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Dünnstes Kohlenstoffblatt verspricht Revolution Chemie des Graphens K ANNAN B ALASUBRAMANIAN | MARKO B URGHARD Für den Chemiker stellt Graphen einen nahezu unend- lich großen polyaromatischen Kohlenwasserstoff dar, wel- cher aufgrund seines ausgedehnten konjugierten π-Sys- tems eine hohe elektrische Leitfähigkeit und eine breite optische Absorption im sichtbaren Wellenlängenbereich zeigt. Typische im Labor untersuchte Graphenschichten haben eine Ausdehnung von mehreren Mikrometern, also etwa das 10.000-fache der Größe eines Benzolrings (ca. 0,3 nm). Was macht Graphen so interessant? Wie zuvor bei den Fullerenen und Kohlenstoff-Nanoröhren, kam es bald nach Entdeckung des Graphens zu einem sprunghaften Anstieg an Publikationen zu diesem Thema. Während es in sei- nem Entdeckungsjahr 2005 noch eine Laborkuriosität darstellte [1], kommt Graphen mittlerweile in größeren Mengen in der Industrieforschung zum Einsatz. Graphen ist weder ein Metall noch ein Halbleiter, sondern ein Halbmetall mit einer sehr kleinen Elektronen- dichte bzw. ein Halbleiter mit einer verschwindenden Bandlücke. Aufgrund seiner hexagonalen Gitterstruktur sind die Ladungsträger im zweidimensio- nalen Elektronensystem von Graphen gut gegen Rückstreuung geschützt und weisen daher sehr große Beweglich- keiten auf [2]. Viele der interessanten physikalischen Eigenschaften von Gra- phen, welche in den letzten Jahren ex- perimentell gemessen wurden, hatten theoretische Unter- suchungen bereits vorab prognostiziert [3]. Daneben zeich- net sich Graphen durch exzellente mechanische Eigen- schaften aus, welche aus dem Zusammenwirken der hohen Stabilität der Kohlenstoffbindungen in der Schicht mit de- ren geringer Dicke resultieren. Herstellung von Graphen Das rasant gestiegene Interesse an Graphen hat die Ent- wicklung einer ganzen Reihe unterschiedlicher Herstel- lungsmethoden vorangetrieben (Tabelle 1). Diese kön- nen in Top-down- und Bottom-up-Verfahren unterteilt wer- den. Graphen, eine ultradünne Schicht aus zu einem Bienenwaben- muster verbundenen Kohlenstoffatomen, bietet aufgrund seiner hervorragenden elektrischen Leitfähigkeit, kombiniert mit einer hohen chemischen und mechanischen Stabilität, weitreichende Anwendungsperspektiven. Mittels chemischer Funktionalisierung gelingt es nicht nur, Graphen löslich zu machen, sondern auch seine Wechselwirkung mit anderen Materialien zu kontrollieren, was von großer Bedeutung für die Realisierung von Sensoren, Solarzellen, oder Transistoren ist. Was ist Graphen? Kohlenstoff ist ein einzigartiges Ele- ment, das in fünf unterschiedlichen Al- lotropen (Strukturformen) auftritt: amorpher Kohlenstoff, Diamant, Gra- phit, Kohlenstoff-Nanoröhren sowie Fullerene. Diamant ist ein Makromole- kül aus sp 3 -hybridisierten Kohlenstoff- atomen, welche über kovalente Bin- dungen zu einer dreidimensionalen Kristallstruktur vernetzt sind. Im Gra- phit hingegen liegen zweidimensiona- le Schichten vor, die aus kovalent ver- knüpften sp 2 -hybdridsierten Kohlen- stoffatomen bestehen und mit einen Abstand von 3,4 Å übereinander ge- stapelt sind (Abbildung 1). Diese Schichten besitzen eine hexagonale Kristallstruktur und werden durch Van-der-Waals-Kräfte in den Stapeln zusammengehalten. Ei- ne einzelne solche Graphitschicht nennt man Graphen. Es ist das dünnste vorstellbare und realisierbare Blatt aus Koh- lenstoffatomen. Graphen kann als Ausgangsbasis nicht nur von Graphit, sondern auch der Kohlenstoff-Nanoröhren und Fullerene betrachtet werden. Die Nanoröhren erhält man durch Auf- rollen einer Graphenlage entlang einer Flächenrichtung, während Fullerene durch das dreidimensionale Auffalten von Graphen in eine Kugelform entstehen. Somit nimmt Graphen eine Zwischenstellung zwischen dem dreidimen- sionalen Graphit und den eindimensionalen Kohlenstoff- Nanoröhren ein. 240 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 240 – 249 DOI: 10.1002/ciuz.201100550 Abb. 1 Atomisti- sche Struktur einer Graphenmonolage (a) und Graphit, bestehend aus übereinander gestapelten Graphenlagen (b).

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Dünnstes Kohlenstoffblatt verspricht Revolution

Chemie des GraphensKANNAN BALASUBRAMANIAN | MARKO BURGHARD

Für den Chemiker stellt Graphen einen nahezu unend-lich großen polyaromatischen Kohlenwasserstoff dar, wel-cher aufgrund seines ausgedehnten konjugierten π-Sys-tems eine hohe elektrische Leitfähigkeit und eine breiteoptische Absorption im sichtbaren Wellenlängenbereichzeigt. Typische im Labor untersuchte Graphenschichtenhaben eine Ausdehnung von mehreren Mikrometern, alsoetwa das 10.000-fache der Größe eines Benzolrings (ca. 0,3 nm).

