Das Beta-Spektrometer

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WISSENSCHAFTLICHE ARBEIT FÜR DAS STAATSEXAMEN IM FACH PHYSIK Das β -Spektrometer Messung der kontinuierlichen Energieverteilung von β -Teilchen als Schulversuch vorgelegt von Elisabeth Wursthorn angefertigt bei Prof. Dr. Horst Fischer 14. Mai 2010 PHYSIKALISCHES INSTITUT ALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITÄT FREIBURG

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WISSENSCHAFTLICHE ARBEITFÜR DAS STAATSEXAMEN IM FACH PHYSIK

Das β-Spektrometer—

Messung der kontinuierlichenEnergieverteilung von β-Teilchen

als Schulversuch

vorgelegt von

Elisabeth Wursthornangefertigt bei Prof. Dr.Horst Fischer

14.Mai 2010

PHYSIKALISCHES INSTITUTALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITÄT FREIBURG

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Physikalische Grundlagen 32.1. Die Entdeckung der Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.2. Stabile und instabile Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.2.1. Kernbindungsenergie und Stabilitätskriterien . . . . . . . . . . . 52.2.2. Radioaktive Kernumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.2.3. Das Zerfallsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.3. Der β-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.3.1. Die Neutrino-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.3.2. Zerfallsprozess und Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.3.3. Das β-Spektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.4. Messung ionisierender Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3. Das β-Spektrometer 273.1. Grundsätzliches zum Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3.1.1. Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.1.2. Die radioaktiven Präparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313.1.3. Physikalisches Prinzip der Messung . . . . . . . . . . . . . . . . 323.1.4. Energierechnung: Klassisch vs. relativistisch . . . . . . . . . . . 34

3.2. Vorbereitende Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363.2.1. Eichung der Hallsonde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363.2.2. Bestimmung der Totzeit des Zählrohrs . . . . . . . . . . . . . . 40

3.3. Aufnahme und Analyse der β-Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.3.1. Erste Testmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.3.2. Untergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.3.3. Hauptmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

3.4. Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien . . . . . . . . . . . . 563.5. Auflösungsvermögen des Spektrometers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

4. Die Einbindung in den Schulunterricht 754.1. Bezug zum Bildungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754.2. Grundlagenwissen und inhaltliche Zusammenhänge . . . . . . . . . . . 764.3. Das Experiment - Tipps, Hinweise und Anregungen . . . . . . . . . . . 78

5. Versuchsanleitung für das Demonstrationspraktikum 83

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6. Zusammenfassung und Ausblick 95

A. Anhang 97

Literaturverzeichnis 103

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1. Einleitung

Die Prüfungsordnung für das Physik-Lehramt an Gymnasien schreibt seit 2001 dieerfolgreiche Teilnahme an einem „Kurs zur Durchführung von Demonstrationsexpe-rimenten“ innerhalb der Studienzeit vor. Vor zwei Jahren wurde im Rahmen einerwissenschaftlichen Arbeit von drei Studierenden ein solches Demonstrationspraktikumam Physikalischen Institut der Universität Freiburg neu gestaltet und aufgebaut ([1], [2]und [3]). Ziel ist es, die Lehramtsstudierenden bereits vor Erreichen des Referendariats(Vorbereitungsdienst) im Aufbau, der Durchführung und Präsentation von schulty-pischen Experimenten auszubilden. Neben dem Erlernen der sicheren Handhabungvon Geräten, sollen didaktisch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten der Experimente imSchulunterricht kennen gelernt und diskutiert werden.

Der Kerngedanke dieser wissenschaftlichen Arbeit ist die Einrichtung eines weiterenExperiments zur Erweiterung des Versuchsangebots im Bereich der Kernphysik bzw.Radioaktivität. Die β-Strahlung, die wie die α- und γ-Strahlung zu den elementarenKernstrahlungsarten gehört, ist unter den drei Strahlungen wohl die interessanteste. IhreErforschung hat in der Entwicklung der Kernphysik eine entscheidende Rolle gespielt.Durch Messungen mit magnetischen Spektrometern konnte bereits 1914 vom englischenPhysiker Sir James Chadwick gezeigt werden, dass Kerne bei β-Umwandlungen Teilchenmit einer kontinuierlichen Energieverteilung emittieren [4].

Um die Besonderheit der β-Strahlung aufzeigen zu können, wird ein derartiges β-Spektrometer für das Demonstrationspraktikum eingerichtet. Die Funktionsweise derverwendeten Versuchsanordnung beruht auf der Ablenkung und Separation der beimβ-Zerfall emittierten Elektronen bzw. Positronen im Magnetfeld. Mit Hilfe eines geeig-neten Teilchendetektors kann das kontinuierliche Energiespektrum, herrührend vomDreikörper-Zerfall eines Neutrons oder Protons eines instabilen Atomkerns, aufgenom-men werden.

Die erste Aufgabe bestand darin, geeignete Lehrmittelfirmen zu finden, die ein Spektro-meter und alle benötigten Geräte anbieten. Bei der Auswahl wurden die im Demonstra-tionspraktikum bereits vorhandenen Geräte berücksichtigt. Da angehende Lehrerinnenund Lehrer das Experiment durchführen, wurden radioaktive Präparate erworben, dienach der neuesten Strahlenschutzverordnung von 2001 bauartzugelassen sind.

Die Arbeit stellt ein in sich abgeschlossenes Skript zum Versuch des β-Spektrometersund dessen Einsatzmöglichkeiten im Schulunterricht dar.

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1 Einleitung

Zunächst werden alle benötigten physikalischen Grundlagen rund um den radioak-tiven β-Zerfall bereitgestellt (Kapitel 2). Dabei wird größtenteils darauf geachtet,dass die theoretischen Ausführungen als Material für eine Unterrichtsvorbereitung zurβ-Spektroskopie verwendet werden können. Der Hauptteil der Arbeit (Kapitel 3) bein-haltet die Beschreibung der Versuchsanordnung, sowie die Aufnahme und Auswertungder β-Spektren zweier radioaktiver Präparate. Die Auswertung umfasst u.a. die Bestim-mung der Maximalenergie der β-Teilchen mittels Kurie-Auftragung. Darüber hinauswird die von Enrico Fermi entwickelte Theorie (1934) zur Beschreibung von β-Spektrenfür die Approximation herangezogen. Ziel ist es, neben der reinen Durchführung desVersuchs, die Messapparatur auszutesten und Möglichkeiten für die Umsetzung imDemonstrationspraktikum herauszufinden. In Kapitel 4 werden Empfehlungen undAnregungen zur Einbettung des Experiments in den schulischen Kontext ausgesprochen.Diese Einbindung wurde auf Grundlage des Bildungsplans von 2004 für Physik anGymnasien [5] vorgenommen. Die innerhalb dieses Kapitels diskutierten Vorschlägebilden die Basis der Versuchsanleitung für das Demonstrationspraktikum, die in Kapitel5 in voller Länge dargestellt wird.

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2. Physikalische Grundlagen

2.1. Die Entdeckung der Radioaktivität

Es begann mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahre 1896 [6]. Ihre sensatio-nellen und geheimnisvollen Eigenschaften regten auch den Franzosen Antoine HenriBecquerel1 zu weiteren Untersuchungen an. Wäre es nicht möglich, so fragte er sich,dass auch von phosphoriszierenden Mineralien wie zum Beispiel Uransalzen, Röntgen-strahlung oder eine weitere unbekannte Strahlenart ausgesandt wird? So umhüllte ereine Reihe von Photoplatten mit schwarzem, lichtundurchlässigem Papier, platziertedarauf Proben von Uransalz (Kalium-Uranylsulfat) und setzte sie dem Sonnenlicht aus.Tatsächlich zeichnete sich auf den anschließend entwickelten Photoplatten ein Umrissder Proben ab. Damit schien die Vermutung bestätigt, dass die Phosphoreszenz voneiner durchdringenden Strahlung begleitet sei. Aber bereits wenige Tage darauf mussteer einen seltsamen Irrtum feststellen.

Abb. 2.1.: Abzug der Photoplatte, mit der Becquerel die Radioaktivität entdeckte [7]. Zu erkennensind zwei Schwärzungsstellen, wobei bei der unteren zwischen Uranmineral und Photoplatteein Kupferkreuz lag, wodurch die radioaktive Strahlung abgeschirmt wurde.

1 Antoine Henri Becquerel: 1852 - 1908, französischer Physiker.

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2 Physikalische Grundlagen

Becquerel bereitete einen neuen Versuch vor, der aber wegen eines bedeckten Himmelsund des nur kurzen Sonnenscheins nicht vollständig durchgeführt werden konnte. Soblieb das Paket aus Probe und verpackter Platte zwei Tage lang in seiner dunklenSchreibtischschublade liegen. Als am 1. März 1896 die Sonne wieder schien, wurden dieVersuche fortgesetzt, vorher aber - um einwandfreie Versuchsbedingungen zu schaffen -die Photoplatte gewechselt. Als er diese Platte mit den anderen zusammen entwickelte,zeigte sie trotz der Lagerung im Dunkeln eine besonders kräftige Schwärzung.

Dieses Ergebnis war erstaunlich und völlig unerwartet: Das Sonnenlicht und die Phos-phoreszenz konnten keinesfalls die Ursache der Schwärzung2 sein. Das Uransalz selbstwar offensichtlich die Quelle einer Strahlung, die der von Röntgen hergestellten zwarsehr ähnlich war, aber auf ganz andere Art zustande kam. Für diese Erscheinung führteBecquerel den Namen Radioaktivität (lat. radiare = strahlen) und für die unbekannte,zufällig entdeckte Strahlung den Namen „Rayons de Becquerel“ (Becquerelstrahlung)ein [8].

Er überließ die weitere Erforschung dieser harten Strahlung der jungen PhysikerinMarie Curie3, geb. Sklodowska, die sich schon zuvor bei den Experimenten mit Uran-salzen als seine Assistentin beteiligte. Sie wählte die Becquerelstrahlen zum Themaihrer Doktorarbeit und untersuchte zusammen mit ihrem Mann Pierre4 systematischalle bekannten chemischen Elemente auf ihre Radioaktivität. Dabei entdeckten siedie bis dahin unbekannten Elemente Radium und Polonium - zwei Quellen, derenRadioaktivität mehrere Millionen Mal stärker ist als die des Urans [8].

Im Jahre 1903 erhielten das Ehepaar Curie und Becquerel für ihre Arbeiten aufdem Gebiet Radioaktivität den Nobelpreis für Physik. Außerdem wurde Marie Curie1911 für die Aufbereitung von Radium und die Bestimmung seines Atomgewichts derNobelpreis für Chemie verliehen.

Im Laufe der Zeit fand man noch viele weitere radioaktive Elemente. Lord ErnestRutherford5 konnte 1910 zeigen, dass es drei Arten radioaktiver Strahlung gibt, dieals α-, β- und γ-Strahlen bezeichnet wurden [9]. All diese Entdeckungen halfen zwareine Vielzahl an neuen Informationen zu sammeln, aber sie erregten damals die ganzeWelt. Denn sie rüttelten, ohne es zu wollen, an den drei heiligsten Naturgesetzen; derUnveränderlichkeit der Elemente, dem Energiesatz und dem Kausalgesetz [10].

2 Die Schwärzung der Photoplatte wurde durch die harte β-Strahlung des Urans 238 verursacht. Dieα-Strahlung wird schon durch das Papier absorbiert und die Intensität der γ-Strahlung kleinerProben natürlichen Urans reicht für die Schwärzung einer photographischen Platte nicht aus.

3 Marie Curie: 1867 - 1934, Physikerin polnischer Herkunft.4 Pierre Curie: 1859 - 1906, französischer Physiker.5 Ernest Rutherford: 1871 - 1937, neuseeländischer Physiker, 1908 Nobelpreis der Chemie.

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2.2 Stabile und instabile Kerne

2.2. Stabile und instabile Kerne

„Alle zusammengesetzten Dinge neigen dazu zu zerfallen.“

Buddha 563-483 v. Chr.

Wenn die Lebensdauer eines Isotops wesentlich größer als das Alter des Sonnensystemsist, bezeichnet man es als stabil [11]. Alle übrigen Nuklide sind instabil und zerfallenspontan unter Energieabgabe durch unterschiedliche Mechanismen in leichtere Kerne.Dieser ohne äußeren Anlass verlaufende Prozess kann entweder direkt oder in Formeiner Umwandlungsreihe über mehrere instabile Zwischenstufen erfolgen. Der Grundfür eine Kernumwandlung eines instabilen Nuklids ist ein energetisch ungünstigesVerhältnis von Neutronenzahl N und Protonenzahl Z. Durch Veränderung diesesVerhältnisses kann ein Übergang in das „stabile Gebiet“ vollzogen werden (Abb. 2.2).

Abb. 2.2.: Lage der stabilen Kerne in der Z-N-Ebene [12].

2.2.1. Kernbindungsenergie und Stabilitätskriterien

Die starke Wechselwirkung hält die Protonen und Neutronen (Nukleonen) im Kernfest zusammen. Es muss Energie aufgewendet werden, um den Kern in seine einzelnenBestandteile zu zerlegen. Diejenige Energie, die insgesamt erforderlich ist, um alleNukleonen aus dem Kernverband zu lösen, heißt totale Bindungsenergie EB des Kerns.Zerlegt man einen Kern bestehend aus A Nukleonen, so dass weder die starke Kernkraftzwischen ihnen noch die elektrische Abstoßung zwischen den Protonen wirkt undbefinden sich die separierten Nukleonen in Ruhe, so besteht die gesamte Energie deszerlegten Systems lediglich aus der Ruheenergie aller Bausteine.

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2 Physikalische Grundlagen

Die totale Bindungsenergie des Kerns ergibt sich dann aus der Differenz nach und vorder Zerlegung in seine Bestandteile:

EB = (Zmp +Nmn −mk(Z,N)) c2

= ∆m · c2 .

Dabei bezeichnet c die Geschwindigkeit von Licht im Vakuum, mp die Masse desProtons, mn die des Neutrons und mk(Z,N) die Masse des betreffenden Kerns mitProtonenzahl Z und Neutronenzahl N vor der Zerlegung. Dieser Bindungsenergieentspricht ein Massendefekt ∆m = EB/c

2 des Kerns gegenüber der Summe der Massenseiner Nukleonen. Die Kernmasse mk ist um ∆m kleiner als die Gesamtmasse seinerfreien Nukleonen. Die Kernbindungsenergie ist also als Maß für die Festigkeit derNukleonenbindung aufzufassen: Je mehr Masse ∆m die Nukleonen bei der Bindungverlieren, umso größer ist EB, umso fester halten sie zusammen.

Generell lässt sich die totale Bindungsenergie nicht exakt berechnen, aber für Kerne mitA > 15 stellt die Bethe-Weizsäcker-Formel eine gute Näherung zur Beschreibung von EBdar. Für einen Kern mit Massenzahl A = N + Z findet man [13]:

EB = aVA− aSA2/3 − aF (N − Z)2 − aCZ2A−1/3 + δ · apA−1/2 , (2.1)

δ =

+1 für Z und N gerade (gg-Kerne)0 für A ungerade (ug- oder gu-Kerne)−1 für Z und N ungerade (uu-Kerne) .

Die Konstanten6 aV , aS, aF , aC und ap können durch Vergleich mit den gemessenenBindungsenergien ermittelt werden. Grundlage dieser Formel ist ein einfaches Kern-modell, welches den Atomkern mit seiner homogenen Dichte als Flüssigkeitströpfchenbehandelt. Die fünf Glieder der Bethe-Weizsäcker-Formel berücksichtigen neben derVolumenproportionalität auch Oberflächeneffekte, die Coulomb-Wechselwirkung zwi-schen den Protonen und einige Symmetrieeffekte7.

Aus der Weizsäckerschen Massenformel lassen sich eine Reihe an wichtigen Gesetz-mäßigkeiten über die Kernstabilität ableiten. Dazu betrachtet man beispielsweise dieBindungsenergie innerhalb einer Isobarenreihe (konstante Massenzahl A) und lässt Zvariieren. Ein Blick auf Gl.(2.1) zeigt, dass EB,A=const quadratisch in Z ist. In Abb.2.3 sind die Bindungsenergien für isobare Nuklide in Abhängigkeit der Protonenzahldargestellt. Für ungerades A ergibt sich nur eine Parabel mit dem Bindungsenergie-Maximum bei Z = Z0 (Abb. 2.3a). Für gerades A dagegen entstehen wegen des letztenTerms δ · apA−1/2 zwei getrennte Parabeln, je eine für gg- bzw. uu-Kerne (Abb. 2.3b).

6 Ihre empirischen Werte sind:aV = 15, 84 MeV, aS = 18, 33 MeV, aF = 23, 2 MeV. aC = 0, 714 MeV, ap = 11, 2 MeV [13].

7 Eine ausführliche Herleitung der verschiedenen Anteile findet man z.B. in [13].

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2.2 Stabile und instabile Kerne

(a) (b)

Abb. 2.3.: Energieverhältnisse für isobare Nuklide: (a) A ungerade (ug- und gu-Kerne)(b) A gerade (gg- und uu-Kerne). Stabile Kerne sind durch gefüllte Kreise markiert [12].

Wenn sich Kerne innerhalb einer Isobarenreihe umwandeln, kann dies nur durch einenβ-Zerfall geschehen. Wenn ein β-Zerfall unter Energiegewinn erfolgen kann, findet erin aller Regel auch statt. Kerne mit Z < Z0 können unter β−Emission in Kerne mitgrößerem Z und Kerne mit Z > Z0 durch β+-Emission bzw. Elektroneneinfang inKerne mit kleinerem Z übergehen. Dabei wird ihre Masse kleiner, d.h. ihre Bindungs-energie größer. Anhand Abb. 2.3 wird deutlich, dass es für ungerades A stets nur einstabiles Isobar gibt, während bei geradem A mehrere stabile Isobare möglich sind. DieProtonenzahl Z0, für die die Bindungsenergie bei festem A ein Maximum hat, kannmit der Forderung

(∂EB(Z,A)

∂Z

)

A=const= 0

berechnet werden, wobei hier Z als kontinuierliche Variable angesehen wird. Einsetzender empirischen Werte der Konstanten aV , aS, aF , aC , ap in Gl.(2.1) und Differenzierennach Z liefert den nicht notwendig ganzzahligen Wert:

Z ′0 = A

1, 98 + 0, 015 · A2/3 .

Die Protonenzahl Z0, die am nächsten an Z ′0 liegt, kennzeichnet den Kern einerIsobarenreihe mit maximaler Stabilität. Abb. 2.2 zeigt das schmale Band höchsterStabilität, welches tatsächlich mit der experimentell gefundenen Nuklidkarte gut über-einstimmt. Alle übrigen Nuklide außerhalb des „stabilen Tales“ sind instabil undzerfallen spontan durch unterschiedliche Mechanismen, die im folgenden Abschnitterläutert werden.

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2 Physikalische Grundlagen

2.2.2. Radioaktive Kernumwandlungen

„Die Erscheinung der Radioaktivität ist durch die spontane Umwandlung instabilerAtomkerne unter Energieabgabe gekennzeichnet. Die Abgabe der Energie erfolgt dabeiin Form ionisierender Strahlung, die entweder direkt vom Atomkern ausgeht oderindirekt durch die Kernumwandlung in der Atomhülle erzeugt wird“, [14].

Ein instabiles Nuklid zerfällt in der Regel durch einen der folgenden Prozesse8:

α-ZerfallSchwere Nuklide müssen Masse abgeben, da die Bindungskräfte für die außen liegendenTeilchen entsprechend geringer werden. Dabei emittiert der Atomkern einen 4

2He-Kern,das α-Teilchen, mit hoher kinetischer Energie:

AZX −→ A−4

Z−2Y + α .

Die Nukleonenzahl des Mutterkerns verringert sich dadurch um vier und die Protonen-zahl um zwei Einheiten.

β-ZerfallDieser Prozess, der sowohl bei leichten als auch bei schweren Nukliden auftritt, kannauf dreierlei Art stattfinden:

• β−-Zerfall:Wenn ein Atomkern mehr Neutronen enthält, als zur Stabilität nötig ist, sowandelt sich ein Neutron unter Aussendung eines Elektrons, dem β−-Teilchen,und eines Antineutrinos ν in ein Proton um:

AZX −→ A

Z+1Y + β− + ν .

Die Kernladung, also die Protonenzahl, vergrößert sich dabei um eine Einheit.

• β+-Zerfall:Enthält ein Atomkern dagegen weniger Neutronen, als zur Stabilität des Kernsnötig ist, so wandelt sich ein Proton unter Aussendung eines Positrons, demβ+-Teilchen, und eines Neutrinos ν in ein Neutron um:

AZX −→ A

Z−1Y + β+ + ν .

Das Positron hat dieselbe Masse und dieselbe Ladung wie das Elektron, jedochmit positivem Vorzeichen. Die Protonenzahl verkleinert sich um eine Einheit.

8 Obwohl bei den meisten radioaktiven Umwandlungen die Atomkerne nicht zerfallen, sondernlediglich ihre Neutronen- bzw. Protonenzahl oder ihre Bindungsenergie verändern, bezeichnet mandiese Umwandlungen im üblichen Sprachgebrauch als „radioaktive Zerfälle“. Echte Zerfälle liegennur beim α-Zerfall und bei Kernspaltungsprozessen vor.

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2.2 Stabile und instabile Kerne

• Elektroneneinfang (EC):Dasselbe Ergebnis wie beim β+-Zerfall ergibt sich auch dadurch, wenn der Kernein Hüllenelektron einfängt. Dabei verbindet sich das Elektron (meist aus derK-Schale) mit einem Proton des Kerns zu einem Neutron und einem Neutrino ν:

AZX + e− −→ A

Z−1Y + ν .

Beim β-Zerfall ändert sich lediglich die Protonenzahl Z, die Massenzahl A bleibterhalten. Die Umwandlung ist isobar. Eine ausführlichere Darstellung des β-Zerfallsfolgt in Abschn. 2.3, da der beschriebene Versuch mit dieser Art von Strahlungdurchgeführt wird.

γ-ZerfallBei all diesen Kernumwandlungen kann es vorkommen, dass sich der entstehendeTochterkern nicht in seinem niedrigst möglichen Energiezustand befindet. Diese ange-regten Kerne kehren unter Aussendung von elektromagnetischen Wellen, γ-Strahlung,direkt oder über weniger energiereiche Zwischenstufen in den Grundzustand zu-rück:

AZX ∗ −→ A

ZX + γ .

Der γ-Zerfall ist also weder eine Umwandlung noch ein wirklicher Zerfall des Mutternu-klids, er äußert sich lediglich in einer Verminderung der Energie.

Abb. 2.4.: Die Zerfallsarten in der Nuklidkarte.

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2 Physikalische Grundlagen

2.2.3. Das Zerfallsgesetz

Bei einem radioaktiven Nuklid kann man nicht voraussagen, welcher der einzelneninstabilen Kerne als nächster eine Kernumwandlung durchführen wird. Ein bestimmter,individueller Kern kann sich in der nächsten Sekunde umwandeln oder auch erst inHunderten von Jahren; darüber lässt sich keine Aussage machen. Dennoch bestehtbeim radioaktiven Zerfall eine strenge Gesetzmäßigkeit. Die spontane Umwandlungder Atomkerne ist ein statistischer Vorgang, für den man die Wahrscheinlichkeitseines Eintritts genau angeben kann. Für alle Kerne eines Nuklids gilt die gleicheUmwandlungswahrscheinlichkeit und dies führt dazu, dass die instabilen Atomkerneimmer um den gleichen Faktor abnehmen. Man betrachtet dazu eine Gruppe beste-hend aus N instabilen Atomen der selben Sorte. Sei λ = dP

dt die Wahrscheinlichkeitmit der pro Zeiteinheit ein bestimmtes Teilchen dieses Ensemble verlässt. Da λ füralle Teilchen dieser Sorte gleich groß ist, folgt für die Gesamtzahl der Zerfälle proZeiteinheit:

dNdt = −λ ·N . (2.2)

Diese Gleichung fordert also eine Proportionalität zwischen Änderungsrate und Größedes Ensembles, wobei λ die für das Nuklid charakteristische Zerfallskonstante darstellt.Durch Integration von Gl.(2.2)

N(t)∫

N0

dNN

= −t∫

0

λdt

erhält man das exponentielle Zerfallsgesetz der Form

N(t) = N0 · e−λt , (2.3)

wobei N(t) die Zahl der zur Zeit t vorhandenen instabilen Atomen und N0 die Aus-gangszahl zur Zeit t = 0 bedeuten.

Halbwertszeit und LebensdauerDie Zeit, in der der Atombestand auf die Hälfte gesunken ist, wird Halbwertszeit T1/2genannt. Die Halbwertszeiten der bekannten radioaktiven Nuklide liegen in einemGrößenbereich zwischen 10−10 s und 1018 a [14]. Der Zusammenhang zwischen T1/2 undZerfallskonstanten λ ergibt sich durch Einsetzen9 in Gl.(2.3) zu

T1/2 = ln 2λ

.

9 Unter Verwendung der Definition der Halbwertszeit gilt: N(T1/2) = N0/2 = N0 · exp(−λ · T1/2)bzw. 1/2 = exp(−λ ·T1/2). Logarithmieren der beiden Seiten liefert den gesuchten Zusammenhang.

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2.3 Der β-Zerfall

Der Kehrwert der Zerfallskonstanten wird als mittlere Lebensdauer τ des Zerfalls be-zeichnet und gibt diejenige Zeit an, nach der die Zahl N0 auf 1/e ihres Anfangsbestandsabgefallen ist, d.h. N(τ) = N0/e. Es gilt der Zusammenhang:

τ = 1λ

= T1/2

ln 2 .

