-Wirkungsfunktion eines MedikamentsSeiW (x) die Wirkung, die x Einheiten eines bestimmten Medikamentsausüben und S die Sättigung.

::::::::::::Annahmen (aus Beobachtung):

dW

dx= k(Wx

)2

; k = const. ; limx→∞

W (x) = S = const. ; 0 < S <∞

Separation der Variablen liefert:∫dW

W 2= k

∫dx

x2⇒ − 1

W= −k

x+ c ⇒ W (x) =

−xcx− k

Wegen:

limx→∞

W (x) = S = −1

c⇒ c = − 1

S⇒ W (x) =

Sx

x+ Sk

:::::::Skizze:

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(E) Der Existenz- und Eindeutigkeitssatz von Picard-Lindelöf

Für einen Beweis siehe zum Beispiel das Buch ‘Gewöhnliche Differentialgleichungen’ vonH. Heuser, bzw. entsprechende Mathematikvorlesungen.

Satz: Das Anfangswertproblem

dy

dx= f(x, y) ; y(xo) = yo ; x, y ∈ R

besitzt auf dem Intervall [xo − α, xo + α] mit α = min(a, b/M) undM = max|f(x, y)| genau eine Lösung, wenn f(x, y) stetig ist auf demRechteck R = (x, y)||x − xo| ≤ a, |y − yo| ≤ b; a, b > 0 und es einepositive (Lipschitz-) Konstante L gibt mit:

|f(x, y)− f(x, y)| ≤ L|y − y| fur alle (x, y), (x, y) ∈ R

Man sagt, f(x, y) genügt einer Lipschitz-Bedingung oder f(x, y) istLipschitz-stetig auf R.

Bemerkung: Der Satz garantiert nicht nur die Existenz und Eindeutigkeit der Lö-sung, sondern auch ihre Konstruierbarkeit durch Iteration (= numeri-sche Lösung).

6.1 Die lineare Differentialgleichung zweiter OrdnungDiese Form der Differentialgleichung ist besonders interessant, da viele Differentialglei-chungen der Physik als solche klassifiziert werden können. Die allgemeine Form lautet:

y′′(x) + a(x)y′(x) + b(x)y(x) = s(x)

Wie üblich spricht man im Falle von s(x) = 0 von einer homogenen, andernfalls von einerinhomogenen Differentialgleichung.

(A) Die lineare Dgl zweiter Ordnung mit variablen Koeffizienten

Die allgemeine Lösung der homogenen Dgl (auf einem Intervall [a, b]) für stetige Koeffizi-entenfunktionen a(x), b(x)) lautet (‘Superpositionsprinzip’):

y(x) = c1y1(x) + c2y2(x)

wobei y1(x) und y2(x) zwei linear unabhängige Lösungen der Differentialgleichung bezeich-nen, d.h. die so genannte ’Wronski-Determinante’ ist ungleich Null:∣∣∣∣ y1(x) y2(x)

y′1(x) y′2(x)

∣∣∣∣ 6= 0 in [a, b]

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Die beiden linear unabhängigen Lösungen bilden ein Fundamentalsystem (auch Hauptsy-stem oder Integralbasis genannt) der homogenen linearen Dgl zweiter Ordnung.

Die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl ergibt sich (auch hier) als Summe einer par-tikulären Lösung der inhomogenen Dgl und der allgemeinen Lösung der homogenen Dgl(vgl. 6 (C2) oben).

Die Lösung eines Anfangswertproblems erfordert bei einer Dgl zweiter Ordnung zwei An-fangswerte, üblicherweise y(x0) = y0 und y′(x0) = y′0.

Bemerkung: Diese Betrachtungen können auf den Fall einer linearen Dgl n-ter Ord-nung entsprechend übertragen werden.

Während viele physikalische Anwendungen auf die allgemeine Form führen, wollen wir unsim Folgenden auf den Fall mit konstanten Koeffizienten beschränken.

(B) Die homogene lineare Dgl zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Im Unterschied zum Fall variabler Koeffizienten gibt es hier Standardverfahren zur Be-stimmung von linear unabhängigen Lösungen, also eines Fundamentalsystems.

Man betrachte die Differentialgleichung:

y′′(x) + ay′(x) + by(x) = 0 ; a, b = const. ∈ R

und mache den Eulerschen Ansatz:

y(x) = C expλx ; C, λ = const.

der sich motiviert aus der Tatsache, dass exp′(x) = exp(x) gilt.Es folgt:

y′(x) = Cλ expλx ; y′′(x) = Cλ2 expλx

und Einsetzen in die obige Dgl liefert:

λ2 + aλ+ b = 0

Je nach der Natur der Lösungen λ1, λ2 dieser charakteristischen Gleichung gilt für dieallgemeine Lösung (mit den Konstanten ∆ = a2 − 4b , C1, C2 = const. ∈ R)

y(x) =

C1 expλ1x+ C2 expλ2x ; λ1,2 =

1

2(−a±

√∆) ; ∆ > 0

[C1 + C2x] exp−a2x ; ∆ = 0

[C1 cos(βx) + C2 sin(βx)] expαx ; α = −a2

; β =

√−∆

2; ∆ < 0

Die Konstanten C1, C2 ergeben sich aus den Anfangswerten y(x0) = x0 und y′(x0) = y′0.

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Beispiel: Freie gedämpfte SchwingungNewtonsche Bewegungsgleichung:

mx = −µx︸︷︷︸Reibung

−kx︸︷︷︸Ruckstellkraft

; µ, k = const.

⇒ x+( µm

)︸ ︷︷ ︸

a

x+k

m︸︷︷︸b

x = 0 ⇒ ∆ = a2 − 4b =(µm

)2

− 4 km

Der Spezialfall ∆ = 0 führt auf k = µ2

4mund somit auf die allgemeine

Lösung:x(t) = [C1 + C2t] exp

− µ

2mt

Wegen x(0) = C1 und x(0) = C2 − µ2mC1 gilt:

C1 = x(0) und C2 = x(0) + µ2mx(0)

und damit:

x(t) = [x(0) +(x(0) +

µ

2mx(0)

)t] exp

− µ

2mt

Dies ist die Lösung für den aperiodischen Grenzfall, die man z.B. alsAnwendung in Schwingtüren oder Messinstrumenten findet.

(C) Die inhomogene lineare Dgl zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Diese lautet allgemein:

y′′(x) + ay′(x) + by(x) = s(x) a, b = const.

Auch hier gilt: die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl ist gleich der Summe einerpartikulären Lösung der inhomogenen Dgl und der allgemeinen Lösung der homogenen Dgl(siehe oben). Daher stellt sich (wie üblich) das

:::::::::Problem: Wie findet man die benötigte

partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl?

Ein Weg zur Berechnung einer solchen Lösung führt über folgende Formeln (siehe Heuser:Gewöhnliche Differentialgleichungen):

yp(x) =

1

λ1 − λ2

[expλ1x

x∫x0

exp−λ1x′s(x′)dx′ − expλ2x

x∫x0

exp−λ2x′s(x′)dx′

]; λ1 6= λ2

expλx[x

x∫x0

exp−λx′s(x′)dx′ −x∫

x0

x′ exp−λx′s(x′)dx′]

; λ1 = λ2 = λ

wobei x0 beliebig ist.

In der Praxis oft schneller zum Ziel führen allerdings einige andere Alternativen:

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• ’Geschicktes Raten’ = geeigneter Ansatz

• Methode der Variation der Konstanten

• Methode der Laplace-Transformation (für Anfangswertprobleme)

(C1) ’Geschicktes Raten’ = geeigneter Ansatz

Man macht sich oft die spezifische Form der Störfunktion s(x) zu Nutze. Sei letzteregegeben durch:

s(x) =(k0 + k1x+ k2x

2 + ...+ kmxm)

expαx

cos(βx)sin(βx)

Dann führt der Ansatz (mit p(λ) = 0 = charakteristische Gleichung. siehe oben)

yp(x) =

[(A0 + A1x+ ...+ Amxm) cos(βx)+

+(B0 +B1x+ ...+Bmxm) sin(βx)] expαx ; p(α + iβ) 6= 0

xν [(A0 + A1x+ ...+ Amxm) cos(βx)+

+(B0 +B1x+ ...+Bmxm) sin(βx)] expαx; (α + iβ) ν-fache Nullstelle von p(λ)

stets zu einer partikulären Lösung.

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Beispiel: Gesucht ist die allgemeine Lösung von:

y + 4y = cos(2t)

Homogene Dgl: y + 4y = 0 ;:::::::Ansatz : yH(t) = C expλt

⇒ λ2 + 4λ = 0 ⇒ p(λ) = λ2 + 4λ

Vergleich der Störfunktion s(t) = cos(2t) mit der obigen allgemeinenForm liefert:

k0 = 1 ; k1 = ... = km = 0 ; α = 0 ; β = 2

und motiviert wegen p(0 + 2i) = −4 + 8i 6= 0 den:::::::Ansatz:

yp(t) = A0 cos(2t) +B0 sin(2t)

⇒ yp(t) = −2A0 sin(2t) + 2B0 cos(2t)

⇒ yp(t) = −4A0 cos(2t)− 4B0 sin(2t)

Einsetzen in die Dgl. liefert:

−4A0 cos(2t)− 4B0 sin(2t)− 8A0 sin(2t) + 8B0 cos(2t)!

= cos(2t)

⇒ (−4B0 − 8A0)︸ ︷︷ ︸!=0

sin(2t) + (−4A0 + 8B0)︸ ︷︷ ︸!=1

cos(2t) = cos(2t)

⇒∣∣∣∣ 8A0 + 4B0 = 0−4A0 + 8B0 = 1

∣∣∣∣ ⇒ B0 = −2A0

⇒ −4A0 − 16A0 = 1⇒ B0 = 1

10

⇒ A0 = − 120

Also ist die gesuchte partikuläre Lösung:

yp(t) =1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

Und die allgemeine Lösung:

y(t) = C1 + C2 exp(−4t) +1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

Bemerkung: Die obige allgemeine Form der Störfunktion umfasst viele in der Praxishäufig auftretende Spezialfälle.

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(C2) Variation der Konstanten

Die Grundidee ist (siehe oben), sich von der allgemeinen Lösung der homogenen Differen-tialgleichung yH(x) = C1y1(x) + C2y2(x) leiten zu lassen:

:::::::Ansatz: Betrachte die ”Konstanten” C1, C2 als Funktionen von x:

yp(x) = C1(x)y1(x) + C2(x)y2(x)

⇒ y′p(x) = C1(x)y′1(x) + C2(x)y′2(x) + C ′1(x)y1(x) + C ′2(x)y2(x)

Da keine bestimmte, sondern eine beliebige partikuläre Lösung gesucht ist, versucht maneine möglichst einfache zu finden. Daher macht man eine

::1.

:::::::::::Forderung: C ′1(x)y1(x) + C ′2(x)y2(x) = 0

⇒ y′′P (x) = C1(x)y′′1(x) + C2(x)y′′2(x) + C ′1(x)y′1(x) + C ′2(x)y′2(x)

die vermeidet, dass zweite Ableitungen der Funktionen C1(x), C2(x) auftreten. Die

::2.