Was macht Graphen so interessant?Wie zuvor bei den Fullerenen und Kohlenstoff-Nanoröhren,kam es bald nach Entdeckung des Graphens zu einem

sprunghaften Anstieg an Publikationenzu diesem Thema. Während es in sei-nem Entdeckungsjahr 2005 noch eineLaborkuriosität darstellte [1], kommtGraphen mittlerweile in größerenMengen in der Industrieforschungzum Einsatz.

Graphen ist weder ein Metall nochein Halbleiter, sondern ein Halbmetallmit einer sehr kleinen Elektronen-dichte bzw. ein Halbleiter mit einerverschwindenden Bandlücke. Aufgrundseiner hexagonalen Gitterstruktur sinddie Ladungsträger im zweidimensio-nalen Elektronensystem von Graphengut gegen Rückstreuung geschützt undweisen daher sehr große Beweglich-keiten auf [2]. Viele der interessantenphysikalischen Eigenschaften von Gra-phen, welche in den letzten Jahren ex-

perimentell gemessen wurden, hatten theoretische Unter-suchungen bereits vorab prognostiziert [3]. Daneben zeich-net sich Graphen durch exzellente mechanische Eigen-schaften aus, welche aus dem Zusammenwirken der hohenStabilität der Kohlenstoffbindungen in der Schicht mit de-ren geringer Dicke resultieren.

Herstellung von GraphenDas rasant gestiegene Interesse an Graphen hat die Ent-wicklung einer ganzen Reihe unterschiedlicher Herstel-lungsmethoden vorangetrieben (Tabelle 1). Diese kön-nen in Top-down- und Bottom-up-Verfahren unterteilt wer-den.

Graphen, eine ultradünne Schicht aus zu einem Bienenwaben-muster verbundenen Kohlenstoffatomen, bietet aufgrundseiner hervorragenden elektrischen Leitfähigkeit, kombiniertmit einer hohen chemischen und mechanischen Stabilität,weitreichende Anwendungsperspektiven. Mittels chemischerFunktionalisierung gelingt es nicht nur, Graphen löslich zumachen, sondern auch seine Wechselwirkung mit anderenMaterialien zu kontrollieren, was von großer Bedeutung für dieRealisierung von Sensoren, Solarzellen, oder Transistoren ist.

Was ist Graphen?Kohlenstoff ist ein einzigartiges Ele-ment, das in fünf unterschiedlichen Al-lotropen (Strukturformen) auftritt:amorpher Kohlenstoff, Diamant, Gra-phit, Kohlenstoff-Nanoröhren sowieFullerene. Diamant ist ein Makromole-kül aus sp3-hybridisierten Kohlenstoff-atomen, welche über kovalente Bin-dungen zu einer dreidimensionalenKristallstruktur vernetzt sind. Im Gra-phit hingegen liegen zweidimensiona-le Schichten vor, die aus kovalent ver-knüpften sp2-hybdridsierten Kohlen-stoffatomen bestehen und mit einenAbstand von 3,4 Å übereinander ge-stapelt sind (Abbildung 1). DieseSchichten besitzen eine hexagonaleKristallstruktur und werden durchVan-der-Waals-Kräfte in den Stapeln zusammengehalten. Ei-ne einzelne solche Graphitschicht nennt man Graphen. Esist das dünnste vorstellbare und realisierbare Blatt aus Koh-lenstoffatomen.

Graphen kann als Ausgangsbasis nicht nur von Graphit,sondern auch der Kohlenstoff-Nanoröhren und Fullerenebetrachtet werden. Die Nanoröhren erhält man durch Auf-rollen einer Graphenlage entlang einer Flächenrichtung,während Fullerene durch das dreidimensionale Auffaltenvon Graphen in eine Kugelform entstehen. Somit nimmtGraphen eine Zwischenstellung zwischen dem dreidimen-sionalen Graphit und den eindimensionalen Kohlenstoff-Nanoröhren ein.

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DOI: 10.1002/ciuz.201100550

Abb. 1 Atomisti-sche Struktur einerGraphenmonolage(a) und Graphit,bestehend ausübereinandergestapeltenGraphenlagen (b).

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G R A P H E N M AT E R I A L I E N

Top-down: Graphit zerkleinernAusgangsmaterial beim Top-down-Ansatz ist Graphit, ent-weder in Form von millimetergroßen Kristallsubstraten(hoch orientiertes pyrolytisches Graphit, HOPG) oder Pul-ver. In beiden Fällen besteht das Ziel in der Exfolierung, derLoslösung einzelner Graphenschichten aus dem Graphit.Beim mechanischen Exfolieren wird mit Hilfe einer Klebe-folie die oberste Schicht von einem Stück HOPG abgezogen.Diese Schicht, welche zum Großteil aus Graphenmultila-gen besteht, wird durch mehrmaliges Zurückfalten der Fo-lie weiter aufgetrennt und dann durch Aufpressen auf eingeeignetes Substrat (üblicher Weise ein Siliziumwafer mit ei-ner Siliziumoxid-Beschichtung) übertragen [1]. So gewon-nene Graphenschichten erreichen eine Größe von mehre-ren 10 µm (Abbildung 2).

Eine Alternative zum mechanischen Abziehen ist diechemische Exfolierung von Graphitpulver, wofür die Ein-wirkung von Ultraschall sowie ein Dispersionsagenz not-wendig sind. Geeignete Agenzien sind bestimmte organi-sche Lösungsmittel wie N-Methypyrrolidon oder Detergen-zien (z.B. Natriumcholat) in wässriger Lösung, welche wäh-rend der Ultraschallbehandlung (teilweise) zwischen dieGraphenschichten eindringen und somit deren Separationbegünstigen. Wichtige Parameter sind hierbei die Intensitätund Dauer der Ultraschalleinwirkung. Während eine zu kur-ze oder zu schwache Behandlung hauptsächlich Multilagenliefert, die sehr schnell wieder zusammenklumpen, führt ei-ne zu lange oder zu starke Behandlung zu kleinen Gra-phenschichten mit hoher Defektdichte. Optimierte Exfo-lierungsbedingungen liefern mehr als 1 mg/ml Graphen inorganischen Lösungsmitteln [4]. Als problematisch erwieses sich jedoch, die dispergierten Graphenschichten in aus-reichender Menge auf ein Substrat zu bringen.