AktivitätDie Messung dieser Zerfallsgrößen beruht auf der Bestimmung der Aktivität einerProbe. Sie ist zahlenmäßig gleich der Abnahme der sich umwandelnden Kerne proZeiteinheit:

A(t) = −dNdt = λ ·N(t) .

Die Aktivität A(t) einer radioaktiven Substanz fällt demnach mit der gleichen Halb-wertszeit wie N(t) exponentiell ab:

A(t) = A0 · e−λt mit A0 = λ ·N0 .

Im Jahre 1975 hat die Generalkonferenz für Maß und Gewicht für die Einheit derAktivität den Namen Becquerel eingeführt:

1 Bq = 1 Zerfall/s .

Ursprünglich wurde die Aktivitätseinheit Curie verwendet, wobei 1 Ci = 37 GBq meint.1 Ci ist definiert als die Aktivität von einem Gramm Radium. Die Festlegung diesesZahlenwerts ist historisch begründet. Auch der menschliche Körper selbst ist eineradioaktive Quelle durch den Anteil von Kohlenstoff (14C) und Kalium (40K) im Körper.Die Aktivität eines Körpers von 75 kg Masse ist etwa 7500 Bq [15].

2.3. Der β-Zerfall

Die Erforschung des radioaktiven β-Zerfalls der Atomkerne hat in der Entwicklungder Kernphysik eine entscheidende Rolle gespielt. Zu der Entdeckung einer neuenfundamentalen Kraft, der schwachen Wechselwirkung10, kommt das Auftreten einesunbekannten Teilchens hinzu [13].10 Die schwache Wechselwirkung ist eine der vier Grundkräfte der Physik. Sie kann wie andere Kräfte

für Energie- und Impuls-Austausch sorgen, wirkt aber vor allem bei Zerfällen oder Umwandlungen.Sie ist für den Zerfall von Quarks und Leptonen verantwortlich; der β-Zerfall ist das prominentesteBeispiel dafür [11].

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2 Physikalische Grundlagen

2.3.1. Die Neutrino-Hypothese

Die Untersuchung der radioaktiven Strahlungen stieß nach ihrer Entdeckung 1896 baldauf Schwierigkeiten. Man ging davon aus, dass beim β-Zerfall, ähnlich wie beim α-Zerfall, ein einzelnes Objekt ausgesandt wird. Diese Hypothese eines Zweikörper-Zerfallsvertrug sich ganz und gar nicht mit den experimentellen Beobachtungen. Während dasSpektrum von α-Strahlern aus diskreten, monoenergetischen Linien besteht, zeigt dasSpektrum von β-aktiven Nukliden eine kontinuierliche Energieverteilung. Wenn manaber den Energie- und Impulserhaltungssatz nicht aufgeben will, so erwartet man voneinem Zweikörper-Zerfall eine feste Energie der Zerfallsprodukte und damit ein scharfesLinienspektrum. Die emittierten β-Teilchen nehmen dagegen innerhalb eines Bereichszwischen 0 und Emax alle möglichen Energien an. Lediglich die Teilchen mit der Grenz-energie Emax erfüllen die Erwartung. Den meisten Zerfallselektronen bzw. -positronenfehlt folglich Energie. Neben dem kontinuierlichen Energiespektrum sind noch weitereexperimentelle Fakten nicht mit der Vorstellung eines Zweikörper-Zerfalls in Einklangzu bringen. Die beiden Nukleonen besitzen wie Elektronen halbzahligen Spin ~/2. DerGesamtdrehimpuls des Kerns wird zusätzlich durch deren Bahndrehimpuls bestimmt.Da der Bahndrehimpuls nur ganzzahlige Werte von ~ annimmt, ist der Kernspin bei ge-rader Nukleonenzahl A insgesamt ganzzahlig, bei ungeradem A halbzahlig. Nun ändertein β-Zerfall die Nukleonenzahl A zwar nicht, aber das emittierte β-Teilchen nimmt denSpin ~/2 mit. Die Spinbilanz, d.h. die Erhaltung des Drehimpulses wäre also ebenfallsverletzt. Will man die bisher bewährten Erhaltungssätze von Energie, Impuls undDrehimpuls „retten“, so könnte man annehmen, dass sich beim β-Zerfall ein drittes Teil-chen beteiligt, das die fehlende Energie, den fehlenden Impuls und Drehimpuls fortträgt.

Im Jahre 1930 befreite Pauli11 die Physik aus ihrer Krise und postulierte in einemBrief an die „radioaktiven Damen und Herren“ der Physikertagung in Tübingen dieExistenz eines weiteren, elektrisch neutralen Teilchens mit Spin ~/2, das er vorläufig„Neutron“ nannte [16]. Da das hypothetische Teilchen nahezu masselos sein musste,schlug Fermi12 1933 den Namen Neutrino (ital. „kleines Neutron“) vor, um es vom 1932von Chadwick13 entdeckten Kernbaustein unterscheiden zu können. Pauli sollte rechtbehalten, das Neutrino (genauer das Antineutrino) wurde tatsächlich experimentellnachgewiesen. Allerdings gelang dieser Nachweis erst 25 Jahre nach dem Postulat mitHilfe der Reaktion p + ν → n + β+, bei der ein Antineutrino aus β-Umwandlungenvon einem Proton eingefangen wird, das sich dabei in ein Neutron umwandelt und einPositron aussendet. Es wurde zudem festgestellt, dass verschiedene Arten von Neutrinosexistieren und zu jeder außerdem ein Antiteilchen. Neutrinos entkommen zwar wegenihrer äußerst geringen Wechselwirkung mit Materie unbeobachtet, sie dürfen jedoch inder Energiebilanz des β-Zerfalls nicht vernachlässigt werden.

11 Wolfgang Ernst Pauli: 1900 - 1958, österreichischer Physiker, 1945 Nobelpreis der Physik.12 Enrico Fermi: 1901 - 1954, italienischer Physiker, 1938 Nobelpreis für Physik.13 Sir James Chadwick: 1891 - 1974, englischer Physiker, 1935 Nobelpreis für Physik.

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2.3 Der β-Zerfall

2.3.2. Zerfallsprozess und Energiebilanz

Die fundamentale Bedeutung des β-Zerfalls besteht darin, dass er durch eine Wechsel-wirkung zwischen physikalischen Objekten verursacht wird, die in der klassischen Physiknicht bekannt ist - die sog. schwache Wechselwirkung [12]. Sie führt dazu, dass sich dieverschiedenen Quark-Arten, aus denen die Nukleonen14 bestehen, durch Aussendeneines Austauschteilchens, dem W-Boson, ineinander umwandeln (Abb. 2.5). Währenddas umgewandelte Quark als Bestandteil des umgewandelten Nukleon seine Rollebeibehält, verlassen die weiteren entstehenden Teilchen den Kern. Die beim β−- undβ+-Zerfall freiwerdende Ladung wird in Form eines Elektrons oder Positrons emittiert.Sie werden aus historischen Gründen als β-Teilchen bezeichnet. Da β-Zerfallsprozesseeine sehr viel kleinere Übergangswahrscheinlichkeit haben als Prozesse, die durch Kern-kräfte oder elektromagnetische Kräfte verursacht werden, spricht man von „schwacher“Wechselwirkung.

Bei Umwandlungsprozessen zwischen Elementarteilchen muss sowohl die Baryonen-zahl als auch die Leptonenzahl erhalten bleiben. Dabei wird einem Lepton15 die ZahlL = +1 und seinem Antiteilchen L = −1 zugeordnet. Es entsteht also jeweils einweiteres leichtes Teilchen, das Antineutrino ν bzw. das Neutrino ν, so dass auf beidenSeiten die Zahl der Leptonen „kompensiert“ wird. Da β-Zerfälle isobar sind, bleibtauch die Zahl der Baryonen16 erhalten.

(a) (b)

Abb. 2.5.: Feynman-Diagramm zur schwachen Wechselwirkung. Die durchgezogenen Linien entspre-chen den Nukleonen im Anfangs- und Endzustand, die gestrichelte Linie symbolisiert dasAustauschteilchen. (a) β−-Zerfall des Neutrons durch (b) Umwandlung eines d-Quarks.

14 Protonen: uud, Neutronen: udd. Dabei bedeutet u: up-Quark und d: down-Quark.15 Leptonen (griech. leptos = leicht) gehören neben den Quarks zu den fundamentalen Bausteinen

aus denen sich Materie zusammensetzt (z.B. e−, e+, ν, ν).16 Baryonen (griech. barys = schwer) sind Elementarteilchen, die aus jeweils drei Quarks bestehen

(z.B. p, n).

13

Page 18: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Potentialtopf-ModellAm anschaulichsten lässt sich der β-Zerfall am Potentialtopf-Modell beschreiben [17].Ein rechteckig verlaufendes Potential bietet sich als einfachste Möglichkeit an, um dieKernkräfte annähernd zu beschreiben und Eigenschaften der Kernmaterie zu verstehen.Demnach erfahren die Nukleonen innerhalb des Kernes von allen Seiten die gleicheKraft. Der scharf definierte Kernrand ist für ein Nukleon undurchdringlich, denn esist im Kern gebunden und hat im Allgemeinen nicht genügend Energie, um ihn zuverlassen. Wie Elektronen in der Atomhülle nur ganz bestimmte Energieniveaus beset-zen, so nehmen auch Protonen und Neutronen im Kern nur diskrete Energiezuständeein. Da Protonen und Neutronen beide den Spin 1/2 ~ haben, gehorchen sie demPauli-Prinzip. Dies bedeutet, dass jedes Energieniveau mit höchstens zwei Protonenund zwei Neutronen mit antiparallelem Spin besetzt werden kann. Die abstoßendeCoulombkraft zwischen den Protonen im Kern bewirkt aber, dass ihre Bindungsenergieverringert wird. Daher muss jeder Teilchensorte ein eigener Potentialtopf zugeordnetwerden, wobei der der Protonen gerade um die Coulomb-Abstoßungsenergie höher liegtals der der Neutronen. Da sich ein Neutron durch β-Zerfall in ein Proton umwandelnkann und umgekehrt müssen die Niveaus bei einem stabilen Kern bis etwa zur gleichenHöhe besetzt sein. Dann liegt der energetisch günstigste Zustand vor.

Die folgenden energetischen Betrachtungen sind an [18], Abschn. 3.1 angelehnt.

β−-ZerfallWenn ein Nuklid einen Neutronenüberschuss gegenüber stabilen Kernen aufweist, soerfolgt in der Regel eine β−-Umwandlung:

n −→ p + e− + νe .

Das Neutron n nimmt, falls es das Pauli-Prinzip erlaubt, durch Umwandlung in einProton p ein tieferes, nicht besetztes Protonenniveau ein (Abb. 2.6). Der Kern gehtdadurch in einen energetisch günstigeren Zustand über und wird stabiler. Das Elektrone− und das Elektron-Antineutrino νe werden erst durch die Umwandlung des Neutronsin ein Proton erzeugt und verlassen den Kern sofort nach ihrer Entstehung. DieserProzess ist im Kern prinzipiell nur dann möglich, wenn die Energie des MutterkernsAZX höher liegt als die des Tochterkerns A

Z+1Y. Vernachlässigt man die Ruhemasse desAntineutrinos, so lautet die Massenbilanz

mk(AZX) > mk( A

Z+1Y) +me ,

wobei für die Kernmassen mk die folgenden Beziehungen gelten:

mk(AZX) = Zmp + (A− Z)mn −

EB(AZX)c2 ,

mk( AZ+1Y) = (Z + 1)mp + (A− Z − 1)mn −

EB( AZ+1Y)c2 .

14

Page 19: Das Beta-Spektrometer

2.3 Der β-Zerfall

Abb. 2.6.: β−-Zerfall eines instabilen Kerns durch Umwandlung eines Neutrons n in ein Proton p.

Es ist bequemer, anstatt der Kernmassen die Massen M der neutralen Atome zuverwenden. Mit

mk(AZX) + Zme > mk( A

Z+1Y) + Zme +me

ergibt sich die Bedingung

M(AZX) > M( A

Z+1Y) .

Unter Verwendung der Massen-Energie-Äquivalenz erhält man daraus die Umwandlungs-energieQ, die als kinetische Energie von Elektron und Antineutrino frei wird:

Q =[M(A

ZX)−M( AZ+1Y)

]· c2 (2.4)

= Eβ− + Eν .

Aufgrund der wesentlich größeren Masse übernimmt der entstehende Kern dabei fastkeine Rückstoßenergie.

Ein β−-Zerfall findet übrigens auch beim freien Neutron statt. Es hat eine etwasgrößere Masse als ein freies Proton und zerfällt deshalb spontan mit einer Halbwertszeitvon T1/2 = 10, 25 min [14].

15

Page 20: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

β+-ZerfallAtomkerne mit einem Neutronendefizit können ihre Neutronenzahl bei geeignetenenergetischen Verhältnissen durch eine β+-Umwandlung erhöhen. Dabei wandelt sichein im Kern gebundenes Proton p trotz seiner geringeren Masse nach der Reak-tion

p −→ n + e+ + νe

in ein Neutron n um und emittiert dabei ein Positron e+ und Elektron-Neutrino νe.Diese Umwandlung wird möglich, wenn bei einem nicht stabilen Isotop die Energie-niveaus der Protonen höher liegen als die der Neutronen und das höchst besetzteNeutronenniveau nicht voll ist (Abb. 2.7). Das entstehende Neutron kann in die vor-handene Lücke fallen und in einen niedrigeren Energiezustand gelangen. Dadurchwird die Bindungsenergie des Tochterkerns größer als die des Mutterkerns. Diese Bin-dungsenergiedifferenz muss allerdings ausreichend groß sein, um neben dem „schweren“Neutron, ein Positron und Neutrino bilden zu können. Sie errechnet sich aus derMassenbilanz:

mk(AZX) > mk( A

Z+1Y) +me .

Es ergibt sich nun aber mit

mk(AZX) + Zme > mk( A

Z−1Y) + Zme +me

eine etwas andere Bedingung für die Atommassen:

M(AZX) > M( A

Z−1Y) + 2me .

Nur wenn das neutrale Ausgangsatom gegenüber dem Folgeatom einen Energieüber-schuss von mindestens 2mec

2 = 1022 keV besitzt, ist ein β+-Zerfall energetisch möglich.Die in diesem Fall freiwerdende Gesamtenergie ist gegeben durch:

Q =[M(A

ZX)−M( AZ−1Y)− 2me

]· c2 (2.5)

= Eβ+ + Eν .

Diese Überschussenergie wird als kinetische Energie von Positron und Neutrino frei.Die emittierten Positronen haben nur eine sehr kurze Lebensdauer. Bei ihrer Abbrem-sung in Materie vereinigen sie sich mit Elektronen unter Zerstrahlung der gemeinsamenRuheenergie von 2mec

2 = 1022 keV. Dabei entstehen zwei γ-Quanten von je 511 keV,die in entgegengesetzter Richtung emittiert werden. Diese Vernichtungs-Quanten sindeine Begleiterscheinung jedes β+-Strahlers.

Ein β+-Zerfall eines freien Protons ist wegen der kleineren Masse des Protons nachdem Energieerhaltungssatz nicht möglich.

16

Page 21: Das Beta-Spektrometer

2.3 Der β-Zerfall

Abb. 2.7.: β+-Zerfall eines instabilen Kerns durch Umwandlung eines Protons p in ein Neutron n.

ElektroneneinfangAlternativ zum β+-Zerfall kann auch Elektroneneinfang (electron capture, EC) auftre-ten. Dies betrifft meistens die K-Schale der Elektronenhülle, da K-Elektronen nach derQuantentheorie eine endliche, wenn auch sehr kleine Aufenthaltswahrscheinlichkeit imKern haben (Abb. 2.8) [13]. Das Elektron e− kann von einem Proton p „eingefangen“werden, das sich dadurch in ein Neutron n unter Emission eines Elektron-Neutrinos νeumwandelt:

p + e− −→ n + νe .

Das emittierte Neutrino hat neben der Leptonenzahlerhaltung vor allem die Aufga-be, die überschüssige Energie abzuführen. Der Elektroneneinfang ist ein mit der β+-Umwandlung konkurrierender Prozess. Die entsprechenden Bedingungen lauten:

mk(AZX) > mk( A

Z+1Y)−me ,

mk(AZX) + Zme > mk( A

Z−1Y) + Zme −me

und damit M(AZX) > M( A

Z−1Y) .

Für die Umwandlungsenergie gilt dann:

Q =[M(A

ZX)−M( AZ−1Y)

]· c2 . (2.6)

17

Page 22: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Abb. 2.8.: Elektroneneinfang aus der K-Schale.

Der Elektroneneinfang ist also auch bei Energiedifferenzen < 1022 keV energetisch mög-lich und findet daher immer dann statt, wenn die β+-Umwandlung aus energetischenGründen nicht möglich ist. Da mit der Massenbilanz des β+-Zerfalls auch stets diedes Elektroneneinfangs erfüllt ist, können sich bestimmte Atomkerne sowohl durchEmission von β+-Teilchen als auch durch Einfang eines Hüllenelektrons umwandeln.

Die freiwerdende Umwandlungsenergie aus Gl.(2.6) abzüglich der Bindungsenergiedes eingefangenen Elektrons, übernimmt alleine das Neutrino. Es entsteht daherein Neutrino-Linienspektrum. Der folgende Abschnitt dient ausschließlich der Be-schreibung des beim β−- und β+-Prozess entstehenden kontinuierlichen Energiespek-trums.

2.3.3. Das β-Spektrum

Durch Messungen mit magnetischen Spektrometern konnte schon Anfang 1914 vonChadwick gezeigt werden, dass Kerne bei β-Umwandlungen Teilchen mit einer konti-nuierlichen Energieverteilung emittieren [4]. Der Grund dafür ist, dass sich die beimZerfall freiwerdende Umwandlungsenergie Q aus Gl.(2.4) und (2.5) auf die beidenemittierten Teilchen verteilt:

Q = Eβ + Eν .

Dieser Energieübertrag ist ein statistischer Prozess. Daher erstreckt sich das Spektrumder Elektronen bzw. Positronen kontinuierlich bis zu einem Maximalwert Emax, bei dem

18

Page 23: Das Beta-Spektrometer

2.3 Der β-Zerfall

Abb. 2.9.: Schematische Darstellung von β-Energieverteilungen [14].

das (Anti-)Neutrino keine und das β-Teilchen nahezu die gesamte Umwandlungsener-gie erhält. Der entstehende Kern übernimmt dabei wegen seiner wesentlich größerenMasse fast keine Rückstoßenergie. Die Maximalenergie Emax eines Spektrums ist diecharakteristische Größe des Zerfalls. Die maximalen β-Energien zahlreicher radioaktiverNuklide liegen im Bereich 10 keV < Emax < 3 MeV [19]. Abb. 2.9 zeigt die typischeForm der kontinuierlichen Energieverteilung für einen β−- und einen β+-Strahler. Eindeutlicher Unterschied zwischen dem Elektronen- und Positronenspektrum ist beiniedrigen Energien zu erkennen. Hier macht sich die positive Ladung des Atomkernsbemerkbar. Durch den Einfluss des Coulombfelds werden die austretenden β+-Teilchenbeschleunigt, weshalb in der entstehenden Verteilung die kleinen Energien fehlen. Imβ−-Spektrum dagegen sind zahlreiche kleine Energien vorhanden.

Da β-Strahlung aus geladenen Teilchen besteht, kann diese durch elektrische odermagnetische Felder beeinflusst werden. Die Ablenkung im Magnetfeld wird bei Spek-trometern ausgenutzt, um β-Teilchen hinsichtlich ihrer Energie zu selektieren und zuzählen.

Fermi-Theorie des β-ZerfallsErste Versuche zur theoretischen Beschreibung des β-Zerfalls stammen aus einer Arbeitvon E. Fermi aus dem Jahr 1934 [20]. Er stellte sich die Aufgabe, ausgehend von seinenspeziellen Annahmen, die Übergangswahrscheinlichkeit und die Form des β-Spektrumszu berechnen. Die folgende Herleitung ist an [12], Kapitel 8.3 angelehnt.

19

Page 24: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Vor dem Zerfall befindet sich der Kern im Zustand |Ψi〉, durch den Zerfall gehter in den Zustand |Ψf〉 über und verliert dabei die Energie Q = E0 = Eβ +Eν . Gefragtist nach der Wahrscheinlichkeit dafür, dass das β-Teilchen mit einem bestimmtenImpuls p emittiert wird. Da die Stärke der zugrunde liegenden Wechselwirkung sehrgering ist, sind die Voraussetzungen der Störungstheorie erster Ordnung erfüllt, sodass Fermis Goldene Regel der Quantenmechanik angesetzt werden kann. Für dieWahrscheinlichkeit N(p)dp pro Zeiteinheit dafür, dass ein Elektron bzw. Positron imImpulsintervall zwischen p und p+ dp ausgesandt wird, gilt [21]:

N(p)dp = 2π~|〈Ψf |H|Ψi〉|2

dndE0

. (2.7)

Der Übergang zwischen den beiden Zuständen wird durch den Störungsoperator Hbewirkt. Das zugehörige Matrixelement |〈Ψf |H|Ψi〉| =

∫Ψ∗fHΨida3 = Hfi ist zunächst

unbekannt, da es den Hamilton-Operator enthält, der zur schwachen Wechselwirkunggehört. Es wird im Auswertungsteil als energieunabhängiger Faktor behandelt, wobeidiese Annahme streng genommen nur für sog. erlaubte Übergänge17 gerechtfertigt ist.

Für die Form der meisten β-Spektren ist alleine der statistische Faktor dndE0

verant-wortlich. Er gibt die Dichte der möglichen Zustände pro Energieintervall an, in denender Übergang enden kann. Zur Berechnung der Endzustandsdichte dn

dE0betrachtet

man den Atomkern wieder als tiefen, dreidimensionalen Potentialtopf mit der Kan-tenlänge a. Man findet dann für die Zahl der Zustände in einer Elementarzelle desPhasenraums für die Elektronen bzw. Positronen als auch für die Neutrinos denAusdruck18:

dnβ =a3p2

β

2π2~3 dpβ , dnν = a3p2ν

2π2~3 dpν .

Die Impulse pβ, pν werden in einem Dreikörper-Zerfall gebildet, demnach sind dnβ unddnν voneinander statistisch unabhängig und dn kann als Produkt aus beiden angesetztwerden:

dndE0

= dnν · dnβdE0

= a6

4π4~6p2β p

dpβdpνdE0

. (2.8)

Da das Neutrino nicht beobachtet werden kann, muss der Neutrinoimpuls pν über die Ki-nematik aus der Energie des β-Teilchens berechnet werden. Es gilt:

pν = Eνc

= E0 − Eβc

,

wobei die Ruhemasse des Neutrinos gleich Null gesetzt wurde.

17 Als erlaubt bezeichnet man Übergänge ohne Paritätsänderungen, bei denen das Leptonenpaarkeinen Bahndrehimpuls wegträgt.

18 Eine ausführliche Herleitung findet man u.a. in [12] oder [22].

20

Page 25: Das Beta-Spektrometer

2.3 Der β-Zerfall

Ferner ist für eine feste Elektronen- bzw. Positronenenergie (dpν/dE0) = 1/c undman erhält nach Einsetzen in Gl.(2.8):

dndE0

= a6

4π4~6c3 p2β (E0 − Eβ)2 dpβ .

Der Faktor a6 im Zähler kürzt sich später heraus, da man die Wellenfunktionen imMatrixelement auf das Volumen normiert.

Beim β-Zerfall ist es praktisch, die Energien Eβ und Impulse pβ der β-Teilchen der Masseme in den natürlichen Einheitenmec

2 undmec anzugeben. Man setzt:

Energie ε = Eβmec2 , Impuls η = pe

mec

⇒ ε2 − η2 = 1 .

Damit ergeben sich nach kurzem Umrechnen von Gl.(2.7) und unter Verwendungder Abkürzungen κ2 = (m5

ec4)/(2π3~7) und für die Maximalenergie ε0 = E0/mec

2 =Emax/mec

2 die folgenden Darstellungen für die Form des β-Spektrums:

N(η)dη = κ2|Hfi|2 η2(ε0 − ε)2 dη ,

bzw. N(ε)dε = κ2|Hfi|2 ε η(ε0 − ε)2 dε . (2.9)

Vor dem Vergleich mit dem Experiment müssen an der Spektralform noch Korrekturenvorgenommen werden. Bislang wurde nämlich die Coulomb-Wechselwirkung der Lepto-nen mit dem Kern nicht berücksichtigt. Sie bewirkt eine Beschleunigung der Positronenund eine Verzögerung der Elektronen. Um die Coulomb-Effekte zu kompensieren, wirdGl.(2.9) mit einem Faktor F (Z, ε) multipliziert. Die sog. Fermi-Funktion F (Z, ε) istabhängig von der Kernladungszahl des Tochterkerns19 und der Energie des Elektrons.Sie kann für das jeweilige Z aus Tabellen entnommen werden.

Damit erhält man schließlich Fermis Theorie für den β-Zerfall:

N(η)dη = κ2|Hfi|2F (Z, ε) η2(ε0 − ε)2 dη ,

N(ε)dε = κ2|Hfi|2F (Z, ε) ε η(ε0 − ε)2 dε . (2.10)

Diese mathematische Beschreibung wird im Rahmen der Auswertung für die Approxi-mation der gemessenen β-Spektren verwendet. Der Effekt des Coulombfelds ist in Abb.2.9 schematisch, stark übertrieben für Elektronen und Positronen dargestellt.

19 denn es ist die Wirkung des Restkerns auf das emittierte Teilchen.