:::::::::::Forderung: C ′1(x)y′1(x) + C ′2(x)y′2(x) = s(x)

ergibt sich nach dem Einsetzen in die inhomogene Dgl:

C1(x)y′′1(x) + C2(x)y′′2(x) + C ′1(x)y′1(x) + C ′2(x)y′2(x)︸ ︷︷ ︸=s(x)

+aC1(x)y′1(x) + C2(x)y′2(x)+ bC1(x)y1(x) + C2(x)y2(x) = s(x)

⇒ C1(x)[y′′1(x) + ay′1(x) + by1(x)︸ ︷︷ ︸=0

] + C2(x)[y′′2(x) + ay′2(x) + by2(x)︸ ︷︷ ︸=0

] = 0

Die obigen eckigen Klammern sind Null, da y1, y2 Lösungen der homogenen Dgl sind.

Also ist das so konstruierte yp(x) eine partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl. Die Funk-tionen C1(x) und C2(x) können aus

C ′1(x)y1(x) + C ′2(x)y2(x) = 0

C ′1(x)y′1(x) + C ′2(x)y′2(x) = s(x)

berechnet werden, nämlich durch Lösung des linearen Gleichungssystems für C ′1(x), C ′2(x)und anschließende Integration.

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92 ———————————————————————————————————–

Beispiel: Gesucht sei wieder die allgemeine Lösung von:

y + 4y = cos(2t)

Lösung der homogenen Dgl y + 4y = 0 mit yH(t) = C expλt

⇒ λ2 + 4λ = 0 ⇒ λ1 = 0; λ2 = −4 , also allgemeine Lösung:

yH(t) = C1 + C2 exp−4t ; C1, C2 = const.

Daraus ergibt sich der:::::::Ansatz für eine partikuläre Lösung der inho-

mogenen Dgl (Variation der Konstanten!):

yp(t) = C1(t) + C2(t) exp−4t

Mit

C ′1(t) + C ′2(t) exp−4t = 0

−4C ′2(t) exp−4t = cos(2t)

folgt

C ′2(t) = −1

4exp+4t cos(2t)

⇒ C ′1(t) =1

4cos(2t)

Integration (siehe z.B. Bronsteins Taschenbuch der Mathematik) führtauf:

C1(t) =

∫1

4cos(2t)dt =

1

8sin(2t)

C2(t) =

∫−1

4exp+4t cos(2t)dt = −1

4

1

20[4 cos(2t) + 2 sin(2t)] exp4t

Damit also:

yp(t) =1

8sin(2t)− 1

20cos(2t)− 1

40sin(2t) =

1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

Die allgemeine Lösung lautet also:

y(t) = C1 + C2 exp(−4t) +1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

und ist damit die selbe wie zuvor.

—————————————————————————————————————

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Bemerkung: Die Methode der Variation der Konstanten ist auch im Falle von Dif-ferentialgleichungen n-ter Ordnung anwendbar. Man fordert dann:

C ′1y1 + ...+ C ′nyn = 0

C ′1y′1 + ...+ C ′ny

′n = 0

C ′1y′′1 + ...+ C ′ny

′′n = 0...

C ′1y(n−2)1 + ...+ C ′ny

(n−2)n = 0

C ′1y(n−1)1 + ...+ C ′ny

(n−1)n = s(x)

Das ist ein lineares Gleichungssystem bestehend aus n Gleichungenfür die n Unbekannten C ′1, ... , C ′n.

Bemerkung: Im Falle n = 1 vereinfacht sich die Methode auf das Einsetzen desAnsatzes yp(x) = C1(x)y1(x) in die Differentialgleichung (siehe Exkursin 6(C2)).

Vor der Besprechung der dritten Methode sei die:::::::Lösung

::::::eines

:::::::::::::::::::::::Anfangswertproblems

an folgendem::::::::Beispiel illustriert:

y + 4y = cos(2t) ; y(0) = 0 ; y(0) = 1

Es gilt nun:

(1) Allgemeine Lösung der homogenen Dgl.:

yH(t) = C1 + C2 exp−4t

(2) Partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl.:

yp(t) =1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

(3) Allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl.:

y(t) = yh(t) + yp(t) = C1 + C2 exp−4t+1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

(4) Anfangswerte:

y(0) = 0 ⇒ C1 + C2 −1

20= 0 ⇒ C1 =

1

20+

4

20=

1

4

y(0) = 1 ⇒ −4C2 +1

5= 1 ⇒ C2 = −1

5

Also lautet die Lösung des Anfangswertproblems:

y(t) =1

4− 1

5exp−4t+

1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

—————————————————————————————————————

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Für die Lösung solcher Anfangswertprobleme kann alternativ verwendet werden:

(C3) Die Methode der Laplace-Transformation

:::::Idee: Transformation von (linearen) Dgln (mit konstanten Koeffizienten) in algebraische

Gleichungen. Die Laplace-Transformierte einer Funktion f(t), die für t ≥ 0 definiertsei, ist gegeben durch:

F (s) =

∞∫0

exp−stf(t)dt ≡ L[f ]

Bevor die Methode selbst angewendet wird, zunächst zwei Beispielrechnungen:

Beispiel:(a) f(t) = 1 ⇒ F (s) =

∞∫0

exp−stdt = limT→∞

T∫0

exp−stdt

= limT→∞

[− 1

sexp−st

]T0

= limT→∞

[− 1

sexp−sT+

1

s

]=

1

s= L(1)

Es muss s > 0 sein, da das Integral sonst divergiert.

(b) f(t) = expat ⇒ F (s) =

∞∫0

exp−st expatdt

= limT→∞

T∫0

exp(a− s)tdt

= limT→∞

[ 1

a− sexp(a− s)t

]T0

s>a|

=1

s− a= L(expat)

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Wesentlich für die Nützlichkeit der Laplace-Transformation ist der folgende...

::::::::::::::::::::Differentiationssatz:

Die Laplace-Transformation der k-ten Ableitung einer Funktion f(t) ist durch

L[f (k)(t)

]= skL

[f(t)

]− sk−1f(0)− sk−2f(0)− ...− sf (k−2)(0)− f (k−1)(0)

gegeben. Also gilt insbesondere:

L[f(t)

]= sL

[f(t)

]− f(0)

L[f(t)

]= s2L

[f(t)

]− sf(0)− f(0)

Damit ist die Bedeutung der Laplace-Transformation für die Lösung von Anfangswertpro-blemen klar: Die Dgl wird in eine algebraische Gleichung für die Laplace-Transformiertetransformiert. Eine solche Gleichung ist oft einfacher lösbar und erfodert “nur” noch eineRücktransformation.

Zur Veranschaulichung ein

Beispiel: Betrachte noch einmal obiges Anfangswertproblem:

y + 4y = cos(2t) ; y(0) = 0 ; y(0) = 1

Laplace-Transformation der einzelnen Terme ergibt:

⇒ L[y] = s2L[y]− sy(0)− y(0) = s2L[y]− 1

L[y] = sL[y]− y(0) = sL[y]

L[cos(2t)] =

∞∫0

exp−st cos(2t)dt

= limT→∞

[exp−sts2 + 4

−s cos(2t) + 2 sin(2t)]T

0

=s

s2 + 4; s > 0

Folglich:y + 4y = cos(2t) | L[...]

⇒ s2L[y]− 1 + 4sL[y] =s

s2 + 4

⇒ s2 + 4sL[y] = 1 +s

s2 + 4=s2 + s+ 4

s2 + 4

⇒ L[y] =s2 + s+ 4

(s2 + 4)(s2 + 4s)

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Das Problem ist gelöst, wenn man von der Laplace-Transformierten L[y] auf die ursprüng-liche Funktion y(t) schließen kann. Das kann - in Analogie zu Integralen - durch “Nach-schauen” in entsprechenden Zusammenstellungen geschehen. Im obigen Fall gilt nach einerPartialbruchzerlegung:

L[y] =s2 + s+ 4

(s2 + 4)(s2 + 4s)=

1

20

1

s+ 4− 1

20

s

s2 + 4+

1

5

1

s2 + 4+

1

s(s+ 4)

In Nachschlagewerken findet man:

L[exp−4t] =1

s+ 4

L[cos(2t)] =s

s2 + 4

L[1

2sin(2t)

]=

1

s2 + 4

L[1

4(1− exp−4t)

]=

1

s(s+ 4)

Demnach:

y(t) =1

20exp−4t − 1

20cos(2t) +

1

10sin(2t) +

1

4(1− exp−4t)

=1

4− 1

5exp−4t+

1

10sin(2t)− 1

20cos(2t)

wie bereits oben gefunden.

Die Vorgehensweise ist also sehr einfach, lediglich müssen die für die Laplace-Transfor-mierten und die Rücktransformation auftretenden Integrationen ausführbar sein. DieseRücktransformation ist die inverse Laplace-Transformation:

f(t) = L−1[F (s)] =1

2πi

γ+i∞∫γ−i∞

expstF (s) ds ; f(t) = 0 für t < 0

In der obigen Formel ist γ > s0, wobei s0 der Realteil derjenigen Polstelle mit dem größtemRealteil ist. Weitergehende Informationen zur Methode der Laplace-Transformation findetman z.B. im Buch von Heuser.

Bemerkung: Auch dieses Verfahren ist nützlich bei Dgln höherer Ordnung.

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6.2 Systeme linearer Differentialgleichungen 1. OrdnungAllgemein gilt, dass aus

y′′ + a(x)y′ + b(x)y = s(x) ; y = y(x)

mit y′ = z folgt

y′ = z

z′ = s(x)− a(x)z − b(x)y

also ein System zweier Dgln erster Ordnung.

Beispiel: Eine eindimensionale Bewegung sei beschrieben durch (NewtonscheBewegungsgleichung):

x+ ax+ bx = f(t)

⇒ x = v

v = f(t)− av − bx

was als lineare Bewegung im Phasenraum (x, v) aufgefasst werdenkann, vgl. den Exkurs in Kapitel 4.Hier bietet sich eine Matrixschreibweise an:

d

dt

(xv

)=

(0 1−b −a

)(xv

)+

(0f(t)

)Für die Lösung des so formulierten Problems im homogenen Fall(f(t) = 0) siehe das Buch von Korsch.

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7 Lineare SchwingungenObwohl i.A. nichtlineare Dgln vorliegen führt eine Linearisierung oft auf hinreichend guteNäherungslösungen. Von grundlegender Bedeutung ist...

7.1 Der harmonische Oszillator... der im allgemeinsten Fall (= angetriebener und gedämpfter harmonischer Oszillator)folgender (Bewegungs-) Gleichung genügt:

x+ 2γx+ ω20x = f(t) ; γ, ω0 = const

In dieser Dgl beschreibt der erste Term die Trägheit, der zweite die Reibung, der drittedie Rückstellkraft und die rechte Seite eine äußere Kraft.