Eine verwandte chemische Methode basiert auf Gra-phitoxid als Ausgangsmaterial, das nach dem Hummers-Ver-

fahren durch Einwirkung starker Oxidationsmittel auf Gra-phitpulver zugänglich ist [5]. Im ersten Schritt kommt hier-bei eine Mischung von konzentrierter Schwefel- und Sal-petersäure zum Einsatz, wodurch blaues Graphit-hydro-gensulfat entsteht, gefolgt von einer Weiteroxidation durchKaliumchlorat oder -permanganat zu dem nahezu farblosenGraphitoxid. Unter diesen Bedingungen kommt es zur Ein-führung sauerstoffhaltiger Epoxid-, Hydroxyl- und Carbo-xyl-Gruppen in die einzelnen Graphenlagen, wodurch dieBindungskräfte zwischen letzteren stark gelockert werden(Abbildung 3). Folglich genügt bereits eine sehr schonen-de Ultraschallbehandlung, um das Graphitoxid in Wassereffizient zu Graphenoxid (GO) zu exfolieren.

Die Anwesenheit von negativ geladenen Carboxylat-Oberflächengruppen führt zu einer elektrostatischen Ab-stoßung zwischen den GO-Schichten. Somit erhält manüber Wochen stabile, wässrige GO-Dispersionen, welchezu einem Großteil aus Monolagen bestehen. So hilfreich dieeingeführten funktionellen Gruppen für die Separation derMonolagen sind, stellt es doch eine große Herausforderungdar, diese im Anschluss wieder möglichst vollständig zu ent-fernen, um reines Graphen zu erhalten. Geeignete Reduk-

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Abb. 2 Rasterkraftmikroskopische (rechts) und lichtmikros-kopische (links) Aufnahme von mechanisch exfolierten Gra-phenschichten auf einem Si/SiO2-Substrat.

TA B . 1 D I E W I C H T I G S T E N S Y N T H E S E V E R FA H R E N F Ü R G R A PH E N

Synthesemethode Prinzip Mittlere Größe Durchsatz/Qualitätder Schichten von Monolagen

Mechanisches Mit Hilfe einer Klebefolie wird die oberste Schicht 10 bis 20 Mikrometer niedrig/sehr gutExfolieren eines Graphitkristalls abgezogen und auf einen

geeigneten Träger übertragen.

Chemisches Durch Interkalation von geeigneten Reagenzien weniger als gut/niedrigExfolieren zwischen die einzelnen Schichten eines Graphitkristalls 1 Mikrometer

werden mit Hilfe von Ultraschallbehandlung Graphen-flocken in Lösung erhalten.

Reduktion von Graphitoxid wird in Wasser zu Graphenoxid exfoliert, viele Mikrometer hoch/mittel-mäßigGraphenoxid gefolgt von einer chemischen Reduktion zur Entfernung

der sauerstoffhaltigen Gruppen, entweder direkt in Lösung oder nach Abscheidung auf ein Substrat.

Epitaktisches Thermische Zersetzung eines Siliziumcarbid-Kristalls Wafergröße hoch/gutWachstum auf bei ca. 1000 °C, wobei Graphenmonolagen auf der Siliziumcarbid Kristalloberfläche gebildet werden.

Chemische Katalytische Zersetzung einer gasförmigen Kohlen- Wafergröße hoch/gutGasphasen- stoffquelle (z.B. Methan) zu Graphenmonolagen auf abscheidung (CVD) einem metallischen Träger (Cu oder Ni).

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tionsmittel sind z.B. Hydrazin, Natriumborhydrid, oder As-corbinsäure [6].

Chemische Analysen haben ergeben, dass nach Um-wandlung von GO in reduziertes GO (rGO) selbst unter op-timierten Bedingungen immer noch Sauerstoffgruppen indem Material verbleiben [7]. Die Reduktion kann sowohl in-nerhalb der GO-Dispersion als auch an GO-Monolagen aufeinem festen Träger durchgeführt werden. In der Regel lie-fert erstere Variante bessere Ergebnisse, da die GO-Schich-ten von beiden Seiten gut für das Reduktionsmittel zu-gänglich sind. Aus elektronenmikroskopischen Untersu-chungen geht hervor, dass rGO aus Inseln aus reguläremGraphen besteht, welche durch Defektbereiche voneinan-der getrennt vorliegen [8]. Letztere beinhalten verbliebenesauerstoffhaltige Gruppen, neben weiteren Defektarten wiePentagon-Heptagon-Paaren.

Die mikroskopischeStruktur von RGOführt zu einer im

Vergleich zumechanisch exfoliertemGraphen um etwa drei Größenordnungengeringeren elektrischen Leitfähigkeit.

Bottom-up: Aufbauen aus molekularenVorstufen

Die Bottom-Up-Methoden verwenden eine molekulare Vor-stufe als Ausgangsmaterial. Ein Beispiel ist die Herstellungvon Graphenschichten auf Kupfer- oder Nickelfolien durchchemische Gasphasenabscheidung (CVD). Hierbei kommtein kohlenstoffhaltiges Gas wie Methan oder Ethylen zumEinsatz, welches katalytisch an der Metalloberfläche bei ca.900 °C zersetzt wird. Nach dem Wachstum kann die Gra-phenschicht durch Auflösen des Metalls isoliert und auf einSubstrat übertragen werden (Abbildung 4). Kürzlich gelanges, mit diesem Verfahren viele Zentimeter große, nahezueinheitliche Graphenmonolagen reproduzierbar herzustel-len [9].