21

Page 26: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Formt man Gl.(2.10) zu√√√√ N(ε)F (Z, ε) ε η = const · (ε0 − ε) (2.11)

um und trägt den Wurzelausdruck gegen ε auf, so erhält man, wenn alle Voraussetzungenrichtig waren, eine Gerade. Diese Darstellung, genannt Kurie-Plot, ist für die Analysevon β-Spektren sehr wichtig, da sich mit ihrer Hilfe die Maximalenergie ε0 = Emax/mec

2

sehr genau bestimmen lässt.

Abb. 2.10.: Schematischer Kurie-Plot eines β-Spektrums. Der Schnittpunkt der Geraden mit derε-Achse liefert die Maximalenergie ε0 der β-Teilchen.

Wenn sich beim Zerfall eines Kerns mehrere β-Spektren unterschiedlicher Maximal-energie überlagern, so beginnt man im Kurie-Plot mit der Analyse des Spektrumshöchster Energie. Anschließend wird das zum energiereichsten Spektrum gehörige Stücklinear extrapoliert und vom restlichen Bereich subtrahiert. Man kann so alle Spektrenvoneinander trennen, siehe Abschn. 3.4.

22

Page 27: Das Beta-Spektrometer

2.4 Messung ionisierender Strahlung

2.4. Messung ionisierender Strahlung

Teilchen und Strahlung werden nicht direkt, sondern erst über ihre Wechselwirkungmit der Detektormaterie nachgewiesen. Dabei können verschiedene Arten der Wech-selwirkung stattfinden. Die von radioaktiven Nukliden emittierten geladenen Teilchensind in der Lage beim Durchgang durch Materie Atome oder Moleküle anzuregenund zu ionisieren. Die beim β-Zerfall entstehenden schnellen Elektronen bzw. Po-sitronen bezeichnet man als direkt ionisierende Strahlung, da ihre kinetische Energieausreicht, um durch Stöße Ionen zu erzeugen [14]. Dieser Prozess führt in Gasen zurErzeugung beweglicher elektrischer Ladungsträger, die dann im Detektor elektrischeAusgangssignale erzeugen. Ein Teilchen mit einer kinetischen Energie im keV bisMeV-Bereich verliert bei der Ionisation eines Atoms oder Moleküls nur einen kleinenBruchteil seiner Energie. Der mittlere Energieverlust von β−-Teilchen liegt laut [23]bei 2, 5 keV/cm in Luft. Sie können daher bei ihrem Weg durch den Detektor vieleIonenpaare bilden.

Das Geiger-Müller-Zählrohr

Für Strahlung hat der Mensch kein Sinnesorgan, deshalb ist er darauf angewiesen, sieindirekt durch physikalische Effekte zu beobachten [24]. Das bekannteste und wohlverbreitetste Gerät zur Messung radioaktiver Strahlung ist das Geiger-Müller-Zählrohr.Bereits 1913 konstruierte der deutsche Physiker Hans Geiger ein Spitzenzählrohr undlegte damit die Grundlagen für das GM-Zählrohr, das er 1928 zusammen mit seinemDoktoranden Walther Müller entwickelte und veröffentlichte [25]. Das Geiger-Müller-Zählrohr, welches in diesem Versuch verwendet wird, ist ein bloßes Nachweisgerät, d.h. esregistriert die Zahl der pro Zeiteinheit eintreffenden Teilchen, ohne dabei ihre Energie zumessen. Es gehört zu der Gruppe der Gasionisationsdetektoren.

Abb. 2.11.: Foto eines Geiger-Müller-Zählrohrs.

23

Page 28: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Mechanischer AufbauEin Zählrohr ist ein Kondensator, bestehend aus einem zylindrischen Metallgehäusevon einigen Zentimetern Durchmesser und einem dünnen Draht, der entlang der Achsedes Zylinders und isoliert von der Außenwand angeordnet ist. Er wird über einen10 MΩ-Widerstand nach außen geführt und mit dem positiven Pol der Spannungs-quelle verbunden. Der negative Pol liegt am Gehäuse an. An der Stirnseite befindetsich ein extrem dünnwandiges Glimmerfenster, durch das die zu messende Strahlungeintritt. Im luftdicht abgeschlossenen Rohr befindet sich ein unter geringem Druck20

stehendes Gas (Neon-Argon-Halogen-Gemisch), das neben der Vervielfachung vonElektronen-Ionen-Paare auch für die Löschung von Nachentladungen verantwortlich ist.

Abb. 2.12.: Schematische Darstellung eines Zählrohrs.

WirkungsweiseZum Betrieb des Zählrohrs wird der Zähldraht gegen das geerdete Gehäuse mit etwa500 V Spannung positiv geladen. Die elektrische Feldstärke in einem solchen Zylinder-kondensator im Abstand r von Draht beträgt [27]

~E(r) = U

r · ln(a/b)~r ,

wobei a den Radius des zylindrischen Rohres und b den des dünnen Drahtes darstellt.Tritt ein geladenes, schnelles Teilchen in das Zählrohr ein, so wird das im Innerenbefindliche Gas durch Stöße längs der Teilchenbahn ionisiert. Die dabei freigesetz-ten Elektronen werden aufgrund der elektrischen Feldkraft zum Zähldraht, wo dieelektrische Feldstärke am größten ist, beschleunigt. Sie gewinnen auf ihrem Weg zurElektrode genügend kinetische Energie um viele weitere Edelgasatome zu ionisieren.Die Zahl der Ladungsträger vermehrt sich in Drahtnähe lawinenartig. Es kommt zueiner Gasentladung, die sich längs des ganzen Drahtes ausbreitet. Die Ionisation wirddabei um einen Faktor von 108 bis 1010 verstärkt [23].20 Der Druck des Gases beträgt in der Regel ca. 200 hPa [26]. Dadurch verlängert man bei vergleichs-

weise niedriger Zählrohrspannung die mittlere freie Weglänge der Teilchen, so dass sie vor demStoß mit Gasatomen genügend beschleunigt werden, um die Mindestenergie für eine Stoßionisationin Form von kinetischer Energie aufzubauen.

24

Page 29: Das Beta-Spektrometer

2.4 Messung ionisierender Strahlung

Abb. 2.13.: Prinzipschaltung eines Zählrohrs.

Die gebildeten Elektronen werden wegen ihrer kleinen Masse und großen Mobilitätschnell zum positiven Draht hingezogen. Während die Elektronen laut [14] in etwa10−8 s abgesaugt werden, baut sich um den Zähldraht eine schlauchförmige Raumla-dungswolke bestehend aus den trägen positiven Ionen auf, die „langsam“ (in etwa10−4 s) zur negativ geladenen Zählrohrwand wandert. Durch Influenz der Ionenbewe-gung entsteht ein Stromimpuls, der seinerseits an dem Hochohmwiderstand in einenSpannungsimpuls umgesetzt und über einen Entkopplungskondensator an einen Ver-stärker mit nachgeschaltetem Zähler übertragen wird. Dieser Ionenschlauch wirkt alsvirtuelle Anode, so dass das Gebiet um den Draht kurzzeitig feldfrei wird. Währenddieser sog. Totzeit kann vom Detektor kein neues Teilchen registriert werden. Bei einerschnellen Impulsfolge werden also grundsätzlich zu wenig Impulse gezählt.

Geiger-Müller-Zählrohre arbeiten im sog. Auslösebereich (etwa 425− 650V ), da jedesin das Zählrohr eintreffende, ionisierende Teilchen stets einen gleich großen Entladungs-stoß verursacht, unabhängig von der Primärladung. Eine Differenzierung von Energieund Strahlenart ist nicht mehr möglich. Die prinzipielle Schaltung für den Anschlussdes Zählrohrs an eine Zählapparatur ist in Abb. 2.13 dargestellt.

ZählrohrcharakteristikFür die praktische Anwendung ist es erforderlich, die Charakteristik eines Zählrohrszu kennen, denn die experimentell bestimmte Zählrate hängt von der gewähltenHochspannung ab. Die Charakteristik gibt bei konstanter Einstrahlung die Zählrate inAbhängigkeit der Zählrohrspannung an (Abb. 2.14). Erst ab einer Mindestspannungbeginnt das Zählrohr zu arbeiten. Davor ist die Zahl der Ladungsträger im Gas zu gering,

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Page 30: Das Beta-Spektrometer

2 Physikalische Grundlagen

Abb. 2.14.: Charakteristik eines Geiger-Müller-Zählrohrs [23].

um einen Stromimpuls abzugeben. Nach einem raschen Anstieg folgt der sog. Plateau-Bereich, für den die Rate weitgehend unabhängig von der eingestellten Hochspannungist. Um den Einfluss von Spannungsschwankungen auf das Zählergebnis zu unterbinden,wählt man den Arbeitspunkt für das Zählrohr in der Mitte dieses Plateaus. Eineweitere Spannungserhöhung über den Plateau-Bereich hinaus, führt aufgrund vonNachentladungen des Gases zur Dauerentladung und das Zählrohr „zündet“, wasletztlich eine Zerstörung bedeutet.

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Page 31: Das Beta-Spektrometer

3. Das β-Spektrometer

Zur Erweiterung des Angebots an Versuchen des Demonstrationspraktikums für Lehr-amtsstudierende wurde eine neue Messapparatur für den Bereich Radioaktivität ein-gerichtet. In diesem Versuch werden die kontinuierlichen Spektren von β-Strahlernam Beispiel von 90Sr und 22Na aufgenommen und untersucht. Verwendet wird da-bei ein β-Spektrometer, das auf der Ablenkung geladener Teilchen im Magnetfeldberuht. Ziel ist es, neben der Aufnahme der kontinuierlichen Energieverteilung, diefür den Zerfall charakteristische Maximalenergie Emax und das Auflösungsvermögender Spektrometeranordnung zu ermitteln. Im Folgenden werden der Aufbau und dasphysikalische Prinzip der Messapparatur, sowie die Aufnahme und Auswertung derSpektren dargestellt.

3.1. Grundsätzliches zum Versuch

Im β-Spektrometer werden β-Teilchen nach ihrer Energie selektiert und anschlie-ßend mit einem darin positionierten GM-Zählrohr gezählt. Die Selektierung erfolgtdurch ein Blendensystem, das senkrecht von einem homogenen Magnetfeld durchsetztwird und den einfallenden Teilchen eine feste Kreisbahn vorgibt. Da eine eindeuti-ge Beziehung zwischen Magnetfeldstärke B und dem Impuls p der Elektronen bzw.Positronen auf dieser Kreisbahn besteht, lassen sich Aussagen über deren Energiemachen.

3.1.1. Versuchsaufbau

Die BlendenkammerDas β-Spektrometer besteht im Wesentlichen aus einem flachen, dickwandigen Hohlzy-linder, welcher an Grund- und Deckfläche durch zwei plane Polschuhe verschlossen ist.In der nicht magnetisierbaren Wand der Kammer befinden sich drei Öffnungen, wovonzwei in einem bestimmten Winkel zueinander ausgerichtet sind und auf einem Kreisbo-gen mit mittlerem Radius r = 5 cm liegen. Eine der Bohrungen ist für das radioaktivePräparat vorgesehen, die andere bildet die Halterung für den Teilchendetektor. Derdritte Durchbruch dient der Hallsonde zur Bestimmung der magnetischen Flussdichteim Inneren.

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Page 32: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

(a) (b)

Abb. 3.1.: (a) Schematische Darstellung der Blendenkammer. (1) nicht magnetisierbare Wand;(2) Präparathalterung mit (3) Eintrittsblende; (4) Magnetfeldsondendurchführung; (5)Zählrohrhalterung mit (6) Austrittsblende [29]. (b) Foto der Kammer ohne Deckel.

Auf dem Kammerboden ist ein Blendensystem installiert, das aus halbkreisförmigenBleistreifen besteht. Es „blendet“ diejenigen β-Teilchen aus, die von der vorgegebenenKreisbahn abweichen. Außerdem befinden sich in der Eintritts- und Austrittsbohrungder Kammer zwei weitere, kleine Blenden, um Streueffekte bei der Detektion zuverringern. In Abb. 3.1 wird der beschriebene Aufbau und das Blendensystem derKammer schematisch dargestellt.

Der Aufbau-Elektromagnet - Erzeugung des MagnetfeldsDas β-Spektrometer wird senkrecht von einem homogenen Magnetfeld durchsetzt,welches durch einen Aufbau-Elektromagneten erzeugt wird.

Abb. 3.2.: Foto des Aufbau-Elektromagneten mit Blendenkammer, Präparat und Zählrohr.

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Page 33: Das Beta-Spektrometer

3.1 Grundsätzliches zum Versuch

Dazu versieht man einen Schenkel eines U-förmigen Eisenkerns mit einer felderzeugen-den Spule (600 Windungen) und steckt darüber die Blendenkammer. Auf den anderenSchenkel des U-Kerns wird ein runder Eisenkern aufgebracht, der die gleiche Höhe wiedie Ablenkkammer besitzt und als Distanzstück dient. Das Joch, ein stabförmiger Eisen-kern, wird oben aufgelegt und mit einer zugehörigen Spannvorrichtung fixiert. Durch dengeschlossenen Eisenkern wird das Spulenmagnetfeld optimal verstärkt. Als Spannungs-quelle dient ein universelles DC-Netzgerät mit digitaler Anzeige.

Die Hallsonde - MagnetfeldmessungFür die Messung der magnetischen Flussdichte im Inneren der Ablenkkammer verwendetman eine tangentiale Hallsonde in Verbindung mit einem Mikrovoltmeter. Sie misstFelder, die senkrecht zum Sondenträger orientiert sind und eignet sich wegen ihresextrem schmalen und flexiblen Aufbaus speziell zur Messung von Magnetfeldern inengen Spalten. Die Hallsonde besteht aus einem dünnen Streifen des HalbleitermaterialsIndium-Arsenid (InAs). Wird der Streifen der Dicke d in der Längsrichtung voneinem Steuerstrom IS durchflossen und zusätzlich senkrecht von einem Magnetfeldder Flussdichte B durchsetzt, so entsteht durch die auf die Elektronen wirkendeLorentzkraft eine Spannung UH , die abgegriffen werden kann. Unter Verwendung derKonstanten RH , welche vom jeweiligen Probenmaterial abhängig ist, ergibt sich für diesog. Hallspannung1:

UH = RHISd·B . (3.1)

Dieser Zusammenhang ermöglicht die Messung des Magnetfelds über eine Spannungs-messung. Die Proportionalitätskonstante c = RHIS/d zwischen UH und B wird imVorhinein durch Eichung der Hallsonde bestimmt, siehe Abschn. 3.2.1. Die Sonde wirdvorsichtig so weit wie möglich in die vorgesehene Bohrung eingeschoben. Dabei gilt esdarauf zu achten, dass die Sondenfläche parallel zu den Polschuhen des β-Spektrometersausgerichtet ist. Um Beschädigungen der äußerst empfindlichen Sonde zu vermeiden,wird sie in dieser Stellung mit Hilfe von Stativmaterial am Plastik-Griff eingespannt.

Abb. 3.3.: Foto der flexiblen Hallsonde.

1Eine Herleitung findet man in den meisten Physik-Lehrbüchern, z.B. [17].

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Page 34: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Das Geiger-Müller-ZählrohrUm die Anzahl der Impulse pro Zeiteinheit zu registrieren, verwendet man ein GM-Zählrohr in Verbindung mit einem Digitalzähler. Zum Anschluss des Zählrohrs ist eineBNC-Buchse am Gerät über ein BNC-Kabel vorgesehen. An der Buchse liegt die zumBetrieb erforderliche Gleichspannung von 500 V an. Dieser Arbeitspunkt ist bereits festeingestellt, so dass das Zählrohr im Auslösebereich arbeitet. Am Digitalzähler kannmit einem Stufenschalter die Messzeit gewählt werden. Nachdem der Zählvorgang mitSTART/STOP gestartet wurde, endet die Messung nach Ablauf der ausgewähltenMesszeit. Beim Einsetzen des Zählrohrs, sowie der radioaktiven Präparate in die ent-sprechenden Bohrungen der Blendenkammer ist keinerlei Justierung erforderlich.

In Abb. 3.4 ist der fertige Aufbau des Versuchs mit allen verwendeten Geräten darge-stellt. Die Geräte, bis auf das Netzgerät, Mikrovoltmeter und Hallsonde (Firma ELWELehrgerätebau GmbH Klingenthal) wurden über die Firma PHYWE Systeme GmbH& Co. KG Göttingen erworben.

Abb. 3.4.: Foto der Versuchsanordnung zur β-Spektroskopie. Die Blendenkammer ist in der Mitteals schwarzer Flachzylinder zu sehen. In ihren Bohrungen befinden sich das radioaktivePräparat (blauer „Stift“), das Zählrohr mit Digitalzähler (rechts) und die Hallsonde(hinten) in Verbindung mit dem Mikrovoltmeter.

30

Page 35: Das Beta-Spektrometer

3.1 Grundsätzliches zum Versuch

3.1.2. Die radioaktiven Präparate

Für die Aufnahme der kontinuierlichen β-Spektren werden die Präparate Strontium-90 (β−-Strahler) und Natrium-22 (β+-Strahler) verwendet. Beide Quellen besitzeneine Aktivität von 74 kBq und sind nach der aktuellen Strahlenschutzverordnungbauartzugelassen.

Abb. 3.5.: Zerfallsschemata von 90Sr und 22Na. Die Zahlenwerte wurden aus [23] entnommen.

Strontium-90Als Beispiel für einen β−-Zerfall wurde das langlebige Isotop 90Sr ausgewählt. Eszerfällt mit einer Halbwertszeit von 28,7 Jahren zu Yttrium 90Y, welches sich ebenfallsüber einen β−-Zerfall mit einer Halbwertszeit von 64,1 Stunden in das stabile NuklidZirconium 90Zr umwandelt. Es entsteht ein überlagertes Mischspektrum, bei dem dasβ-strahlende 90Sr durch das 90Y, dessen Zerfallsenergie ca. viermal so hoch ist, verstärktwird. Die wahrscheinlichste Energie Ew enthält somit keine gehaltvolle Information.Die emittierten Elektronen von 90Sr besitzen eine maximale Energie Emax von 546 keV,wohingegen die schnellsten Elektronen von 90Y eine Energie von 2282 keV aufweisen.

Natrium-22Das Isotop 22Na zerfällt mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 100% durch β-Umwandlung in den angeregten Kernzustand von Neon 22Ne ∗. Die Halbwertszeit derUmwandlung beträgt 2,6 Jahre. Dabei tritt der zu untersuchende β+-Zerfall mit einerWahrscheinlichkeit von 90,49% auf, wobei die emittierten Positronen eine maximaleEnergie von 546 keV besitzen. Mit einem Prozentsatz von 9,46% wandelt sich 22Naunter Elektroneneinfang um, wobei dieser Prozess nicht registriert wird. Der angeregteZustand 22Ne ∗ geht durch Emission eines γ-Quants der Energie 1275 keV in den stabilenGrundzustand über.

31

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3 Das β-Spektrometer

3.1.3. Physikalisches Prinzip der Messung

Bei einem magnetischen β-Spektrometer werden die von der Quelle emittierten Elek-tronen bzw. Positronen durch ein Magnetfeld der Stärke B abgelenkt. Das Zählrohrregistriert nur solche β-Teilchen, die den fest vorgegebenen Kreis mit Radius r desBlendensystems durchlaufen haben. Da ein eindeutiger Zusammenhang zwischen derkinetischen Energie Ekin der β-Teilchen und dem Produkt B r besteht, werden die β-Teilchen durch Änderung der magnetischen Flussdichte B nach ihrer Energie selektiert.Die aus Elektronen bzw. Positronen bestehende β-Strahlung besitzt Energien im MeV-Bereich. Bei so hohen Energien muss die Rechnung bezüglich der Geschwindigkeit derTeilchen relativistisch durchgeführt werden, siehe dazu Abschn. 3.1.4. Bezeichnet manmit m0 die Ruhemasse, so lauten die grundlegenden Gleichungen Einsteins für denImpuls ~p und die Energie E eines Teilchens:

~p = m0~v√1− v2

c2

,

E = m0c2

√1− v2

c2

.

Daraus erhält man die relativistische Energie-Impuls-Beziehung:

E2 = ~p 2 c2 +m20 c

4 . (3.2)

Berücksichtigt man, dass sich die Gesamtenergie E eines Teilchens aus der Summevon kinetischer Energie Ekin und Ruheenergie m0c

2 zusammensetzt, so kann Gl.(3.2)bezüglich der kinetischen Energie aufgelöst werden:

E = Ekin +m0 c2

⇒ Ekin =√~p 2 c2 +m2

0 c4 −m0 c

2 . (3.3)

Befindet sich nun ein Teilchen der Ladung e innerhalb eines homogenen Magnetfelds ~B,so wirkt die Lorentzkraft ~FL = e (~v× ~B) auf die bewegte Ladung und zwingt das Teilchenauf eine Kreisbahn. Auf dieser Kreisbahn sind Lorentzkraft und Zentripetalkraft imGleichgewicht. Da sich das β-Teilchen immer senkrecht zum Magnetfeld bewegt, kanndie vektorielle Betrachtung auf eine skalare reduziert werden:

|~FL| = |~FZ | ,

e vB = mv2

r.

Hieraus folgt für den Impulsbetrag des β-Teilchens auf der Kreisbahn

p = mv = eB r , (3.4)

32

Page 37: Das Beta-Spektrometer

3.1 Grundsätzliches zum Versuch

Abb. 3.6.: Ablenkung von β-Teilchen unterschiedlicher kinetischer Energie im Magnetfeld ~B.Die Feldlinien verlaufen senkrecht in die Zeichenebene hinein.

wobei m = me/√

1− v2/c2 die relativistische Masse des Elektrons bzw. Positrons meint.Bei konstantem Magnetfeld ist demnach der Impuls der Teilchen proportional zumKrümmungsradius, d.h. Teilchen mit unterschiedlicher kinetischer Energie beschreibenKreisbahnen mit unterschiedlichen Radien (Abb. 3.6).

Setzt man Gl.(3.4) in (3.3) ein, so erhält man die kinetische Energie des β-Teilchens inAbhängigkeit vom Bahnradius und von der magnetischen Flussdichte:

Ekin =√

(eB rc)2 +m2e c

4 −me c2 , (3.5)

wobei m0 = me = 511 keV/c2 die Ruhemasse der Elektronen bzw. Positronen undr = 5 cm den fest vorgegebenen Kreisradius darstellt. Dies ist der gesuchte Zusammen-hang, der die Transformation der magnetischen Flussdichte B in die kinetische EnergieEkin der β-Teilchen ermöglicht.

Bei Spektrometern mit fester Geometrie gibt das System der Blenden einen festenRadius vor, d.h. bei jeweils eingestellter Flussdichte B können nur Teilchen einesengen Impulsintervalls ∆p mit mittlerem Impuls p den Detektor erreichen. DurchVerändern des Magnetfelds können Impulse verschiedener Impulsintervalle ausgewähltund die Zählrate in Abhängigkeit vom selektierten mittleren Impuls gemessen werden.Der Teilchenimpuls ist also die „natürliche“ Messgröße des Spektrometers. Um dasEnergiespektrum aus dem gemessenen Impulsspektrum zu erhalten, muss man denImpuls p und die Verteilung entsprechend transformieren.

33

Page 38: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

3.1.4. Energierechnung: Klassisch vs. relativistisch

Mit diesem Einschub möchte ich kurz auf die Notwendigkeit der relativistischen Rech-nung eingehen.

Wählt man einen klassischen Ansatz für die kinetische Energie der β-Teilchen, sofolgt mit der Impulsbeziehung aus Gl.(3.4):

Ekin,klass = 12 ·

(eB r)2

me

.

Setzt man nun die klassische und relativistische Energie aus Gl.(3.5) ins Verhältnis,so wird deutlich, ab welchem Wert der magnetischen Flussdichte B eine klassischeRechnung fehlerhaft wird.

Der Quotient der Energien wird durch die Einführung einer neuen Konstanten ϕ =2(mec

e r)2 wesentlich übersichtlicher und man erhält nach kurzer Rechnung:

Ekin,relEkin,klass

= 1B2 ·

(√2ϕ ·B2 + ϕ2 − ϕ

). (3.6)

Für kleine Flussdichten B kann man die Wurzel in einer Taylor-Reihe darstellen.Man erhält mit Hilfe der binomischen Reihe2 als lineare Näherung:

√2ϕ ·B2 + ϕ2 = ϕ ·

√1 + 2B2/ϕ ≈ ϕ · (1 + B2

ϕ) .

Eingesetzt in (3.6) ergibt sich das erwartete Ergebnis für kleine B:

Ekin,relEkin,klass

≈ 1B2

(ϕ · (1 + B2

ϕ)− ϕ

)= 1 .

Bei geringen Flussdichten und damit bei geringeren Energien existiert kein merklicherUnterschied zwischen der relativistischen und klassischen Energie der β-Teilchen. Diesändert sich aber mit wachsendem B, weil die klassische Energie um viele Ordnungengrößer als die relativistische Energie ist.

Im Experiment wird mit Flussdichten bis zu 200 mT gearbeitet. Abb. 3.7(a) zeigt, wiesich der Quotient aus Gl.(3.6) in Abhängigkeit der Flussdichte im Intervall von 0 bis 1 Tentwickelt. In Abb. 3.7(b) wird der damit verbundene relative Fehler δ für den Bereich

2 Binomische Reihe: Für |x|<1 gilt: (1 + x)α =∑∞k=0

(αk

)xk.

Für α = 12 gilt:

√1 + x =

∑∞k=0

(1/2k

)xk = 1 + 1

2x− 12·4x

2 + 1·32·4·6x

3 − 1·3·52·4·6·8x

4 ± · · ·

34

Page 39: Das Beta-Spektrometer

3.1 Grundsätzliches zum Versuch

(a) (b)

Abb. 3.7.: Beziehung zwischen relativistischer und klassischer Energie in Abhängigkeit von B.

von 0 bis 1 T grafisch dargestellt. Der relative Fehler δ, der bei einer nichtrelativistischenEnergierechnung auftreten würde, berechnet sich zu:

δ = |Ekin,rel − Ekin,klass|Ekin,klass

.

