Erste Streitgespräche - · PDF fileRudolf Bultmann, GST 227. 6 Dietrich-Alex Koch: Die...

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A Jesu Wirken in Galiläa (,,) . Erste Streitgespräche (,,) Wir befinden uns im ersten Hauptteil des Markusevangeliums, der von , bis , reicht und Jesu Wirken in Galiläa zum Thema hat. 1 In der vergangenen Woche haben wir mit der Interpretation des ersten Abschnitts dieses Teils begonnen, „Die ξουσα [exousi . a] Jesu in Wunder und Lehre“, ,,. Waren es im ersten Kapitel vor allem Wundererzählungen, so haben wir es heute in ,, vor allem mit Streitgesprächen zu tun. An der Spitze dieses Unterabschnitts steht die Perikope ,, wo Jesus einen Gelähmten heilt; gleichzeitig findet hier der erste Disput mit „einigen der Schriftgelehrten“ – so heißt es in v. – statt. Dieses Stück bildet das Scharnier, das von den Wundern in Kapitel zu den Streitgesprächen in Kapitel überleitet. Dies ist ein bemerkenswerter Sachverhalt: Was immer die Jünger oder Jesus tun – man nimmt Anstoß. Aber erst hier in Kapitel , nicht dagegen in Kapitel . Wenn Sie sich an die Heilung in , erinnern: Sie spielt in der Synagoge von Kapernaum, und das an einem Sabbat. Aber es findet sich kein Pharisäer, es findet sich kein Schriftgelehrter, der dagegen protestieren möchte, daß Jesus am Sabbat heilt. Ganz anders in Kapitel : Hier nimmt man Anstoß, wo es nur geht, und am Schluß des Unterabschnitts, in ,, fassen die Pharisäer zusammen mit den Herodianern den Beschluß, Jesus zu töten. Wir wenden uns zunächst der ersten Perikope und ihrer Übersetzung zu: a) Der Gelähmte in Kapernaum (,) Und da er nach einigen Tagen nach Kapernaum kam, wurde be- kannt, daß er im Hause sei. Und viele liefen zuhauf, so daß auch der Raum vor der Tür nicht ausreichte, und er richtete an sie das Wort. Und es kamen Leute, die brachten zu ihm einen Gelähmten, der von Vieren getragen wurde. Und da sie ihn nicht zu ihm heranbringen konnten wegen des Volkes, deckten sie das Dach (des Hauses), wo er war, ab und schlugen es durch und ließen das Bett hinab, worin der Gelähmte lag. Und da Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Einige Schriftgelehrten aber saßen dabei und dachten in ihrem Herzen: „Was redet dieser so lästerlich? Wer anders kann Sünden vergeben als allein Gott?“ Und alsbald in seinem Geist erkennend, daß sie so bei sich dachten, sprach Jesus zu ihnen: Was denkt ihr so in eurem Herzen? Was ist leichter, dem Gelähmten zu sagen: „Deine 1 Zur Gliederung des Markusevangeliums vgl. die Übersicht oben Seite .

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  • A Jesu Wirken in Galila (,,)

    . Erste Streitgesprche (,,)

    Wir befinden uns im ersten Hauptteil des Markusevangeliums, der von, bis , reicht und Jesu Wirken in Galila zum Thema hat.1 In dervergangenen Woche haben wir mit der Interpretation des ersten Abschnittsdieses Teils begonnen, Die [exousi.a] Jesu in Wunder und Lehre,,,. Waren es im ersten Kapitel vor allem Wundererzhlungen, sohaben wir es heute in ,, vor allem mit Streitgesprchen zu tun.

    An der Spitze dieses Unterabschnitts steht die Perikope ,, wo Jesuseinen Gelhmten heilt; gleichzeitig findet hier der erste Disput mit einigender Schriftgelehrten so heit es in v. statt. Dieses Stck bildet dasScharnier, das von den Wundern in Kapitel zu den Streitgesprchenin Kapitel berleitet. Dies ist ein bemerkenswerter Sachverhalt: Wasimmer die Jnger oder Jesus tun man nimmt Ansto. Aber erst hierin Kapitel , nicht dagegen in Kapitel . Wenn Sie sich an die Heilungin , erinnern: Sie spielt in der Synagoge von Kapernaum, und dasan einem Sabbat. Aber es findet sich kein Phariser, es findet sich keinSchriftgelehrter, der dagegen protestieren mchte, da Jesus am Sabbatheilt. Ganz anders in Kapitel : Hier nimmt man Ansto, wo es nur geht,und am Schlu des Unterabschnitts, in ,, fassen die Phariser zusammenmit den Herodianern den Beschlu, Jesus zu tten.