Man unterscheidet:

7.1.1 Freie Schwingung: f(t) = 0

Hier gilt:

x+ 2γx+ ω20x = 0

und man macht folgende weitere Unterscheidung:

(i) Ungedämpfter harmonischer Oszillator (γ = 0):

x+ ω20x = 0 ; ⇒ x1 = expiω0t ; x2 = exp−iω0t

:::::::::::Allgemeine

:::::::::Lösung:

x(t)

C1, C2 ∈ C|

=C1x1 + C2x2

a, b ∈ R|

= a cos(ω0t) + b sin(ω0t)

(ii) Gedämpfter harmonischer Oszillator (γ 6= 0):

x+ 2γx+ ω20x = 0 ; ⇒ x1,2 = expλ1,2t ; λ1,2 = −γ ±

√γ2 − ω2

0

(a) Schwingfall: ω0 > γ ⇒ λ1,2 komplex

(b) Kriechfall: ω0 < γ ⇒ λ1,2 reell

(c) Aperiodischer Grenzfall: ω0 = γ ⇒ λ1,2 = λ reell (vgl. 6.1(B))

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Bemerkung: Der Begriff des harmonischen Oszillators ist so wichtig, da vieleSchwingungsvorgänge näherungsweise als harmonische Oszillatorenbeschrieben werden konnen. Das ist begründet in der oft gemachtenNäherung, dass die potentielle Energie V eines physikalischen Systemsum eine Gleichgewichtslage ((dV /dx)x0

= 0) in eine Taylorreihe ent-wickelt werden kann:

V (x) = V (0) +(dVdx

)︸ ︷︷ ︸

=0

∣∣∣x=0

x+1

2

(d2V

dx2

)∣∣∣x=0︸ ︷︷ ︸

=const.

x2 + ...

und man annimmt, dass höhere als quadratische Glieder vernachläs-

sigbar sind. Wegen F (x) = −dVdx≈ −

(d2V

dx2

)x = −kx, k = const ist

die Rückstellkraft dann proportional zur Auslenkung x (HookeschesGesetz), was dem harmonischen Oszillator entspricht.Diese hier im 1D-Fall gemachte Überlegung kann analog auf den 3D-Fall übertragen werden.

7.1.2 Erzwungene Schwingungen: f(t) 6= 0

Der oft vorliegende Fall eines harmonischen Antriebs (also einer äußeren Kraft) der Formf(t) = f0 cos(Ωt) , f0 = const führt auf

x+ 2γx+ ω20x = f0 cos(Ωt)

was in komplexer Schreibweise lautet

z + 2γz + ω20z = f0 expiΩt ; z ∈ C

Der Ansatz z(t) = A expiΩt führt auf

x(t) = |A| cos(Ωt+ ϕ) ; |A| = f0√(ω2

0 − Ω2)2 + (2γΩ)2

also eine gegenüber der erzwingenden Kraft phasenverschobene Schwingung mit gleicherFrequenz Ω und einer Amplitude |A|, die von letzterer, der Eigenfrequenz ω0 und derDämpfung γ abhängt:

(i) γ = 0 : Ω = ω0 ⇒ |A| =∞ “Resonanzkatastrophe”

(ii) 2γ2 ≤ ω20 : Ω =

√ω2

0 − 2γ2 = |A|max(iii) 2γ2 > ω2

0 : kein |A|max mehr, keine Resonanz

Weiteres zu Schwingungen werden Sie in den Mechanik-Vorlesungen kennen lernen.

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Exkurs: Schwingungen(Dieser Exkurs ist entnommen aus der Vorlesung Grundlagen der Mechanik, siehe Ab-schnitt 2.5 im zugehörigen Skript.)

Ein (das!?) Standardbeispiel für lineare Dgln zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizien-ten in der Physik sind Schwingungen.

Die grundlegenden Schwingungsformen (harmonische, gedämpfte bzw. erzwungene Schwin-gung) ergeben sich aus folgender dynamischer Grundgleichung:

m ~r = ~FH + ~FR + ~FE

mit: ~FH = Rückstellkraft~FR = Reibungskraft~FE = externe (periodische) Kraft

Um die Notation im Folgenden übersichtlich zu halten, sei der 1-dim. Fall betrachtet, fürden x = 0 die Ruhelage sei. Außerdem:

~FH = −k x~ex ; k > 0 (Hooke’sches Gesetz)~FR = −µ vx ~ex = −µ x~ex ; µ > 0 (Stokes’sche Reibung)~FE = F0 cos(ω t)~ex ; F0 > 0 (harmonisch variierende Kraft)

Bemerkung: Diese Wahl der Kräfte führt auf eine lineare Differentialgleichung zwei-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten, so dass eine weitgehendeanalytische Behandlung möglich ist (s.o.).

Bemerkung: Im Fall der Newtonschen Reibung ergibt sich eine nichtlineare Dgl.

Für den 1-dim. Fall reduziert sich die obige allgemeine Form der dynamischen Grundglei-chung mit ~r = x ~ex auf:

mx = −k x− µ x+ F0 cos(ω t)

⇔ mx+ µ x+ k x = F0 cos(ω t)

Man unterscheidet für k 6= 0:

µ = 0 ; F0 = 0 = freie, harmonische Schwingungµ 6= 0 ; F0 = 0 = freie, gedämpfte Schwingungµ 6= 0 ; F0 6= 0 = erzwungene, gedämpfte Schwingung

die im Folgenden diskutiert werden.

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(A) Freie, harmonische Schwingung (µ = 0, F0 = 0)

Die dynamische Grundgleichung nimmt folgende Form an:

mx+ k x = 0 ⇔ x+k

mx = 0 ⇔ x+ ω2

0 x = 0

mit der Eigenfrequenz ω0 =

√k

m.

:::::::::::::::Lösungsansatz (a, b ∈ C) :

x(t) = a expbtx(t) = ab expbtx(t) = ab2 expbt

Einsetzen ergibt:

b2 a expb t +k

ma expb t = 0 ⇒ b2 +

k

m= 0

⇒ b1,2 = ±√− km

= ± i√k

m= ± i ω0

Form der allgemeinen Lösung:

x(t) = x1(t) + x2(t) = a1 expi ω0 t+ a2 exp−i ω0 t

Da die physikalische Lösung reell sein muss, verwende die Eulersche Formel (vgl. Anhang):expi α = cosα + i sinα :

⇒ x(t) = a1

[cos(ω0t) + i sin(ω0t)

]+ a2

[cos(−ω0t) + i sin(−ω0t)

]=|

cos(−α) = cosα

sin(−α) = − sinα

(a1 + a2) cos(ω0t) + i (a1 − a2) sin(ω0t)

Da a1,2 ∈ C und a1 6= a2, folgt wegen x(t) = reell: x(t)!

= x(t)

⇒ (a1 + a2) cos(ω0t) + i (a1 − a2) sin(ω0t)!

= (a1 + a2) cos(ω0t)− i (a1 − a2) sin(ω0t)

⇒ a1 + a2 = a1 + a2

a1 − a2 = −(a1 − a2)

„ ⊕ “ : 2 a1 = 2 a2

„ “ : 2 a2 = 2 a1

a1 = a2 ⇒ a1 = a2

⇒ a1 + a2 = a1 + a1 = Ba1 − a2 = a1 − a1 = −iA

x(t) = A sin(ω0t) +B cos(ω0t) mit A,B ∈ R

Mit Hilfe von Anfangsbedingungen bei t = 0 folgt wieder (s.o.)

A =1

ω0

x(0), B = x(0)

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und

x(t) =x(0)

ω0

sin(ω0t) + x(0) cos(ω0t)

:::::::Skizze:

x(t)

t

Abbildung 1: Freie, harmonische Schwingung

(B) Freie, gedämpfte Schwingung (µ 6= 0, F0 = 0)

Hier gilt: mx+ µ x+ k x = 0 ⇒ x+(µm

)x+ ω2

0 x = 0

:::::::::::::::Lösungsansatz (a, b ∈ C):

x(t) = a expb t ⇒ x(t) = ab expb t ⇒ x(t) = ab2 expb t

Einsetzen:

b2 +( µm

)b+ ω2

0 = 0 ⇒ b1,2 = − µ

2m±√( µ

2m

)2

− ω20 =|

D :=

2m

)2 − ω20

− µ

2m±√D

Form der allgemeinen Lösung: x(t) = a1 expb1 t + a2 expb2 t

Es lassen sich drei Fälle unterscheiden:

D

< 0 = schwache= 0 = kritische> 0 = starke

Dämpfung

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(1) Schwache Dämpfung D < 0 :

⇒ b1,2 = − µ

2m± i√ω2

0 −( µ

2m

)2

Schwingungsfrequenz:ω :=

√ω20 −

2m

)=√−D∣∣∣

= − µ

2m± i ω

⇒ x(t) = exp− µ

2mt [

a1 exp i ω t + a2 exp − i ω t]

= exp− µ

2mt [

(a1 + a2) cos(ω t) + i (a1 − a2) sin(ω t)]

Aus:

x(0) = a1 + a2 ; x(0) = − µ

2m(a1 + a2) + i ω(a1 − a2) = − µ

2mx(0) + i ω(a1 − a2)

folgt: x(t) = exp− µ

2mt [(

x(0) +µ

2mx(0)

) 1

ωsin(ω t) + x(0) cos(ω t)

]x(t)

t

exp Km

2 mt

Abbildung 2: Schwach gedämpfte Schwingung

(2) kritische Dämpfung D = 0:⇒ b1 = b2 = − µ

2m; d.h. ω =

√−D = 0 und man findet nur eine spezielle Lösung:

x1 = a1 exp −µt/(2m) . Die zweite Lösung folgt aus einer Grenzwertbetrachtungder Lösung für D < 0 :

ω → 0 ⇒ cos(ω t)→ 1 ; 1ω

sin(ω t)→ t

⇒ x(t) = exp− µ

2mt [(

x(0) +µ

2mx(0)

)t+ x(0)

]

Bemerkung: - da keine Schwingung: „aperiodischer Grenzfall“- praktische Anwendung: Zeigermessinstrumente, Türschließung

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104 ———————————————————————————————————–

x(t)

t

(max. eine Nullstelle)

Abbildung 3: kritische Dämpfung, aperiodischer Grenzfall

(3) Starke Dämpfung D > 0 :

⇒ b1,2 = − µ

2m±√( µ

2m

)2

− ω0 < 0

⇒ x(t) = exp− µ

2mt [

a1 exp √

Dt

+ a2 exp−√Dt ]

Aus: x(0) = a1 + a2 ; x(0) = − µ

2m(aq + a2) +

√D(a1 − a2)

folgt: a1,2 =1

2

[x(0)± 1√

D

(x(0) +

µ

2mx(0)

)]Damit:

x(t) =1

2exp

− µ

2mt [(

x(0) +1√D

[x(0) +

µ

2mx(0)

])exp

√Dt

+

(x(0)− 1√

D

[x(0) +

µ

2mx(0)

])exp

−√Dt]

Bemerkung: „Aperiodische Kriechbewegung“ ähnlich zu (2) aber mit kleinerer „Am-plitude“ und länger andauernder Rückkehr zur Ruhelage.