Aus dem Kurvenverlauf geht hervor, dass δ bereits bei 100 mT ca. 50 % und bei 200 mTca. 70 % betragen würde. Für die exakte Bestimmung der Energien der β-Teilchen istdaher eine relativistische Rechnung unbedingt erforderlich.

35

Page 40: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

3.2. Vorbereitende Messungen

Die Messung des Magnetfelds innerhalb des Spektrometers beruht auf der Messungder Hallspannung UH . Das Mikrovoltmeter, an welches die Hallsonde angeschlossenist, liefert demnach zunächst einen zum Magnetfeld proportionalen Spannungswert.Laut technischem Datenblatt [30] beträgt die Proportionalitätskonstante zwischenHallspannung und magnetischer Flussdichte k = 1 V/T. Diese Eichung wird in einemersten Arbeitsschritt überprüft. Als zweite Vorbereitung wird die Totzeit des Zähl-rohrs ermittelt, um die Zählraten gegebenenfalls vor der Auswertung korrigieren zukönnen.

3.2.1. Eichung der Hallsonde

Um den Faktor k zwischen UH und B experimentell zu bestimmen, werden Messungenmit einem Magnetfeld bekannter Stärke durchgeführt. Dafür bietet sich das homogeneMagnetfeld innerhalb einer langen Spule an. Für den Betrag der magnetischen Fluss-dichte innerhalb einer Spule und dem Erregerstrom IErr, gilt [27]

B = µ0 ·n

l· IErr , (3.7)

wobei n/l die Windungszahl pro Meter und µ0 die magnetische Feldkonstante desVakuums darstellt, mit [13]

µ0 = 4π · 10−7 V s

Am.

Das Demonstrationspraktikum verfügt über eine hochohmige Zylinderspule, die aus zweizusammenkoppelbaren Hälften besteht. Werden diese hintereinander geschaltet, so ad-diert sich die Windungszahl und man erhält insgesamt n = 16 000 Windungen bei einerGesamtlänge von l = 48, 8 cm. Als Spannungsquelle dient ein 300V-Röhrennetzgerät.Die Spule weist in der Mitte einen Spalt auf, durch den die Hallsonde bis zur Spulen-achse eingeführt werden kann (Abb. 3.8). Stellt man die Proportionalität zwischenHallspannung UH und der Magnetfeldstärke B durch den Faktor k dar, so ergibt sichmit Gl.(3.7) die Beziehung:

UH = k ·B = k · µ0 ·n

l· IErr .

Auflösen nach IErr liefert den linearen Zusammenhang

IErr = b · UH mit b = 1k · µ0 · nl

, (3.8)

aus dessen Steigung b man den gesuchten Faktor k ermitteln kann.

36

Page 41: Das Beta-Spektrometer

3.2 Vorbereitende Messungen

Abb. 3.8.: Foto der Versuchsanordnung zur Eichung der Hallsonde.

Abb. 3.9.: Ermittlung der Eich-Proportionalitätskonstanten durch lineare Regression.

37

Page 42: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

In Abb. 3.9 wurde der Spulenstrom IErr in Abhängigkeit der Hallspannung UH auf-getragen. Der Fehler auf IErr, welcher auf der Ungenauigkeit des Strommessgeräts3

beruht, berechnete sich über sI = 0, 3 % des Messwerts + 0, 02 mA. Sie sind klei-ner als eine Punktgröße und daher in Abb. 3.9 nicht erkennbar. Die Ausgleichs-gerade y = a + bx wurde mittels gewichteter linearer Regression bestimmt. DieseMethode zur Bestimmumg einer optimalen Fitgerade beruht auf Minimierung derGröße χ2, mit:

χ2 ≡∑(

∆yiσi

)2

=∑[

1σ2i

(yi − a− bxi)2]

. (3.9)

Sie gibt die gewichtete Summe der Quadrate der Abweichung der Messwerte (xi, yi) vonihrem durch die Ausgleichsgerade zu liefernden Ersatzwert an. Durch die Forderungder Minimierung von χ2, erhält man nach partiellem Differenzieren die gesuchtenParameter a und b, siehe [32].

Aus Abb. 3.9 geht nicht hervor, ob eine Systematik bei der Streuung der Messwertevorliegt, da die Datenpunkte zu dicht an der Fitgeraden liegen. Um dies zu überprüfen,betrachtet man die Differenz ∆I aus der gemessenen Stromstärke IErr und der überden Fit ermittelten Stromstärke IFit = a+ b · UH in Abhängigkeit der HallspannungUH , mit:

∆I = IErr − IFit und s∆I =√s2I,Err + s2

I,F it .

Bei der Berechnung des Fehlers sI,F it ist zu beachten, dass die Fitparameter a und bder Geraden korreliert sind. Folglich berechnet sich der Fehler über die generalisierteGaußsche Fortpflanzung4, mit

sI,F it =√s2a + s2

b U2H + 2ρab sasbUH

wobei sa, sb die Standardabweichung und ρab den über den Fit ermittelten Korrela-tionskoeffizienten der Parameter a und b darstellt. Die Werte sind der Fittabelleaus Abb. 3.9 zu entnehmen. Anhand der aufgetragenen Werte ∆I wird deutlich, dasssich eine natürliche Streuung um ∆I = 0 ergibt und demnach keine Systematik vorliegt.

Die gesuchte Proportionalitätskonstante k kann nun über Gl.(3.8) aus der ermitteltenSteigung b der Ausgleichsgeraden berechnet werden. Mit

b = (24, 30± 0, 03)A/V ,

3 Die Gerätebeschreibung [31] des verwendeten Multimeters gibt für jeden Messbereich eine Genau-igkeit des angezeigten Messwerts an. Bei der Messung wurde im 500 mA-Bereich gemessen.

4 Bei der generalisierten Gaußschen Fehlerfortpflanzung wird die Korrelation der Messwerte in einemzusätzlichen Term berücksichtigt. Eine ausführliche Darstellung zur Ermittlung der Korrelations-matrix findet man u.a. in [32].

38

Page 43: Das Beta-Spektrometer

3.2 Vorbereitende Messungen

Abb. 3.10.: Darstellung der Differenz ∆I aus gemessener und über den Fit berechneter Stromstärkein Abhängigkeit der Hallspannung UH .

und den entsprechenden technischen Daten der Zylinderspule erhält man für die Propor-tionalität zwischen Hallspannung und magnetischer Flussdichte denWert

k = (0, 999± 0, 002)V/T ,

dessen Fehler sk mit Hilfe der Gaußschen Fehlerfortpflanzung berechnet wurde:

sk = k ·√(

sbb

)2+(sll

)2.

Damit wird der vorhergesagte Faktor k = 1 V/T innerhalb der Fehlergrenzen bestätigt.Aus hauptsächlich praktischen Gründen wird im weiteren Verlauf mit k ≡ 1 V/T gear-beitet. Die minimale Abweichung spielt bei der Aufnahme der Spektren, bei der weitausgrößere Fehler auftreten, keine Rolle und ist demnach zu vernachlässigen. Der vomMikrovoltmeter angezeigte mV-Spannungswert kann also direkt als Betrag der magneti-schen Flussdichte in mT aufgefasst werden. Bisher noch nicht angesprochen wurde derpositive Achsenabschnitt a der Eichgeraden. Da er für die Ermittlung der Steigung undder Konstanten k irrelevant ist, wird er hier nicht weiter diskutiert.

39

Page 44: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

3.2.2. Bestimmung der Totzeit des Zählrohrs

Verwendete Bezeichnungen:

n wahre Zählrate, d.h. Anzahl der von der Quelle emittierten Teilchen pro sn′ gemessene Zählrate, d.h Anzahl der tatsächlich detektierten Teilchen pro s1 Index für Zählraten bei Verwendung von Quelle 1 (90Sr)2 Index für Zählraten bei Verwendung von Quelle 2 (22Na)1+2 Index für Zählraten bei Verwendung beider Quellen

Aus ersten Testmessungen mit dem Spektrometer konnte neben dem groben Verlaufder Verteilungen, die maximal auftretenden Zählraten für 90Sr zu n′ ≈ 33 s−1 und für22Na zu n′ ≈ 26 s−1 ermittelt werden, siehe Abschn. 3.3.1. Es wäre nun möglich, dasssich bei diesen höheren Zählraten der Einfluss der Totzeit des Zählrohrs bemerkbarmacht. Nach Auslösung eines Zählimpulses ist die Anordnung während der Totzeitfür die Registrierung weiterer ionisierender Teilchen gesperrt. Demnach werden beieiner schnellen Impulsfolge grundsätzlich zu wenig Impulse gezählt. Dies gilt es vorden Hauptmessungen und der Auswertung zu überprüfen, da ansonsten alle Zählratenentsprechend der Zeit ttot korrigiert werden müssen. Die folgende Herleitung ist an [33],Kapitel 47.5 angelehnt.

Werden vom Zählrohr n′ Teilchen pro Sekunde registriert, so war das Zählrohr nach derDefinition der Totzeit während des Bruchteils n′ttot der Zeit unempfindlich. Erreichtenaber insgesamt n ionisierende Teilchen pro Sekunde den Detektor, so wurden davonn(n′ttot) Teilchen nicht registriert. Hieraus ergibt sich

n′ = n− n(n′ttot) = n(1− n′ttot) ,

oder durch Auflösen nach der wahren Zählrate

n = n′

1− n′ttotfür≈

n′ttot 1n′(1 + n′ttot) . (3.10)

Über diesen Zusammenhang lässt sich die Totzeit ttot bestimmen, indem man zweiradioaktive Quellen gleicher Aktivität zunächst einzeln und dann zusammen vor dasZählrohr bringt, siehe Abb. 3.11. Dazu legt man Quelle 1 in einem festem Abstand alinks vor das Zählrohr und misst die Zählrate n′1. Nach Entfernen von Quelle 1, misstman analog die Zählrate n′2 für Quelle 2, die mit gleichem Abstand rechts vor dasZählrohr positioniert wird. Nun bringt man beide Quellen vor das Zählrohr, jeweilsmit ursprünglicher Position und demselben Abstand a und misst die Zählrate n′1+2.Für die wahren Zählraten gilt die Gleichheit

n1 + n2 = n1+2 , (3.11)

40

Page 45: Das Beta-Spektrometer

3.2 Vorbereitende Messungen

Abb. 3.11.: Foto der Versuchsanordnung zur Bestimmung der Totzeit des Zählrohrs mit 22Naund 90Sr. Die radioaktiven Präparate sind als blaue „Stifte“ (links) zu erkennen. ImHintergrund stehen ihre Schutzbehälter zur sicheren Aufbewahrung.

für die gemessenen Zählraten wird dagegen aufgrund der Totzeit n′1 + n′2 > n′1+2 sein.Setzt man die Näherung aus Gl.(3.10) für die wahren Zählraten in Gl.(3.11) ein, soerhält man

n′1(1 + n′1ttot) + n′2(1 + n′2ttot) ≈ n′1+2(1 + n′1+2ttot) ,

woraus sich ein Term für die Totzeit in Abhängigkeit der gemessenen Raten ergibt:

ttot ≈n′1 + n′2 − n′1+2n′21+2 − n′21 − n′22

. (3.12)

Um zu überprüfen, ob die Totzeit speziell bei der Spektrometermessung eine Rollespielt, wurde der Versuch für verschiedene Abstände a durchgeführt. Der Abstandzwischen den Quellen und dem Zählrohr sollte jedoch so gewählt werden, dass n′1+2den maximalen Zählraten der Spektrometeranordnung entspricht. Durch Ausprobierenfand sich bei einem Abstand von 13 cm eine mittlere Zählrate von n′1+2 ≈ 33 s−1.Dieser Wert entspricht der maximalen Rate des 90Sr-Spektrums und konnte daher zurBestimmung der Totzeit verwendet werden. Die durch Mehrfachmessungen ermitteltenZählraten, sowie die daraus bestimmten Mittelwerte sind in Tab. 3.1 dargestellt. IhreFehler berechnen sich über die Gaußsche Fehlerfortpflanzung, siehe dazu Abschn. 3.3.1.

41

Page 46: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Tab. 3.1.: Darstellung der gemessenen Zählraten n′1 für Quelle 1, n′2 für Quelle 2 und n′1+2 für beideQuellen jeweils in s−1. Die Berechnung der Zählraten n′ erfolgt über die Division derAnzahl der registrierten Ereignisse durch die Messzeit von 60 s. Jede Messung wurde beieinem Abstand von a = 13 cm viermal wiederholt.

Messung n′1 n′2 n′1+2 n′1 + n′21 20,7 10,6 32,8 31,32 21,3 11,0 31,0 32,33 21,3 11,2 33,2 32,54 20,8 11,8 33,5 32,6

Mittelwert 21, 0 11, 2 32, 6 32, 2± Fehler 0,3 0,2 0,4 0,4

Da bei der Anordnung mit einer einzelnen Quelle die Nullrate5 jeweils mitgezählt wird,muss diese bei der Messung mit beiden Quellen einmal dazuaddiert werden. Der Wertn′1+2 stellt bereits den entsprechend korrigierten Wert dar.

Verwendet man die gefundene Beziehung (3.12), so ergibt sich durch Einsetzen der tabel-liertenWerte und Fehlerfortpflanzung für die Totzeit des Zählrohrs:

ttot = (−1± 1) ms .

Das mit Null verträgliche Ergebnis lässt darauf schließen, dass die Totzeit des Zähl-rohrs die Messung der Spektren-Aufnahme nicht beeinflusst, was auch durch direktenVergleich der Mittelwerte von n′1+2 und n′1 + n′2 deutlich wird (Tab. 3.1, vierte undfünfte Spalte). Es gilt n′1+2 = n′1 + n′2 innerhalb der Fehlergrenzen, d.h. die gemessenenZählraten stimmen innerhalb ihrer statistischen Ungenauigkeit mit den wahren Zählra-ten überein. Eine Korrektur entsprechend der Totzeit ist demnach nicht erforderlich.

Der Vollständigkeit halber wird die Berechnung des Fehlers sttot der Totzeit hier aufge-führt, da sie ohne die folgende Näherung nur mit großem Aufwand zu bewältigen ist.Unter der oben bereits verwendeten Voraussetzung nttot 1 ist

|n′21+2 − (n′1 + n′2)2| 2n′1n′2 .

Dadurch erhält man einen für die Fehlerfortpflanzung vereinfachten Ausdruck für

ttot ≈n′1 + n′2 − n′1+2

2n′1n′2(3.13)

und berechnet sttot über

sttot =

√√√√(∂ttot∂n′1

)2

s2n′1

+(∂ttot∂n′2

)2

s2n′2

+(∂ttot∂n′1+2

)2

s2n′1+2

. (3.14)

5 Auch ohne Anwesenheit eines radioaktiven Präparats reagiert ein Zählrohr aufgrund kosmischeroder terristischer Umgebungsstrahlung.

42

Page 47: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

3.3. Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Wie in Abschn. 3.1.1 beschrieben, wird das Spektrometer aufgebaut und mit denentsprechenden Geräten verkabelt. Bevor die Hallsonde am vorgesehenen Messort posi-tioniert wird, muss zunächst der angezeigte Offset korrigiert werden. Hierfür steht ein„DC-Offset“-Drehknopf am Mikrovoltmeter zur Verfügung, um das Erdmagnetfeld odereventuelle Störungen zu regulieren. Ist die digitale Anzeige auf Null gestellt, so wirddie mit Stativmaterial befestigte Sonde vorsichtig in die entsprechende Bohrung desSpektrometers eingeführt. Dabei hilft es, den Deckel der Blendenkammer abzunehmen,um zu überprüfen, ob der Hallsensor parallel zum Kammerboden ausgerichtet ist.Beim Wiederanbringen des Deckels und Festklemmen der Eisenkerne ist darauf zuachten, dass die Hallsonde ihre Position nicht mehr verändert. Trotz abgeschaltetemSpulenstrom liefert die Sonde dann bereits einen kleinen Spannungswert, der auf eineRestmagnetisierung der Eisenkerne zurückzuführen ist.

Durch Verändern des Spulenstroms wird das Magnetfeld schrittweise variiert unddie jeweils zugehörigen Zählraten gemessen. Um das komplette Spektrum aufzulösen,wird die magnetische Flussdichte im Inneren des Spektrometers von 0 bis 200 mTdurchlaufen. Höhere Magnetfeldstärken können zum einen vom Mikrovoltmeter nichtangezeigt werden, zum anderen darf der Spulenstrom den Maximalwert von 2 A nichtüberschreiten. Das Mikrovoltmeter zeigt neben dem Betrag der Flussdichte auch dieRichtung des Magnetfelds an. Durchsetzen die Feldlinien den Hallsensor von unten, soerscheint ein negatives Vorzeichen; bei von oben kommenden Feldlinien entsprechendumgekehrt. Dies erinnert zwischen den Messungen daran, dass das Magnetfeld entspre-chend der Ladung der von der Quelle emittierten Teilchen angepasst werden muss!

Es empfielt sich, die im Experiment nicht verwendete Quelle im Schutzbehälter aufzu-bewahren und weit genug vom Versuchsaufbau zu entfernen. Vor allem bei 22Na fälltauf, dass im Zählrohr trotz Schutzbehälter viele Ereignisse registriert werden. Ursachedafür sind die hochenergetischen γ-Quanten des angeregten 22Ne∗-Zustands, sowie dieentstehenden 511 keV-Vernichtungsquanten, die den Behälter durchdringen können. Siewürden die Aufnahme des 90Sr-Spektrums verfälschen.

3.3.1. Erste Testmessungen

Um einen groben Überblick über die spektrale Verteilung von 22Na und 90Sr zu erhalten,wurden zunächst kurze Testmessungen durchgeführt. Dadurch konnten charakteristi-sche Bereiche des Spektrums, z.B. die Position der wahrscheinlichsten und maximalenβ-Energie, sowie weitere Auffälligkeiten ermittelt werden. Diese Vorbereitung ist des-halb sehr hilfreich, da bei den weiteren Messungen darauf geachtet werden konnte, dassin den erwähnten Bereichen entsprechend viele Messwerte aufgenommen werden.

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Page 48: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Außerdem können die maximal auftretenden Zählraten eingeschätzt werden, die zurÜberprüfung der Einflussnahme der Totzeit von Bedeutung waren, siehe Abschn. 3.2.2.Für jeden eingestellten Spulenstrom werden über eine Messdauer von 100 s die imZählrohr ankommenden Pulse gezählt. In Abb. 3.12 und 3.13 sind die aufgenomme-nen, unkorrigierten Zählimpulse N ′ pro 100 s gegen die Magnetfeldstärke B aufgetragen.

Der Fehler auf die registrierten Ereignisse N ′ berechnet sich über das „Wurzel-N-Gesetz“. Obwohl es bei der Bestimmung der Totzeit schon stillschweigend benutztwurde, soll hier nochmal kurz darauf eingegangen werden. Dahinter verbirgt sich dieAnnahme, dass die Zählimpulse pro Zähleinheit poissonverteilt sind. Da man als Ex-perimentator nicht unendlich oft messen kann, interpretiert man das EinzelergebnisN ′ der Messung als Schätzung für den Mittelwert µ der Poissonverteilung. Den Fehlerder Einzelmessung berechnet man schließlich über die Standardabweichung σ dieserVerteilung, wobei gilt σ ≈ √µ =

√N ′.

In den Verteilungen sind einige Unterschiede zu erkennen. Während beim β+-Strahler22Na das Spektrum bereits bei B ≈ 90 mT abzuflachen beginnt, muss bei der 90Sr-Quelle bis Bmax ≈ 200 mT gemessen werden, um die vollständige Verteilung aufnehmenzu können.

Abb. 3.12.: Anzahl der registrierten Ereignisse N ′ pro 100 s in Abhängigkeit der Flussdichte B für22Na.

44

Page 49: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Abb. 3.13.: Anzahl der registrierten Ereignisse N ′ pro 100 s in Abhängigkeit der Flussdichte B für90Sr / 90Y.

Dies verdeutlicht die unterschiedlichen Zerfallsenergien der β-Übergänge, die über dieKurie-Auftragung, siehe Abschn. 3.4 bestimmt werden. Beim Zerfall von 90Sr entstehtdarüber hinaus ein überlagertes Mischspektrum, dessen hohe Maximalenergie demFolgezerfall von 90Y zuzuordnen ist.

Auffallend bei beiden Verteilungen sind die hohen Zählraten bei abgeschaltetem Spu-lenstrom und im Bereich der Maximalenergie. Vor allem bei 22Na stellt sich einverhältnismäßig hohes Untergrund-Plateau in der Verteilung ein. Vermutlich entstehtes durch die hochenergetischen γ-Quanten, die beim Übergang des angeregten 22Ne∗-Zustands in den Grundzustand emittiert werden, sowie durch die 511 keV-Quantender Annihilation der Positronen. Aus der 90Sr-Verteilung ist nicht ablesbar, wie sichdie Zählraten jenseits der Maximalenergie entwickeln, da der Spulenstrom auf 2 Abeschränkt ist, was einer Magnetfeldstärke von Bmax = 200 mT entspricht.

Um diese Auffälligkeiten genauer zu analysieren, wurden erneut für beide Quellendie Zählraten gemessen, nun aber auch in Abhängigkeit von negativen Flussdichten,d.h. für jeweils umgekehrt gepolte Magnetfelder. Die β-Teilchen werden dann auf eineentgegengesetzt-orientierte Kreisbahn gelenkt und können den Detektor aufgrund derAnordnung des Blendensystems nicht erreichen.

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Page 50: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.14.: Anzahl der registrierten Ereignisse N ′ pro 100 s in Abhängigkeit der Flussdichte B für22Na.

Abb. 3.15.: Anzahl der registrierten Ereignisse N ′ pro 100 s in Abhängigkeit der Flussdichte B für90Sr / 90Y.

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3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Im 22Na-Spektrum ist deutlich erkennbar, dass sich der hohe Untergrund auch beiumgepoltem Magnetfeld einstellt (Abb. 3.14). Diese Unabhängigkeit vom Magnetfeldbestätigt die Annahme, dass es sich um γ-Quanten handelt, die als Begleiterscheinungdes 22Na-Zerfalls auftreten und ebenfalls vom Zählrohr6 registriert werden. Die Countsmüssen daher entsprechend korrigiert werden. Ein Abklingen der Zählraten ist dagegenbei der Verteilung des 90Sr-Präparats zu vernehmen (Abb. 3.15). Allerdings sinken sienicht komplett auf Null ab, sondern pendeln sich bei ca. 45 Counts pro 100 s ein. Obdafür allein die Untergrundstrahlung der Umgebung verantwortlich ist, muss in einerseparaten Messung überprüft werden.

3.3.2. Untergrund

Kosmische- und terristische Umgebungsstrahlung kann ebenfalls vom Zählrohr regis-triert werden. Alle gemessenen Zählraten müssen um diese Nullrate korrigiert werden.In einer ersten Messung wird überprüft, ob der Untergrund vom Magnetfeld oder dessenStärke abhängig ist. Ein derartiger Zusammenhang ist jedoch nicht zu beobachten.

Bei abgeschaltetem Feld wurden über eine längere Zeit von t = 340 min in Abwe-senheit der radioaktiven Präparate insgesamt 5608 Ereignisse registriert. Daraus ergibtsich bezogen auf das Zeitintervall von 100 s eine Nullrate von

NU = (27± 1) Counts/100 s ,

wobei der Fehler über sU =√NU/t berechnet und aufgerundet wurde. Wiederholun-

gen der Untergrund-Messung an unterschiedlichen Tagen, vor, nach und zwischen derDurchführung des Experiments, bestätigten dieses Ergebnis innerhalb der statistischenUnsicherheit.

Im Falle des 22Na-Spektrums fällt diese Nullrate der reinen Umgebungsstrahlung kaumins Gewicht. Der resultierende Untergrund besteht hauptsächlich aus den γ-Quantenund muss von den Zählraten abgezogen werden. Dazu bestimmt man den Mittelwert ei-nes stabilen Bereichs des Spektrums, der in Abb. 3.16 farbig hinterlegt ist und korrigiertdie restlichen Zählraten entsprechend um diesen Betrag. Der Untergrund, der damitspeziell für die Messungen mit 22Na ermittelt wurde, ergibt sich zu

NU,Na = (482± 5) Counts/100 s .

Der Fehler sU,Na auf diesen Mittelwert berechnet sich über die Gaußsche Fehlerfort-pflanzung der Einzelfehler der gemessenen Zählraten.

6 Auch der Zählrohrmantel ist für γ-Quanten und für genügend energiereiche β-Teilchen durchlässig.Die Nachweiswahrscheinlichkeit hängt dabei von ihrer Energie ab [34].

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3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.16.: Bestimmung des 22Na-Untergrunds durch Mittelung über den rot hinterlegten Bereich.

Betrachtet man hingegen das 90Sr-Spektrum, so überrascht, dass der reine Untergrundmit NU ≈ 27 nicht allein für die Counts im negativen Bereich von N ′ ≈ 45 jeweils pro100 s verantwortlich ist. Ein möglicher Grund könnte eine chemische Verunreinigung inder Probe mit anderen γ-Strahlern sein. Andernfalls liegt die Vermutung nahe, dassdie Blendenkammer grundsätzlich zu viele Teilchen im Detektor ankommen lässt. DasAuflösungsvermögen der Spektrometeranordnung wird sicherlich eine entscheidendeRolle bei den Messungen spielen; siehe Abschn. 3.5.