Mittlerweile wurde eine breite Vielfalt unterschiedlicherVorstufen für das Wachstum von Graphen auf Metallober-flächen erfolgreich eingesetzt, einschließlich Ethanol-Dampf sowie gewöhnlichem Haushaltszucker (Saccharose)[10].

Eine spezielle Variante der Bottom-Up-Methoden ver-wendet als Ausgangsbasis kleine aromatische Moleküle, diezwei Brom- oder Jodatome an gegenüberliegenden Positio-nen aufweisen. Die thermisch induzierte Polymerisationdieser Derivate auf einer Goldoberfläche eröffnet einen Zu-gang zu wohldefinierten, sehr schmalen Streifen aus Gra-phen (engl. graphene nanoribbons, GNRs) [11].

Chemische Reaktivität Bei der Knüpfung einer kovalenten Bindung zu Kohlen-stoffatomen in Graphen brechen die sp2-Bindungen unterBildung von sp3-Bindungen auf, wodurch die Graphenebe-ne lokal deformiert wird. Um die energieaufwendige Bin-dungsdeformation zu minimieren, binden nachfolgendeAtome bevorzugt auf der gegenüberliegenden Seite der Ebe-

ne, wie in Abbildung 5 für die ko-valente Kopplung

von Wasserstoffatomen an Graphen gezeigt. Da aufgrundder Deformation die chemische Reaktivität in der Umge-bung erhöht wird, kann sich die Funktionalisierungsreakti-on von einem solchen Ausgangspunkt rasch fortsetzen. Obdie Reaktion bevorzugt an einer perfekten Stelle des kon-jugierten π-Systems oder an Defektstellen beginnt, hängtvon der chemischen Reaktivität der angreifenden Spezies so-wie der Bindungskonfiguration der Defekte ab.

Zu den wichtigsten Defekten in Graphen zählen Penta-gon-Heptagon-Paare, welche laut Theorie eine besondershohe Reaktivität gegenüber kovalenter Bindungsknüpfungaufweisen [12]. Eine erhöhte Reaktivität liegt ferner an denGraphenkanten vor, welche im Idealfall eine gezackte (engl.zigzag) oder gestaffelte (engl. armchair) Geometrie haben(Abbildung 6). Die gezackten Kanten sind weniger stabilund somit reaktiver als gestaffelte, da in ersteren wenigeraromatische Sextette ausgebildet werden können. Es gilt al-lerdings zu beachten, dass reale Graphenproben in der Re-gel ungeordnete Kanten aufweisen, in welchen die beidenKantengeometrien gemischt vorliegen.

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Abb. 3 Die che-mische Strukturvon Graphenoxidenthält unter-schiedliche sauer-stoffhaltige Grup-pen, einschließ-lich Carboxyl-,Hydroxyl-, undEpoxidgruppen.

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G R A P H E N M AT E R I A L I E N

Die genaue Reaktivitätsverteilung in Graphen ist Ge-genstand aktueller Untersuchungen, wobei eine Vielzahltheoretischer Vorhersagen einer vergleichsweise geringenZahl an experimentellen Ergebnissen gegenübersteht. DasPrimärziel der Funktionalisierung besteht in der Bereitstel-lung von löslichem Graphen als Ausgangsbasis für die wei-tere Prozessierung.

Kovalente FunktionalisierungDie wichtigsten bislang verwendeten Reaktionstypen zurchemischen Funktionalisierung von Graphen sind in Ab-bildung 7 zusammengestellt. Die Entwicklung dieser Me-thoden hat sich stark an vorhandenen Protokollen zur Funk-tionalisierung von Kohlenstoff-Nanoröhren orientiert. Al-lerdings sind Nanoröhren aufgrund der Krümmung der Gra-phenebene reaktiver als das zugrundeliegende Graphen,weshalb für letzteres in der Regel drastischere Reaktions-bedingungen erforderlich sind.

Chemische Spezies, die zur kovalenten Kopplung anGraphen geeignet sind, sind z.B. Arylradikale, Arylnitreneund Azomethin-Ylide, welche mittels thermischer, elektro-chemischer oder photochemischer Aktivierung aus den ent-sprechenden Reagenzien erzeugt werden. AngebundenePhenylreste können unterschiedliche funktionelle Gruppen(z.B. R = –OH, –COOH, –NH2, und –Br) tragen, die sich zurweiteren Funktionalisierung nutzen lassen. In diesen Ver-fahren wird das Graphen (in Form von Mono- und Multila-gen) durch Ultraschallbehandlung von Graphitpulver in ei-nem geeigneten Lösungsmittel erzeugt und somit dem Rea-genz zugänglich gemacht. Die so gewonnenen Produkte er-reichen typische Funktionalisierungsgrade von 5 % (d.h.,jedes zwanzigste Kohlenstoffatom des Graphens trägt einefunktionelle Gruppe) und Löslichkeiten von bis zu 10 mg/mlin organischen Lösungsmitteln, was für viele Anwendun-gen ausreichend ist [13].