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(C) Erzwungene, gedämpfte Schwingung

Man hat: mx+ µ x+ k x = F0 cos(ω t) ⇔ x+µ

mx+ ω2

0 x =F0

mcos(ω t)

:::::Also: inhomogene Dgl ⇒ allgemeine Lösung = allgemeine Lösung der homogenen

Dgl + spezielle (= partikuläre)Lösung der inhomogenen Dgl

homogene Lösung: siehe 7.1.2inhomogene Lösung: nach “Einschwingzeit” schwingt das System mit der Frequenz ω

Daher der

:::::::Ansatz für die partikuläre Lösung (a ∈ C, ω ∈ R):

x(t) = a expi ω t ⇒ x(t) = i ω a expi ω t ⇒ x = −ω2a expi ω tcos(ω t) 7−→ exp(i ω t)

Einsetzen: −aω2m+ i ω µ a+ a k = F0

⇒ a =F0

k − ω2m+ i ω µ

ω20 = k

m

|=

F0/m

(ω20 − ω2) + i

µ

=F0

m

(ω20 − ω2)− i µ

(ω20 − ω2)2 +

µ2ω2

m2

!= |a| exp i φ

⇒ |a| =√aa =

F0

m

√(ω2

0 − ω2)2 +µ2ω2

m2

(ω20 − ω2)2 +

µ2ω2

m2

=F0

m

1√(ω2

0 − ω2)2 +µ2ω2

m2

φ = arctan

Im(a)

Re(a)

= arctan

− µω/m

ω20 − ω2

= arctan

µω

m (ω2 − ω20)

⇒ xinhomog(t) =F0

m

expi[ω t+ φ

] √(ω2

0 − ω2)2 + µ2 ω2

m2

= partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl

Physikalisch relevant ist der Realteil, daher lautet die allgemeine Lösung:

x(t) = Re(xinhomog(t)

)+ xhomogen(t)

⇒|

t 2m

µ

x(t) ≈ F0

m

cos(ω t+ φ)√(ω2

0 − ω2)2 +µ2ω2

m2

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106 ———————————————————————————————————–

Bemerkung:

• max. Amplitude für ωR =

√ω2

0 −µ2

2m2= “Resonanzfrequenz”

• µ = 0 ⇒ ωR = ω0 ⇒ |a| =∞ = “Resonanzkatastrophe”

• µ2

2m2> ω2

0 ⇒ keine Resonanz mehr

:::::::Skizze:

Abbildung 4: Grenzfälle bei erzwungener, gedämpfter Schwingung

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8 Nichtlineare Dynamik und Chaos−→ siehe ggf. die Vorlesung Theoretische Mechanik

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108 ———————————————————————————————————–

9 Vektoranalysis IIIm Folgenden werden wieder ein skalares Feld Φ(~r) und ein Vektorfeld ~A(~r) verwendet.Für deren Definition siehe Abschnitt 1.3.

(A) Darstellung der vektoranalytischen Differentialoperatoren in beliebigenorthogonalen Koordinatensystemen

(A1) Vorüberlegung zur Koordinatentransformation

(Siehe Abschnitt 1.4(C))

Sei ~r = (x1, x2, x3) = x1~e1 + x2~e2 + x3~e3 in kartesischen und ~r = u~eu + v~ev + w~ew inbeliebigen orthogonalen Koordinaten. Dann gilt:

d~r =

(∂~r

∂u

)du+

(∂~r

∂v

)dv +

(∂~r

∂w

)dw

Da(∂~r

∂u

)mit v, w = const parallel zu ~eu ist (andere Komponenten entsprechend), gilt:

d~r =

∣∣∣∣∂~r∂u∣∣∣∣ du~eu +

∣∣∣∣∂~r∂v∣∣∣∣ dv~ev +

∣∣∣∣ ∂~r∂w∣∣∣∣ dw~ew

womit folgt:

~eu =

∣∣∣∣∂~r∂u∣∣∣∣−1(

∂~r

∂u

); ~ev =

∣∣∣∣∂~r∂v∣∣∣∣−1(

∂~r

∂v

); ~ew =

∣∣∣∣ ∂~r∂w∣∣∣∣−1(

∂~r

∂w

)

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———————————————————————————————————– 109

Beispiel: (vgl. 1.4(A))

(a) Zylinderkoordinaten:

~r = (x1, x2, x3) = (ρ cosϕ, ρ sinϕ, z)

⇒ ~eρ =∂~r

∂ρ/

∣∣∣∣∂~r∂ρ∣∣∣∣ = (cosϕ, sinϕ, 0)

~eϕ =∂~r

∂ϕ/

∣∣∣∣ ∂~r∂ϕ∣∣∣∣ = (− sinϕ, cosϕ, 0)

~ez =∂~r

∂z/

∣∣∣∣∂~r∂z∣∣∣∣ = (0, 0, 1)

(b) Kugelkoordinaten:

~r = (x1, x2, x3) = (r cosϕ sinϑ, r sinϕ sinϑ, r cosϑ)

⇒ ~er =∂~r

∂r/

∣∣∣∣∂~r∂r∣∣∣∣ = (sinϑ cosϕ, sinϑ sinϕ, cosϑ)

~eϑ =∂~r

∂ϑ/

∣∣∣∣∂~r∂ϑ∣∣∣∣ = (cosϑ cosϕ, cosϑ sinϕ,− sinϑ)

~eϕ =∂~r

∂ϕ/

∣∣∣∣ ∂~r∂ϕ∣∣∣∣ = (− sinϕ, cosϕ, 0)

Im Folgenden werden die metrischen Koeffizienten oder auch Metrikkoeffizienten

gu =∣∣∣∂~r∂u

∣∣∣ ; gv =∣∣∣∂~r∂v

∣∣∣ ; gw =∣∣∣ ∂~r∂w

∣∣∣verwendet, so dass

~eu =1

gu

∂~r

∂u; ~ev =

1

gv

∂~r

∂v; ~ew =

1

gw

∂~r

∂w

Insbesondere gilt dann für

Kartesische Koordinaten (x1, x2, x3) : gx1 = 1 ; gx2 = 1 ; gx3 = 1

Zylinderkoordinaten (ρ, ϕ, z) : gρ = 1 ; gϕ = ρ ; gz = 1

Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ) : gr = 1 ; gϑ = r ; gϕ = r sinϑ

Und für ein (weiter unten in (A3) gebrauchtes) infinitesimales Volumenelement gilt wegen

d~r = gudu~eu + gvdv ~ev + gwdw~ew

der Ausdruck

dV = gugvgwdudvdw

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110 ———————————————————————————————————–

(A2) Gradient, Nabla-Operator

Gemäß 3.1(A) hat man:

dφ = (grad φ) · d~r = (~∇φ) · d~r

= (~∇φ) · ∂~r∂udu+

∂~r

∂vdv +

∂~r

∂wdw

=

(~∇φ)u~eu + (~∇φ)v~ev + (~∇φ)w~ew

·gudu~eu + gvdv ~ev + gwdw~ew

= (~∇φ)ugudu+ (~∇φ)vgvdv + (~∇φ)wgwdw

Ein Vergleich mit der Formel aus 1.3.2:

dφ =(∂φ∂u

)du+

(∂φ∂v

)dv +

( ∂φ∂w

)dw

ergibt:

(~∇φ)u =1

gu

(∂φ∂u

); (~∇φ)v =

1

gv

(∂φ∂v

); (~∇φ)w =

1

gw

( ∂φ∂w

)bzw.

grad φ = ~∇φ = 1

gu

∂φ

∂u

~eu +

1

gv

∂φ

∂v

~ev +

1

gw

∂φ

∂w

~ew

Somit ergibt sich der Nabla-Operator in allgemeinen orthogonalen Koordinaten zu:

~∇ = ~eu

1

gu

∂u

+ ~ev

1

gv

∂v

+ ~ew

1

gw

∂w

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———————————————————————————————————– 111

(A3) Divergenz

Analog zu den Betrachtungen in 3.2 gilt:

Demnach:

∆N± = Au

(u∓ ∆u

2

)∆F∆t = Au

(u∓ ∆u

2

)gvgw∆v∆w∆t

≈Au(u)gvgw ∓

∂u(Au(u)gvgw)

∆u

2

∆v∆w∆t

Mit ∆V = gugvgw∆u∆v∆w (siehe (A1)) gilt sodann (nun Au := Au(u)):

∆N = ∆N+ −∆N− = − ∂

∂u(Augvgw)∆u∆v∆w∆t = − ∂

∂u(Augvgw)

∆V∆t

gugvgw

⇒ lim∆V→0 ,∆t→0

(∆N/∆V

∆t

)=(∂n∂t

)Au

= − 1

gugvgw

∂u(Augvgw)

Insgesamt also:(∂n∂t

)~A

=∂n

∂t= − 1

gugvgw

∂u(Augvgw) +

∂v(Avgwgu) +

∂w(Awgugv)

=: −~∇ · ~A

Somit ergibt sich die Divergenz in allgemeinen orthogonalen Koordinaten zu:

~∇ · ~A =1

gugvgw

∂u(gvgwAu) +

∂v(gwguAv) +

∂w(gugvAw)

(A4) Laplace-Operator

Da ∆ = ~∇ · ~∇, folgt mit (A2) und (A3) für den Laplace-Operator in allgemeinen orthogo-nalen Koordinaten:

∆ =1

gugvgw

∂u

(gvgwgu

∂u

)+

∂v

(gwgugv

∂v

)+

∂w

(gugvgw

∂w

)

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112 ———————————————————————————————————–

(A5) Rotation

Aus einer (später zu definierenden) Integraldarstellung ergibt sich für die Rotation inallgemeinen orthogonalen Koordinaten:

~∇× ~A =1

gvgw

∂v

(gwAw

)− ∂

∂w

(gvAv

)~eu

+1

gwgu

∂w

(guAu

)− ∂

∂u

(gwAw

)~ev

+1

gugv

∂u

(gvAv

)− ∂

∂v

(guAu

)~ew

Bemerkung: Diese etwas umfangreichere Formel lässt sich auch einfacher merkenüber:

~∇× ~A =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

~eugvgw

~evgwgu

~ewgugv

∂u

∂v

∂w

guAu gvAv gwAw

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

(A6) Differential-Operatoren in speziellen Koordinatensystemen

(a) Zylinderkoordinaten (ρ, ϕ, z):

~∇ = ~eρ

( ∂∂ρ

)+ ~eϕ

(1

ρ

∂ϕ

)+ ~ez

( ∂∂z

)

~∇φ = ~eρ

(∂φ∂ρ

)+ ~eϕ

(1

ρ

∂φ

∂ϕ

)+ ~ez

(∂φ∂z

)~∇ · ~A =

1

ρ

∂ρ

(ρAρ

)+

1

ρ

∂Aϕ∂ϕ

+∂Az∂z

∆φ =1

ρ

∂ρ

(ρ∂φ

∂ρ

)+

1

ρ2

∂2φ

∂ϕ2+∂2φ

∂z2

~∇× ~A =1

ρ

∂Az∂ϕ− ∂Aϕ

∂z

~eρ +

∂Aρ∂z− ∂Az

∂ρ

~eϕ +

1

ρ

∂ρ

(ρAϕ

)− 1

ρ

∂Aρ∂ϕ

~ez

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———————————————————————————————————– 113

(b) Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ):

~∇ = ~er

( ∂∂r

)+ ~eϑ

(1

r

∂ϑ

)+ ~eϕ

( 1

r sinϑ

∂ϕ

)

~∇φ = ~er

(∂φ∂r

)+ ~eϑ

(1

r

∂φ

∂ϑ

)+ ~eϕ

( 1

r sinϑ

∂φ

∂ϕ

)~∇ · ~A =

1

r2

∂r

(r2Ar

)+

1

r sinϑ

∂ϑ

(sinϑAϑ

)+

1

r sinϑ

∂Aϕ∂ϕ

∆φ =1

r2

∂r

(r2∂φ

∂r

)+

1

r2 sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂φ

∂ϑ

)+

1

r2 sin2 ϑ

∂2φ

∂ϕ2

~∇× ~A = 1

r sinϑ

∂ϑ

(sinϑAϕ

)− 1

r sinϑ

∂Aϑ∂ϕ

~er

+ 1

r sinϑ

∂Ar∂ϕ− 1

r

∂r

(rAϕ

)~eϑ

+1

r

∂r

(rAϑ

)− 1

r

∂Ar∂ϑ

~eϕ

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114 ———————————————————————————————————–

(A7) Anwendungsbeispiele

(A7.1) Elektrischer Dipol: Zylinderkoordinaten

Sei das Potential φ mit ~p = p~ez gegeben:

φ(~r) =1

4πεo

~p · ~rr3

=1

4πεo

pz

(ρ2 + z2)32

(a) Berechnung des elektrischen Feldes:

~∇φ = ~eρ

(∂φ∂ρ

)+ ~eϕ

(1

ρ

∂φ

∂ϕ

)+ ~ez

(∂φ∂z

)= ~eρ

− 1

4πεo

3

2

pz2ρ

(ρ2 + z2)52

+ ~ez

1

4πεo

( p

(ρ2 + z2)32

− 3

2

pz2z

(ρ2 + z2)52

)= − 1

4πεo

3(~p · ~r)r5

ρ~eρ + z~ez

+

1

4πεo

p~ezr3

⇒ ~E = −~∇φ =1

4πεo

3(~p · ~r)~rr5

− ~p

r3

(b) Divergenz des elektrischen Feldes:

~∇ · ~E =1

4πεo

1

ρ

∂ρ(ρEρ) +

∂Ez∂z

=

1

4πεo

1

ρ

( 6pzρ

(ρ2 + z2)52

− 5

2

3pzρ22ρ

(ρ2 + z2)72

)+

6pz

(ρ2 + z2)52

− 5

2

3pz22z

(ρ2 + z2)72

+3

2

p2z

(ρ2 + z2)52

=

1

4πεo

15pz

(ρ2 + z2)52

− 15pz(ρ2 + z2)

(ρ2 + z2)72

= 0

(c) Rotation des elektrischen Feldes:

~∇× ~E =∂Eρ∂z− ∂Ez

∂ρ

~eϕ

=1

4πε0

3pρ

(ρ2 + z2)52

− 5

2

6pz2ρ

(ρ2 + z2)72

+5

2

6pz2ρ

(ρ2 + z2)72

− 3

2

p2ρ

(ρ2 + z2)52

= ~0

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———————————————————————————————————– 115

(A7.2) Homogen geladene Kugel mit Radius R: Kugelkoordinaten

Das Potential φ ist gegeben durch:

φ(~r) =1

4πεo

q

r; r > R

3

2

q

R

(1− r2

3R2

); r ≤ R

(a) Berechnung des elektrischen Feldes:

~∇φ = ~er

(∂φ∂r

)+ ~eϑ

(1

r

∂φ

∂ϑ︸︷︷︸=0

)+ ~eϕ

( 1

r sinϑ

∂φ

∂ϕ︸︷︷︸=0

)

= − 1

4πεo

q

r2~er ; r > R

qr

R3~er ; r ≤ R

⇒ ~E = −~∇φ =1

4πεo

q

r2~er ; r > R

qr

R3~er ; r ≤ R

Veranschaulichung:

(b) Divergenz des Feldes:

~∇ · ~E = ~∇ · (−~∇φ) = −∆φ

Hier:

∆φ =1

r2

∂r

(r2∂φ

∂r

)=

− 1

r2

∂r

( q

4πεo

)= 0 ; r > R

− 1

r2

∂r

( qr3

4πεoR3

)= − 3q

4πεoR3= −ρq

εo; r ≤ R

(anschaulich klar?!)

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116 ———————————————————————————————————–

(A7.3) Laplace-Operator bei sphärischer Symmetrie

Es gilt∂φ

∂ϑ=∂φ

∂ϕ= 0 also

∂φ

∂r=dφ

dr= φ′ und damit

∆φ =1

r2

d

dr

(r2dφ

dr

)=d2φ

dr2+

2

r

dr= φ′′ +

2

rφ′

Anwendung auf (A7.2):

φ′ =

− q

4πεor2; r > R

− qr

4πεoR3; r ≤ R

⇒ φ′′ =

2q

4πεor3; r > R

− q

4πεoR3; r ≤ R

⇒ ∆φ = φ′′ +2

rφ′

=

2q

4πεor3+

2

r

(− q

4πεor2

)= 0 ; r > R

− q

4πεoR3+

2

r

(− qr

4πεoR3

)= − 3q

4πεoR3; r ≤ R

(A7.4) Sphärisch-symmetrische Strömung

Kontinuitätsgleichung:

∂n

∂t+ ~∇ · (n~u) = 0

Beispiel: Expandierende Sonnenatmosphäre = Sonnenwind

• stationär ⇒ ∂n

∂t= 0

• Geschwindigkeit konstant ⇒ |~u| = const.

• sphärisch-symmetrische Abströmung ⇒ ~u = u~er , u = const.

⇒ ~∇ · (n~u) = 0 ⇔ 1

r2

d

dr(r2nu) = 0

⇒ d

dr(r2nu) = 0 ⇒ r2nu = const. ⇒ n =

const.

r2u∼ 1

r2

Damit folgt, dass das Dichteprofil der Abströmung mit 1/r2 absinkt,wenn der Betrag der Strömungsgeschwindigkeit konstant ist.

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9.1 Integrale über VektorfelderWie schon im Abschnitt 1.3.1 besprochen, sind für physikalische Fragestellungen auchIntegrationen über Vektorfelder erforderlich, so z.B. Wegintegrale (siehe 1.3.1) oder Fluss-integrale (siehe 9.1.4). Zur Formulierung und zum Verständnis der Integralsätze (siehe9.3) sind zudem Berechnungen von Oberflächen- und Volumenintegralen nötig. Diese In-tegralbegriffe werden im Folgenden besprochen.

9.1.1 Kurvenintegrale

• kartesische Koordinaten: siehe Abschnitt 1.3.1

• krummlinige Koordinaten: analoge Vorgehensweise

Beispiel: Arbeit im sphärisch-symmetrischen Gravitationsfeld

Auf eine Testmasse m im Feld einer Masse M , die sich bei ~r = ~0befinde, wirkt die Kraft:

~F (~r) = −GMm

r2~er

Bei der Bewegung entlang einer radialen Geraden von ~ra = ra ~er nach~rb = rb ~er entlang der Bahnkurve C : ~rC = r ~er = ~r mit einer infinite-simalen Wegänderung d~r = dr ~er wird die Arbeit

W =

~rb∫~ra

~F (~r) · d~r = −GMm

rb∫ra

1

r2~er · dr ~er

= −GMm

rb∫ra

1

r2dr = GMm

( 1

rb− 1

ra

)geleistet.Die gleiche Berechnung in kartesischen Koordinaten wäre umständli-cher, da entlang des Weges i.A. weder x1 noch x2 noch x3 konstantsind.

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118 ———————————————————————————————————–

9.1.2 Weg(un)abhängigkeit von Kurvenintegralen

Im Allgemeinen ist der Wert eines Kurvenintegrals abhängig vom Weg, d.h. die Integra-tion von einem Punkt ~ra zu einem anderen Punkt ~rb wird entlang verschiedener Wegeverschiedene Werte ergeben. Es stellt sich also die Frage: Wann ist ein Kurvenintegralwegunabhängig?

Dazu folgende::::::::::::::Überlegungen:

(i) Es sei ein stetiges Vektorfeld ~A(~r) gegeben mit der Eigenschaft, dass das Integral

φ(~r) =~r∫~ra

~A(~r′) · d~r′ unabhängig vom Weg C sei. Dann gilt:

∆φ = φ(~r + ∆~r)− φ(~r) =

~r+∆~r∫~ra

~A(~r ′) · d~r ′ −~r∫

~ra

~A(~r ′) · d~r ′

=

~r+∆~r∫~r

~A(~r ′) · d~r ′

Mittelwertsatz:~r ≤ ~rm ≤ ~r + ∆~r∣∣

= ~A(~rm) ·∆~r

Wegen (vgl. 3.1(A)) ∆φ = gradφ ·∆~r != ~A(~rm) ·∆~r

folgt im Limit ∆~r → ~0, dass ~rm → ~r, also ~A(~r) = gradφ = ~∇φ

(ii) Umgekehrt gilt

~rb∫~ra

gradφ(~r) · d~r︸ ︷︷ ︸= dφ (3.1(A))

=

~rb∫~ra

d φ = φ(~rb)− φ(~ra)

Daraus schließt man insgesamt auf die Gültigkeit des folgenden...

Satz: Ein Kurvenintegral über ein Vektorfeld ~A(~r) ist genau dann vom WegC unabhängig, wenn ~A(~r) ein Gradientenfeld ist:

~A(~r) = gradφ(~r) = ~∇φ(~r) .

Das skalare Feld φ(~r) (beziehungsweise in der Physik oft −φ(~r)) heißtPotential von ~A(~r) .

Bemerkung: Für die Gültigkeit dieses Satzes muss das betrachtete Gebiet einfachzusammenhängend sein (d.h. es darf keine “Löcher” enthalten).

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Folgerung:∫C

~A(~r) · d~r ist wegunabhängig ⇔ ∇× ~A = ~0 ⇔ ~A(~r) · d~r ist totales Differential

Folgerung: Integrale∮~A(~r) · d~r über geschlossene Wege C in einem Vektorfeld

~A(~r) verschwinden, wenn ~A(~r) = ~∇φ, also ein Gradientenfeld ist.Solche (Kraft-) Felder heißen konservativ.

9.1.3 Mehrfachintegrale

Derartige Integrale treten häufig bei physikalischen Anwendungen auf, da oft z.B. Flächen-und/oder Volumenberechnungen von Interesse sind. Zunächst eine Erinnerung (?):

(A) Mehrfachintegrale in kartesischen Koordinaten

Die Berechnung wird stets auf eindimensionale Integrationen zurückgeführt (siehe Mathe-matikvorlesung: Satz von Fubini), wobei zwei Alternativen unterschieden werden:

(i):::::::::::Konstante

:::::::::::::::::::::Integrationsgrenzen

Für ein Dreifachintegral gilt beispielsweise allgemein:

I =

b3∫a3

b2∫a2

b1∫a1

f(x1, x2, x3)dx1

︸ ︷︷ ︸=:g(x2,x3)

dx2dx3 =

b3∫a3

b2∫a2

g(x2, x3)dx2

︸ ︷︷ ︸=:h(x3)

dx3 =

b3∫a3

h(x3)dx3

(ii):::::::::::::::Nichtkonstante

:::::::::::::::::::::Integrationsgrenzen

Hier gilt:

• Das Mehrfachintegral muss für (mindestens) eine Variable feste Grenzen haben.

• Die Einfachintegrationen erfolgen jeweils nach der Variablen, die in den Integra-tionsgrenzen nicht vorkommt.

Beispiel: Fläche zwischen zwei Funktionen

F =

2∫0

2x1∫x2

1

1dx2dx1 =

2∫0

[x2]2x1

x21dx1

=

2∫0

(2x1 − x21)dx1 =

[x2

1 −1

3x3

1

]2

0=

4

3

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120 ———————————————————————————————————–

(B) Mehrfachintegrale und beliebige orthogonale Koordinaten

Der Übergang von kartesischen zu anderen (orthogonalen) Koordinaten erfolgt mit Hilfeder Substitutionsregel:

Satz: Sei ~J(~r) eine injektive und stetig differenzierbare vektorwertige Funk-tion von R3 nach R3 mit

~J(~r = u~eu + v~ev + w~ew) = (x1, x2, x3)

mit ~eu, ~ev, ~ew als orthogonale Basis des R3. Sei weiterhindet( ~J ′(u, v, w)) ständig positiv oder ständig negativ, dann gilt:y

f(x1, x2, x3) dx1dx2dx3 =y

f( ~J(u, v, w))∣∣∣det( ~J ′(u, v, w))

∣∣∣ dudvdwwobei die Ableitung von ~J(u, v, w) gegeben ist durch

~J ′(u, v, w) =

∂J1

∂u

∂J1

∂v

∂J1

∂w

∂J2

∂u

∂J2

∂v

∂J2

∂w

∂J3

∂u

∂J3

∂v

∂J3

∂w

also die Jacobi-Matrix (vergleiche Mathematikvorlesung) mit der De-terminante det( ~J ′) (siehe auch 9.1.5 im Buch von Korsch).