Im Folgenden werden alle untergrund-korrigierten Counts von 22Na und 90Sr mit

N = N ′ −NU

bezeichnet. Der Fehler auf N berechnet sich durch Gaußsche Fehlerfortpflanzungüber

sN =√

(sN ′)2 + (sNU )2 ,

wobei mit NU bzw. sNU die entsprechenden Werte für die unterschiedlichen radioaktivenPräparate gemeint sind.

48

Page 53: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

3.3.3. Hauptmessungen

Der grobe Verlauf und die Unterschiede der Spektren gingen aus den Testmessungenhervor. Bei den Hauptmessungen wurde darauf geachtet, die Anzahl der Messpunkte zuerhöhen und deren statistische Schwankungen zu minimieren, um möglichst fehlerfreieDaten für die Auswertung zu erhalten.

Das Zeitfenster am Digitalzähler beträgt für die Aufnahme beider Spektren erneut100 s. Dies ist die maximal einstellbare feste Messzeit am Stufenschalter des Geräts. DieGenauigkeit der Messwerte ist neben der Länge der Messzeiten auch von der Anzahlder Wiederholungen der Einzelmessungen abhängig. Daher wurden pro eingestellterMagnetfeldstärke jeweils drei Messungen für die Zählraten durchgeführt. Innerhalb einerDreifachmessung sank die Stromstärke des DC-Netzgeräts geringfügig ab. Dies wirktesich auf das erzeugte Magnetfeld aus und musste daher des öfteren nachgeregelt werden.

In Abb. 3.17 und 3.18 sind die registrierten, untergrund-korrigierten Teilchenzahlen Nfür 22Na und 90Sr aufgetragen, mit

N = 13(N1 +N2 +N3)−NU

und sN = 13√N1 +N2 +N3 + (3sNU )2 .

Durch die Mehrfachmessungen pro Impulsintervall werden die Fehlerbalken und dieSchwankungen etwas verkleinert. Die Abszisse, die bisher die Magnetfeldstärken an-zeigte, wurde nun gemäß Gl.(3.5) mit

Ekin =√

(eB rc)2 +m2e c

4 −me c2

in die kinetische Energie der β-Teilchen umgerechnet.

Als Anhaltspunkt wurden auf der Achse die Literaturwerte für die Maximalenergien derZerfälle farbig markiert. Zur Erinnerung sei noch einmal aufgelistet [23]:

— 22Na : Emax = 546 keV

— 90Sr : Emax = 546 keV

— 90Y : Emax = 2282 keV .

Beim Mischspektrum von 90Sr (Abb. 3.18) kann man vorerst nur Aussagen über diehohe Maximalenergie des Folgezerfalls von 90Y machen.

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3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.17.: Anzahl der untergrund-korrigierten Ereignisse N pro 100 s in Abhängigkeit der kineti-schen Energie der Positronen für 22Na.

Abb. 3.18.: Anzahl der untergrund-korrigierten Ereignisse N pro 100 s in Abhängigkeit der kineti-schen Energie der Elektronen für 90Sr / 90Y.

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Page 55: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Der stark verschmierte Endbereich der Verteilungen beider Quellen macht deutlich, wiebegrenzt die Auflösung des Spektrometers ist. Im Idealfall sollten nach der farbigen Mar-kierung für die Maximalenergien die Zählraten verschwindend gering werden. Dasselbegilt für den Anfangsbereich, bei dem trotz Untergrund-Korrektur eine beträchtlicheZahl an β-Teilchen registriert werden. Das endliche Auflösungsvermögen der Spektro-meteranordnung verursacht einen systematischen Messfehler, der eine starke Verzerrungder Energieverteilungen zur Folge hat. Dennoch erkennt man bei beiden Auftragungendie charakteristische, kontinuierliche Form eines β-Spektrums, was schließlich ein Zielder Messung war.

Wenn man von der Energie- bzw. Impulsverteilung der emittierten β-Teilchen spricht,müsste man genauer genommen neben der Umrechnung des Magnetfeldes in die Energiebzw. den Impuls, auch die Verteilung der Zählraten, d.h. die Ordinate entsprechendtransformieren. Erst diese Darstellung lässt eine wirkliche Beurteilung der Spektrenzu.

Das Impulsspektrum N(η)Durch Verändern des Magnetfelds werden Teilchen eines engen Impulsintervalls ∆pmit mittlerem Impuls p = eBr ausgewählt und die Zählrate N in Abhängigkeit vomselektierten mittleren Impuls gemessen. Man erhält das Impulsspektrum N(p), indemman die registrierten Teilchenzahlen N jeweils auf ein gleichgroßes Impulsintervallbezieht, d.h. durch ∆p dividiert.Da eine feste Geometrie in der Blendenkammer vorliegt, ist die relative Impulsauflösung

∆pp

= ∆(Br)Br

= ∆rr

konstant, da r und ∆r feste Geräteparameter sind. Folglich ist

∆p ∼ p ∼ Br .

Die korrekte Form des Impulsspektrums N(p) erhält man also auch dadurch, indem mandie beiB gemessenen Counts nicht durch ∆p, sondern durchBr teilt:

N(p) ∼= N

Br. (3.15)

Der Fehler auf N(p) berechnet sich durch Gaußsche Fehlerfortpflanzung, wobei diegeschätzte Unsicherheit auf B und r im Vergleich zum Fehler auf N vernachlässigbarwäre. Trotzdem wurde die exakte Berechnung vorgezogen, dann ist

sN(p) = N(p) ·√(

sNN

)2+(srr

)2+(sBB

)2,

wobei der Radius des Blendensystems r = (50± 2) mm beträgt und der Fehler auf Bwegen der Nicht-Konstanz im Strom mit sB = 0, 15 mT abgeschätzt wurde.

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3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.19.: Impulsspektrum N(η) von 22Na.

Abb. 3.20.: Impulsspektrum N(η) von 90Sr / 90Y.

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Page 57: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Abb. 3.19 und 3.20 zeigen zur Illustration das Impulsspektrum N(η) der beiden β-Strahler 22Na und 90Sr. Der Impuls p wurde dabei in der natürlichen Einheit dargestellt,mit

η = p

mecund N(η) ∼ N(p) .

Diese Umrechnung ändert nichts an der Form der Verteilung, wird aber für weitereAuswertungsschritte von Vorteil sein.

Die Auswirkung der Division der Zählimpulse durch das Produkt Br macht sichvor allem im Anfangsbereich bemerkbar. Die ersten pink-gefärbten Punkte der Ver-teilung beider Quellen liegen systematisch zu hoch. Anhand Gl.(3.15) wird klar, dasszu hohe Zählraten die Ursache sind. Dies wirkt sich im niederenergetischen Bereichdeshalb extremer aus, da dort durch kleine Werte von Br geteilt wird. Da die Fehler-balken diesen Transformationseffekt nicht abdecken, muss ein systematischer Fehler derVersuchsanordnung die Ursache sein. Das 90Sr-90Y-Spektrum wird davon nicht so starkbeeinträchtigt, da es sich über einen fast doppelt so großen Impulsbereich wie 22Na er-streckt. Diese Problematik des niederenergetischen Bereichs taucht im Zusammenhangmit der Kurie-Darstellung erneut auf und wird daher erst im nächsten Abschn. 3.4ausführlich diskutiert. Sieht man jedoch von den pink-farbenen Punkten ab, so ergibtsich bei beiden Quellen eine charakteristische Impulsverteilung mit Maximum und ab-fallendem Endbereich. Wie gut die restlichen Punkte des Spektrums mit Fermis Theoriezum β-Zerfalls übereinstimmen, wird in Abschn. 3.5 im Rahmen der Bestimmung desAuflösungsvermögen des Spektrometers überprüft.

Das Energiespektrum N(ε)Um aus dem Impulsspektrum N(η) das Energiespektrum N(ε) zu erhalten, muss mannicht nur den Impuls η in die Energie ε der β-Teilchen umrechnen, sondern auch diegemessene Verteilungsfunktion entsprechend transformieren. Ist N(ε)dε die Zahl derβ-Teilchen mit Energiewerten zwischen ε und ε+ dε, so gilt:

N(ε)dε = N(η)dη ,

⇔ N(ε) = N(η)dηdε .

Mit Hilfe des Zusammenhangs η =√ε2 − 1 berechnet sich der Ausdruck

dηdε = ε√

ε2 − 1= ε

η

und schließlich die Beziehung zwischen Impuls- und Energieverteilung zu

N(ε) = N(η) εη

. (3.16)

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3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.21.: Energiespektrum N(ε) von 22Na.

Abb. 3.22.: Energiespektrum N(ε) von 90Sr / 90Y.

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Page 59: Das Beta-Spektrometer

3.3 Aufnahme und Analyse der β-Spektren

Entsprechend der Gaußschen Fortpflanzung verändern sich die Fehlerbalken zu:

sN(ε) = N(ε) ·√√√√(sN(η)

N(η)

)2

+(sεε

)2+(sηη

)2

.

Die Auffälligkeiten der Impulsspektren spiegeln sich demzufolge auch in den daraushervorgehenden Energiespektren wieder (Abb. 3.21, Abb. 3.22). Der Transformations-effekt der zu hohen Zählraten wird zusätzlich verstärkt, da in Gl.(3.16) erneut durchden Impuls η, d.h. durch das Produkt Br dividiert wird. Bei der Verteilung N(ε) von22Na ist nicht einmal mehr das Maximum der wahrscheinlichsten Energie zu sehen.Die vier Ausreißer-Punkte der 22Na-Impulsverteilung werden in der Energieverteilungauf noch größere Werte abgebildet. Auch das 90Sr-Spektrum erfährt nun eine stärkereDeformation. Während das Maximum der Energieverteilung gerade noch erkennbar ist,divergieren fast alle Punkte des niederenergetischen Bereichs nach oben. Man stellt fest,dass erst die Transformation in die Impuls- bzw. Energieverteilung eine Beurteilungder Güte zulässt. Ein auffälliges Manko des β-Spektrometer scheint das begrenzteAuflösungsvermögen zu sein.

Bisher wurde der Bereich der Maximalenergien, der ebenfalls stark verschmiert ist,etwas außer Acht gelassen. Genauere Aussagen über die Werte der maximalen Energienlassen sich erst im Zusammenhang mit der Kurie-Darstellung treffen; dies wird imnächsten Abschnitt erfolgen.

Anschließend wird versucht, das Impulsspektrum N(η) mit der theoretischen Im-pulsverteilung zu approximieren. Es sei an dieser Stelle bereits angemerkt, dass diepink-gefärbten Punkte im Fit vernachlässigt werden.

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Page 60: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

3.4. Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

In Abschn. 2.3.3 wurde mit Hilfe der Fermischen Theorie eine mathematische Beschrei-bung für die Energieverteilung N(ε) der β-Strahlung hergeleitet. Man erhält, wenn essich um einen erlaubten β-Übergang handelt, den Ausdruck

N(ε)dε = const · F (Z, ε) ηε(ε0 − ε)2dε , (3.17)

wobei ε0 die zu bestimmende, charakteristische Maximalenergie des β-Spektrums ist.Für den Kurie-Plot trägt man die Größe

Y =

√√√√ N(ε)F (Z, ε) ηε

als Funktion von ε auf und erhält nach Gl.(3.17) eine fallende Gerade der Form

Y = const · (ε0 − ε) ,

welche die ε-Achse bei der maximalen β-Teilchenenergie ε = ε0 schneidet.

Um den Kurie-Plot darstellen zu können, werden alle Impuls- und Energiewerte in diedimensionslosen Größen ε und η umgerechnet. Der Vollständigkeit halber sei wiederholtangegeben:

η = p

mec= eBr

mec∼ Br ,

ε = E

mec2 = 1 + Ekinmec2 ,

sowie der Zusammenhang zwischen Energie- und Impulsverteilung, mit

N(ε) = N(η)dηdε = N(η) ε

η.

Die Impulsverteilung N(η) ergab sich durch Division der korrigierten Zählimpulse Ndurch das zugehörige Impulsintervall ∆p = ∆(Br). Man erhält also für

N(ε) = N(η) εη

= constN

(Br)2 ε ,

woraus sich letztendlich die Ordinate des Kurie-Plots wie folgt ergibt:

Y =√

N

(Br)2F (Z, ε) η . (3.18)

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Page 61: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Der Fehler auf Y berechnet sich durch Gaußsche Fehlerfortpflanzung zu

sY =∣∣∣∣∣

12Y (Br)2F (Z, ε)η

∣∣∣∣∣ ·√√√√(sN)2 +

(2N sBr

Br

)2+(Nsηη

)2

.

Die Fehler auf die einzelnen Größen wurden in den vorigen Kapiteln bereits berechnetund angegeben. Die Fermi-Funktion F (Z, ε), welche den Einfluss des Coulombfeldskorrigiert und von der Art des Übergangs abhängt, wurde zur Vereinfachung alsfehlerfrei angenommen.

β+- Maximalenergie von 22NaDa für die Fermi-Funktion des β+-Übergangs von 22Na keine Tabellenwerte auffindbarsind, musste sie aus einer Grafik aus [35] entnommen werden. Um die Ablesefehler so ge-ring wie möglich zu halten, wurde die Abbildung von F (Z, ε) stark vergrößert. Dadurchkonnten die Koordinaten von 29 markanten Stützstellen der Funktion ausgemessenund mit einem polynomialen Fit angenähert werden:

F (Z, ε) = aεb + pεq + eεf + c .

Abb. 3.23.: Fermi-Funktion F (Z = 10, ε) für die Coulombkorrektur des 22Na-Zerfalls.

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Page 62: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Die eingezeichneten Fehlerindikatoren gehen aus der Ableseunsicherheit hervor undwerden für jeden Punkt gleich groß geschätzt. Durch die so gefundenen Parameter ist esmöglich, für jede beliebige Energie ε der β+-Teilchen die zugehörige CoulombkorrekturF (Z = 10, ε) zu bestimmen.

Mit Gl.(3.18) lassen sich nun die Y -Werte berechnen und gegen ε aufgetragen. DerKurie-Plot für 22Na ist in Abb. 3.24 dargestellt. Entgegen der Erwartung sind sehrstarke Abweichungen von einem linearen Verlauf zu erkennen. Im Bereich der Ma-ximalenergie ε0 = 2, 07 sollte Y linear auf Null absinken und die ε-Achse schneiden.Stattdessen ist eine breite Verschmierung zu sehen, die für größere Energien langsamabklingt, den Wert Y = 0 aber nie erreicht. Sie ist, wie in den vorigen Abschnit-ten schon besprochen, auf die endliche instrumentelle Auflösung des Spektrometerszurückzuführen. Die daraus resultierenden, zu hohen Zählraten selbst jenseits derMaximalenergie wirken sich auch in der Kurie-Darstellung aus und verhindern dentheoretischen, linearen Verlauf im Endbereich. Im niederenergetischen Bereich siehtman weitaus größere Abweichungen, die auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind.

In [36] wird diese Problematik in einem Beitrag von C.S. Wu7 behandelt. Bei ih-ren Untersuchungen machte Wu die Feststellung, dass Abweichungen für kleine ε auchvon der Dicke und Beschaffenheit der radioaktiven Quelle abhängen. Absorptions- undStreueffekte innerhalb des Präparats, sowie im Quellen-Trägermaterial sorgen dafür,dass erhebliche Deformationen im Spektrum auftreten. So muß die Quelle extremdünn und die Halterung sehr leicht sein, um auch im niederenergetischen Bereich eineLinearität zu erhalten.

Die im Experiment verwendeten β-Quellen sind in Schulen zugelassen und daheraus Strahlenschutzgründen eingekapselt. Eine 20µm-dicke Edelstahlfolie deckt denStrahler ab und verursacht so einen Energieverlust, der vor allem bei den niederener-getischen β-Teilchen eine Rolle spielt. Außerdem kommt hinzu, dass die Quellen ingelöster Form auf ein Trägermaterial aufgetropft wurden. Durch das Auftropfen desPräparats entstehen aufgrund der anschließenden Kristallisation, enorme Variationeninnerhalb der Dicke. Autoradiographische Untersuchungen haben gezeigt, dass sichdie Dicken aufgetropfter Quellen lokal z.T wie 100 zu 1 unterscheiden und daher keinordentlicher Verlauf im Kurie-Plot zu erwarten sei [36]. Diese Uneinheitlichkeit inner-halb des Strahlers, sowie Absorption im Material, in der Luft und im Zählrohrfensterbewirken, dass eigentlich gar keine niederenergetischen Positronen bzw. Elektronen imDetektor ankommen können. Das Spektrum erfährt folglich eine leichte Verschiebungzu kleineren Energien. Die sehr hohen Zählraten, die bei kleinen Magnetfeldstärken,d.h. bei kleinen Energien registriert werden, sind zusätzlich auf die Auflösung derSpektrometeranordnung zurückzuführen und bewirken gemäß Gl.(3.18) eine Abbildungauf zu hohe Y -Werte, die von einem linearen Verlauf abweichen.

7 Chien-Shiung Wu: 1912 - 1997, chinesisch-amerikanische Physikerin,Wu-Experiment: Nachweis der Paritätsverletzung bei schwachen Wechselwirkungen.

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Page 63: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Abb. 3.24.: Kurie-Plot des β+-Spektrums von 22Na. Die rote Linie kennzeichnet die Maximalenergieder Positronen.

Dennoch kann die Maximalenergie der beim Zerfall von 22Na emittierten Positronenbestimmt werden. Schwierig ist es nur, das richtige Intervall für einen linearen Fit zu fin-den. Denn wie eben diskutiert, darf der stark verschmierte End-, sowie der abweichendeAnfangsbereich nicht miteinbezogen werden. Um zu überprüfen, ab welchen ε-Werteneine mögliche Linearität im Kurie-Plot einsetzt, wird die Steigung Y ′ zwischen je zweibenachbarten Punkten über

Y ′ = ∆Y∆ε = Yi+1 − Yi

εi+1 − εimit sY ′ = 1

∆ε√

(sYi+1)2 + (sYi)2

berechnet und in Abb. 3.25 gegen ε aufgetragen. Bei linear angeordneten Punkten wirdY ′ konstant sein. Betrachtet man den Verlauf der Steigung in Abb. 3.25, so erkenntman, dass sich ab ε ≈ 1, 4 ein ansatzweise konstantes Plateau ergibt.

Für den Fit werden nur die farbig hinterlegten Punkte gewählt, da man sonst inden verschmierten Endbereich hineinkommt, der das Ergebnis ebenso verfälscht. Wogenau man diese rechte Grenze setzen sollte, ist schwer zu beurteilen. Demnach istdas Ergebnis für die Maximalenergie von 22Na, das man über den Schnittpunkt derFitgeraden mit der ε-Achse erhält, nur als grober Näherungswert zu interpretieren.

In Abb. 3.26 ist der Kurie-Plot mit linearem Fit der Form y = a+ bx dargestellt.

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Page 64: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.25.: Steigung ∆Y/∆ε als Funktion von ε zur Bestimmung des Fitbereichs für 22Na.

Abb. 3.26.: Kurie-Plot des β+-Spektrums von 22Na mit linearem Fit.

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Page 65: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Mittels gewichteter linearer Regression erhält man die Parameter der Geraden

a = 0, 96± 0, 03b = −0, 46± 0, 02 ,

die zur Bestimmung der Maximalenergie ε0 über a+bε0 = 0 benötigt werden:

ε0 = −ab±√(−1bsa

)2+(a

b2 sb

)2+ 2ρabsasb

(− ab3

), (3.19)

ε0 = 2, 07± 0, 02 .

Die Berechnung ihres Fehlers erfolgt über die generalisierte Gaußsche Fehlerfortpflan-zung, welche die Korrelation ρab = −0, 997 zwischen den Parametern a und b berück-sichtigt. Für die maximale kinetische Energie der Positronen gilt

Emax = mec2(ε0 − 1) ,

woraus man durch Einsetzen der Konstanten und Fehlerfortpflanzung schließlich dengesuchten Wert erhält:

Emax = (549± 11) keV .

Die über den Kurie-Plot ermittelte charakteristische Zerfallsenergie liegt damit dichtam theoretischen Wert, der in der Literatur [23] mit Elit

max = 546 keV angegeben wird.Der Fehler deutet allerdings darauf hin, dass trotz Einschränkung des Fitbereichsein Spielraum bei der Orientierung der Geraden existiert. Zudem ist der Schnitt-punkt der Geraden mit der ε-Achse stark davon abhängig, welche und wie vielePunkte in die lineare Regression miteinbezogen werden. Die mit Hilfe der SteigungY ′ bestimmte Datenauswahl ist keinesfalls eindeutig und bringt daher eine großeUnsicherheit mit sich. Das begrenzte Auflösungsvermögen des Spektrometers, sowiedie Beschaffenheit der Quellen erschweren eine exakte, verlässliche Bestimmung derMaximalenergie.

β−- Maximalenergien von 90Sr und 90YIn ähnlicher Weise wird nun das β−-Spektrum ausgewertet. Zu beachten ist hierbei,dass es sich hierbei um eine Überlagerung zweier Zerfälle handelt:

90Sr → 90Y → 90Zr .

Um die Ordinate Y des Kurie-Plots berechnen zu können, benötigt man die passendeFermi-Funktion des Zerfalls. Die Suche nach tabellierten Werten von F (Z = 40, ε) blieberfolglos, deshalb muss auf eine Näherung aus [11] zurückgegriffen werden:

F (Z,E) ≈ 2πζ1− exp(−2πζ) mit ζ = ∓Zα

v/cfür β± . (3.20)

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Page 66: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Abb. 3.27.: Fermi-Funktion F (Z = 39, ε) für die Coulombkorrektur des Zerfalls von 90Sr in 90Y undF (Z = 40, ε) für die Korrektur des Folgezerfalls von 90Y in 90Zr.

Dabei bezeichnet Z die Kernladungszahl des Tochterkerns, α ≈ 1/137 die Feinstruktur-konstante und v die Geschwindigkeit des Elektrons. Fasst man die Geschwindigkeit v desElektrons als Funktion des Impulses auf, so gilt für ihren Betrag:

v = p√m2e − p 2/c2

.

Einsetzen der Energie-Impuls-Beziehung aus Gl.(3.2) liefert v in Abhängigkeit derGesamtenergie E = Ekin +mec

2 des Elektrons und man erhält:

v = 1c

√E2 −m2

ec4

E.

Abb. 3.27 zeigt den Verlauf der Fermi-Korrektur für die Protonenzahlen Z = 40 undZ = 39 in Abhängigkeit der gemessenen Energien ε. Da sich F (Z = 39, ε) um wenigerals 4% von F (Z = 39, ε) unterscheidet, werden die Funktionen für beide Teilzerfälle alsidentisch angenommen. Dies erleichtert die weiteren Auswertungsschritte.

Über Gl.(3.18) kann schließlich die Transformation der Energieverteilung in die Kurie-Darstellung erfolgen. Die entsprechenden Y -Werte sind in Abb. 3.28 dargestellt.

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Page 67: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Abb. 3.28.: Kurie-Plot des β−-Mischspektrums von 90Sr und 90Y. Die türkise Linie kennzeichnetdie Maximalenergie des 90Sr-Übergangs, die blaue die des Folgezerfalls von 90Y.

Abb. 3.29.: Steigung ∆Y/∆ε als Funktion von ε zur Bestimmung der Fitbereiche für 90Sr und 90Y.

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Page 68: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Aufgrund der Überlagerung der Zerfälle entsteht auch im Kurie-Plot eine Überlagerungvon zwei Geraden. Man erkennt, dass das 90Y-Spektrum im hochenergetischen Be-reich, ohne Überlagerung durch das 90Sr-Spektrum, einen annähernd linearen Verlaufannimmt. Der niederenergetische Anteil stammt hauptsächlich aus der β−-Strahlungvon 90Sr. Um die maximalen β-Energien zu bestimmen, wird erneut ein geeigneterFitbereich ermittelt. Dazu betrachtet man, wie im vorigen Abschnitt die Steigungbenachbarter Punkte und sucht Intervalle, in denen sich ein konstantes Plateau einstellt.Abb. 3.29 zeigt die errechneten Werte ∆Y/∆ε.

Zunächst wird die Maximalenergie des energiereichen 90Y-Übergangs bestimmt. Ausdem Steigungsverlauf ist nicht eindeutig ablesbar, welche Punkte des hochenergetischenTeils für den Fit herangezogen werden sollten. Um nicht zu weit in den verschmier-ten Endbereich zu gelangen, werden die Punkte mit ε > 5, 5 im Fit vernachlässigt.Die letztendlich gewählten Punkte sind blau hinterlegt, wobei die rechte Grenze beiε ≈ 3 so gesetzt wurde, dass man sich nicht im Überlagerungsbereich der zwei Zer-fälle bewegt. Die lineare Approximation der Form y = a + bx zur Bestimmung der90Y-Maximalenergie ist in Abb. 3.30 dargestellt.

Mit der ermittelten Steigung b und dem Achsenabschnitt a der Ausgleichsgeraden

a = 0, 096± 0, 004b = −0, 0174± 0, 0009 ,

lässt sich die Maximalenergie ε0 des 90Y-Übergangs über den Zusammenhang (3.19)bestimmen. Unter Berücksichtigung der Korrelation der Parameter ρab = −0, 989 beider Fehlerfortpflanzung, erhält man einen Wert von

ε0 = 5, 53± 0, 07 ,

woraus sich die maximale kinetische Energie der 90Y-Zerfallselektronen zu

Emax = (2315± 34) keV

errechnet. Das Ergebnis bestätigt damit den Literaturwert innerhalb einer Standard-abweichung, der in [23] mit Elit

max = 2282 keV angegeben wird. Die Ermittelung derMaximalenergie ist allerdings stark vom eingeschränkten Fit-Intervall abhängig, dassich aufgrund der breiten Verschmierung im Spektrum nicht eindeutig bestimmen lässt.Trotz dieser systematischen Unsicherheit wird dieser Wert weiter verwendet, um dasüberlagerte 90Sr-Spektrum herauszufiltern. Setzt man die Fitgerade y aus Abb. 3.30 imniederenergetischen Teil fort und bildet die Differenz Y∆ = Y − y, so erhält man dastransformierte Kurie-Spektrum des 90Sr-Zerfalls. Mittels eines weiteren linearen Fitswird versucht, die zugehörige Maximalenergie zu ermitteln. Die entsprechenden Wertefür die Ordinate Y∆ sind in Abb. 3.31 gegen ε aufgetragen. Da die Unsicherheit derGeraden nicht auf statistischen, sondern auf systematischen Fehlern beruht, besitzt dieDifferenz Y∆ denselben Fehler wie Y , d.h. es gilt sY∆ = sY .