Modifikation von GraphenoxidDie in Graphenoxid in der Ebene und an den Kanten ent-haltenen Hydroxyl- und Carboxyl-Gruppen sind nützlicheAnker für die Kopplung von funktionellen Gruppen oderMolekülen. Die so eröffneten, vielfältigen Möglichkeiten ko-valenter Bindungsknüpfung sind in Abbildung 8 dargestellt.Am besten untersucht sind Acylierungsreaktionen zwischenden COOH-Gruppen des GO und Alkoholen bzw. Aminen.Hierüber gelingt es, das GO mit langen Alkylresten oder bio-kompatiblen Polymeren (z.B. Polyethylenglykol oder Poly-L-Lysin) auszustatten. Die erforderliche Aktivierung der COOH-Gruppen erfolgt dabei mit klassischen Reagenzien wie Thio-nylchlorid (SOCl2) oder Carbodiimiden (R-N=C=N-R).

Eine weitere Kopplungsart nutzt die Epoxidgruppen un-ter Ringöffnung mit nucleophilen Reagenzien, insbesonde-re Amine oder Azid-Ionen. Die eingeführten Azid-Gruppenkönnen dann z.B. zur weiteren Funktionalisierung mit Ace-tylenverbindungen herangezogen werden.

Ein wesentlicher Vorteil der GO-basierten Methode be-steht in der gegenüber reinem Graphen deutlich erhöhten

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A B B . 4 B OT TO M - U P- M E T H O D E

Schematische Darstellung des Transferprozesses zur Übertragung einer Graphen-schicht von der Oberfläche eines Nickelfilms auf einen anderen Träger.

A B B . 5 B I N D U N G S G EO M E T R I E

Änderung der Bindungsgeometrie durch die kovalente Anbindung von Wasserstoff-atomen an das Graphengitter.

A B B . 6 K A N T E N G EO M E T R I E

Zwei unterschiedliche Arten von Graphenstreifen, deren regelmäßigen Kanten einegezackte (links) bzw. gestaffelte (rechts) Geometrie aufweisen.

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A B B . 7 R E A K T I O N E N Z U R F U N K T I O N A L I S I E R U N G VO N G R A PH E N

Die wichtigsten Typen kovalenter Funktionalisierung von Graphen, unter C-C-Bindungsknüpfung im Fall der Kopplung einesArylradikals, Bildung eines Aziridin-Rings für die Kopplung eines Arylnitrens sowie Bildung eines Pyrrolidin-Rings durchBindung eines Azomethin-Ylids.

A B B . 8 R E A K T I O N E N VO N G R A PH E N OX I D

Wichtige Reaktionstypen zur kovalenten Funktionalisierung von Graphenoxid unter Ausnutzung der Carboxyl-, Hydroxyl- undEpoxidgruppen.

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Dispergierbarkeit dieses Materials in den meisten Lösungs-mitteln (z.B. 1-4 mg/ml in Wasser, abhängig vom pH-Wert),wodurch die Reaktionen vergleichsweise schnell ablaufen.Die restlichen sauerstoffhaltigen Gruppen, welche nichtzur kovalenten Kopplung herangezogen wurden (z.B. OH),können im Anschluss analog zur Umwandlung von GO zuRGO mit einem Reduktionsmittel (größtenteils) entferntwerden [14].

Nicht-kovalente FunktionalisierungEine weitere Möglichkeit zur Funktionalisierung eröffnetsich durch die beträchtlichen Van-der-Waals Kräfte zwischendem ausgedehnten π-System von Graphen und aromatischenVerbindungen. Dies bietet für gewisse Anwendungen Vor-teile, da es nicht zu einem Aufbrechen des π-Bindungsgerüstsdes Graphens kommt und somit dessen elektronische Ei-genschaften weitgehend bewahrt werden. Unter Ausnut-zung solcher π-π-Stapelwechselwirkungen wurde reines Gra-phen oder GO mit z.B. Pyren- oder Perylen-Verbindungenausgestattet [15]. Tragen diese Derivate hydrophile Grup-pen (z.B. COOH), so ist das Produkt wasserlöslich.

Zwischen Graphen und den adsorbierten Molekülenkommt es oftmals zu einem Ladungstransfer im optisch an-geregten Zustand, wodurch die Fluoreszenz der Moleküle ge-löscht wird. Dies lässt sich nutzen, um Graphen auf einemSubstrat mit Hilfe eines Lichtmikroskops ausfindig zu ma-chen. Hierzu werden Farbstoffmoleküle auf die Oberflächeadsorbiert und anschließend mit einer geeigneten Wellen-länge angeregt. Aufgrund der Fluoreszenzlöschung erschei-nen die Graphenschichten dunkel, während die Farbstoffeauf dem Substrat leuchten. Die so lokalisierten Schichtenkönnen nun in einem einfachen, schnellen Photolithogra-phie-Verfahren mit Elektroden versehen und in ein elektri-sches Bauelement integriert werden (Abbildung 9) [16].

Anwendungen von chemisch modifiziertemGraphen

Die jüngsten Fortschritte in der Entwicklung von Synthe-severfahren und chemischen Funktionalisierungsmethodenfür Graphen haben vielfältige Anwendungsperspektiven er-öffnet. Die wichtigsten sind in Tabelle 2 zusammengefasst.Einige besonders vielversprechende Beispiele werden nach-folgend im Detail vorgestellt.

Komponente von elektronischen BauelementenDie Elektronik basiert auf Halbleitermaterialien, deren elek-trische Leitfähigkeit sich durch externe elektrische Felder,Beleuchtung oder die chemische Umgebung kontrollierenlässt. Dabei sollte der Halbleiter eine nennenswerte Band-lücke (>0,5 eV) und eine möglichst hohe Beweglichkeit derLadungsträger aufweisen. Graphen besitzt zwar eine sehrhohe Beweglichkeit, welche jene von Silizium um einenFaktor von 1000 übersteigt, jedoch keine Bandlücke (Ab-bildung 10). Daher kann es nicht direkt zur Herstellung vonFeldeffekttransistoren (engl. field-effect transistors, FETs)als wichtigsten Baustein der Elektronik eingesetzt werden.