Im Falle von Zylinderkoordinaten (x1 = ρ cosϕ, x2 = ρ sinϕ, x3 = z) gilt:

~J(~r) =

ρ cosϕρ sinϕz

=

x1

x2

x3

⇒ ~J ′(ρ, ϕ, z) =

cosϕ −ρ sinϕ 0sinϕ ρ cosϕ 0

0 0 1

⇒ det( ~J ′) = ρ (cos2 ϕ+ sin2 ϕ) = ρ > 0 (kein Vorzeichenwechsel X)

Also:y

f(x1, x2, x3) dx1dx2dx3 =y

f(ρ cosϕ, ρ sinϕ, z) ρdρdϕdz

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———————————————————————————————————– 121

Im Falle von Kugelkoordinaten (x1 = r sinϑ cosϕ, x2 = r sinϑ sinϕ, x3 = r cosϑ) gilt:

~J(~r) =

r sinϑ cosϕr sinϑ sinϕr cosϑ

=

x1

x2

x3

⇒ ~J ′(r, ϑ, ϕ) =

sinϑ cosϕ r cosϑ cosϕ −r sinϑ sinϕsinϑ sinϕ r cosϑ sinϕ r sinϑ cosϕ

cosϑ −r sinϑ 0

⇒ det( ~J ′) = cosϑ

∣∣∣∣ r cosϑ cosϕ −r sinϑ sinϕr cosϑ sinϕ r sinϑ cosϕ

∣∣∣∣+ r sinϑ

∣∣∣∣ sinϑ cosϕ −r sinϑ sinϕsinϑ sinϕ r sinϑ cosϕ

∣∣∣∣= cosϑ(r2 cosϑ sinϑ) + r sinϑ(r sin2 ϑ) = r2 sinϑ

(kein Vorzeichenwechsel X)

Also:y

f(x1, x2, x3) dx1dx2dx3 =y

f(r sinϑ cosϕ, r sinϑ sinϕ, r cosϑ)r2 sinϑ drdϑdϕ

Beispiel: (a) Oberfläche einer Kugel mit Radius R:

OK =

2π∫0

π∫0

R2 sinϑdϑdϕ = R2

2π∫0

1∫−1

dydϕ

= 2R2

2π∫0

dϕ = 2R2[ϕ]2π0 = 4πR2

Das erste Gleichheitszeichen gilt wegen y = cosϑ⇒ dy = − sinϑdϑ.

(b) Volumen einer Kugel mit Radius R:

VK =

2π∫0

π∫0

R∫0

r2 sinϑdϑdϕ(a)= 4π

R∫0

r2dr = 4π[1

3r3]R0 =

4

3π R3

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122 ———————————————————————————————————–

9.1.4 Fluss durch eine Fläche

In 3.2 bzw. 9(A3) wurde die Fluss- beziehungsweise Stromdichte einer physikalischen Größeverwendet, z.B. n(~r)~u(~r) = Teilchenzahldichte × Geschwindigkeit

[Teilchen

m3 · ms = Teilchen

m2s

].

Diese Flussdichte ist ein Vektorfeld ~A(~r). Oft interessiert nun der Fluss durch eine gege-bene Fläche F . Die Berechnung erfolgt (wie gewohnt ?!) durch Zerlegung: man denke sichF zusammengesetzt aus kleinen Teilflächen ∆f . Nun sei ∆~f(~ri) ein Vektor, der normalzum Flächenelement ∆f orientiert ist und dessen Betrag den Flächeninhalt von ∆f angibt.

Dann gilt für den Fluss ΦF durch die Fläche:

ΦF =n∑i=1

~A(~ri) ·∆~f(~ri)

Im Limit n → ∞⇒ |∆~f | → 0 folgt:

ΦF =

∫F

~A(~r) · d~f(~r)

Bemerkung: Das Auftreten des Skalarproduktes ist anschaulich klar: Ist der Vektor~A(~ri) am Ort eines Flächenelementes ∆f(~ri) parallel zur dessen Ober-fläche (also senkrecht zur Normalen ∆~f(~ri)), so ist der Fluss durch∆f(~ri) gleich Null. Ist hingegen ~A(~ri) ‖ ∆~f(~ri), so ist der Fluss maxi-mal.

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———————————————————————————————————– 123

Beispiel: (a) Durchfluss durch einen Rohrquerschnitt:

⇒ ΦFR=

∫FR

~A(~r) · d~f =

∫FR

A0~ez · df~ez = A0

∫FR

df = A0FR

(b) Ist d~f um den Winkel α gegen die Strömungsrichtung geneigt, also:

Dann gilt:

ΦFS=

∫FS

~A(~r) · d~f = A0

∫FS

~ez · d~f︸ ︷︷ ︸=1·df cosα

= A0 cosα

∫FS

df = A0 FS cosα︸ ︷︷ ︸FR (vgl. (a)

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124 ———————————————————————————————————–

9.2 Die Integraldarstellung des Nabla-OperatorsAus Abschnitt 9(A3) ist bekannt, dass für den Fluss eines Vektorfeldes ~A(~r) durch dieOberfläche O∆V eines kleinen (Quader-) Volumens ∆V gilt:

div ~A(~r) = ~∇ · ~A(~r) = lim∆V → 0

1

∆V

∮O∆V

~A(~r) · d~f(~r)

Operator-schreibweise

|= lim

∆V → 0

1

∆V

∮O∆V

d~f(~r) · ~A(~r)

Das legt folgende Definition nahe:

~∇( . . . ) = lim∆V → 0

1

∆V

∮O∆V

d~f(~r) ( . . . ) Integraldarstellung des Nabla-Operators

Damit folgt sofort:

gradφ(~r) = ~∇φ(~r) = lim∆V→0

1

∆V

∮O∆V

d~f(~r)φ(~r) = lim∆V→0

1

∆V

∮O∆V

φ(~r)d~f(~r)

div ~A(~r) = ~∇ · ~A(~r) = lim∆V→0

1

∆V

∮O∆V

d~f(~r) · ~A(~r) = lim∆V→0

1

∆V

∮O∆V

~A(~r) · d~f(~r)

rot ~A(~r) = ~∇× ~A(~r) = lim∆V→0

1

∆V

∮O∆V

d~f(~r)× ~A(~r) = lim∆V→0

− 1

∆V

∮O∆V

~A(~r)× d~f(~r)

Neben diesen Darstellungen als Limes eines Flächenintegrals ist für ~∇( . . . ) und ~∇× ( . . . )auch eine Darstellung als Limes von Kurvenintegralen möglich. Man findet (siehe z.B. imBuch von Grossmann: ‘Mathematischer Einführungskurs für die Physik’, Kapitel 6.5):

~n× ~∇φ(~r) = lim∆F → 0

1

∆F

∮C∆F

φ(~r) d~r

~n ·[~∇× ~A(~r)

]= lim

∆F → 0

1

∆F

∮C∆F

~A(~r) · d~r

wobei ~n ein Einheitsvektor normal zur Fläche ∆F ist.

Bemerkung: Die Darstellung der Rotation als Limes eines Kurvenintegrals kannverwendet werden, um diesen Differentialoperator in krummlinigenKoordinaten zu berechnen (siehe Abschnitt 9(A5) und auch Kap. 7im Buch von Grossmann.

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———————————————————————————————————– 125

9.3 Die IntegralsätzeDie zuvor behandelte vektorielle Differentiation und vektorielle Integration (Kap. 3 undAbschnitt 9.1) erlauben zum einen, Eigenschaften von Feldern (z.B. Quellen oder Wirbel)bzw. Vorgängen, die in Feldern ablaufen (z.B. Krafteinwirkung, Strömungen), in geeig-neter (d.h. nützlicher) Weise zu beschreiben und sind somit für die Theoretische Physiksehr hilfreich. Zum anderen ermöglichen diese Methoden - neben den bisher behandel-ten mehrdimensionalen Verallgemeinerungen (wie z.B. die Differentialoperatoren, Kurven-oder Flächenintegrale) - die Formulierung weiterer, fundamentaler Aussagen, nämlich derso genannten Integralsätze von Gauß und Stokes.

9.3.1 Der Gaußsche Satz

Von Abschnitt 9(A3) ist bekannt, dass der Fluss eines Vektorfeldes ~A(~r) durch die Ober-fläche O∆V eines kleinen (Quader- oder Würfel-) Volumens ∆V gegeben ist durch:

φO∆V=

∮O∆V

~A(~r) · d~f(~r) ≈ ∆N

∆t≈ div ~A(~r)∆V

Stellt man sich ein allgemeineres Volumen V aufgebaut aus n kleinen Volumina ∆Vi vor,also V =

∑i ∆Vi, so gilt für den Fluss durch dessen Oberfläche OV :

φOV=

n∑i=1

φO∆Vi=

n∑i=1

∮O∆Vi

~A(~r) · d~f(~r) ≈n∑i=1

div ~A(~r)∆Vi

n→∞=⇒

∮OV

~A(~r) · d~f(~r) =

∫V

div ~A(~r)dV

Es gilt demnach der Satz von Gauß:

Satz: Gegeben sei ein Vektorfeld ~A(~r) und darin ein Volumen V mit ge-schlossener Oberfläche OV , deren (lokale Flächen-) Normale d~f(~r)nach außen gerichtet sei. Dann gilt:

∮OV

~A(~r) · d~f(~r) =

∫V

~∇ · ~A(~r)dV

d.h. dass der Fluss durch die Oberfläche gleich dem Volumenintegral über die Divergenzdes Feldes ist.

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126 ———————————————————————————————————–

Beispiel: (a):::::::::::Qellenfeld:

Gegeben sei das Vektorfeld ~A(~r) = ~r.

Wie groß ist der Fluss φF durch dieOberfläche OW eines Würfels (mitVolumen VW ) in ~A(~r) ?

Es gilt:

φOW=

∮OW

~r · d~f(~r) =

∫VW

div~r dV

div~r = ~∇ · ~r = 3∣∣=

∫VW

3 dV = 3VW

Das Ergebnis ist also unabhängig von der Form des Volumens, welcheswir bei der Rechnung auch gar nicht verwendet haben.

Bemerkung: Für einen Würfel wäre die Berechnung des Oberflä-chenintegrals aufwändig, da es ortsabhängige Winkelzwischen ~r und den Oberflächennormalen gibt. Füreine Kugel (mit Radius R) hingegen findet man ex-plizit:∮~r · d~f(~r) =

2π∫0

π∫0

~r∣∣r=R· ~erR2 sinϑ dϑdϕ = 4πR3 = 3V

(b):::::::::::Wirbelfeld:

Gegeben sei das Vektorfeld ~B(~r) = ~∇× ~A(~r).

Betrachtet sei ein beliebiges Volumen V indiesem Wirbelfeld.

Hier gilt:

φOV=

∮OV

~B(~r) · d~f(~r) =

∫V

div ~B(~r) dV =

∫V

div rot ~A(~r) dV

div rot ~A(~r) = 0(siehe 3.4)

|= 0

Anschaulich bedeutet dieses Ergebnis, dass genau so viele Feldlinien in V hineinzeigen, wie (an anderer Stelle) hinaus.