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Page 69: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Abb. 3.30.: Kurie-Plot des β−-Mischspektrums von 90Sr und 90Y mit linearem Fit im hochenergeti-schen Bereich.

Abb. 3.31.: Kurie-Plot des β−-Spektrums von 90Sr mit linearem Fit im niederenergetischen Bereich..

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Page 70: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Wie im Kurie-Plot von 22Na, fallen die enormen Abweichungen im niederenergeti-schen Bereich auf. Sie haben dieselben Ursachen und sind auf die Beschaffenheitder Messanordnung zurückzuführen. Der gewählte Bereich, der für den linearen Fitverwendet wurde, ist in Abb. 3.29, in der die Steigung in Abhängigkeit der Ener-gie aufgetragen ist, türkis-farben hinterlegt. In diesem Intervall nimmt die Steigung∆Y/∆ε zwar immer noch leicht zu, verändert sich aber nur geringfügig. Der nieder-energetische Teil wurde vernachlässigt. Die lineare Regression ergab die folgendenParameter

a = 0, 17± 0, 01b = −0, 076± 0, 008 ,

woraus die charakteristische Maximalenergie des β−-Übergangs wie in den vorigenAbschnitten bestimmt wird. Man erkennt bereits am Schnittpunkt der Geraden mit derε-Achse, dass sich ein zu hoher Wert für ε0 ergibt. Durch Einsetzten der Zahlenwerteund des Korrelationskoeffizienten ρab = −0, 994 erhält man

ε0 = 2, 17± 0, 07 ,

und für die maximale kinetische Energie der 90Sr-Zerfallselektronen einenWert von

Emax = (600± 37) keV .

Der ermittelte Wert bestätigt die theoretische Angabe [23] von Elitmax = 546 keV zwar

innerhalb einer 1, 5σ-Umgebung, ist aber aufgrund der Methode seiner Bestimmungmit einer systematischen Ungenauigkeit behaftet. Die Unstimmigkeit vergrößert sichetwas, da alle Unsicherheiten beim Weiterrechnen fortgepflanzt werden. Schon beimFit des hochenergetischen Anteils gibt es Spielraum, der sich auf die Werte von Y∆und schließlich auf den Fit im niederenergetischen Bereich überträgt. Trotzdem gelingtes, dieses interessante Verfahren durchzuführen und zu verdeutlichen. Es stellt dieeinzige Möglichkeit dar, über Extrapolation im Kurie-Plot die beiden Teilzerfälle ausdem überlagerten Spektrum zu separieren, während man in der untransformiertenVerteilung nur Aussagen über das energiereichste Spektrum treffen kann.

Was bisher noch nicht angesprochen wurde, ist, dass es sich beim 90Sr-90Y-Zerfallum einen verbotenen Übergang erster Ordnung handelt. Für die Umrechnung inKurie-Daten wurde angenommen, dass das Übergangsmatrixelement aus Gl.(2.7) ener-gieunabhängig ist. Dies ist jedoch nur für erlaubte, nicht aber für verbotene Übergängegerechtfertigt. Für den β−-Zerfall von 90Sr und 90Y müsste man Formfaktoren ein-führen, um einen linearen Verlauf im Kurie-Plot zu erhalten. Darauf wurde bei derAuswertung jedoch verzichtet, da die Beschaffenheit der verwendeten Quellen unddas Auflösungsvermögen des Spektrometers die Hauptursachen der Deformation derVerteilung sind und durch die Einführung von entsprechenden Formfaktoren nichtbehoben werden.

66

Page 71: Das Beta-Spektrometer

3.4 Der Kurie-Plot: Bestimmung der Maximalenergien

Resümee: Kurie-PlotDer Kurie-Plot transformiert ein parabolisch-verlaufendes β-Spektrum in eine perfekteGerade. Jegliche Abweichungen von einer theoretischen Impulsverteilung schlagensich auch in der Kurie-Darstellung nieder, mit dem entscheidenden Unterschied, dasssie dort sofort auffallen. Abweichungen von einer Linearität erkennt man auch ohneAnlegen eines Lineals.

Die Bestimmung der Maximalenergie gestaltete sich sowohl bei 22Na als auch bei90Sr nicht einfach. Dies hatte mehrere Gründe, die in den einzelnen Abschnittendiskutiert und hier deshalb nur zusammenfassend aufgeführt werden. Die begrenzteinstrumentelle Auflösung bewirkt eine breite Verschmierung, die die Zählraten desgesamten Messbereichs verfälscht. Da eingekapselte und aufgetropfte Quellen verwendetwerden, kommt es bereits in der Quelle zu Vielfachstreuprozessen und Energieverlustender β-Teilchen. Dadurch treten ebenfalls erhebliche Deformationen des ursprünglichenSpektrums auf. Vor allem der niederenergetische Bereich wird für die Auswertungoffensichtlich unbrauchbar. Laut Wu, siehe [36], ist ein linearer Verlauf bei niedrigenEnergien grundsätzlich nur dann zu erwarten, wenn extrem dünne und einheitlicheQuellen auf Kosten der Zählrate verwendet werden. In ihrem Beitrag erwähnt sie, dassdie besten Ergebnisse mit einem im Inneren des Zählrohrs befindlichen radioaktivenGas erzielt wurden.

Trotz der schlechten Auflösung und Verwendung von Schulpräparaten ist es mög-lich die Maximalenergien zu vermessen, auch wenn sich dabei gewisse Ungenauigkeitenergeben. Die Auswahl des Datenbereichs für die lineare Regression über den Steigungs-verlauf ist nicht eindeutig, dennoch sehr hilfreich. Mit der Kurie-Transformation wirdneben der Bestimmung der maximalen β-Energie, Fermis Theorie zum β-Zerfall direktüberprüft und gehört daher zu einer vollständigen Analyse von β-Spektren dazu.

Eine weitere wichtige Einsatzmöglichkeit der Kurie-Transformation ist die Ermitt-lung der Elektron-Neutrinomasse. Geht man bei der Herleitung (Abschn. 2.3.3) davonaus, dass die Neutrinomasse Null ist, so schneidet die Gerade die Abszissenachse bei derMaximalenergie Emax. Andernfalls knickt die Gerade jedoch nahe der Endenergie abund schneidet die Achse bei der Energie E∗max = Emax −mνc

2, über die mν theoretischbestimmt werden kann. Die experimentelle Umsetzung ist extrem schwierig; die bestenMessungen geben derzeit als obere Grenze der Neutrinomasse 2 eV/c2 an [37]. ImForschungszentrum Karsruhe beginnt diesbezüglich die genauste Messung aller Zeiten.Das internationale KATRIN-Experiment8 vermisst den Enpunkt Emax = 18, 6 eV desβ-Spektrums von radioaktivem Tritium 3H. Es ist für eine Sensitivität von 0, 2 eVausgelegt und wird damit erstmals in der Lage sein, die Masse des Elektron-Neutrinosunterhalb von einem Elektronenvolt zu bestimmen [38].

8 Karlsruher Tritium Neutrino Experiment.

67

Page 72: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

3.5. Auflösungsvermögen des Spektrometers

Die Analyse der aufgenommenen Spektren zeigte, dass sich die endliche Auflösung derSpektrometeranordnung stark auf die gemessenen Zählraten auswirkt. Die vom Magnet-feld durchsetzte Blendenkammer sollte eigentlich bei jeweils eingestellter Flussdichtenur Teilchen mit eindeutig bestimmter Endenergie passieren lassen. Da die vorgegebeneKreisbahn des Blendensystems aber keinen scharf definierten Radius besitzt, könnenstets Teilchen eines ganzen Impulsintervalls ∆p den Detektor erreichen. Daher werdenfür eine feste Flussdichte, d.h. für eine feste Energie, immer auch Teilchen mitgezählt,die einer etwas kleineren oder etwas größeren Energie angehören. Diese Breite derEnergie- bzw. Impulsverschmierung kennzeichnet das Auflösevermögen des Spektrome-ters, das im Folgenden bestimmt werden soll.

Man geht davon aus, dass die Verschmierung der Messwerte normalverteilt ist. Dienormierte Normal- oder Gaußverteilung hat die Form [32]

P (x, µ, σ) = 1√2πσ

exp(−(x− µ)2

2σ2

), (3.21)

wobei x die Variable, µ den Erwartungswert und σ die Standardabweichung beschreibt.Das Auflösungsvermögen wird üblich über die Standardabweichung σ oder über diesog. Halbwertsbreite (FWHM9) der Verteilung definiert.

Abb. 3.32.: Halbwertsbreite FWHM und Standardabweichung σ der Gaußverteilung P (x, µ, σ).

9 FWHM = „Full Width at Half Maximum“

68

Page 73: Das Beta-Spektrometer

3.5 Auflösungsvermögen des Spektrometers

Das gemessene Spektrum ist demnach eine Faltung des kontinuierlichen Original-spektrums mit einer Gaußverteilung. Dies ist als eine Überlagerung von vielen Gauß-Peaks endlicher Breite vorstellbar. Sei B(η, ε0) die Funktion, die das kontinuierlicheβ-Spektrum theoretisch beschreibt. Dann gilt für die Faltung:

C(η) =∞∫

−∞B(t, ε0)P (η, t, σ)dt . (3.22)

Um die Auflösung zu bestimmen, wird das gemessene Impulsspektrum der beidenPräparate mit der Faltungsfunktion C(η) angenähert. Der Impuls η stellt in den For-meln die Variable dar. Dieser Fit liefert direkt einen Wert für die Standardabweichungσ der Gaußverteilung, woraus die Auflösung hervorgeht. Für die folgende Auswer-tung wurde das am CERN10 entwickelte Datenanalyseprogramm ROOT verwendet.

Faltung des β+-Spektrums von 22NaDie Fermi-Theorie, siehe Abschn. 2.3.3, liefert eine mathematische Beschreibung fürdie Impulsverteilung der β-Teilchen, mit

N(η)dη ∼ F (Z, ε)η2 (ε0 − ε)2 dη

= F (Z, η)η2(ε0 −

√1 + η2

)2dη .

Sie sinkt bei der Maximalenergie ε0 auf Null ab und soll danach auch Null bleiben.Dies erreicht man durch Multiplikation mit der Stufenfunktion Θ(ε0 − ε), mit derEigenschaft:

Θ(ε0 − ε) =

1 : ε =√

1 + η2 ≤ ε0

0 : ε =√

1 + η2 > ε0.

Somit gilt für die FunktionB(η, ε0), die das „unverschmierte“ Spektrum beschreibt:

B(η, ε0) = c1 ·[F (Z, η)η2

(ε0 −

√1 + η2

)2]·Θ(ε0 −

√1 + η2) ,

wobei η den Impuls und c1 die Proportionalitätskonstante der Verteilung darstellt.Sowohl für das 22Na- als auch 90Sr-Präparat wurde für die Fermi-Korrektur F (Z, η)die Näherungsfunktion aus [11] verwendet. Das ausgeschriebene Faltungsintegral ausGl.(3.22) lautet schließlich:

C(η) = c1 ·∞∫

−∞

[F (Z, t)t2

(ε0 −

√1 + t2

)2]·Θ(ε0 −

√1 + t2)

︸ ︷︷ ︸theoretisches β-Spektrum;

ε0 Fitparameter

· P (η, t, σ)︸ ︷︷ ︸

Gaußverteilung;σ Fitparameter

dt .

10 Europäische Organisation für Kernforschung in Genf. Conseil Européen pour la RechercheNucléaire. ROOT - An Object Oriented Data Analysis Framework: http://root.cern.ch/

69

Page 74: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

DatenEntries 41Mean 1.127

/ ndf 2χ 16.41 / 30underground 0.0228± 0.1822 prop_const 0.0123± 0.8598 GSigma 0.0088± 0.4134 E_0 0.01± 2.01

eta0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4

N(e

ta)

0

2

4

6

8

10

12

14 DatenEntries 41Mean 1.127

/ ndf 2χ 16.41 / 30underground 0.0228± 0.1822 prop_const 0.0123± 0.8598 GSigma 0.0088± 0.4134 E_0 0.01± 2.01

Abb. 3.33.: Fit an gemessene Impulsverteilung N(η) von 22Na.

Es stellt bis auf einen weiteren konstanten Parameter für den Untergrund, die mathe-matische Beschreibung für das gemessene Impulsspektrum N(η) dar. Die mit C(η)approximierte Verteilung, sowie die ermittelten Parameter sind Abb. 3.33 aufgetragen.Die systematische Abweichung im niederenergetischen Bereich spiegelt sich auch hierwieder, wobei die Fitfunktion gerade noch innerhalb der Unsicherheit der Messwerteliegt. Interessant sind die beiden unteren Parameter der Fit-Tabelle; die Standardabwei-chung σ der Gaußverteilung (GSigma) und die Maximalenergie ε0 des Übergangs (E_0).Die Maximalenergie wurde über die Approximation zu ε0 = 2, 01 ± 0, 01 ermitteltund liegt damit unter dem erwarteten Wert von εlit0 = 2, 07. Ziel ist es nun aber dasAuflösungsvermögen der Spektrometeranordnung zu bestimmen.

Da sich das 90Y-Spektrum über einen doppelt so großen Impulsbereich wie das 22Na-Spektrum erstreckt, wird das mittlere Auflösungsvermögen A berechnet, indem man dieStandardabweichung σ durch den Mittelwert η der Impulse dividiert:

A = σ

η. (3.23)

Die Standardabweichung der Gaußkurve wurde anhand des 22Na-Spektrums zuσ = 0, 413± 0, 009

70

Page 75: Das Beta-Spektrometer

3.5 Auflösungsvermögen des Spektrometers

bestimmt, woraus man unter Verwendung des mittleren Impulses η = 1, 127 dieprozentuale mittlere Auflösung erhält:

A = (36, 6± 0, 8) % .

Der Fehler auf η wurde dabei vernachlässigt. Inwieweit dieses Ergebnis mit dem Wert,der über das Spektrum der zweiten Quelle bestimmt wird, konsistent ist, soll nunüberprüft werden.

Faltung des β−-Mischspektrums von 90Sr und 90YDie Approximation des 90Sr-90Y-Spektrums gestaltet sich etwas aufwändiger, da zweiImpulsverteilungen überlagert sind. Dies muss die Fitfunktion berücksichtigen. Dadie beiden Teilzerfälle unterschiedliche Maximalenergien besitzen, unterscheiden sichauch ihre Impulsverteilungen N(η) hinsichtlich des Parameters ε0. Das theoretischeImpulsspektrum B(η, ε0Sr , ε0Y ) ergibt sich durch Addition der beiden Verteilungen,wobei die Thetafunktion Θ(ε0 − ε) wieder für das Einbrechen der Funktion bei derjeweiligen Maximalenergie ε0 sorgt. Unter der Annahme, dass die Fermi-Funktionender beiden Zerfälle identisch sind, erhält man:

B(η, ε0Sr , ε0Y ) = F (Z = 40, η) ·[c1 · η2

(ε0Sr −

√1 + η2

)2·Θ(ε0Sr −

√1 + η2)

+ c2 · η2(ε0Y −

√1 + η2

)2·Θ(ε0Y −

√1 + η2)

].

Die beiden Übergänge sind zwar gleich wahrscheinlich, die unterschiedlichen Parameterc1 und c2 sind aber dennoch erforderlich, da sich die Matrixelemente aus Gl.(2.10) unter-scheiden und damit andere Proportionalitäten entstehen. Obwohl es sich um verboteneÜbergänge erster Ordnung handelt, werden c1 und c2 als energieunabhängig betrachtet.Auf die Einführung von Formfaktoren, die vom Grad der Verbotenheit abhängen, wirdverzichtet. Diese Überlagerung zweier Verteilungen wird nun mit der Gaußverteilunggefaltet, um das „verschmierte“, gemessene Impulsspektrum approximieren zu können.Die Fitfunktion lautet:

C(η) =∞∫

−∞B(t, ε0Sr , ε0Y )︸ ︷︷ ︸

überlagertes β-Spektrum;ε0Sr , ε0Y Fitparameter

· P (η, t, σ)︸ ︷︷ ︸

Gaußverteilung;σ Fitparameter

dt . (3.24)

Der Fit und die ermittelten Parameter sind in Abb. 3.34 dargestellt. Anhand der hohenStandardabweichung σ der Gaußverteilung wird deutlich, dass das gemessene Impulss-pektrum N(η) nur schwer approximiert werden kann. Auch die Maximalenergien derbeiden Teilzerfälle wurden nur annäherungsweise in der richtigen Größenordnung be-stimmt. Die Annahme konstanter Matrixelemente, trotz verbotenem 90Sr-90Y-Übergang,

71

Page 76: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

DatenEntries 47

Mean 2.273

/ ndf 2χ 31 / 39

underground 0.0365± 0.5038

prop_constant (Sr) 0.070± 1.077

prop_constant (Y) 0.0032± 0.0503

GSigma 0.01± 0.84

E_0 (Sr) 0.02± 2.27

E_0 (Y) 0.660± 4.581

eta0 1 2 3 4 5 6

N(e

ta)

0

2

4

6

8

10Daten

Entries 47

Mean 2.273

/ ndf 2χ 31 / 39

underground 0.0365± 0.5038

prop_constant (Sr) 0.070± 1.077

prop_constant (Y) 0.0032± 0.0503

GSigma 0.01± 0.84

E_0 (Sr) 0.02± 2.27

E_0 (Y) 0.660± 4.581

Abb. 3.34.: Fit an gemessene Impulsverteilung N(η) von 90Sr / 90Y.

könnte eine Ursache für die Abweichungen sein. Für die Standardabweichung erhältman:

σ = 0, 84± 0, 01 .

Da sich die Impulse über einen größeren Bereich erstrecken, ergibt sich ein höhererMittelwert η = 2, 273 und damit eine mittlere Auflösung von

A = (37, 0± 0, 4) % .

Die ermittelten Werte für A bestätigen sich damit innerhalb ihrer Fehler. Das derartbestimmte Auflösungsvermögen des β-Spektrometer ist jedoch nur als Mittelwert zuinterpretiern.

Nebenbei konnte Fermis Theorie für den β-Zerfall anhand der gemessenen Spektrenüberprüft werden. Sieht man von der starken Verschmierung der Messwerte ab, soeignet sie sich optimal für die Beschreibung der kontinuierlichen Impuls- bzw. Ener-gieverteilung. Wie ausgeprägt die Verschmierung der Messwerte ist, sollen Abb. 3.35und 3.36 verdeutlichen. Die zusätzlich eingezeichneten, gestrichelten Kurven stellen dieFunktion B(η, ε0) der jeweiligen Zerfälle dar, d.h. das ungefaltete Originalspektrumder Fermi-Theorie mit den ermittelten Fit-Parametern.

72

Page 77: Das Beta-Spektrometer

3.5 Auflösungsvermögen des Spektrometers

DatenEntries 41Mean 1.127

/ ndf 2χ 16.41 / 30underground 0.0228± 0.1822 prop_const 0.0123± 0.8598 GSigma 0.0088± 0.4134 E_0 0.01± 2.01

eta0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4

N(e

ta)

0

2

4

6

8

10

12

14 DatenEntries 41Mean 1.127

/ ndf 2χ 16.41 / 30underground 0.0228± 0.1822 prop_const 0.0123± 0.8598 GSigma 0.0088± 0.4134 E_0 0.01± 2.01

Abb. 3.35.: Ungefaltete Impulsverteilung B(η, ε0) von 22Na.

DatenEntries 47

Mean 2.273

/ ndf 2χ 31 / 39

underground 0.0365± 0.5038

prop_constant (Sr) 0.070± 1.077

prop_constant (Y) 0.0032± 0.0503

GSigma 0.01± 0.84

E_0 (Sr) 0.02± 2.27

E_0 (Y) 0.660± 4.581

eta0 1 2 3 4 5 6

N(e

ta)

0

2

4

6

8

10Daten

Entries 47

Mean 2.273

/ ndf 2χ 31 / 39

underground 0.0365± 0.5038

prop_constant (Sr) 0.070± 1.077

prop_constant (Y) 0.0032± 0.0503

GSigma 0.01± 0.84

E_0 (Sr) 0.02± 2.27

E_0 (Y) 0.660± 4.581

Abb. 3.36.: Ungefaltete Impulsverteilung B(η, ε0Sr , ε0Y ) von 90Sr / 90Y.

73

Page 78: Das Beta-Spektrometer

3 Das β-Spektrometer

Die gestrichelten Verteilungen entsprechen der Entfaltung bis auf Proportionalität. IhreMaxima wurden an die Höhe der Fitfunktion angepasst, um den Effekt der Verschmie-rung eindrucksvoll zu veranschaulichen. Aufschlussreich ist vor allem das ermittelteunverschmierte Spektrum des 90Sr-Präparats. Abb. 3.36 zeigt deutlich, dass es sichum ein Überlagerung zweier Verteilungen handelt. Das Spektum des 90Sr-Zerfallserhebt sich auf der niederenergetischen Seite höckerartig über das Kontinuum des90Y-Spektrums.

Im Fit wurde nur die endliche Auflösung des Spektrometers berücksichtigt, nicht aberdie Auswirkungen der Quellenabschirmung auf die spektrale Verteilung. Für eine ganzexakte Approximation müssten genauere Daten über Material und Quellenaustritts-fenster, Energie-Reichweite-Beziehungen für β-Teilchen, spezifische Energieverlustedurch Stöße usw. herangezogen werden.

74

Page 79: Das Beta-Spektrometer

4. Die Einbindung in denSchulunterricht

Nach einer ausführlichen Beschäftigung mit den Geräten, der Versuchsdurchführungund Analyse, möchte ich nun Vorschläge für eine mögliche Einbettung des Experimentsin den Unterricht vorstellen. Mir geht es vor allem darum, Empfehlungen auszuspre-chen, wie und wo man die β-Spektrometrie im Physikunterricht sinnvoll einsetzenkönnte, um einen maximalen Lerneffekt bei den Schülerinnen und Schülern1 zu erzielen.Dabei beziehe ich mich auf den Bildungsplan 2004 für Physik an Gymnasien [5], derverbindliche Bildungsstandards für den Erwerb von fachlichen, personalen, sozialenund methodischen Kompetenzen der Schüler vorschreibt.

4.1. Bezug zum Bildungsplan

In der 9. bzw. 10. Jahrgangsstufe wird erstmals das Themengebiet „Struktur derMaterie“ eingeführt, in dem kleine Bruchstücke der Kernphysik, z.B. der Aufbau desAtomkerns, behandelt werden. Vor allem das Thema Radioaktivität stellt innerhalbdieses Blocks eine wichtige Einheit dar. Über den Transport, die Entsorgung undEndlagerung des Atommülls wird in den Medien immer wieder kontrovers diskutiert.Daher soll bereits in der Mittelstufe ein solides Grundwissen über radioaktive Strahlung,deren Anwendung und Folgen vermittelt werden.

Im Rahmen der 2- und 4-stündigen Kursstufe wird dieser Themenkomplex erneutaufgegriffen und mit dem Ziel vertieft, dass die Schüler „die Struktur der Materie aufder Basis einer quantenphysikalischen Modellvorstellung beschreiben“ können [5]. Indiesem Zusammenhang (und nicht früher!) ist die β-Spektroskopie einzuordnen. Obwohlder Versuchsaufbau und die Messoperationen des β-Spektrometers leicht nachzuvollzie-hen sind, stellt die relativistische Rechnung und die Interpretation der funktionalenZusammenhänge eine hohe Anforderung an die Lernenden.

Der Bildungsplan sieht u.a. vor, dass die Schülerinnen und Schüler der Kursstufe:1 Ich werde mich aus sprachlichen Gründen des öfteren auf die männliche Form beschränken. DieSchülerinnen bitte ich dafür um Nachsicht.

75

Page 80: Das Beta-Spektrometer

4 Die Einbindung in den Schulunterricht

• Experimente selbstständig planen, durchführen, auswerten, grafisch veranschauli-chen und Fehlerbetrachtungen vornehmen

• Beziehungen zwischen physikalischen Größen untersuchen

• funktionale Zusammenhänge zwischen physikalischen Größen selbstständig finden,verbal beschreiben und interpretieren

• computerunterstützte Messwerterfassungs- und Auswertungssysteme einsetzen

können. Das β-Spektrometer als Experiment der Kernphysik eignet sich neben deninhaltlichen Aspekten hervorragend, um diese Kompetenzen zu fördern und zu festigen.

Wie eine mögliche Umsetzung im Unterricht aussehen könnte, wird nun diskutiert.Auf den Versuchsaufbau, die Durchführung und einzelne Auswertungsschritte wirdhier im Detail nicht mehr eingegangen; dies wurde in Kapitel 3 ausführlich darge-stellt.

4.2. Grundlagenwissen und inhaltlicheZusammenhänge

In den Schulen Baden-Württembergs wird als Physik-Lehrbuch größtenteils der Ge-samtband DORN·BADER [24] verwendet. Mit Hilfe der neusten Auflage dieses Buchesund den Bildungsstandards für Physik wurde die inhaltliche Einordnung vorgenommen.