Der Halbleiterkanal in einem FET wird mit Hilfe einerGatespannung gesteuert, d.h. zwischen dem Ein-Zustand(hohe Leitfähigkeit) und Aus-Zustand (niedrige Leitfähig-keit) geschaltet. Ein Graphenkanal kann hingegen nicht rich-tig abgeschaltet werden, da im Hintergrund immer eine be-stimmte Konzentration an Ladungsträgern aufgrund von De-fekten verbleibt.

Eine Strategie zur Öffnung einer Bandlücke basiert aufder kovalenten Funktionalisierung von Graphen, da hier-durch elektronische π-Zustände (sp2-Bindungen) in ener-

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A B B . 9 BAU E L E M E N T E

Verfahren zur elektrischen Kontaktierung von Graphenschichten auf einem Si/SiO2-Substrat nach Aufbringen eines Fluoreszenzfarbstoffs.

TA B . 2 A N W E N D U N G S PE R S PE K T I V E N VO N C H E M I S C H

M O D I F I Z I E R T E M G R A PH E N

(Potenzielle) Anwendung Aufgabe der kovalent gebundenenGruppen

nanostrukturierte elektronische Bau- lokale Modifikation der elektronischen elemente, z.B. Feldeffekt-Transistoren Bandstruktur(FETs)

(Bio-)chemische Sensoren selektive chemische Wechselwirkung mit Analytmolekülen

Trägermaterial für Katalysatoren Verankerung von Molekülen oder Metallpartikeln

Substrat für die Transmissions- Fixierung von BiomolekülenElektronenmikroskopie

mechanisch verstärkte chemische Kopplung an eine MatrixVerbundmaterialien

Transparente Elektroden in verbesserte Benetzung durch Polymerfilmorganischen Solarzellen

Lithium-Ionen-Batterien Ankergruppen für Oxid-Nanopartikel

Elektroden in Brennstoffzellen Kopplung von Katalysatorpartikeln (z.B. Platin)

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getisch höher (bzw. tiefer) gelegene σ-Zustände (sp3-Bin-dungen) umgewandelt werden. Tatsächlich gelang es, durchAnkopplung von substituierten Phenylgruppen das Ein/Aus-Verhältnis eines Graphenkanals zu erhöhen [17]. Chemi-sche Funktionalisierung eröffnet die faszinierende Mög-lichkeit, Transistoren samt elektrischen Verbindungen di-rekt in ein ausgedehntes Graphenblatt hinein zu struktu-rieren.

Andere Graphenderivate, welche intensiv als Kompo-nenten von FETs untersucht werden, sind Graphan sowiepolyfluoriertes Graphen. In diesen Verbindungen sind alleπ-Bindungen vollständig hydrogeniert bzw. fluoriert, wobeidie entsprechenden Atome alternierend die Ober- und Un-terseite der Graphenebene belegen. Graphan ist durch Be-handlung von Graphen mit Wasserstoffatomen (erzeugtdurch ein elektrisches Plasma) gut zugänglich [18]. Aller-dings besitzen die bislang realisierten Graphan-Proben nocheine hohe Defektdichte, welche die Transistorschaltbarkeitund Beweglichkeit der Ladungsträger stark beeinträchtigt.Daher werden gegenwärtig erhebliche Anstrengungen un-ternommen, um die kovalente Funktionalisierung von Gra-

phen besser zu kontrollieren, insbesondere ein „Ätzen“des Graphengitters unter Bildung von Kohlenwasserstof-

fen zu unterdrücken.Eine weitere Möglichkeit zur Einführung einerBandlücke bietet sich durch schmale Graphen-

streifen, welche z.B. durch reaktives Ionenätzenvon Graphenschichten zugänglich sind. Zur Öff-

nung der Bandlücke muss dabei eine Breite von ca.20 nm unterschritten werden, wodurch der Einsatz von

Elektronenstrahllithographie erforderlich wird, umauf dem Graphen eine entsprechende Schutzmaske

zu erzeugen. Die geöffnete Bandlücke ist um-gekehrt proportional zur Breite der

Streifen; um eine Bandlücke von0,5 eV (vgl. Silizium: 1,1 eV) zuerreichen, muss die Breite klei-

ner als 2 nm sein, was einegroße technologische He-

rausforderung darstellt. Einweiteres Problem stel-

len die Kanten derGraphenstreifen dar,

da das Ätzen auf-grund von Unregel-

mäßigkeiten derSchutzmaske nicht mitatomarer Präzision er-folgt. Die resultieren-den „ausgefransten“

Graphenkanten stören denTransport der Ladungsträger, was zu

einer starken Verringerung der Ladungsträgerbe-weglichkeit führt (Abbildung 11).

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A B B . 1 0 BA N DS T R U K T U R I M V E RG L E I C H

Elektronische Bandstruktur eines herkömmlichen Halbleiters (a) und Graphen (b).

Abb. 11 Realistische Graphenschicht, deren Kanten eine unregelmäßige Struktur mit einer Mischung aus gezackten und gestaffelten Abschnitten, aufweist.

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G R A P H E N M AT E R I A L I E N

Chemische Sensoren und BiosensorenGraphen ist ein einzigartiges Material, in welchem sich je-des Atom an der Oberfläche befindet. Als Konsequenz tre-ten die Ladungsträger in Graphen in unmittelbare Wech-selwirkung mit der chemischen Umgebung, womit eineoptimale Voraussetzung für hochempfindliche (bio-)che-mische Sensoren geschaffen ist. Eine Vielzahl effizienter,

Graphen-basierter Sensoren wurde bereits realisiert. DasDetektionsprinzip beruht dabei meistens auf einem La-dungstransfer zwischen den Analytmolekülen und einerGraphenschicht, wodurch sich deren elektrischer Wider-stand in Abhängigkeit der Analytkonzentration ändert. Diesehr hohe Empfindlichkeit solcher Sensoren zeigt sich inder Möglichkeit, einzelne Moleküle des Elektronenakzep-

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Detektionsprinzip eines Graphen-Sensors auf der Basis von Fluoreszenzlöschung eines Farbstoff-markierten DNS-Einzelstrangs.