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———————————————————————————————————– 127

Beispiel: (c)::::::::::::::Punktladung: ~E(~r) =

1

4πε0

q

r2~er

Fluss durch die Oberfläche einer Kugel mit Radius R:

Flussintegral :

∮OKugel

~E(~r) · d~f(~r) =

2π∫0

π∫0

1

4πε0

q

R2~er · ~erR2 sinϑ dϑ dϕ

=q

4πε0

2π∫0

π∫0

sinϑ dϑdϕ =q

4πε0

2π · 2 =q

ε0

:::::Also: Der Fluss durch die Kugeloberfläche ist im Wesentlichen gleichder umschlossenen Ladung (gilt für beliebige geschlossene Flächen).

Mit Hilfe des Gaußschen Satzes folgt

V olumenintegral :

∫VKugel

div ~EdV !=

q

ε0

Das führt auf die Frage wie div ~E in V für eine Punktladung bestimmtwerden kann. Die Antwort ist mit Hilfe der so genannten δ-Funktionmöglich (s.u.).

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128 ———————————————————————————————————–

9.3.2 Der Stokessche Satz

Im Falle endlicher Flächen ∆F gilt (s.o.):

~n ·[~∇× ~A(~r)

]≈ 1

∆F

∮C∆F

~A(~r) · d~r

⇒ ∆F ~n︸ ︷︷ ︸= ∆~f(~r)

·[~∇× ~A(~r)

]≈

∮C∆F

~A(~r) · d~r

Damit gilt für die aus den Teilflächen gebildete Gesamtfläche F =n∑i=1

∆Fi:

∮CF

~A(~r) · d~r ≈∑i

∆~f(~ri) · rot ~A(~r)

n→∞=⇒

∮CF

~A(~r) · d~r =

∫F

rot ~A(~r) · d~f(~r)

Es gilt demnach der Satz von Stokes:

Satz: Gegeben sei ein Vektorfeld ~A(~r) und darin eine (glatte) Kurve CF (mitUmlaufsinn) um eine Fläche F . Dann gilt:

∮CF

~A(~r) · d~r =

∫F

~∇× ~A(~r) · d~f(~r)

d.h. das Wegintegral über den Rand der Fläche ist gleich dem Flä-chenintegral über die Rotation des Feldes.

Bemerkung: Die Integralsätze sind hier für den dreidimensionalen Fall angegeben.Im Rahmen der Relativitätstheorie wird eine vierdimensionale Formu-lierung benötigt. Siehe dazu das Buch von Grossmann.

Folgerung: Offenbar ist ein Wegintegral entlang einer geschlossenen Kurve genaudann vom Weg unabhängig, wenn rot ~A(~r) = ~0 gilt, wie bereits in 9.1.2erwähnt.

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Folgerung: Der Wirbelfluss ~∇× ~A(~r) eines Vektorfeldes ~A(~r) durch eine geschlos-sene Oberfläche ist Null (vgl. mit dem Beispiel (b) in 9.3.1), denn diegeschlossene Oberfläche ergibt sich durch ein “Zusammenziehen” derRandkurve C auf einen Punkt, so dass

∮CF

~A(~r) · d~r = 0.

Bemerkung: Die Erfordernis des “Zusammenziehens” der Randkurve bedingt einewesentliche Einschränkung: Die zuvor genannte Folgerung gilt nur fürKurvenintegrale auf einfach zusammenhängenden (= “lochfreien”) Ge-bieten. Wenn ein Gebiet nicht einfach zusammenhängend ist, lässt sicheine Kurve nicht auf einen Punkt zusammenziehen.

Beispiel: (a) Sei ~A(~r) = 12~B × ~r und CF ein Kreis mit Radius R um den Ko-

ordinatenursprung sowie in der Ebene senkrecht zu dem konstantenVektor ~B. Dann gilt:

Linienintegral :::::::::::::::::

∮CF

~A · d~r =

∮CF

1

2( ~B × ~r) · d~r

Spatprodukt∣∣=

1

2~B ·∮CF

~r × d~r

=1

2B

2π∫0

R2dϕ = BπR2 = BF

Flächenintegral:::::::::::::::::

∫F

rot ~A · d~f(~r)

rot ~A = rot ( 12~B × ~r) = ~B∣∣

= ~B ·∫F

d~f(~r) = BF

(b) Sei ~A(~r) = ~∇φ(~r). Dann gilt:∮Cf

~A(~r) · d~r =

∫F

rot(gradφ(~r))︸ ︷︷ ︸=0, (vgl. 3.4)

·d~f(~r) = 0

:::::Also: Wegintegrale in einem solchen Feld sind wegunabhängig

= konservatives Feld

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10 Die Delta-FunktionZur formalen Beschreibung des elektrostatischen Feldes und Potentials einer Punktladungq ist es notwendig, die entsprechende Ladungsverteilung ρ(~r) zu definieren. Offenbar giltim Falle einer Punktladung am Ort ~rq, dass ρ(~r) nur an einem Punkt ungleich Null ist,also:

ρ(~r) =

0 ;~r 6= ~rq

? ;~r = ~rq

mit ∫V

ρ(~r) d3r =

q ; falls ~rq in V0 ; sonst

Das Gewünschte leistet die so genannte (Diracsche) Delta-Funktion:

ρ(~r) = q δ3(~r − ~rq) mit∫V

δ3(~r − ~rq)d3r =

1 ; falls ~rq in V0 ; sonst

Demnach ist δ3(~r − ~rq) = 0 für ~r 6= ~rq (und anschaulich (!) gilt δ3(0) =∞).

Man kann sich die Delta-Funktion in drei Dimensionen als Produkt dreier eindimensionalerDelta-Funktionen vorstellen, d.h.:

δ3(~r − ~rq) = δ(x1 − xq1)δ(x2 − xq2)δ(x3 − xq3)

Für letztere gibt es verschiedene Darstellungen...

10.1 Elementare Definition der Delta-Funktion... im eindimensionalen Fall, wo z.B. gilt

(i) δ(x− x0) = limη→0+

1

π

η

η2 + (x− x0)2

In der Tat gilt für diese Funktionen(-folge)

∞∫−∞

δ(x− x0) dx = limη→0+

∞∫−∞

1

π

η

η2 + (x− x0)2dx

= limη→0+

1

π

[arctan

(x− x0

η

)]∞−∞

=1

π

[(π2

)−(−π

2

)]= 1

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———————————————————————————————————– 131

:::::::::::::Anschaulich:

= Funktionen werden “schmaler”und höher, definieren aber alle denFlächeninhalt 1.

Im Grenzwert gilt demnach (anschaulich):

δ(x− x0) =

0 ; x 6= x0

∞ ;x = x0

Weitere Darstellungen sind gegeben durch:

(ii) δ(x) = limη→∞

gη(x) mit gη(x) =

0 ; |x| > 1

η

η

2; |x| ≤ 1

η

Flächeninhalte:∞∫

−∞

gη(x) dx = 1

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132 ———————————————————————————————————–

(iii) δ(x− x0) = limη→0+

1

η√π

exp

(−(x− x0)2

η2

)(Skizze ähnlich wie bei (ii))

(iv) δ(x) = limη→∞

sin(ηx)

πx

(v) δ(x) =1

∞∫−∞

exp(ikx) dk (= “Fourier-Transformierte”)

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———————————————————————————————————– 133

10.2 Eigenschaften der Delta-FunktionEs gilt:

(1)

∞∫−∞

f(x)δ(x− x0) dx = f(x0)

f(x)=1=⇒

∞∫−∞

δ(x− x0) dx = 1

(2)

b∫a

f(x)δ(x− x0) dx =

f(x0) ; a < x0 < b

f(x0)/2 ; a = x0 oder b = x0

0 ; sonst

(3) δ(−x) = δ(x)

(4) δ(ax) =1

|a|δ(x) ; a 6= 0

(5) δ(h(x)) =1

|h ′(x0)|δ(x− x0) mit h(x0) = 0 ; h ′(x0) 6= 0

oder allgemeiner:

δ(h(x)) =N∑ν=1

1

|h ′(xν)|δ(x− xν) mit h(xν) = 0 ; h ′(xν) 6= 0

(hier sind x0 bzw. xν die einzigen Nullstellen von h(x))

(6)

∞∫−∞

f(x)δ ′(x− x0) dx = −f ′(x0)

(7) H ′(x) = δ(x)

Hierbei ist H(x) die Heaviside-Funktion (Stufenfunktion):

H(x) =

0 ; x < 0

1/2 ; x = 0

1 ; x > 0

=

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134 ———————————————————————————————————–

Bemerkung: Die Ableitung der Delta-Funktion in (6) erhält man aus der Differen-tiation der Funktionenfolgen, die in 10.1 angegeben sind, z.B.

δ ′(x) = limη→0+

d

dx

[1

η√π

exp

(−(x− x0)2

η2

)]= lim

η→0+−2(x− x0)

η3√π

exp

(−(x− x0)2

η2

)

Beispiel:

(a) δ(x2 − 3x+ 2) = ?

h(x) = x2 − 3x+ 2!

= 0 ⇒ h1 = 1, h2 = 2

⇒ h ′(x) = 2x− 3 ⇒ h ′(1) = −1, h ′(2) = 1

⇒ δ(x2 − 3x+ 2) =1

|h ′(1)|δ(x− 1) +

1

|h ′(2)|δ(x− 2) = δ(x− 1) + δ(x− 2)

(b)

∞∫−∞

(x2 − 3x+ 2) δ(x− 3) dx = 32 − 3 · 3 + 2 = 2

(c)

10∫2

(x2 − 3x+ 2) δ(x− 4) dx = 42 − 3 · 4 + 2 = 6

(d)

10∫4

(x2 − 3x+ 2) δ(x− 3) dx = 0

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———————————————————————————————————– 135

10.3 Die dreidimensionale Delta-Funktion... erfüllt analog: ∫

R3

f(~r)δ3(~r − ~r0) d3r = f(~r0)

Es gelten die nützlichen Darstellungen:

δ3(~r − ~r0) =1

4π∇~r ·

~r − ~r0

|~r − ~r0|3

und

δ3(~r − ~r0) = − 1

4π∆~r

1

|~r − ~r0|

Beispiel: In der Elektrostatik gelten für Feld und Potential einer Ladungsver-teilung ρ(~r):

~E(~r) =1

4πε0

∫ρ(~r ′)(~r − ~r ′)|~r − ~r ′|3

d3r ′

φ(~r) =1

4πε0

∫ρ(~r ′)

|~r − ~r ′|d3r ′

Für eine Punktladung mit ρ(~r) = qδ3(~r − ~rq) folgt daraus:

~E(~r) =q

4πε0

∫δ3(~r ′ − ~rq)(~r − ~r ′)

|~r − ~r ′|3d3r ′ =

1

4πε0

q

|~r − ~rq|3(~r − ~rq)

φ(~r) =q

4πε0

∫δ(~r ′ − ~rq)|~r − ~r ′|

d3r ′ =1

4πε0

q

|~r − ~rq|

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136 ———————————————————————————————————–

11 Fourier-Reihen

(vgl. im Buch von Korsch Abschnitt 12.2)

Neben der Darstellung einer Funktion als Potenzreihe f(x) =∞∑n=0

anxn (Bsp.: Taylor-

entwicklung) gibt es noch weitere Darstellungsmöglichkeiten. Besonders wichtig für phy-sikalische Anwendungen ist die Fourier-Darstellung einer 2π-periodischen Funktion alsFourier-Reihe:

f(x) =a0

2+∞∑n=0

an cos(nx) + bn sin(nx)

Wegen

π∫−π

f(x) dx = a0π +∞∑n=1

an=0︷ ︸︸ ︷

π∫−π

cos(nx) dx+bn

=0︷ ︸︸ ︷π∫

−π

sin(nx) dx

= πa0

und

π∫−π

f(x) cos(mx) dx =a0

2

=0︷ ︸︸ ︷π∫

−π

cos(mx) dx

+∞∑n=1

anπδnm︷ ︸︸ ︷

π∫−π

cos(nx) cos(mx) dx+bn

=0︷ ︸︸ ︷π∫

−π

sin(nx) cos(mx) dx

= πam

folgt

a0 =1

π

π∫−π

f(x) dx ; an =1

π

π∫−π

f(x) cos(nx) dx ; bn =1

π

π∫−π

f(x) sin(nx) dx

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Diese Ergebnisse können auf Funktionen mit beliebiger Periode 2L verallgemeinert werden:

f(x) =a0

2+∞∑n=1

an cos

(nπLx)

+ bn sin(nπLx)

mit: a0 =1

L

L∫−L

f(x) dx

an =1

L

L∫−L

f(x) cos(nπLx)dx

bn =1

L

L∫−L

f(x) sin(nπLx)dx

Mit diesen Formeln wird also die Fourier-Reihe für Funktionen mit Periode 2L definiert.