Bereits in der Unter- und Mittelstufe werden viele Themen behandelt, die eine Basisfür den Versuch des β-Spektrometers bilden. Für die Auflistung wurde angenommen,dass die Schüler den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zug durchlaufen haben. ImFalle eines sprachlichen Zugs werden die Lerninhalte der Physik etwas reduziert. Fol-gende Grundkenntnisse können vor Erreichen der Kursstufe von den Schülern erwartetwerden:

Elektrizitätslehre und Magnetismus

• magnetisches Feld

• stromdurchflossene Spule als Magnet

• Transformator

• Kraft auf bewegte Ladungen im Magnetfeld → Lorentzkraft

76

Page 81: Das Beta-Spektrometer

4.2 Grundlagenwissen und inhaltliche Zusammenhänge

Struktur der Materie

• Atomarer Aufbau der Materie, Größe und Struktur der Atome

• Aufbau des Atomkerns, Isotope

• Radioaktive Strahlung und ihre Eigenschaften

Obwohl das β-Spekrometer auch im Rahmen der 2-stündigen Kursstufe einsetzbarwäre, halte ich es für realistischer, die weiteren Betrachtungen unter der Annah-me des 4-stündigen Physikkurs zu machen. Alleine aus zeitlichen Gründen ist dortein systematischeres und intensiveres Arbeiten möglich. Die Schülerinnen und Schü-ler vertiefen Bekanntes und lernen mit weiteren grundlegenden Größen umzugehen:

Dynamik

• Beschreibung der Kreisbewegung → Zentripetalkraft, Betrag und Richtung

Magnetfeld und Teilchen in Feldern

• Magnetische Flussdichte, - in einer langgestreckten Spule

• Kraft auf bewegte Ladungen im Magnetfeld→ Lorentzkraft, Betrag und Richtung

• Magnetfelder messen → Halleffekt, Hallsonde

• Magnetfeld und Materie → Gefüllte Spulen

• Elektronen im Magnetfeld → e/m-Bestimmung, Fadenstrahlrohr

Wahl-Module aus: Physik des 20. Jahrhunderts, Struktur der Materie

• Spezielle Relativitätstheorie → Masse und Energie

• Radioaktive Strahlung und ihre Eigenschaften,Untersuchungsmethoden (Spektren, Detektoren)

• Atomkern, Radioaktiver Zerfall, Kernenergie

Wie man der Auflistung entnehmen kann, ist das Thema Radioaktivität ein Wahlmodul,das je nach Interesse der Schüler bzw. Lehrer an geeigneter Stelle in den Unterrichtaufgenommen werden kann. Erfahrungsgemäß werden Wahlmodule nach den schriftli-chen Abitursprüfungen in den Unterricht aufgenommen. Im Schulbuch DORN·BADERPhysik 11/12 werden die Strahlungsarten und ihre Eigenschaften als erstes Themenge-biet des letzten Kapitels Kernphysik vorgeschlagen.

77

Page 82: Das Beta-Spektrometer

4 Die Einbindung in den Schulunterricht

Das magnetische β-Spektrometer könnte in diesem Zusammenhang, sogar ohne Erwäh-nung des radioaktiven Zerfalls von Atomkernen, als Experiment eingeordnet werden.Die Ablenkung bewegter geladener Teilchen im magnetischen Feld ist in der Schulphy-sik grundsätzlich von großer Bedeutung. Üblicherweise wird die e/m-Bestimmung desElektrons mit dem Fadenstrahlrohr gezeigt. Hier knüpft das β-Spektrometer direktan. Die Elemente der Messanordnung, bis auf das GM-Zählrohr sollten aus früherenExperimenten, z.B. Transformator bekannt sein. Das an speziellen Beispielen erworbeneWissen wird auf neue, anspruchsvollere Fragestellungen übertragen und angewendet -einer der didaktischen Grundsätze des Bildungsplans.

Im Rahmen des 4-stündigen Kernphysikunterrichts sollte es nun hauptsächlich darumgehen, das Charakteristische der β-Strahlung, als eine der drei möglichen Strahlungs-arten, zu verdeutlichen. Dazu gehört natürlich in erster Linie die kontinuierlicheEnergieverteilung β-Teilchen. Als Erweiterung wäre dann möglich, z.B. in Anlehnungan die historische Entwicklung, nach der Ursache des Kontinuums zu fragen. Die Erar-beitung2 der Tatsache, dass ein elektrisch neutrales Teilchen verschwindender Masse,das Neutrino existieren muss, stelle ich mir im Rahmen der Kursstufe sehr interessantvor. Den Schülern kann mit einfachsten Mitteln die Neutrino-Hypothese bewiesenwerden und ihnen damit erste Einblicke in die Elementarteilchenphysik ermöglichen.Auch das Ansprechen einiger Aspekte der vierten fundamentalen Kraft, der schwachenWechselwirkung wäre denkbar, obwohl dies im Bildunggsplan nicht vorgesehen ist.

Neben dem Experiment an sich, wird gleichzeitig die Hallsonde, als Messinstrumentfür Magnetfelder, sowie ein im Kursstufenplan vorgesehener Detektor, in diesem Falldas GM-Zählrohr besprochen.

4.3. Das Experiment -Tipps, Hinweise und Anregungen

Mit der β-Spektroskopie wird das Energie- bzw. Impulsspektrum der beim β-Zerfallemittierten Elektronen bzw. Positronen vermessen. Das Spektrum ist eine kontinuierli-che Verteilung, herrührend vom Dreikörper-Zerfall eines Neutrons oder Protons einesinstabilen Atomkerns [40]. Die Separation der Impulse erfolgt durch ein magnetischesFeld; der anschließende Nachweis durch einen geeigneten Teilchendetektor.

Während in der Forschung eine perfekte Energieauflösung und eine hohe energie-unabhängige Ansprechwahrscheinlichkeit des Detektors gefordert werden, treten beim β-Spektrometer als Schulversuch andere Kriterien in den Vordergrund:

2 Das selbständige Forschen und Entdecken gilt als eine sehr vielversprechende Lernmethode. Näheresdazu siehe [39].

78

Page 83: Das Beta-Spektrometer

4.3 Das Experiment - Tipps, Hinweise und Anregungen

• Das Prinzip der Messapparatur, die Bedienung der erforderlichen Geräte, sowie diedurchzuführenden Messoperationen sollten einsichtig und einfach zu handhabensein.

• Die Messergebnisse müssen schnell und unkompliziert auswertbar sein und trotzsystematischer und statistischer Fehler qualitativ mit theoretischen β-Spektrenübereinstimmen.

Einem erfolgreichen Einsatz des β-Spektrometers steht damit nichts im Wege. Trotzdemmöchte ich auf gewisse Aspekte hinweisen, die die Umsetzung des Experiments imUnterricht vielleicht erleichtern.

Geeignete Quellen

Die Verwendung radioaktiver Quellen im Schulalltag ist grundsätzlich nur dann möglich,wenn sie nach der Strahlenschutzverordnung für den Umgang zugelassen sind. Radio-aktive Präparate zu kaufen und sie ordnungsgemäß zu entsorgen ist sehr kostspielig,daher sollte im Vorhinein überlegt werden, welche β-Strahler im Experiment verwendetwerden möchten.

Die Firma PHYWE bietet in Verbindung mit ihrem β-Spektrometer ausschließlich diePräparate 22Na (β+-Strahler) und 90Sr (β−-Strahler) an. Ein Vorteil beider Präparateist, dass die Halbwertszeit in der Größenordnung von Jahren liegt. Bei 22Na ist zubeachten, dass es sich um keinen reinen β+-Zerfall handelt. Im Spektrum entstehtein hoher Gammastrahlen-Untergrund, der für die Schüler zunächst verwirrend seinwird. Da 90Sr in das ebenfalls β−-strahlende 90Y zerfällt, entsteht eine Überlagerungzweier Spektren mit unterschiedlichen Maximalenergien. Aus der gemessenen Verteilungkann nur die maximale Energie der Elektronen des 90Y-Zerfalls abgelesen werden. DieBesprechung der Zerfallsschemata ist in beiden Fällen erforderlich. Als Alternative wäredaher der reine β−-Strahler 85Kr mit einfachem Übergang zu empfehlen. Bei PHYWEwurde dieses Präparat allerdings aus dem Unterrichtsquellen-Angebot herausgenommen.

Ein β-Spektrometer mit einer Vakuum-Blendenkammer ist nicht erforderlich, da al-le Quellen aus Strahlenschutzgründen in einer Schutzhülle eingeschlossen sind. Dieβ-Teilchen werden bereits in der Präparat-Umhüllung abgebremst und teilweise absor-biert.

Die Aufnahme und Auswertung der Spektren

Die Messmethode von Magnetfeld-Spektrometer beruht auf der Ablenkung bewegter,geladener Teilchen im Magnetfeld. Die zugrunde liegenden dynamischen Grundgleichun-gen für bewegte Elektronen im homogenen Magnetfeld sollten den Schülern bekanntsein und müssen nur noch auf den neuen Versuchsaufbau übertragen werden.

79

Page 84: Das Beta-Spektrometer

4 Die Einbindung in den Schulunterricht

Gleichsetzen der Lorentz- und Zentripetalkraft liefert den wichtigen funktionalen Zusam-menhang zwischen Impuls p, MagnetfeldB und Krümmungsradius r

p = eBr , (4.1)

den die Schüler in Bezug auf die spezielle Geometrie des Spekrometers verstehen undinterpretieren können müssen. Dabei sollte der wesentliche Punkt, dass man durchVeränderung des Magnetfeldes verschiedene Impulse auswählt und die Zählrate N inAbhängigkeit vom selektierten mittleren Impuls misst, erarbeitet werden.

Erste Schwierigkeiten sehe ich bei der Durchführung eines kompletten Experiments.Die Aufnahme eines gesamten β-Spektrums ist innerhalb der Unterrichtszeit kaumrealisierbar und nebenbei äußert langwierig, wenn man als Schüler nur zusehen darf. Dasβ-Spektrometer sollte daher nicht als Demonstrationsexperiment, sondern im Rahmendes physikalischen Praktikums der 4-stündigen Kursstufe eingesetzt werden. Nebender Entwicklung kognitiver Fähigkeiten wird zusätzlich das selbstständige Planen undArbeiten im Team gefördert.

Abb. 4.1.: Im Rahmen der Berufs-Orientierung am Gymnasium (BOGY) durften zwei Schüler mitdem β-Spektrometer die kontinuierliche Energieverteilung von β-Teilchen aufnehmen.Dabei konnten meine Überlegungen zur Durchführung des Experiments ausprobiert,analysiert und optimiert werden. Dieser erste praktische Einsatz half u.a. bei der Erstellungeiner Anleitung für das Demonstrationspraktikum.

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Page 85: Das Beta-Spektrometer

4.3 Das Experiment - Tipps, Hinweise und Anregungen

Die Messzeit pro Impulswert ist von der Intensität der Quelle abhängig. Trotzdemsollte sie maximal ca. 60 s betragen, da ansonsten zu viel Praktikumszeit für das reineAufnehmen von Messpunkten verbraucht wird. Eine kurze Untergrund-Messung gehörtebenfalls zur vollständigen Versuchsdurchführung dazu.

Im Bereich der Auswertung und graphischen Darstellung der Spektren gibt es unter-schiedliche Möglichkeiten. Dabei ist der Einsatz eines Tabellenkalkulationsprogrammsunbedingt zu empfehlen, so dass die gemessenen Zählraten unmittelbar verwertet undveranschaulicht werden können.

Wenn es nur um die Darstellung der kontinuierlichen Verteilung gehen soll, könn-te man als einfachste Variante, die Zahl der pro Zeitintervall gemessenen Impulse Ngegen das Magnetfeld B bzw. den Impuls p oder die Geschwindigkeit v der β-Teilchenauftragen. Die Umrechnung erfolgt über Gl.(4.1).

Etwas anspruchsvoller wäre dagegen die zusätzliche Auftragung der Zählimpulse gegendie kinetische Energie der Elektronen bzw. Positronen. Um die Beziehung

Ekin =√

(eB rc)2 +m2e c

4 −me c2 (4.2)

herzuleiten, bedarf es einer relativistischen Rechnung. Diese Umrechnung ist dennochratsam, da in den gängigen Lehrbüchern häufiger Energiespektren als Impulsspek-tren abgebildet und diskutiert werden. Auch wenn die spezielle Relativitätstheorieim Unterricht noch nicht thematisiert wurde, ist dieser Auswertungsteil problemlosdurchführbar. Im Schulbuch DORN·BADER ([24], Seite 367) wird die Herleitung vonGl.(4.2) speziell für das β-Spekrometer ausgeführt und verständlich dargestellt. DieSchüler der 4-stündigen Kursstufe können sich diesen Abschnitt im Rahmen der Prakti-kumsvorbereitung selbstständig durchlesen und erarbeiten. Anhand dieser Auftragungkann die Maximalenergie der β-Verteilung zumindest qualitativ bestimmt und ersteFehlerbetrachtungen vorgenommen werden. Die Schüler sollen erkennen, dass die breiteVerschmierung auf die begrenzte Auflösung des Spektrometers zurückzuführen ist undnichts mit dem Zerfall an sich zu tun hat.

Von der Bestimmung der Maximalenergie Emax über den Kurie-Plot ist abzuraten.Ganz davon abgesehen, dass sich aus den Messwerten keine Linearität ergibt, würde esim Unterricht zu viel Zeit in Anspruch nehmen, die quantenmechanische Theorie vonFermi einzuführen und die Kurie-Transformation herzuleiten. Der Lerneffekt würdevor lauter Umrechnungen und Tabellen auf der Strecke bleiben und das unzufrieden-stellende Ergebnis stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand, der im Unterricht zurVorbereitung betrieben werden müsste. Die gemessenen, kontinuierlichen Spektrenliefern ausreichend viele interessante Fragestellungen, die eine Kurie-Transformationüberflüssig machen.

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Page 86: Das Beta-Spektrometer

4 Die Einbindung in den Schulunterricht

Alternativ könnte man bei einfachen β-Übergängen3 von der Faustregel

Ew ≈13 Emax

Gebrauch machen, die eine Bestimmung von Emax über die wahrscheinlichste EnergieEw ermöglicht. Der Hochpunkt der Verteilung lässt sich grafisch einfacher und mitgrößerer Genauigkeit bestimmen als die verschmierte Endenergie.

Ob auch die Transformation der Zählraten mitberücksichtigt werden sollte, bleibtdem betreuenden Lehrer überlassen. Die Umsetzung der Messdaten in eine korrekteImpulsverteilung N(p), d.h. Zahl der Impulse pro Impulsintervall ∆p ∼ Br, wird für dieSchüler nicht unmittelbar einleuchtend sein. Die entstehende Verformung des Impuls-spektrums aufgrund der Division der zu hohen Zählraten durch das Produkt Br, mussdiskutiert werden. Wesentlich schwieriger wird die Transformation des ImpulsspektrumsN(p) in das Energiespektrum N(E), wobei die Umrechnung

N(E) = dNdE = N(p) · dp

dE

benötigt wird. Über Gl. (4.2) erhält man den hinteren Faktor, mit

dpdE = Ekin +mec

2

c√E2kin + 2Ekinmec2

.

Wie in Abschn. 3.3.3 dargestellt, ergeben sich durch diese Transformation stark de-formierte Verteilungen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man im Praktikumauf die Umrechnung der Zählimpulse ganz verzichten sollte. Meiner Meinung nachgenügt die Auftragung der Zählimpulse N gegen den Impuls und die Energie, um dasCharakteristische des β-Spektrums aufzeigen und diskutieren zu können.

Mit einer selbständigen Planung, Durchführung, Auswertung und grafischen Ver-anschaulichung entsteht für die Schüler ein in sich abgeschlossener und interessanterPraktikumsversuch, der die wenigen schulischen Experimente des Themengebiets „Ker-ne und Teilchen“ bereichert. An dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass dasβ-Spektrometer auch anderweitig einsetzbar ist. Ich sehe jedoch im Rahmen des Prak-tikums die meisten und effektivsten Möglichkeiten, um die im Unterricht besprocheneβ-Strahlung und ihre Eigenschaften experimentell zu verdeutlichen.

Im nächsten Kapitel ist die Versuchsanleitung für das Demonstrationspraktikumangehängt. In dieser Form könnte sie auch, bis auf kleine Anpassungen für das Physik-praktikum der Kursstufe übernommen werden.

3 Bei Überlagerung mehrerer Spektren (z.B. bei 90Sr) hat die wahrscheinlichste Energie keinerleiAussagekraft!

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Page 87: Das Beta-Spektrometer

5. Versuchsanleitung für dasDemonstrationspraktikum

Die Prüfungsordnung schreibt seit 2001 vor, dass Lehramtsstudierende der Physik wäh-rend der Studienzeit einen „Kurs zur Durchführung von Demonstrationsexperimenten“absolvieren müssen. Nach Verabschiedung dieser Regelung fand ein Experimentalprak-tikum in provisorischer Form in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen HochschuleFreiburg statt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit wurde 2008 von drei Studie-renden ein neues Demonstrationspraktikum am Physikalischen Institut der UniversitätFreiburg gestaltet und aufgebaut, das seit dem Wintersemester 2008/09 fester underfolgreicher Bestandteil des Lehrangebots für Lehramtskandidaten ist. Ziel ist es,vor Erreichen des Referendariats (Vorbereitungsdienst) im Aufbau, der Durchführungund Präsentation von schultypischen Experimenten ausgebildet zu werden und derendidaktisch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten zu diskutieren bzw. kennenzulernen.

Bisher existieren insgesamt 26 Versuche, die ausgewählte Themengebiete aus denBereichen Mechanik, Optik, Akustik, Wärmelehre, Elektromagnetismus, Atom- undKernphysik aufgreifen.

Das β-Spektrometer wird das Angebot der Versuche zur Kernphysik bzw. Radio-aktivität erweitern und die Besonderheit des β-Zerfalls aufzeigen. Die Aufnahme derkontinuierlichen β-Verteilung zweier radioaktiver Präparate ist im Rahmen der Prakti-kumszeit realisierbar, da der Versuchsaufbau und das Messprinzip einfach zu handhabensind. Die Auswertung der Messwerte soll über einen im Demo-Praktikum vorhandenenLaptop mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel erfolgen, mit dem die gemessenenZählraten direkt veranschaulicht und diskutiert werden können. Die Grundgedankenzur Umsetzung des Versuchs im Demonstrationspraktikum werden hier nicht mehrwiederholt; sie sind dem vorigen Kapitel 4 zu entnehmen.

Die folgenden Seiten zeigen die entworfene Versuchsanleitung zum Experiment. Um dieEinheitlichkeit innerhalb des Praktikums zu bewahren, übernahm ich das Design und dieGliederung der jetzigen Anleitungen, siehe [1], [2] und [3]. Nach einer klaren Formulie-rung der Aufgabenstellung folgt eine kurze theoretische Einführung, die einen Überblicküber den physikalischen Hintergrund geben soll. Zum Versuchsaufbau werden genugInformationen und Tipps gegeben, die eine selbständige Durchführung des Experimentserleichtern. Kontrollfragen am Ende der Anleitung regen zum weiteren Nachdenken an

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Page 88: Das Beta-Spektrometer

5 Versuchsanleitung für das Demonstrationspraktikum

und gehen etwas über die Thematik des Versuchs hinaus. Um bestimmte Inhalte gezieltnachlesen zu können, enthält die Anleitung außerdem eine entsprechende Literaturan-gabe. Die Ideen und grundlegenden Überlegungen der „Erfinder“ wurden aufgegriffen,so dass sich das neue Experiment möglichst reibungsfrei und unauffällig in die Auswahlder Versuche einreihen kann. Die Anleitung lässt trotz ausführlicher Hintergrundin-formation und klarer Aufgabenstellung noch genug Spielraum beim Experimentieren.Auftretende Fragestellungen und Unsicherheiten sollen die Studenten eigenständigklären und sich intensiv mit der Problematik auseinandersetzen.

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Page 89: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27

β-Spektrometer

Mit einem β-Spektrometer kann die kontinuierliche Energieverteilungvon β-Strahlern aufgenommen werden.

Die β-Teilchen werden durch Ablenkung in einem Magnetfeld nach ihrer Energieselektiert und mit einem Geiger-Müller-Zählrohr detektiert und gezählt.

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Page 90: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 2

1 Aufgabenstellung

1. Nehmen Sie mit Hilfe des β-Spektrometers die kontinuierliche Energieverteilungvon 90Sr und 22Na auf.

2. Stellen Sie die gemessenen Spektren mit Excel grafisch dar, indem Sie die Zähl-raten in Abhängigkeit des Impulses p und der kinetischen Energie Ekin derβ-Teilchen auftragen.

3. Vergleichen Sie die grafisch bestimmten Maximalenergien Emax der β-Teilchenmit den entsprechenden Literaturwerten.

4. Diskutieren Sie Unterschiede und Auffälligkeiten der aufgenommenen Spektren.

Abb. 1: Versuchsaufbau des β-Spektrometers.

2 Grundlagen

2.1 β-Strahlung

Beim Zerfall instabiler Atomkerne wird Energie in Form ionisierender Strahlung frei.Man unterscheidet zwischen drei Arten radioaktiver Strahlung:α-, β- und γ-Strahlung.

β-Strahlung entsteht beim radioaktiven β-Zerfall von Atomkernen, die mehr oderweniger Neutronen besitzen, als zur Stabilität nötig ist [2].

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Page 91: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 3

Kerne mit Neutronenüberschuss sind in der Regel β−-Strahler. Bei diesem Kernprozesswandelt sich ein Neutron n unter Emission eines Elektrons e− und eines Antineutrinosν in ein Proton p um:

n −→ p+ e− + ν β−-Strahlung .

Kerne mit Protonenüberschuss sind β+-Strahler. Hier zerfällt ein Proton p in ein Neu-tron n unter Emission eines Positrons e+ und eines Neutrinos ν:

p −→ n+ e+ + ν β+-Strahlung .

Durch Messungen mit magnetischen Spektrometern konnte schon 1914 vom englischenPhysiker Sir James Chadwick gezeigt werden, dass Kerne bei β-Umwandlungen Teilchenmit einer kontinuierlichen Energieverteilung aussenden [3].

Der Grund dafür ist, dass sich die beim Zerfall freiwerdende Energie statistisch aufdie beiden emittierten Teilchen verteilt. Das Spektrum der β-Teilchen (e− bzw. e+)erstreckt sich daher kontinuierlich bis zu einem Maximalwert Emax, bei dem das (Anti-)Neutrino keine und das β-Teilchen die maximale kinetische Energie erhält. Der Kernübernimmt dabei wegen seiner wesentlich größeren Masse fast keine Rückstoßenergie.Die Maximalenergie Emax des Spektrums ist die zu ermittelnde charakteristische Größeeines β-Strahlers.

Die radioaktiven Präparate

In Abb. 2 sind die Zerfallsschemata der verwendeten Präparate Strontium 90Sr undNatrium 22Na dargestellt.

Das langlebige Isotop 90Sr zerfällt zu Yttrium 90Y, welches sich ebenfalls über einenβ−-Zerfall in das stabile Nuklid Zirconium 90Zr umwandelt. Es entsteht ein überlagertesMischspektrum, bei dem das β−-strahlende 90Sr durch 90Y, dessen Zerfallsenergie ca.viermal so groß ist, verstärkt wird.

Das Isotop 22Na zerfällt mit einer Wahrscheinlichkeit von 90,49% unter Emissionvon β+-Strahlung in den angeregten Zustand von Neon 22Ne∗. Mit einem Prozentsatzvon 9,46% wandelt sich 22Na unter Elektroneneinfang1 (EC) um, wobei dieser Pro-zess nicht registriert wird. Durch Emission eines γ-Quants geht 22Ne∗ in den stabilenGrundzustand über.

1 Alternativ zum β+-Zerfall kann auch Elektroneneinfang auftreten. Dabei wird ein Hüllenelektrone− (meist aus der innersten K-Schale) von einem Proton „eingefangen“, das sich unter Emissioneines Neutrinos in ein Neutron umwandelt: p+ e− −→ n+ ν .

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Page 92: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 4

Abb. 2: Zerfallsschemata von 90Sr und 22Na.

2.2 Das Geiger-Müller-Zählrohr

Für Strahlung radioaktiver Stoffe hat der Mensch kein Sinnesorgan, deshalb ist er daraufangewiesen, sie indirekt durch physikalische Effekte zu beobachten [4]. Das bekanntesteGerät zur Messung radioaktiver Strahlung ist das Geiger-Müller-Zählrohr.

Ein GM-Zählrohr ist ein Kondensator, bestehend aus einem zylindrischen Metall-gehäuse und einem dünnen Draht, der entlang der Achse des Zylinders angeordnet ist.Er wird über einen 10 MΩ-Widerstand nach außen geführt und mit dem positiven Polder Spannungsquelle verbunden. Der negative Pol liegt am Gehäuse an. An der Stirnsei-te befindet sich ein dünnwandiges Glimmerfenster, durch das die zu messende Strahlungeintritt. Im luftdicht abgeschlossenen Rohr befindet sich ein Neon-Argon-Gemisch,das neben der Vervielfachung von Elektronen-Ionen-Paare auch für die Löschung vonNachentladungen verantwortlich ist.