    Wir wenden uns zunchst der ersten Perikope und ihrer bersetzung zu:

    a) Der Gelhmte in Kapernaum (,) Und da er nach einigen Tagen nach Kapernaum kam, wurde be-kannt, da er im Hause sei. Und viele liefen zuhauf, so da auchder Raum vor der Tr nicht ausreichte, und er richtete an sie das Wort. Und es kamen Leute, die brachten zu ihm einen Gelhmten, der vonVieren getragen wurde. Und da sie ihn nicht zu ihm heranbringenkonnten wegen des Volkes, deckten sie das Dach (des Hauses), wo erwar, ab und schlugen es durch und lieen das Bett hinab, worin derGelhmte lag. Und da Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu demGelhmten: Mein Sohn, deine Snden sind dir vergeben.

    Einige Schriftgelehrten aber saen dabei und dachten in ihremHerzen: Was redet dieser so lsterlich? Wer anders kann Sndenvergeben als allein Gott? Und alsbald in seinem Geist erkennend,da sie so bei sich dachten, sprach Jesus zu ihnen: Was denkt ihr so ineurem Herzen? Was ist leichter, dem Gelhmten zu sagen: Deine

    1 Zur Gliederung des Markusevangeliums vgl. die bersicht oben Seite .

  • I Die (exousi.a) Jesu in Wunder und Lehre (,,)

    Snden sind dir vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bettund geh?

    Damit ihr aber seht, da der Menschensohn auf Erden Befugnishat, Snden zu vergeben, sagte er zu dem Gelhmten: Ich sagedir, steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause. Und er standauf und sein Bett nehmend ging er alsbald hinaus angesichts aller, soda alle auer sich waren und Gott priesen und sagten: So etwashaben wir nie erlebt.

    Ich beginne mit der grundlegenden Analyse Rudolf Bultmanns: In V. f.,der redaktionellen bergangsbildung des Mk, steckt der ursprnglicheAnfang des Stckes, da das [en oi.ko] (bzw. [eis oi.kon])notwendige Voraussetzung der Geschichte ist.2 Ohne das Haus wrde diefolgende Geschichte ersichtlich nicht funktionieren.

    Wie einleitend schon konstatiert, hat die Geschichte zwei verschiedenePointen: . das Wunder, . das Logion von der Sndenvergebung, und zwarist das zweite Motiv ganz uerlich in das erste eingeschoben: V. b sindsekundre Einfgungen, denn die [pi.stis] des Gelhmten und seinerTrger, die V. f. ausfhrlich demonstriert und V. a von Jesus konstatiertwird, ist V. b verschwunden, und V. f. ist der organische Abschlueiner Wundergeschichte: Dokumentierung der Heilung durch Wegtragendes Bettes und Eindruck auf die Hrer.3 Man kann leicht die Probe aufsExempel machen, indem man die v. b herausnimmt: Es ergibt sich einsehr guter Anschlu von v. a an v. . In v. a heit es: Und da Jesus ihrenGlauben sah, sagte er zu dem Gelhmten, und in v. geht es weiter: Ichsage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause. Man sieht daran:Niemand wrde etwas vermissen, wenn die Verse b fehlen wrden.

    Umgekehrt passen diese Verse gar nicht zum folgenden: denn nachV. b fragt man: welches ist der Eindruck auf die Gegner? gehrensie etwa zu den [doxa. zontes] von V. ?! vielmehr mte wie, usw. ihr Verstummen berichtet sein. Die Debatte V. b ist alsoeingeschoben; sie ist deutlich auf die Wundergeschichte hin komponiertund nicht ursprnglich selbstndig gewesen.4

    2 Rudolf Bultmann, GST . Er hlt es fr mglich, da das Kapernaum schon Bestandteil dermndlichen Tradition gewesen ist: So wre es . . . mglich, da die Geschichte Mk , schon inder Tradition vor Mk in Kapernaum lokalisiert war, obgleich freilich schon in V. f. die verknpfendeRedaktionsarbeit des Mk steckt (a.a.O., S. ).

    3 Rudolf Bultmann, GST .4 Rudolf Bultmann, GST . Bultmann fhrt fort: Entstanden ist sie offenbar aus dem Streit

    ber das Recht (die ) der Sndenvergebung, deren Recht durch die Kraft zur Wunderheilungbewiesen wird (a.a.O., S. ).

  • A Jesu Wirken in Galila (,,)

    Reduziert man die Perikope auf v. a., so verbleibt eine stilgemeWundergeschichte, nherhin ein Heilungswunder. Wir haben die Konsta-tierung der Krankheit in v. (der Mann kann sich nicht selbst fortbewegen)und das Zutrauen zu dem Wundertter in v. : Der groe, in der ber-windung der ueren Schwierigkeiten dokumentierte Glaube soll natrlichseinen Glanz auf den Wundertter werfen, der diesen Glauben verdient.. . . Das wunderwirkende Wort, Jesu Befehl und seine Ausfhrung, die denErfolg demonstriert, und der Eindruck auf das Publikum sind typischeZge.5