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138 ———————————————————————————————————–

Beispiel: (a) f(x) =

−x ; −π < x ≤ 0

+x ; 0 < x ≤ π

= f(x+ 2π)

:::::::Skizze:

:::::::::::::::Fourier-Reihe: f(x) =

π

2− 4

π

∞∑n=0

cos([2n+ 1]x)

(2n+ 1)2

(b) f(x) =

−xπ

+ 1 ; −π < x ≤ 0

+x

π− 1 ; 0 < x ≤ π

= f(x+ 2π)

:::::::Skizze:

:::::::::::::::Fourier-Reihe: f(x) = − 2

π

∞∑n=1

1

nsin(nx)

Diese Fourier-Reihen sind also unendliche Summen, deren Summan-den mit wachsendem n immer kleinere Beiträge liefern - durch diesukzessive Überlagerung dieser Terme ergibt sich im Grenzfall n→∞die jeweils gezeigte Funktion.

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Für zahlreiche Anwendungen nützlich und kompakter ist die...

::::::::::Komplexe

::::::::::::::Schreibweise:

f(x) =n=∞∑n=−∞

αn expinπ

Lx

mit: αn =1

2L

L∫−L

f(x) exp−inπ

Lxdx

Definiert man nun:

kn =nπ

L; fn =

√2

παnL ; ∆k =

π

L

gilt weiter

f(x) =1√2π

n=∞∑n=−∞

fn exp iknx∆k mit: fn =1√2π

L∫−L

f(x) exp −iknx dx

Beim Übergang zu nicht-periodischen Funktionen (formal also zu Funktionen mit nur einemPeriodizitätsintervall [−L,L]L→∞) kann man wegen ∆k = π/L→ dk schreiben:

f(x) =1√2π

∞∫−∞

f(k) exp ikx dk

f(k) =1√2π

∞∫−∞

f(x) exp −ikx dx

Diese so genannte Fourier-Transformation erweitert man leicht auf mehrere Dimensionen:

f(~r) =1√

2π3

∫f(~k) exp

i~k · ~r

d3k

f(~k) =1√

2π3

∫f(~r) exp

−i~k · ~r

d3r

Bemerkung:

Nutzen der Fourier-Transformation z.B.:

- Lösung von Differentialgleichungen (analog zur Laplace-Transformation)

- Zugang zum Verständnis der quantenmechanischen Unschärferelationen

Nutzen der Fourier-Reihen z.B.:

- Signalformen in der Elektronik

- Periodenanalyse von Messreihen

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Anhang

(a) Motivation zur Definition komplexer Zahlen“Neue” Zahlen wurden stets dann definiert, wenn die Anwendung von Rechenoperationenauf “bekannte” Zahlen innerhalb der Menge letzterer keine Lösung hat. Erinnerung (?!):

Menge Symbol Addition Multiplikation Subtraktion Division√pos. Zahl

√neg. Zahl

Natürliche Zahlen N X X

Ganze Zahlen Z X X X

Rationale Zahlen Q X X X X

Reelle Zahlen R X X X X X

Komplexe Zahlen C X X X X X X

Bemerkung: Es gilt N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C, d.h. die jeweils “bekannten” Zahlensind in den “neuen” eingebettet. In C liefern alle RechenoperationenErgebnisse in C.

Bemerkung: Die Division durch Null ist nicht definiert, und eine Untersuchungsolcher Fälle benötigt Grenzwertprozesse.

Erstmals stießGirolamo Cardano (1501–1576) auf die mögliche Nützlichkeit von (Quadrat-)Wurzeln aus negativen Zahlen, da er die Gleichung x2− 10x+ 40 = 0 lösen wollte und alsLösungen fand:

x1,2 = 5±√

25− 40 = 5±√−15

Demnach gilt:

0 = (x− x1)(x− x2) = (x− 5−√−15)(x− 5 +

√−15)

= x2 − 10x+ 25−√−15√−15

= x2 − 10x+ 25 + 15

= x2 − 10x+ 40 (X)

Bemerkung: Die heutige Schreibweise mit i =√−1 wurde von Leonard Euler

(1707–1783) eingeführt. In dieser Notation lauten obige Lösungen:x1,2 = 5±

√−15 = 5±

√−1√

15 = 5± i√

15.

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(b) Addition und Multiplikation komplexer ZahlenAlternativ (und allgemeiner) gilt:

(x− x1)(x− x2) = x2 − (x1 + x2)x+ x1x2

=⇒::::::Frage: Wie werden komplexe Zahlen addiert und multipliziert?

:::::::::Antwort: x1 + x2 = (a+ ib) + (c+ id) = (a+ c) + i(b+ d)

x1 · x2 = (a+ ib) · (c+ id)

i2 = −1|

= (ac− bd) + i(bc+ ad)

(c) Geometrische Interpretation komplexer ZahlenFormal kann man die Ergebnisse aus (b) auch wie folgt als Zahlenpaare schreiben:

a+ ib→ (a, b) ⇒ (a, b) + (c, d) = (a+ c, b+ d)

⇒ (a, b) · (c, d) = (ac− bd, bc+ ad)

Insbesondere gilt:

1 = 1 + i · 0→ (1, 0)

i = 0 + i · 1→ (0, 1)

Letzteres legt folgende geometrische Interpretation (nach Carl Friedrich Gauß (1777–1855)) nahe:

Es gilt natürlich:

|a+ ib| =√a2 + b2 ∈ R

:::::Also: Komplexe Zahlen können als Punkte in der Gaußschen Zahlenebene aufgefasst

werden.

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(d) Formale Definition komplexer Zahlen

Definition: (1) Zu R2 = R×R werden eine Addition und eine Multiplikation eingeführtdurch:

(a, b) + (c, d) = (a+ c, b+ d)(a, b) · (c, d) = (ac− bd, bc+ ad)

Dadurch wird R2 zu einem Körper (siehe Mathematik-Vorlesung!), dermit C bezeichnet wird. Die Elemente von C heißen komplexe Zahlen.

(2) Ist z = x + iy ∈ C mit x, y ∈ R, so heißt Re(z) := x der Realteil undIm(z) := y der Imaginärteil von z. z ist rein imaginär, wenn Re(z) = 0und Im(z) 6= 0.

(3) Ist z = x+ iy, dann ist z = x− iy die zu z konjugiert komplexe Zahl.

Folgerung: Seien z = x+ iy, w ∈ C, dann gilt:

(F1) z · w = z · w, insbesondere(

1

z

)=

1

z

(F2) z + w = z + w

(F3) z · z = |z|2 ∈ R(F4) |z · w| = |z||w|

(F5) z 6= (0, 0)⇒ w

z=w · z|z|2

,

insbesondere1

z=

z

|z|2=

x

x2 + y2− i y

x2 + y2

(F6) z = w ⇒ Re(z) = Re(w) und Im(z) = Im(w)

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(e) Die Eulersche FormelDie weitreichende (und tiefgehende) Bedeutung der komplexen Zahlen wird erst richtigdeutlich, wenn man sie als Argumente bekannter Funktionen zulässt. Das bekannteste undvielleicht wichtigste Beispiel ergibt sich aus der Frage nach der Bedeutung von exp(z):

exp(z) = exp(x+ iy)

formal|

= exp(x) exp(iy)

Wie aber ist exp(iy) zu interpretieren? Die Antwort ergibt sich in drei Schritten:

(1) Das Ergebnis soll eine komplexe Zahl sein:

y 6= 0 ⇒ exp(iy) = f(y) + ig(y) mit reellwertigen Funktionen f(y) und g(y)

y = 0 ⇒ exp(i0) = exp(0) = 1 ⇒ f(0) = 1 und g(y) = 0

(2) Es gilt (i = const):

exp(iy) ′ =d

dyexp(iy) = i exp(iy) = if(y)− g(y)

!=df(y)

dy+ i

dg(y)

dy=: f ′ + ig ′

(3) Es folgt:

f ′ = −g ⇒ f ′′ = −g ′ = −f mit f(0) = 1⇒ f(y) = cos(y)

g ′ = f ⇒ g ′′ = f ′ = −g mit g(0) = 0⇒ g(y) = sin(y)

Damit folgt insgesamt:

exp(iy) = cos(y) + i sin(y) “Eulersche Formel”

Bemerkung: Also z.B. exp(2πi) = cos(2π) + i sin(2π) = 1 + i · 0 = 1 (X)

Bemerkung: Neben diesem faszinierenden (?) Zusammenhang zwischen sin-, cos-,und exp-Funktion gelten viele andere Beziehungen, wie z.B. (x ∈ R):

cos(x) =1

2[exp(ix) + exp(−ix)]

cosh(x) =1

2[exp(x) + exp(−x)] = cos(ix)

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(f) Die Polardarstellung komplexer ZahlenMit Hilfe der geometrischen Darstellung folgt:

x = |z| cos(φ)y = |z| sin(φ)

⇒ tan(φ) =y

x⇒ φ = arctan

(yx

)=: arg(z)

Bemerkung: Die angegebene Formel für φ gilt im 1. Quadranten der komplexenEbene: Beachten Sie, dass bei der Berechnung von φ i.a. eine qua-drantenabhängige Fallunterscheidung erforderlich ist.

Damit folgt insgesamt:

z = x+ iy = |z|(cos(φ) + i sin(φ)) = |z| exp(iφ) “Polardarstellung”

Bemerkung: Die Polardarstellung kann genutzt werden, um mühelos die bekannten(?!) Additionstheoreme der Trigonometrie herzuleiten:

(1) z1 · z2 = |z1||z2| [cos(φ1) cos(φ2)− sin(φ1) sin(φ2)

+ i(sin(φ1) cos(φ2) + cos(φ1) sin(φ2)]

(2) z1 · z2 = |z1| exp(iφ1) |z2| exp(iφ2)

= |z1||z2| expi(φ1 + φ2)= |z1||z2| [cos(φ1 + φ2) + i sin(φ1 + φ2)]

Ein Koeffizientenvergleich ergibt:

cos(φ1 + φ2) = cos(φ1) cos(φ2)− sin(φ1) sin(φ2)

sin(φ1 + φ2) = sin(φ1) cos(φ2) + cos(φ1) sin(φ2)

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