Zum Betrieb des Zählrohrs wird der Zähldraht gegen das geerdete Gehäuse mit etwa500 V Spannung positiv geladen. Tritt ein β-Teilchen in das Zählrohr ein, so wird dasGas durch Stöße längs der Teilchenbahn ionisiert. Die dabei freigesetzten Elektronenwerden aufgrund der elektrischen Feldkraft zum Zähldraht, wo die Feldstärke am größ-ten ist, beschleunigt. Sie gewinnen auf ihrem Weg zur Elektrode genügend kinetischeEnergie um weitere Edelgasatome zu ionisieren. Die Zahl der Ladungsträger vermehrtsich in Drahtnähe lawinenartig. Die gebildeten Elektronen werden wegen ihrer großenMobilität schnell zum positiven Draht hingezogen. Während die Elektronen in etwa10−8 s abgesaugt werden, baut sich um den Zähldraht eine Raumladungswolke ausden trägen positiven Ionen auf, die „langsam“ (in etwa 10−4 s) zur negativ geladenenZählrohrwand wandert [5].

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Page 93: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 5

Abb. 3: Prinzipschaltung eines Zählrohrs.

Durch Influenz der Ionenbewegung entsteht ein Stromimpuls, der seinerseits an demHochohmwiderstand in einen Spannungsimpuls umgesetzt und über einen Entkopp-lungskondensator an einen Verstärker mit nachgeschaltetem Zähler übertragen wird.Dieser Ionenschlauch wirkt als virtuelle Anode, so dass das Gebiet um den Drahtkurzzeitig feldfrei wird. Während dieser sog. Totzeit ttot kann vom Zählrohr keinneues Teilchen registriert werden.

GM-Zählrohre arbeiten im sog. Auslösebereich, in dem jedes einfallende Teilchen,unabhängig von seiner Energie, stets einen gleich großen Entladungsstoß verursacht.Allerdings erfordert jeder Zählvorgang eine gewisse endliche Zeit ttot, so dass bei einerschnellen Impulsfolge grundsätzlich zu wenig Ereignisse gezählt werden. Die Metho-de zur Bestimmung der Totzeit mittels zweier radioaktiver Präparate, kann in [1]nachgelesen werden.

2.3 Das β-Spektrometer

Mit einem β-Spektrometer kann das kontinuierliche Spektrum der beim β-Zerfallemittierten Elektronen bzw. Positronen aufgenommen werden.

Es besteht aus einer zylindrischen Flachkammer, auf deren Boden ein System ausBlenden angebracht ist (Abb. 4). In der Kammerwand befinden sich zwei größereBohrungen, die für das radioaktive Präparat und das GM-Zählrohr vorgesehen sind.Das β-Spektrometer wird senkrecht von einem homogenen Magnetfeld durchsetzt,welches durch einen Aufbau-Elektromagneten erzeugt wird. Mit Hilfe einer schmalenHallsonde kann die Magnetfeldstärke im Inneren der Kammer gemessen werden.

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Page 94: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 6

(a) (b)

Abb. 4: (a) Schematische Darstellung der Blendenkammer. (1) nicht magnetisierbare Wand; (2)Präparathalterung mit (3) Eintrittsblende; (4) Magnetfeldsondendurchführung; (5) Zähl-rohrhalterung mit (6) Austrittsblende. (b) Foto der Blendenkammer ohne Deckel.

Tritt ein β-Teilchen in die Blendenkammer ein, so wirkt die Lorentzkraft ~FL = e (~v × ~B)und zwingt es auf eine Kreisbahn. Auf dieser Kreisbahn sind Lorentzkraft und Zentri-petalkraft im Gleichgewicht

evB = mv2

r

und man erhält für den Impuls

p = mv = eBr . (1)

Da das Blendensystem eine feste Kreisbahn mit Radius r = 5 cm vorgibt, werden durchVerändern der Magnetfeldstärke B nur ganz bestimmte Impulse p ausgewählt. MitHilfe des GM-Zählrohrs kann die Zählrate in Abhängigkeit vom selektierten Impulsder β-Teilchen aufgenommen werden.

Aufgrund der hohen Geschwindigkeit der β-Teilchen muss relativistisch gerechnetwerden. Es gilt die Energie-Impuls-Beziehung

E2 = p 2 c2 +m2e c

4 ,

wobei sich die Gesamtenergie E aus kinetischer Energie Ekin und Ruheenergie mec2 =511 keV der Teilchen zusammensetzt. Unter Verwendung von Gl.(1) erhält man für diekinetische Energie ([4], S.483)

Ekin =√

(eB rc)2 +m2e c

4 −me c2 . (2)

Dies ist der gesuchte Zusammenhang, der die Umrechnung der Magnetfeldstärke in diekinetische Energie der β-Teilchen ermöglicht.

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Page 95: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 7

3 Versuchsaufbau

Bauen Sie die Spektrometeranordnung gemäß Abb. 1 auf. Bei Unklarheiten kann inder Betriebsanleitung 09104.00 von PHYWE (siehe Anhang) nachgelesen werden.

Bevor die Hallsonde am vorgesehenen Messort positioniert wird, muss zunächst derangezeigte Offset korrigiert werden. Hierfür steht ein Drehknopf am Mikrovoltmeterzur Verfügung, mit dem die digitale Anzeige auf Null gestellt werden kann. Stellen Sieaußerdem am Gerät den maximalen Messbereich ein.Durch Verändern des Spulenstroms können Sie das Magnetfeld schrittweise variierenund die jeweils zugehörigen Zählraten messen. Um das komplette Spektrum aufnehmenzu können, sollten für 90Sr Magnetfeldstärken von 0 bis 200 mT und für 22Na von0 bis 120 mT durchlaufen werden. Wählen Sie am Zähler eine Messzeit von 60 s.Übertragen Sie die pro Magnetfeldstärke B gemessenen Zählimpulse N direkt in einevon Ihnen vorbereitete Excel-Tabelle. In einer dritten Spalte soll der Fehler auf Nberechnet werden!

(a) (b)

Abb. 5: Frontale Ansicht der Geräte. (a) Mikrovoltmeter: (1) DC-Offset; (2) Messbereich; (3)Hallsondeneingang und (b) Digitalzähler: (1) Messzeit; (2) Zählrohreingang.

Zubehör

Hier benötigen Sie die Blendenkammer, einen Aufbau-Elektromagneten (U-förmiger,stabförmiger und runder Eisenkern, Spule mit 600 Windungen, Spannvorrichtung) inVerbindung mit einem DC-Netzgerät 0-20V, eine Hallsonde mit einem Mikrovoltmeter,das GM-Zählrohr mit BNC-Kabel und Digitalzähler, sowie die radioaktiven Präparate90Sr, 22Na. Verwenden Sie Stativmaterial, um die Hallsonde zu befestigen. Außerdemsollte ein Schlitzschraubenzieher griffbereit sein, um die Blendenkammer öffnen zukönnen. Für die Auswertung benötigen Sie einen Laptop.

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Page 96: Das Beta-Spektrometer

Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 8

Tipps zur Messung

1. Für die Positionierung der Hallsonde hilft es, den Deckel der Blendenkammerabzuschrauben. Ist der Hallsensor parallel zum Boden ausgerichtet, kann dieKammer wieder verschlossen werden. Achten Sie beim Anbringen der Quelle, desZählrohrs und beim Festklemmen der Eisenkerne darauf, dass diese Ausrichtungnicht mehr verändert wird.Hinweis: Die Hallsonde ist aufgrund ihrer Flexibilität sehr empfindlich!

2. Ein positives Vorzeichen der digitalen Magnetfeld-Anzeige verrät, dass die Feldli-nien die Kammer von oben durchsetzen. Mit der Drei-Finger-Regel können Siekontrollieren, ob Sie für die entsprechenden β-Teilchen richtig gepolt haben.

3. Während einer Messung sollte die unbenutzte Quelle im Präparate-Schrankaufbewahrt werden.

4. Überlegen Sie sich im Vorhinein, in welchen Schritten Sie die Magnetfeldstärkeerhöhen, um sowohl das β−- als auch das β+-Spektrum im Rahmen der vorgese-henen Praktikumszeit aufnehmen zu können. Achtung:Der Spulenstrom darf dabei den Maximalwert von 2 A nicht überschreiten!

5. Beginnen Sie mit der Aufnahme des 90Sr-Spektrums!Die Auswertung dieser Daten sollte bereits während der Messung mit 22Naerfolgen.

Tipps & Fragen zur Auswertung

1. Für die grafische Darstellung markieren Sie die Datenreihen und klicken Sieauf den Diagramm-Assistenten in der Symbolleiste. Nachdem das Diagrammerstellt wurde, können Sie durch Anklicken der Messpunkte Y-Fehlerindikatorenhinzufügen.

2. Diskutieren SieAuffälligkeiten undUnterschiede der gemessenen Verteilungen.Inwieweit wirkt sich kosmische bzw. terristische Untergrund-Strahlung auf dieZählraten aus? Führen Sie ggf. eine Untergrund-Messung durch!Woher kommt der hohe Untergrund im 22Na-Spektrum?Wie könnte man die Schwankungen im aufgenommenen Spektrum minimieren?Warum sind die Zählraten so stark „verschmiert“?Führen Sie eine Fehlerbetrachtung durch!

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Versuch 27 - β-Spektrometer Seite 9

4 Kontrollfragen

1. Das Zählen von Impulsen eines radioaktiven Präparats pro Zeiteinheit ist einstatistischer Vorgang. Wie berechnet sich der Fehler auf eine gemessene Zählrate?Welche Wahrscheinlichkeitsverteilung steckt dahinter?

2. Im Inneren eines Zählrohrs befindet sich in der Regel ein unter geringem Druckstehendes Gas. Warum?

3. Erklären Sie, was man unter einer Kennlinie eines Zählrohrs versteht.

4. Mit β-Teilchen muss relativistisch gerechnet werden. Wie groß ist die Geschwin-digkeit v eines β-Teilchens, wenn seine kinetische Energie Ekin bekannt ist?

5. Wie sieht die Energieverteilung bei einem Elektroneneinfang aus?

Literatur

[1] Wursthorn, Elisabeth: Das β-Spektrometer - Messung der kontinuierlichen Energie-verteilung von β-Teilchen als Schulversuch. Staatsexamensarbeit, 2010.

[2] Tipler, Paul: Physik. Spektrum Akademischer Verlag, 2. Auflage, 1994.

[3] Chadwick, James: Radioactivity and radioactive substances. Pitman, 3. Auflage,1931.

[4] Dorn, Friedrich und Bader, Franz: Physik Sek II, Gymnasium Gesamtband. Wes-termann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig, 2007.

[5] Stolz, Werner: Radioaktivität, Grundlagen-Messung-Anwendung. Carl Hanser VerlagMünchen, Wien, 2. Auflage, 1990.

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Page 98: Das Beta-Spektrometer

5 Versuchsanleitung für das Demonstrationspraktikum

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Page 99: Das Beta-Spektrometer

6. Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit wurde ein β-Spektrometer als Erweiterungdes Versuchsangebots des physikalischen Demonstrationspraktikums für Lehramtsstu-dierende eingerichtet. Nach der Auskundschaftung geeigneter Lehrmittelfirmen undder Beschaffung der benötigten Geräte, konnte eine intensive Beschäftigung mit demExperiment beginnen. Die Bestellung und Lieferung der radioaktiven Präparate mussteim Vorhinein mit dem Strahlenschutzbeauftragten des physikalischen Instituts abge-sprochen werden.

Zahlreiche Messungen wurden durchgeführt und analysiert, um mögliche Abhängigkei-ten von Parametern z.B. Totzeit des Zählrohrs, Aufnahmezeit der Zählraten, Untergrundetc. herauszufinden. Bei den aufgenommenen Verteilungen der β-Teilchen zeigte sichder charakteristische, kontinuierliche Verlauf. Damit kann die Besonderheit der ra-dioaktiven β-Strahlung und die Existenz des schwer nachweisbaren (Anti-)Neutrinoseindrucksvoll demonstriert werden.

Die Auswertung der gemessenen β-Spektren basiert größtenteils auf Fermis Theo-rie zum β-Zerfall, die eine mathematische Beschreibung der kontinuierlichen Energie-bzw. Impulsverteilung bereitstellt. Sie ist Ausgangspunkt für die Kurie-Darstellung,über die eine Bestimmung der Maximalenergie der β-Teilchen ermöglicht wird. Indiesem Zusammenhang machte sich das sehr begrenzte Auflösungsvermögen des Spek-trometers bemerkbar, was für eine breite Verschmierung der Messwerte sorgte. DieErmittlung der maximalen kinetischen Energie der Elektronen bzw. Positronen kann nurmit großer Ungenauigkeit durchgeführt werden. Um den Einfluss der instrumentellenAuflösung auf die Zählraten zu verdeutlichen, wurden die gemessenen Impulsvertei-lungen mit einer Faltungsfunktion approximiert. Die Umsetzung erfolgte mit Hilfedes Datenanalyseprogramms ROOT, in dem die Faltung aus theoretischem Spektrumund der Gaußfunktion zur Beschreibung der Verschmierung definiert werden konnte.Beim Arbeiten mit ROOT und Erstellen eines eigenen Programm-Codes wurden vielewertvolle und neue Erfahrungen gemacht.

Interessant für mich als angehende Lehrerin war die zusätzliche Aufgabe, eine möglicheEinbindung des Versuch in den Physikunterricht vorzuschlagen. Bei der Auseinanderset-zung mit dem neuen Bildungsplan von 2004 fiel auf, dass innerhalb der vorgegebenenBildungsstandards sehr viel Freiraum für die Unterichtsgestaltung bleibt, um auchuntypische Experimente wie das β-Spektrometer einbringen zu können. Meine Überle-gungen zur Einbettung des Versuchs in den schulischen Kontext konnten leider nicht

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6 Zusammenfassung und Ausblick

in einer „realen“ Schulklasse ausprobiert werden. Ein erster praktischer Einsatz desβ-Spektrometers fand jedoch im Rahmen der „Berufsorientierung am Gymnasium“(BOGY) statt, bei der eine Schülerin und ein Schüler eine Woche in unsere Abtei-lung „schnupperten“, um den Beruf der Physikerin und des Physikers kennenzulernen.Dieser erste Testlauf und die vorigen Auseinandersetzungen mit dem Experimentbildeten die Grundlage für die Erstellung einer Versuchsanleitung für das physikalischeDemonstrationspraktikum. Ihre Struktur und optische Aufmachung wurden an dievorhandenen Anleitungen angepasst, so dass sich das β-Spektrometer als 27. Versuchin das Praktikums-Repertoire einreihen kann.

Die radioaktiven Präparate befinden sich in ihren Schutzbehältern und wurden zusam-men mit der fertig vorbereiteten „Versuchs-Kiste“ in das Praktikumsgebäude gebracht.Ich bin sehr gespannt, wie der erste Einsatz des neuen Experiments im kommendenWintersemester 2010/11 verlaufen wird. Dann zeigt sich, ob mein Konzept und dieAufgabenstellungen der Anleitung im Rahmen der Praktikumszeit erfolgreich realisier-bar sind.

Ein weiteres, zukünftiges Projekt könnte sich mit der Optimierung der Spektrome-teranordnung beschäftigen. Eine neue Konstruktion der Blendenkammer würde mög-licherweise eine Verringerung des Störuntergrunds und der Verschmierung erzielen.Hierbei wäre auch aufschlussreich, inwieweit sich die Schutzhülle des Präparats auf dieZählraten auswirkt.

Ich hatte viel Spaß beim Anfertigen dieser wissenschaftlichen Arbeit. Die Kombinati-on aus theoretischen Betrachtungen, experimenteller Tätigkeit und schulpraktischemBezug machte das Thema besonders interessant und vielseitig.

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A. Anhang

PHYWE Betriebsanleitung 09104.00:Beta-Spektroskop

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Page 103: Das Beta-Spektrometer

R

Beta-Spektroskop

1 ZWECK Mit dem Beta-Spektroskop 09104.00 (Abb. 1) wird die Ge-schwindigkeit von Beta-Teilchen gemessen und darausderen Energie berechnet; der Wert e/m wird dabei als be-kannt vorausgesetzt.

Das Beta-Spektroskop ist sowohl als Demonstrationsgerätwie auch für Praktikumsversuche geeignet.

2 ANGABEN ZUM GERÄT2.1 BeschreibungDas Beta-Spektroskop (vgl. die schematische Darstellung,Abb. 2) ist eine runde Flachkammer, deren dicke zylindri-sche Wand 1 aus nicht magnetisierbarem Material besteht;Boden und Deckel werden von zwei flachen, planen Pol-schuhen gebildet.In der Wand 1 befinden sich drei Durchbrüche: die Präpa-rathalterung 2 mit Eintrittsblende 3, die Magnetfeldsonden-durchführung 4 und die Zählrohrhalterung 5 mit Austritts-blende 6.

Auf dem Kammerboden ist ein System von Blenden ange-ordnet, welches die von der vorgegebenen Kreisbahn ab-weichenden Beta-Teilchen ausblendet.Zur Halterung des Beta-Spektroskops auf einem Aufbau-Magneten (vgl. 4.1.1) dient ein von außen in den Kammer-boden einschraubbarer Zentrierstift. Der Kammerdeckelkann nach Lösen einer Schraube abgenommen werden.

2.2 Technische Daten und physikalische Konstantenmittlerer Bahnradius: r = 50mmKonstanten: c = 299792,5 · 103 m/s

m0 = 9,1091 · 1031 kge = 1,60210 · 1019 C

3. MESSMETHODEIm Beta-Spektroskop werden Beta-Teilchen dadurch nachihrer Energie selektiert, daß eine feste Kreisbahn in einemhomogenen Magnetfeld durch Blenden vorgegeben ist undeine eindeutige Beziehung zwischen der Kraftflußdichte Bund der Geschwindigkeit v der Beta-Teilchen auf dieserKreisbahn besteht.Auf der Kreisbahn sind die Lorentzkraft, hervorgerufendurch das magnetische Querfeld, und die Zentrifugalkraftim Gleichgewicht:

Hieraus folgt für den Impuls:

p mv eBr= = .

evBmv

r=

2

.

PHYWE SYSTEME GMBH · Robert-Bosch-Breite 10 · D-37079 · Göttingen · Telefon (05 51) 6 04-0 ·Telefax (05 51) 60 41 07

09104.00

Betriebsanleitung

Abb. 1: Beta-Spektroskop 09104.00

Abb. 2: Schematische Darstellung des Beta-Spektroskops miteingezeichneter Flugbahn der gezählten Zeichen

Page 104: Das Beta-Spektrometer

Für relativistische Partikel mit dem Impuls p gilt die Impuls-beziehung:

Dabei ist E die Gesamtenergie der Partikel, die sich in diekinetische Energie Ekin und in die Ruheenergie m0 c2 auf-teilt:

Für die kinetische Energie gilt demzufolge

Dies ist die gesuchte Beziehung zwischen Teilchenenergieund Kraftflußdichte. Bei einem mittleren Kreisbahnradius r von 50 mm ergibt sich die in Abb. 3 dargestellte Kalibrier-kurve. Steht kein Magnetfeldmeßgerät zur Verfügung, sokann die Feldstärke aus Abb. 3a ermittelt werden.

( )E eBrc m c m ckin = + −2

02 4

02.

E E m ckin= + 02.

Ec

p m c2

22

02 2= + .

4 HANDHABUNG IM EXPERIMENT4.1 Erzeugung des magnetischen GleichfeldesZur Erzeugung des magnetischen Gleichfeldes für dasBeta-Spektroskop kann entweder (wie in Abb. 4) ein Auf-bau-Elektromagnet benutzt werden oder aber der Elektro-magnet 06480.01, der zur Erzeugung eines starken, ho-mogenen Feldes mit zwei planen Polschuhen 06480.02auszurüsten ist.

4.1.1 Anordnung mit Aufbau-ElektromagnetEinen geblätterten U-förmigen Eisenkern versieht man aufeinem Schenkel mit einer Spule (600 Wdg) und steckt dar-über das Beta-Spektroskop (wozu in den Kammerbodender Zentrierstift eingeschraubt sein muß).Auf den anderen Schenkel des U-Kerns steckt man denrunden, massiven Eisenkern 06490.01, der die gleicheHöhe wie das Beta-Spektroskop hat. Als Joch wird ein stab-förmiger geblätterter Eisenkern aufgelegt. Bevor man dasJoch mit Hilfe einer Spannvorrichtung 06506.00 andrückt,muß das Beta-Spektroskop so gedreht werden, daß seinedrei Wanddurchbrüche (für Präparat, Zählrohr und Magnet-feldsonde) frei zugänglich sind.

4.1.2 Anordnung mit Elektromagnet 06480.01Der Elektromagnet ist gemäß zugehöriger Bedienungsan-leitung mit zwei planen Polschuhen 06480.02 zu versehen.Zwischen diesen soll das Beta-Spektroskop mit seinenPolschuhen an den Magnetpolschuhen anliegend einge-klemmt werden, und zwar etwa mittig zwischen den Feld-spulen. Bei zunächst geringfügig größerem Abstand derMagnetpolschuhe richtet man das Beta-Spektroskop (des-sen Zentrierstift entfernt wurde) so aus, daß die drei Wand-durchbrüche (für Präparat, Zählrohr und Magnetfeldsonde)frei zugänglich sind. Dann wird das Beta-Spektroskop mitden Magnetpolschuhen festgeklemmt.

4.2 MagnetfeldmessungZur Messung der magnetischen Flußdichte im Innern desBeta-Spektroskopes dient das Teslameter in Verbindungmit der Tangentialsonde. Die Sonde wird Sondenflächeparallel zu den Polschuhflächen des Beta-Spektroskops

09104.002

Abb. 3: Kalibrierkurve des Beta-SpektroskopsIA

BmT 180

160

140

120

100

80

60

40

20

00,4 0,8 1,2 1,6 2,4 2,82Abb. 3a: Magnetfeld als Funktion der Stromstärke bei

Verwendung der Spule 06514.00 (600 Wdg.)

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vorsichtig so weit in den Wanddurchbruch eingeschoben,bis ein mechanischer Widerstand spürbar ist. In dieser Stel-lung ist die Sonde mit Hilfe von Stativmaterial sicher zu hal-tern, damit sie nicht abknicken kann, wodurch sie zerstörtwerden könnte.

4.3 Zählrohr und Beta-StrahlerBeim Einsetzen von Zählrohr und Phywe-Präparaten (sieheGeräteliste) in die entsprechenden Wanddurchbrüche desBeta-Spektroskops ist keinerlei Justierung erforderlich: dasZählrohr wird vorsichtig bis zum Anschlag eingeschoben,das Präparat bis zum deutlich spürbaren Einrasten.

4.4 AUFNAHME EINES BETA-SPEKTRUMSDurch Verändern des Spulenstromes wird das Magnetfeldschrittweise variiert und die jeweils zugehörige Zählrate ge-messen. Trägt man die Zählrate über dem gemessenenMagnetfeld auf, so erhält man ein Diagramm, wie es inAbb. 5 für einen Sr-90-Strahler dargestellt ist. Mit Hilfe derKalibrierkurve (Abb. 3) läßt sich das Diagramm auswerten.

3 09104.00

5. MATERIALLISTEBeta-Spektroskop 09104.00Eisenkern, d = 40 mm, h = 25 mm 06490.01Amperemeter 1 mA 3 A∼ 07036.00Netzgerät, universal 13500.93Digitalzähler, 4 Dekaden 13600.93Teslameter, digital 13610.93Hallsonde, tangential 13610.02Eisenkern, stabf., kurz, geblättert 06500.00Eisenkern, U-förmig, geblättert 06501.00Spannvorrichtung 06506.00Spule 600 Windungen 06514.01Zählrohr, Typ A 09025.11BNC-Kabel, l = 750 mm 07542.11Verbindungsleitungen (3x)

Radioaktive Präparate:Präparat Sr-90, 74 kBq 09047.53Präparat Na-22, 74 kBq 09047.52

Abb. 5: Beta-Spektrum von Sr-90

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A Anhang

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Literaturverzeichnis

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Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen herzlich bedanken, die zum Gelingenmeiner wissenschaftlichen Arbeit beigetragen haben.

Die Arbeit wurde betreut von Prof. Horst Fischer. Neben der Vergabe eines großartigenThemas, danke ich für die vielen wertvollen Ratschläge und Anmerkungen. Seine Türestand jederzeit für alle möglichen Probleme und Fragen offen.

Mein Dank gilt ebenso Prof. Kay Königsmann, für die freundliche Aufnahme in seineAbteilung und die Bereitstellung meines eigenen Büros.

Alle Abteilungsmitglieder standen mir während der Arbeit mit Rat und Tat zu Seite:Stefan Bartknecht, Rainer Fastner, Elisabeth Gruber, Tillmann Guthörl, FlorianHerrmann, Louis Lauser, Andreas Mutter, Khalil Rehmani, Susanne Rombach-Mikl,Christian Schill, Katharina Schmidt, Sebastian Schopferer, Julia Vogel, Johannes terWolbeek und Heiner Wollny. Besonders erwähnen möchte ich meine liebe BüropartnerinChristiane Imlintz, die für lustige Abwechslung während des Schreibens sorgte, sowiePhilipp Jörg, der mir beim Arbeiten mit ROOT sehr behilflich war.

Für das Probelesen und die konstruktive Kritik möchte ich mich bei Dr. ChristianSchill, Tillmann Guthörl, Sebastian Schopferer und bei meiner Tante Sylvia Schnurbedanken.

Ein großes Dankeschön gilt meiner tollen Familie. Danke Mama, Papa, Theresa undMax, dass ihr immer für mich da seid und mich während meines gesamten Studiumsunterstützt, beraten, beruhigt und ertragen habt! Mein abschließender Dank geht anmeinen Freund Christian, der mir jeden Tag und in jeder Hinsicht eine riesengroßeStütze ist.

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Erklärung

Ich erkläre, dass ich die Arbeit selbständig angefertigt und nur die angegebenenHilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderenWerken, gegebenenfalls auch elektronischen Medien, entnommen sind, sind von mirdurch Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Entlehnungen aus demInternet sind durch Ausdruck belegt.

Freiburg im Breisgau, 14.Mai 2009 Elisabeth Wursthorn

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