    Die Kombination aus Heilungsgeschichte und Streitgesprch, die wir in, vorfinden, machte die Perikope zur idealen berleitung von denHeilungswundern in Kapitel zu den Streitgesprchen in Kapitel . Sie istdafr so gut geeignet, da man eine bessere sich kaum ausdenken knnte.Daher knnte man die Frage aufwerfen, ob die Kombination der beidenBestandteile vielleicht erst aus der Feder des Markus stammt. Bultmannist freilich der Meinung, da Markus die Kombination schon in seinerTradition vorgefunden hat. Koch hat in seinem Buch ber die Bedeutungder Wundergeschichten fr die Christologie des Markusevangeliums denNachweis gefhrt, da das Mittelstck aus der Feder des Markus selbststammt.6

    Er stellt fest, da die Komposition von Mk nahtlos der markini-schen Gesamtredaktion von Mk entspricht, in der das Thema der [exousi.a] der Lehre Jesu dominiert. Und im Erweis dieser [exousi.a] liegt ja auch die Pointe der Gesamtkomposition von Mk , diein v. ihren Hhepunkt hat.7

    Werv. von Kapitel her kommt, kann sich ber v. des zweiten Kapitelsnur wundern: Nun ist Jesus also doch wieder in der Stadt Kapernaum!Nherhin in einem Haus dieser Stadt. Ob das Haus das des Petrus [aus,] . . . ist oder nicht, lt sich nicht sagen. Das Fehlen des Artikels sprichtnicht dagegen, und seine Setzung wre kein Beweis dafr. Denn er wirdin solchen Fllen bald ausgelassen, bald zugefgt; und zwar kommt dieserWechsel nicht blo an verschiedenen Stellen vor, sondern auch an derselbenStelle in verschiedenen Handschriften. Wie die Einde oder der Berg stehtauch das Haus berall zur Verfgung . . . .8

    5 Rudolf Bultmann, GST .6 Dietrich-Alex Koch: Die Bedeutung der Wundererzhlungen fr die Christologie des Markus-

    evangeliums, BZNW , Berlin/New York , S. .7 Dietrich-Alex Koch, a.a.O., S. .8 Julius Wellhausen, S. = S. . Die Hervorhebung des letzten Satzes ist von mir.

  • I Die (exousi.a) Jesu in Wunder und Lehre (,,)

    In v. wird ein Motiv aus , aufgenommen und vertieft. v. Die Menge, diezu Jesus strmt, ist so gro, da sie nicht nur nicht ins Haus pat, sondernauch vor der Tr desselben nicht unterzubringen ist. Die Verkndigungdes Wortes ( [ela. lei autoi. s to. n lo. gon]) ist ein typischmarkinischer Zug, der gerade fr dieses zweite Kapitel von ungeheurerBedeutung ist. Denn an der Botschaft Jesu entzndet sich der Konflikt mitden Gegnern, der in , zum Todesbeschlu fhrt.

    In v. wird die Not des Kranken ausgemalt: v. Von vier Mnnern mu seineTrage geschleppt werden, da er sich mit eigenen Krften nicht fortbewegenkann.

    Der v. weist gewisse Probleme auf, v. die man seit jeher konstatiert hat.Zutreffend bemerkt Wellhausen: In das abgedeckte Dach schlagen sienoch ein Loch? Abdecken und Durchschlagen vertrgt sich nicht mitein-ander; eines von beiden mu weichen. . . . Man wundert sich, da dieunten Versammelten bei dem Durchbrechen der Decke das Lokal nichtrumen.9 Lohmeyer erklrt das Problem folgendermaen: Das Dachwird durchgraben es besteht aus Zweigen und Schilf, die zwischen dieTragebalken geflochten und mit einer Schicht Lehm abgedichtet sind ,und der Kranke in den Raum hinabgelassen, den das Dach berdeckt.Markus hat die Vorgnge nicht mehr recht verstanden, wenn er von einemAbdecken des Daches spricht; ob er nun diesen Zug frei eingefgt odereinen aramischen Ausdruck miverstanden hat, in jedem Falle denkt er andas im Westen bliche Ziegeldach und verrt damit seine Ferne von dendrflichen Verhltnissen des Orients.10

    Jesus sieht, was die Mnner tun, und erkennt darin ihren Glauben v. ([pi. stis], v. ). Der Zuspruch Jesu in v. b: Dir sind deine Snden vergebenleitet das eingeschobene Streitgesprch ein, das ein Streitgesprch berdie (exousi.a) Jesu ist. (exousi.a) ist das Schlsselwort desgesamten Unterabschnitts ,,: Schon in , und hatte Markus die (exousi.a) Jesu herausgestellt, in unserer Perikope wird sie nun zumThema des Streits. In v. f. v. f.bezweifeln die (grammatei.s), daJesus diese (exousi.a) zukommt.

    9 Julius Wellhausen, S. = S. .10 Ernst Lohmeyer, S. . Harmonisierend Walter Schmithals: Die Anschaulichkeit der Erzhlung

    beeindruckt. Das Haus hat einen Raum, in dem sich die Bewohner Kafarnaums bis vor die Tr hin-aus drngen. Das Dach hat man sich als flache Abdeckung des orientalischen Hauses vorzustellen; einGeflecht zwischen Balken bildet die Grundlage fr eine