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Reaktionsschema zur Ausstattung von Graphenoxid mit Radikalstartergruppen zur Aufpolymerisation von Styrol-Monomeren.

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tors NO2 über das entsprechende elektrische Signal detek-tieren zu können [19], auch wenn aufgrund hoher Anfor-derungen an die Gasumgebung eine Sensoranwendung imAlltag nicht möglich ist.

Um neben einer hohen Sensitivität auch eine gute Se-lektivität der Sensoren zu erreichen, muss das Graphen mitanalyt-spezifischen Rezeptoren ausgestattet werden. Für die-ses Ziel spielen Methoden zur chemischen Funktionalisie-rung von Graphen eine Schlüsselrolle. Geeignete Rezepto-ren sind beispielsweise Antikörper für die Detektion vonProteinen oder Antigenen, oder Desoxyribonukleinsäure(DNS) zum Nachweis von komplementären Polynukleotid-strängen. Für die optimale Ankopplung solcher Rezeptorenkann auf eine breite Palette von Methoden zurückgegriffenwerden, welche für die Fabrikation von Kohlenstoff-Nano-röhren-basierten Sensoren entwickelt wurden. Besondersgeeignet sind hierfür elektrochemische Funktionalisie-rungsmethoden, welche eine gute Kontrolle über die Dich-te der gekoppelten Gruppen versprechen. Als ersten Schrittin diese Richtung wurde rGO durch Elektrodeposition mitPalladium-Nanopartikeln belegt. Dabei scheiden sich diePartikel bevorzugt an Defektstellen in der rGO Monolage ab.Die Palladiumpartikel-Dekoration ermöglicht die Detektionvon Wasserstoff, da es zu einem Elektronen-transfer von den im Palladium gelöstenH2-Molekülen zum Graphen und hier-über zu einer Änderung des elektri-schen Widerstands kommt.

Derartige Gassensoren be-sitzen bei Raumtemperatur ei-ne Nachweisgrenze bis hinab inden ppb-Bereich. Mittels chemischerFunktionalisierung lassen sich auch leis-tungsfähige Biosensoren realisieren, wobei zur Kopplungder erforderlichen Biorezeptoren insbesondere die obenbeschriebenen Methoden zur kovalenten Modifizierung vonGO sehr geeignet sind. Auf diese Weise wurden aus rGO ei-ne ganze Reihe empfindlicher und selektiver Sensoren fürDNA, Peptide und Zellen realisiert [20].

Ein zweiter Typ von Graphen-Sensoren beruht auf demamperometrischen Prinzip, d.h., der mit der elektrochemi-schen Oxidation oder Reduktion des Analyten verbundeneFaradaysche Strom wird mit einer Sensorelektrode gemes-sen. Bislang konnte Graphen allerdings nur als Zusatzma-terial an der Oberfläche von etablierten Arbeitselektrodenz.B. aus glasartigem Kohlenstoff (engl. glassy carbon elec-trode, GCE) erfolgreich verwendet werden [21]. Hierbeiführt das Graphen zu einer deutlichen Verbesserung desLadungstransfers zwischen Elektrode und Analyt, wobei ver-mutlich die Kanten der Monolagen einen wesentlichen Bei-trag liefern. Weiter verbesserte amperometrische Signalekönnten zukünftig z.B. durch den Einsatz von Graphen-bändern erreicht werden.

Ein dritter, Erfolg versprechender Sensortyp basiert aufder Fluoreszenzlöschung eines Farbstoffmoleküls (Abbil-dung 12). Ein Beispiel ist mit einem Fluoreszenzfarbstoff

versehene Einzelstrang-DNS, deren Bindung an in Lösungbefindliches GO wie oben beschrieben zu einer Verringe-rung des Fluoreszenzsignals führt. Dies lässt sich zur De-tektion eines komplementären DNS-Strangs ausnutzen, wel-cher mit dem GO um den Farbstoff/Einzelstrang-Komplexkonkurriert [22].

Mechanisch verstärkte VerbundmaterialienZusätzlich zu seinen exzellenten elektronischen Eigen-schaften weist Graphen auch eine hervorragende mecha-nische Stabilität auf, insbesondere eine sehr große Zugfes-tigkeit. Somit wird es zu einer geeigneten Füllkomponentezur Verstärkung unterschiedlicher Materialien.

Bislang wurde Graphen hauptsächlich zur Verstärkungvon organischen Polymeren eingesetzt. Dabei sind wieder-um funktionelle Gruppen am Graphen von Wichtigkeit, umes einerseits gut löslich und in der Polymermatrix gut dis-pergierbar zu machen, und um andererseits eine effektiveÜbertragung der von außen angelegten mechanischen Be-lastung zwischen Graphen und Polymer zu gewährleisten.

Ein vielversprechender Ansatz besteht in derkovalenten Kopplung eines Startermole-

küls, welches dann als Aus-gangspunkt für die Polymerisa-tionsreaktion verwendet wird.

So wird eine direkte, festeVerankerung des Polymers auf

dem Graphen sichergestellt. EinBeispiel hierfür zeigt Abbildung 13 [23].

Im ersten Schritt werden 2-Hydroxyethyl-sub-stitutierte Phenylreste durch Reaktion mit ei-

nem aromatischen Diazoniumsalz an rGO gebunden. DieseReste dienen dann nach weiterer Umsetzung als Initiator-stellen für das Aufpfropfen von Polystyrol-Ketten. Die Zug-festigkeit und das Elastizitätsmodul des resultierenden Gra-phen/Polystyrol-Verbunds weisen für einen Graphen-Gehaltvon knapp einem Gewichtsprozent eine Erhöhung ummehr als die Hälfte gegenüber reinem Polystyrol auf.

Elektroden in der PhotovoltaikFür die Fertigung von Solarzellen, die aus organischen Halb-leitern aufgebaut sind, werden gut leitfähige, optisch trans-parente Elektroden benötigt (Abbildung 14). In der Regelkommt hierfür Indiumzinnoxid (engl. indium tin oxide,ITO) zum Einsatz. Dieses Material besitzt jedoch einigeNachteile, insbesondere seine nicht optimale Stabilität (eskann zur Diffusion von Indiumionen in die angrenzendeelektroaktive Schicht kommen), sowie sein hoher Preis auf-grund des relativ geringen weltweiten Indiumvorkommens.

Neuartige Elektroden aus Graphen sind ein vielver-sprechender Ersatz für ITO, denn ersteres ist sehr gut elek-trisch leitfähig, besitzt eine hohe chemische Stabilität undeine Monolage absorbiert nur knapp über 2 % des einfal-lenden Lichts. Erste Untersuchungen haben in der Tat er-geben, dass geeignet (nicht-kovalent) funktionalisierte Gra-phenelektroden die Rolle von ITO in Solarzellen fast eben-

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Abb. 14 Quer-schnitt durch eineorganische Solar-zelle mit einertransparentenGraphen-Basis-elektrode.

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so effizient übernehmen können [24]. Die Aufgabe derfunktionellen Gruppen besteht dabei in einer Verbesserungder Benetzungseigenschaften des Graphens. Graphenelek-troden, deren elektrische Leitfähigkeit Werte von mehr als500 S/cm erreicht [24], bieten darüber hinaus den Vorteil,Solarzellen auf flexiblen (Plastik-)Substraten herstellen zukönnen.

ZusammenfassungEs bedarf noch intensiver Forschung, bis elektronische Bau-elemente auf Graphenbasis praktische Anwendung finden.Die Haupthürde besteht darin, verlässliche chemische Ver-fahren zu finden, mit welchen Graphen strukturiert funktio-nalisiert werden kann, um lokal eine Bandlücke einzuführen,ohne gleichzeitig Defekte in das Kohlenstoffgitter einzubau-en. In dieser Hinsicht kann sicher einiges von der weiter ent-wickelten Chemie der Kohlenstoff-Nanoröhren als eindimen-sionale Gegenstücke des Graphens gelernt werden. Deutlichnäher steht hingegen der praktische Einsatz von Graphen inflexiblen, transparenten Elektroden, in (bio-)chemischen Sen-soren oder als Verstärkerkomponente von Werkstoffen. Aller-dings setzt die hierfür erforderliche Herstellung größerer Gra-phenmengen noch nennenswerte Fortschritte in der Über-führung von Graphenoxid in reines Graphen voraus. Eine gro-ße Herausforderung ist dabei nicht nur die quantitative Ent-fernung der sauerstoffhaltigen funktionellen Gruppen, son-dern auch das Ausheilen von ungeordneten, sp2-gebundenenRegionen.

SummaryDespite recent progress in the production of large area, highquality graphene, the technological implementation of suchsheets into real world devices still requires intense future re-search. A major obstacle is the development of efficient chem-ical methods for the patterned functionalization of graphene,in order to locally define regions with a band gap, withoutthe simultaneous introduction of defects into the carbonframework. In this respect, it can be expected that much canbe learned from the further developed chemistry of carbonnanotubes as the one-dimensional counterparts of graphene.Comparatively closer to technological applications is the useof graphene in flexible, transparent electrodes, as componentof (bio-)chemical sensors, or as reinforcing filler in compositematerials. However, most of these applications require thedevelopment of optimized protocols for the conversion ofgraphene oxide into pristine graphene. To this end, a greatchallenge is not only to quantitatively remove the oxygen-containing functional groups, but also to heal the disorder incertain areas of the sp2-hybridized honeycomb lattice.

SchlagworteGraphen, Graphenoxid, Graphit, chemische Funktionali-sierung, Elektrochemie, elektronische Bauelemente, Sen-soren, Solarzellen

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Die AutorenKannan Balasubramanian, geboren 1978, studierte Informatik am BirlaInstitute for Technology and Science in Indien und Elektrotecknik an derUniversität Kassel. Er promovierte 2005 an der EPFL in Lausanne, Schweiz, inNanostrukturphysik. Er ist Leiter der Nachwuchsgruppe „Nanodiagnostik“. Seine Forschungsinteressen sind u.a der Einsatz von Nanostrukturen für dieAnalytik und die medizinische Diagnostik.

Marko Burghard, Jahrgang 1967, studierte Chemie und Biochemie an denUniversitäten Stuttgart und Tübingen. Seine Promotion schloss er 1996 an derUniversität Tübingen ab. Seit 1996 forscht er am Max-Planck-Institut fürFestkörperforschung in Stuttgart; seine Arbeitsgebiete sind dünne organischeSchichten sowie die elektrischen und optischen Eigenschaften unterschiedlicherArten von Nanodrähten.

KorrespondenzadresseDr. Marko Burghard,Max-Planck-Institut für Festkörperforschung,Heisenbergstrasse 1,D-70569 StuttgartE-Mail: [email protected]

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